Titel:
Eigenbedarfskündigung im Münchner Modellund Mieterschutzverordnung
Normenketten:
BGB § 577a, § 573 Abs. 2
BayMiSchuV § 1
Leitsätze:
Der bereits beim Erwerb des ungeteilten Anwesens vorhandene Gesellschafter darf im Falle der Kündigung auf das Erwerbsdatum der Personengesellschaft zurückgreifen und muss nicht erst abwarten, bis er selbst im Grundbuch eingetragen wird. Die Sperrfrist wird insoweit also bereits mit dem ersten Eintrag ins Grundbuch als Personengesellschaft ausgelöst; (nur) diesen Fall meint § 577a Abs. 2a BGB. Der Erwerber des Eigentums muss folglich, um § 577a Abs. 2a BGB zu genügen, selbst Gesellschafter der Personengesellschaft (gewesen) sein, die ursprünglich den vermieteten Wohnraum erwarb. Dies trifft hier aber auf die Kläger nicht zu. (Rn. 56) (redaktioneller Leitsatz)
1. Auch eine Veräußerung vor Inkrafttreten der § 577a Abs. 1a und Abs. 2a BGB steht der Anwendung der Norm nicht entgegen, da es an einer Übergangsregelung fehlt. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 577a Abs. 1 BGB und nicht § 577a Abs. 1a BGB ist anwendbar, wenn nach der Veräußerung an eine Gesellschaft Wohnungseigentum begründet wurde und die Zweiterwerberin nach der Umwandlung in Wohnungseigentum gekündigt hat. (Rn. 43 – 63) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kündigung, Eigenbedarf, Münchner Modell, Umwandlung, Wohnungseigentum
Vorinstanz:
AG München, Urteil vom 24.11.2023 – 421 C 12189/23
Fundstellen:
LSK 2024, 38709
ZMR 2025, 23
BeckRS 2024, 38709
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 24.11.2023, Az. 421 C 12189/23, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenfolge für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.792,96 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten über die Räumung und Herausgabe einer Wohnung nach klägerseitiger Eigenbedarfskündigung.
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Die … AG vermietete an den Beklagten zu 1) mit Mietvertrag vom 01./17.03.2004 die im 2. OG Mitte links des Anwesens … gelegene streitgegenständliche Wohnung Nr. …. Mit diesbezüglichem Nachtrag vom 29.11./06.12.2004 trat die Beklagte zu 2) als weitere Mieterin in den Mietvertrag ein.
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Die Beklagten waren überdies bereits seit dem Jahr 2000 Mieter der Wohnung Nr. ... , welche unmittelbar neben der streitgegenständlichen Wohnung liegt. Mit Einverständnis der damaligen Vermieterin wurden die streitgegenständliche Wohnung Nr. 65 und die Wohnung Nr. ... mittels Wanddurchbruchs miteinander verbunden. Die beiden Wohnungen werden seither von der Beklagtenpartei und deren Kindern faktisch als einheitlicher, zusammenhängender Wohnraum genutzt.
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Ende 2011/Anfang 2012 erwarb die … GmbH & Co. KG das gesamte Anwesen und wurde im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen. Aufgrund notarieller Teilungsvereinbarung vom 20.06.2012 teilte die vorgenannte GmbH & Co. KG im Jahre 2013 das Anwesen nach § 8 WEG auf. Die diesbezügliche Eintragung im Grundbuch erfolgte am 04.04.2013.
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Schließlich erwarben die Kläger die streitgegenständliche Wohnung Nr. 65 mit notariellem Vertrag vom 23.02.2016; sie wurden am 08.03.2017 als Eigentümer zu je 1/2 in das Grundbuch eingetragen.
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Zuletzt bezahlten die Beklagten eine Nettomiete in Höhe von 316,08 €.
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Mit Schreiben vom 02.09.2022 kündigten die Kläger das Mietverhältnis mit den Beklagten zum 31.05.2023 wegen Eigenbedarfs. Sie begründeten die Kündigung im Wesentlichen damit, dass die streitgegenständliche Wohnung für den Sohn der Klägerin zu 1) bzw. Enkel des Klägers zu 2), den Zeugen …, benötigt werde, da dieser nach seinem Abitur eine Ausbildungsstelle in München antreten und daher von seinem Elternhaus in … in die Landeshauptstadt umziehen wolle.
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Ergänzend wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
9
Die Kläger haben bereits erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass die Eigenbedarfskündigung wirksam sei und das Mietverhältnis beendet habe, sodass ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung gegen die Beklagten bestehe.
10
Nach unbeeideter Einvernahme des Zeugen … und formloser Anhörung der beiden Kläger hat das Amtsgericht München mit Endurteil vom 24.11.2023 – 421 C 12189/23 der Klage auf Räumung und Herausgabe unter Gewährung einer Räumungsfrist bis 31.03.2024 stattgegeben. Das Erstgericht hat dabei zunächst den Standpunkt vertreten, dass die Kündigungssperrfrist von 10 Jahren nach § 577 a Abs. 1 a BGB i.V.m. § 1 S. 2 der Bayerischen Mieterschutzverordnung (MiSchuV) zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Eigenbedarfskündigung bereits abgelaufen gewesen sei.
