Titel:
Äthiopien, Zurückverweisung unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens, erneute Durchführung des Gerichtsverfahrens, Bindungswirkung der Zurückverweisung, Flüchtlingseigenschaft, Vorfluchtgründe unglaubhaft, Bindungswirkung hinsichtlich der Nachfluchtgründe, subsidiärer Schutz, keine ernsthafte individuelle Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt, Abschiebungsverbot, gesunder Mann, familiärer Hintergrund (Großfamilie), Existenzminimum, keine extreme Gefahrenlage, keine gesundheitlichen Einschränkungen
Normenketten:
AsylG § 79 Abs. 2
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 Satz 1
Schlagworte:
Äthiopien, Zurückverweisung unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens, erneute Durchführung des Gerichtsverfahrens, Bindungswirkung der Zurückverweisung, Flüchtlingseigenschaft, Vorfluchtgründe unglaubhaft, Bindungswirkung hinsichtlich der Nachfluchtgründe, subsidiärer Schutz, keine ernsthafte individuelle Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt, Abschiebungsverbot, gesunder Mann, familiärer Hintergrund (Großfamilie), Existenzminimum, keine extreme Gefahrenlage, keine gesundheitlichen Einschränkungen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37730
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der im Verfahren 24 B 23. … vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entstandenen Kosten zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
1
Der zur Person nicht ausgewiesene Kläger, nach seinen eigenen Angaben ein am … 1991 geborener äthiopischer Staatsangehöriger oromischer Volkszugehörigkeit und islamischen Glaubens, beantragte am 13. Juni 2016 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Gewährung politischen Asyls.
2
Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 12. Mai 2017 gab der Kläger an, er sei nach äthiopischem Kalender am … 1977, nach gregorianischem Kalender am … 1984, geboren worden. Bei der Einreise nach Deutschland sei kein Dolmetscher zugegen gewesen, der das Geburtsdatum richtig hätte übersetzen können. Er habe seinen Militärdienstausweis vernichtet, um seine Identität zu verschleiern, weil er in Äthiopien in Gefahr gewesen sei. Er habe in der Region T. in dem Grenzort Z. A. gewohnt, weil er dort als Soldat stationiert gewesen sei. Seine Familie lebe in der Region O. Er habe Äthiopien am 27. Juni 2014 nach Sudan verlassen und sei über Libyen, Italien und Österreich nach Deutschland gereist, wo er am 27. April 2015 angekommen sei. Er sei vom 20.7. (Megabit) 2002 (äthiopisch) bis zur Flucht vom Stationierungsort am 20.10. (Sene) 2006 (äthiopisch) Soldat gewesen. Zuletzt sei er Vize-Asiraleqa gewesen. Er begehre deshalb die Gewährung politischen Asyls, weil er am 18.7. (Megabit) 2006 (äthiopisch) mit anderen Soldaten zu einem Einsatz nach A. habe ausrücken müssen. Ihm sei mitgeteilt worden, dass sich dort die OLF befinde und die Bevölkerung gegen die Regierung aufhetze. Er habe die OLF mit allen Mitteln bekämpfen sollen. Am 21.7. (Megabit) 2006 (äthiopisch) habe es eine große Demonstration gegen die Regierung in A. gegeben, mit Ausschreitungen und Chaos. Der Auftrag habe gelautet, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Seine Einheit sei vor einer Bank postiert worden, um diese zu schützen. Er habe den Befehl bekommen, auf Leute zu schießen, wenn er sich bedroht fühle oder wenn gegen das Gebäude vorgegangen werde. Die Ausführung dieses Befehles habe er verweigert. Dies habe der Vorgesetzte an den übergeordneten Offizier weiter gemeldet. Daraufhin sei er, der Kläger, in Richtung der Demonstranten geflohen. Diese hätten ihm einen Fluchtweg gezeigt und mit Hilfe von Demonstranten habe er sich in Zivil gekleidet. Den Militärausweis habe er zerrissen. Daraufhin sei er zu seiner Tante gegangen, wo er sich etwa drei Monate lang aufgehalten habe. Am 30.8. (Miyazya) 2006 (äthiopisch) sei ein Brief angekommen, in welchem er aufgefordert worden sei, sich den Behörden zu stellen. Am 20.10. (Sene) 2006 (äthiopisch) sei er mit einem Brief aus der Armee entlassen worden mit der Mitteilung, dass er offiziell gesucht werde. In einer von seinem Bruder angemieteten Wohnung habe er sich zwei Monate heimlich aufgehalten und der Bruder habe die Ausreise organisiert.
3
Mit Bescheid vom 5. Februar 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), den Antrag auf Asylanerkennung (Ziffer 2.) und den Antrag auf subsidiären Schutz (Ziffer 3.) ab. Zudem wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 4.). Der Kläger wurde unter Abschiebungsandrohung nach Äthiopien zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung aufgefordert (Ziffer 5.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6.). Zur Begründung wurde ausgeführt, dem Kläger drohe gemäß den äthiopischen Gesetzen aufgrund seiner Desertion höchstens bis zu fünf Jahren Inhaftierung. Diese knüpfe jedoch nicht an ein Merkmal im Sinne der Flüchtlingseigenschaft an.
4
Am 16. Februar 2018 ließ der Kläger im Verfahren W 3 K 18.30299 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben und beantragen, die Beklagte unter insoweitiger Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Februar 2018 zu verpflichten, dem Kläger internationalen Schutz in Form der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Zur Begründung wurde auf die Vorfluchtgründe und die exilpolitischen Tätigkeiten des Klägers abgestellt.
