Titel:
Säumniszuschläge im Notlagentarif
Normenketten:
VVG § 193 Abs. 3 S. 1, Abs. 6 S. 2, Abs. 7 S. 2, § 206 Abs. 1 S. 1
VAG § 153
SGB IV § 24
AO § 240
Leitsätze:
1. Ein privater Krankenversicherer kann auch bei einer im Notlagentarif geführten Versicherung für rückständige Prämien Säumniszuschläge nach § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG verlangen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Säumniszuschläge auf Prämienrückstände sind nach § 193 Abs. 6 S. 2 VVG auch im Notlagentarif der privaten Krankenversicherung zu entrichten, da es sich bei dem Notlagentarif um einen substitutiven Krankenversicherungstarif iSd § 193 Abs. 3 S. 1 handelt (Anschluss an LG Saarbrücken BeckRS 2022, 26967; LG Berlin BeckRS 2013, 3502; entgegen AG Medebach BeckRS 2017, 131297 Rn. 22). (Rn. 11 – 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Höhe des Säumniszuschlags von 1% monatlich. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
private Krankenversicherung, Notlagentarif, substitutive Krankenversicherung, Säumniszuschläge
Vorinstanz:
LG Traunstein, Urteil vom 25.07.2024 – 1 O 2184/23
Fundstellen:
BeckRS 2024, 37958
LSK 2024, 37958
FDVersR 2025, 937958
r+s 2025, 173
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25.07.2024, Az. 1 O 2184/23, wird insoweit als unzulässig verworfen, als die Klage auf Zahlung von Zinsen aus 897,01 € abgewiesen worden ist.
2. Auf die Berufung des Klägers wird aufgrund der Säumnis des Beklagten das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 25.07.2024, Az. 1 O 2184/23, insoweit teilweise abgeändert, als die Klage auf Zahlung von 897,01 € (ohne Zinsen) abgewiesen worden ist. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 897,01 € zu zahlen.
3. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Der Beklagte unterhält bei dem Kläger eine private Krankenversicherung, die sich im Notlagentarif befindet. In der Zeit von März 2021 bis September 2023 bezahlte der Beklagte die Prämien dieses Tarifs nicht. Diese betrugen monatlich 171,93 € von März bis Dezember 2021 und 190,52 € von Januar 2022 bis September 2023.
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Im ersten Rechtszug hat der Kläger die Zahlung der Prämien von 5.720,22 € sowie von Säumniszuschlägen in Höhe von 897,01 € jeweils nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit verlangt. Der Beklagte ist säumig gewesen. Das Landgericht hat durch „Teilend- und Teilversäumnisurteil“ entschieden. Es hat der Klage auf Prämienzahlung nebst Zinsen durch Versäumnisurteil stattgegeben; hiergegen hat der Beklagte keinen Einspruch eingelegt. Im Übrigen – wegen der Säumniszuschläge nebst Zinsen – hat das Landgericht die Klage abgewiesen.
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Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren betreffend die Säumniszuschläge nebst Zinsen weiter. Der Beklagte ist auch im Berufungsverfahren säumig geblieben.
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Die Berufung des Klägers ist teilweise als unzulässig zu verwerfen. Im Übrigen hat sie Erfolg und führt zur teilweisen Abänderung des angefochtenen Urteils durch Versäumnisurteil.
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1. Die Berufung ist insoweit unzulässig, als sie sich gegen die Aberkennung von Zinsen aus den geltend gemachten Säumniszuschlägen richtet.
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Die Abweisung des Zinsanspruchs wird im angefochtenen Urteil auch damit begründet, dass einem Zinsanspruch auf Säumniszuschläge die Vorschrift des § 289 BGB entgegenstünde. Mit dieser Begründung, welche die Abweisung eines Anspruchs auf Zinsen aus den Säumniszuschlägen selbständig – unabhängig von der Berechtigung der Säumniszuschläge – trägt, beschäftigt sich die Berufungsbegründung entgegen § 520 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2024 – IV ZB 34/23, juris Rn. 12 mwN), was zur teilweisen Unzulässigkeit der Berufung führt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2006 – I ZR 121/03, NJW-RR 2006, 1044). Hierauf hat der Senat hingewiesen.
