Inhalt

ArbG München, Beschluss v. 26.11.2024 – 12 BVGa 51/24
Titel:

Anspruch auf Abbruch einer Betriebsratswahl

Normenkette:
BetrVG § 13 Abs. 2 Nr. 2, § 16 Abs. 1, Abs. 3, § 18 Abs. 2, § 103 Abs. 2 S. 1
Leitsatz:
Eine Betriebsratswahl kann nur dann in besonderen Ausnahmefällen durch einstweilige Verfügung abgebrochen werden, wenn die Wahl bei ihrer Durchführung nichtig wäre (Anschluss an BAG BeckRS 2012, 65284 Rn. 24 ff.). (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsratswahl, Abbruch, einstweilige Verfügung, Gesamtbetriebsrat, Betriebsabgrenzungsverfahren
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Beschluss vom 04.12.2024 – 5 TaBVGa 16/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37990

Tenor

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutz um den Abbruch einer Betriebsratswahl.
2
Die Beteiligte zu 4 beschäftigt an ihrem Sitz in A-Stadt etwa 2.500 Mitarbeiter und ist die Dachgesellschaft des global tätigen Versicherungskonzerns der A-Gruppe mit weltweit etwa 150.000 Beschäftigten. Neben ihrer Funktion als Dachgesellschaft betätigt sie sich in ihrem Geschäftsbereich A Re auf dem Gebiet der Rückversicherung, und zwar vorwiegend als konzerninterner Rückversicherer für die Unternehmen der A-Gruppe.
3
In der Beteiligten zu 4 wurden im Jahr 2022 zwei Betriebsräte gewählt, nämlich der Antragsteller und Beteiligte zu 1 für den Betrieb A Re und der Gemeinschaftsbetriebsrat A SE Holding gemeinsam mit der G GmbH. Die Wahlen im Jahr 2022 wurden nicht angefochten, die Wahlperioden enden regulär im Frühjahr 2026.
4
Es wurde auch ein Gesamtbetriebsrat gebildet, der Beteiligte zu 3.
5
Der Beteiligte zu 1 fasste am 14.6.2023 den Beschluss zur Einsetzung eines Wahlvorstandes mit der Wahlvorstandsvorsitzenden H (Anl Ast 5 = Bl 41ff dA). Dieser Wahlvorstand ist Antragsteller und Beteiligter zu 2.
6
Die Beteiligten zu 1 und zu 2 sind der Rechtsauffassung, dass seit einer im Februar 2023 von der Arbeitgeberin vorgestellten und am 1.12.2023 wirksam gewordenen Reorganisationsmaßnahme die den Wahlen aus dem Jahr 2022 zu Grunde liegende Betriebsstruktur nicht mehr zutreffend sei. Vielmehr gebe es seitdem in der Beteiligten zu 4 eine betriebsratsfähige Organisationseinheit A SE unter Einbeziehung der A SE Re, für die ein Betriebsrat zu wählen sei.
7
Zur Klärung der Frage der zutreffenden Betriebsstruktur wurde durch den Beteiligten zu 1 ein Betriebsstrukturverfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG anhängig gemacht (Az. 30 BV 34/24). Der Beteiligte zu 2 beantragte in diesem Verfahren seine Beteiligung. Als dies von der 30. Kammer des Arbeitsgerichts abgelehnt wurde, strengte er ein eigenes Verfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG an (39 BV 247/24). In beiden Verfahren liegt noch keine rechtskräftige Entscheidung vor.
8
Am 17.10.2024 fragte der Beteiligte zu 2 unter der Bezeichnung „Wahlvorstand für die Betriebsratswahlen in der A SE“ bei der Beteiligten zu 4 an wegen einer gemeinsamen Wählerliste „A SE inkl. A SE Re und G GmbH“ bzw. einer Kostenübernahme für eine Wahlvorstandsschulung zum Thema Betriebsratswahl. Daraufhin leitete die Beteiligte zu 4. ein einstweiliges Verfügungsverfahren mit dem Ziel des Abbruchs dieser Wahl ein (34 BVGa 49/24). In diesem Verfahren vertraten die (hiesigen) Beteiligten zu 1 und zu 2 die Auffassung, dass der Beteilige zu 2 von dem Beteiligten zu 1 wirksam als „Wahlvorstand für die Betriebsratswahlen in der A SE“ eingesetzt worden sei. Das arbeitgeberseitig angestrengte Verfügungsverfahren war erstinstanzlich nicht erfolgreich, da die 34. Kammer des Arbeitsgerichts davon ausging, dass kein Verfügungsgrund vorlag, weil zu der Wahl noch kein Wahlausschreiben erlassen worden war (Beschluss vom 13.11.2024 = Anlage Ast1 = Bl 31 dA).