6
Mit Beschluss vom 8. Mai 2018 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Mit Urteil vom 9. Mai 2018 verpflichtete das Verwaltungsgericht Würzburg im Verfahren W 3 K 18.30299 unter insoweitiger Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. Februar 2018 die Beklagte, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Dabei ließ das Gericht es dahinstehen, ob der Kläger vor seiner Ausreise bereits Verfolgungsmaßnahmen erlitten habe oder von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht gewesen sei und stützte seine Entscheidung auf die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers, aufgrund derer ihm die in § 3 Abs. 1 AsylG beschriebenen Gefahren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohten. Dabei ging das Gericht davon aus, dass äthiopische Staatsangehörige, die Mitglied einer von der äthiopischen Regierung als terroristische Vereinigung eingestuften Organisation oder einer solchen Organisation nahestehenden Exilorganisation seien und die ein Mindestmaß an exilpolitischer Tätigkeit aufwiesen, bei einer Rückkehr nach Äthiopien auch dann einer ernstzunehmenden Verfolgungsgefahr ausgesetzt seien, wenn sie sich nicht als tatsächlich ernstzunehmende Regime-Gegner erwiesen, sondern lediglich als bloße Mitläufer.
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Mit Beschluss vom 18. Juni 2018 bewilligte das Gericht dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts.
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Gegen das Urteil vom 9. Mail 2018 beantragte die Beklagte am 15. Juni 2018, die Berufung gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung zuzulassen und in deren Abänderung die Klage abzuweisen. Das Verfahren wurde beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof unter dem Az. 8 ZB 18.31552 geführt.
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Mit Beschluss vom 21. März 2019 ließ der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Verfahren 8 ZB 18.31552 die Berufung zu und begründete dies damit, das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg weiche nachträglich vom Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Februar 2019 im Verfahren 8 B 17.31645 ab. Das Verfahren wurde unter dem Az. 8 B 19.31522 fortgeführt, anschließend unter dem Aktenzeichen 24 B 19.31522.
11
Zugleich bewilligte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof dem Kläger für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwalts.
12
Unter dem 3. März 2020 lud der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Parteien zur mündlichen Verhandlung am 26. März 2020 vor dem Vorsitzenden, unter dem 16. März 2020 hob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den auf den 26. März 2020 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung ohne weitere Begründung auf.
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Mit Schreiben vom 20. April 2020 regte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Beantragung des Ruhens des Verfahrens mit der Begründung an, aufgrund der Corona-Pandemie müsse man die Entwicklung abwarten, bevor entschieden werden könne. Das Corona-Szenario habe naturgemäß Einfluss insbesondere auf die streitgegenständliche Entscheidung des Bundesamtes betreffend § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG.
14
Aufgrund entsprechender Anträge der Parteien ordnete der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Verfahren 24 B 19.31522 mit Beschluss vom 28. April 2020 das Ruhen des Verfahrens an.
15
Aufgrund einer Anfrage des Klägerbevollmächtigten vom 21. Januar 2023, ob das gerichtliche Verfahren durch Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes einem Ende zugeführt werden könne, äußerte sich die Beklagtenseite dahingehend, die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes lägen nicht vor.
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Mit Schreiben vom 1. Februar 2023 teilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof den Parteien mit, aufgrund des Schriftsatzes vom 27. Januar 2023 werde das Verfahren 24 B 19.31522 weitergeführt, nunmehr unter dem Aktenzeichen 24 B 23.30101. Zugleich hörte es die Parteien zu einem Vorgehen nach § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO an mit dem Hinweis, diese Vorschrift sei zum 1. Januar 2023 in Kraft getreten.
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Einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht Würzburg nach Maßgabe des § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG stellte sich die Beklagte mit Schreiben vom 27. Februar 2023 entgegen mit der Argumentation, die Voraussetzungen dieser Vorschrift lägen deshalb nicht vor, weil das Verwaltungsgericht die allgemeine asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevante Lage in Äthiopien in Bezug auf die Voraussetzungen einer Zuerkennung subsidiären Schutzes oder der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG nicht beurteilt habe, dies deshalb, weil es die Klage in Bezug auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft für begründet erachtet habe. Dies sei jedoch nach dem Wortlaut des § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG Voraussetzung einer Zurückverweisung. Aus Sicht der Beklagten sei im vorliegenden Fall keine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich, um zu klären, ob aufgrund ethnischer Konflikte und/oder der humanitären Lage in Äthiopien subsidiärer Schutz zu gewähren oder Abschiebungsverbote festzustellen seien. Aus den aktuellen Erkenntnismitteln gehe ohne Weiteres hervor, dass die Klage unbegründet sei.
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Mit Beschluss vom 6. März 2023 hob der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Verfahren 24 B 23.30101 das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. Mai 2018 und das verwaltungsgerichtliche Verfahren auf und wies das Verfahren nach § 79 Abs. 2 AsylG an das Verwaltungsgericht Würzburg zurück. Dies wurde damit begründet, die Voraussetzungen des § 79 Abs. 2 AsylG lägen vor, weil das Verwaltungsgericht Würzburg in zahlreichen Fällen ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung Verfolgung wegen exilpolitischer Betätigung bejaht und nicht geprüft habe, ob andere Gründe für die Gewährung von Flüchtlingsschutz oder von subsidiärem Schutz oder der Feststellung von Abschiebungshindernissen vorlägen. Der 8. Senat des Verwaltungsgerichtshofs habe demgegenüber die allgemeine Situation hinsichtlich der exilpolitischen Betätigung anders beurteilt. Das vorliegende Berufungsverfahren müsste daher mündlich verhandelt werden. Die hierfür notwendige Prüfung der aktuellen allgemeinen Lage in Äthiopien sowie der individuellen Situation des Klägers wäre mit umfassenden Beweiserhebungen verbunden, die zu erheblichen Verzögerungen in anderen Streitsachen führen würden.
