Titel:
Vergleichsmehrwert eines Räumungsvergleichs
Normenketten:
GKG § 41
ZPO § 3
Leitsätze:
1. Die Vergleichsregelung über den Verzicht auf Räumungsschutz führt nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts oder zu einem Mehrwert des Vergleichs. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei einem Vergleichsmehrwert muss es sich um die Ausdehnung des Vergleichs auf bereits rechtshängige oder nicht rechtshängige Streitgegenstände bzw. die Miterledigung anderer Streitpunkte handeln. Dies jedoch ist bei einem Verzicht auf Räumungsschutz nicht gegeben. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Vergleich, Mehrwert, Vergleichsmehrwert, Räumungsvergleich
Vorinstanzen:
LG München I, Beschluss vom 13.06.2024 – 14 S 14780/23
AG München vom -- – 412 C 11975/22
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 10.07.2024 – 32 W 1005/24 e
Fundstellen:
ZMR 2024, 1043
LSK 2024, 38466
BeckRS 2024, 38466
Tenor
Der Beschwerde des Beklagtenvertreters gegen die Streitwertfestsetzung vom 13.06.2024 (Bl. 51 d.A.) wird nicht abgeholfen, § 572 Abs. 1 ZPO.
Gründe
1
Mit Beschluss vom 13.06.2024 hat die Kammer das Zustandekommen eines Räumungsvergleichs zwischen den Parteien nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellt.
2
Nach Ziffer 1 des Vergleichs ist die streitgegenständliche Wohnung mit Ablauf des 17.06.2024 zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
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Ziffer 2 lautet wie folgt: „Der Beklagte verzichtet, soweit gesetzlich zulässig, auf Räumungsschutz. Die Klägerin nimmt den Verzicht an.“
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Die Kammer hat den Streitwert auf den Jahresbetrag der Grundmiete festgesetzt (… €).
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Hiergegen wendet sich der Beklagtenvertreter mit seiner Streitwertbeschwerde vom 17.06.2024.
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Die Beschwerde meint, bei der Festsetzung des Streitwerts sei übersehen worden, dass in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vergleich ein Verzicht des Beklagten auf Räumungsschutz vereinbart worden sei. Hierbei handele es sich um einen werthaltigen prozessualen Anspruch, der mithin bei der Bemessung des Streitwerts selbständig in Ansatz zu bringen sei (vgl. etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.05.2009 – 24 W 16/09 Rn. 18 (AGS 2009, 496); OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.03.2011 – 5 U 137/10 Rn. 30). Das OLG Düsseldorf nehme dabei regelmäßig einen Mehrwert i.H.v. 20 % der Jahresmiete an, während das OLG Stuttgart vom dreifachen Monatswert ausgehe. Vorliegend sei der dreifache Monatswert heranzuziehen, woraus sich ein Mehrwert von … € (… €) ergebe. Der richtige Streitwert belaufe sich demnach auf … €.
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Auch aufgrund der Beschwerdebegründung ist eine Änderung der Entscheidung nicht veranlasst.
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Denn nach Überzeugung der Kammer ist im Rahmen des Abschlusses eines Räumungsvergleichs ein überschießender Vergleichswert sowohl bezüglich der Vereinbarung einer Räumungsfrist als auch – wie hier – in Bezug auf einen Verzicht auf Räumungsschutz abzulehnen. Gleiches würde für einen etwaigen Verzicht auf Vollstreckungsschutz gelten, wobei vorliegend dahinstehen kann, ob ein solcher überhaupt rechtswirksam vereinbart werden kann.
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Der Ansatz eines Vergleichsmehrwerts bezüglich des Verzichts auf Räumungsschutz ist also nicht „übersehen“ worden, wie die Beschwerde mutmaßt, sondern aufgrund der diesbezüglichen ständigen Rechtsprechung der Kammer (siehe zuletzt Beschluss vom 19.03.2024 – 14 T 3051/24, unveröff.) und des Amtsgerichts München – Mietgericht (siehe nur Beschlüsse vom 01.03.2024 und 08.03.2024 – 461 C 16470/23, ebenfalls unveröff.) bewusst unterblieben.
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Ein entsprechender überschießender Vergleichswert ist richtigerweise grundsätzlich abzulehnen.
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So ergibt sich der Wert eines Vergleichs aus dem Wert der rechtshängigen und nichtrechtshängigen Ansprüche, die erledigt werden, nicht aber aus dem Wert dessen, was die Parteien durch den Vergleich erlangen oder welche Leistungen sie zum Zwecke der Erledigung der Streitpunkte übernehmen. Dabei muss es sich – wie schon der Begriff „Streitgegenstand“ nahelegt – bei den wertbestimmenden Gegenständen um „streitige Gegenstände“ handeln. Es muss sich – was den Mehrwert anbelangt – um die Ausdehnung des Vergleichs auf bereits rechtshängige oder nicht rechtshängige Streitgegenstände bzw. die Miterledigung anderer Streitpunkte handeln. Dies jedoch ist bei einem Verzicht auf Räumungsschutz nicht gegeben (vgl. auch LG Lübeck, Beschluss vom 28.02.2020 – 10 T 18/20, BeckRS 2020, 2453 Rn. 10).
