Titel:
Türkei, offensichtliche Unbegründetheit, bejaht, wirtschaftliche Gründe, Wehrdienst, Gülen-Bewegung, Art. 301 des türkischen Strafgesetzbuchs, Alevit, Georgier
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 1
Schlagworte:
Türkei, offensichtliche Unbegründetheit, bejaht, wirtschaftliche Gründe, Wehrdienst, Gülen-Bewegung, Art. 301 des türkischen Strafgesetzbuchs, Alevit, Georgier
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37734
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller ist ein am ... 2004 in Ü. geborener türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 20. Juni 2023 mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik ein und stellte einen Asylantrag. Nach eigenen Angaben hat er einen Onkel im Bundesgebiet. Die Eltern, Geschwister und die Großfamilie leben in der Türkei.
2
1. Am 29. Februar 2024 wurde der Antragsteller beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) persönlich angehört. Er gab im Wesentlichen an, er sei gemeinsam mit seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester per Flugzeug nach M. ausgereist und habe dabei keine Probleme gehabt. Mutter und Schwester seien inzwischen wieder in die Türkei zurückgekehrt. In den letzten Jahren sei er bereits mehrmals aus touristischen Gründen ausgereist, nach Bulgarien und Georgien. Über e-Devlet habe er erfahren, dass er als Wehrdienstflüchtiger registriert sei und bei seiner Heimkehr eine Geldstrafe zahlen müsse. Sonstige Anklagen, Haftbefehle oder Urteile gegen ihn gebe es nicht. Nach dem Militärputsch in der Türkei im Jahr 2016, als er zwölf Jahre alt gewesen sei, sei die Polizei zu seiner Familie nach Hause gekommen und habe seine Mutter für zwei Tage verhaftet. Seitdem erlebten sie schulisch und familiär große Schwierigkeiten, finanzieller und psychischer Art. Auf der Straße würde die Familie ausgegrenzt, der Mutter sei wegen Verbindungen zur Gülen-Bewegung die Arbeit gekündigt worden. Der Vater sei dann Alleinverdiener gewesen, die Familie habe in eine billigere Wohnung umziehen müssen. Er selbst sei wegen des Gülen-Verdachts gegen seine Mutter von Mitschülern gehänselt und als Terrorist abgestempelt worden. Dieser Vorwurf gegen seine Mutter werde nie aus den Akten gelöscht werden, weshalb er bei Bewerbungen immer Probleme haben werde. Er habe einen Uni-Test für das Lehramtsstudium bestanden, allerdings einen zugesagten Studienplatz nicht angenommen, weil er befürchte, nach vier Jahren Studium nicht eingestellt zu werden. Dies gelte auch für andere Stellen in seinem Wunschbereich, den Sozialwissenschaften. Stellen in diesem Bereich würden staatlich kontrolliert. Einen konkreten Anlass für ihn, im Jahr 2023 seine Heimat zu verlassen, habe es nicht gegeben. Bei einer Rückkehr in die Türkei befürchte er finanzielle Probleme, weil er nicht so einfach wie andere Leute an Arbeitsstellen komme. Er könne es auch moralisch nicht vertreten, für den türkischen Staat zu arbeiten. Arbeit in der Privatwirtschaft sei wie moderne Sklaverei. Außerdem wolle er nicht, dass sich die traumatischen Erlebnisse aus seiner Kindheit wiederholten. Für sein Leben in Deutschland habe er einen Plan, er wolle eine Ausbildung im Bereich Elektromobilität machen.