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Nach Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. März 2023 begann das Verwaltungsgericht Würzburg das Gerichtsverfahren unter dem nunmehrigen Az. W 3 K 23.30206 neu und machte die Parteien darauf aufmerksam, dass das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Würzburg aufgrund der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 2023 auf den Verfahrensstand zurückgesetzt worden ist, den es im Zeitpunkt der Klageerhebung nach § 81 VwGO gehabt hat, womit sämtliche sich anschließenden Verfahrensschritte aufgrund der Aufhebung des Verfahrens durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ihre Rechtswirkung verloren haben.
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Der Klägerbevollmächtigte ließ zur Begründung der Klage vortragen, entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes lägen zwischenzeitlich wieder zahlreiche Nachweise darüber vor, dass in Äthiopien Unterstützer und/oder Mitglieder von oppositionellen Parteien verfolgt und auch getötet werden würden. Sowohl in O. als auch in Am. komme es zu Massenverhaftungen von kritischen Journalisten und von Oppositionellen. Es gebe schlimmste Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung. Der Kläger sei in T. als Soldat stationiert gewesen und er sei desertiert. Die OLA sei genauso wie die TPLF seit Mai 2021 zur terroristischen Organisation erklärt worden. Allein die Vermutung, jemand unterstütze die OLA, reiche für eine extralegale Inhaftierung aus. Zudem lägen aufgrund der hohen Opferzahlen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG vor. Die wirtschaftliche Lage habe sich in Äthiopien nochmals verschlechtert. Damit sei auch die humanitäre Lage katastrophal. Der Kläger habe deshalb bei einer Rückkehr nach Äthiopien keine Möglichkeit, seine wirtschaftliche Existenz zu sichern. Die Eltern des Klägers seien bereits verstorben. Die Geschwister des Klägers seien zu Verwandten an einen anderen Ort geflüchtet, dies aufgrund ständiger kriegerischer Kampfhandlungen im Herkunftsgebiet.
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Der Kläger ließ beantragen,
Die Beklagte wird unter insoweitiger Aufhebung des Bescheides vom 5. Februar 2018 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise den subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG zuzuerkennen,
weiter hilfsweise festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
22
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen und führte aus, die politische Situation in Äthiopien habe sich für Regierungsgegner und Oppositionelle mit der Wahl von … … … im April 2018 zum neuen Premierminister deutlich verbessert. Sogar exponierte OLF-Mitglieder hätten keine staatlichen Verfolgungsmaßnahmen mehr zu befürchten. Die OLF habe das Recht, sich in Äthiopien politisch frei zu betätigen. Gleichwohl komme es noch immer zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Regierung und Splittergruppen der OLF, denn die Regierung wolle bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden sowie bestehende Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien bekämpfen und die Lage beruhigen. Somit handele es sich nicht um gezielte staatliche Verfolgungsmaßnahmen.
23
Der Kläger könne bei einer Rückkehr nach Äthiopien sein Existenzminimum erwirtschaften. Er sei jung, gesund, arbeitsfähig und habe in Äthiopien seine Großfamilie.
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Mit Beschluss vom 4. Oktober 2024 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
25
Verschiedene im Einzelnen benannte Unterlagen wurden zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
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Im Übrigen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2024, auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Bundesamtes und auf die einschlägigen Verwaltungsakten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
27
Aufgrund des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. März 2023 (Az.: 24 B 23. …), mit welchem er das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. Mai 2018 und das verwaltungsgerichtliche Verfahren aufgehoben und das Verfahren nach § 79 Abs. 2 AsylG an das Verwaltungsgericht Würzburg zurückgewiesen hat, ist das Verwaltungsgericht Würzburg erneut zur Entscheidung über das vorliegende Verfahren berufen. Aufgrund der Aufhebung nicht nur des Urteils, sondern auch des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (vgl. in Bezug auf die insoweit wort- und inhaltsgleiche Vorschrift des § 130 Abs. 2 Halbs. 1 VwGO zur Möglichkeit, das Urteil aufzuheben, das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht aber ganz oder teilweise bestehen zu lassen, dies unter Berücksichtigung des Konflikts der Zurückverweisung mit dem Gebot, das Verfahren zügig zu gestalten: Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 130 Rn. 15 und Rn. 17) hat das Gericht nach der Zurückverweisung sämtliche ab Klageerhebung erforderlichen Verfahrensschritte wie Anforderung einer originären Klagebegründung und einer Klageerwiderung mit der entsprechenden Möglichkeit zum rechtlichen Gehör für die jeweilige Gegenseite sowie eine Übertragung auf den Einzelrichter erneut durchgeführt; lediglich eine erneute Entscheidung über den mit Beschluss vom 18. Juni 2018 entschiedenen Prozesskostenhilfeantrag war nicht erneut erforderlich, da die Klagepartei hierauf mit Schreiben vom 3. Januar 2024 verzichtet hat.
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Nach § 79 Abs. 2 Satz 2 AsylG ist das Gericht hinsichtlich der Frage nach der Gewährung von Flüchtlingsschutz wegen exilpolitischer Betätigung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht gebunden (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 6.3.2023 – 24 B 23.30101, letzter Absatz). Dies gilt jedoch nicht hinsichtlich der Rechtsmeinung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, die Prüfung der aktuellen allgemeinen Lage in Äthiopien sowie der individuellen Situation des Klägers sei mit „umfassenden Beweiserhebungen“ verbunden. Insofern entfaltet der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. März 2023 keine Bindungswirkung. Derartige Beweiserhebungen sind seitens der Parteien nicht beantragt worden und das Gericht hat sie nicht für erforderlich gehalten, so dass kein derartiger Beweis zu erheben war.
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Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Begehren des Klägers, die Beklagte unter insoweitiger Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 5. Februar 2018 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise ihm den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Gemäß § 102 Abs. 2 VwGO konnte das Gericht in Abwesenheit einer Vertretung der Beklagten verhandeln und entscheiden.
31
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.
