Inhalt

VG München, Beschluss v. 19.02.2024 – M 5 E 23.6142
Titel:

Konkurrentenstreit, Bewerbungsverfahrensanspruch, Fehlende dienstliche Beurteilung, Fehlendes qualifiziertes Arbeitszeugnis, Auswahlentscheidung, Auswahlgespräche

Normenketten:
VwGO § 123
GG Art. 33 Abs. 2
Schlagworte:
Konkurrentenstreit, Bewerbungsverfahrensanspruch, Fehlende dienstliche Beurteilung, Fehlendes qualifiziertes Arbeitszeugnis, Auswahlentscheidung, Auswahlgespräche
Fundstelle:
BeckRS 2024, 3861

Tenor

I. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Stelle Arbeitsbereichsleitung für den Arbeitsbereich R1.2 – Landabschiebungen im Sachgebiet R1 – bis zu einer erneuten Auswahlentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts mit dem Beigeladenen zu besetzen. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 14.347,68 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsgegner schrieb zwei Stellen im Bereich Rückführungen aus, darunter eine Stelle Arbeitsbereichsleitung R1.2 – Landabschiebungen. Auf diesem Dienstposten ist eine Beförderung in die Besoldungsgruppe A 13 möglich bzw. eine Einstufung in die Entgeltgruppe E 12 TV- L. Auf diese Stelle bewarben sich u.a. der Antragsteller und der Beigeladene.
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Der 1973 geborene Antragsteller steht als Tarifbeschäftigter (Entgeltgruppe 11 TV -L) in Diensten des Antragsgegners. Er ist seit … April 2022 beim Bayerischen Landesamt für Asyl und Rückführungen tätig, zuvor war er seit … April 2019 als Tarifbeschäftigter bei einer Bezirksregierung tätig. Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis befindet sich - soweit ersichtlich – nicht in den vorgelegten Personalakten.
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Der 1976 geborene Beigeladene steht als Regierungsamtmann (Besoldungsgruppe A 12) in Diensten des Antragsgegners. Er hat derzeit die Leitung der Unterkunftsverwaltung für den Arbeitsbereich ANKER bei der Regierung O. und in Abwesenheit der Arbeitsbereichsleitung die Leitung des Arbeitsbereichs ANKER O. inne. In seiner periodischen dienstlichen Beurteilung vom … Juli 2020 für den Beurteilungszeitraum … November 2017 bis … Oktober 2020 durch das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen erzielte er im Amt A 11 ein Gesamtergebnis von 13 Punkten.
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Im Auswahlvermerk vom … November 2023 ist festgehalten, dass 12 Bewerbungen eingegangen seien. Es sei eine Vorauswahl durchgeführt worden, die sich am Maßstab eines erfolgreich abgeschlossenen Studiums als Diplom-Verwaltungswirt (FH) – nichttechnischer Verwaltungsdienst – oder Diplom- Finanzwirt oder eines vergleichbaren Studiums bzw. Abschlusses orientiert habe. Zusätzlich seien mehrjährige Berufserfahrung im Öffentlichen Dienst sowie fundierte anwendungsbereite Kenntnisse im Ausländer-/Asylverfahrensrecht und allgemeinem Verwaltungsrecht vorzuweisen. Sieben Bewerber hätten diese Zugangskriterien erfüllt und seien zu Vorstellungsgesprächen eingeladen worden. Diese Gespräche wurden mit Punkten bewertet, wobei maximal 76 Punkte erreicht werden konnten. Der Beigeladene sei als leistungsstärkster Bewerber mit einem Ergebnis von 64,25 Punkten bewertet worden, der Antragsteller als viertbester Bewerber (39 Punkte). Daher sei der Beigeladene für den streitgegenständlichen Dienstposten Arbeitsbereichsleitung R1.2 – Landabschiebungen ausgewählt worden. Dabei sei das Gesamtergebnis der Beurteilung wie auch das Einzelmerkmal „Führungspotential“ (14 Punkte) hervorzuheben wie auch der überzeugende Eindruck im Auswahlgespräch.