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2. Im Übrigen hat die zulässige Berufung in der Sache Erfolg. Sie führt zur teilweisen Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung des Beklagten auch in Höhe der Säumniszuschläge durch Versäumnisurteil (§§ 331 ff, § 539 Abs. 3 ZPO) auf der Grundlage des zulässigen tatsächlichen Vorbringens des Klägers (§ 539 Abs. 2 ZPO).
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a) Der Kläger kann von dem Beklagten dem Grunde nach Säumniszuschläge gemäß § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG für die Monate März 2021 bis September 2023 verlangen.
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aa) Der Versicherungsnehmer in einer der Pflicht nach § 193 Abs. 3 VVG genügenden Versicherung (§ 193 Abs. 6 Satz 1 VVG) hat gemäß § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG für jeden angefangenen Monat eines Prämienrückstandes an Stelle von Verzugszinsen einen Säumniszuschlag zu entrichten. Ein Anspruch auf Säumniszuschläge nach dieser Vorschrift besteht auch für rückständige Prämien im Notlagentarif der privaten Krankheitskostenversicherung (ebenso im Ergebnis OLG Oldenburg, Urteil vom 8. Februar 2017 – 5 U 91/16, juris Tenor sowie Rn. 5 und 29, insoweit nicht abgedruckt in VersR 2017, 872).
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(1) Das Landgericht hat ausgeführt, ein Anspruch auf Säumniszuschläge gemäß § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG bestehe nicht. Diese Vorschrift beziehe sich auf Rückstände aus dem Ausgangstarif und sehe keine Säumniszuschläge für den in § 193 Abs. 7 VVG geregelten Notlagentarif vor. Dieser stelle keinen substitutiven Krankenversicherungstarif nach § 193 Abs. 3 VVG dar (vgl. auch AG Medebach, r+s 2018, 27 Rn. 25: deutlich geringerer Leistungsumfang). Die Regelung über den Notlagentarif bezwecke eine Begrenzung der auflaufenden Beitragsrückstände bei einem nicht zahlungsfähigen Versicherungsnehmer. Diesem Zweck würde die Zuerkennung von Säumniszuschlägen zuwiderlaufen, deren Ziel, eine zeitnahe Zahlung der Beiträge zu fördern, bei einem unzureichend zahlungsfähigen Versicherungsnehmer regelmäßig nicht erreicht werden könne.
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(2) Nach herrschender Meinung handelt es sich bei dem Notlagentarif gemäß § 193 Abs. 7 VVG, § 153 VAG um einen substitutiven Krankenversicherungstarif im Sinne des § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG (Bach/Moser/Haase-Uhländer, Private Krankenversicherung, 6. Aufl., § 8 MB/KK Rn. 77; MünchKomm-VVG/Hütt/da Silva Conceição, 3. Aufl., § 193 Rn. 45). Deshalb seien gemäß § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG, der einen solchen Tarif voraussetzt, Säumniszuschläge auch im Notlagentarif zu entrichten (vgl. LG Saarbrücken, r+s 2022, 701; BeckOK-VVG/Gramse, 2024, § 193 Rn. 74; Prölss/Martin/Voit, VVG, 32. Aufl., § 193 Rn. 43; vgl. auch zu § 193 Abs. 6 VVG aF: BGH, Urteil vom 7. Dezember 2011 – IV ZR 50/11, NJW 2012, 376 Rn. 21; LG Berlin, r+s 2013, 395; Rauscher/Maischein, r+s 2012, 478, 480 f).
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(3) Den Vorzug verdient die herrschende Meinung. § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG ist nach Wortlaut, Regelungszusammenhang, Entstehungsgeschichte und Zweck in diesem Sinne auszulegen.
