Titel:
Erschließungsbeitragsrecht, Klage gegen Widerspruchsbescheid (erfolglos), Ausschlussfrist, Festsetzungsfrist, Begriff des „Erhebens“
Normenketten:
KAG Art. 5a Abs. 7 S. 2
Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) Spiegelstr. 1 KAG
AO § 169
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, Klage gegen Widerspruchsbescheid (erfolglos), Ausschlussfrist, Festsetzungsfrist, Begriff des „Erhebens“
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37700
Tenor
I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung seines Erschließungsbescheides durch den Beklagten.
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Bereits im Jahr 1995 begann der Kläger mit der Herstellung der …Straße, einer Ortsstraße in dessen Gemeindegebiet. Nach Fertigstellung des Gehweges entlang der …-Straße im Jahr 2020 und der durch den Gemeinderat des Klägers am 25. Februar 2021 beschlossenen Kostenspaltung zog der Kläger den Beigeladenen mit Bescheid vom 24. März 2021 für das Grundstück FlNr. 3399/8 der Gemarkung … für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage „…-Straße“ zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 1.264,30 Euro heran. Ein entsprechend lautender Bescheid wurde dem Beigeladenen per Postzustellungsurkunde am 15. Mai 2021 zugestellt, während ein früherer Zugang nicht nachgewiesen ist.
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Auf den Widerspruch des Beigeladenen hin hob der Beklagte – vertreten durch das Landratsamt Rosenheim – den Erschließungsbeitragsbescheid des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 3. November 2022 auf. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG der Beitragserhebung entgegenstehe, da die Vorschrift aufgrund der Zustellung des Erschließungsbeitragsbescheides am 15. Mai 2024 anwendbar sei und mit der erstmaligen technischen Herstellung der Erschließungsanlage bereits im Jahr 1995 begonnen worden sei. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 3. November 2022 zugestellt.
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Hiergegen hat der Kläger am 1. Dezember 2022 Klage erhoben.
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Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG sei nicht anwendbar, da die sachlichen Beitragspflichten vor dem 1. April 2021 entstanden seien. Auf die Zustellung des Erschließungsbeitragsbescheides am 15. Mai 2021 komme es nicht an. Die Formulierung in Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG, dass kein Erschließungsbeitrag erhoben werden kann, wenn die Ausschlussfrist abgelaufen ist, beziehe sich auf das objektive Recht der Gemeinde zur Beitragsfinanzierung und nicht auf die konkrete Festsetzung, sodass auf das Entstehen der Beitragspflicht abzustellen sei. Dies ergebe sich bei systematischer Auslegung auch daraus, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) Spiegelstr. 1 KAG im Gegensatz zu Art. 5a Abs. 7 KAG ausdrücklich die „Festsetzung eines Beitrags“ verlange. Dies erkläre sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) Spiegelstr. 1 KAG, der infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (1 BvR 2457/08 – juris) den rechtsstaatlichen Geboten der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit Rechnung tragen sollte. Für eine weitere Vorschrift, die auf den Herstellungsbeginn abstellt, habe daher keine Notwendigkeit bestanden. Zudem werde die vom Bundesverfassungsgericht vorgesehene dreißigjährige Ausschlussfrist auch dann eingehalten, wenn auf die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten abgestellt würde, denn nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) KAG i.V.m. § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO betrage die Festsetzungsverjährungsfrist lediglich vier Jahre. Auch nach den Erläuterungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr in dem IMS vom 12. Juli 2016 (Az. IB4-15221-1-25) soll es zur Fristwahrung genügen, dass vor Ablauf der Ausschlussfrist sachliche Beitragspflichten entstanden sind.
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den Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Rosenheim vom 3. November 2022 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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Sinn und Zweck der Regelung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG sei es, Rechtssicherheit für Gemeinden und Anlieger zu schaffen. Dementsprechend sollen möglichst viele der bisher nicht von § 242 Abs. 1 BauGB erfassten Altanlagen der neuen Ausschlussfrist unterfallen. Durch die vom Gesetzgeber eingeräumte Übergangsfrist hätten die Gemeinden ausreichend Zeit gehabt, unfertige Anlagen fertigzustellen und abzurechnen.