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Der Personalrat des Landesamtes stimmte der beabsichtigten Versetzung des Beigeladenen zum Landesamt am … Dezember 2023 wie auch die Vertrauensperson der Schwerbehinderten (ohne Datum) zu.
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Mit E-Mail vom … Dezember 2023 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass die Stelle mit einem anderen Bewerber besetzt werden soll.
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Der Antragsteller beantragte am … Dezember 2023 den Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Sicherung der Antragstellerrechte. Es bestehe sowohl ein Anordnungsgrund wie auch ein Anordnungsanspruch.
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Der Antragsteller hat am … Dezember 2023 beantragt,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO zu untersagen, die zwei ausgeschriebenen Stellen einer Tätigkeit jeweils als Arbeitsbereichsleitung (m/w/d) für die Arbeitsbereiche R 1.1. – Kleincharter und R 1.2 – Landabschiebungen im Sachgebiet R 1 – Rückführungen beim … … … … … … Dienstsitz …, mit einem Mitbewerber zu besetzen, solange nicht über die Bewerbung des Antragstellers bestandskräftig entschieden ist.
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Das Landesamt für Asyl und Rückführungen ist dem Antrag entgegengetreten, ohne einen Antrag zu stellen. Die Auswahlentscheidung sei rechts – und ermessensfehlerfrei.
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Mit Beschluss vom 8. Januar 2024 wurde der für die Stelle ausgewählte Bewerber zum Verfahren beigeladen. Er hat weder einen Antrag gestellt noch sich sonst im Verfahren geäußert.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag hat zum weit überwiegenden Teil Erfolg. Der Antragsteller hat im Wesentlichen einen Anordnungsgrund sowie einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
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1. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes ist das Stellenbesetzungsverfahren hinsichtlich der Stelle Arbeitsbereichsleitung für den Arbeitsbereich R 1.2. – Landabschiebungen. Die Antragstellerpartei hat sich mit einem Schriftsatz vom … Dezember 2023 gegen die Besetzung von zwei Stellen gewendet. Die Besetzung jeder Stelle ist gesondert zu überprüfen, da sie jeweils unterschiedliche ausgewählte Bewerber betrifft. Das vorliegende Verfahren hat daher ausschließlich die Auswahlentscheidung für die Arbeitsbereichsleitung für den Arbeitsbereich R 1.2. – Landabschiebungen zum Gegenstand.
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2. Für die vorliegende Streitigkeit ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt (§ 40 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO). Der bei der Auswahlentscheidung bei der Vergabe eines öffentlichen Amtes maßgebliche Bewerbungsverfahrensanspruch hat dann für alle Mitbewerber – unabhängig von ihrem Status als Arbeitnehmer, Selbstständige oder Beamte – einen einheitlichen öffentlich-rechtlichen Charakter im Sinn von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wenn der von der Auswahlentscheidung nach Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland – Grundgesetz (GG) für ein Statusamt Betroffene entweder unterlegener Beamter ist oder er als beamteter oder nichtbeamteter Antragsteller um Rechtsschutz gegen die Auswahl des erfolgreichen Beamten nachsucht (BVerwG, B.v. 17.23.2021 – 2 B 3/21 – BVerwGE 172, 8, juris Rn. 20).
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Im vorliegenden Fall wendet sich der Antragsteller als Tarifbeschäftigter gegen die Auswahl des verbeamteten Beigeladenen. Der bei der Auswahlentscheidung zu beachtende Bewerbungsverfahrensanspruch hat daher nach den dargestellten Grundsätzen gegenüber beiden Konkurrenten öffentlich-rechtlichen Charakter.