3
2. Mit Bescheid vom 4. Dezember 2024, zugestellt am 12. Dezember 2024, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1 des Bescheids), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Die Abschiebung in die Republik Türkei oder einen anderen Staat, in den der Antragsteller einreisen darf oder der zu seine Rückübernahme verpflichtet ist, wurde angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der Klagefrist und im Falle der fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
4
Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, dem Vortrag des Antragstellers sei keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung zu entnehmen. Er habe angegeben, aus wirtschaftlichen Gründen in Deutschland zu sein. Er befürchte, wegen des staatlichen Verdachts auf eine Gülen-Mitgliedschaft der Mutter keine Arbeit im staatlichen Sektor zu finden. Im privaten Sektor wolle er wegen schlechter Bezahlung nicht arbeiten. Auch die Einziehung zum Wehrdienst führe nicht zu Flüchtlingsschutz, sondern treffe alle männlichen türkischen Staatsangehörigen. Es sei daher davon auszugehen, dass der Antragsteller die Türkei unverfolgt verlassen habe. Er selbst habe gesagt, einen konkreten Anlass für seine Ausreise im Juni 2023 habe es nicht gegeben. Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet folge aus § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Der Antragsteller habe nur Umstände vorgebracht, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang seien. Zudem dränge sich in Anbetracht seines Vortrags auf, dass der Antragsteller aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist sei. Die Abschiebungsandrohung folge aus § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG. Eine Trennung der Kernfamilie aus Eltern und minderjährigen Kindern sei nicht zu befürchten. Die familiäre Bindung zu seinem Onkel stehe dem Erlass einer Rückkehrentscheidung nicht entgegen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot stütze sich auf § 11 Abs. 1 AufenthG, wobei die Frist von 30 Monaten mangels besonderer Anhaltspunkte festgesetzt worden sei.
5
3. Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2024 ließ der Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 4. Dezember 2024 erheben (Az. W 7 K 24.32638) und im vorliegenden Verfahren beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Klage gem. § 80 Abs. 5 VwGO wird für den Kläger angeordnet.
6
Zu Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, die Voraussetzungen für eine Offensichtlichkeitsentscheidung lägen nicht vor. Der Antragsteller habe bei seiner Anhörung dargelegt, dass asylrechtlich relevante Ansprüche bei ihm nicht ausgeschlossen seien. Seine Mutter sei nach dem Militärputsch 2016 verhaftet worden. Hierzu wurde ein türkischsprachiger Beschluss der Staatsanwaltschaft O. vom 29. September 2017 in Kopie vorgelegt. Der Antragsteller habe sich damit einhergehenden Ausgrenzungen entziehen wollen, jetzt gelte er als flüchtig im Sinne des Wehrdienstes. Die Mutter des Antragstellers sei georgischer Abstammung, der Vater sei Alevit. Deshalb erleide der Antragsteller Ungleichbehandlungen in seiner Heimat. Der Vater habe mit 49 Jahren in Rente gehen müssen und bekomme nur eine sehr niedrige Rente. Der Antragsteller wolle diesen Zwängen entgehen, habe sehr gut Deutsch gelernt und wolle sich hier integrieren und arbeiten. Außerdem sei eine Bestrafung des Antragstellers nach Art. 301 des türkischen Strafgesetzbuchs zu befürchten, weil er seine Heimat woanders schlechtgemacht habe. Zudem sei der Antragsteller mit der Übersetzung seines Vortrags bei der Antragsgegnerin nicht einverstanden. Die Antworten seien deutlich gekürzt worden.
7
4. Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen, und bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
8
5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren W 7 K 24.32638 sowie auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
9
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG).
10
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 und 4 AsylG in Verbindung mit § 80 Abs. 5 VwGO ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf deren sofortige Vollziehbarkeit. Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Nach diesem Maßstab darf die Vollziehung der aufenthaltsbeenden Maßnahme nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – DVBl. 1996, 729, juris). Das Verwaltungsgericht muss überprüfen, ob das Bundesamt aufgrund einer umfassenden Würdigung der ihm vorgetragenen oder sonst erkennbaren maßgeblichen Umstände unter Ausschöpfung aller ihm vorliegenden oder zugänglichen Erkenntnismittel entschieden und in der Entscheidung klar zu erkennen gegeben hat, weshalb der Antrag nicht als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist, ferner, ob die Ablehnung als offensichtlich unbegründet auch weiterhin Bestand haben kann (BVerfG, B.v. 25.2.2019 – 2 BvR 1193/18 – juris Rn. 21 m.w.N.). Bei dieser Prüfung bleiben von den Beteiligten nicht angegebene und nicht gerichtsbekannte Tatsachen und Beweismittel gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG unberücksichtigt (BVerfG, B.v. 23.7.2020 a.a.O.).
