Inhalt

OLG München, Beschluss v. 10.07.2024 – 32 W 1005/24 e
Titel:

Räumungsklage: Kein Vergleichsmehrwert bei Verzicht auf Räumungsschutz

Normenketten:
GKG § 3, § 39 Abs. 1, § 40, § 41 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 45 Abs. 1 S. 1
GKG KV-Nr. 1900
ZPO § 765a, § 794a
Leitsätze:
1. Die Vergleichsregelung über den Verzicht auf Räumungsschutz führt nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts oder zu einem Mehrwert des Vergleichs. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. In einem Räumungsprozess begründet der Verzicht auf Räumungsschutz in einem Räumungsvergleich keinen Vergleichsmehrwert, da er nur die Modalität und Abwicklung der Rückgabe betrifft. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertfestsetzung, Räumungsprozess, Räumungsvergleich, Rückgabepflicht, Verzicht auf Räumungsschutz, Vergleichsmehrwert, Modalität der Rückgabe, Abwicklung der Rückgabe, Wertaddition, selbstständiger Anspruch
Vorinstanzen:
LG München I, Beschluss vom 17.06.2024 – 14 S 14780/23
LG München I, Beschluss vom 13.06.2024 – 14 S 14780/23
AG München vom -- – 412 C 11975/22
Fundstellen:
ZMR 2024, 1029
LSK 2024, 38463
BeckRS 2024, 38463

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beklagtenvertreters Rechtsanwalt … … wird der Streitwertbeschluss des Landgerichts München I vom 13.06.2024 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.428,72 € festgesetzt.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
3. Der Streitwert für das Verfahren erster Instanz wird auf 14.969,36 € festgesetzt.
4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Gründe

