Titel:
Vorläufiger Rechtsschutz (abgelehnt), Hilfe für junge Volljährige, Eingliederungshilfe in Form der Übernahme des Schulgelds für Fernschulbesuch
Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
SGB VIII § 41
SGB VIII § 35a
SGB IX § 90 Abs. 4
SGB IX § 112 Abs. 1 Nr. 1
Schlagworte:
Vorläufiger Rechtsschutz (abgelehnt), Hilfe für junge Volljährige, Eingliederungshilfe in Form der Übernahme des Schulgelds für Fernschulbesuch
Fundstelle:
BeckRS 2024, 38413
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt von dem Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung, ihr vorläufig Hilfe für junge Volljährige in Form von Übernahme der Kosten für den Besuch der sog. F.-Fernschule zu gewähren.
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In dem Entlassungsbericht der S.-Klinik vom 8. März 2022 über die stationäre Behandlung der am 24. November 2004 geborenen Antragstellerin vom 19. Januar 2022 bis 5. Februar 2022 wurden auf Achse I soziale Phobien (ICD-10 F 40.1) sowie eine posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) diagnostiziert. Auf Achse V wurde eine „psychische Störung / abweichendes Verhalten eines Elternteils (2.0)“ und auf Achse VI eine mäßige soziale Beeinträchtigung (Stufe 3) festgehalten.
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In einer fachärztlichen Bescheinigung vom 15. Juni 2022 wurden bei der Antragstellerin eine emotionale Störung des Kindesalters mit Trennungsangst (ICD-10 F 93.0), soziale Phobie (ICD-10 F 40.1), eine Agoraphobie mit Panikstörung (ICD-10 F 40.1) sowie eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F 43.1) diagnostiziert. Aufgrund mehrerer stationärer Aufenthalte und der langen Psychotherapie habe sich der Zustand der Antragstellerin inzwischen so deutlich gebessert, dass sie sich selbst in der Lage sehe, ihren Schulabschluss nachzuholen. Aus therapeutischer Sicht bestünden deshalb gute Voraussetzungen, einen erneuten Schulversuch zu starten. „Zumindest aktuell“ sei aufgrund der großen Komplexität des Krankheitsbildes ein Online-Format vorzuziehen bzw. der Besuch der F.-Fernschule im Sinne der Möglichkeit zur Teilhabe an Bildung dringend zu empfehlen.
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Mit Bescheid vom 8. August 2022 bzw. Verlängerungsbescheid vom 11. November 2022 gewährte der Antragsgegner der Antragstellerin für das Schuljahr 2022/2023 Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form von Übernahme der Kosten für eine individuelle Lernförderung über die F.-Fernschule.
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Im Juni 2023 absolvierte die Antragstellerin über die Fernschule erfolgreich den qualifizierenden Abschluss der Mittelschule.
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Im Hilfeplan vom 31. August 2023 hielt der Antragsgegner u.a. fest, dass der Schulabschluss L. Sicherheit und Perspektive gebe. L. hätte gemerkt, was sie schaffen und leisten kann. Sie hätte entschieden, nicht weiter die Schule zu machen, sondern Kontakt mit der Arbeitsagentur aufgenommen, da sie eine Ausbildung machen wolle. Die Weiterführung der Jugendhilfe würde L. aktuell nicht wollen. Als Vereinbarung wurde die Klärung, ob L. eine Wohnung in E. nimmt, festgehalten sowie, dass L. Rückmeldung gibt, wie sie sich entscheidet.
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Mit E-Mail vom 27. März 2024 stellte die Antragstellerin bzw. mit E-Mail vom 12. April 2024 deren Vater bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Übernahme der Schulkosten für den Besuch der F.-Fernschule für einen Mittelschulabschluss.
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Zur Begründung wurde in der Mail des Vaters ausgeführt, dass L. an Schulangst und Sozialphobie leide und keine reguläre Schule besuchen könne. Nach dem „Quali“ habe L. eine Pause benötigt. Einer Ausbildung sehe sich L. nicht gewachsen und wolle daher den Realschulabschluss auf dem schulischen Weg erreichen.
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Mit Bescheid vom 21. Mai 2024 lehnte der Antragsgegner die Hilfe ab, da die Weiterführung der F.-Fernschule als nicht zielführend erachtet werde. Es sei unstrittig, dass die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII erfüllt seien. Der „Quali“ sei auch innerhalb der Eingliederungshilfe erreicht worden. Aus fachlicher Sicht erfülle die Weiterführung der F.-Fernschule jedoch nicht die Voraussetzungen des § 41 SGB VIII, denn die Teilhabe in der Gesellschaft und soziale Teilhabe könnten durch einen weiteren Abschluss nicht erreicht werden.