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Der Beigeladene schloss sich den Ausführungen des Beklagten an und führte ergänzend aus:
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Sowohl der Wortlaut als auch die Gesetzessystematik würden zeigen, dass innerhalb der Ausschlussfrist eine persönliche Beitragspflicht zur Entstehung gebracht werden hätte müssen. „Erhebung“ im Sinne des Art. 5a Abs. 7 KAG meine die Verwirklichung des Anspruchs nach Inanspruchnahme des Klägers durch den Beitragsbescheid. Die Abgabenordnung differenziere zwischen dem Festsetzungs- und dem Erhebungsverfahren. Diese Begriffe mache sich auch das KAG zu eigen. Weiter werde etwa in Art. 2 Abs. 1 KAG zwischen Erhebung und Entstehung unterschieden. Auch im BauGB würde zwischen der Erhebung (§ 127 BauGB) und der Entstehung der Beitragspflichten (§ 133 BauGB) unterschieden. Es widerspreche zudem der gesetzgeberischen Intention, wenn an das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht angeknüpft würde, da die tatsächliche Inanspruchnahme dann auch nach Ablauf der Ausschlussfrist erfolgen könne. Insgesamt könne die Frist so auf 34 Jahre verlängert werden. Die innenministerielle Weisung sei seitens des Klägers unvollständig wiedergegeben worden, weil dort tatsächlich beide Rechtsauffassungen dargelegt worden seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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A. Der Widerspruchsbescheid vom 3. November 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Der Beklagte hat den Erschließungsbeitragsbescheid des Klägers vom 24. März 2021 zu Recht aufgehoben, da die Heranziehung des Beigeladenen zu dem Erschließungsbeitrag rechtswidrig war.
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Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die …-Straße war im Jahr 2021 nach dem auf den vorliegenden Fall anwendbaren (I.) Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG ausgeschlossen, da seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung mindesten 25 Jahre vergangen sind (II.).
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Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG ist anwendbar.
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Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG wurde durch § 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 8. März 2016 (GVBl. S. 36; BayRS 2024-1-I) eingeführt. § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes bestimmt für das Inkrafttreten des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG den 1. April 2021.
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Damit findet die Norm unstreitig auf alle Fälle Anwendung, in denen sowohl die Beitragsfestsetzung als auch das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten nach dem Stichtag liegen. Keine Anwendung findet die Norm, wenn die Beitragsfestsetzung und das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten vor dem Stichtag erfolgt sind (BayVGH, B.v. 28.4.2022 – 6 ZB 21.2951 – juris Rn. 16).
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Weiter ist obergerichtlich bereits entschieden, dass Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG auch dann Anwendung findet, wenn der Beitragsbescheid vor dem 1. April 2021 bekannt gegeben wurde, die sachlichen Beitragspflichten jedoch erst nach dem Stichtag entstehen (BayVGH, U.v. 27.6.2024 – 6 BV 23.1394 – juris Rn. 27; BayVGH, U.v. 27.11.2023 – 6 BV 22.306 – juris Rn. 28).
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Der hier vorliegende, umgekehrte Fall, dass zwar die sachlichen Beitragspflichten – insoweit zwischen den Beteiligten unstreitig – vor dem Stichtag entstanden sind, aber die Festsetzung erst nach dem Stichtag erfolgte, wurde bislang soweit ersichtlich noch nicht entschieden.
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Da weder der Wortlaut (1.) noch die Systematik des KAG (2.) zu einem eindeutigen Auslegungsergebnis führen, ist die Kammer unter Zugrundelegung der gesetzgeberischen Intention bei Einführung der Ausschlussfrist (3.) der Auffassung, dass Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG in dieser Fallkonstellation der Erhebung von Erschließungsbeiträgen entgegensteht.
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1. Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG wiederholt zunächst den Wortlaut des § 242 Abs. 1 BauGB (vgl. zur Gesetzgebungskompetenz der Länder Driehaus, KStZ 2022, 101) und bestimmt, dass für „vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, […] auch nach diesem Gesetz kein Erschließungsbeitrag erhoben werden [kann].“ Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG knüpft hieran an und bestimmt, dass dies auch gilt, sofern seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage mindestens 25 Jahre vergangen sind.
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Was mit dem Begriff der „Beitragserhebung“ gemeint ist, lässt sich allein anhand des Wortlautes nicht eindeutig bestimmen.
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So könnte der Wortlaut einerseits dahingehend verstanden werden, dass „Erhebung“ die allgemeine Abgabenhoheit der Gemeinden, also das Recht zur Beitragserhebung als Verwaltungsvorgang in Bezug nimmt und somit nicht auf die eigentliche Festsetzung, sondern auf die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten abzustellen wäre. Andererseits könnte hiermit die eigentliche, förmliche Festsetzung des Beitrages als verfahrensabschließende Entscheidung gemeint sein, sodass Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG jedenfalls dann Anwendung findet, wenn der Beitragsbescheid erst nach dem Stichtag bekanntgegeben wurde und der Beitragserhebung somit entgegenstünde (so wohl Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand 1.12.2024, Rn. 1101a).