11
Gemessen an diesem Maßstab begegnet die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote zugunsten des Antragstellers nicht festzustellen und die Abschiebung in die Türkei anzudrohen, keinen ernstlichen Zweifeln.
12
Das Gericht folgt hierbei den Feststellungen und der Begründung im angefochtenen Bescheid und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer nochmaligen Darstellung ab (§ 77 Abs. 2 AsylG). Die Ausführungen im Bescheid decken sich mit der bestehenden Erkenntnislage, insbesondere mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amts (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 20.5.2024, Stand: Januar 2024).
13
Ergänzend wird ausgeführt:
14
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass der Asylantrag zu Recht als offensichtlich unbegründet i.S.d. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abgelehnt wurde. Die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung des Asylantrags geradezu aufdrängt (vgl. etwa BVerfG, B.v. 27.9.2007 – 2 BvR 1613/07 – juris Rn. 17). Dies ist hier der Fall. Der Vortrag des Antragstellers ist asylrechtlich offensichtlich nicht von Relevanz.
15
Der Antragsteller konnte mit seinem individuellen Vortrag – diesen als wahr unterstellt – nicht glaubhaft machen, dass ihm in der Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine flüchtlingsrelevante Verfolgung droht. Er ist auf Grundlage dieses Vortrags bisher offensichtlich keiner Verfolgungshandlung i.S.v. § 3a AsylG durch staatliche türkische Stellen ausgesetzt gewesen. Die Angaben sind daher „nicht von Belang“ i.S.v. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Sie enthalten offensichtlich keine Anhaltspunkte für eine begründete Furcht vor einer drohenden (politischen) Verfolgung durch türkische Sicherheitsorgane oder durch nichtstaatliche Akteure, denen keine staatlichen Schutzakteure gegenüberstünden. Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung hat der Antragsteller vor seiner Ausreise nicht erlitten, eine solche droht ihm auch bei einer Rückkehr nicht. Auch hinsichtlich des subsidiären Schutzes erweist sich der Asylantrag daher als offensichtlich unbegründet.
16
Der Antragsteller hat im Rahmen seiner Anhörung vorgetragen, wegen des Verdachts auf eine Gülen-Mitgliedschaft seiner Mutter werde er in der Türkei dauerhaft diskriminiert werden, insbesondere Probleme bei der Stellensuche im staatlichen Sektor haben. In der Privatwirtschaft wolle er wegen schlechter Gehälter nicht arbeiten (a). Zudem werde er wegen der Entziehung vom Wehrdienst gesucht und müsse eine Strafe befürchten (b). Sein Bevollmächtigter hat im gerichtlichen Verfahren weiter vorgetragen, der Antragsteller werde in der Türkei diskriminiert, weil seine Mutter georgischer Abstammung sei und der Vater Alevit (c). Außerdem drohe ihm Strafverfolgung (d) Zudem seien die Angaben des Antragstellers bei seiner Anhörung durch das Bundesamt vom dortigen Dolmetscher verkürzt worden, hier könne etwas nicht stimmen (e).
17
Eine asylrelevante Gefährdungslage lässt sich diesem Vorbringen nicht entnehmen. Im Einzelnen:
18
a) Der Vortrag des Antragstellers wegen vermuteter Probleme bei der Stellensuche nach einem Lehramtsstudium bzw. allgemein im staatlichen Sektor und der schlechten Bezahlung in der Privatwirtschaft ist auch zur Überzeugung des Einzelrichters nicht asylrelevant, sondern vielmehr unter § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu subsumieren. Hier ist Vorbringen einzuordnen, das im Einklang mit dem früheren Regelbeispiel des § 30 Abs. 2 AsylG a.F. darauf hinausläuft, dass ein Asylantrag einzig aus wirtschaftlichen Gründen gestellt wurde (Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand: 1.7.2024, § 30 AsylG Rn. 14).