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Am 16. Juni 2024 erhob die Antragstellerin Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid des Antragsgegners und begründete diesen mit Schreiben vom 7. Juli 2024 damit, dass das Ziel, ein eigenständiges Leben zu führen, noch nicht gänzlich gelungen sei und noch einige Zeit beanspruchen werde. Die Eignung der Maßnahme F.-Fernschule habe sich durch den erfolgreichen Abschluss eines „Quali“ bestätigt. Die Ablehnung der Kostenübernahme bedeute einen Rückschlag für die Teilhabemöglichkeit am gesellschaftlichen Leben. Abfragen und die Einbeziehung einer aktuellen Stellungnahme der behandelnden Psychologin hätten nicht stattgefunden.
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Im Vorlageschreiben des Antragsgegners an die Widerspruchsbehörde vom 24. Oktober 2024 wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Versuch, eine Ausbildung nach dem Schulabschluss zu beginnen, aufgrund der ärztlich bescheinigten Einschränkungen nach eigener Aussage der Antragstellerin nicht möglich gewesen wäre; ihrer Aussage nach würde der Erwerb eines höheren Schulabschlusses (Mittlere Reife) ihre Ausbildungschancen verbessern. Ziel der begehrten Maßnahme wäre demnach ausschließlich die Verbesserung der beruflichen Chancen aufgrund eines angestrebten Realschulabschlusses, nicht aber die Entwicklung der Persönlichkeit hin zu einer verselbstständigen Wahrnehmung der Lebensführung. Der verminderten sozialen Teilhabe aufgrund von Sozialphobie werde durch den Besuch der F.-Fernschule nicht begegnet. Es sei zu erwarten, dass trotz der begehrten Beschulung die durch die Sozialphobie bedingte Teilhabebeeinträchtigung nicht zu einer Befähigung zur eigenverantwortlichen Lebensführung führen, sondern sich vielmehr im Arbeitsleben fortsetzen werde.
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Mit bei Gericht am 15. November 2024 eingegangenem Fax erhob die Antragstellerin Untätigkeitsklage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 21. Mai 2024 (M 18 K 24.6813). Außerdem beantragte die Antragstellerin,
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die Behörde im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihr rückwirkend ab dem 1. November 2024 einstweilen mindestens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache den Besuch der F.-Fernschule wie beantragt zu bezahlen.
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Zur Begründung trug sie u.a. vor, dass für ihren weiteren Lebensweg entscheidend sein werde, ob die mit dem „Quali“ (Abschlussnote 2,2) gemeisterte Schulausbildung fortgesetzt werden könne. Es bestehe die Gefahr, dass dies später nicht mehr gelingen werde. Ein Mensch wie die Antragstellerin verliere andernfalls das Vertrauen in sich selbst und den Glauben in die Zukunft. Das Schuljahr laufe bereits, die Antragstellerin drohe, den Anschluss an das Schuljahr zu verlieren.
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Mit Schriftsatz vom 21. November 2024 beantragte der Antragsgegner,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden sei. Die Antragstellerin habe eine Dringlichkeit nicht dargelegt. Soweit Leistungen für die Vergangenheit begehrt würden, fehle bereits von vornherein ein Anordnungsgrund. Im Übrigen seien keine hinreichenden Nachteile der Antragstellerin zu befürchten. Finanzielle Nachteile würden nicht ausreichen. Es sei ohne weiteres möglich, dass die Antragstellerin sich selbst beschulen lässt. Außerdem wäre eine nachträgliche Kostenübernahme möglich. Es sei nicht ersichtlich, warum eine Fortsetzung der Beschulung nur jetzt hilfreich wäre, zumal ein Jahr zwischen dem erfolgreichen Abschluss der Mittelschule und der Antragstellung vergangen sei.
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Auch ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Der Antragstellerin stehe kein Anspruch auf Eingliederungshilfe für junge Volljährige in Form von Bewilligung der Kostenübernahme für die F.-Fernschule nach §§ 41, 35a Abs. 2 Satz 1 SGB VIII zu. Die Maßnahme sei nicht geeignet, da durch die Weiterführung der Fernbeschulung keine Verselbständigung der Antragstellerin erzielt werde. Im Übrigen werde vollinhaltlich auf die Begründung der Widerspruchsvorlage Bezug genommen.
