Titel:
Popularklage gegen außer Kraft getretenes Gesetz
Normenketten:
BV Art. 98 S. 4
VfGHG Art. 55 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
Zur Unzulässigkeit einer Popularklage gegen aufgrund zwischenzeitlicher Gesetzesänderungen nicht mehr geltende Bestimmungen des Polizeiaufgabengesetzes, an deren verfassungsrechtlicher Überprüfung kein öffentliches Interesse mehr besteht. (Rn. 26 – 32)
1. Außer Kraft getretene Rechtsvorschriften unterliegen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle auf eine Popularklage nur dann, wenn noch ein objektives (nicht nur theoretisches) Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren. (Rn. 26) (red. LS Axel Burghart)
2. Ein objektives Interesse an der Feststellung der Verfassungswidrigkeit wird nicht automatisch dadurch begründet, dass außer Kraft getretene Vorschriften schwerwiegende Grundrechtseingriffe bewirkt haben. Hinzukommen muss, dass die Grundrechte als Institution betroffen sind, etwa weil es um eine Vielzahl von Fällen und nicht nur um einzelne Verfahren geht, in denen die Betroffenen auf Individualrechtsschutz zu verweisen sind. (Rn. 28) (red. LS Axel Burghart)
Schlagworte:
Popularklage, öffentliches Interesse, Polizeiaufgabengesetz
Fundstelle:
BeckRS 2024, 38897
Tenor
Der Antrag wird – unter Aufhebung der Verbindung mit den Verfahren Vf. 5-VIII-18, Vf. 7-VII-18, Vf. 10-VIII-18 und Vf. 16-VIII-18 – abgewiesen.
Entscheidungsgründe
1
Die Antragsteller begehren mit ihrer Popularklage die Feststellung der Verfassungswidrigkeit verschiedener Regelungen des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG) in der – nicht mehr aktuellen – Fassung der Bekanntmachung vom 14. September 1990 (GVBl S. 397, BayRS 2012-1-1-I), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 (GVBl S. 388) geändert worden ist. Sie wenden sich jeweils allein gegen diese Fassung der angegriffenen Vorschriften; das Polizeiaufgabengesetz wurde in der Folge mehrfach geändert, zuletzt durch § 1 des Gesetzes zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2024 (GVBl S. 247).
2
Den Schwerpunkt der Popularklage bildet die Frage, ob die Einführung der Gefahrenkategorie der drohenden Gefahr mit der Bayerischen Verfassung vereinbar ist. Diese Gefahrenkategorie wurde durch das Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 in verschiedene Vorschriften des Polizeiaufgabengesetzes aufgenommen. Insbesondere wurde die Regelung der polizeilichen Generalklausel in Art. 11 PAG um den angegriffenen Absatz 3 ergänzt, in dessen Satz 1 die neue Gefahrenkategorie als Voraussetzung für (atypische) polizeiliche Maßnahmen eingeführt und legaldefiniert wurde; dabei ergaben sich aus Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 1 bis 5 PAG diejenigen bedeutenden Rechtsgüter, auf die sich die in Art. 11 Abs. 3 Satz 1 PAG enthaltene Legaldefinition der drohenden Gefahr bezog. Darüber hinaus wurde die Kategorie der „drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ auch in verschiedene polizeiliche Spezialbefugnisse eingefügt, unter anderem in die angegriffenen Regelungen über die Identitätsfeststellung in Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b PAG, über erkennungsdienstliche Maßnahmen in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG, über Platzverweisung, Aufenthaltsanordnung und Kontaktverbot in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 PAG sowie über die Durchsuchung von Personen in Art. 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG. Weiter wenden sich die Antragsteller gegen die ebenfalls durch das Gesetz zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 eingefügten, nicht (unmittelbar) an die Kategorie der drohenden Gefahr anknüpfenden Regelungen in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 PAG und die Vorschriften über Platzverweisung, Aufenthaltsanordnung und Kontaktverbot in Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Sätze 2 und 3 PAG, den Gewahrsam von Personen in Art. 17 Abs. 1 Nrn. 3 und 5 PAG und über die Dauer der Freiheitsentziehung in Art. 20 Nr. 3 PAG.
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Im Einzelnen hatten die angegriffenen und die damit im Zusammenhang stehenden Regelungen in der damaligen Fassung (im Folgenden: PAG 2017) folgenden Wortlaut:
(1) Die Polizei kann die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die Art. 12 bis 48 die Befugnisse der Polizei besonders regeln.