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3. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, d.h. ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d.h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragstellerpartei hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
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4. Der Anordnungsgrund in Form der besonderen Dringlichkeit der begehrten einstweiligen Anordnung ist gegeben. Das Auswahlverfahren für die streitgegenständliche Stelle ist grundsätzlich abgeschlossen. Eine Besetzung der Stelle durch den Beigeladenen steht unmittelbar bevor. Der Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers als übergangenem Bewerber lässt sich nur vor der Besetzung der Stelle mit dem ausgewählten Konkurrenten und der Erlangung eines möglichen Bewährungsvorsprungs mittels einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO effektiv sichern, da sich der um eine Stellenauswahl geführte Rechtsstreit mit der endgültigen Besetzung der ausgeschriebenen Stelle erledigt (vgl. BVerfG, B.v. 29.6.2003 – 2 BvR 311/03 – NVwZ 2004, 95). Nach herrschender Auffassung in der Rechtsprechung (BVerwG, U.v. 4.11.2010 – 2 C 16/09 – NVwZ 2011, 358) ist mit der endgültigen anderweitigen Besetzung einer Stelle das Besetzungsverfahren grundsätzlich abgeschlossen mit der Folge, dass dem Begehren des Antragstellers, die Auswahlentscheidung zu seinen Gunsten vorzunehmen, nicht mehr entsprochen werden könnte, weil der Dienstherr die Ernennung der Beigeladenen in der Regel nicht mehr rückgängig machen könnte.
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In zeitlicher Hinsicht besteht der Anordnungsgrund nicht bis zur bestandskräftigen Entscheidung über die Bewerbung des Antragstellers (so noch VG München, B.v. 9.11.2017 – M 5 E 17.3441 – juris; B.v. 25.8.2017 – M 5 E 17.1539 – juris), weil es ihm nach einer erneuten Auswahlentscheidung durch den Antragsgegner zuzumuten ist, um Rechtsschutz nachzusuchen, wenn er dies wiederum für erforderlich halten sollte (vgl. hinsichtlich des dementsprechenden Tenors: VG Ansbach, B.v. 24.4.2019 – AN 2 E 19.00164 – juris; BayVGH, B.v. 18.4.2012 – 7 CE 12.166 – BayVBl 2012, 599, juris; B.v. 11.8.2010 – 7 CE 10.1160 – BayVBl 2011, 602 – juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 4.7.2008 – 1 L 316/08 – juris; OVG NW, B.v. 6.5.2008 – 1 B 1786/07 – juris; B.v. 13.10.2009 – 6 B 1232/09 – RiA 2010, 90, juris; zum Ganzen auch: VG München, B.v. 14.10.2021 – M 5 E 21.1208 – juris Rn. 31). Nur insoweit wird der weitergehende Antrag des Antragstellers abgelehnt.
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Sollte der Dienstherr nach einer erneuten Auswahlentscheidung gleichwohl rechtzeitigen vorläufigen Rechtsschutz vereiteln oder sich sogar über dessen erfolgreiche Inanspruchnahme hinwegsetzen, steht dem Antragsteller die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelte Möglichkeit der Anfechtung der Ernennung des ausgewählten Bewerbers offen (BVerwG, U.v. 4.11.2020 – 2 C 16/09 – BVerwGE 138, 102, juris Rn. 37 ff).
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5. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, weil die von der Antragsgegnerin getroffene Auswahlentscheidung, die streitgegenständliche Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen, den Bewerbungsverfahrensanspruch des Antragstellers nach Art. 33 Abs. 2 GG verletzt.
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a) Einen Rechtsanspruch auf Übertragung der streitgegenständlichen Stelle hat der Antragsteller nicht. Ein solcher lässt sich nach herrschender Rechtsprechung nicht aus der Fürsorgepflicht ableiten, die sich auf das vom Beamten bekleidete Amt beschränkt und somit amtsbezogen ist. Der Antragsteller hat aber einen Bewerbungsverfahrensanspruch, d.h. einen Anspruch darauf, dass der Dienstherr den Dienstposten unter Berücksichtigung des in Art. 33 Abs. 2 GG normierten Leistungsgrundsatzes vergibt und seine Auswahlentscheidung nur auf Gesichtspunkte stützt, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung der Bewerber betreffen (vgl. BVerfG, B.v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746 und B.v. 2.10.2007 – 2 BvR 2457/04 – NVwZ 2008, 194).