9
Mit Wirkung ab 1.10.2024 versetzte die Beteiligte zu 4 Herrn H, der zu diesem Zeitpunkt ein Mitglied des Beteiligten zu 1 war, aus dem Bereich A Re in einen nicht dem Bereich A Re zugeordneten Arbeitsplatz. Für die Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Beteiligten zu 4 Bezug genommen (Bl 311f dA). Herr I stimmte dem zu, indem er eine entsprechende Wanderungsbilanz unterschrieb.
10
Frau I, die bis zu diesem Zeitpunkt ein Mitglied des Beteiligten zu 1 war, schied zum 1.10.2024 aus ihrem Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten zu 4 aus.
11
In Sitzungen des Beteiligten zu 5 am 25. und 29.10.2024 wurde besprochen, ob wegen des Ausscheidens von Herrn I und Frau J eine Neuwahl des Beteiligten zu 1 erforderlich war.
12
Am 8.11.2024 lud der Vorsitzende des Beteiligten des Beteiligten zu 5 die Mitglieder des Beteiligten zu 5 zu einer Präsenzsitzung des Beteiligten zu 5 am 12.11.2024 ein, bei der der Beteiligte zu 5 den Beschluss zur Bestellung des Beteiligten zu 3 fasste.
13
Der Beteiligte zu 3 veröffentlichte am 18.11.2024 durch Aushang und im Intranet das Wahlausschreiben zur verfahrensgegenständlichen am 10.12.2024 vorgesehenen Wahl, woraufhin die Beteiligten zu 1 und zu 2 mit ihren am 19.11.2024 und 20.11.2024 eingegangenen Antragsschriften das vorliegende Verfahren einleiteten.
14
Sie sind der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG nicht vorliegen, und bemängeln die Beschlussfassung des Beteiligten zu 5 zur Bestellung des Beteiligten zu 3.
15
Weiter sind sie der Auffassung, für die verfahrensgegenständliche Wahl sei bereits der Beteiligte zu 2 als Wahlvorstand bestellt, so dass die Voraussetzungen für Bestellung eines weiteren Wahlvorstands durch den Gesamtbetriebsrat nach § 16 Abs. 3 BetrVG nicht gegeben gewesen seien.
16
Im übrigen halten sie die Klärung der Betriebsabgrenzung für vorrangig.
17
In der Sache tragen sie im Wesentlichen vor, dass der Beteiligte zu 1 mehrfach, zuletzt am 11.10.2024 die Bestellung des Beteiligten zu 2 „auch für die etwaige Neuwahl für den Betrieb A SE Re A-Stadt“ bestätigt habe.
18
Sie beantragen,
1.
Dem Antragsgegner und Beteiligten zu 3 wird aufgegeben, das eingeleitete Verfahren zur Durchführung der Wahl des Betriebsrates „im Betrieb A SE Reinsurance“ bei der Beteiligten zu 4 abzubrechen und nicht fortzuführen und auch nicht neu einzuleiten.
2.
Dem Antragsgegner und Beteiligten zu 3 wird aufgegeben, die im Betrieb der Beteiligten zu 4, insbesondere in der „A SE Reinsurance, A-Stadt, am 18.11.2024 ausgehängten und im Intranet veröffentlichten Wahlausschreiben, ersatzlos zu entfernen.
19
Die Beteiligten zu 3, 4 und 5 beantragen die Zurückweisung der Anträge.
20
Sie sind der Auffassung, dass der Beteiligte zu 3 wirksam bestellt wurde.