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Nach § 577 a Abs. 1 BGB könne sich ein Erwerber einer vermieteten Wohnung auf ein berechtigtes Interesse i.S.v. § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 BGB erst nach Ablauf von drei Jahren (bzw. 10 Jahren nach § 577 a Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 S. 2 MiSchuV) seit der Veräußerung berufen, wenn an dem vermieteten Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und das Wohnungseigentum veräußert worden ist. § 577 a Abs. 1 a Nr. 1 BGB regele, dass die Kündigungsbeschränkung nach Abs. 1 entsprechend gelte, wenn vermieteter Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter an eine Personengesellschaft veräußert worden sei.
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Zu den Personengesellschaften im Sinne des § 577 a Abs. 1 a BGB zählten zunächst neben der Gesellschaft bürgerlichen Rechts auch die Personenhandelsgesellschaften wie die OHG und KG (Schmidt-Futterer/Blank/Fervers, 15. Aufl. 2022, § 577 a BGB Rn. 18 e). Nach h.M. sei eine GmbH & Co. KG eine Personengesellschaft (vgl. NK-BGB/Werner Hinz, 4. Aufl. 2021, § 577 a BGB Rn. 19; ebenso Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 2021, § 577 a BGB Rn. 19; BGH, Urteil vom 15.12.2010 – VIII ZR 210/10 Rn. 9, das die GmbH & Co. KG einer Personenhandelsgesellschaft gleichstelle).
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Unstreitig habe die Firma … GmbH & Co. KG das gesamte Anwesen erworben und sei nach ebenfalls unbestrittenem Vortrag der Klagepartei am 20.06.2012 im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die streitgegenständliche Wohnung bereits an die Beklagten vermietet und überlassen gewesen. Somit liege eine Veräußerung an eine Personengesellschaft im Sinne des § 577 a Abs. 1 a Nr. 1 BGB nach der Überlassung an den Mieter vor. Da die … GmbH & Co. KG am 20.06.2012 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen gewesen sei, habe spätestens zu diesem Zeitpunkt die Sperrfrist nach § 577 a Abs. 1 a BGB zu laufen begonnen. Diese sei dann 10 Jahre gelaufen und habe nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB am 19.06.2022 geendet. Somit sei die Sperrfrist nach § 577 a Abs. 1 a BGB zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung der Kläger am 02.09.2022 bereits abgelaufen gewesen. Dass zu einem späteren Zeitpunkt, am 04.04.2013, die Aufteilung nach § 8 WEG erfolgt sei, spiele hinsichtlich des Laufs der Sperrfrist keine Rolle, so das Erstgericht weiter. Denn diese beginne nicht neu zu laufen. Nach § 577 a Abs. 2 a BGB gelte das Folgende: Wird nach einer Veräußerung oder Belastung im Sinne des Abs. 1 a Wohnungseigentum begründet, so beginne die Frist, innerhalb der eine Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder Nr. 3 BGB ausgeschlossen sei, bereits mit der Veräußerung oder Belastung nach Absatz 1 a. Ein anderes Ergebnis folge auch nicht aus dem Umstand, dass die Regelung des § 577 a Abs. 1 a BGI3 erst zum 01.05.2013 – und damit nach der Veräußerung an die … GmbH & Co. KG – in Kraft getreten sei. Eine Übergangsvorschrift existiere nicht. Die Geltung der Norm beziehe sich uneingeschränkt auf alle Mietverhältnisse und habe auch solche erfassen sollen, die bereits vor dem 01.05.2013 Bestand gehabt hätten und nicht gekündigt gewesen seien (vgl. LG Berlin, Hinweisbeschluss vom 07.08.2014 – 67 S 280/14). Ein anderes Ergebnis, abweichend vom Wortlaut des § 577 a Abs. 1 a BGB, lasse sich aus Sicht des Erstgerichts nicht (ausreichend) überzeugend begründen (kritisch hinsichtlich dieses Ergebnisses wohl Schmidt-Futterer/Blank/Fervers, 15. Aufl. 2022, § 577 a Rn. 18 e; AG Fürstenfeldbruck, Urteil vom 28.06.2019 – 7 C 1352/18; vgl. auch AG München, Schlussurteil vom 29.10.1993 – 473 C 6365/9). Eine teleologische Reduktion des § 577 a Abs. 2 a BGB dahingehend, dass entsprechend