Inhalt

LG München I, Endurteil v. 10.12.2024 – 13 O 7261/24
Titel:

Verkehrssicherungspflichtigen, Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Schmerzensgeldansprüche, Streitwertangabe, Elektronischer Rechtsverkehr, Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, Überwiegendes Mitverschulden, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Wert des Beschwerdegegenstandes, Kostenentscheidung, Anderweitige Erledigung, Qualifizierte elektronische Signatur, Klageabweisung, Haftungsausfüllende Kausalität, Formlose Mitteilung, Mitgliedschaft, Aufgabe zur Post

Schlagworte:
Verkehrssicherungspflicht, Schadensersatz, Schmerzensgeld, Mitverschulden, Sorgfaltspflicht, Haftungsausschluss, Gefahrenquelle
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37571

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.093,06 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeldansprüche wegen einer Verletzung auf der von der Beklagten betriebenen Golfanlage.
2
Die Klägerin ist seit Juli 2018 Mitglied im Golfclub der Beklagten. Sie spielte am 30.09.2023 mit Startzeit um 15:00 Uhr mit dem Zeugen ... in der betriebseigenen Golfanlage der Beklagten in ... bei trockenem Wetter eine Golfrunde. Zwischen Loch 2 und Loch 3 führt der Weg durch eine Unterführung.
3
Die Klägerin behauptet, sie sei am Abgang der Unterführung rechtsseitig (nicht überdacht) mit ihrem Golfwagen ausgerutscht. An der Stelle hätte noch feuchtes Gras vom Rasenmäher gelegen, worauf die Klägerin ihr Ausrutschen zurückführt.
4
Mit Hilfeleistung des diensthabenden Rangers Herrn ... wurde die Klägerin zu einem Krankenwagen am Eingang der Golfanlage gebracht und sodann in die ...-Klinik ... . Im Erstbefund wurde ein knöcherner Bandausriss und eine Außenbandruptur des Sprunggelenks links diagnostiziert. Laut Anamnesse war die Patientin beim Spazierengehen mit dem linken Sprunggelenk umgeknickt. Ausweislich der letzten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung war die Klägerin bis zum 24.12.2023 arbeitsunfähig. Zudem habe sie physiotherapeutische Maßnahmen bis Dezember 2023 erhalten.
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Hierdurch sei ihr folgender Schaden entstanden:
gezahlte Eigenbeteiligung von 124,48 €,
Zuzahlungsrechnungen über 10 €, 9,63 € und 35,80 € 55,43 €
sowie eine Differenz zu ihrem regulären Gehalt 1.168,15 €
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Gegenüber ihrem regulären Nettogehalt in dem Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit von 4.638,61 € sei von der ... für die Zeit vom 13.11. bis 15.11.2023 Krankengeld in Höhe von 2.726,79 € sowie von 743,67 € in der Zeit von 16.12. bis 24.12.2024 gezahlt worden, insgesamt 3.470,46 €, so dass sich eine Differenz von 1.168,15 € ergebe.
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Die Klägerin macht zudem ein angemessenes Schmerzensgeld geltend, wobei für die Streitwertangabe 4.000 € angesetzt werden. Die Klägerin behauptet, im genannten Zeitraum auf Unterarm-Gehstützen (Krücken) angewiesen und für ihre alltäglichen Verrichtungen von der Fürsorge Dritter abhängig gewesen zu sein. Eine Beinbelastung sei nicht möglich gewesen und jede Bewegung habe starke Schmerzen verursacht. Zudem habe sie die mit ihrem Partner für 06.11.2023 bis 22.11.2023 gebuchte Schiffsreise gesundheitlich bedingt nicht mehr antreten können und ihr dadurch Urlaubsfreuden entgangen seien.
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Die Klägerin ist der Auffassung angesichts der Abschüssigkeit der Passage als einzig vorgesehener Weg zwischen den Löchern 2 und 3 habe die Beklagte eine (erhöhte) Verkehrssicherungspflicht. Die auf dem Abgang liegende feuchte Rasenmahd bzw. Grasbüschel seien für die Klägerin nicht als Gefahrenquelle wahrnehmbar gewesen. Rasenmahd bzw. Grasbüschel im abschüssigen Bereich der Unterführung ergebe für die programmgemäß dort durchlaufenden Sportler ein Risiko.