(2) 1Eine Maßnahme im Sinn des Absatzes 1 kann die Polizei insbesondere dann treffen, wenn sie notwendig ist, um
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Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder verfassungsfeindliche Handlungen zu verhüten oder zu unterbinden,
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durch solche Handlungen verursachte Zustände zu beseitigen oder
- 3.
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Gefahren abzuwehren oder Zustände zu beseitigen, die Leben, Gesundheit oder die Freiheit der Person oder die Sachen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint, bedrohen oder verletzen.
2Straftaten im Sinn dieses Gesetzes sind rechtswidrige Taten, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichen. 3Ordnungswidrigkeiten im Sinn dieses Gesetzes sind rechtswidrige Taten, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen. 4Verfassungsfeindlich im Sinn des Satzes 1 Nr. 1 ist eine Handlung, die darauf gerichtet ist, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder auf verfassungswidrige Weise zu stören oder zu ändern, ohne eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit zu verwirklichen.
(3) 1Die Polizei kann unbeschadet der Abs. 1 und 2 die notwendigen Maßnahmen treffen, um den Sachverhalt aufzuklären und die Entstehung einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut zu verhindern, wenn im Einzelfall
1. das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet oder
2. Vorbereitungshandlungen für sich oder zusammen mit weiteren bestimmten Tatsachen den Schluss auf ein seiner Art nach konkretisiertes Geschehen zulassen, wonach in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind (drohende Gefahr), soweit nicht die Art. 12 bis 48 die Befugnisse der Polizei besonders regeln. 2Bedeutende Rechtsgüter sind:
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der Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes,
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Leben, Gesundheit oder Freiheit,
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die sexuelle Selbstbestimmung,
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erhebliche Eigentumspositionen oder
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Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt.
(4) 1Zur Erfüllung der Aufgaben, die der Polizei durch andere Rechtsvorschriften zugewiesen sind (Art. 2 Abs. 4), hat sie die dort vorgesehenen Befugnisse. 2Soweit solche Rechtsvorschriften Befugnisse der Polizei nicht regeln, hat sie die Befugnisse, die ihr nach diesem Gesetz zustehen.
Identitätsfeststellung und Prüfung von Berechtigungsscheinen
(1) Die Polizei kann die Identität einer Person feststellen
1. zur Abwehr a) einer Gefahr oder b) einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut, …
Erkennungsdienstliche Maßnahmen
(1) 1Die Polizei kann erkennungsdienstliche Maßnahmen vornehmen, wenn …
3. dies erforderlich ist zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut.
2Art. 13 Abs. 2 Satz 3 gilt entsprechend.
(2) Sind die Voraussetzungen nach Absatz 1 entfallen, kann der Betroffene die Vernichtung der erkennungsdienstlichen Unterlagen verlangen.
(3) Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind insbesondere
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die Abnahme von Finger- und Handflächenabdrucken,
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die Aufnahme von Lichtbildern,
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die Feststellung äußerer körperlicher Merkmale,
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Messungen.
Platzverweisung, Aufenthaltsanordnung und Kontaktverbot
(1) 1Die Polizei kann zur Abwehr
2. einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Orts verbieten. 2Die Platzverweisung kann ferner gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindern.
(2) 1Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr oder einer drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut einer Person verbieten, ohne polizeiliche Erlaubnis
1. zu bestimmten Personen oder zu Personen einer bestimmten Gruppe Kontakt zu suchen oder aufzunehmen (Kontaktverbot) oder
2. wenn die Begehung von Straftaten droht,
a) sich an bestimmte Orte oder in ein bestimmtes Gebiet zu begeben (Aufenthaltsverbot) oder b) ihren Wohn- oder Aufenthaltsort oder ein bestimmtes Gebiet zu verlassen (Aufenthaltsgebot).
2Die Anordnungen dürfen die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten und können um jeweils längstens drei Monate verlängert werden. 3Die Vorschriften des Versammlungsrechts bleiben unberührt.
(1) Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn …
3. dies zur Abwehr einer Gefahr für ein in Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 oder Nr. 5 genanntes bedeutendes Rechtsgut unerlässlich ist, …
5. einer Anordnung nach Art. 32 a Abs. 1 Satz 1 nicht Folge geleistet wird.