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Anhand dieser Vorgaben hat der Dienstherr unter mehreren Bewerbern den am besten Geeigneten ausfindig zu machen. Diese Vorgaben dienen zwar vornehmlich dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Besetzung von (Beamten-)Stellen, berücksichtigen aber zugleich das berechtigte Interesse eines Bewerbers an einem angemessenen beruflichen Fortkommen. Er hat daher Anspruch auf rechtsfehlerfreie Anwendung dieses Auswahlprinzips (BVerwG, U.v. 25.8.1988 – 2 C 28/85 – juris; BayVGH, B.v. 25.5.2011 – 3 CE 11.605 – BayVBl 2011, 565; VG München, B.v. 24.10.2012 – M 5 E 12.2637 – juris). Aus der Verletzung dieses Anspruchs folgt zwar regelmäßig nicht ein Anspruch auf Beförderung oder auf Vergabe des begehrten Dienstpostens. Der unterlegene Bewerber kann aber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, B. v. 26.11.2010 – 2 BvR 2435/10 – NVwZ 2011, 746).
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b) Feststellungen über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung von Bewerbern um eine Beförderungsstelle sind in erster Linie auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen zu stützen, denn sie bilden den gegenwärtigen bzw. zeitnah zurückliegenden Stand ab und können somit am besten als Grundlage für die Prognose dafür dienen, welcher der Konkurrenten die Anforderungen der zu besetzenden Stelle voraussichtlich am besten erfüllen wird (BVerwG, B.v. 27.9.2011 – 2 VR 3/11 – NVwZ-RR 2012, 71; vgl. zum Ganzen auch: BayVGH, B.v. 18.6.2012 – 3 CE 12.675 – juris; VG München, B.v. 26.10.2012 – M 5 E 12.3882 – juris; B.v. 24.10.2012 – M 5 E 12.2637 – juris).
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Nach der Rechtsprechung (BVerfG, B.v. 16.12.2015 – 2 BvR 1958/13 – BVerfGE 141, 56, juris Rn. 58 f.; BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 2 VR 1/13 – BVerwGE 147, 20, juris
Rn. 21 ff; BayVGH, B.v. 29.8.2013 – 3 CE 13.443 – juris Rn. 35; B.v. 17.5.2013 – 3 CE 12.2469 – juris Rn. 36 ff.) kommt eine Berücksichtigung der Ergebnisse von Vorstellungs- bzw. Auswahlgesprächen neben der dienstlichen Beurteilung dann ergänzend in Betracht, wenn bei einem Beurteilungsgleichstand sonst eine „Pattsituation“ bestehen würde.
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Entscheidend hierfür ist, dass Vorstellungsgespräche, Assessment-Center und dergleichen – jedenfalls bei internen Bewerbern – gegenüber dienstlichen Beurteilungen nur begrenzte Aussagekraft haben. Denn während diese Verfahren nur eine Momentaufnahme darstellen und hinsichtlich der nach Art. 33 Abs. 2 GG erforderlichen Erkenntnisgewinnung nur einen Teil der Leistungsanforderungen abdecken können, beziehen sich dienstliche Beurteilungen – bei allen Schwächen und Unwägbarkeiten – auf einen längeren Zeitraum, in dem der Beamte den konkreten und vielfältigen Anforderungen seines Amtes gerecht werden musste und bieten demgemäß eine profunde, gesicherte Grundlage für die prognostische Feststellung der Eignung der Bewerber hinsichtlich des konkret zu besetzenden Dienstpostens (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2013 – 3 CE 13.443 – juris Rn. 35; B. v. 17.5.2013 – 3 CE 12.2469 – juris Rn. 39; OVG Münster B.v. 5.11.2006 – 6 A 1249/06 – juris Rn. 13).