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Da der Antrag auf Gewährung einer Räumungsschutzfrist bei der Bestimmung des Gegenstandswerts unberücksichtigt bleibt (AG Hamburg, Beschluss vom 27.06.2016 – 25a C 44/16, BeckRS 2016, 12237; Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 16. Aufl., § 721 ZPO, Rn. 48; BeckOK ZPO/Ulrici, 52. Edition (Stand: 01.03.2024), § 721 ZPO, Rn. 21), kann bei einem Verzicht nichts Anderes gelten (vgl. AG Hamburg, a.a.O.).
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Zu berücksichtigen ist also, dass die Parteien vorliegend zuvörderst den rechtshängigen Räumungs- und Herausgabeanspruch geregelt haben. Dies zeigt sich auch darin, dass ein isolierter Vergleich über (den Verzicht auf) Räumungsschutz oder die Gewährung einer Räumungsfrist nicht in Betracht kommt, sondern eine (zumal sinnvolle) Einigung nur dann in Betracht zu ziehen ist, wenn die Parteien zugleich die Räumung und Herausgabe eines Mietobjekts im Rahmen eines Räumungsvergleichs regeln.
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Letztlich „streiten“ die Parteien hier gerade nicht über den Räumungsschutz (vgl. LG Lübeck, Beschluss vom 28.02.2020 – 10 T 18/20, BeckRS 2020, 2453 Rn. 10), sondern sie regeln nur die Art und Weise bzw. die Modalitäten der Räumung und Herausgabe. Die Räumung und Herausgabe ist aber bereits durch den Räumungsstreitwert nach § 41 Abs. 1, Abs. 2 GKG abgedeckt (zutreffend auch AG Hamburg, Beschluss vom 27.06.2016 – 25a C 44/16 BeckRS 2016, 12237; Mayer-Abich NJW 2020, 3091 Rn. 5).
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Die von der Beschwerde vertretene Gegenansicht überzeugt auch im Übrigen nicht. So meint das OLG Düsseldorf im von der Beschwerde zitierten Beschluss vom 11.05.2009 – I-24 W 16/09 zwar, es liege ein selbständiger und werthaltiger prozessualer Anspruch vor, der deshalb auch den Vergleichswert beeinflusse. Eine konkrete diesbezügliche dogmatische Herleitung lässt die Entscheidung jedoch vermissen. Gleiches gilt für die weiter genannte Entscheidung des OLG Stuttgart, Beschluss vom 02.03.2011 – 5 U 137/10. Auch darin heißt es apodiktisch nur: „Gesondert zu bewerten ist der Verzicht der Beklagten auf Räumungsschutz, weil es sich dabei um einen selbstständigen und werthaltigen prozessualen Anspruch handelt.“ Es fehlt also letztlich ebenfalls eine nachvollziehbare Begründung, die indes u.a. in Ansehung von § 41 Abs. 2 GKG erforderlich wäre.
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Dass ein solcher überschießender Vergleichswert nicht anzunehmen ist, zeigt auch ein Vergleich mit der Regelung einer sog. Umzugskostenbeihilfe und deren Behandlung im Rahmen der Streitwertfestsetzung. Vereinbarungen über Umzugskostenbeihilfen haben grundsätzlich keinen eigenen Mehrwert, denn auch ihnen liegt keine entsprechende strittige Forderung zugrunde. Ihr Zweck besteht allein darin, den Mieter dazu zu bewegen, das Räumungs- und Herausgabeverlangen des Vermieters zu akzeptieren. Mithin soll die Zahlung lediglich die Auszugsbereitschaft des Mieters erhöhen, stellt aber selbst keinen Streitpunkt dar (vgl. Beschluss der Kammer vom 27.01.2012 – 14 T 1431/12, BeckRS 2012, 213918; OLG Hamm, Beschluss vom 17.05.2011 – 7 W 13/11, NJW-RR 2011, 1224). Die Umzugskostenbeihilfe ist deshalb ein Teil dessen, worauf und nicht worüber sich die Parteien geeinigt haben. Sie bleibt somit bei der Bewertung des Vergleichswerts unberücksichtigt.
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Gleiches muss für die Regelung einer Räumungsfrist und den Verzicht auf Räumungsschutz gelten. Auch diese stellen ein freiwilliges Entgegenkommen einer Partei dar um die jeweils andere Partei dazu zu bewegen, den Vergleich abzuschließen und den bestehenden Rechtsstreit aus der Welt zu schaffen. Sie können daher gleichermaßen den Gegenstandswert des Vergleichs nicht erhöhen (siehe wiederum AG Hamburg Beschluss vom 27.06.2016 – 25a C 44/16, BeckRS 2016, 12237). Völlig zutreffend lehnt daher auch Kurpat (in: Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Aufl. 2021, Mietstreitigkeiten, Rn. 2_3122) die hier von der Beschwerde ins Feld geführte Entscheidung des OLG Stuttgart vom 02.03.2011 – 5 U 137/10 mit der Begründung ab, das OLG stelle dabei auf ein entsprechendes Titulierungsinteresse ab und verkenne dabei, dass davon nur vor Vergleichsschluss entstandene Ansprüche erfasst würden.
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Eine Abhilfe kommt nach alledem nicht in Betracht.