19
Der Antragsteller hat nicht vorgebracht, selbst Verfolgung wegen des Verdachts der Gülen-Mitgliedschaft seiner Mutter ausgesetzt gewesen zu sein. Vielmehr berichtet er von Hänseleien in der Schule, die auch kumuliert betrachtet offensichtlich nicht das Maß flüchtlingsrechtlich relevanter Verfolgung erreichen. Die Befürchtung, er werde im Anschluss an ein Lehramtsstudium wegen dieser Vorfälle in den Jahren 2016/17, als er zwölf Jahre alt gewesen ist, nicht eingestellt werden, wird durch die Faktenlage nicht untermauert. Insbesondere wurde der Antragsteller nach seinen Angaben unbeanstandet zum Studium zugelassen und hat sich selbst entschieden, dieses nicht anzutreten. Auch eine Tätigkeit im Privatsektor wäre dem Antragsteller zumutbar, auch wenn die dortigen Gehälter nicht seinen Vorstellungen entsprechen.
20
Dass die Familie in der Türkei wegen des Verdachts einer Gülen-Mitgliedschaft der Mutter verfolgt würde, ist dem Vortrag des Antragstellers nicht zu entnehmen. Insbesondere ergibt sich das nicht aus dem vorgelegten Beschluss der Staatsanwaltschaft bzgl. der Mutter des Antragstellers. Zwar wird in den einschlägigen Erkenntnismitteln über Folter an mutmaßlichen Gülen-Anhängern insbesondere in Polizeigewahrsam berichtet (z.B. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2024, S. 17). Es wird von einer fortdauernden politisch motivierten Strafverfolgung mutmaßlicher Gülen-Anhänger berichtet, die in zahlreichen Fällen zur Vollstreckung von Gefängnisstrafen führt (Bundesamt, Länderkurzinformation Türkei – Gülen-Bewegung, Oktober 2024, S. 4 f.). Ein flüchtlingsrechtlich relevanter Politmalus wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Lage in der Türkei regelmäßig bei Personen angenommen, die als Mitglieder der PKK oder der Gülen-Bewegung im Rahmen eines laufenden Ermittlungs- oder Strafverfahrens ins Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten sind (SächsOVG, U.v. 7.2.2024 – 5 A 234/19.A – juris Rn. 58; OVG SH, U.v. 31.5.2016 – 11 LB 53/15 – juris Rn. 37; OVG LSA, B.v. 17.5.2016 – 3 L 177/15 – juris Rn. 18; SächsOVG, U.v. 7.4.2016 – 3 A 557/13.A – juris Rn. 34).
21
Drohende Verfolgung ist aber schon bzgl. der Mutter des Antragstellers nicht anzunehmen. Im vorgelegten türkischsprachigen Beschluss vom 29. September 2017, der aufgrund der schlechten Scanqualität nur eingeschränkt automatisiert übersetzt werden konnte, geht es offenbar um ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation („FETÖ“). Inhaltlich wird bzgl. der Mutter des Antragstellers offenbar die Auswertung von Beweismitteln behandelt (Az. 2017/1229). Wie dieses Verfahren aus dem Jahr 2017 weiterging, lässt sich dem Beschluss nicht entnehmen. Nachdem die Mutter des Antragstellers nach dessen Angaben zwischenzeitlich wieder freiwillig in die Türkei ausgereist ist, ist nicht anzunehmen, dass dieses Ermittlungsverfahren zu politischer Verfolgung geführt hat. Vielmehr deutet der Vortrag im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren darauf hin, dass das Verfahren folgenlos eingestellt wurde, auch wenn sich eine abschließende Aussage hierzu auf Grundlage der vorgelegten Beweismittel nicht treffen lässt. Ernstliche Zweifel an der Abschiebungsandrohung folgen aus diesem Gesamtbild jedenfalls nicht.