der Regelung in § 577 a Abs. 1 BGB die Sperrfrist erst mit der weiteren Veräußerung an die Kläger am 08.03.2017 zu laufen begonnen habe, da diese erst ab dem vorgenannten Zeitpunkt erstmals Eigenbedarf hätten geltend machen können, sei schwer begründbar. Entscheidend sei, dass § 577 a Abs. 1 a BGB neben der Eigenbedarfskündigung auch die Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB erfasse und diese für den entsprechenden Zeitraum von 10 Jahren ausschließe. Die Anwendung des § 577 a Abs. 1 a BGB habe den Beklagten zumindest dahingehend Schutz geboter, sodass eine Nichtanwendbarkeit des § 577 a Abs. 1 a BGB gleichfalls dem Schutzzweck der Norm zuwiderlaufen würde. Die Eigenbedarfskündigung der Kläger sei daher zulässig gewesen. Die Kündigung sei darüber hinaus materiell-rechtlich wirksam, da der Eigenbedarf zur Überzeugung des Erstgerichts nachgewiesen worden sei. Dies beruhe zuvörderst auf der Einvernahme des Zeugen …
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Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Endurteils Bezug genommen.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten vom 16.12.2023, begründet mit Schriftsatz vom 22.02.2024. Die Berufung ist im Wesentlichen der Ansicht, dass die verfahrensgegenständliche Kündigung unwirksam sei. Denn zum einen sei die Sperrfrist des § 577 a BGB noch nicht abgelaufen, zum anderen könne jedenfalls der erstgerichtlichen Beweiswürdigung nicht gefolgt werden. Da die Kläger weder selbst Erwerber des ungeteilten Anwesens noch Gesellschafter der ursprünglichen Erwerberin … GmbH & Co. KG gewesen seien, sei weder der inhaltliche Anwendungsbereich des Abs. 1 a noch der des Abs. 2 a der Vorschrift eröffnet. Die Kläger seien vielmehr Ersterwerber des neu geschaffenen Wohnungseigentums und fielen daher in den Anwendungsbereich des § 577 a Abs. 1 BGB, weshalb die Sperrfrist mit ihrer Eintragung ins Grundbuch zu laufen begonnen habe, hier also am 08.03.2017. Zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Kündigung sei die 10-jährige Sperrfrist daher noch nicht abgelaufen gewesen. Auch der zeitliche Anwendungsbereich des § 577 a Abs. 1 a und des § 577 a Abs. 2 a BGB sei vorliegend nicht eröffnet. So seien die Regelungen erst am 01.05.2013 in Kraft getreten und eine gesetzliche Übergangsregelung gebe es nicht. Da die Veräußerung an die … GmbH & Co. KG bereits vor der Gesetzesänderung stattgefunden habe, seien die neuen Vorschriften nur dann anwendbar, wenn die Eigentumsumschreibung nach Inkrafttreten des Gesetzes erfolgt sei. So verlagere Abs. 2 a den Beginn der Sperrfrist in Ausnahme zu Abs. 1 auf den Zeitpunkt des Ersterwerbs vor; der Ersterwerb durch die … GmbH & Co. KG habe hier aber deutlich vor Inkrafttreten der neuen Normen stattgefunden. Das relevante Tatbestandsmerkmal (Ersterwerb) stelle einen längst abgeschlossenen Sachverhalt dar, der nach alter Rechtslage keine Sperrfrist ausgelöst habe. Nach alledem sei die Sperrfrist – nach der hier maßgeblichen Vorschrift des § 577 a Abs. 1 BGB – noch nicht abgelaufen. Ein anderes Ergebnis würde die Intention des Gesetzgebers (Stärkung des Mieterschutzes vor den Umgehungsgeschäften im Rahmen des sog. Münchner Modells) ad absurdum führen, zumal dann die Einfügung der neuen Vorschriften des Abs. 1 a und Abs. 2 a sogar mit einer Schlechterstellung der Mieter in der vorliegenden Konstellation einhergehen würde.
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Die Klagepartei verteidigt demgegenüber das erstgerichtliche Urteil. Sie meint u.a., dass die Kündigungssperrfrist von 10 Jahren gem. § 577 a Abs. 1 a BGB i.V.m. § 1 S. 2 MiSchuV im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits abgelaufen gewesen sei. § 577 a Abs. 1 a BGB sei hier grundsätzlich sachlich anwendbar; der Norm gebühre überdies im vorliegenden Fall im Verhältnis zu § 577 a Abs. 1 BGB der Vorrang.