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(a) Der Wortlaut des § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG schließt Prämienrückstände aus einer im Notlagentarif geführten Krankenversicherung nicht aus dem Anwendungsbereich aus. Der Wortlaut setzt voraus, dass sich der Versicherungsnehmer mit seiner Prämienzahlungspflicht in Verzug befindet. Eine solche Prämienzahlungspflicht besteht jedoch im Notlagentarif ebenso, wenngleich in reduzierter Form gemäß § 153 VAG (vgl. auch LG Saarbrücken, r+s 2022, 701 Rn. 11).
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(b) Die Systematik des § 193 VVG sowie der Zusammenhang mit den Regelungen in §§ 38, 206 Abs. 1 VVG sprechen für die Anwendbarkeit des § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG auf den Notlagentarif.
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(aa) Aus der Zusammenschau von § 193 Abs. 6 Satz 1, Satz 2 VVG ergibt sich, dass ein Anspruch auf Säumniszuschläge eine der Pflicht nach § 193 Abs. 3 VVG genügende Versicherung voraussetzt. Eine im Notlagentarif gemäß § 193 Abs. 7 VVG, § 153 VAG geführte Krankheitskostenversicherung genügt der Pflicht nach § 193 Abs. 3 VVG (vgl. LG Saarbrücken, r+s 2022, 701 Rn. 9 f; Bach/Moser/Haase-Uhländer, Private Krankenversicherung, 6. Aufl., § 8 MB/KK Rn. 77; MünchKomm-VVG/Hütt/da Silva Conceição, 3. Aufl., § 193 Rn. 45).
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§ 193 Abs. 3 VVG nennt als Mindestvoraussetzung einer der Versicherungspflicht genügenden Krankenversicherung eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung. Gemäß § 153 Abs. 1 Satz 2 VAG sieht der Notlagentarif grundsätzlich die Aufwendungserstattung für Leistungen vor, die zur Behandlung von akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind. Dies umfasst ambulante und stationäre Heilbehandlung (vgl. BeckOK-VAG/Franz, 2024, § 153 Rn. 27). Auch wenn danach nur ein Mindestmaß an medizinischen Leistungen – für akute Fälle, Schmerzversorgung sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft – abgedeckt ist und somit ein geringerer Leistungsumfang gegenüber dem Basistarif besteht, steht dies nicht im Widerspruch zu den in § 193 Abs. 3 VVG aufgeführten Anforderungen (LG Saarbrücken, aaO Rn. 10). Vielmehr wird gerade der Notlagentarif als Maßstab dafür herangezogen, welche Leistungen noch als ausreichend im Sinne des § 193 Abs. 3 VVG anzusehen sind (LG Saarbrücken, aaO; vgl. Prölss/Martin/Voit, VVG, 32. Aufl., § 193 Rn. 11).
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(bb) Der in § 193 Abs. 6 VVG geregelte Mechanismus tritt an die Stelle des sonst bei Zahlungsverzug bestehenden Kündigungsrechts des Versicherers nach § 38 Abs. 3 VVG, das in diesen Fällen nach § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2018 – IV ZR 81/18, NJW 2019, 359 Rn. 21 f; LG Saarbrücken, r+s 2022, 701 Rn. 12). Dem Versicherer fehlt daher trotz andauernder Verletzung der Hauptleistungspflichten durch den Versicherungsnehmer die Möglichkeit, sich durch die Ausübung eines Gestaltungsrechts vom Vertrag zu lösen. Er muss stattdessen die Versicherung im Notlagentarif fortsetzen und weitere Leistungen erbringen, weshalb es für ihn und letztlich die gesamte Versichertengemeinschaft von gesteigertem Interesse ist, den Versicherungsnehmer zu der Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten (BVerfG, r+s 2022, 460 Rn. 32 mwN; vgl. auch LG Saarbrücken, aaO Rn. 15). Dieses Ziel verfolgt § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG (vgl. BVerfG, aaO Rn. 31).
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(c) Die Gesetzgebungsgeschichte zeigt, dass dem Gesetzgeber bei Einführung des Notlagentarifs die Problematik der Säumniszuschläge vor Augen stand, ohne dass es Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Zuschläge im neu eingeführten Notlagentarif nicht gelten sollten.