I.
1
Die Klägerin machte in dem vorliegenden Verfahren einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung geltend, die in dem Anwesen …-…-Str. 28 in …gelegen ist.
2
Weiter forderte sie in erster Instanz die Zahlung von Mieten und einer Heizkostennachzahlung in Höhe von insgesamt 1.540,- €. Im Hinblick auf den Zahlungsantrag wurde der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.
3
Das Amtsgericht München verurteilte den Beklagten durch Endurteil vom 09.11.2023 antragsgemäß zur Räumung und Herausgabe der Wohnung. Den Streitwert setzte es auf 11.148,72 € fest. In dem anschließenden Berufungsverfahren stellte das Landgericht München I am 13.06.2024 das Zustandekommen eines Vergleichs fest, der u.a. regelte, dass der Beklagte die Wohnung mit Ablauf des 17.06.2024 räumt und an die Klägerin herausgibt und soweit gesetzlich zulässig auf Räumungsschutz verzichtet. In dem Beschluss wurde der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 11.148,72 € festgesetzt.
4
Hiergegen wendet sich der Beklagtenvertreter mit der Streitwertbeschwerde vom 17.06.2024, mit der die Festsetzung eines Streitwerts von 13.935,90 € beantragt. Er trägt vor, dass bei der Bemessung des Streitwerts der Verzicht des Beklagten auf Räumungsschutz berücksichtigt werden müsse. Es handele sich um einen werthaltigen prozessualen Anspruch. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Beschluss vom 17.06.2024).
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Am 21.06.2024 hat der Senat darauf hingewiesen, dass eine Erhöhung des Streitwerts aus anderen Gründen auf 13.428,72 € erfolgen müsse. Bei dem nach § 41 Abs. 2 GKG maßgeblichen Jahresentgelt müsse eine monatliche Betriebskostenpauschale von 190,- € berücksichtigt werden. Daraufhin hat der Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 26.06.2024 beantragt, den Streitwert auf 16.215,90 € festzusetzen.
II.
6
Die zulässige Beschwerde ist begründet und führt zu einer Abänderung der Streitwertentscheidung.
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1. Die Beschwerde ist zulässig.
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Die Beschwerde gegen die Kostenfestsetzung ist gemäß §§ 68 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 2 GKG statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt im Hinblick auf das bei erfolgreicher Beschwerde zu erwartende Gebührenaufkommen den Betrag von 200,- €. Die Beschwerdefrist nach den §§ 68 Abs. 1 Satz 3, 63 Abs. 3 Satz 2 GKG wurde eingehalten. Der Beklagtenvertreter kann aus eigenem Recht Rechtsmittel gegen die Festsetzung einlegen (§ 32 Abs. 2 RVG).
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2. Die Beschwerde ist zum Teil begründet.
10
a) Die Bewertung des Anspruchs auf Räumung und Herausgabe der Wohnung erfolgt nach § 41 Abs. 2 GKG. Dabei ist die Vorschrift des § 41 Abs. 1 S. 2 GKG entsprechend anzuwenden, sodass auch für den Räumungsstreitwert das Nettogrundentgelt maßgeblich ist, ggf. zuzüglich Nebenkosten, wenn über diese nicht gesondert abzurechnen ist (BeckOK KostR/Schindler, 45. Ed. 1.1.2024, GKG § 41 Rn. 34; BGH NZM 2007, 935). Nach § 3 des Mietvertrags und dem Klagevortrag schuldete der Beklagte zuletzt eine Grundmiete für die Wohnung und die Garage in Höhe von 929,06 € (879,06 € + 50,- €) sowie eine Betriebskostenpauschale von 190,- €. Da die Betriebskosten als Pauschale vereinbart und nicht gesondert abgerechnet wurden, sind sie bei dem Jahresentgelt zu berücksichtigen. Das Jahresentgelt beträgt somit 13.428,72 € [ 12 x (879,06 € + 50,- € + 190,- €) ].
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b) Die Vergleichsregelung über den Verzicht auf Räumungsschutz führt nicht zu einer Erhöhung des Streitwerts oder zu einem Mehrwert des Vergleichs. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats. Der Gegenstand des Vergleichs und damit die Grundlage der Bewertung bestimmt sich danach, worüber der Vergleich geschlossen, d.h. welcher Streit durch den Vergleich beigelegt wird. Unerheblich ist demgegenüber, worauf sich die Parteien verglichen haben, selbst wenn die nach dem Vergleich zu erbringende Leistung wertmäßig über dem verglichenen Anspruch liegt (Kurpat in: Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Auflage 2021, Mietstreitigkeiten Rn. 2.3121). Die Parteien haben sich im Vergleich über die Rückgabepflicht des Mieters verständigt. Der Verzicht auf den Räumungsschutz betrifft lediglich die Modalitäten und die Abwicklung der Rückgabe. Der Vergleichswert kann sich nur auf Ansprüche beziehen, die vor Vergleichsschluss entstanden sind (Kurpat in: Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Auflage 2021, Mietstreitigkeiten Rn. 2.3122 Fußnote 2). Ein Räumungsschutz nach § 794a ZPO setzt jedoch das Bestehen eines Räumungsvergleichs voraus. Eine Wertaddition setzt weiter voraus, dass es sich bei dem zusätzlich geregelten Gegenstand um einen selbständigen und zwischen den Parteien streitigen Anspruch handelt (Kurpat in: Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Auflage 2021, Vergleich Rn. 2.5115). Ein derartiger streitiger Anspruch ist hier nicht gegeben. Die von der Beschwerde zitierte Rechtsprechung des OLG Düsseldorf und des OLG Stuttgart enthält keine vertiefte Begründung zu der Berechtigung der Wertaddition; sie bezieht sich lediglich pauschal auf die Feststellung, dass es sich bei dem Verzicht auf Räumungsschutz um einen eigenen werthaltigen Anspruch handelt. Auf die allgemeinen Bewertungsgrundsätze, die bei einem Vergleich über nicht rechtshängige Ansprüche gelten, gehen die Entscheidungen nicht ein.
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Der Gesetzgeber hat in Kauf genommen, dass im Streitwertrecht divergierende OLG-Entscheidungen ohne eine höchstrichterliche Klärungsmöglichkeit entstehen (§ 68 Abs. 1 S. 5 GKG i.V.m. § 66 Abs. 3 S. 3 GKG). Dies ist zu akzeptieren, da es sich bei der Streitwertfestsetzung lediglich um eine prozessuale Nebenentscheidung handelt.
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3. Die Berichtigung der erstinstanzlichen Festsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 GKG. Wertbestimmend ist zum einer der Räumungsstreitwert (§ 41 Abs. 2 GKG: 13.428,72 €). Zusätzlich ist der zunächst verfolgte Zahlungsanspruch in Höhe von 1.540,- € zu berücksichtigen (3 39 Abs. 1 GKG). Nicht erheblich ist, dass dieser Klageantrag übereinstimmend für erledigt erklärt wurde. Denn für die Wertberechnung ist der Zeitpunkt der den jeweiligen Streitgegenstand betreffenden Antragstellung maßgebend, die den Rechtszug einleitet (§ 40 GKG). Wird der bisherige Antrag ermäßigt, d.h. die Klage teilweise zurückgenommen oder übereinstimmend für erledigt erklärt, so hat dies auf den Wert für die Gerichtsgebühren keinen Einfluss; es bleibt bei dem Wert zu Beginn des Rechtszugs (BeckOK KostR/Schindler, 45. Ed. 1.1.2024, GKG § 40 Rn. 13). Der Streitwert für die erste Instanz beträgt somit 14.969,36 € (13.428,72 € + 1.540,64 €).
III.
14
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).