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Mit bei Gericht am 21. November bzw. 27. November 2024 per Fax eingegangenen Schreiben ergänzte die Antragstellerin, dass sie mit Blick auf ihr Krankheitsbild der Realität einer Ausbildung inklusive Präsenz-Berufsschule nicht gewachsen sein werde. Erst mit dem Realschulabschluss würde sich für die Antragstellerin die Möglichkeit eröffnen, einer qualifizierten Tätigkeit nachzugehen und andererseits soziale Kontakte in größerem Umfang zu minimieren. Wenn der Antragstellerin mitgeteilt werde, für sie sei der Mittelschulabschluss genug, fühle sie sich dadurch abgewertet. Das Bemühen der Antragstellerin werde von dem Antragsgegner nicht gewürdigt. Es wäre eine negative Weichenstellung für das Leben der Antragstellerin, wenn ihr der weitere schulische Weg verbaut würde.
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Die Antragstellerin könnte die Maßnahme überdies nicht selbst finanzieren, sie verfüge weder über ein eigenes Einkommen noch über ein nennenswertes Vermögen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und im Verfahren M 18 K 24.6813 sowie auf die elektronisch vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg.
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Eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
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Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.
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Der Antrag war sachgerecht dahingehend auszulegen, dass die Antragstellerin die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners mindestens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auf Bewilligung einer Leistung für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII in Form der Kostenübernahme der F.-Fernschule begehrt. Denn im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens kann regelmäßig kein Anspruch auf Kostenerstattung einer – ggf. selbst beschafften – Hilfemaßnahme begehrt werden, da insoweit bereits regelmäßig keine besondere Eilbedürftigkeit vorliegt.
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Nach § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII erhalten junge Volljährige geeignete und notwendige Hilfe, wenn und solange ihre Persönlichkeitsentwicklung eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbständige Lebensführung nicht gewährleistet. Die Hilfe wird in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt; in begründeten Einzelfällen soll sie einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus fortgesetzt werden, § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Für die Ausgestaltung der Hilfe gelten nach § 41 Abs. 2 SGB VIII § 27 Abs. 3 und 4 sowie die §§ 28 bis 30, 33 bis 36, 39 und 40 SGB VIII entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Personensorgeberechtigten oder des Kindes oder des Jugendlichen der junge Volljährige tritt.
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Nach §§ 41 Abs. 2 i.V.m. §§ 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. §§ 90 Abs. 4 SGB IX ist es insbesondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, Leistungsberechtigten eine ihren Fähigkeiten und Leistungen entsprechende Schulbildung und schulische und hochschulische Aus- und Weiterbildung für einen Beruf zur Förderung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen.
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Dementsprechend erhalten nach § 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 112 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX Leistungsberechtigte Hilfen zu einer Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu (vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 2). Eingeschlossen sind mithin Hilfen über die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht hinaus (vgl. BeckOK SozR/Kellner, 74. Ed. 1.9.2024, SGB IX § 112 Rn. 11). Die Hilfen umfassen dabei ausnahmsweise auch die Übernahme der Aufwendungen für den Besuch einer Privatschule, wenn selbst unter Einsatz unterstützender Maßnahmen keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf eines jungen Menschen im Rahmen des öffentlichen Schulsystems zu decken, diesem also der Besuch einer öffentlichen Schule aus objektiven oder aus schwerwiegenden subjektiven (persönlichen) Gründen unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. BVerwG, B. v. 17.2.2015 – 5 B 61.14 – juris Rn. 4) bzw. wenn eine bedarfsdeckende Hilfe im öffentlichen Schulwesen nach den konkreten Umständen des Einzelfalles nicht rechtzeitig realisierbar ist (BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 3; BVerwG, U. v. 18.10.2012 – 5 C 21/11 – juris Rn. 39).
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Die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Maßnahme unterliegt dabei einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess unter Mitwirkung der Fachkräfte des Jugendamts und des betroffenen Hilfeempfängers, der nicht den Anspruch objektiver Richtigkeit erhebt, sondern vielmehr eine angemessene Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation beinhaltet, die fachlich vertretbar und nachvollziehbar sein muss (sog. sozialpädagogische Fachlichkeit). Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich in diesem Fall darauf, dass allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet worden, keine sachfremden Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen und die Leistungsadressaten in umfassender Weise beteiligt worden sind. Die Entscheidung über die Geeignetheit und die Notwendigkeit einer bestimmten Hilfemaßnahme ist daher nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüfbar (st. Rspr., vgl. bspw. BVerwG, U.v. 9.12.2014 – 5 C 32.13- juris Rn. 30).