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Die hier interessierenden Regelungen in § 193 VVG sind durch das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2423) eingeführt worden. Ziel des Gesetzes war es zum einen, den in der gesetzlichen Krankenversicherung bei Prämienschulden vorgesehenen Säumniszuschlag von 5% an den in der privaten Krankenversicherung vorgesehenen von 1% je Monat anzugleichen. Der Gesetzgeber hat damit ausdrücklich davon Abstand genommen, Säumniszuschläge in der Krankenversicherung ganz abzuschaffen. Zum anderen zielte das Gesetz auf eine Abschaffung der bisherigen Regelung, wonach das Ruhen des Vertrages nach einem Jahr endete und der Vertrag im Basistarif fortgeführt wurde, was zu einer weiteren Überschuldung des Versicherungsnehmers und einer finanziellen Mehrbelastung der Versichertengemeinschaft führte (vgl. BT-Drs. 17/13079, S. 1, 6). In Ansehung dieser Problematik hat der Gesetzgeber den Säumniszuschlag beibehalten (vgl. LG Saarbrücken, r+s 2022, 701 Rn. 16).
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Der Gesetzgeber hat in § 193 Abs. 7 VVG die Einzelheiten der Ausgestaltung des Notlagentarifs ausdrücklich geregelt. Danach entfallen Risikozuschläge, Leistungsausschlüsse und Selbstbehalte während dieser Zeit. Der in § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG normierte Säumniszuschlag wird hier nicht genannt. Hätte der Gesetzgeber über den Ausschluss des Kündigungsrechts gemäß § 206 Abs. 1 Satz 1 VVG sowie von Risikozuschlägen, Leistungsausschlüssen und Selbstbehalten gemäß § 193 Abs. 7 Satz 2 VVG hinaus dem Versicherer trotz seines fortbestehenden Anspruchs auf Bezahlung der rückständigen Prämien das Recht nehmen wollen, Säumniszuschläge auf die rückständigen Prämien auch aus dem Notlagentarif zu erheben, so wäre zu erwarten, dass er dies ausdrücklich normiert hätte, was aber nicht der Fall ist. Für ein schlichtes Übersehen durch den Gesetzgeber gibt es nach der vorstehend dargelegten Entstehungsgeschichte keinen Anhaltspunkt (vgl. auch LG Saarbrücken, aaO Rn. 13).
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(d) Es entspricht dem Zweck des § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG, dass ein Anspruch auf Säumniszuschläge auch im Notlagentarif besteht. Nicht überzeugend ist das Argument des Landgerichts im angefochtenen Urteil, dem Zweck des Notlagentarifs – einer Begrenzung der Beitragsrückstände – würde die Zuerkennung von Säumniszuschlägen zuwiderlaufen, deren Ziel, den Versicherungsnehmer zu einer zeitnahen Beitragszahlung anzuhalten, bei unzureichender Zahlungsfähigkeit regelmäßig nicht erreicht werden könne. Erstens geht der Zweck des Säumniszuschlags hierüber hinaus und zweitens ist die Annahme nicht gerechtfertigt, der Notlagentarif sei ein Tarif für bedürftige Versicherungsnehmer.
22
Der Notlagentarif soll neben der Gewährleistung der Notfallversorgung auch das Kollektiv der Versichertengemeinschaft entlasten (vgl. BT-Drucks. 17/13079, S. 1, 6; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2018 – IV ZR 81/18, NJW 2019, 359 Rn. 21 aE). Aus der Pflicht des Versicherers, die Versicherung im Notlagentarif fortzusetzen und weitere Leistungen zu erbringen (s.o. unter (b).(bb)), ergibt sich ein gesteigertes Interesse des Versicherers und letztlich der gesamten Versichertengemeinschaft, den Versicherungsnehmer zu der Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten (vgl. BVerfG, r+s 2022, 460 Rn. 32; LG Saarbrücken, r+s 2022, 701 Rn. 15). Vor diesem Hintergrund verfolgt § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG nicht nur das Ziel, den Versicherungsnehmer zur zeitnahen Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen anzuhalten, sondern auch die Verletzung eben jener Verpflichtungen zu sanktionieren (vgl. BVerfG, aaO Rn. 31).