21
Eine Neuwahl sei nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG durchzuführen, da zum 1.18.2024 nach dem Ausscheiden von Herrn I und Frau J aus dem Beteiligten zu 1 die Mindestzahl von 9 Betriebsratsmitgliedern nicht mehr erreicht sei. Auf die Darstellung der Veränderungen der Besetzung des Beteiligten zu 1 wird auf S. 8f. des Schriftsatzes der Beteiligten zu 4 Bezug genommen (Bl 310f dA).
22
Die Bestellung des Beteiligten zu 2 sei nichtig, jedenfalls aber sei der Beteiligte zu 2 nicht für die streitgegenständliche Wahl bestellt.
23
Im übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze, die Anlagen und den gesamten Akteninhalt.
II.
24
Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.
25
1. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist für den vorliegenden, nach Normen des BetrVG zu entscheidenden Rechtsstreit eröffnet, § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG.
26
2. Die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz im Beschlussverfahren sind nach §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 916ff. ZPO statthaft. Die Beteiligten zu 1 und zu 2 haben Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund behauptet.
27
3. Die Anträge waren indes zurückzuweisen, denn die Beteiligten zu 1 und zu 2 haben keinen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht.
28
a) Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (27.7.2021 – 7 ABR 61/10; vgl. Fitting, Betriebsverfassungsgesetz, Rz. 42 zu § 18 BetrVG) kann eine Betriebsratswahl nur dann in besonderen Ausnahmefällen durch einstweilige Verfügung abgebrochen werden, wenn die Wahl bei ihrer Durchführung nichtig wäre.
29
b) Die von den Beteiligten zu 1 und zu 2 gerügten Mängel der Beschlussfassung des Gesamtbetriebsrats scheiden damit als Verfügungsanspruch im vorliegenden Verfahren aus, denn es wurden keine Mängel der Beschlussfassung des Gesamtbetriebsrats als solcher geltend gemacht, die zu einer Nichtigkeit der Einsetzung des Wahlvorstands führen würden.
30
c) Auch die Frage des Betriebsbegriffs beziehungsweise der Betriebsabgrenzung scheidet als Verfügungsanspruch aus. Ein noch nicht rechtskräftig abgeschlossenes Betriebsabgrenzungsverfahren nach § 18 Abs. 2 BetrVG rechtfertigt den Abbruch einer Wahl durch einstweilige Verfügung nicht.
31
d) Die verfahrensgegenständliche Neuwahl des Beteiligten zu 1 ist nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG erforderlich. Die Beteiligte zu 4 hat zu der personellen Besetzung des Beteiligten zu 1 vor und nach dem 1.10.2024 und zum Ausscheiden von Frau H aus dem Beteiligten zu 1 substantiiert vorgetragen. Soweit die Beteiligten zu 1 und zu 2 hierzu einwenden, Herr I sei mangels Zustimmung des Beteiligten zu 1 nicht zu 1.10.2024 ausgeschieden, ist dies rechtlich nicht zutreffend. Bei Zustimmung eines Betriebsratsmitglieds zu einer Versetzung in einen anderen Betrieb ist eine Zustimmung des Betriebsrats des abgebenden Betriebs nicht erforderlich, § 103 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 BetrVG.
32
e) Ein Verfügungsanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass für die anstehende Wahl bereits durch den Betriebsrat ein nach § 16 Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG gegenüber dem vom Gesamtbetriebsrat bestellten Wahlvorstand ein prioritärer Wahlvorstand bestellt worden wäre. Dieser die Nichtigkeit der durch den vom Gesamtbetriebsrat durchgeführten Wahlen auslösende Umstand wäre als Verfügungsanspruch geeignet (vgl. Fitting, aao), er liegt aber nicht vor.
33
(1) Der Beteiligte zu 2 wurde nicht zum Wahlvorstand für die verfahrensgegenständliche Wahl bestellt.
34
Die verfahrensgegenständliche Wahl ist gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG erforderlich. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beteiligten zu 1 zur Einsetzung des Beteiligten zu 2 war der Tatbestand dieser Vorschrift noch nicht erfüllt.