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Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes muss der Antragsteller im Hinblick auf diesen Beurteilungsspielraum darlegen und glaubhaft machen, dass allein die beanspruchte Hilfemaßnahme zur Deckung des Hilfebedarfs erforderlich und geeignet, mithin fachlich vertretbar ist. Richtet sich der Anspruch auf die Übernahme der Kosten einer Privatschule, setzt die Hilfegewährung aufgrund des Nachrangs der Jugendhilfe nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII voraus, dass keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf des jungen Volljährigen im Rahmen des öffentlichen Schulsystems zu decken (vgl. OVG NRW, B.v. 15.11. 2021 – 12 B 1369/21 – juris Rn. 16 ff. sowie B.v. 10.5.2021 – 12 A 4092/19 – juris Rn. 6 f.; BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 12 AE 15.1691 – juris Rn. 32).
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Gemessen hieran hat die Antragstellerin vorliegend nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihre Beschulung im staatlichen Regelschulsystem aktuell unmöglich wäre bzw. dass allein eine Beschulung auf der F.-Fernschule den Zielen der Hilfe für junge Volljährige in Form der Eingliederungshilfe im vorliegenden Einzelfall Rechnung tragen würde.
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Auch wenn nach summarischer Prüfung erhebliche Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der ablehnenden Entscheidung durch den Antragsgegner bestehen, führt dies vorliegend nicht zu einem Anspruch der Antragstellerin auf die begehrte Leistung.
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Auch von dem Antragsgegner wird offenbar nicht in Abrede gestellt, dass die Antragstellerin zum berechtigten Personenkreis nach § 41 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 35a SGB VIII gehört. Allerdings sieht der Antragsgegner die gewünschte Maßnahme nicht als geeignet an.
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Diese Beurteilung liegt jedoch nicht im Rahmen der sozialpädagogischen Fachlichkeit. Der Antragsgegner hat es bereits fehlerhaft unterlassen, vor der Entscheidung ein ordnungsgemäßes Hilfeplanverfahren durchzuführen und die Antragstellerin im Hinblick auf die geeignete und erforderliche Hilfe zu beraten. Zudem hat er den Hilfebedarf zwar offenbar angenommen, jedoch nicht hinreichend ermittelt und darauf beruhend andere geeignete Hilfen vorgeschlagen. Schließlich kann sich der Antragsgegner auch nicht darauf zurückziehen, dass die F.-Fernschule nicht geeignet wäre, um der Antragstellerin Teilhabe in der Gesellschaft bzw. soziale Teilhabe zu ermöglichen. Vielmehr bezieht sich die nach § 35a SGB VIII zu leistende Hilfe auf eine den individuellen Fähigkeiten und Leistungen des Leistungsberechtigten entsprechende und angemessene Schul- und Weiterbildung (vgl. § 90 Abs. 4 SGB IX). Dass sich die Zielsetzung der Antragstellerin, deren schulische Laufbahn nach der Grundschule auf dem Gymnasium D. begonnen hatte, die mittlere Reife zu absolvieren, als in diesem Sinne unangemessen darstellen könnte, ist für das Gericht weder ersichtlich noch von dem Antragsgegner vorgetragen.
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Es obliegt daher dem Antragsgegner, umgehend diese Versäumnisse nachzuholen und auf Grund einer aktuellen Bedarfsfeststellung ggf. geeignete Hilfen anzubieten.
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Ohne eine Bedarfsfeststellung kann jedoch auch das Gericht im vorliegenden Eilverfahren den Bedarf der Antragstellerin nicht hinreichend beurteilen und feststellen, ob die begehrte Hilfe entsprechend den oben genannten Ausführungen die für die Antragstellerin allein geeignete Hilfe darstellt.
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Insoweit wäre es an der Antragstellerin gelegen darzulegen, dass es unzumutbar ist, an einer Regelschule beschult zu werden. Denn eine Übernahme von Kosten für eine Privatschule setzt im Speziellen voraus, dass auch unter Einsatz unterstützender Maßnahmen keine Möglichkeit besteht, den Hilfebedarf im Rahmen des öffentlichen Schulsystems zu decken. Denn die Vermittlung einer angemessenen Schulbildung ist nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII zunächst Angelegenheit des Allgemeinschulsystems. Der Besuch einer Privatschule kann also nur dann eine erforderliche Maßnahme sein, wenn das öffentliche Schulsystem versagt hat (vgl. hierzu bereits VG München, B.v. 24.3.2020 – M 18 E 20.258 – juris Rn. 53; vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 19.11.2024 – 12 CE 24.1695 – juris Rn. 3). An einem dahingehenden Vortrag bzw. einer Glaubhaftmachung fehlt es vorliegend jedoch.