32
Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
33
Rechtsgrundlage für die begehrte Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG. Danach wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, gemäß § 3 Abs. 4 AsylG die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention – GK –), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung u.a. wegen seiner politischen Überzeugung außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
34
Schutz nach § 3 Abs. 1 AsylG wird gewährt, wenn dem Schutzsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit wegen der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Merkmale Rechtsverletzungen aufgrund von Handlungen im Sinne von § 3a AsylG durch einen Akteur im Sinne von § 3c AsylG in seinem Herkunftsland drohen, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung des Staates ausgrenzen, so dass ihm nicht zuzumuten ist, in sein Herkunftsland zurückzukehren (BVerfG, B.v. 10.7.1989 – 2 BvR 502, 1000, 961/86 – NVwZ 1990, 151 f.; BVerwG, U.v. 29.11.1987 – 1 C 33.71 – BVerwGE 55, 82, 83 m.w.N.).
35
Die Furcht vor Verfolgung ist im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, das heißt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Für die Verfolgungsprognose gilt ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Asylsuchende Vorverfolgung erlitten hat. Dieser im Tatbestandsmerkmal „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung“ des Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr („real risk“) abstellt; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 16; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – NVwZ 2018, 1408 = juris Rn. 14; U.v. 1.6.2011 – 10 C 25.10 – BVerwGE 140, 22 = juris Rn. 22).
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Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erfordert die Prüfung, ob bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festzustellenden Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Dem qualitativen Kriterium der Zumutbarkeit kommt damit maßgebliche Bedeutung zu. Eine Verfolgung ist danach beachtlich wahrscheinlich, wenn einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 4.7.2019 – 1 C 31.18 – juris Rn. 22; U.v. 19.4.2018 – 1 C 29.17 – juris Rn. 14; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23.12 – juris Rn. 32; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33.07 – juris Rn. 37).
37
Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Situation des Asylsuchenden und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass diese die Gefahr politischer Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Anspruch auf die Gewährung politischen Asyls oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Schutzbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – Buchholz § 108 VwGO Nr. 147). Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts sind u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Schutzsuchenden zu berücksichtigen (BVerwG, B.v. 3.8.1990 – 9 B 45.90 – juris Rn. 2; BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 27 m.w.N.).
38
An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint sowie auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – InfAuslR 1991, 94/95; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 135; BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 113).
39
Nach diesen Maßstäben hat die Klagepartei keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, denn gemessen an den oben dargestellten Voraussetzungen konnte der Kläger nicht glaubhaft machen, dass er in Äthiopien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in die Gefahr einer Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG kommen werde, sollte er in dieses Land zurückkehren.
40
Der Kläger hat im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 12. Mai 2017 vorgebracht, er sei vom 20. Megabit 2002 bis zum 20. Sene 2006 Soldat der äthiopischen Armee gewesen. Am 18. Megabit 2006 sei er zu einem Einsatz nach A. kommandiert worden, wo er anlässlich einer Demonstration am 21. Megabit 2006 angewiesen worden sei, auf Demonstranten zu schießen. Diesen Befehl habe er verweigert und er sei aus Angst vor einer Bestrafung wegen Befehlsverweigerung desertiert. Er habe sich anschließend zunächst drei Monate lange in Or. bei einer Tante und anschließend zwei Monate in Ad. in einer Wohnung aufgehalten, bevor er das Land verlassen habe.
41
In der mündlichen Verhandlung war der Kläger nicht in der Lage, diesen Sachverhalt in einer Art und Weise darzustellen, dass ihm das Gericht dahin Glauben schenken könnte, er habe diesen Sachverhalt tatsächlich selbst erlebt.
42
Auf mehrfache Nachfrage des Gerichts hinsichtlich des Grundes seiner Sorge vor einer Verfolgung nach einer Rückkehr nach Äthiopien hat der Kläger die von ihm vor dem Bundesamt vorgebrachte Desertion nicht einmal ansatzweise erwähnt. Vielmehr hat er sich trotz mehrfacher Nachfrage zu seiner Verfolgungsfurcht lediglich auf bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Opposition und Regierung berufen. Erst nachdem das Gericht den Kläger auf den konkreten Sachverhalt der Desertion direkt angesprochen hat, hat der Kläger hierzu vorgetragen. Allerdings war er nicht einmal ansatzweise in der Lage, die von ihm behaupteten diesbezüglichen Geschehnisse in zeitlicher Hinsicht einzuordnen. Er konnte weder anhand des äthiopischen noch anhand des gregorianischen Kalenders das Jahr benennen, in welchem die von ihm geschilderten Ereignisse stattgefunden haben sollen. Weiterhin hat er als Ort der regulären Stationierung seiner Truppe lediglich den Ort B. genannt, während er vor dem Bundesamt in erster Linie den Ort Z. A. angegeben hatte. Auf gerichtliche Nachfrage hat der Kläger erklärt, dass seine Angabe vor dem Bundesamt richtig sei, dies allerdings in einer Art und Weise, dass deutlich wurde, dass ihm seine Angaben vor dem Bundesamt nicht mehr bewusst gewesen sind. Bei der Anhörung vor dem Bundesamt hat der Kläger vorgetragen, er habe die Aufgabe gehabt, im Rahmen der Demonstration