Titel:
Antrag auf einstweilige Anordnung, Ausbildungsförderung, Fachrichtungswechsel, Doppelstudium, Wichtiger Grund
Normenketten:
VwGO § 123
BAföG § 7 Abs. 3
Schlagworte:
Antrag auf einstweilige Anordnung, Ausbildungsförderung, Fachrichtungswechsel, Doppelstudium, Wichtiger Grund
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37830
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).
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Der Antragsteller studiert seit dem Wintersemester 2017 verschiedene Fachrichtungen (u.a. Mathematik, Physik, Geschichte und Germanistik) an der …- … … (***) und erhielt dafür in der Vergangenheit Leistungen nach dem BAföG. Im Sommersemester 2023 studierte er Volkswirtschaftslehre, Germanistik und Philosophie. Für das Wintersemester 2023/2024 beantragte er Leistungen nach dem BAföG. Er gab als Fachrichtung „VWL Bachelor parallel Philosophie Hauptfach mit VWL Nebenfach Bachelor“ an. In einem Schreiben erläuterte, er habe die Änderung seiner Fachrichtung vorgenommen, weil die Zusammenarbeit zwischen ihm als Schwerbehindertem und dem (vorigen) Hauptfach Germanistik nicht gut gewesen sei. Auf Nachfrage des Antragsgegners, für welche Fachrichtung er die Leistungen beantrage, teilte er mit, dass er den Antrag für das Fach Volkswirtschaftslehre stelle. Der Antragsgegner bewilligte Leistungen nach dem BAföG mit Bescheid vom … … … für den Zeitraum September 2023 bis September 2024.
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Mit Antrag vom … … … beantragte der Antragsteller Ausbildungsförderung für die Fachrichtung „Philosophie Hauptfach 120 ECTS mit Nebenfach VWL 60 ECTS und parallel VWL 180 ECTS“ für den Bewilligungszeitraum Oktober 2024 bis September 2025. Auf Nachfrage teilte der Antragsteller mit Schreiben vom … … … mit, er beantrage die Förderung für den Studiengang Philosophie Hauptfach Bachelor 120 ECTS. Die Zusammenarbeit zwischen ihm als Schwerbehindertem und „der Volkswirtschaftslehre 180 ECTS“ sei nicht gut. Er legte eine fachärztliche Bescheinigung vor, wonach der Antragsteller eine schwere chronische Erkrankung habe und alle 12 bis 21 Tage je zwei Folgetermine stattfänden.
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Mit Bescheid vom … … … lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Der Antragsteller habe die Fachrichtung seines Studiengangs gewechselt, ohne dass ein wichtiger oder unabweisbarer Grund gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG vorliege.
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Am … … … erhob der Antragsteller gegen den Ablehnungsbescheid Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht … (* … * …*) sowie einen Eilantrag.
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Zur Begründung führte der Antragsteller aus, er habe das Bachelorstudium Volkswirtschaftslehre nicht abgebrochen, sondern studiere parallel Philosophie als Hauptfach mit Nebenfach Volkswirtschaftslehre. Er besitze die intellektuellen Voraussetzungen für das Studium. Der Antragsteller bezog sich auf seine Schwerbehinderung und seine schwerwiegende chronische Erkrankung. Er habe die Voraussetzungen, die Bachelor-Hausarbeit zu schreiben. Viele Klausuren habe er aufgrund von Zugausfällen nicht ablegen können. Der Antragsteller machte eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf seine Herkunft aus einem anderen EU-Mitgliedstaat und seine schwerwiegende chronische Erkrankung geltend.
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Am … … … beantragte der Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
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Es komme nicht darauf an, ob das Volkswirtschaftslehre-Studium zusätzlich weiterbetrieben werde. Gemäß der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum BAföG (BAföGVwV) Nr. 7.1.14 Abs. 2 seien die Regelungen des Fachrichtungswechsels anzuwenden, wenn Ausbildungsförderung für einen anderen als den ursprünglich geförderten Studiengang beantragt werde. Nach Abzug von vier „Coronasemestern“ sowie von zwei anerkannten Semestern im Fach Philosophie liege ein Fachrichtungswechsel nach vier Semestern vor. Da der Fachrichtungswechsel zum Wintersemester … erfolgt sei, sei nach § 66a Abs. 8 BAföG gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG ein wichtiger Grund erforderlich. Der Antragsteller berufe sich auf einen Eignungsmangel, welcher einen wichtigen Grund darstelle, jedoch unverzüglich erfolgen müsse. Da der Antragsteller nach zehn Fachsemestern nur 60 ECTS erreicht habe, hätte er zu einem früheren Zeitpunkt erkennen können und müssen, dass ihm für das Studium der Volkswirtschaftslehre die Eignung fehle. Zudem gehe aus der Begründung vom … … … nicht hervor, dass sich die nachgewiesene Behinderung speziell auf das Studienfach Volkswirtschaftslehre auswirke.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag ist unbegründet.
