Inhalt

VG München, Urteil v. 20.09.2024 – M 17 K 22.31582
Titel:

Asylrecht, Herkunftsland: Jemen, Politische Verfolgung, Religiöse Verfolgung, Innerstaatliche Schutzalternative, Flüchtlingseigenschaft (bejaht)

Normenkette:
AsylG § 3
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland: Jemen, Politische Verfolgung, Religiöse Verfolgung, Innerstaatliche Schutzalternative, Flüchtlingseigenschaft (bejaht)
Fundstelle:
BeckRS 2024, 38418

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. Juli 2022 wird in den Nrn. 1, 5 und 6 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger hat am 27. Juli 2022 Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 18. Juli 2022 erhoben.
2
Der Kläger, jemenitischer Staatsangehöriger, arabischer Volkszugehörigkeit und islamischer Religionszugehörigkeit, reiste am 18. September 2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Er stellte am 16. November 2020 einen Asylantrag.
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Am 29. Juni 2022 hörte das Bundesamt den Kläger persönlich an. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er den Jemen 2016 aufgrund des Krieges verlassen habe. Sein Vater sei ein Vertrauter des ehemaligen Präsidenten ... und Führer der Partei „… …“ gewesen und werde von den Huthis deshalb als Gegner betrachtet. Sein Vater habe im Jahr 2006 die Kommunalwahl für die Partei in der Stadt D. gewonnen und stehe seit 2018 unter Hausarrest. Die Huthis hätten gesagt, dass die Kinder der Unterstützer der ehemaligen Regierung an dem Krieg teilnehmen oder Geld zahlen müssten. Er habe Angst davor, im Jemen zu Sterben. Er sei sich sicher, dass ein erzwungenes Verschwinden mit ihm passieren werde. Der Kläger gab an, dass er im Jemen seine Meinung nicht sagen könne. Es gebe dort keine Demokratie. Als er in der Türkei gewesen sei, habe er auf F. Saudi-Arabien zum Nationalfeiertag gratuliert. Zwei oder drei Tage später habe er erfahren, dass Leute bei seinem Vater gewesen seien. Er sei auf F. kritisiert und beleidigt worden. Sie hätten ihm geschrieben, dass sie auf ihn im Jemen warten würden, falls er zurückkehre. Er habe danach seinen Post auf F. gelöscht. Seine Brüder hätten nicht am Krieg teilgenommen. Es gebe die Möglichkeit, in Ruhe gelassen zu werden, wenn man Geld zahle. Die Huthis hätten versucht, seinen Bruder zu überzeugen, aber sein Vater habe es dem Bruder verboten, sich den Huthis anzuschließen. Er sei Muslim und gehe sowohl in die sunnitischen Moscheen als auch in die schiitischen Moscheen. Er unterscheide zwischen den beiden Glaubensrichtungen nicht.
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Die griechischen Behörden teilten mit Schreiben vom 10. November 2020 mit, dass dem Kläger am 20. November 2019 subsidiärer Schutz gewährt worden sei.
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Mit Bescheid vom 18. Juli 2024 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung subsidiären Schutzes ab (Nr. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung in den Jemen oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die durch die Bekanntgabe dieser Entscheidung in Lauf gesetzte Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Nr. 5). Zudem wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es nicht ersichtlich sei, dass der Antragsteller sich häufiger und tiefergehend politisch äußern würde. Aufgrund dessen könne nicht von einer drohenden Verfolgung aufgrund seiner politischen Überzeugung ausgegangen werden. Das Gouvernement D. , aus dem der Kläger stamme, weise eine relativ niedrige Zahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen sowie zivilen Opfern im Verhältnis zur Zivilbevölkerung auf und gelte nach den Erkenntnissen des Bundesamts als relativ sicher. Es sei zu erwarten, dass der Antragsteller im Jemen ein Existenzminimum erreichen könne. Der Antragsteller könne notfalls auf familiäre Unterstützung zurückgreifen.
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Der Kläger erhob mit Schreiben vom 27. Juli 2022, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 18. Juli 2024.