22
Wenn aber schon bzgl. der Mutter des Antragstellers diesbezüglich nicht von flüchtlingsrelevanter Verfolgung auszugehen ist, so ist entsprechende Verfolgung auch für den Antragsteller selbst nicht zu befürchten. Das diesbezügliche Vorbringen läuft auf den Wunsch nach einer wirtschaftlichen Neuorientierung in der Bundesrepublik hinaus. Das diesbezügliche Engagement des Antragstellers (Sprachkurs und Wille zur Arbeitsaufnahme) ist sehr begrüßenswert. Im Rahmen eines Asylverfahrens ist es rechtlich aber nicht von Relevanz.
23
b) Auch die vorgebrachten Konsequenzen einer Entziehung von der Wehrpflicht führen nicht zur Zuerkennung internationalen Schutzes, zur Asylberechtigung bzw. der Feststellung eines Abschiebungsverbots. Die Befugnis eines Staates, seine Staatsangehörigen zum Wehrdienst heranzuziehen, ist allgemein anerkannt. Es handelt sich um eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht, die nicht auf die Verfolgung von Individuen abzielt (BVerwG B.v. 16.1.2018 – 1 VR 12.17 – juris Rn. 86). Dass der Antragsteller hier individuell benachteiligt wird, ist weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Vielmehr soll er wie jeder Mann in seinem Alter zum Wehrdienst herangezogen werden.
24
c) Auch die Zugehörigkeit der Mutter des Antragstellers zur georgischen Minderheit und des Vaters zum alevitischen Glauben führen nicht zum Erfolg des Antrags. Zum einen hat der Antragsteller hierzu bei seiner Anhörung beim Bundesamt nichts vorgetragen, sodass entsprechende Verfolgungshandlungen offenbar nicht fluchtauslösend waren. Selbst wenn man aber zum anderen angesichts des Vortrags zur verkürzenden Übersetzung des Anhörungsprotokolls davon ausgeht, dass der diesbezügliche Vortrag seines Bevollmächtigten in der Antragschrift bereits vom Antragsteller im Verwaltungsverfahren vorgebracht worden ist, kann eine stattgebende Entscheidung hiermit nicht begründet werden.
25
Aleviten sind in der Türkei nicht wegen ihrer Religionszugehörigkeit gruppenverfolgt (SächsOVG, U.v. 6.3.2024 – 5 A 3/20.A – juris Rn. 54 ff. m.w.N.; so auch schon OVG NW, U.v. 19.4.2005 – 8 A 273/04.A – juris Rn. 332 ff.; HessVGH, U.v. 7.7.1997 – 12 UE 2815/96.A – juris Rn. 40 f.). Die türkische Verfassung sieht die positive und negative Religions- und Gewissensfreiheit vor. Die individuelle Religionsfreiheit ist weitgehend gewährleistet. Es gibt Berichte über staatliche Diskriminierung von Nicht-Sunniten bei Einstellung im öffentlichen Dienst. Keine nicht-sunnitische Religions- oder Glaubensgemeinschaft verfügt in der Türkei über eine Rechtspersönlichkeit als Religionsgemeinschaft. Es gibt etwa 15 bis 20 Millionen Aleviten, die damit die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei bilden (vgl. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2024, S. 10 f.). Der türkische Staat erkennt das Alevitentum als kulturelles Phänomen, nicht aber als religiöses Bekenntnis an. Nach dem Putschversuch 2016 wurden auch die Aleviten pauschal verdächtigt, mit dem Militär und den Putschisten sympathisiert zu haben, es kam zu Verhaftungen und dem Verlust von Arbeitsplätzen. Die Aleviten werden von Teilen der Mehrheitsgesellschaft sozial ausgegrenzt. Hassreden und Hassverbrechen halten an. Allerdings gibt es zwischenzeitlich auch Schritte der Regierung zur Verbesserung der Situation, auch wenn diese von Kritik begleitet sind (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Türkei vom 18.10.2024, S. 206 ff.). Etwaige Verfolgungshandlungen zielen dennoch nicht auf alle Aleviten, sondern betreffen nur einen kleinen Teil. Eine generelle Gefährdung unter Maßgabe der Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 23.1.1991 – 2 BvR 902/85, 2 BvR 515/89, 2 BvR 1827/89 – BVerfGE 83, 216 m.w.N.; BVerwG, B.v. 24.2.2015 – 1 B 31.14 – juris; U.v. 21.4.2009 – 10 C 11.08 – juris Rn. 13 ff.) ergibt sich aus den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht (vgl. VG Bremen, U.v. 5.5.2023 – 2 K 2868/20 – juris Rn. 31; VG Düsseldorf, B.v. 5.6.2024 – 28 L 1283/24.A – juris). Selbiges gilt für die ethnische Minderheit der Georgier (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2024, S. 10).
