Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.12.2024 – 12 ZB 23.1737
Titel:

Anforderungen an den Antrag auf Zulassung der Berufung

Normenketten:
SGB X §§ 102 ff.
SGB VIII § 35a
SGB XII aF §§ 53 ff.
SGB IX § 14, § 16
AGSG Art. 53
Leitsatz:
Die eine Zulassung der Berufung rechtfertigenden ernstlichen Richtigkeitszweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erfordern die Darlegung des Rechtsmittelführers, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht unrichtig ist. Er muss sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im Einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernstlichen Zweifeln begegnen. Hierzu reicht in der Regel eine Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags nicht aus, ebenso wenig die Darlegung, die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einem bestimmten Punkt sei unzutreffend oder das erstinstanzliche Vorbringen sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erstattungsanspruch zwischen Sozialleistungsträgern, Eingliederungshilfe, Schulbegleiter, Seelische Behinderung, Teilhabebeeinträchtigung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 05.09.2023 – Au 3 K 21.2560
Fundstelle:
BeckRS 2024, 38202

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 22.416,20 € festgesetzt.

Gründe

1
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der für die Schulbegleitung des Hilfeempfängers B. I. im Schuljahr 2017/2018 aufgewandten Kosten in Höhe von 22.416,20 €.
I.
2
1. Der Kläger gewährte dem am ...  2003 geborenen Hilfeempfänger B. I. für die Schuljahre 2015/2016 und 2016/2017 auf der Grundlage von §§ 53, 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch a.F. (SGB XII in der bis zum 31.12.2019 geltenden Fassung; seit 1.1.2020 in §§ 90 ff. Neuntes Buch Sozialgesetzbuch, SGB IX, geregelt) Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung in Form der Kostentragung für einen Schulbegleiter für den Besuch der (regulären) Mittelschule in I.. Er ging dabei vom Vorliegen einer geistigen Behinderung (in Form einer intellektuellen Minderbegabung) auf der Basis eines – wegen anfänglicher Unklarheiten später ergänzten – Gutachtens des Kinder- und Jugendarztes v. S. vom 16. April 2015, der bei B. sowohl eine geistige Behinderung wie auch eine Teilhabebeeinträchtigung gegeben sah, sowie eines Gutachtens des Sonderpädagogischen Förderzentrums vom 9. Juli 2012 und verschiedener Gutachten einer von B. besuchten logopädischen Praxis aus.
3
2. Am 22. Februar 2017 beantragten B. s Eltern beim Kläger die Weiterbewilligung der Schulbegleitung für das Schuljahr 2017/2018. Aus einer hierzu erstellten Stellungnahme der Mittelschule I. vom 13. Februar 2017 ergibt sich, dass B. im Unterricht viel Hilfe benötige, er Probleme habe, sich selbst zu organisieren (im Hinblick auf sein Arbeitstempo), er starke Verständigungsschwierigkeiten in Englisch aufweise, bei Präsentationen sich überfordert fühle und teilweise in Tränen ausbreche. Erforderlich sei eine individuelle Unterstützung beim Schreiben von Hefteinträgen, bei der Formulierung von schriftlichen Sätzen, beim Erlesen von Texten, bei der Bewältigung feinmotorischer Aufgaben (z.B. Ausschneiden) sowie bei der Erschließung mehrteiliger Arbeitsaufträge. Außerhalb der Unterrichtszeiten (Mittagessen, Freizeit) und im Sportunterricht bestehe kein Hilfebedarf. In einem weiteren ärztlich-psychologischen Zeugnis des