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Nach Art. 16 Abs. 1 Sätze 4 und 5 des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz/LlbG) können dienstliche Beurteilungen und wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren, wie insbesondere systematisierte Personalauswahlgespräche, strukturierte Interviews oder Assessment-Center, sofern diese von Auswahlkommissionen durchgeführt werden, Grundlage für die Entscheidung des Dienstherrn sein. Werden für eine Auswahlentscheidung dienstliche Beurteilungen sowie weitere verschiedene Auswahlmethoden nach Satz 4 verwandt, bestimmt der Dienstherr die Gewichtung. Zur Auswahlentscheidung selbst trifft Art. 16 Abs. 1 Satz 5 LlbG dahingehend eine Abstufung, dass dienstliche Beurteilungen stets verwendet werden müssen und weitere Auswahlmethoden zusätzlich gestattet sind (BayVGH, B.v. 8.2.2018 – 3 CE 17.2304 – RiA 2018, 131, juris Rn. 8). Entsprechend ist in Abschnitt 4 („Wissenschaftlich fundierte Auswahlverfahren“) der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 13.7.2009, FMBl. S. 190, zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 17.9.2021, BayMBl. Nr. 718, Nr. 728 – VV- BeamtR) festgehalten, dass der Dienstherr eine Gewichtung der verschiedenen Auswahlgrundlage festlegen darf. Es ist dort aber ausdrücklich in den Sätzen 4 und 5 hervorgehoben, dass die dienstliche Beurteilung dabei angemessen zu berücksichtigen ist und nicht zur Marginalie werden darf.
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c) Bei der Konkurrenz zwischen einem Beamten und einem Tarifbeschäftigten/Angestellten ist auf Seiten des Angestellten für einen Leistungsvergleich mit der dienstlichen Beurteilung eines Beamten auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis abzustellen. Ein qualifiziertes Arbeitszeugnis muss neben Angaben zu Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses auch alle wesentlichen Tatsachen und Bewertungen zu Leistung und Verhalten enthalten, die für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers von Bedeutung und für Dritte von Interesse sind. Für die Erstellung des Zeugnisses gilt nicht nur, bezogen vor allem auf die Bewertung von Leistung und Verhalten, der Maßstab eines wohlwollenden verständigen Arbeitgebers, sondern auch, bezogen vor allem auf die mitgeteilten Tatsachen, der Grundsatz der Wahrheit. In der Praxis hat sich ein Sprachgebrauch herausgebildet, der ein Arbeitszeugnis – ungeachtet in der Regel beschönigender Formulierungen – jedenfalls für personalbearbeitende Stellen „übersetzbar“ und damit verwertbar macht. Auch die dort enthaltene Tätigkeitsbeschreibung kann eine Hilfe bei der Einschätzung der dienstlichen Leistungen sein (BVerwG, B.v. 27.4.2010 – 1 WB 39.09 – BVerwGE 136, 388, juris Rn. 38; VG Münster, B.v. 28.9.2023 – 5 L 583/23 – juris Rn. 230).
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Liegt ein qualifiziertes Arbeitszeugnis nicht vor, hat die über die Stellenbesetzung entscheidende Personalverwaltung auf den Bewerber einzuwirken, dass er ein solches Zeugnis vorlegt. Die auswählende Behörde darf die damit verbundenen Umstände und die Unannehmlichkeiten, die die Bitte um ein Arbeitszeugnis sogar im Fall eines „Seiteneinsteigers“ aus der privaten Wirtschaft im Verhältnis zu dessen Arbeitgeber möglicherweise haben kann, nicht dadurch umgehen, dass sie auf die Beiziehung eines aktuellen Arbeitszeugnisses von vornherein verzichtet und nach dem Ergebnis der Bewerbungsunterlagen und eines Bewerbungsgesprächs entscheidet (NdsOVG, B.v. 26.10.2012 – 5 ME 220/12 – NVwZ-RR 2013, 379, juris Rn. 17 ff.; BVerwG, B.v. 27.4.2010 – 1 WB 39.09 – BVerwGE 136, 388, juris Rn. 37).