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Zuletzt beantragte die Bevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 12. September 2024:
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I.Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger, unter Aufhebung von Ziffer 1 des Bescheids vom 18. Juli 2022, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II. Hilfsweise: Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger, unter Aufhebung von Ziffer 3 des Bescheids vom 18. Juli 2022, den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
III. Hilfsweise: Die Beklagte wird, unter Aufhebung von Ziffer 4 des Bescheids vom 18. Juli 2022, verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 – 5 und 7 AufenthG bezüglich des Klägers vorliegen.
IV. Hilfsweise: Es wird festgestellt, dass ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 2 AufenthG bezüglich des Klägers vorliegt.
9
Mit Schriftsatz vom 25. August 2024 begründete die Bevollmächtigte des Klägers die Klage im Wesentlichen damit, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Jemen mit Verfolgung, Verhaftung, Folter und Tötung rechnen müsste, da er sich der Rekrutierung durch die Huthi-Milizen entzogen habe, diese in sozialen Medien öffentlich kritisiere und verunglimpfe und seine Ausrichtung des Islam im Jemen nicht akzeptiert werde. Ein Bruder des Klägers sei zwischenzeitlich von den Huthis zwangsrekrutiert worden. Nachdem die Huthis mehrfach erfolglos versucht hätten, den Kläger zu rekrutieren, habe sein Vater ihm zur Ausreise geraten, die der Kläger schließlich 2016 angetreten habe. Auch nach seiner Ausreise hätten die Huthis seinen Vater kontaktiert, um den Kläger zu rekrutieren. Zu diesem Zweck seien sie 2019 gewaltsam in den Laden des Vaters eingedrungen. Von diesem Überfall existiere ein Video. Der Kläger gehöre überdies den so genannten Koranisten an, die den Koran als einzige Quelle für den Islam ansehen würden. Sie würden die Hadithe (Überlieferungen des Propheten ... ) als Grundlage für die Normen- und Verhaltenslehre, die Sunna, sowie daraus entstandene Traditionen und Konventionen ablehnen. Damit befänden sie sich in Opposition zu Islamisten wie den Huthis. Der Kläger gehöre damit zu den „freien Gläubigen“, die insbesondere von islamistischen Gruppen verfolgt würden.
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Insbesondere würde der Kläger im Jemen wegen seiner kritischen öffentlichen Äußerungen gegenüber den Huthis in den sozialen Medien, insbesondere F., verfolgt werden. Nach seiner Flucht aus dem Jemen habe der Kläger in unregelmäßigen Abständen unter seinem Klarnamen kritische und satirische Inhalte gepostet, die sich direkt gegen die Huthis richten würden. Er habe sie darin als Diebe am Volk und Verführer der Jugend bezeichnet und prangere die Rekrutierung von Kindern und Studenten an. Wegen eines Posts zur Rekrutierungspraxis der Huthis in den sommerlichen Universitätsferien sei ein Freund des Klägers namens Z. von Huthi-Anhängern angesprochen und bedroht worden. Dieser Freund habe den Kläger gebeten, seine Posts zum Schutz seiner Familie und seiner Freunde einzustellen. Nach der durch das Bundesamt getroffenen Entscheidung sei zudem der Neffe des Klägers von Huthi-Milizen entführt worden.
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Die Klägerbevollmächtigte reichte diverse Bildschirmfotos des F.-Accounts des Klägers, nebst durch künstliche Intelligenz generierter Übersetzungen, zur Gerichtsakte ein.
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Mit Schriftsatz vom 2. August 2022 beantragte die Beklagte,
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die Klage abzuweisen.
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In der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger informatorisch zu seinem Verfolgungsschicksal angehört. Er gab dabei ergänzend an, dass die Huthis bereits zweimal gekommen seien, um ihn zu rekrutieren. Dies sei im Jahr 2016 gewesen, ungefähr drei bis vier Monate vor seiner Ausreise. Beim ersten Mal hätten die Huthis Geld sammeln wollen, beim zweiten Mal seien sie gekommen, um ihn zu rekrutieren. Der Kläger gab an, dass er seit 2017 kritische Posts auf F. veröffentliche. Teilweise habe er die Posts wieder gelöscht. Ab dem Jahr 2022 habe er nichts mehr gelöscht, da er keine Angst mehr habe. Es sei ihm egal, da er das Gefühl habe, in einem sicheren Land zu leben.
15
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 25. Juli 2024 zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.
16
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, den Inhalt der vorgelegten Behördenakte des Bundesamts sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 12. September 2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über den Rechtsstreit konnte trotz des Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung entschieden werden, da das Bundesamt fristgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen wurde, dass bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne diesen verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage hat Erfolg. Der Bescheid des Bundesamts vom 18. Juli 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit sein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt wurde, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Über die weiteren hilfsweise gestellten Anträge war nicht mehr zu entscheiden.
I.
19
Die Klägerin hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylG.
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1. Der Asylantrag des Klägers ist zulässig, insbesondere steht § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG dem Begehren nicht entgegen. Im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ist (weiterhin) davon auszugehen, dass Schutzberechtigte in der Situation des Klägers in Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ihre elementarsten Bedürfnisse nicht befriedigen können und voraussichtlich für längere Zeit nicht in der Lage sein werden, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu erwirtschaften. Mangels staatlicher und sonstiger Hilfen besteht daher für den Kläger das ernsthafte Risiko, obdachlos zu werden und in eine Situation extremer materieller Not zu geraten, so dass ihm eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK droht (vgl. OVG Saarl, U.v. 15.11.2022 – 2 A 81/22; SächsOVG, U.v. 27.4.2022 – 492/21 A; OVG NRW, B.v. 5.4.2022 – 11 A 314/22.A; VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.1.2022 – A 4 S 2443/21; OVG Bremen, U.v. 16.11.2021 – 1 LB 371/21; OVG Lüneburg, U.v. 19. 4.2021 – 10 LB 244/20; VG Gelsenkirchen, B.v. 23.8.2024 – 18a L 1299/24.A, VG Berlin, U.v. 28.5.2024 – VG 23 K 507/23 A; VG Braunschweig, B.v. 15.6.2023 – 2 B 140/23; VG Bayreuth, B.v. 15.5.2023 – B 7 S 23.30402; VG Bremen, U.v. 23.2.2023 – 5 K 1434/22; VG Kassel, B.v. 23.2.2023 – 7 L 263/23.KS.A; VG Aachen, B.v. 17.2.2023 – 10 L 86/23.A; U.v. 16.12.2022 – 10 K 2266/21.A; VG Würzburg, B.v. 29.2.2024 – W 1 S 24.30257 – jeweils juris m.w.N.; VG Gelsenkirchen, B.v. 7.8.2024 – 18a L 1143/24.A; VG Meiningen, B.v. 5.8.2024 – 2 E 865/24 Me; VG Minden, B.v. 14.8.2024 – 12 L 693/24.A; VG Bayreuth, B.v. 14.2.2023 – B 4 S 23.30113; VG Augsburg, B.v. 7.2.2023 – Au 4 S 23.30105; VG Würzburg, B.v. 6.2.2023 – W 2 S 23.30077 VG München, U.v. 20.8.2024 – M 18 K 23.30534; U.v. 5.8.2024 – M 17 K 24.31085; B.v. 23.8.2024 – M 17 S 24.32627; B.v. 2.1.2024 – M 18 S 23.32113; B.v. 4.12.2023 – M 22 S 23.32311; B.v. 16.10.2023 – M 18 S 23.31959; B.v. 27.9.2023 – M 17 S 23.31899; B.v. 7.8.2023 – M 18 S 23.31125; B.v. 28.6.2023 – 17 K 23.31155; B.v. 11.5.2023 – 18 S 23.30535; B.v. 21.3.23 – 28 S 23.30542; B.v. 8.3.2023 – 15 S 23.30435; U.v. 24.1.2023 – 17 K 20.32064; U.v. 16.1.2023 – 21a K 19.34267, U.v. 30.11.2022 – 6 K 22.31553, GB.v. 15.11.2022 – 18 K 20.32814; – jeweils unveröffentlicht). In der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ist im Nachgang zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. und B.v. 13.11.2019 – C-540/17 u.a., Hamed u.a. – juris) geklärt, dass Verstöße gegen Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK im Mitgliedstaat der anderweitigen Schutzgewährung zur Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung führen (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2020 – 1 C 4.19 – juris Rn. 36).