das Bankgebäude vor einem Überfall zu schützen und dann zu schießen, wenn die Demonstranten gegen das Gebäude vorgingen oder wenn er selbst sich bedroht fühle. In der mündlichen Verhandlung hat er dem gegenüber angegeben, er habe den Befehl erhalten, die Demonstration aufzulösen und dabei auf die Demonstranten zu schießen. Diesen Widerspruch hat der Kläger lediglich mit Übersetzungsfehlern des Dolmetschers aufzulösen versucht, diese aber nicht einmal ansatzweise plausibel machen können. Weiterhin hat der Kläger vor dem Bundesamt dargelegt, er habe sich nach der angeblichen Desertion zunächst drei Monate lang im Dorf Or. bei seiner Tante und anschließend zwei Monate in Ad. in einer Wohnung aufgehalten. In der mündlichen Verhandlung hat er demgegenüber angegeben, gleich nach Ad. gegangen zu sein, wo seine Tante lebe. Auf diesen Widerspruch angesprochen hat der Kläger erklärt, Or. sei ein Vorort von Ad. Demgegenüber hat er allerdings bei der Anhörung vor dem Bundesamt berichtet, die Fahrzeit mit dem Auto von Or. nach Ad. betrage eine halbe Stunde. Auch insoweit ist der Vortrag angesichts der geringen Größe des Ortes Ad. (Grundfläche ca. 2,5 km mal 2,5 km, vgl.: https://www.g..com/maps/place/H.,+%C3%84thiopien/@7.0067145,39.3818211,4836m/data=!3m1!1e3!4m6!3m5!1s0x17b67ca477303dd5:0x9df040d8fab43726!8m2!3d7.0037586!4d39.3906318!16s%2Fm%2F02qdzzl?entry=ttu& g_ep=EgoyMDI0MTIxMS4wIKXMDSoASAFQAw%3D%3D, abgerufen am 23.12.2024) nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus konnte der Kläger in der mündlichen Verhandlung von sich aus nicht von dem Brief der äthiopischen Armee mit der Aufforderung, sich zu stellen, berichten. Erst auf einen konkreten Hinweis des Gerichts zum entsprechenden Vortrag vor dem Bundesamt hat er die dortige Angabe bestätigt. Demgegenüber hat er in der mündlichen Verhandlung berichtet, er sei nach der angeblichen Desertion mit Fotos gesucht worden. Dies hat er allerdings vor dem Bundesamt nicht vorgetragen, was er wiederum mit Dolmetscherproblemen zu rechtfertigen versucht hat.
43
Insgesamt hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung zu den Umständen um die angebliche Desertion nur kurz, oberflächlich und bruchstückhaft berichtet, so dass das Gericht den Eindruck gewonnen hat, er könne sich an den Sachverhalt, den er vor dem Bundesamt vorgetragen hat, nicht mehr sachgerecht erinnern. Dies macht deutlich, dass es sich bei diesem Sachverhalt um einen erdachten und nicht um einen real erlebten handelt.
44
All dies macht deutlich, dass der Kläger nicht in der Lage war, einen Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darzulegen. Sein Vorbringen war oberflächlich, bruchstückhaft und in mehrerer Hinsicht widersprüchlich zum Vortrag im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt.
45
Aus alledem ergibt sich, dass ihm sein Vorbringen zu den Vorfluchtgründen nicht geglaubt werden kann.
46
Zudem beruft sich der Kläger auch nicht mehr auf die von ihm zunächst vorgetragene exilpolitische Tätigkeit. Im Übrigen ist das Gericht in dieser Hinsicht gemäß § 79 Abs. 2 Satz 2 AsylG an die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 6. März 2023 (Az.: 24 B 23.30101) gebunden (vgl. dort Rn. 4).
47
Damit steht dem Kläger kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu.
48
Die Klagepartei hat keinen Anspruch auf die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG.
49
Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
50
Dass der Klagepartei bei ihrer Rückkehr die Verhängung oder die Vollstreckung der Todesstrafe droht (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG), macht sie selbst nicht geltend.
51
Zudem ist nicht erkennbar, dass der Klagepartei in Äthiopien Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG drohen könnte.
52
Insbesondere kann sich der Kläger in dieser Hinsicht nicht mit Erfolg auf Vorfluchtvorbringen berufen (vgl. oben).
53
Die Klagepartei hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG aufgrund einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person infolge willkürlicher Gewalt.
54
Nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG steht einem Ausländer subsidiärer Schutz zu, wenn er in seinem Herkunftsland als Zivilperson einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt wäre. Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43/07 – juris). Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt nicht schon bei inneren Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen Handlungen vor. Vielmehr muss ein Konflikt ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie dies etwa bei Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerilla-Kämpfen der Fall ist (BVerwG, a.a.O.). Eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben kann sich aus einer allgemeinen Gefahr für eine Vielzahl von Zivilpersonen im Rahmen des bewaffneten Konflikts ergeben, wenn sich die Gefahr in der Person des Ausländers verdichtet. Eine Gefahrenverdichtung liegt insbesondere vor, wenn in der Person der Klagepartei selbst gefahrerhöhende Umstände liegen (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9/08 – juris). Die geforderte „individuelle“ Bedrohung muss jedoch nicht notwendig auf die spezifische persönliche Situation der schutzsuchenden Person zurückzuführen sein. Der Schutzanspruch besteht vielmehr auch dann, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (EuGH, U.v. 17.2.2009 – C 464/07 – juris). Bei der Beurteilung dieser Frage ist es nicht mehr Voraussetzung, dass das Verhältnis der Zahl der Opfer in dem betreffenden Gebiet zur Gesamtzahl der Bevölkerung dieses Gebiets eine bestimmte Schwelle erreicht. Vielmehr ist eine umfassende Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der die Situation des Herkunftslandes kennzeichnenden Umstände erforderlich (EuGH, U.v. 10.6.2021 – C-901/19 – juris Rn. 37 und Rn. 45).
55
Auf dieser Grundlage ist festzustellen, dass der Klagepartei bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein ernsthafter Schaden infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht.