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Auch der zeitliche Anwendungsbereich von § 577 a Abs. 1 BGB sei zu bejahen. § 577 a Abs. 1 BGB sei überdies auf Kommanditgesellschaften anzuwenden. § 577 a BGB sehe zwei Alternativen vor, nämlich auf der einen Seite die Regelung in Abs. 1, wonach die Sperrfrist ausgelöst werde, wenn an vermietetem Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und dieses veräußert werde. Auf der anderen Seite stehe Absatz 1 a, wonach die Sperrfrist schon dann ausgelöst werde, wenn vermieteter Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter an eine Personengesellschaft oder an mehrere Erwerber veräußert werde. Eine Umwandlung in Wohnungseigentum oder eine solche Absicht des Erwerbers sei – anders als die Berufung meine – für § 577 a Abs. 1 a BGB nicht erforderlich, denn sonst wäre bereits Abs. 1 einschlägig. Für den Fall, dass beide Alternativen einschlägig seien, stelle § 577 a Abs. 2 a BGB klar, dass die Sperrfrist nur einmal zugunsten des Mieters ausgelöst werde. Die Sperrfrist laufe demnach, wenn die Voraussetzungen nach § 577 a Abs. 2 BGB vorliegen, 10 Jahre ab dem Zeitpunkt, ab dem der Erwerber der vermieteten Wohnung im Grundbuch als Eigentümer eingetragen worden sei, auch wenn das Grundstück nicht in eine WEG aufgeteilt worden sei. Trete zuerst § 577 a Abs. 1 a BGB ein, also eine Veräußerung ohne die Umwandlung in eine WEG, so beginne die Sperrfrist mit der Eintragung im Grundbuch zu laufen, sodass eine nachträgliche Umwandlung in Wohnungseigentum und eine (weitere) Veräußerung die Sperrfrist nicht ein weiteres Mal auslösen oder beeinflussen könnten. Die erste ausgelöste Frist laufe einmalig bis zu deren Ende und ende dann. Der Anwendungsbereich von § 577 a Abs. 1 a BGB sei hier grundsätzlich eröffnet, § 577 Abs. 1 BGB nicht anwendbar. Die … GmbH & Co. KG habe das gesamte Anwesen erworben und sei am 20.06.2012 im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen worden; zu diesem Zeitpunkt sei die streitgegenständliche Wohnung bereits an die Beklagten vermietet und überlassen gewesen. Die Aufteilung des Grundstücks in eine WEG sei hier erst nach Erwerb durch die … GmbH & Co. KG im Jahr 2013 und vor dem nachfolgenden Erwerb der Wohnung durch die Kläger im Jahr 2017 erfolgt. Die Sperrfrist werde nur einmal – und zwar durch die erste Veräußerung – ausgelöst. Der Tatbestand des § 577 a Abs. 1 a BGB sei mit Erwerb durch die … GmbH & Co. KG im Jahr 2012 erfüllt worden. Ab dem Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft als Eigentümerin habe die Frist nach § 577 a Abs. 1 a BGB zu laufen begonnen. § 577 a Abs. 1 BGB habe infolge der angelaufenen Frist nach § 577 a Abs. 1 a BGB gem. § 577 a Abs. 2 a BGB nicht mehr zur Anwendung gelangen und auch keine Verlängerung oder einen erneuten Beginn der Frist auslösen können. Die Umwandlung in eine WEG im Jahr 2013 sowie die Veräußerung der WEG-Einheit an die Kläger im Jahr 2017 hätten sich demnach nicht mehr auswirken können und seien in der hier zu entscheidenden Konstellation nicht mehr relevant, da § 577 a Abs. 2 a BGB den Fristbeginn auf den Zeitpunkt des Ersterwerbs verlagere. Durch die Neuregelungen habe umfassender Umgehungsschutz für den Mieter geschaffen werden sollen, der nicht lediglich auf den Bereich des „Münchener Modells“ beschränkt sei. Vielmehr hätten sämtliche Möglichkeiten unterbunden werden sollen, die eine Umgehung von § 577 a Abs. 1 BGB bedingen könnten. Das Amtsgericht habe deshalb auch eine der gesetzlichen Intention der neuen Regelungen entgegenstehende teleologische Reduktion zu Recht abgelehnt. Der Schutz nach § 577 a BGB sei für den Mieter nicht disponibel; er könne damit insbesondere nicht auf die Sperrfrist verzichten, wenn diese angelaufen sei, bspw. weil er sie aktuell nicht benötige, um den Fristbeginn damit auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, um letztlich auf diese Weise längeren Schutz zu genießen.
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In zeitlicher Hinsicht sei unerheblich, dass § 577 a Abs. 1 a BGB erst zum 01.05.2013 und damit nach der Veräußerung an die … GmbH & Co. KG in Kraft getreten sei. Denn die Absicht des Gesetzgebers sei gewesen, sofort und unmittelbar für einen umfassenden Schutz der Mieter zu sorgen und Umgehungstatbestände auszuschließen. Dies bedinge, dass die Neuregelungen sofort mit Inkrafttreten des Gesetzes Wirkung entfalten sollten. § 577 a Abs. 1 a BGB sei auch dann anwendbar, wenn lediglich die Kündigung ab bzw. nach dem 01.05.2013 ausgesprochen worden sei. Die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen der Normen (Vermietung von Wohnraum, Überlassung und Veräußerung) brauchten hier also gerade nicht erst nach dem 01.05.2013 eingetreten zu sein.
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Auch eine unrichtige, unvollständige Tatsachenfeststellung gemäß § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO liege nicht vor, insbesondere ändere eine mangelnde Erinnerung des Zeugen an bestimmte Daten oder Zeitpunkte nichts an der zutreffenden Bewertung des Amtsgerichts. Der 18-jährige Zeuge … habe bis dato zu Hause bei seinen Eltern gelebt und das Gymnasium, auf welchem er sein Abitur gemachte habe, besucht. Danach habe die Eigenbedarfsperson seine Ausbildung in München beginnen wollen, was nunmehr auch seit 01.09.2023 – wie angekündigt – geschehen sei. Der Zeuge benötige offensichtlich die streitgegenständliche Wohnung, da dessen Ausbildungsort zu weit von seinem bisherigen zu Hause in … entfernt sei.
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Die Beklagten beantragen in zweiter Instanz zu erkennen:
I. Das Endurteil des Amtsgerichts München AZ 421 C 12189/23 vom 24.11.2023 wird aufgehoben.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Hilfsweise: Die Revision wird zugelassen.
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Die Klagepartei beantragt demgegenüber:
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Hilfsweise: Die Revision wird zugelassen.
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Ergänzend wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vom 12.06.2024 Bezug genommen.