Dauer der Freiheitsentziehung
Die festgehaltene Person ist zu entlassen, …
3. in jedem Fall spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen, wenn nicht vorher die Fortdauer der Freiheitsentziehung durch richterliche Entscheidung angeordnet ist. In der richterlichen Entscheidung ist die Dauer der Freiheitsentziehung zu bestimmen. Sie darf nicht mehr als drei Monate betragen und kann jeweils um längstens drei Monate verlängert werden.
Durchsuchung von Personen
(1) Die Polizei kann, außer in den Fällen des Art. 13 Abs. 2 Satz 4 eine Person durchsuchen, wenn …
3. eine drohende Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut vorliegt, …
4
2. Durch das Gesetz zur Neuordnung des bayerischen Polizeirechts (PAG-Neuordnungsgesetz) vom 18. Mai 2018 (GVBl S. 301, 434) wurde eine Vielzahl der Regelungen des Polizeiaufgabengesetzes, darunter auch mehrere der angegriffenen Vorschriften, geändert. So wurde durch § 1 Nr. 5 PAG-Neuordnungsgesetz in Art. 11 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz PAG 2017 die Verweisung auf bestimmte speziellere polizeiliche Befugnisnormen erweitert und durch § 1 Nr. 6 Buchst. a Doppelbuchst. aa PAG-Neuordnungsgesetz die Nummerierung des Art. 14 Abs. 1 PAG 2017 verändert (die angegriffene Nr. 3 wurde Nr. 4). Ferner wurde durch § 1 Nr. 9 PAG-Neuordnungsgesetz in Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG 2017 die Angabe der Norm zu der Anordnung, an die Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG 2017 tatbestandlich anknüpfte, geändert.
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In Reaktion auf den Abschlussbericht einer im Jahr 2018 von der Staatsregierung eingesetzten unabhängigen Expertenkommission zur Begleitung des neuen Polizeiaufgabengesetzes wurde dieses durch das Gesetz zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 23. Juli 2021 (GVBl S. 418 – im Folgenden: PAG-Änderungsgesetz) erneut novelliert, wovon insbesondere diejenigen der angegriffenen Vorschriften betroffen waren, die an die Kategorie der drohenden Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut anknüpften. Durch § 1 Nr. 4 Buchst. c PAG-Änderungsgesetz wurde Art. 11 Abs. 3 PAG 2017/2018 aufgehoben und zugleich gemäß § 1 Nr. 5 PAG-Änderungsgesetz durch den geltenden Art. 11 a PAG ersetzt. Dessen Legaldefinition der drohenden Gefahr bezieht sich auf einen im Vergleich zu Art. 11 Abs. 3 Satz 2 PAG 2017 inhaltlich veränderten Katalog bedeutender Rechtsgüter (vgl. Art. 11 a Abs. 2 PAG). Durch § 1 Nr. 6 PAG-Änderungsgesetz wurde in Art. 13 Abs. 1 PAG 2017 die Tatbestandsvariante in Nr. 4 neu gefasst und die Notwendigkeit der unverzüglichen Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung im Fall einer Freiheitsentziehung auch unmittelbar in einem neuen Satz 4 in Art. 13 Abs. 2 PAG 2017 verankert. Art. 14 PAG 2017/2018 wurde durch § 1 Nr. 7 PAG-Änderungsgesetz insgesamt neu gefasst, wobei im Hinblick auf den angegriffenen Teil von Art. 14 Abs. 1 (ursprünglich Nr. 3, später Nr. 4) nur die Satzstruktur leicht verändert wurde. Durch § 1 Nr. 9 PAG-Änderungsgesetz wurden in Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 die Worte „in Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 3 oder Nr. 5 genanntes“ im Hinblick auf die Aufhebung des Art. 11 Abs. 3 PAG 2017/2018 gestrichen, sodass seither ohne spezifische Verweisung auf die Unerlässlichkeit der Ingewahrsamnahme „zur Abwehr einer Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ abgestellt wird. Durch § 1 Nr. 12 PAGÄnderungsgesetz wurde Art. 20 PAG 2017 neu gefasst. Dabei wurde insbesondere die zuvor in Art. 20 Nr. 3 geregelte höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung von drei Monaten auf einen Monat verkürzt und in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 erstmals eine absolute höchste Gesamtdauer von insgesamt zwei Monaten festgelegt. Ferner wurde durch § 1 Nr. 13 PAG-Änderungsgesetz in Art. 21 Abs. 1 PAG 2017 die Verweisung auf Art. 13 PAG redaktionell angepasst.