Kinder- und Jugendarztes Dr. v. S. vom 24. April 2017 wird nunmehr festgestellt, dass es sich bei B. um einen wesentlich seelisch behinderten Menschen handle, dessen Teilhabe am Leben in der Gesellschaft eingeschränkt sei. Als Hilfsmaßnahmen werden der Besuch einer heilpädagogischen Tagesstätte sowie der Einsatz eines Individualhelfers empfohlen. Auf Nachfrage des Klägers zum – zusätzlichen – Vorliegen einer geistigen oder körperlichen Behinderung bei B. übermittelte Dr. v. S. am 27. Juni 2017 ein Attest mit der Diagnose „Störung der Merkfähigkeit“, verbunden mit der Feststellung, dass der Hilfeempfänger weiterhin einen Schulbegleiter benötige, um sich auf den Schulalltag konzentrieren zu können und im Alltag besser zurecht zu kommen. Daraufhin bat der Kläger unter Bezugnahme auf die „Auslegungsvereinbarung der Schwäbischen Jugendämter und des Bezirks Schwaben über die Abgrenzung der Eingliederungshilfe für seelische Behinderte gem. § 35a SGB VIII zur Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach §§ 99 SGB IX, § 53 SGB XII (Stand 01.06.2000)“ die Landesärztin, Frau Prof. Dr. N., um Erstellung eines Gutachtens zur Abgrenzung von Sozial- und Jugendhilfe bei B. . Mit Anschreiben vom 30. August 2017 stellte die Landesärztin fest, dass eine aktuelle Einschätzung der Behinderung aufgrund der übermittelten alten Befunde nicht möglich sei. Sie bat zugleich um Übersendung der Schulzeugnisse, der aktuellen Therapieberichte und ggf. um Vorstellung von B. in ihrer Sprechstunde. In der „Zeit 2012“ würde sie primär von einer gravierenden seelischen Behinderung ausgehen. In dem zugleich zurückgesandten, im Vorfeld ausgefüllten Fragebogen gab Frau Prof. N. indes an, dass bei B. allein eine seelische Behinderung vorliege, die mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate vom lebensalterstypischen Zustand abweiche. Weiter sei die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt bzw. sei eine solche Beeinträchtigung zu erwarten. Schließlich sei keine geistige oder körperliche Behinderung ausschlaggebend für eine stationäre, teilstationäre oder ambulante Maßnahme.
4
3. Mit Bescheid vom 24. November 2017 bewilligte der Kläger daraufhin für den Zeitraum 12. September 2017 bis 27. Juli 2018 ausdrücklich „vorläufig“ im Rahmen der Eingliederungshilfe die Kostenübernahme für eine individuelle Schulbegleitung (Qualifikation Hilfskraft) zum Besuch der Mittelschule. Die vorliegende Behinderung würde Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erfordern. B. s Eltern wurden zugleich aufgefordert, einen Termin zur Begutachtung bei der Landesärztin, Frau Prof. Dr. N., „zur Abklärung der Behinderung zu vereinbaren, da ggf. das Jugendamt sachlich zuständig“ sei. Bereits mit Schreiben vom 15. September 2017 hatte der Kläger das Kreisjugendamt des Beklagten darauf hingewiesen, dass aktuell „noch nicht eindeutig eine Aussage darüber getroffen werden [könne], ob der Bezirk Schwaben originär sachlich für die Hilfegewährung zuständig [sei] und ob bei B. eine mehrfache Behinderung oder nur eine seelische Behinderung vorliege“. Bei Vorlage weiterer Unterlagen und Übermittlung der endgültigen Stellungnahme von Landesärztin Prof. Dr. N. ergehe weitere Nachricht. Vorsorglich werde hiermit Erstattung auf die zu gewährenden Leistungen angemeldet. Den Bewilligungsbescheid vom 24. November 2017 übermittelte der Kläger dem Beklagten ebenfalls zur Kenntnis.