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Die zulässige Berufung der Beklagten erweist sich als begründet. Sie führt zur Abänderung des erstgerichtlichen Urteils und zur Klageabweisung.
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Entgegen der Auffassung des Erstgerichts besteht nach Überzeugung der Kammer in Ermangelung einer wirksamen Eigenbedarfskündigung kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der verfahrensgegenständlichen Wohnung. Vielmehr besteht das Mietverhältnis zwischen den Parteien ungekündigt fort.
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Zwar ist die erstgerichtliche Beweiswürdigung, entgegen der Berufung, nicht zu beanstanden. Eine wirksame Eigenbedarfskündigung konnte vorliegend jedoch noch nicht ausgesprochen werden, da die 10-jährige Kündigungssperrfrist des § 577 a Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 S. 2 der Bayerischen Mieterschutzverordnung zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht abgelaufen war und nach wie vor nicht abgelaufen ist.
27
1. Zwar bestehen auch nach Überzeugung der Kammer keine Zweifel am klägerseits behaupteten Eigenbedarf.
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Soweit das Erstgericht hier davon überzeugt war, dass die streitgegenständliche Wohnung … für den Sohn der Klägerin zu 1) bzw. Enkel des Klägers zu 2), den Zeugen … benötigt werde, ist dies nicht zu beanstanden.
29
Den hiergegen gerichteten Angriffen der Berufung bleibt der Erfolg versagt.
30
Auf Grundlage seiner – auch durch die Kammer einer Entscheidung zugrunde zu legenden – Feststellungen war das Amtsgericht davon überzeugt, dass die Kläger der Eigenbedarfsperson die streitgegenständliche Wohnung zur Eigennutzung überlassen wollen und dass der Zeuge die Wohnung künftig auch selbst allein nutzen möchte.
31
Die diesbezügliche ausführliche und sorgfältige Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist nicht zu beanstanden. Soweit die Berufung die Beweiswürdigung angreift, vermag sie keine Fehler oder Verstöße gegen Denkgesetze aufzuzeigen, welche Zweifel an den Feststellungen begründen würden. Sie ersetzt vielmehr in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Amtsgerichtes durch ihre eigene; dies ist der Kammer in ihrer Entscheidung aber grundsätzlich verwehrt. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichtes unterliegt nur in dem nach § 529 Abs. 1 ZPO beschränkten Umfang der Überprüfung durch das Berufungsgericht. Konkrete Anhaltspunkte zu Zweifeln an der Vollständigkeit des seitens des Amtsgerichts zugrunde gelegten Sachverhaltes, die nach § 529 Abs. 1 Nr. 1, 2. Halbsatz ZPO erneute Feststellungen des Berufungsgerichts gebieten, können sich etwa aus Fehlern der Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Urteil oder aus dem Übergehen des erstinstanzlichen Vorbringens ergeben (vgl. BGH NJW 2004, 1876). Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1, 2. Halbsatz ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Amtsgericht bei der Feststellung des Sachverhaltes unterlaufen sind. Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH NJW 1987, 1557). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt u.a. dann vor, wenn Umständen Indizwirkungen zuerkannt werden, die sie nicht haben können oder wenn die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH NJW 1991, 1894).
32
Dies ist hier jeweils nicht der Fall.
33
Das Amtsgericht hat die Beweise – soweit erforderlich – erhoben und ausführlich gewürdigt. Ausweislich der Sitzungsprotokolle vom 11.09.2023 bzw. 18.10.2023 ist insbesondere eine umfassende und gründliche Anhörung der Kläger durchgeführt worden. Zudem hat das Erstgericht den Zeugen … ausführlich und gewissenhaft einvernommen. Auf Grundlage dieser Beweisaufnahme war das Erstgericht von der Richtigkeit der klägerseits behaupteten Bedarfslage überzeugt.
34
Soweit die Berufung die erstgerichtliche Beweiswürdigung zunächst damit angreift, dass die beiden Kläger u.a. keine Einzelheiten mehr zur familieninternen Entscheidungsfindung (insbesondere zum entsprechenden zeitlichen Ablauf) betreffend die Eigenbedarfskündigung hätten wiedergeben können, hat sich das Erstgericht explizit und nachvollziehbar mit dieser Problematik auseinandergesetzt. Es war gleichwohl – unter besonderer Würdigung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen … und dessen Glaubwürdigkeit – vom Vorliegen des behaupteten Eigenbedarfs überzeugt. Dies ist auch aus Sicht der Kammer nicht zu beanstanden, vielmehr tritt dadurch deutlich zu Tage, dass das Erstgericht einen angemessen kritischen Blick auf die Behauptungen der Klagepartei hatte und sämtliche relevanten Aspekte in die Beweiswürdigung einzubeziehen vermochte. Die Kammer fügt hinzu, dass sie bereits in einer Vielzahl von Eigenbedarfsklagen der Problematik begegnet ist, dass Zeugen und Parteien oftmals Schwierigkeiten haben, Einzelheiten betreffend eine familieninterne Kommunikation nach gewissem Zeitablauf noch präzise wiederzugeben. Dies braucht jedoch nicht maßgeblich gegen die Richtigkeit einer konkret behaupteten Eigenbedarfslage zu sprechen, sondern kann u.a. darauf zurückzuführen sein, dass nicht alle Familienmitglieder, zumal in gleichem Maße, in die Entscheidungsfindung eingebunden waren.