56
Nach dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 19. Juli 2024 (Stand: März 2024) haben die äthiopische Regierung und die TPLF bezüglich ihres Konflikts in T. am 3. November 2022 ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Zahlreiche Regionen sind Brennpunkt für inter- und intraethnische Konflikte, darunter insbesondere O., B.-G. und Ga. sowie die Grenzregionen zwischen den Regionen Af. und S. Es sind wachsende Spannungen zwischen den Amharen und den Oromo zu verzeichnen, die sich in bewaffneten Auseinandersetzungen der jeweiligen Milizen mit Todesopfern und Vertriebenen manifestiert haben. Der Konflikt zwischen der FANO-Miliz und den ENDF in Am. ist im August 2023 nochmals eskaliert. Verhandlungen zwischen der Regierung und der OLA sind ergebnislos geblieben. Ein Ausnahmezustand wurde verhängt und bis Juni 2024 verlängert.
57
Nach dem Länderreport 69, Äthiopien, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Stand: 4/2024) ist aufgrund ethnischer Konflikte die Sicherheitslage angespannt. Im Regionalstaat O. kommt es regelmäßig zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der OLA und äthiopischen Sicherheitskräften. In Am. kommt es zu Zusammenstößen zwischen der FANO-Miliz und staatlichen Sicherheitskräften. Auch in B.-G. sind Auseinandersetzungen zwischen G.-Milizen und der Zentralregierung zu verzeichnen. Dabei kommt es immer noch vereinzelt zu gewalttätigen Angriffen auf die Zivilbevölkerung und auf staatliche Einrichtungen. Auch im Regionalstaat Ga. kam es zu ethnischen Auseinandersetzungen zwischen der Ga. Liberation Front (GLF) und der OLF mit den Regierungstruppen. Seit Mai 2022 wurden in diesem Regionalstaat mindestens 138 Menschen getötet und 13 verletzt. Auch in der Grenzregion der Regionalstaaten Af. und S. kommt es aufgrund langjähriger Streitigkeiten über umstrittene Gebiete immer wieder zu gewalttätigen Konflikten. So wurden z.B. im Februar und April 2023 bei Zusammenstößen mehrere Milizionäre getötet und verletzt. Gleichfalls kommt es in der multiethnischen Region SNNPR zu ethnischen Konflikten, die sich allerdings in letzter Zeit spürbar entspannt haben. Zuvor wurde von Toten, Verletzten, Plünderungen und Vertreibungen berichtet.
58
Aus der Briefing-Notes-Zusammenfassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für den Zeitraum Juli bis Dezember 2023 vom 31. Dezember 2023 ergeben sich wiederholt Unruhen mit Verletzten und Toten in verschiedenen Landesteilen.
59
Gleiches ergibt sich aus dem Länderreport 66 – Äthiopien des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und aus den Briefing Notes vom 4. März 2024. Zudem wird auf die Unterlage von ACCORD vom 7. August 2024, Übersicht über die Vorfälle aus dem ACLED Bezug genommen.
60
Aus den von der Klägerseite zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Briefing Notes des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Oktober 2024 ergibt sich, dass bei mehreren Drohnenangriffen in Sh., Go. und Gon. an mehreren Tagen im Oktober 2024 mindestens 18 Personen getötet worden sind, dies im Rahmen der Bekämpfung der FANO-Milizen in der Region Am. Es seien auch immer wieder Zivilpersonen getroffen worden.
61
Nach den von der Klägerseite zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Briefing Notes vom 11. November 2024 gibt es Berichte von 48 getöteten Menschen im North She. Distrikt bei einem Angriff der OLA. Bei mehreren Drohnenangriffen in der North Go. Zone in Am. sind Berichten zufolge am 5. November 2024 50 Menschen getötet worden, dies bei Angriffen auf eine belebte Umgebung.
62
Aus alledem ist trotz der Unruhen und Kampfhandlungen nicht erkennbar, dass in Äthiopien ein landesweiter Konflikt herrschen würde, dies auch unter Berücksichtigung der Größe Äthiopiens.
63
Stellt man auf regionale Bürgerkriegssituationen ab, ist davon auszugehen, dass der Kläger entweder nach Ad. … oder in seine Herkunftsregion B. zurückkehren wird. Bezogen auf die Rückkehr dorthin ist jedoch auch unter Zugrundelegung der aktuellen Entwicklungen und der oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs derzeit nicht von einer ernsthaften individuellen Bedrohung für die Klagepartei auszugehen. Dies gilt trotz der Tatsache, dass die Lage in einigen Bereichen Oromias keineswegs als durchgehend „ruhig und friedlich“ beschrieben werden kann.
64
Weder die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Unterlagen noch der sonstige Vortrag der Klagepartei sprechen damit für ein derartiges Maß an willkürlicher Gewalt, dass mit dem erforderlichen Maß einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass die Klagepartei als Unbeteiligte einen ernsthaften Schaden nach § 4 Abs. 1 AsylG erleiden wird (vgl. zu allem BayVGH, B.v. 12.9.2023 – 23 ZB 23.30669 – juris Rn. 11; BayVGH, B.v. 21.12.2020 – 23 ZB 20.32090 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 20.10.2023 – 4 LA 103/22 – juris Rn. 16 ff.; VG Ansbach, U.v. 9.2.2023 – AN 9 K 19.30681 – juris; VG Bayreuth, U.v. 26.7.2023 – B 7 K 23.30511 – juris Rn. 46 ff.; VG Bayreuth, U.v. 13.12.2022 – B 7 K 22.30087 – juris; VG Frankfurt/Main, U.v. 1.6.2023 – 5 K 5265/17.F.A – juris).
65
Auch die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK insbesondere aufgrund schlechter humanitärer Bedingungen liegen nicht vor.