26
Der Vortrag in der Antragsschrift beschränkt sich der Sache nach auf eine Gruppenverfolgung, der Georgier und Aleviten in der Türkei ausgesetzt seien, die allerdings nach ständiger und gefestigter Rechtsprechung nicht vorliegt. Aus dem Vorbringen des Antragstellers lässt sich keine individuelle Verfolgungssituation oder -gefahr aufgrund eines Verfolgungsgrunds i.S.d. § 3b AsylG ableiten. Die vom Antragsteller vorgetragenen Einschränkungen und Rückkehrbefürchtungen gehen nicht über die strukturell in der türkischen Gesellschaft verankerten Diskriminierungen hinaus, die unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen die Anforderungen an eine Gruppenverfolgung nicht erfüllen. In diesem Zusammenhang ist außerdem festzuhalten, dass das Vorbringen in der Antragsschrift zur zwangsweisen Frühverrentung des Vaters des Antragstellers vollkommen unsubstantiiert geblieben ist und im Übrigen den Angaben im Rahmen der Anhörung, nur die Mutter habe ihre Arbeit verloren, widerspricht.
27
d) Eine stattgebende Entscheidung lässt sich auch nicht mit der vorgebrachten befürchteten Strafverfolgung nach Art. 301 des türkischen Strafgesetzbuchs wegen öffentlichen Herabsetzens der Türkei, in Form der Qualifikation des Abs. 3 durch Herabsetzen im Ausland, begründen. Es ist schon nicht ersichtlich, durch welches Verhalten der Antragsteller sich nach dieser Vorschrift strafbar gemacht haben soll. Entsprechende Ermittlungen wurden auch nach seinen Angaben nicht eingeleitet. Es liegen außerdem keine Berichte dazu vor, dass zurückkehrende Asylbewerber bei einer Rückkehr wegen des Stellens eines Asylantrags im Ausland verfolgt werden würden (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2024, S. 22).
28
e) Die Anordnung aufschiebender Wirkung kommt schließlich auch nicht wegen der behaupteten Fehlübersetzung im Anhörungsprotokoll des Bundesamts in Betracht. Denn selbst wenn man, wie hier unter dd), den Vortrag des Antragstellers bei seiner Anhörung beim Bundesamt um das Vorbringen seines Bevollmächtigten im Gerichtsverfahren erweitert, lässt sich hieraus kein Grund für die begehrten Entscheidungen ableiten. Die Frage nach der inhaltlichen Berechtigung der Vorwürfe kann daher im Ergebnis dahinstehen, ohne dass es für eine Entscheidung der persönlichen Anhörung des Antragstellers durch das Gericht bedürfte.
29
2. Auch im Übrigen ist von der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids auszugehen. Insbesondere bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen die auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung als solche. Eine Trennung der Kernfamilie aus Eltern und minderjährigen Kindern steht nicht zu befürchten. Dass in Deutschland ein Onkel des Antragstellers lebt, macht die Abschiebungsandrohung nicht unverhältnismäßig, zumal die Eltern und Geschwister des Antragstellers in der Türkei leben.
30
3. Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG abzulehnen.