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Soweit die Berufung vorbringt, dass auch der Zeuge … nicht mehr sämtliche relevanten Einzelheiten bezüglich des Zeitpunkts des Ausspruchs der Eigenbedarfskündigung und der Unterzeichnung seines Ausbildungsvertrags habe erinnern können, ist dies seitens des Erstgerichts ebenfalls berücksichtigt worden. Auch insoweit ist die Beweiswürdigung des Amtsgerichts – zumal nicht in berufungsrechtlich relevanter Weise – mitnichten zu monieren. Im Ergebnis irrelevant ist auch der Umstand, dass der Zeuge keine näheren Angaben dazu machen konnte, welche Miete er künftig zahlen müsse und ob und ggf. welche Sanierungsarbeiten bezüglich der streitgegenständlichen Wohnung noch geplant seien. Vielmehr entspricht insoweit auch der Erfahrung der Kammer, dass sich v.a. jüngere Eigenbedarfspersonen im Falle einer familieninternen Zurverfügungstellung einer Wohnung hierüber keine vertieften Gedanken machen, sondern augenscheinlich davon ausgehen, dass sich eine diesbezügliche Lösung schon noch ergeben bzw. eine entsprechende Entscheidung noch getroffen werde.
36
Auch im Übrigen stellen sich die Angriffe auf die Beweiswürdigung in Ansehung der überzeugenden Ausführungen des Erstgerichts als unbehelflich dar.
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Hierauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht entscheidend an.
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2. Denn anders als das Erstgericht geht die Kammer hier davon aus, dass die maßgebliche Kündigungssperrfrist des § 577 a Abs. 1 BGB i.V.m. § 1 S. 2 der Bayerischen Mieterschutzverordnung zum Zeitpunkt der Kündigung noch nicht abgelaufen war.
39
Die klägerseitige Eigenbedarfskündigung erweist sich von daher wegen Verstoßes gegen eine gesetzliche Kündigungsbeschränkung als unwirksam.
40
a) Zwar geht die Kammer mit der Klagepartei davon aus, dass die mit Gesetz vom 11.03.2013 (BGBl. I S. 434) erfolgten Neuregelungen (Einfügung von § 577 a Abs. 1 a und Abs. 2 a BGB bzw. Änderung des Abs. 2 der Norm mit Wirkung vom 01.05.2013) in zeitlicher Hinsicht durchaus auf den hier zu entscheidenden Fall Anwendung finden könnten. Auch aus Sicht der Kammer ist insbesondere unerheblich, dass § 577 a Abs. 1 a BGB erst zum 01.05.2013 – und damit nach der Veräußerung des Anwesens (inkl. der streitgegenständlichen Räumlichkeiten) an die … GmbH & Co. KG – in Kraft getreten ist. Denn die Absicht des Gesetzgebers bestand nach Überzeugung der Kammer – zumal in Ermangelung einer Übergangsvorschrift – darin, in Ansehung festgestellter Schutzlücken sofort und unmittelbar für einen umfassenden Schutz der Mieter Sorge zu tragen und Umgehungstatbestände (zuvörderst im Anwendungsbereich des sog. Münchner Models) auszuschließen. Dies bedingt, dass die Neuregelungen sofort mit Inkrafttreten des Gesetzes Wirkung entfalten sollten.
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§ 577 a Abs. 1 a BGB ist damit grundsätzlich in zeitlicher Hinsicht auch dann anwendbar, wenn lediglich die Kündigung ab dem 01.05.2013 ausgesprochen wurde. Die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen der Neuregelungen brauchten hier also nicht erst ab oder nach dem 01.05.2013 eingetreten zu sein.
42
Auch dies kann vorliegend jedoch letztlich dahingestellt bleiben. Denn die Kammer ist jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall der Überzeugung, dass die Neuregelungen in sachlicher Hinsicht nicht greifen.
43
b) So wurde den Beklagten im vorliegenden Fall die Wohnung im März 2004 überlassen. Im Jahr 2012 erwarb die Firma … GmbH & Co. KG das gesamte Anwesen und wurde als dessen Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. 2013 wurde Wohnungseigentum begründet, die Teilung nach WEG wurde am 04.04.2013 im Grundbuch vollzogen. Schließlich erwarben die Kläger im Jahr 2017 die Wohnung; die diesbezügliche Grundbucheintragung erfolgte am 08.03.2017.
44
In dieser Konstellation kommt es, wie die Berufung zutreffend sieht, maßgeblich darauf an, dass nicht die (Erst-)Erwerberin, also die … GmbH & Co. KG (bei der es sich also nicht um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts handelt) vor Begründung von Wohnungseigentum eine Kündigung ausgesprochen hat, sondern erst die Zweiterwerber (die Kläger) nach Umwandlung des Wohnraums in Wohnungseigentum gekündigt haben.
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Nach vorzugswürdiger Auffassung ist damit im vorliegenden Fall nicht § 577 a Abs. 1 a BGB, sondern § 577 a Abs. 1 BGB einschlägig, während der inhaltliche Anwendungsbereich von Abs. 1 a und Abs. 2 a dieser Vorschrift nicht zu bejahen ist.