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2. Aus der Systematik des KAG lassen sich weder für die eine noch die andere Sichtweise stichhaltige Anhaltspunkte entnehmen.
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In den Art. 1 bis 5 KAG ist der Begriff „erheben“ wohl eher dahingehend zu verstehen, dass das allgemeine Recht der Gemeinden, Abgaben zu erheben, konkretisiert wird. Demgegenüber verweist Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) KAG für das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren in die Abgabenordnung und differenziert in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) KAG zwischen der Festsetzung und der Entstehung des Beitrags. Damit folgt das KAG an dieser Stelle der Systematik der Abgabenordnung, die zwischen dem Festsetzungsverfahren (§§ 155 ff. AO) und dem Erhebungsverfahren (§§ 218 ff. AO) unterscheidet. Da die übrigen Artikel des KAG diesem Verständnis jedoch ersichtlich nicht folgen, kann aus der punktuellen Inbezugnahme der Abgabenordnung – entgegen der Auffassung des Beigeladenen – nicht der Schluss gezogen werden, dass der Gesetzgeber dieses Verständnis auch Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG zugrunde gelegt hat. Hinzu kommt, dass es sich bei der Ausschlussfrist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG aufgrund der gesetzgeberischen Intention (dazu sogleich unter 3.) gerade nicht um eine Festsetzungsfrist i.S.d. von Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) KAG in Bezug genommenen § 169 AO handelt (VG Ansbach, B.v. 8.12.2022 – AN 3 S 22.01791 – juris Rn. 66 ff.).
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Entgegen der Auffassung des Klägers kann auch das IMS des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 12. Juli 2016 zur Beantwortung dieser Auslegungsfrage keine weitergehenden Anhaltspunkte liefern. Denn dieses beschränkt sich auf den Seiten 20, 21 darauf, die beiden dargestellten Auffassungen zum Begriff der „Erhebung“ gegenüberzustellen und den Gemeinden zu empfehlen, Beiträge für Altanlagen noch vor Ablauf der 25-Jahres-Frist beginnend ab dem 1. April 2021 festzusetzen.
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3. Vor diesem Hintergrund kommt es für die Auslegung maßgeblich auf den vom Gesetzgeber mit Einführung der Ausschlussfrist in Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG verfolgten Zweck an.
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In der Gesetzesbegründung heißt es hierzu zunächst (LT-Drs. 17/8225 S. 5):
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„Durch eine Neufassung des Art. 5a KAG sollen die bisher in § 127 BauGB und Art. 5a KAG enthaltenen Regelungen zur Erhebung des Erschließungsbeitrags einheitlich und vollzugsfreundlich ausgestaltet werden. Ferner soll eine zeitliche Grenze für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen 25 Jahre nach dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung von Erschließungsanlagen eingeführt werden (Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG-E). Dies bewirkt, dass nach Ablauf dieser Frist keine Erschließungsbeiträge mehr erhoben werden dürfen. Ebenso wenig dürfen Erschließungsbeiträge nach Ablauf der zum 01.04.2014 eingeführten Ausschlussfrist von 20 Jahren nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG erhoben werden.“ [Hervorhebung nur hier]
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Der Gesetzgeber sah insoweit – jedenfalls im Ergebnis – einen Gleichlauf zwischen dem durch Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG und Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) KAG bewirkten Ausschluss der Beitragserhebung.
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Weiter heißt es in der Gesetzesbegründung (LT-Drs. 17/8225 S. 16 f.):
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„Durch diese Regelung zur zeitlichen Begrenzung der Erhebung von Erschließungsbeiträgen wird die bestehende, für alle Arten von Beiträgen geltende Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG ergänzt, die ihrerseits an den Eintritt der Vorteilslage und damit die (vollständige) technische Herstellung der beitragsfähigen Anlagen anknüpft. […]
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Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG-E ist es, Rechtssicherheit für Gemeinden wie Anlieger zu schaffen. Im Zweifel sollen deshalb möglichst viele bisher nicht von § 242 Abs. 1 BauGB, dem neuen Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG, erfasste „Altanlagen“ der Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts entzogen werden.