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1. Mit ihrer am 15. September 2017 beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingegangenen, durch Schriftsatz vom 28. März 2018 ergänzten Popularklage wenden sich die Antragsteller im Hauptantrag gegen Art. 11 Abs. 3 PAG 2017, aufgrund der jeweiligen Anknüpfung an die in Art. 11 Abs. 3 legaldefinierte „drohende Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Art. 16, 17 Abs. 1 Nr. 3 und Art. 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017; außerdem greifen sie Art. 20 Nr. 3 PAG 2017 an. Sie machen geltend, Art. 20 Nr. 3 PAG 2017 verletze Art. 102, Art. 100, Art. 101, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und Art. 118 BV sowie Art. 5 EMRK, während Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 und die übrigen angegriffenen Vorschriften gegen Art. 101 und Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV verstießen. Hilfsweise machen sie geltend, Art. 16 und 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 verstießen gegen Art. 101 BV, Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und Art. 102 BV sowie Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG 2017 gegen Art. 102 BV.
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a) Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Der Begriff der „drohenden Gefahr“ werde den Anforderungen an die Normenklarheit nicht gerecht. Eine Vorschrift, die den aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Geboten der Normenbestimmtheit und der Normenklarheit nicht gerecht werde, könne nicht Grundlage einer Einschränkung der in Art. 101 BV garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit sein. Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 gelinge es nicht, einen Standard an Vorhersehbarkeit und Kontrollierbarkeit zu gewährleisten, wie er bei den Aufgaben der Gefahrenabwehr rechtsstaatlich geboten sei. Die Übernahme lediglich abstrakter Anforderungen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ohne ein zusätzliches Element der Konkretisierung werde den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen nicht gerecht. Gegen die Bestimmtheit spreche auch, dass für Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 faktisch kaum ein Anwendungsbereich erkennbar sei, der sich nicht mit den bisher schon von Art. 11 PAG umfassten Konstellationen überschneide.
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Die Regelung stelle jedenfalls einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Handlungsfreiheit aus Art. 101 BV dar. Es stünden gleich wirksame, weniger intensiv eingreifende Mittel zur Verfügung, um eine effektive Gefahrenabwehr zu gewährleisten. Es sei nicht ersichtlich, warum in Fällen, in denen noch keine konkrete Gefahr vorliege, nicht zunächst Überwachungsmaßnahmen und ähnliche, weniger grundrechtsintensive Gefahrerforschungseingriffe ausreichend seien. Schon vor der Einfügung der neuen Gefahrenkategorie der „drohenden Gefahr“ sei es der Polizei möglich gewesen, präventiv einzugreifen. Es bestehe keine Notwendigkeit, darüber hinaus ein umfassendes präventives Tätigwerden im Vorfeld des Vorliegens einer konkreten Gefahr zu ermöglichen.
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b) Die dargelegte Verfassungswidrigkeit des Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 habe zur Folge, dass sämtliche Regelungen, die Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 ausdrücklich in Bezug nähmen, namentlich Art. 13 „Abs. 2“ (richtig: Abs. 1) Nr. 1 Buchst. b, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Art. 16, Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 und Art. 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017, ebenfalls als zu unbestimmt zu erachten und daher verfassungswidrig seien. Für den Fall, dass der Verfassungsgerichtshof Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 dennoch für verfassungsmäßig halten sollte, werde im Hilfsantrag die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Art. 16, 17 Abs. 1 Nrn. 3 und 5 und Art. 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 aus anderen Gründen verfolgt.
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c) Art. 20 Nr. 3 PAG 2017 verstoße gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV, weil die normierte Dauer der Freiheitsentziehung aufgrund verschiedener in Betracht kommender Auslegungsvarianten nicht eindeutig bestimmt werden könne. Auch in der am wenigsten eingriffsintensiven Deutungsvariante (nur einmalige Möglichkeit zur Verlängerung) verstoße die Norm gegen das Prinzip „nulla poena sine culpa“ aus Art. 100, 101 und 3 Abs. 1 Satz 1 BV. Die Dauer des Gewahrsams verstoße gegen Art. 102 BV, weil eine Dauer von bis zu sechs Monaten im präventiven Bereich unverhältnismäßig sei. Der Richtervorbehalt könne über die Unverhältnismäßigkeit nicht hinweghelfen. Art. 20 Nr. 3 PAG 2017 stelle darüber hinaus nicht nur eine offensichtliche, schwerwiegende und nicht zu rechtfertigende Verkürzung der Freiheitsgarantie des Art. 5 EMRK dar, sondern verstoße auch gegen das Willkürverbot aus Art. 118 BV.