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2. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
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Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (Nr. 1), in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2). Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Verfolgung muss stattfinden, weil der Verfolger dem Ausländer das in Rede stehende Merkmal, z.B. eine bestimmte politische Überzeugung, zuschreibt. Ist dies der Fall, kommt es weder darauf an, ob der Betroffene die ihm zugeschriebene Überzeugung tatsächlich aufweist (§ 3b Abs. 2 AsylG) noch ob er aufgrund dieser tatsächlich tätig geworden ist (§ 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG).
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Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
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Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die oben genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen. Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft in Orientierung an der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK („real risk“) der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen, wie er in Art. 2 Buchst. d) RL 2011/95/EU in der Umschreibung „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ zu Grunde liegt (vgl. BVerwG, U.v. 1.3.2012 – 10 C 7.11 – juris Rn. 12). Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32). Wenn sich aus den Gesamtumständen des Falles die reale Möglichkeit einer Verfolgung ergibt, riskiert kein verständiger Mensch die Rückkehr in das Herkunftsland. Bei der Abwägung aller Umstände bezieht der verständige, besonnen und vernünftig denkende Betrachter auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in gewissem Umfang ein (vgl. BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9C 118/90 – juris Rn. 17). Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung bereits vor der Ausreise im Herkunftsstaat (Vorverfolgung) als auch gemäß Art. 28 Abs. 1a AsylG auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchtgründe). Für die Flüchtlingseigenschaft müssen letztere – anders als bei der Asylanerkennung – nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem erfolglosen Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur. Auch soweit die begründete Furcht vor Verfolgung auf Nachfluchtgründen beruht, reicht es bei der Prüfung der Verfolgungsgründe aus, wenn diese Merkmale dem Asylantragsteller von seinem Verfolger zugeschrieben werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris Rn. 41).
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Das Gericht muss dabei sowohl von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals als auch von der Richtigkeit der Prognose drohender Verfolgung bzw. Schadens die volle Überzeugung gewinnen. Wegen der häufig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Asylbewerbers kann schon allein sein eigener Sachvortrag zur Asylanerkennung führen, sofern sich das Tatsachengericht unter Berücksichtigung aller Umstände von dessen Wahrheit überzeugen kann (BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris Rn. 3). Dem persönlichen Vorbringen des Rechtssuchenden und dessen Würdigung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Es ist Sache des Ausländers, die Gründe seiner Verfolgung und Bedrohung in schlüssiger Form vorzutragen (vgl. §§ 15, 25 AsylG). Dabei hat er unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei dessen Wahrunterstellung ergibt, dass er bei verständiger Würdigung Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den in seine eigene Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Asylanspruch lückenlos zu tragen (BVerwG, B.v. 26.10.1989 – 9 B 405.89 – juris Rn. 8).
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3. Nach Maßgabe dieser Grundsätze sind im Falle des Klägers die Voraussetzungen für die Gewährung von Flüchtlingsschutz erfüllt. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger sein Heimatland wegen bereits erlittener oder unmittelbar drohender individueller Verfolgung verlassen hat. Zu seinen Gunsten ist jedenfalls ein Nachfluchtgrund gegeben. Der Kläger hat aufgrund seiner Posts auf seinem öffentlichen F.-Profil, in denen er unter seinem Klarnamen Kritik an den Huthis übt, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Anknüpfung an seine tatsächliche oder jedenfalls vermutete politische Überzeugung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 4 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5 AsylG) in durch die Huthis kontrollierten Landesteilen mit Verfolgungsmaßnahmen zu rechnen.