23
Ist der Versicherungsnehmer wegen seiner finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage, die Forderungen der Leistungserbringer selbst zu begleichen, so sieht das Gesetz eine Lösung über § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG vor. Hiernach tritt das Ruhen des Vertrages nicht ein oder endet, wenn der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ist oder wird. Die Hilfebedürftigkeit ist auf Antrag des Versicherungsnehmers vom zuständigen Träger zu bescheinigen. Hilfebedürftige Personen kommen deshalb entweder gar nicht in den Notlagentarif oder fallen mit Eintritt der Hilfebedürftigkeit aus diesem heraus. Der Notlagentarif ist mithin – anders als der Begriff nahelegt – von vornherein nicht der Tarif für einen bedürftigen Versicherungsnehmer, der grundsätzlich nicht in der Lage ist, seinen Verpflichtungen aus dem Versicherungsvertrag nachzukommen und dem wegen seiner finanziellen Verhältnisse Ansprüche auf Leistungen aus dem Sozialgesetzbuch zustehen. Der Grund für die Nichtzahlung spielt beim Notlagentarif gerade keine Rolle. Es handelt sich bei ihm in der Sache um einen reinen Tarif für Nichtzahler, wie sich auch aus § 153 Abs. 1 Satz 1 VAG ergibt (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2018, aaO Rn. 21 mwN; vgl. LG Saarbrücken, r+s 2022, 701 Rn. 14).
24
bb) Der Beklagte bezahlte im Notlagentarif keine Prämien für die Monate März 2021 bis September 2023.
25
cc) Dahinstehen kann, ob fehlendes Vertretenmüssen des Versicherungsnehmers einem Anspruch gemäß § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG entgegenstünde. Dies ist umstritten (vgl. BVerfG, r+s 2022, 460 Rn. 23 mwN).
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Auf ein fehlendes Vertretenmüssen hat sich der (säumige) Beklagte nicht berufen. Ein solches liegt bei ausbleibenden Prämienzahlungen über – wie hier – 31 Monate im Notlagentarif auch fern. Schon die Umstellung in den Notlagentarif setzt voraus, dass der Zahlungsrückstand höher ist als der Prämienanteil für zwei Monate, der Versicherungsnehmer danach zweimal gemahnt wurde und der Rückstand dann immer noch höher ist als der Prämienanteil für einen Monat (vgl. § 193 Abs. 6 VVG).
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b) Der Anspruch auf Säumniszuschläge besteht in der geltend gemachten Höhe von 897,01 €.
28
aa) Der Säumniszuschlag beläuft sich auf 1% monatlich.
29
Nach § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG hat der Versicherungsnehmer „für jeden angefangenen Monat eines Prämienrückstandes an Stelle von Verzugszinsen einen Säumniszuschlag in Höhe von 1 Prozent des Prämienrückstandes zu entrichten“. Wie § 24 SGB IV für die gesetzliche Krankenversicherung ist die Vorschrift in dem Sinne auszulegen, dass der Säumniszuschlag 1% im Monat beträgt (LG Berlin, r+s 2013, 395; vgl. Rauscher/Maischein, r+s 2012, 478, 481).
30
Es bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Höhe des Säumniszuschlags von 1% monatlich. Für § 240 AO, der ebenfalls einen Säumniszuschlag in dieser Höhe vorsieht, hat dies der Bundesfinanzhof in letzter Zeit mehrfach entschieden (vgl. BFHE 278, 1; BFH, DStRE 2024, 305). Zudem sind Bedenken gegen §§ 233a, 240 AO nicht auf § 193 Abs. 6 Satz 2 VVG übertragbar (vgl. BVerfG, r+s 2022, 460 mwN).
31
bb) Die Berechnung des Gesamtbetrags der Säumniszuschläge aus den einzelnen Zuschlägen für die Monate März 2021 bis September 2023 ergibt sich aus der Forderungsaufstellung des Klägers (Anlage B 1).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 2 ZPO. Die Revision ist – für den Kläger – gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen.