Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 06.11.2024 – 203 StObWs 462/24
Titel:

Begründungsanforderungen für Anträge im Strafvollzugsverfahren

Normenketten:
StVollzG § 109 Abs. 1, Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4
Leitsätze:
1. Die Begründung eines Antrags im Strafvollzugsverfahren muss eine aus sich heraus verständliche Darstellung dessen enthalten, welche Maßnahme der Vollzugsbehörde der Betroffene beanstandet oder begehrt; diese Darstellung muss erkennen lassen, inwiefern er sich durch die gerügte Maßnahme oder die Ablehnung oder Unterlassung ihrer Vornahme in seinen Rechten verletzt fühlt. (Rn. 5)
2. Von einem auf dem Gebiet der Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG erfahrenen und fortgebildeten Strafgefangenen kann verlangt werden, dass er, will er eine Maßnahme der Vollzugsbehörde zur gerichtlichen Überprüfung stellen, dem Tatrichter einen aus sich heraus verständlichen Sachverhalt darlegt. Der Untersuchungsgrundsatz, nach dem die Strafvollstreckungskammer das Verfahren zu führen hat, enthebt einen Antragsteller nicht der Verpflichtung, sein Begehren in der gesetzlich vorgesehenen Form einzureichen. Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts, bei einem forensisch geübten Strafgefangenen einen erst antragsbegründenden Vortrag zur Beschwer anzufordern. (Rn. 6)
Schlagworte:
Strafvollzug, Antragsbegründung, Unzulässigkeit, Gerichtliche Entscheidung
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 08.08.2024 – SR StVK 1304/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 38004