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Nur in Ausnahmefällen kann es zulässig sein, auf die Vorlage von (Arbeits-) Zeugnissen zu verzichten (BayVGH, B.v. 8.2.2018 – 3 CE 17.2304 – RiA 2018, 131, juris Rn. 9; HessVGH, B.v. 26.11.2008 – 1 B 1870/08 – NVwZ-RR 2009, 527, juris Rn. 5).
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d) Nach diesen Grundsätzen ist die Auswahlentscheidung zwischen dem Antragsteller und dem Beigeladenen rechtsfehlerhaft erfolgt.
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Der Antragsgegner hat die im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung wohl noch aktuelle periodische Beurteilung des Beigeladenen nicht zum Leistungsvergleich herangezogen. Ebenso wurde beim Antragsteller nicht darauf gedrungen, ein qualifiziertes Arbeitszeugnis einzufordern, das eine Grundlage für einen Leistungsvergleich über einen längeren Beobachtungszeitraum gegenüber der periodischen dienstlichen Beurteilung des Beigeladenen darstellen könnte.
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Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass für den Antragsteller ausnahmsweise kein qualifiziertes Arbeitszeugnis beigebracht werden könnte. Der Antragsteller ist derzeit beim Landesamt für Asyl und Rückführungen beschäftigt und war zuvor bei einer Bezirksregierung tätig. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Behörden des Antragsgegners keine qualifizierten Arbeitszeugnisse erstellen. Vielmehr ergibt sich aus der Personalakte des Landesamtes für den Antragsteller, dass dieser am … März 2023 per E-Mail um die Ausstellung eines qualifizierten Arbeitszeugnisses gebeten, diese Bitte aber am … Juli 2023 zurückgezogen hat.
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e) Es ist nicht auszuschließen, dass ein qualifiziertes Arbeitszeugnis für den Antragsteller ein besseres Ergebnis als die periodische dienstliche Beurteilung des Beigeladenen erbringt. Damit ist die Auswahl des Antragstellers in einem neuen Besetzungsverfahren ernsthaft möglich (BVerwG, B.v. 21.12.2016 – 2 VR 1.16 – BVerwGE 157, 168, juris Rn. 43; BVerfG, B.v. 24.9.2002 – 2 BvR 857/02 – NVwZ 2003, 200, juris Rn. 13 f.).
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Das gilt auch mit Blick auf den Umstand, dass der Antragsteller bei der Bewertung des Auswahlgesprächs mit 39 von 76 möglichen Punkten deutlich schlechter bewertet wurde als der Beigeladene mit 64,25 von möglichen 76 Punkten. Denn eine dienstliche Beurteilung wie auch ein qualifiziertes Arbeitszeugnis stellen die Beobachtung und Bewertung der statusamtsbezogenen dienstlichen Leistungen über einen längeren Zeitraum dar, weshalb sie vorrangig bei einer Auswahlentscheidung heranzuziehen sind. Das Vorstellungsgespräch bietet nur einen punktuellen Eindruck über einen kurzen Zeitraum. Es ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller bei einer Bewertung seiner dienstlichen Leistungen über einen längeren Zeitraum eine wesentlich bessere Beurteilung erzielen kann als im Vorstellungsgespräch.
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6. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens ganz zu tragen, da der Antragsteller nur zu einem geringen Teil (zeitlicher Umfang des Anordnungsgrundes) unterlegen ist, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten unter Billigkeitsgesichtspunkten selbst, da er sich mangels Antragstellung keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
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7. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 bis 4 Gerichtskostengesetz (GKG) – ein Viertel der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltfähiger Zulagen (Jahresbezüge des Antragstellers nach Angaben des Antragsgegners nach dem Schreiben vom 28.12.2023 im Verfahren M 5 E 23.6126 auf der angestrebten Stelle in der Entgeltgruppe 12 Stufe 3 TV -L einschließlich Jahressonderzahlung: 57.390,47 EUR, hiervon ein Viertel ergibt 14.347,68 EUR; vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 3 CE 19.1896 – juris Rn. 32; B.v. 3.7.2019 – 3 CE 19.1118 – juris Rn. 26).