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d) Für den Fall, dass Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 als verfassungsgemäß erachtet werden sollte, verstießen Art. 16 und Art. 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 aus anderen Gründen gegen die Garantie der Handlungsfreiheit aus Art. 101 BV. Die Vorschriften erlaubten intensive Eingriffe in das Sozialleben, die individuelle Lebensgestaltung und die Persönlichkeitssphäre der Betroffenen schon dann, wenn die konturlose Gefahrenkategorie der drohenden Gefahr vorliege, was fast immer angenommen werden könne. Die sehr niedrige Schwelle zur Befugnis könne mit der hohen Intensität des Eingriffs nicht in Einklang gebracht werden. Die Maßnahmen seien jedenfalls insoweit unverhältnismäßig, als sie zum Schutz erheblicher Eigentumspositionen oder Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liege, erfolgten.
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e) Verstehe man Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 so, dass er eine Ingewahrsamnahme auch schon bei Vorliegen einer drohenden Gefahr erlaube, liege ein unverhältnismäßiger Eingriff in Art. 102 BV vor. Wenn man Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 hingegen so verstehe, dass er nicht an das Merkmal der drohenden Gefahr anknüpfe, verstoße er gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV, weil für die Vorschrift kein Anwendungsbereich erkennbar sei, der nicht schon von Art. 17 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 PAG abgedeckt werde. Damit fehle es an der gerade bei eingriffsintensiven polizeilichen Maßnahmen erforderlichen Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns.
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f) Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG 2017 verstoße gegen Art. 102 BV. Die Regelung ermögliche es, Menschen schon in Gewahrsam zu nehmen, wenn sie sich weigerten, eine Fußfessel zu tragen, oder diese beschädigten. Es greife in unverhältnismäßiger Weise in Art. 102 BV ein, wenn so schon bei einer drohenden Gefahr „durch die Hintertür“ eine präventive Ingewahrsamnahme erfolgen könne.
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2. Zu einer wegen der mehrfachen und teils erheblichen Änderungen des Polizeiaufgabengesetzes seit Einreichung der Popularklage erfolgten Anfrage des Verfassungsgerichtshofs vom 2. August 2021, mit der vor dem Hintergrund der Änderungen um Mitteilung gebeten wurde, welche Normen nunmehr in welcher Fassung angegriffen sein sollten, und Gelegenheit zur Stellungnahme und Anpassung der Anträge gegeben wurde, haben die Antragsteller sich nicht geäußert.
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1. Der Bayerische Landtag hält in seiner Stellungnahme vom 8. Januar 2018 die Popularklage für unbegründet. Die Rügen der mangelnden Bestimmtheit und der fehlenden Verhältnismäßigkeit griffen nicht durch. Das Gesetz sei im Interesse der wehrhaften Demokratie notwendig und zur Funktionsfähigkeit der staatlichen Ordnung erforderlich. Der Begriff der drohenden Gefahr sei im Polizeiaufgabengesetz unter enger Anlehnung an die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts legaldefiniert worden. Er sei zwar auslegungsbedürftig, aber zulässig.
16
2. Die Bayerische Staatsregierung ist in ihrer Stellungnahme vom 21. Dezember 2017 der Ansicht, die Popularklage sei teilweise schon unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
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a) Die Popularklage sei in weiten Teilen unzulässig. Substanziierte Gründe, weshalb Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 als Norm die allgemeine Handlungsfreiheit verfassungswidrig beschränke, enthalte der Vortrag nicht. Die Antragsteller rügten im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit im Ergebnis unzulässig einen potenziell rechtswidrigen Gesetzesvollzug. Die Rüge einer Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes aus Art. 3 Abs. 1 BV als objektives Verfassungsrecht genüge nicht, um eine Popularklage in zulässiger Weise zu erheben. Die verschiedenen gegen Art. 20 Nr. 3 PAG 2017 vorgebrachten Rügen seien allesamt unsubstanziiert. Hinsichtlich der Standardbefugnisse der Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Art. 16, 17 Abs. 1 Nr. 3 und Art. 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 würden keine eigenständigen Gründe der Verfassungswidrigkeit der einzelnen Normen angeführt. Es mangle sowohl an der Darstellung einer konkreten Grundrechtsverletzung als auch an der Nennung des verletzten Grundrechts. Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 nehme entgegen der Darstellung der Antragsteller nicht auf eine „drohende Gefahr“ Bezug.
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b) Die Popularklage sei in Haupt- und Hilfsantrag unbegründet.