5
4. Im April 2018 beantragten B. s Eltern zunächst erneut beim Kläger die Weitergewährung der Kostenübernahme für die Schulbegleitung im Schuljahr 2018/2019. Mit ärztlich-psychologischem Bericht vom 9. August 2018, dem Kläger am 29. Januar 2019 zugeleitet, diagnostizierte die Landesärztin, Frau Prof. Dr. N., bei B. „hochfunktionalen frühkindlichen Autismus“ (ICD 10: F 84.0) mit Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit. Der Hilfeempfänger befinde sich seit dem 28. März 2018 in ambulanter Behandlung. Es liege eine deutliche Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit vor. Weder körperliche noch intellektuelle Beeinträchtigungen kämen als Ursache der Störung in Betracht. Eine Fortführung der Schulbegleitung sei dringend empfehlenswert, um die Teilhabe am Unterrichtsgeschehen zu gewährleisten. Der Hilfeempfänger zeige deutliche Auffälligkeiten im sozialen Affekt in den Bereichen Kommunikation und soziale Interaktion. Demgegenüber liege weder eine erhöhte Impulsivität noch eine motorische Unruhe bei ihm vor. Nach Aussage der Eltern gehe er einmal pro Woche zum Badminton und zum Bogenschießen. Zuhause zeige er sich wenig selbständig und wenig eigeninitiativ; stets seien Anleitungen und Erinnerungshilfen erforderlich, z.B. für die Erledigung der Hausaufgaben und für das Lernen. B. zeige sich zurückgezogen mit wenigen Sozialkontakten. Seine Freizeit verbringe er am Liebsten am Handy und mit YT Videos. Daraufhin stellten B. s Eltern am 5. Oktober 2018 erstmals beim beklagten Landkreis einen Antrag auf Kostenübernahme für die Schulbegleitung. Dessen Jugendamt erstellte daraufhin am 22. November 2018 für B. einen Hilfeplan und lehnte mit Bescheid vom 28. November 2018 die Kostenübernahme für die Schulbegleitung im Rahmen der jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe ab. Durch die pädagogischen Fachkräfte des Jugendamts habe eine Teilhabebeeinträchtigung durch die seelische Behinderung nicht festgestellt werden können.
6
5. In der Folge bezifferte der Kläger gegenüber dem Beklagten mit Schreiben vom 21. Januar 2021 die Kosten der in Vorleistung erbrachten Schulbegleitung für B. im Schuljahr 2017/2018 mit 22.416,20 € und machte zugleich – im Ergebnis erfolglos – einen Kostenerstattungsanspruch nach §§ 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend. Die daraufhin am 21. Dezember 2021 erhobene und auf § 104 SGB X gestützte Klage wies das Verwaltungsgericht Augsburg mit dem nunmehr angefochtenen Urteil vom 5. September 2023 ab.
7
Dem Kläger komme ein Erstattungsanspruch aus § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X a.F. nicht zu, da der Beklagte für die erbrachte Hilfeleistung – Kostenübernahme für die Schulbegleitung im Schuljahr 2017/2018 – nicht zuständig gewesen sei. Daher könne offenbleiben, ob dem Hilfeempfänger zugleich auch ein Anspruch gegen den Kläger nach §§ 53 ff. SGB XII a.F. zugestanden hätte. Eine vorrangige Zuständigkeit des Beklagten für die Leistung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII scheide aus, da der Hilfeempfänger mangels zu erwartender Teilhabebeeinträchtigung nicht seelisch behindert sei und ihm auch keine seelische Behinderung drohe. Zwar weiche im vorliegenden Fall bezogen auf den strittigen Leistungszeitraum seine seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand ab. Dies belege die Diagnose „frühkindlicher Autismus“ und „Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit“ der Landesärztin im ärztlich-psychologischen Bericht vom 9. August 2018. Dass dieser Bericht erst nach Ablauf des Leistungszeitraums erstellt worden sei, erweise sich im vorliegenden Kontext als unbeachtlich, da den Kläger als nachrangig verpflichteten Leistungsträger die Verfahrensvorschriften des Achten Buchs Sozialgesetzbuch nicht binden würden. Anhaltspunkte dafür, dass die diagnostizierte seelische Störung erst nach dem Ende des Bewilligungszeitraums aufgetreten sei, lägen nicht vor.