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a) Die Länge der Frist, nach deren Ablauf eine Beitragserhebung nach dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung der Erschließungsanlagen nicht mehr zulässig sein soll, ist mit Rücksicht darauf zu bestimmen, dass die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit zu einem gerechten Ausgleich zu bringen sind. […]
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Schließlich muss die Frist auch so gewählt werden, dass die Kommunen nach dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung ausreichend Zeit haben, um die Erschließungsanlagen fertigzustellen und die Festsetzung der Abgabe vorzunehmen. Die Festsetzung ist erst möglich, wenn die Abgabeschuld entstanden ist. Es ist eine Vielzahl von Fallgestaltungen denkbar, in denen die Kommune gehindert ist, die Abgabe festzusetzen. Aus der Erwägung heraus, dass die Entstehung der Abgabeschuld unter Umständen zeitlich weit nach dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung liegen kann und dass die Abrechnung wiederum eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, muss der Kommune ausreichend Zeit eingeräumt werden, um ihre Ansprüche geltend zu machen.“ [Hervorhebung nur hier]
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Hieraus ergibt sich für die Auslegung zweierlei.
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Zunächst verfolgte der Gesetzgeber mit Einführung der Ausschlussfrist den Zweck, Rechtssicherheit für Gemeinden wie Anlieger zu schaffen und wollte hierzu eine im Vergleich mit den bisherigen Regelungen für sog. „Altanlagen“ noch nicht erfasste weitere Fallgruppe, nämlich diejenigen, mit deren Herstellung begonnen wurde, erfassen und dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entziehen. Diesem Telos würde es zuwiderlaufen, wenn das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten genügen und den Gemeinden hierdurch ein zusätzlicher Festsetzungszeitraum von vier Jahren, vgl. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) Doppelbuchst. bb) KAG, eingeräumt würde.
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Vor allem aber ergibt sich aus der Gesetzesbegründung sehr deutlich, dass der Gesetzgeber die 25-Jahres-Frist in Verbindung mit dem zeitlich aufgeschobenen In-Kraft-Treten der Norm erst am 1. April 2021 (Übergangsfrist) und dem bei der Bemessung dieser beiden Fristen ausdrücklich berücksichtigten zeitlichen Aufwand für die Abrechnung und Festsetzung der Beiträge nach der Entstehung der Beitragspflichten als ausreichend und angemessen betrachtete, um den gegenläufigen Interessen ausreichend Rechnung zu tragen und es seiner Intention entsprach, dass Anlieger nach Ablauf der absoluten Ausschlussfrist nicht mehr mit der Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen rechnen müssen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass das für den Beitragspflichtigen i.d.R. nicht erkennbare, bloße Entstehen der sachlichen Beitragspflichten vor dem maßgeblichen Stichtag zur Unanwendbarkeit des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG führen würde, da sich der Zeitraum einschließlich der erst dann einsetzenden vierjährigen Festsetzungsfrist unter Umständen fast bis auf 30 Jahre verlängern könnte.
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Dass der Gesetzgeber bei Einführung der Ausschlussfrist noch von der zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Möglichkeit ausging, hierdurch entstehenden Einnahmeausfälle durch die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen zu kompensieren (vgl. LT-Drs. 17/8225 S. 17), diese aber im Nachgang in Bayern abgeschafft wurden, steht dem Auslegungsergebnis nicht entgegen, sondern spricht vielmehr dafür, den Begriff des „Erhebens“ eng in dem Sinne auszulegen, dass innerhalb der Frist auch die Festsetzung des Erschließungsbeitrags erfolgen muss. Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass der Gesetzgeber in Kenntnis der künftigen Abschaffung der Straßenausbaubeiträge eine andere Regelung getroffen hätte, da er es bei deren Abschaffung selbst in der Hand gehabt hätte, die erschließungsbeitragsrechtliche Regelung anzupassen, hiervon aber keinen Gebrauch gemacht hat.
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II. Wie sich aus der Behördenakte (vgl. S. 71) ergibt – und im Übrigen auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist – wurde mit der erstmaligen technischen Herstellung der …-Straße bereits im Jahr 1995 begonnen, sodass die Frist nach Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG spätestens mit dessen Inkrafttreten am 1. April 2021 ablief und die Beitragserhebung bei Bekanntgabe des Beitragsbescheides am 15. Mai 2021 demnach ausgeschlossen war. Einen früheren Zugang konnte der Kläger nicht nachweisen.
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B. Vor diesem Hintergrund war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene keinen eigenen Klageantrag gestellt und sich somit keinem entsprechenden Kostenrisiko, vgl. § 154 Abs. 3 VwGO, ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).