66
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Diese Vorschrift verweist auf die EMRK, soweit sich aus dieser zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse ergeben. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
67
Während für die Tatbestandsalternativen Folter und unmenschliche Behandlung ein einer staatlichen Institution zurechenbares vorsätzliches Handeln erforderlich ist, gilt dies nicht bei der Alternative der erniedrigenden Behandlung. Deshalb können unter diese Tatbestandsalternative auch schlechte humanitäre Verhältnisse fallen. Diese sind relevant, wenn sie auf staatlichem oder auf staatlichen Institutionen zurechenbarem Handeln beruhen, so dass der Zivilbevölkerung kein ausreichender Schutz geboten werden soll oder kann (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 164 bis 169). Aber auch wenn es an einem verantwortlichen Akteur fehlt, können schlechte humanitäre Bedingungen als erniedrigende Behandlung i.S. des Art. 3 EMRK zu qualifizieren sein. Diese müssen jedoch ein Mindestmaß an Schwere erreichen. Das kann der Fall sein, wenn der Flüchtling im Herkunftsland seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielland der Abschiebung nur in besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen (BVerwG, B.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – juris LS 1 und Rn. 8; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 und 25). Hierbei bedarf es der Würdigung aller Umstände des Einzelfalles, wobei z.B. auch Krankheiten eine Rolle spielen können, soweit sie Auswirkungen auf die Frage haben, ob der Flüchtling seinen existentiellen Lebensunterhalt sichern kann.
68
Für die Gefahr einer erniedrigenden Behandlung müssen ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt ist; diese muss also aufgrund aller Umstände des Falles hinreichend sicher („real risk“) und darf nicht nur hypothetisch sein (BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2/19 – juris Rn. 6). Dabei ist ein gewisser Grad an Mutmaßungen dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent; es kann nicht ein eindeutiger, über alle Zweifel erhobener Beweis verlangt werden (BVerwG; B.v. 13.2.2019 – a.a.O.). Es gilt also der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (VGH BW, U.v. 12.10.2018 – A 11 S 316/17 – juris Rn. 187 bis 191).
69
Vorliegend ergibt sich, dass unter Beachtung der oben dargestellten Grundlagen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht erfüllt sind.
70
Die Klagepartei hat nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sie der Folter oder einer unmenschlichen Behandlung bei einer Rückkehr ausgesetzt sein könnte.
71
Auch eine erniedrigende Behandlung aufgrund schlechter humanitärer Verhältnisse ist nicht erkennbar.
72
Äthiopien gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Es besteht ein hoher Bedarf an humanitärer Versorgung. Sozialleistungen sind nicht existent, Rückkehrer können nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen. Es gibt keine kostenlose medizinische Grundversorgung; dennoch ist die Behandlung akuter Erkrankungen oder Verletzungen durch eine medizinische Basisversorgung gewährleistet. Chronische Krankheiten können mit Einschränkungen behandelt werden (vgl. BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 64 m.w.N.; AA, Lagebericht Stand März 2023).
73
Damit geben die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Unterlagen ein durchaus besorgniserregendes Bild der humanitären Situation in Äthiopien; jedoch legen sie nicht nahe, dass jeder Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Äthiopien eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte, so dass die hohen Anforderungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt wären.
74
Dass derzeit in Äthiopien landesweit eine Hungersnot herrschen würde oder Rückkehrer überwiegend oder in großer Zahl von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen wären, legen die Erkenntnismittel nicht nahe. Vielmehr wird hieraus deutlich, dass es für die Frage, ob eine Person der Gefahr der Mangelernährung ausgesetzt sein wird, auf die konkreten Umstände der Rückkehr, insbesondere die Verhältnisse am Rückkehrort, die Leistungsfähigkeit der Betreffenden sowie die Zahl der in einem Haushalt zu versorgenden Personen ankommt. Besonders betroffen sind hiervon zunächst vulnerable Bevölkerungsgruppen wie Alleinerziehende ohne familiäre Unterstützung, Familien mit mehreren Kindern, nicht arbeitsfähige, ältere oder kranke Personen sowie die ehemals vom Konflikt in der Region T. betroffenen Menschen. Dass landesweit bzw. in Ad. …, dem Zielort einer potentiellen Abschiebung, bzw. in B., dem Herkunftsort der Klagepartei, absehbar eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln generell nicht möglich wäre, geht aus den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Unterlagen nicht hervor (BayVGH, B.v.12.9.2023 – 23 ZB 23.30669 – juris Rn. 17).
75
Auch unter Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen der Klagepartei ist es nicht ersichtlich, dass sie ihren Lebensunterhalt in Äthiopien nicht bestreiten könnte.
76
Beim Kläger handelt es sich um einen jungen Mann. Ausweislich der Verwaltungsakten des Bundesamts hat er im Rahmen der Asylantragstellung am 13. Juni 2016 angegeben, am … … 1991 (gregorianischer Kalender) geboren worden zu sein. Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 12. Mai 2017 hat er dem gegenüber angegeben, am … … 1977 (äthiopischer Kalender; entspricht dem … … 1984 nach gregorianischem Kalender) geboren worden zu sein. Der Kläger hat diese Differenz bei der Anhörung am 12. Mai 2017 damit begründet, die Polizei habe nach der Einreise sein Geburtsdatum geschätzt und festgelegt, dies ohne Dolmetscher. Demgegenüber ist festzustellen, dass der Kläger im Rahmen des Datenabgleichs bei der Asylantragstellung am 13. Juni 2016 mit Unterstützung eines Dolmetschers das gregorianische Geburtsdatum … … 1991 bestätigt hat. Allerdings kann es dahinstehen, ob es sich beim Kläger um einen 33-jährigen oder um einen 40-jähren Mann handelt, denn im letzteren Fall wäre deshalb nicht auf eine geringere Leistungsfähigkeit zu schließen als bei einem 33-jährigen Mann.
77
Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben die Schule bis zur 5. Klasse besucht. Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt hat er angegeben, er sei Soldat gewesen und habe vor seinem Militärdienst bei seinen Eltern in deren Geschäft gearbeitet, er habe Kleidung verkauft. Bei der Befragung in der mündlichen Verhandlung hat er demgegenüber angegeben, er habe Lebensmittel verkauft, beim Geschäft der Eltern habe es sich um einen Kiosk gehandelt. Den Widerspruch zu seiner Einlassung vor dem Bundesamt hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht auflösen können.