8
Aufgrund der festgestellten seelischen Störung hätte jedoch im streitgegenständlichen Zeitraum keine Teilhabebeeinträchtigung festgestellt werden können. Insoweit belegten die vorgelegten Gutachten und Stellungnahmen kein Integrationsproblem des Hilfeempfängers bzw. keine Störung des Sozialverhaltens. Der Begriff der Teilhabebeeinträchtigung unterliege als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Der Kläger habe sich wiederum ohne Bindung an die Verfahrensvorgaben des Jugendhilferechts bei der Beurteilung der Teilhabebeeinträchtigung an den ärztlichen Stellungnahmen und den Stellungnahmen der Schule orientieren dürfen. Im klagegegenständlichen Zeitraum seien danach für den Lebensbereich Schule keine Teilhabebeeinträchtigungen zu erwarten gewesen. Das Bundesverwaltungsgericht benenne als behinderungsrelevante seelische Störung eine auf Versagensängsten beruhende Schulphobie, die totale Schul- und Lernverweigerung, den Rückzug aus jedem sozialen Kontakt und die Vereinzelung in der Schule. Demgegenüber liege bei bloßen Schulproblemen und Schulängsten, die andere Kinder teilten, keine seelische Behinderung vor. Im vorliegenden Fall ließen sich aus den vorgelegten ärztlichen Berichten und Stellungnahmen keine derartige oder eine vergleichbare Beeinträchtigung der Ausübung sozialer Funktionen oder Rollen entnehmen. Ausweislich der Stellungnahme der Klassenlehrerin von B. vom 12. Februar 2017 (die sich inhaltlich mit der folgenden Stellungnahme vom 13. März 2018 decke), habe dieser Probleme, sich selbst zu organisieren, ferner starke Verständigungsschwierigkeiten in Englisch sowie generell große Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen. Er benötige Unterstützung beim Schreiben von Hefteinträgen, bei der Formulierung von Sätzen im schriftlichen Sprachgebrauch sowie beim Erlesen von Texten mit anschließender Zusammenfassung. Hinzu kämen Probleme in der Feinmotorik und beim Erschließen von mehrteiligen Arbeitsaufträgen. Damit würden ausschließlich Probleme im schulischen Leistungsbereich bezeichnet. Zwar breche der Hilfeempfänger bei Überforderung in Tränen aus und habe die Landesärztin deutliche Auffälligkeiten im sozialen Affekt in den Bereichen Kommunikation und wechselseitiger Interaktion diagnostiziert. Da jedoch keine Betreuung beim Mittagessen, beim Sportunterricht und in der Freizeit erforderlich sei, sei eine Beeinträchtigung der sozialen Eingliederung bei B. nicht erkennbar. Auf einen Rückzug aus jedem sozialen Kontakt oder eine drohende Vereinzelung ließen die vorliegenden Stellungnahmen nicht schließen.
9
6. Gegen dieses Urteil richtet sich nunmehr der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung, mit dem er ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend macht.
10
Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, bei B. habe im streitgegenständlichen Leistungszeitraum keine Teilhabebeeinträchtigung und damit auch keine seelische Behinderung vorgelegen, ließen die im Verfahren beigebrachten Unterlagen nicht zu. So sei insbesondere die Landesärztin, Frau Prof. Dr. N., bereits in ihrer Einschätzung vom 30. August 2017 zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Teilhabebeeinträchtigung gegeben sei und voraussichtlich eine seelische Behinderung bestehe. Sie habe die aktuelle Einschätzung der Behinderung lediglich noch durch Schulzeugnisse, aktuelle Therapieberichte und ggf. Vorstellung des Hilfeempfängers in ihrer Sprechstunde bestätigt haben wollen. Ihre Einschätzung werde durch das 6-Achsen-Gutachten vom 9. August 2018 bestätigt. Aus Sicht von Frau Prof. Dr. N sei B. wesentlich in seiner Fähigkeit eingeschränkt, an der Gesellschaft teilzuhaben. Das Verwaltungsgericht erachte das Gutachten vom 9. August 2018 zwar für geeignet, um die Art der im Schuljahr 2017/2018 bei B. vorliegenden Behinderung zu klären, folge diesem Gutachten jedoch im Hinblick auf das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung ohne erkennbare Gründe nicht. Soweit das Verwaltungsgericht weiter die Feststellung der Landesärztin zitiere, dass B. deutliche Auffälligkeiten im sozialen Affekt in den Bereichen Kommunikation und wechselseitiger sozialer Interaktion zeige, eine Beeinträchtigung seiner sozialen Eingliederung jedoch deshalb nicht erkennbar sei, weil eine Betreuung beim Mittagessen, beim Sportunterricht und in der Freizeit nicht erforderlich sei, erweise sich dies als widersprüchlich. Das Verwaltungsgericht wende sich damit gegen die getrennte Betrachtung der Bereiche Schule, Familie und Freizeit im Hinblick auf das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung. Der Schluss vom angeblichen Fehlen einer Teilhabebeeinträchtigung im Bereich Freizeit auf deren Fehlen auch im Bereich Schule sei unzulässig. Zwar falle die Beurteilung einer Teilhabebeeinträchtigung in die Fachkompetenz des öffentlichen Jugendhilfeträgers. Der nach § 35a Abs. 1a SGB VIII einzuholenden fachärztlichen Stellungnahme zu Feststellung der Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit könne jedoch auch für die Beurteilung der Teilhabebeeinträchtigung eine sowohl vom Jugendamt wie vom Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigende beachtliche Bedeutung zukommen. Die Bedeutung der ärztlichen Einschätzung auch für die Feststellung der Teilhabebeeinträchtigung habe der Gesetzgeber mittlerweile durch die Einfügung von § 35a Abs. 1a Satz 4 SGB VIII anerkannt. Neben der ärztlichen Einschätzung ignoriere das Verwaltungsgericht vorliegend auch, dass dem nachrangig verpflichteten Leistungsträger als vorleistendem Träger eine gewisse Einschätzungsprärogative zukomme. Insoweit sei auf die Rechtsprechung des Senats zu verweisen, wonach ein Erstattungsanspruch lediglich dann nicht zum Tragen komme, wenn ein vorleistender Träger bei der Hilfegewährung Aufgaben und Ziele der Eingliederungshilfe nicht im Blick gehabt hätte. Dem Kläger könne daher nicht vorgeworfen werden, dass er angesichts der vorliegenden ärztlichen und schulischen Unterlagen und insbesondere aufgrund einer landesärztlichen Einschätzung zur Frage der Teilhabebeeinträchtigung Hilfe gewährt habe. Eine solche Einschätzung könne auch nicht nachträglich durch eine anderslautende Einschätzung der Fachkräfte des Jugendamts oder des Verwaltungsgerichts korrigiert werden. Der Kläger habe daher rechtmäßig Hilfe nach § 35a SGB VIII in Vorleistung für den Beklagten gewährt, sodass ihm aus § 104 SGB X ein Erstattungsanspruch zukomme.
11
7. Dem trat der Beklagte mit erst am 26. November 2024 übermittelten Schriftsatz vom 29. November 2023 entgegen. Beim Hilfeempfänger habe im fraglichen Zeitraum gerade keine Teilhabebeeinträchtigung vorgelegen. Dies belege auch ein im Zuge des Zulassungsverfahrens erstellter Aktenvermerk der pädagogischen Fachkraft vom 11. Oktober 2023. Es habe in keinem Lebensbereich ein soziales Integrationsrisiko festgestellt werden können. Bereits dem Hilfeplan vom 22. November 2018 könne entnommen werden, dass bei B. keine Teilhabebeeinträchtigung vorliege. So bewältige er den Alltag und den Schulweg selbständig, besitze soziale Kontakte in der Schule und in der Freizeit, sei in zwei Vereinen aktiv und nehme am gesellschaftlichen Leben teil. Trotz der Autismus-Diagnose sei er in allen Lebensbereichen integriert. Ein Schulbegleiter wäre daher ausschließlich für schulische, leistungsbezogene Angelegenheiten wünschenswert gewesen.
12
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
13
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung erweist sich als unbegründet, da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO unter Berücksichtigung des fristgerecht eingegangenen Zulassungsvorbringens nicht substantiiert im Sinne von § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO dargelegt sind.
14
1. Die eine Zulassung der Berufung rechtfertigenden ernstlichen Richtigkeitszweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erfordern die Darlegung des Rechtsmittelführers, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht unrichtig ist (vgl. hierzu und zum Folgenden Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 206 ff mit weiteren Nachweisen). Er muss sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen und im Einzelnen darlegen, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese ernstlichen Zweifeln begegnen. Hierzu reicht in der Regel eine Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags nicht aus, ebenso wenig die Darlegung, die Auffassung des Verwaltungsgerichts zu einem bestimmten Punkt sei unzutreffend oder das erstinstanzliche Vorbringen sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Vom Rechtsmittelführer wird vielmehr verlangt, dass sich aus der Antragsbegründung schlüssige Gegenargumente ergeben, die einen einzelnen tragenden Rechtssatz, eine konkrete Subsumtion oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung infrage stellen. Greift der Rechtsmittelführer die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts an, muss er konkret darlegen, aus welchen Gründen er sie für unzutreffend erachtet, beispielsweise durch das Aufzeigen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 67). Sollen die Richtigkeitszweifel aus den vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Tatsachen resultieren, ist substantiiert darzulegen, welche Beweise das Verwaltungsgericht nicht richtig gewürdigt hat, welche weiteren Ermittlungen erforderlich gewesen wären, oder dass im Urteil erhebliche Tatsachen nicht zutreffend festgestellt worden sind und welcher Sachverhalt stattdessen zutrifft. Insoweit reicht es ebenfalls nicht aus, einer vertretbaren Sachverhaltsbewertung durch das Gericht nur eine eigene abweichende Sachverhaltsbewertung entgegenzustellen (Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, § 124a VwGO Rn. 100 am Ende).
15
2. Gemessen an diesen Vorgaben zeigt der Kläger ernstliche Richtigkeitszweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht auf. So zieht er insbesondere den vom Verwaltungsgericht herausgearbeiteten rechtlichen Maßstab für die Annahme einer Teilhabebeeinträchtigung als Tatbestandsvoraussetzung für Hilfen nach § 35a SGB VIII nicht in Zweifel; er wendet sich vielmehr allein gegen die Würdigung der vorliegenden Tatsachen bzw. die entsprechende Subsumtion des Verwaltungsgerichts ohne jedoch schlüssig aufzuzeigen, dass eine hiervon abweichende Sachverhaltsbewertung zwingend geboten wäre.
16
2.1 Soweit der Kläger zunächst vorbringt, es erschließe sich ihm nicht, wie das Verwaltungsgericht zwar hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit des Hilfeempfängers gewissermaßen rückwirkend auf das Gutachten der Landesärztin, Frau Prof. Dr. N. vom 9. August 2018 sowie auf die Stellungnahme vom 30. August 2017 zurückgreife, die von Frau Prof. Dr. N. in den genannten Stellungnahmen ebenfalls bejahte Teilhabebeeinträchtigung hingegen nicht übernehme, kann er damit ernstliche Richtigkeitszweifel nicht belegen. Denn das Verwaltungsgericht blendet die genannten Stellungnahmen in seiner Sachverhaltsbewertung nicht aus, sondern stellt sie vielmehr anderen Erkenntnismitteln, insbesondere den Stellungnahmen des Klassenlehrers vom 13. Februar 2017 und 13. März 2018, gegenüber, die aus Sicht des Verwaltungsgerichts ausschließlich Probleme im schulischen Leistungsbereich beschreiben. Weiter bezieht sich das Verwaltungsgericht auf die fehlende Betreuungsnotwendigkeit B. s außerhalb der Unterrichtszeiten, wie beim Mittagessen oder in der Freizeit sowie im Sportunterricht, woraus sich nicht auf einen Rückzug aus jedem sozialen Kontakt und eine (drohende) Vereinzelung in der Schule schließen lasse. Dass die vom Verwaltungsgericht dergestalt im Rahmen der freien Beweiswürdigung vorgenommene Abwägung sich als fehlerhaft und im Ergebnis nicht nachvollziehbar erweist, legt der Kläger gerade nicht dar. Soweit er der Stellungnahme der Landesärztin höheres Gewicht beimessen möchte, ersetzt er lediglich die Sachverhaltsbewertung des Gerichts durch seine eigene, woraus sich indes keine ernsthaften Richtigkeitszweifel ergeben.
17
2.2 Ferner erweist sich auch die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht vernachlässige mit seiner Beweiswürdigung die im Hinblick auf das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung notwendigerweise getrennte Berücksichtigung der Lebensbereiche Familie, Schule und Freizeit und schließe zu Unrecht von einer fehlenden Teilhabebeeinträchtigung im Bereich Familie und Freizeit auf deren Fehlen im Bereich Schule, als nicht durchgreifend. Soweit das Verwaltungsgericht hier den Bereich des bei der Ganztagsbeschulung gemeinsam eingenommenen Mittagessens sowie den Sportunterricht in den Blick nimmt, rechnen die genannten Bereiche zum Komplex Schule, sodass der Vorwurf einer fehlenden Trennung insoweit bereits nicht durchgreift. Dass darüber hinaus beispielsweise die soziale Integration im Bereich Freizeit – durch Beteiligung an Sportvereinen – auch indizielle Bedeutung für die soziale Integration im Bereich Schule besitzen kann, widerlegt der Kläger ebenfalls nicht mit schlüssigen Gegenargumenten. Auch insoweit legt er ernstliche Richtigkeitszweifel im Hinblick auf die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert dar, sondern ersetzt wiederum lediglich die Sachverhaltsbewertung des Gerichts durch seine eigene, was die Zulassung der Berufung nicht eröffnet.
18
2.3 Entgegen der Auffassung des Klägers übersieht das Verwaltungsgericht die nunmehr in § 35a Abs. 1a Satz 4 SGB VIII angesprochene „angemessene Berücksichtigung“ von Aussagen des ärztlichen Gutachtens zur seelischen Gesundheit zur Teilhabebeeinträchtigung nicht. Es zitiert sogar ausdrücklich aus den Stellungnahmen der Landesärztin, Frau Prof. Dr. N., wenngleich es diesen im Hinblick auf die Stellungnahmen der Schule nicht folgt. Angemessene Berücksichtigung meint insoweit nicht, dass ärztlichen Stellungnahmen im Kontext der Teilhabebeeinträchtigung ein Vorrang vor anderweitigen Stellungnahmen zukommen muss. Auch von daher ist die Sachverhaltsbewertung des Verwaltungsgerichts nicht zu beanstanden.
19
2.4 Schließlich lassen sich aus der vom Kläger für sich im Hinblick auf das Vorliegen einer Teilhabebeeinträchtigung reklamierten „Einschätzungsprärogative“ ernstliche Richtigkeitszweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht begründen. Insoweit geht das Verwaltungsgericht zutreffend von der vollen Justiziabilität der Annahme des Vorliegens einer Teilhabebeeinträchtigung aus, die einer Einschätzungsprärogative des Klägers entgegensteht. Dass es hinsichtlich der Annahme einer Teilhabebeeinträchtigung vorrangig auf die Sicht des leistenden Klägers ankommen soll, lässt sich auch der zitierten Senatsrechtsprechung nicht entnehmen. Im Zuge des Erstattungsstreits ist daher – allerdings ohne Bindung an das Erfordernis der sozialpädagogischen Fachlichkeit durch den leistenden Sozialhilfeträger – anhand der vorliegenden Bewertungen durch verschiedene Stellen zu klären, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII vorliegen. Eine wie auch immer geartete „Prärogative“, d.h. einen Vorrang seiner Sichtweise, kann der Kläger gerade nicht beanspruchen.
20
Im Ergebnis liegen daher ernstliche Richtigkeitszweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht vor, sodass der Antrag auf Zulassung der Berufung abzulehnen war.
21
3. Der Kläger trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskostenfreiheit ist im jugendhilferechtlichen Erstattungsstreit nach § 188 VwGO nicht gegeben. Der Streitwert bestimmt sich vorliegend nach § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.
22
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.