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aa) Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 sei hinreichend bestimmt und greife nicht in unverhältnismäßiger Weise in die allgemeine Handlungsfreiheit ein. Insbesondere könnten allein reine Überwachungsmaßnahmen und Gefahrerforschungseingriffe nicht in jedem Fall die Sicherheit der Bevölkerung gewährleisten.
20
bb) Durch Art. 20 Nr. 3 PAG 2017, der hinreichend bestimmt sei, werde weder das Grundrecht auf Freiheit der Person aus Art. 102 BV noch das Willkürverbot oder Art. 5 EMRK, der im Übrigen nicht unmittelbar Prüfungsmaßstab sein könne, verletzt. Das Schuldprinzip sei auf den Fall der präventiven Ingewahrsamnahme von vornherein nicht anwendbar.
21
cc) Auch die Verfassungsmäßigkeit von Art. 16 und 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 sei zu bejahen. Die Beschränkung von Art. 100 und 101 BV sei zum Schutz aller in Art. 11 Abs. 3 Satz 2 PAG 2017 genannten Rechtsgüter verfassungsmäßig.
22
dd) Bei Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 handle es sich um einen Auffangtatbestand, der nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz verstoße.
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ee) Auch Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG 2017 sei verfassungsgemäß. Der Gewahrsam sei in diesem Fall kein Automatismus. Eine Freiheitsentziehung allein aufgrund des Vorliegens einer „drohenden Gefahr“ sei nach Art. 17 PAG 2017 nicht möglich.
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1. Der Antrag, der sich ausschließlich gegen nicht mehr geltendes Recht richtet, ist insgesamt entscheidungsreif und eine mündliche Verhandlung über ihn erscheint nicht geboten (Art. 55 Abs. 2 VfGHG). Aus Gründen der Prozessökonomie wird daher über ihn unter Aufhebung der Verfahrensverbindung mit den Verfahren Vf. 5-VIII-18, Vf. 7-VII-18, Vf. 10-VIII-18 und Vf. 16-VIII-18, bei denen zukünftig das Verfahren mit dem Aktenzeichen Vf. 5-VIII-18 führt, sogleich entschieden (Art. 30 Abs. 1 VfGHG, § 93 Satz 1 VwGO, § 173 VwGO i. V. m. § 300 Abs. 2 ZPO; vgl. Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, § 93 Rn. 21).
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2. Der Antrag wird abgewiesen, weil die Popularklage unzulässig ist.
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a) Nach Art. 98 Satz 4 BV, Art. 55 Abs. 1 Satz 1 VfGHG hat der Verfassungsgerichtshof Gesetze und Verordnungen für nichtig zu erklären, die ein Grundrecht der Bayerischen Verfassung verfassungswidrig einschränken. Die Verfassungswidrigkeit kann jedermann durch Beschwerde (Popularklage) geltend machen. Gesetze und Verordnungen im Sinn des Art. 98 Satz 4 BV sind alle Rechtsvorschriften des bayerischen Landesrechts. Der Verfassungsgerichtshof hat bei der Prüfung, ob eine Rechtsvorschrift verfassungswidrig ist, seiner Beurteilung grundsätzlich den Rechtszustand im Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Außer Kraft getretene Rechtsvorschriften unterliegen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur dann, wenn noch ein objektives (nicht nur theoretisches) Interesse an der Feststellung besteht, ob sie mit der Bayerischen Verfassung vereinbar waren. Der Verfassungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein solches Interesse insbesondere dann bestehen kann, wenn nicht auszuschließen ist, dass die Rechtsnorm noch rechtliche Wirkungen entfalten kann, weil sie für künftige (z. B. gerichtliche) Entscheidungen noch rechtlich relevant ist (vgl. VerfGH vom 30.8.2017 VerfGHE 70, 162 Rn. 75; vom 20.8.2019 VerfGHE 72, 157 Rn. 18; vom 7.12.2021 BayVBl. 2022, 152 Rn. 41; vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 51; vom 27.9.2023 BayVBl 2024, 78 Rn. 36, jeweils m. w. N.).
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b) An diesen Maßstäben gemessen ist die Popularklage insgesamt unzulässig.