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Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel zeigen, dass Oppositionelle, Journalisten und auch Individuen, die bloße Kritik an den Huthis üben, mit gewaltsamer Verfolgung rechnen müssen. Es ist bekannt, dass die Huthis missliebige Meinungen systematisch unterdrücken. Alle Kriegsparteien zensieren und kontrollieren Medienberichte. Die Huthis sperren regelmäßig bestimmte Webseiten und Onlinedienste. Es kommt weit verbreitet zu willkürlichen Verhaftungen, Verhören, Misshandlungen, Folter, erzwungenem Verschwinden und Todesurteilen nach unfairen Gerichtsverfahren (Amnesty International, The State of the World’s Human Rights, 4.2024, S. 410; Mwatana for Human Rights, Politicized judiciary sentences Yemenis to death without due process, 11.6.2024; US DOS, Yemen 2023 Human Rights Report, S. 11 ff.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 9.8.2023, S. 23 f., 27 f.). Auch in den sozialen Medien verübte Kritik wird durch die Huthis registriert und verfolgt. So wurde im Januar 2023 bekannt, dass drei YT festgenommen wurden und zu Geld- und Haftstrafen verurteilt wurden. Die YT hatten den Huthis in ihren Videos Korruption sowie Ausbeutung der jemenitischen Bevölkerung vorgeworfen und wurden daraufhin verhaftet und wegen Verbreitung von Falschinformationen, Aufwiegelung der Bevölkerung sowie Verletzung des öffentlichen Interesses angeklagt (BAMF, Briefing Notes Zusammenfassung, Jemen – Januar bis Juni 2023, 30.6.2023). Der Journalist ... wurde wegen Äußerungen auf seinem privaten F.-Account belangt. Die Journalisten ... wurden acht Jahre lang festgehalten und wurden zum Tode verurteilt, bevor sie im Rahmen eines Gefangenenaustauschs freikamen (Reporter ohne Grenzen, Vier Journalisten entkommen der Todesstrafe, 20.4.2023). Regelmäßig werden Geständnisse unter Folter erlangt und unverhältnismäßig harte Strafen, wie die Todesstrafe, ausgesprochen.
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Das F.-Profil des Klägers ist öffentlich einsehbar und weist über 8.000 angezeigte „Freunde“ auf. Der Kläger hat auf seinem Profil seit Juli 2022 regelmäßig Posts unter seinem Klarnamen verfasst, welche die Huthis und ihren Verbündeten, den Iran, sowie die allgemeine politische Lage im Land kritisieren. In seinen Posts kritisiert der Kläger mittels umfangreicher Wortbeiträge in arabischer Sprache, in denen er auch auf andere Medien verweist und oft Bildmaterial anfügt, unter anderem die Indoktrinierung von Kindern an den Schulen, die Korruption und Lügen der Huthis und die schlechten Lebensbedingungen der jemenitischen Bevölkerung. Sein im Profilbanner sichtbares Foto ist mit der amerikanischen Flagge unterlegt. Diese Zurschaustellung pro-amerikanischer Sympathien ist angesichts dessen, dass die Vereinigten Staaten die saudische Koalition, welche gegen die Huthis kämpft, unterstützt, ein Zeichen der Opposition gegen die Huthis. Unter Berücksichtigung der hervorgehobenen politischen Stellung seines Vaters in der Herkunftsregion des Klägers und der hohen Anzahl an „Freunden“ seines F.-Profils, erscheint es, auch mit Blick auf den doch erheblichen Zeitablauf von acht Jahren seit seiner Ausreise, beachtlich wahrscheinlich, dass die kritischen Posts des Klägers von den Huthis registriert wurden und ihnen insoweit bekannt sind. Auch ist einer der Brüder des Klägers nach den insofern glaubhaften Angaben des Klägers für die Huthis tätig, sodass die Rückkehr des Klägers mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit registriert würde und dazu führen würde, dass eine erhebliche Gefahr besteht, dass der Kläger festgenommen, verhört und Gewalt gegen ihn verübt wird.
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4. Eine Verfolgung des Klägers infolge seiner religiösen Überzeugung gem. § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat der Kläger hingegen nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
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Beeinträchtigungen wegen der Religionsausübung können eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung begründen. Wann die Qualität einer Verfolgungshandlung erreicht wird, hängt von objektiven und subjektiven Gesichtspunkten ab (vgl. EuGH, U.v. 5.9.2012 – C-71/11 und C-99/11 – juris Rn. 70; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 28 ff.). Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohende Verletzung anderer Rechtsgüter. Die erforderliche Schwere kann insbesondere erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, nach der tatsächlichen Strafverfolgungspraxis (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 28) im Herkunftsland strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
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Als relevanter subjektiver Gesichtspunkt ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Dies setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 25 ff. m.w.N.; BVerfG, B.v. 3.4.2020 – 2 BvR 1838/15 – juris Rn. 26 ff. m.w.N.). Demgegenüber reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsland der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde.
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Maßgeblich ist also, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist. Es kommt damit auf die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen an, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen drohender Sanktionen zu verzichten.