78
Weiterhin hat der Kläger angegeben, in Äthiopien lebten zwei Brüder, eine Schwester und eine Tante, darüber hinaus noch seine Großfamilie.
79
Nach seinen eigenen Angaben ist der Kläger ledig und er hat keine Kinder.
80
Gesundheitliche Einschränkungen, die seine körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit beeinträchtigen könnten, hat er nicht vorgetragen.
81
Bei zusammenfassender Würdigung ist daher festzustellen, dass aufgrund der hier gegebenen Umstände des konkreten Einzelfalls des Klägers nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass der Kläger trotz der insgesamt schwierigen humanitären Verhältnisse in Äthiopien nicht in der Lage sein wird, sein notwendiges Existenzminimum zu sichern. Dabei wird nicht übersehen, dass viele Menschen in Äthiopien auf Hilfe von dritter Seite angewiesen sind und das Land sich mit zahlreichen Problemen wie z.B. Arbeitslosigkeit, Nahrungsmittelknappheit, eingeschränkter Gesundheitsversorgung, Fortbestehen ethnischer Konflikte und Folgen des russischen Überfalls und Angriffskriegs auf die Ukraine konfrontiert sieht. Gleichwohl gibt es auch unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten beim Kläger hinsichtlich Bildung, körperlicher Verfassung und Familienhintergrund keine durchgreifenden Hinweise darauf, dass ihm bei einer Rückkehr der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden infolge von Mangelernährung drohen. Insbesondere geht das Gericht davon aus, dass der Kläger zu seiner Familie zurückkehren und dort die Unterstützung der Großfamilie erhalten wird. Die im Rahmen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK anzulegende Gefahrenschwelle wird nach alledem nicht erreicht (BayVGH, B.v. 28.7.2022 – 23 ZB 22.30547; VG Bayreuth, U.v. 13.12.2022 – B 7 K 22.30087 – juris; VG Bayreuth, U.v. 26.7.2023 – B 7 K 23.30511 – juris; VG Frankfurt/Main, U.v. 1.6.2023 – 5 K 5265/17.F.A – juris; VG Gießen, U.v. 1.2.2023 – 6 K 2222/19.GI.A – juris).
82
Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Allerdings sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG derartige Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Doch auch in diesem Fall kann der Schutzsuchende ausnahmsweise Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Aus dieser müsste sich die begründete Furcht des Flüchtlings ableiten lassen, selbst in erheblicher Weise ein Opfer dieser extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Dies müsste sich alsbald nach der Rückkehr realisieren (BayVGH, U.v. 12.12.2019 – 8 B 19.31004 – juris Rn. 67). Dies bedeutet, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden muss, wenn der Ausländer ansonsten gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert werden würde (BVerwG, U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – NVwZ 2013, 1489, Rn. 12; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 38).
83
Die allgemein unsichere oder wirtschaftlich schlechte Lage im Zielstaat infolge von Hungersnöten, Naturkatastrophen oder Epidemien oder auch Heuschreckenplagen begründet derartige Gefahren allgemeiner Art nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG, weil ihr die gesamte Bevölkerung oder eine ganze Bevölkerungsgruppe des betroffenen Landes (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) ausgesetzt ist (vgl. Kluth/Heusch in: BeckOK AuslR, § 60 AufenthG, Rn. 38 ff., 45; VG Würzburg, U.v. 3.7.2020 – W 3 K 19.31666 – juris unter Verweis auf BayVGH, B.v. 19.05.2020 – 23 ZB 20.31096; VG Bayreuth, U.v. 13.12.2022 – B 7 K 22.30087 – juris m.w.N.; vgl. auch BayVGH, B.v. 17.8.2020 – 23 ZB 20.31574).
84
Es ist für das Gericht aber nicht ersichtlich, dass die Klagepartei bei einer Rückkehr nach Äthiopien einer Extremgefahr im vorstehenden Sinne ausgesetzt wäre. Im Übrigen sind – wie oben ausgeführt – schon nicht die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gegeben, da es sich vorliegend nicht um einen „ganz außergewöhnlichen Fall“ bzw. um eine „besondere Ausnahmesituation“ handelt. Daher ist eine „Extremgefahr“ im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG erst recht nicht gegeben.
85
Unabhängig hiervon liegt nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist gemäß Satz 4 der Vorschrift nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen, die insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, der lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
86
Derartige erhebliche konkrete Gefahren für die Klagepartei sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
87
Der Kläger hat keinerlei gesundheitliche Einschränkungen vortragen lassen.
88
Die vom Bundesamt verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Die betreffende Entscheidung beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG, § 59 Abs. 1 bis Abs. 3 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor. Die Bezeichnung des Abschiebezielstaates im Bescheid des Bundesamtes genügt den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (BayVGH v. 10.1.2000 – 19 ZB 99.33208 – juris).
89
Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist gleichfalls rechtmäßig. Die Beklagte musste nach den §§ 11 Abs. 2 Sätze 1 und 4, 75 Nr. 12 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Grundsätzlich darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 – 20 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Hier hat das Bundesamt diese maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind beim Kläger nicht zu sehen.
90
Aus alledem ergibt sich, dass dem Kläger die geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), so dass sich der streitgegenständliche Bescheid, soweit er angegriffen worden ist, als rechtmäßig erweist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Daher war die Klage abzuweisen.
91
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. In diesem Rahmen war auch über die Kosten des Verfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Verfahren 24 B 23.30101 zu entscheiden, da der Bayerische Verwaltungsgerichtshof diese Entscheidung der Endentscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten hat (vgl. für § 130 Abs. 2 VwGO: Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 130 Rn. 19).