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aa) Soweit sich die Popularklage gegen Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 wendet, besteht kein öffentliches Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit dieser im Jahr 2021 durch § 1 Nr. 4 Buchst. c PAG-Änderungsgesetz aufgehobenen und damit außer Kraft getretenen Vorschrift. Es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass insoweit zumindest noch einzelne behördliche oder gerichtliche Verfahren anhängig wären, für die es auf die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung ankäme. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, ließe dies allein die Fortführung des Popularklageverfahrens nicht im öffentlichen Interesse als geboten erscheinen. Denn die Popularklage ist ein objektives Verfahren, das nicht in erster Linie dem Schutz der verfassungsmäßigen Rechte des Einzelnen dient (vgl. VerfGH BayVBl 2022, 152 Rn. 42 m. w. N.; vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 54 und 58; BayVBl 2024, 78 Rn. 36 m. w. N.). Daher wird ein objektives Interesse nicht automatisch dadurch begründet, dass außer Kraft getretene Vorschriften schwerwiegende Grundrechtseingriffe bewirkt haben, ihre Geltungsdauer zu kurz war, um ein Popularklageverfahren in der Hauptsache durchzuführen, oder sonst eine noch andauernde Rechtswirkung zum Nachteil Einzelner möglich ist. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Grundrechte als Institution betroffen sind, etwa weil es um eine Vielzahl von Fällen und nicht nur um einzelne Verfahren geht, in denen die Betroffenen auf Individualrechtsschutz zu verweisen sind (VerfGH BayVBl 2024, 78 Rn. 36 m. w. N.). Dass dies hinsichtlich Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 der Fall wäre, ist weder dargelegt noch erkennbar.
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Ein öffentliches Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 ergibt sich auch nicht daraus, dass der Gesetzgeber durch § 1 Nr. 5 PAG-Änderungsgesetz mit Art. 11 a PAG eine Nachfolgeregelung geschaffen hat. Denn diese Neuregelung unterscheidet sich jedenfalls in ihrem Katalog der bedeutenden Rechtsgüter (Art. 11 a Abs. 2 Nr. 1 bis 4 PAG) wesentlich vom Katalog derjenigen Rechtsgüter, die nach dem aufgehobenen Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 1 bis 5 PAG 2017 bedeutende Rechtsgüter waren. Nach Art. 11 a Abs. 2 Nr. 3 PAG ist die sexuelle Selbstbestimmung nicht mehr umfassend als solche (vgl. Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 PAG 2017), sondern nur noch mit Einschränkungen als bedeutendes Rechtsgut definiert. „Erhebliche Eigentumspositionen“ (vgl. Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 PAG 2017) nennt der Rechtsgüterkatalog des Art. 11 a Abs. 2 PAG nicht mehr. Inhaltlich unterscheidet sich schließlich Art. 11 a Abs. 2 Nr. 4 PAG, wonach Anlagen der kritischen Infrastruktur sowie Kulturgüter von mindestens überregionalem Rang bedeutende Rechtsgüter sind, von Art. 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 PAG 2017, nach dem „Sachen, deren Erhalt im besonderen öffentlichen Interesse liegt“, bedeutende Rechtsgüter waren. Mit Art. 11 a PAG hat sich damit zugleich die Legaldefinition der drohenden Gefahr (vgl. Art. 11 a Abs. 1 PAG) geändert, die an den jeweils geltenden Katalog bedeutender Rechtsgüter anknüpft, was so regelungstechnisch auch bei Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 (vgl. Art. 11 Abs. 3 Satz 1 PAG 2017) der Fall war. Mit der vorgenommenen Änderung des Rechtsgüterkatalogs hat der Gesetzgeber – wie sich auch aus der Gesetzesbegründung ergibt (LT-Drs. 18/13716 S. 23 f.) – von der aufgehobenen Regelung des Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 gerade Abstand genommen. Gründe, weshalb dennoch eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über die aufgehobene Regelung angezeigt sein sollte, sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar (vgl. BVerfG vom 6.12.2023 – 1 BvR 1781/18 – juris Rn. 6 m. w. N.). Die Antragsteller haben insbesondere trotz ausdrücklicher Anfrage des Verfassungsgerichtshofs im Hinblick auf die Gesetzesänderungen weder ihren Klageantrag auf die aktuelle Fassung umgestellt noch eine Stellungnahme abgegeben.