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Zwar hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass er der Glaubensrichtung der Koranisten anhängt, welche den Schriften des Korans maßgebliche Bedeutung zuweisen und die Hadithe als Quell ihres Glaubens abweisen. Allerdings ist für die erkennende Einzelrichterin keine verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung erkennbar, aufgrund derer dem Kläger im Jemen eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung drohen würde. Es ist weder erkennbar noch vorgetragen, dass der Kläger sich aufgrund seiner Glaubensrichtung islamischen Glaubensritualen derart entziehen würde oder in einer Weise an ihnen teilnehmen würde, dass mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit oder strafrechtlicher Verfolgung zu rechnen ist. Der Kläger gab lediglich an, dass er sowohl in sunnitischen als auch schiitischen Moscheen bete und den Geburtstag des Propheten nicht feiere.
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5. Der Kläger kann nicht auf von der Regierung kontrollierte Gebiete im Süden des Jemens als inländische Fluchtalternative nach § 3e Abs. 1 AsylG verwiesen werden.
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Die Flüchtlingseigenschaft wird gem. § 3e Abs. 1 AsylG nicht zuerkannt, wenn dem Schutzsuchenden in einem Teil seines Herkunftslandes keine Verfolgung droht oder er Zugang zu Schutz hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und von ihm vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Das setzt voraus, dass dem Schutzsuchenden dort nicht andere, unzumutbare Nachteile drohen. Dabei sind auch nicht verfolgungsbedingte Gefahren zu berücksichtigen. Zumutbar ist eine Rückkehr insbesondere nur dann, wenn der Ort der inländischen Schutzalternative ein wirtschaftliches Existenzminimum ermöglicht. Nicht mehr gesichert ist das wirtschaftliche Existenzminimum, wenn der Ausländer am Ort der inländischen Fluchtalternative bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise auf Dauer ein Leben zu erwarten hat, das zu Hunger, Verelendung und schließlich zum Tode führt, oder wenn er dort nichts Anderes zu erwarten hat als ein „Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums (vgl. BVerwG, B.v. 17.5.2006 – 1 B 100/05 – juris Rn. 11; BVerwG, B.v. 21.5.2003 – 1 B 298/02 – juris Rn. 3; U.v. 1.2.2007 – 1 C 24/06 – juris Rn. 11; U.v. 31.3.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 20).
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Aufgrund der individuellen Umstände des Klägers ist die erkennende Einzelrichterin nicht davon überzeugt, dass sich der Kläger im Süden des Jemens zumutbar an einem Ort niederlassen kann, an dem ihm keine Verfolgung und kein ernsthafter Schaden droht und an dem er sein Existenzminimum sicherstellen kann. In der Gesamtschau stellen die Herkunft des Klägers aus von den Huthis kontrollierten Gebieten, die politische Vergangenheit seines Vaters und seine offen nach außen gelebte politische Einstellung besondere individuelle Umstände dar, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erhebliche Diskriminierung und gewaltsame Verfolgung im Süden des Jemen erwarten lassen.
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Im Süden des Jemens besteht ein Klima der politischen Instabilität und Unsicherheit. Ein einheitlicher Nationalstaat existiert im Jemen nicht mehr, die Regierung hat die Kontrolle über weite Teile des Landes verloren. Die international anerkannte Regierung ist fragmentiert und intern zerstritten. Der Konflikt im Land hat dazu geführt, dass es in vielen Gebieten keine funktionierenden Regierungsinstitutionen gibt, was zu einem Machtvakuum und einer Verbreitung bewaffneter Gruppen geführt hat (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Stand 9.8.2023, S. 9). Nichtstaatliche Akteure wie die Huthis, Stammesmilizen und terroristische Gruppen (darunter al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel und ein lokaler Ableger des Islamischen Staates) begehen ungestraft Übergriffe. Wirksame Mechanismen zur Untersuchung und Verfolgung von Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte fehlen (US DOS, Yemen 2023 Human Rights Report, S. 11 ff.; BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, 9.8.2023, S. 11).