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1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat dabei sowohl die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sogenannten Anordnungsgrund, als auch das Bestehen eines zu regelnden Rechts, den sogenannten Anordnungsanspruch, glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Maßgebend sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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2. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller jedenfalls das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs nicht glaubhaft gemacht.
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a) Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für die weiterführende allgemeinbildende und zumindest für drei Schul- oder Studienjahre berufsbildender Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3 BAföG bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluss geleistet. Gemäß § 7 Abs. 3 BAföG wird bei einem Fachrichtungswechsel Ausbildungsförderung für eine andere Ausbildung geleistet, wenn ein wichtiger oder unabweisbarer Grund vorliegt. Ein Auszubildender wechselt nach der gesetzlichen Regelung die Fachrichtung, wenn er einen anderen berufsqualifizierenden Abschluss oder ein anderes bestimmtes Ausbildungsziel eines rechtlich geregelten Ausbildungsganges an einer Ausbildungsstätte derselben Ausbildungsstättenart anstrebt.
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b) Im vorliegenden Fall liegt ein Fachrichtungswechsel vor, auch wenn der Antragsteller die aktuelle Fächerkombination bereits seit dem Wintersemester 2023/2024 studiert und sein bisheriges Bachelorstudium der Volkswirtschaftslehre weiterhin parallel zum Philosophiestudium, für das die Förderung beantragt wurde, fortführt.
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aa) Bei einem Doppelstudium erhält der Auszubildende Förderung nur für einen der beiden parallel betriebenen Ausbildungsgänge (vgl. Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 8. Aufl. 2024, § 7 Rn. 128; VG Karlsruhe, U.v. 24.07.2015 – 5 K 2812/14 – juris). Wenn ein Auszubildender – wie der Antragsteller – gleichzeitig zwei nach dem BAföG förderungsfähige Ausbildungen betreibt, dann wird diejenige Ausbildung gefördert, die nach den hochschulrechtlichen Bestimmungen als Hauptstudium geführt oder beim Fehlen einer dahingehenden hochschulrechtlichen Regelung vom Auszubildenden als solche bezeichnet wird (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.1981 – 5 C 63.79 – juris; VG Frankfurt, Gb.v. 25.2.2022 – 3 K 3225/20.F – juris Rn. 50). Es ist bei einem Doppelstudium erforderlich, dass der Auszubildende festlegt, welches das Fach ist, in dem er primär seinen Ausbildungsabschluss anstrebt (HessVGH, B.v. 3.11.1986 – 9 TG 529/84 – juris; VG Hamburg, U.v. 1.2.2012 – 2 K 2143/08 – juris). Wird danach die Förderung statt für den bisher geförderten (nicht abgeschlossenen) Studiengang nunmehr für den anderen begehrt, kommt eine weitere Förderung für diesen anderen Studiengang nur unter den Voraussetzungen eines Fachrichtungswechsels in Betracht, also wenn ein wichtiger oder unabweisbarer Grund für alle vorangegangenen Fachrichtungswechsel (vgl. VG München, U.v. 21.11.2019 – M 15 K 18.1957 – juris) vorliegt (vgl. Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 8. Aufl. 2024, § 7 Rn. 128, Nr. 7.1.14 Abs. 2 BAföGVwV). Dies gilt unabhängig davon, ob der Antragsteller sein bisheriges Studium parallel weiterführt. Dabei ist die Abgrenzung zur bloßen Schwerpunktverlagerung, bei dem die betroffenen Studiengänge bis zum Wechsel identisch sind oder die im zunächst durchgeführten Studiengang verbrachten Semester auf den anderen Studiengang voll angerechnet werden, nach Auffassung des Gerichts durch einen Vergleich des bisherigen hauptsächlich studierten Faches im Vergleich zu dem nunmehr hauptsächlich studierten Fach zu vollziehen, nicht durch einen Vorher-Nachher-Vergleich der Fächerkombination. Dies entspricht auch der Systematik der Verwaltungsvorschriften zum BAföG, die bei der Regelung betreffend Doppelstudien die Regelung zur Schwerpunktverlagerung zu bedenken geben (vgl. Nr. 7.1.14 Abs. 2 Satz 1 BAföGVwV). Die Regelung, dass auch bei dem Wechsel des hauptsächlichen Faches im Doppelstudium grundsätzlich § 7 Abs. 3 BAföG zu beachten ist, hat jedoch nur einen Anwendungsbereich, wenn dieser nicht wegen der unveränderten Materie automatisch als bloße Schwerpunktverlagerung einzuordnen ist.