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Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen,
I. an die Klägerin 2.093,06 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
II. an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zum Ausgleich der Folgen des Unfalls vom 30.09.2023 zu zahlen,
III. an die ... 563,76 € sowie an die Klägerin 150 € als Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
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Die Beklagte bestreitet den behaupteten Unfallhergang sowie Art, Umfang und ausmaß der Verletzungen und Verletzungsfolgen sowie die haftungsausfüllende Kausalität mit Nichtwissen. Der klägerische Sachvortrag zum genauen Unfallort sei bereits unsubstantiiert. Die Klägerin ziehe lediglich einen Rückschluss für die Ursache ihres Ausrutschens, was eine Haftung der Beklagten nicht begründen könne. Am Unfalltag seien keine Mäharbeiten durchgeführt worden, die dazu hätten führen können, dass am Abgang der Unterführung Rasenmahd gelegen wäre. Zudem hätte der diensthabende Ranger Herr ... der die Klägerin zum am Tunneleingang der Golfanlage wartenden Krankenwagen gefahren hat sowie der diensthabende Ranger ... der am Unfalltag bis 15:18 Uhr die Unterführung mehrfach mit dem Golf-Cart passierte, weder in der Unterführung noch auf deren Abgang Rasenmahd oder Grasbüschel gesehen. Bei der Beklagten besehe die Dienstanweisung, dass ihre Mitarbeite von ihnen festgestellte „Gefahrenquellen“ unverzüglich zu beseitigen haben.
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Die Beklagte ist der Auffassung, dass nach den maßgeblichen Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs keine schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vorliege. Jedenfalls entfiele eine etwaige Haftung der Beklagten wegen des weit überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin, die seit Juli 2018 Mitglied im Golfklub ist und die Örtlichkeiten, insbesondere die Unterführung kannte. Der Klägerin hätte bei der gebotenen Aufmerksamkeit auffallen müssen, wenn auf dem abschüssigen Abgang der Unterführung Rasenmahd gelegen wäre und ggfs. ausweichen können und müssen. Auch etwaige Grasbüschel wären am hellichten Tag deutlich zu erkennen gewesen.
13
In der mündlichen Verhandlung teilte die Klagepartei ergänzend mit, dass die Unterführung komplett betoniert ist und zeigte ein nach dem Unfall Lichtbild aufgenommenes Lichtbild aus der Unterführung, die überdacht ist, auf den nicht überdachten Abgang zu der Unterführung, an der sich der Unfall ereignet haben soll. Auf dem Lichtbild ist ein grober Betonbelag sichtbar. Ergänzend wurde mitgeteilt, dass die Klägerin die beschränkte Möglichkeit der Sicht nach vorne damit erklärt habe, dass der Golfwagen mit den Schlägern vor sich her geschoben werde.
14
Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
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Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg und war daher abzuweisen. Ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Beklagte besteht weder gemäß §§ 280 I, 241 II noch gemäß § 823 I BGB. Der Unfall auf dem Abgang zur Unterführung ist nicht auf eine schuldhafte Verletzung einer Schutzpflicht bzw. Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte zurückzuführen.
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1. Das Ausmaß der Verkehrssicherungspflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Grundsätzlich muss nicht jeder abstrakten Gefahr durch vorbeugende Maßnahmen begegnet werden. Eine absolute Sicherheit kann und muss nicht gewährleistet werden. Der Umfang der Sicherungsmaßnahmen hat sich vielmehr daran zu orientieren, was zur Gefahrenabwehr notwendig und zumutbar ist, um Dritte vor Gefahren zu schützen, die er selbst bei Anwendung der von ihm in der konkreten Situation zu erwartenden Sorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann (vgl. BGH VersR 94, 1486 m.w.N.; BGH NJW 2013, 48 Rz. 7; Grüneberg, BGB, 83. Aufl., § 823 Rn. 51 m.w.N.). Dabei dürfen die Anforderungen an den Verkehrssicherungspflichtigen nicht überspannt werden. Es reicht aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten sind (BGH NJW 2014, 2104).
17
Die Verkehrssicherungspflicht richtet sich nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs (BGH NJW 2014, 2104). Betreiber von Sportanlagen müssen die Benutzer insoweit vor Gefahren schützen, die über das übliche Risiko bei der Anlagenbenutzung hinausgehen und vom Benutzer nicht vorhersehbar und nicht ohne weiteres erkennbar sind. Ein Sporttreibender trägt die Gefahren selbst, die seinem Sport üblicherweise innewohnen und mit denen er deshalb zu rechnen hat. Nur die darüber hinausgehenden atypischen Gefahren fallen in den Verantwortungsbereich des Veranstalters (OLG Hamm, Urteil vom 17.12.2001 – 13 U 171/01 = BeckRS 2005, 2532).