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Infolgedessen ist die jemenitische Staatsgewalt in vielen Gebieten des Südjemens schwach und kann keinen hinreichenden Schutz vor Verfolgung bieten (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 9.8.2023, S. 8 ff.). Es wird auch in von der international anerkannten Regierung und in von dem Südlichen Übergangsrat kontrollierten Gebieten von willkürlichen Verhaftungen, Bedrohungen und Verfolgung von Journalisten und politischen Oppositionellen berichtet (Amnesty International, The State of the World’s Human Rights, 4.2024, S. 410; US DOS, Yemen 2023 Human Rights Report, S. 17 ff., 25 ff.). Viele Gebiete im Süden des Jemens werden durch lokale Milizen oder Sicherheitskräfte kontrolliert, deren politische Loyalitäten schwer vorherzusehen sind. Insbesondere Individuen, denen eine Nähe zu den Huthis nachgesagt wird, sind aufgrund des fragilen politischen Klimas davon bedroht, verhört oder festgenommen zu werden. Für Personen, die wegen ihres Namens, Familiennamens, Geburtsortes oder Dialekts als Unterstützer der anderen Seit betrachtet werden, besteht das Risiko, insbesondere bei Reisen vom Norden in den Süden des Landes, von Sicherheitskräften durchsucht, erpresst und rassistisch beleidigt zu werden (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Jemen: Aden: Aktuelle Kontrolle der Stadt Al-Bayda; Berichte zu Übergriffen auf Personen in Aden aufgrund ihrer Herkunft aus Al-Bayda, 20.3.2023). Besteht der Verdacht, dass Personen den Huthis angehören, kann es zu Verhören, Demütigungen, Verhaftungen, Morddrohungen und manchmal auch Folter kommen. An Grenzposten werden Handys von Reisenden überprüft, wobei auch gelöschte Fotos und Dateien wiederhergestellt werden. Die international anerkannte Regierung überwacht und zensiert überdies auch Aktivitäten im Internet. Das Risiko ist hoch, aufgrund Äußerungen im Netz und damit einhergehender (vermuteter) politischer Opposition, zum Ziel von Repression zu werden (US DOS, Yemen 2023 Human Rights Report, S. 28). So wurde etwa der Schriftsteller ... aufgrund seiner auf den sozialen Medien veröffentlichten Äußerungen in der von der international anerkannten Regierung kontrollierten Stadt Ma. festgenommen und wird weiterhin ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten (US DOS, Yemen 2023 Human Rights Report, S. 12).
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Der Kläger hat in einigen seiner Posts auf F. die allgemeine politische Lage und die Missstände im Jemen stark kritisiert. Seine Posts richten sich damit nicht allein gegen die Huthis, sondern auch gegen die international anerkannte Regierung. Auch hat der Kläger lange im Ausland gelebt. In der Zusammenschau führt dies, angesichts der instabilen Lage und des allgemeinen Misstrauens im Süden des Yemens, zu einer besonderen Auffälligkeit des Klägers und lässt eine Verfolgung aufgrund vermuteter politischer Opposition beachtlich wahrscheinlich erscheinen. Aufgrund des erheblichen Misstrauens, der Fremden und Reisenden im Süden des Jemens entgegengebracht wird, ist davon auszugehen, dass die jeweiligen Ortskräfte Nachforschungen, etwa in Form von Internetrecherchen oder eines Verhörs, anstellen würden.
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Zudem haben sich insbesondere in von den Huthis kontrollierten Gebieten Mitglieder der Partei „… …“ den Huthis angeschlossen (US DOS, Yemen 2023 Human Rights Report, S. 39), sodass die ehemalige Parteizugehörigkeit des Vaters des Klägers eine Nähe zu den Huthis vermuten lässt. Hinzukommt, dass seine Familie weiterhin in einem von den Huthis kontrollierten Gebiet lebt und einer seiner Brüder sich zum Schein den Huthis angeschlossen hat. Es ist daher davon auszugehen, dass die politische Vergangenheit des Vaters und die familiären Bindungen des Klägers in die von den Huthis kontrollierten Gebiete weitere Anhaltspunkte darstellen, die zu Misstrauen, Überwachung und gewaltsamer Verfolgung durch die jeweiligen Ortskräfte führen würden, zumal der Kläger im Süden des Jemens über keine Familien- oder Stammesangehörigen verfügt, die ihm Schutz bieten können.
II.
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Infolge der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes nach § 3 AsylG waren auch die Abschiebungsandrohung sowie das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben (Nrn. 5 und 6 des Bescheids; vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG).
III.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
IV.
43
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.