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Für diese Auffassung streiten – auch unter Berücksichtigung der durchaus beachtlichen, nachvollziehbaren Argumentation des Erstgerichts und der Klagepartei – letztlich die überzeugenderen Argumente der Berufung.
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So trifft auch nach Auffassung der Kammer zunächst der Ausgangspunkt der Überlegungen der Berufung völlig zu, wonach die Vorschrift des § 577 a Abs. 1 a BGB jedenfalls primär darauf abzielen sollte, eine dem Gesetzgeber bekannt gewordene Gesetzeslücke zu schließen, die namentlich durch Münchner Bauträger im Rahmen des „Münchner Modells“ gezielt ausgenutzt worden war.
48
Dieses Modell sah, wie die anwaltliche Vertretung der Beklagtenpartei aufzeigt, eine bewusste Umgehung der Kündigungsbeschränkung des seinerzeit (u.a. noch ohne Abs. 1 a) existierenden § 577 a BGB exemplarisch wie folgt vor: Eine GbR kaufte und erwarb ein vermietetes Mehrfamilienhaus, die Gesellschafter der betreffenden GbR sprachen sodann Eigenbedarfskündigungen aus, erst dann erfolgte die Begründung von Wohnungseigentum.
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Dies ging unter gesetzeskonformer Umgehung von Sinn und Zweck des § 577 a BGB a.F. vonstatten, der einen möglichst umfassenden Schutz von Bestandsmietern bei Veräußerung des betreffenden Wohnraums an Bauträger und Umwandlung in Eigentumswohnungen zum Ziel hatte, diesen jedoch nur lückenhaft zu gewähren imstande war.
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§ 577 a Abs. 1 BGB besagte und besagt, dass bei Einhaltung der chronologischen Reihenfolge von
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Vermietung
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Überlassung an Mieter
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Umwandlung durch Erwerber
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erster Verkauf nach Umwandlung und schließlich
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Kündigung
für die Kündigung die dort normierte Sperrfrist gelte und diese mit der ersten Veräußerung nach Umwandlung in Wohnungseigentum beginne.
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Der in 2013 neu eingefügte Abs. 1 a sah und sieht demgegenüber vor, dass Abs. 1 auch dann gelte, wenn eine Personengesellschaft den vermieteten Wohnraum erwirbt.
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Der ebenfalls in 2013 neu eingefügte Abs. 2 a beschreibt den Fall, dass eine Personengesellschaft laut Abs. 1 a Erwerberin des vermieteten Wohnraums ist, der nach Abs. 1 in Eigentum umwandelt wird und dann den Mietern kündigt wird.
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In diesem Zusammenhang ist weiter zu beachten, dass eine Personengesellschaft nicht für sich selbst wegen Eigenbedarfs kündigen darf, da diese – gleichgültig ob es sich bei ihr um eine GbR/BGB-Gesellschaft, eine OHG oder eine KG handelt – per se keinen Eigenbedarf haben kann. Die aktuelle Rechtsprechung des BGH ist insoweit eindeutig. Hinzu kommt, dass auch die Kündigung einer Personenhandelsgesellschaft (OHG und KG) wegen Eigenbedarfs für einen der Gesellschafter ebenfalls ausgeschlossen ist (BGH, Urteil vom 15.12.2010 – VIII ZR 210/10, NJW 2011, 993). Nur für die GbR als Personengesellschaft ist nach der Rechtsprechung des BGH anerkannt, dass diese für ihre/einen Gesellschafter kündigen darf, wenn es sich bei den Gesellschaftern um natürliche Personen handelt, die einen Wohnbedarf ausüben können. Die Kammer weist an dieser Stelle darauf hin, dass die weite Fassung namentlich des § 577 a Abs. 1 a BGB (Personengesellschaft statt lediglich Gesellschaft bürgerlichen Rechts) ggf. dem Umstand Rechnung tragen sollte, dass eine etwaige künftige Änderung/Fortentwicklung der Rechtsprechung dahingehend, dass auch weitere Personengesellschaften (bspw. einer OHG oder KG) für ihre Gesellschafter wegen Eigenbedarfs kündigen dürfen, erfolgen könnte und eine diesbezügliche Gesetzeslücke antizipiert und geschlossen werden sollte. Dieser Überlegung haftet jedoch ein spekulatives Element an, zumal sich in den Gesetzesmaterialien hierzu keine tragfähigen Ansätze finden. Ebenfalls denkbar ist daher, dass der Gesetzgeber lediglich die Möglichkeit einer Verwertungskündigung durch eine Personenhandelsgesellschaft vor Augen hatte oder die weiteren möglichen Konstellationen schlicht nicht bedachte.
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Eine weitere, alternative Möglichkeit zur Kündigung wegen Eigenbedarfs ergibt sich im Falle einer GbR dann, wenn sich diese auseinandersetzt und im Wege der Auseinandersetzung einer der Gesellschafter eine Eigentumswohnung zugewiesen bekommt. Der betreffende Gesellschafter kann dann ebenfalls wegen Eigenbedarfs kündigen.