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bb) Gemessen an diesem Maßstab hat der Antragsteller die Fachrichtung gewechselt. Denn er hat nunmehr die Förderung für das Studium der Philosophie beantragt und nicht mehr für das Studium der Volkswirtschaftslehre. Dass es sich dabei um einen tatsächlichen Wechsel seines hauptsächlich verfolgten Faches handelt, indiziert die Tatsache, dass der Antragsteller seine Zusammenarbeit mit der Fakultät für Volkswirtschaftslehre in Frage gestellt hat. Er hat damit zu erkennen gegeben, dass er das Studium der Philosophie als hauptsächliches Studium zu verfolgen gedenkt. Zudem hat der Antragsteller in seinem Antrag das Fach Philosophie zuerst genannt, während er das Volkswirtschaftslehrestudium im vorherigen Antrag noch voranstellte. Auch wurde die Ausbildungsstätte nicht gewechselt. Der Antragsteller hat zudem nicht glaubhaft gemacht, dass es sich um eine bloße Schwerpunktverlagerung handele, weil die Studiengänge der Volkswirtschaftslehre bis zum Wechsel identisch wären oder die im Hauptfach Volkswirtschaftslehre verbrachten Semester auf den Studiengang Philosophie voll angerechnet würden.
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c) Ein wichtiger Grund liegt nicht vor, so dass es auf die von der Übergangsregelung in § 66a Abs. 8 BAföG geregelten Fristen nicht ankommt. Die Vermutung des § 7 Abs. 3 S. 3 BAföG eines wichtigen Grundes bei erstmaligem Fachrichtungswechsel greift nicht ein, da der Antragsteller in der Vergangenheit bereits mehrfach die Fachrichtungen gewechselt hat. Unabhängig davon, welcher Maßstab – wichtiger oder unabweisbarer Grund – aufgrund der Anrechnung von Fachsemestern auf den neugewählten Studiengang gilt, hat der Antragsteller nicht einmal einen wichtigen Grund glaubhaft gemacht, für dessen Vorliegen er die Beweis- bzw. Feststellungslast trägt (vgl. z.B. VG Ansbach, U.v, 7.12.2022 – AN 2 K 22.00466 – juris Rn. 42 m.w.N., VG München, Gb.v. 4.7.2024 – M 15 K 24.969 – juris). Erst Recht hat er somit nicht glaubhaft gemacht, dass der strengere Maßstab des unabweisbaren Grundes erfüllt ist, bei dem ihm die Fortführung seiner begonnenen Ausbildung nicht möglich ist (vgl. BVerwG, U. v. 19.2.2004 – 5 C 6.03 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 14.10.2015 – 12 C 14.2417 – juris Rn. 12).
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aa) Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn dem Auszubildenden die Fortsetzung der bisherigen Ausbildung nach verständigem Urteil unter Berücksichtigung aller im Rahmen des BAföG erheblichen Umstände einschließlich der mit der Förderung verbundenen persönlichen und an Ziel und Zweck der Ausbildungsförderung orientierten öffentlichen Interessen nicht mehr zugemutet werden kann (BVerwG, U.v. 21.6.1990 – 5 C 45/87 – juris Rn. 11). Der Begriff des wichtigen Grundes ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit unterliegt. Mit zunehmender Dauer der bisherigen Ausbildung werden gesteigerte Anforderungen an die Anerkennung eines wichtigen Grundes gestellt. Es erscheint zumutbar, eine bestimmte Ausbildung fortzusetzen und den Beruf dann zu ergreifen, auch wenn dies z.B. nicht voll der Neigung des Auszubildenden entspricht (vgl. VG München, U.v. 9.12.2022 – M 15 K 21.3980 – juris Rn. 37).
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bb) Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass ihm die Durchführung seines bisherigen Studiengangs nicht zumutbar ist. Im Gegenteil führt er diesen Studiengang sogar weiter, was stark für dessen Zumutbarkeit streitet. Zudem hat er lediglich pauschal behauptet, die Zusammenarbeit zwischen der Fakultät Volkswirtschaftslehre und ihm als Schwerbehindertem funktioniere nicht, ohne zu erläutern, wie sich dies äußert und inwiefern seine Erkrankung gerade in diesem Studiengang zur Unzumutbarkeit führe. Soweit der Antragsteller sich auf eine mangelnde Eignung beziehen mag, erschließt sich nicht, weshalb er das Studium der Volkswirtschaftslehre dann sowohl im Haupt- als auch im Nebenfach weiterführt. Im Gegenteil nimmt der Antragsteller in der Antragschrift selbst für sich in Anspruch, die Eignung für den Studiengang Volkswirtschaftslehre zu haben.
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3. Nach alledem war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).