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 8. August 2024 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen.
3. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller verbüßt eine mehrjährige Freiheitsstrafe. Zum Zeitpunkt der Antragstellung befand er sich im Strafvollzug in der Justizvollzugsanstalt S. Mit Schreiben vom 1. August 2024 hat er bei der Strafvollstreckungskammer um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Am 19. Juli 2024 habe er bei der Justizvollzugsanstalt beantragt, ihm eine Ausführung für den 4. August 2024 zu genehmigen. Bis zum 1. August 2024 sei der Antrag nicht verbeschieden worden. Er sei in seinem Verfahren wegen Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung zwingend auf Lockerungen angewiesen. Daher solle die Anstalt verpflichtet werden, die Ausführung zum 4. August 2024 zu genehmigen. Nach der Ablehnung dieses zunächst auf die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz gerichteten Verpflichtungsantrags mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 1. August 2024 hat der Antragsteller mit Schreiben vom 4. August 2024 seinen ursprünglichen Antrag „gem. § 115 III StVollzG umgestellt“ in einen Feststellungsantrag. Es läge nunmehr ein Bescheid vor, der aber dem Antrag wahrheitswidrig eine falsche Rechtsgrundlage zugrunde gelegt habe. Sofern weiterer Sachvortrag erforderlich sei, werde um einen gerichtlichen Hinweis ersucht. Mit Beschluss vom 8. August 2024 hat die Strafvollstreckungskammer ohne eine weitere Sachaufklärung den Antrag auf gerichtliche Entscheidung „vom 01.08.2024 i.V.m. mit Antrag vom 04.08.2024“ zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antrag mangels substantiierten Vortrags unzulässig sei. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er formelle und materielle Rügen erhebt. Die Generalstaatsanwaltschaft in M. beantragt, die Rechtsbeschwerde mangels Zulassungsgrund als unzulässig zu verwerfen.
II.
2
Die frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 116 StVollzG) zuzulassen, da die Strafvollstreckungskammer die von der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Antrag nach § 109 Abs. 1 und 2 StVollzG als unzulässig zu behandeln ist, nicht rechtsfehlerfrei auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt hat.
III.
3
Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache weitestgehend (einen vorläufigen) Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer. Die Beurteilung der Strafvollstreckungskammer, dass der Antrag des Strafgefangenen sich als unzulässig erweise, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Vortrag genügt noch den Anforderungen an einen zulässigen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach Art. 208 BayStVollzG, § 109 Abs. 1 und 2 StVollzG.
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1. Ein zulässiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung gehört zu den allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen, die nach überwiegender Auffassung im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen sind und deren Fehlen zur Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde führt (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Beschluss vom 17. April 2023 – 203 StObWs 61/23 –, juris Rn. 7; BayObLG, Beschluss vom 23. Januar 2024 – 204 StObWs 578/23 –, juris Rn. 17; KG, Beschluss vom 6. Juni 2019 – 5 Ws 65/19 Vollz –, juris Rn. 5).
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2. Die Begründung eines Antrags im Strafvollzugsverfahren muss eine aus sich heraus verständliche Darstellung dessen enthalten, welche Maßnahme der Vollzugsbehörde der Betroffene beanstandet oder begehrt; diese Darstellung muss erkennen lassen, inwiefern er sich durch die gerügte Maßnahme oder die Ablehnung oder Unterlassung ihrer Vornahme in seinen Rechten verletzt fühlt (BayObLG, Beschluss vom 28. Mai 2024 – 204 StObWs 187/24 –, juris Rn. 12; OLG Hamm, Beschluss vom 3. September 2015 – III-1 Vollz (Ws) 358/15 –, juris Rn. 13; KG, Beschluss vom 18. Mai 2009 – 2 Ws 8/09 Vollz-, juris Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 2 Ws 146/20 –, juris Rn. 5 ff.; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 12. Kapitel B § 109 Rn. 28, 30). Das heißt, der Antragsteller muss (innerhalb der Frist des § 112 Abs. 1 S. 1 StVollzG) Tatsachen vortragen, die, wenn sie gegeben wären, eine Rechtsverletzung als möglich erscheinen lassen (vgl. Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 109 Rn. 13 m.w.N.). Dem Gericht muss es möglich sein, den zu Grunde liegenden Sachverhalt aus der Antragsschrift ohne Zuhilfenahme weiterer Erklärungen zu erfassen (BayObLG, Beschluss vom 28. Mai 2024 – 204 StObWs 187/24 –, juris; KG, Beschluss vom 18. Mai 2009 – 2 Ws 8/09 Vollz-, juris Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. Januar 2021 – 2 Ws 146/20 –, juris Rn. 5; Spaniol in: Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 8. Aufl., Teil IV § 109 StVollzG Rn. 35; Arloth/Krä a.a.O. § 109 Rn. 13; Euler in BeckOK Strafvollzug Bund, 26. Ed. 1.8.2024, StVollzG § 109 Rn. 10; Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrel/Baier, Strafvollzugsgesetze, 13. Auflage 2024, Kapitel P. Rechtsbehelfe II Rn. 32).
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3. Mit Blick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG dürfen jedoch an die Substanz des Vorbringens eines anwaltlich nicht vertretenen Strafgefangenen keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28. Mai 2024 – 204 StObWs 187/24 –, juris Rn. 12; Bachmann a.a.O. Kapitel P. Rechtsbehelfe II Rn. 32). Der Tatrichter ist zum einen verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten und auslegungsfähige Anträge sachdienlich auszulegen (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04. Januar 2021 – 2 BvR 673/20 –, juris Rn. 26 m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 30. September 2024 – 204 StObWs 405/24 –, juris Rn. 17; Spaniol a.a.O. Rn. 37). Desweiteren gebietet es die gerichtliche Fürsorgepflicht, auf vorhandene Mängel einer Antragsschrift hinzuweisen und eine Nachbesserung anzuregen (Arloth/Krä, a.a.O., § 109 Rn. 13 m.w.N.; Bachmann a.a.O. Rn. 32). Bei Antragstellern, die vollzugsrechtlich erfahren sind, kann die Hinweispflicht eingeschränkt sein (BayObLG, Beschluss vom 28. Mai 2024 – 204 StObWs 187/24 –, juris Rn. 15; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 Ws 184/10 (Vollz) –, juris Rn 15). Von einem auf dem Gebiet der Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG erfahrenen und fortgebildeten Strafgefangenen kann verlangt werden, dass er, will er eine Maßnahme der Vollzugsbehörde zur gerichtlichen Überprüfung stellen, dem Tatrichter einen aus sich heraus verständlichen Sachverhalt darlegt. Der Untersuchungsgrundsatz, nach dem die Strafvollstreckungskammer das Verfahren zu führen hat, enthebt einen Antragsteller nicht der Verpflichtung, sein Begehren in der gesetzlich vorgesehenen Form einzureichen. Sowohl der Strafvollstreckungskammer als auch der Vollzugsbehörde, die zu dem Antrag Stellung nehmen soll, muss es möglich sein, dessen Zielrichtung und Gründe zu erkennen (KG, Beschluss vom 18. Mai 2009 – 2 Ws 8/09 Vollz-, juris Rn. 9). Es ist nicht die Aufgabe des Gerichts, bei einem forensisch geübten Strafgefangenen einen erst antragsbegründenden Vortrag zur Beschwer anzufordern.
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4. Gemessen daran genügt die Antragsschrift hier noch den Anforderungen von § 109 Abs. 1 und 2 StVollzG. Dem Vorbringen des Antragstellers lässt sich im Gesamtzusammenhang entnehmen, dass die Vollzugsanstalt spätestens am 4. August 2024 eine Entscheidung über seinen Antrag auf Lockerung für den 4. August 2024 getroffen hat, die der Strafgefangene aufgrund einer unzutreffenden Wahl der Entscheidungsgrundlage als fehlerhaft erachtet und die seiner Ansicht nach sein Recht auf Resozialisierung verletzt. Die Strafvollstreckungskammer wäre daher gehalten gewesen, die Vollzugsanstalt zu einer Stellungnahme aufzufordern. Da der Verfahrensgegenstand dem Vorbringen noch hinreichend entnommen werden kann, spielt der Aspekt, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen auf dem Gebiet der Anträge auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG erfahrenen und fortgebildeten Strafgefangenen handelt, von dem verlangt werden kann, dass er, will er eine Maßnahme der Vollzugsbehörde zur gerichtlichen Überprüfung stellen, dem Tatrichter einen aus sich heraus verständlichen Sachverhalt darlegt, keine maßgebliche Rolle.
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5. Nachdem die Sache noch nicht spruchreif ist, ist die Rechtsbeschwerde im übrigen zurückzuweisen.
IV.
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Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, § 65 Satz 1, §§ 60, 52 Abs. 1 GKG.