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Beiden Fällen (Kündigung der GbR für ihre/einen ihrer Gesellschafter bzw. Kündigung durch einen Gesellschafter nach Auseinandersetzung der GbR) ist aber gemein, dass die Eigenbedarfsperson bereits Gesellschafter der ursprünglich erwerbenden Personengesellschaft war.
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Dieser bereits beim Erwerb des ungeteilten Anwesens vorhandene Gesellschafter darf im Falle der Kündigung auf das Erwerbsdatum der Personengesellschaft zurückgreifen und muss nicht erst abwarten, bis er selbst im Grundbuch eingetragen wrd. Die Sperrfrist wird insoweit also bereits mit dem ersten Eintrag ins Grundbuch als Personengesellschaft ausgelöst; (nur) diesen Fall meint Abs. 2 a. Der Erwerber des Eigentums muss folglich, um Abs. 2 a zu genügen, selbst Gesellschafter der Personengesellschaft (gewesen) sein, die ursprünglich den vermieteten Wohnraum erwarb. Dies trifft hier aber auf die Kläger nicht zu.
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Auch aus Sicht der Kammer entspricht diese Auslegung der Intention des Gesetzgebers. So stellt die Gesetzesbegründung in der Tat ausschließlich und konkret auf die GbR ab, nicht aber allgemein auf Personenhandelsgesellschaften; begründet wird dies mit dem erhöhten Verdrängungsrisiko bei der Veräußerung an eine GbR, das sich im Falle des Erwerbs durch eine GbR bereits verwirklicht habe, weil eine GbR bereits für ihre Gesellschafter kündigen könne. Hieraus kann gefolgert werden, dass nach dem neuen Gesetz die Sperrfrist auch mit diesem Erwerb beginnen soll und nicht etwa ein zweifacher Fristlauf bestehen sollte. Bei Personenhandelsgesellschaften besteht dieses Verdrängungsrisiko indes nicht, da eine solche Kündigung (für einen der Gesellschafter) per se nicht zulässig ist, wie oben bereits aufgezeigt. Ein tragfähiger Grund für die Vorverlegung der Sperrfrist auf den Erwerb durch eine Personenhandelsgesellschaft existiert folglich nicht, wie die Berufung zu Recht betont.
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Der Ersterwerb erfolgte hier aber gerade nicht durch eine GbR, sondern eine KG, die keinen Eigenbedarf für ihre Gesellschafter geltend machen kann.
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Die Rechtsauffassung des Amtsgerichts würde letztlich dazu führen, dass eine neue Umgehungsmöglichkeit der Sperrfrist geschaffen würde. So könnten Bauträger fortan bspw. anstatt einer GmbH eine KG gründen, sodann ohne relevanten Zeitdruck teilen und sanieren, um schließlich den jeweiligen Käufern eine zeitnahe Kündigungsmöglichkeit bieten zu können.
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Die Kläger waren hier weder selbst Erwerber des ungeteilten Anwesens noch Gesellschafter der ursprünglichen Erwerberin … GmbH & Co. KG. Damit ist der Anwendungsbereich des Abs. 1 a und Abs. 2 a in Ansehung der vorstehenden Argumentation letztlich nicht eröffnet. Vielmehr sind die Kläger als Ersterwerber des neu geschaffenen Wohnungseigentums anzusehen, weshalb sie und ihr Erwerbsvorgang in den Anwendungsbereich des § 577 a Abs. 1 BGB fallen, wonach die Sperrfrist mit ihrer Eintragung ins Grundbuch beginnt, mithin erst am 08.03.2017.
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Letztlich handelt es sich in diesem Zusammenhang um eine teleologische Reduktion von § 577 a Abs. 1 a, Abs. 2 a BGB, namentlich vor dem Hintergrund des gesetzlich intendierten Mieterschutzes.
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Lediglich ergänzend hält die Kammer fest, dass die vorliegende Konstellation Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers aufzeigen dürfte, damit der von § 577 a BGB intendierte Mieterschutz künftig umfassend und rechtssicher gewährleistet werden kann.
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Nach alledem ist das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Kostenfolge beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
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Für die Streitwertfestsetzung ist der Jahresbetrag der mietvertraglich vereinbarten Nettomiete maßgeblich.
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Eine Revisionszulassung ist nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO veranlasst. Denn die Rechtssache hat hinsichtlich der zeitlichen und sachlichen Anwendbarkeit des § 577 a Abs. 1 a, Abs. 2 a BGB auf die vorliegende Konstellation grundsätzliche Bedeutung.
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Eine Sache hat namentlich dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfragen aufwirft, die sich über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen können und deshalb für die Allgemeinheit von besonderer Bedeutung sind. Eine Leitentscheidung des Revisionsgerichts erscheint hier, zumal mit Blick auf ein etwaiges ergänzendes gesetzgeberisches Tätigwerden notwendig.
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Klärungsbedürftig ist die streitentscheidende Rechtsfrage hier, weil in Literatur und Instanzrechtsprechung unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und eine höchstrichterliche Beantwortung bislang noch aussteht (siehe hierzu jeweils BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, 53. Ed. 01.07.2024, ZPO § 543 Rn. 19 f.).