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bb) Unzulässig ist die Popularklage auch, soweit sie sich gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1, Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 und Art. 21 Abs. 1 Nr. 3 PAG in der jeweils allein angegriffenen Fassung des Gesetzes zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen vom 24. Juli 2017 wendet. Denn diese Vorschriften wurden von den Antragstellern deswegen angegriffen, weil sie allesamt tatbestandlich an eine „drohende Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ im Sinn des Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 anknüpften. Der Regelungsgehalt dieser Vorschriften (bei Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 die Annahme der Antragsteller unterstellt, er beziehe sich auf eine drohende Gefahr) hat sich aber entsprechend der eben (unter aa)) dargestellten Erwägungen durch die Aufhebung des Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 und dessen Ersetzung durch Art. 11 a PAG mit einem abgeänderten Katalog bedeutender Rechtsgüter und damit einer neuen inhaltlichen Definition der Kategorie der drohenden Gefahr geändert. Insofern sind die jeweils angegriffenen Fassungen außer Kraft getreten (vgl. zu ähnlichen Fallgestaltungen VerfGH vom 28.11.2007 VerfGHE 60, 184/ 210 f.; vom 25.6.2010 – Vf. 7-VII-08 – juris; vom 26.6.2012 VerfGHE 65, 118/122).
Nach den zu Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 dargelegten Maßstäben ist ein öffentliches Interesse an der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften ebenfalls weder dargelegt noch ersichtlich. Insbesondere bestehen auch insoweit keine Anhaltspunkte dafür, dass über etwaige Einzelfälle hinaus, in denen die Betroffenen gegebenenfalls auf Individualrechtsschutz zu verweisen sind, die Grundrechte als Institution betroffen wären.
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Unabhängig davon spricht gegen ein öffentliches Interesse an einer Entscheidung über Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Art. 16 und 17 Abs. 1 Nr. 3 PAG 2017 auch, dass nach wie vor nicht ansatzweise nachvollziehbar dargelegt ist, dass diese Normen, soweit oder sofern sie tatbestandlich nicht an die Kategorie der „drohenden Gefahr“, sondern etwa an die Kategorie der „Gefahr“ anknüpfen, verfassungswidrig wären. Insoweit haben die Antragsteller mangels hinreichender Darlegung einer Grundrechtsverletzung (Art. 55 Abs. 1 Satz 2 VfGHG) das Popularklageverfahren schon nicht in zulässiger Weise eingeleitet (vgl. VerfGH vom 14.6.2023 – Vf. 15-VII-18 – juris Rn. 53).
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cc) Schließlich ist ein öffentliches Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Art. 20 Nr. 3 PAG 2017 weder dargelegt noch ersichtlich. Durch § 1 Nr. 12 PAG-Änderungsgesetz wurde Art. 20 PAG neu gefasst, wobei der Regelungsinhalt des angegriffenen Art. 20 Nr. 3 PAG 2017 in dessen Sätzen 2 und 3 verändert wurde. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 PAG regelt nunmehr, dass in der richterlichen Entscheidung die höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung zu bestimmen ist. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG normiert kürzere Fristen, als sie in Art. 20 Nr. 3 Satz 3 PAG 2017 vorgesehen waren, und legt erstmals eine absolute Höchstfrist fest. Er bestimmt, dass die höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung jeweils nicht mehr als einen Monat betragen darf und insgesamt nur bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten verlängert werden kann. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seiner schon zitierten Entscheidung vom 14. Juni 2023 (Vf. 15-VII-18 – juris), in der er die geltende Nachfolgeregelung über die zulässige Dauer der Ingewahrsamnahme gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 PAG für verfassungsgemäß erachtet hat, entschieden, dass eine Fortführung des Verfahrens bezüglich der zuvor lediglich vorübergehend in der Zeit vom 1. August 2017 bis zum 31. Juli 2021 geltenden Regelung gemäß Art. 20 Nr. 3 PAG 2017 nicht im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Dafür hat er die eben dargestellten Maßstäbe herangezogen (vgl. VerfGH, a. a. O., Rn. 56 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass aus heutiger Sicht eine andere Beurteilung veranlasst wäre, sind weder von den Antragstellern vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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dd) Da die innerprozessuale Bedingung, unter welche die Antragsteller die Entscheidung über ihren Hilfsantrag zu Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG 2017 gestellt haben, nämlich die Bestätigung des Art. 11 Abs. 3 PAG 2017 als verfassungsgemäß, nicht eingetreten ist (siehe oben unter aa)), ist nicht über den Hilfsantrag zu entscheiden. Es wird daher lediglich angemerkt, dass der Verfassungsgerichtshof in der genannten Entscheidung vom 14. Juni 2023 die im Wesentlichen inhaltsgleiche Regelung des aktuell geltenden Art. 17 Abs. 1 Nr. 5 PAG als verfassungsgemäß bestätigt hat (vgl. VerfGH, a. a. O., Rn. 107 bis 124).
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Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).