35
(2) Der Beteiligte zu 2 wurde vor der Bestellung des Beteiligten zu 3 auch nicht als Wahlvorstand für die verfahrensgegenständliche Wahl tätig.
36
Vielmehr ergriff er Vorbereitungshandlungen für eine Erstwahl eines Betriebsrats nach Maßgabe einer anderen Betriebsaufteilung, versuchte sich – erstinstanzlich erfolglos – an einem Betriebsabgrenzungsverfahren zu beteiligen und leitete in der Folge ein Betriebsabgrenzungsverfahren ein. Ob dies alles wirksam war, braucht hier nicht entschieden zu werden.
37
Die vom Beteiligten zu 2 betriebene Erstwahl eines Betriebsrats für den Betrieb A SE unter Einschluss des Bereichs A SE Re ist eine andere Betriebsratswahl als die verfahrensgegenständliche Neuwahl des Betriebsrats A SE Re gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 BetrVG und kann daher nicht nach § 16 Abs. 1 und Abs. 3 BetrVG prioritär sein.
38
(3) Das vorliegende Verfahren leitete der Beteiligte zu 2 als zweiter Antragsteller auf Grund eines Beschlusses vom 15.11.2024 ein, und zwar unter der Bezeichnung „Wahlvorstand für die Betriebsratswahlen in der A SE“ und „gesetzl. vertr. d. d. Wahlvorstandsvorsitzende, Frau ‚H“ (vgl Antragschrift vom 20.11.2024 = Bl 143 und 144 dA). Hieraus ergibt sich, dass der Beteiligte zu 2 auch im vorliegenden Verfahren nicht als Wahlvorstand für die verfahrensgegenständliche Wahl tätig wurde, und zwar erst recht nicht mit zeitlicher Priorität zum Beteiligten zu 3.
39
Vielmehr ist er weiterhin als Wahlvorstand für die Erstwahl eines Betriebsrats nach Maßgabe einer anderen Betriebsaufteilung tätig. Dies folgt aus seiner Bezeichnung und auch daraus, dass der Schriftsatz Frau H als gesetzliche Vertreterin benennt und diese auch in der Kammeranhörung als solche auftrat.
40
Aus dem Betrieb A SE Re ist Frau H indes schon im Jahr 2023 ausgeschieden. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus den in der Kammeranhörung zitierten Verlautbarungen des Beteiligten zu 1 und des Rechtsanwalts von Frau H.(vgl Bl 344 dA). Damit kann Frau H nicht mehr in einem Wahlvorstand für den Betrieb A SE Re sein, da sie nicht mehr wahlberechtigt ist, § 16 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Demgegenüber ist sie wahlberechtigt und damit auch mögliches Wahlvorstandsmitglied in einem „Wahlvorstand für die Betriebsratswahlen in der A SE“.
41
(4) Soweit sich die Beteiligten zu 1 und zu 2 auf einen Beschluss des Beteiligten zu 1 vom 11.10.2024 beziehen, in dem der Beteiligte zu 1 die Bestellung des Beteiligten zu 2 für die etwaige Neuwahl für den Betrieb A SE Re bestätigt habe (vlg Bl 343 dA), beruht dies auf einem nicht zutreffenden Verständnis des Verhältnisses zwischen dem Betriebsrat und dem Wahlvorstand.
42
Der Wahlvorstand wird von einem Betriebsrat, vom Arbeitsgericht oder der Betriebsversammlung im Hinblick auf eine zeitnah durchzuführende Betriebsratswahl bestellt (§§ 16 – 17a BetrVG) und hat nach seiner Bestellung die Wahl unverzüglich einzuleiten, vorzubereiten und durchzuführen (§ 18 BetrVG). Kommt der Wahlvorstand dieser Verpflichtung nicht nach, kann er nach § 18 Abs. 1 S. 2 BetrVG ersetz werden. Eine Bestätigung oder Änderung der Einsetzung ist durch den Betriebsrat ist im Gesetz nicht vorgesehen.
III.
43
Dieser Beschluss ergeht gerichtskostenfrei.
44
Er kann mit der Beschwerde zum Landesarbeitsgericht München angegriffen werden. Im einzelnen gilt folgende