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Es liegen bereits weder aktuelle fachärztliche Stellungnahmen noch Berichte der behandelnden Therapeutin vor, aus denen sich hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass eine Regelbeschulung der Antragstellerin, auch unter Einsatz sämtlicher Hilfemaßnahmen, derzeit nicht möglich wäre. Der fachärztlichen Bescheinigung vom 15. Juni 2022 ist dahingehend vielmehr (einschränkend) zu entnehmen, dass „zumindest aktuell“ ein Online-Format vorzuziehen wäre. Dass sich an den zugrundeliegenden Diagnosen der Antragstellerin nichts geändert haben dürfte, wovon auch der Antragsgegner ausgeht, lässt im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts jedoch nicht den Rückschluss zu, dass sich der Hilfebedarf wie im Jahr 2022 bzw. so darstellt, dass ausschließlich eine Beschulung auf der F.-Fernschule geeignet und erforderlich wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Entwicklung der Antragstellerin im Jahr 2023 zuletzt eine deutlich positive war. Ausweislich eines in den Behördenakten befindlichen Mailverlaufs zwischen der Psychologin Frau F. und dem Antragsgegner vom März 2023 sei die Antragstellerin mit ihrem Wochenpensum gut zurechtgekommen und habe auch einen Schulbesuch vor Ort in Bamberg ohne persönliche Zwischenfälle bewältigt. Die Antragstellerin würde sehr gut und effektiv mit den erlernten Stressregulationsmethoden umgehen und diese für sich nutzen können. Es spricht daher vieles dafür, dass sich die aktuelle Situation der Antragstellerin von der den Arztberichten im Jahr 2022 zugrundeliegenden Situation unterscheidet.
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Hinzu tritt der Umstand, dass zwischen dem Abschluss des „Quali“ im Juni 2023 und der neuerlichen Antragstellung am 27. März bzw. 12. April 2024 eine nicht unerhebliche Zeitspanne von beinahe zehn Monaten vergangen ist und damit eine zeitliche Zäsur vorliegt, die für sich genommen eine erneute Beurteilung erforderlich macht. Insoweit fehlt es an Darlegungen, welche fortbestehenden Beeinträchtigungen speziell den weiteren Besuch der F.-Fernschule erforderlich machen.
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Auch bestehen Zweifel, inwiefern eine Beschulung der Antragstellerin auf der F.-Fernschule zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt möglich wäre bzw. ist unklar, zu welchem Zeitpunkt ein Wiedereinstieg der Antragstellerin sinnvoll wäre. Denn ein Mitarbeiter der F.-Fernschule wies den Antragsgegner und die Antragstellerin mit E-Mail vom 29. Juni 2023 u.a. darauf hin, dass der Mittlere Schulabschluss nicht zu den „regulären Abschlüssen“ der F.-Fernschule gehöre. Bei Prüflingen, die bereits auf den „Quali“ mit der F.-Fernschule gelernt hätten, würde man jedoch eine Ausnahme machen. Man müsse dann „ein wenig improvisieren“. Nachdem sicher mehr Information nötig wäre, könne man sich darüber nach dem „Quali“ in Ruhe austauschen. Nachdem ein solcher Austausch nach der Kenntnis des Gerichts noch nicht stattgefunden hat, gilt es, diese noch offenen Fragen in einem von dem Antragsgegner unverzüglich aufzunehmenden Hilfeplanverfahren unter Beteiligung u.a. auch der Antragstellerin und ggf. der F.-Fernschule zu klären.
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Im Übrigen, d.h. soweit eine vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners begehrt wird, hat die Antragstellerin ungeachtet der Frage, ob der Verlust effektiver Schulzeit für die nicht mehr schulpflichtige Antragstellerin, die bereits über einen Schulabschluss verfügt, überhaupt einen die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Nachteil darstellt, jedenfalls nicht dargelegt, dass sie befürchten müsste, ihre Schullaufbahn ohne zeitnahe Kostenübernahme durch den Antragsgegner nicht fortsetzen zu können.
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Der Antrag war daher abzulehnen.
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Das Gericht weist nichtsdestoweniger auf die Verpflichtung des Antragsgegners, in einem neuerlichen ergebnisoffenen Hilfeplangespräch den aktuellen Hilfebedarf der Antragstellerin zu untersuchen und entsprechende Maßnahmen zu erarbeiten, ausdrücklich hin und schließt indes nicht aus, dass die Erforderlichkeit eines Besuchs der F.-Fernschule beispielsweise nach Einholung aussagekräftiger Gutachten zukünftig auch anders bewertet werden kann.
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Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.