18
2. Unter Anwendung vorstehender Grundsätze liegt hier keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vor, auch wenn man unterstellt, dass auf dem Abgang zur Unterführung Grasmahd oder Grasbüschel lagen.
19
a) Der Vortrag der Klagepartei ist bereits nicht eindeutig, da sie in der Klageschrift angibt, sie sei ausgerutscht während sich aus dem Erstbefund der konsultierten ... Klinik ... ergibt, sie sei mit dem linken Sprunggelenk umgeknickt. Ein Umknicken kann andere Ursachen haben als ein Ausrutschen. Zudem beruht der Vortrag zur Ursache des behaupteten Ausrutschens auf Schlussfolgerungen, soweit die Klägerin vorträgt, dass sie ihr Ausrutschen darauf zurück führt, dass an der fraglichen Stelle noch feuchtes Gras vom Rasenmäher gelegen sei. Eine kausale Schädigung aufgrund einer etwaigen Verkehrssicherungspflicht ist damit nicht hinreichend dargelegt, worauf auch die Beklagtenseite hingewiesen hat (Schriftsatz vom 23.08.2024 S. 2).
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b) Zudem wären etwaige Grasbüschel bzw. Grasmahd auf dem betonierten nicht überdachten Abgang zur Unterführung sowohl vorhersehbar als auch ohne weiteres erkennbar. Dem Golfsport ist immanent, dass er auf mit Gras bewachsenem Gelände stattfindet. Auf Golfplätzen, wo zwangsläufig auf Gras gespielt wird und für die Bespielbarkeit laufend Mäharbeiten stattfinden, ist mit Resten von Rasenmahd bzw. Grasbüscheln zu rechnen. Es handelt sich insoweit um eine übliche und keine atypische Gefahr. Es entspricht auch der Lebenserfahrung und ist als allgemein bekannt zu unterstellen, dass Gras feucht ist und rutschig sein kann. Einzelne Grasbüschel lassen sich nicht vermeiden und stellen daher schon keine sicherungspflichtige Gefahrenquelle dar. Wie die Klagepartei selbst einräumt, kann das Vorhandensein von Rasenmahd bzw. Grasbüschel auf dem Abgang verschiedenste Ursachen haben, sei es, dass diese einem Golf Cart anhaftet oder der Mäher durch die Unterführung fuhr. Ebenso kann sich Gras aufgrund des Betreibens des Sports auf Rasen unter Golfschuhen und Trolleys befinden. Selbst bei Unterstellung des klägerseits behaupteten Vorhandenseins einzelner Grasbüschel bzw. Rasenmahd, lässt sich hier nicht feststellen, woher diese kamen, zumal an dem Schadenstag nach den Angaben der Beklagten keine Mäharbeiten durchgeführt wurden. Bei gebotener Aufmerksamkeit hätte die Klägerin bei hellichtem Tag etwaige Grasbüschel bzw. Rasenmahd auf trockenem Betonboden ohne weiteres erkennen können. An dem Schadenstag war unstreitig trockenes Wetter ohne Niederschlag. Insbesondere auf dem abschüssigen Weg zur Unterführung erfordert die gebotene Aufmerksamkeit und Eigensorgfalt ein vorausschauendes Gehen und Achten auf den Boden. Die Notwendigkeit, zwischen Loch 2 und 3 durch die Unterführung mit abschüssigem Abgang zu gehen war der Klägerin aufgrund ihrer langjährigen Mitgliedschaft seit 2018 im Golfclub bekannt. Das Vorhandensein von einzelnen Grasbüscheln oder Rasenmahd auf dem abschüssigen Betonabgang zur Unterführung mag zwar eine Gefahrenquelle darstellen, ist jedoch wie oben dargelegt auf einem Golfplatz vorhersehbar und bei trockenem Wetter ohne weiteres erkennbar. Es handelt sich insoweit nicht um eine atypische Gefahr, für die die Beklagte einzustehen hätte. Vielmehr hat sich in dem Unfallereignis eine mit dem üblichen Risiko der Benutzung der Golfanlage verbundene Gefahr realisiert, auf die sich die Klägerin einzustellen hatte.
21
c) Die Klägerin kann sich insoweit nicht auf die fehlende Erkennbarkeit durch eingeschränkte Sicht vor ihr berufen, weil der Golftrolley mit den Schlägern vor ihr her geschoben wurde. Dies entspricht gerade beim Herabgehen auf einem abschüssigen Weg nicht der gebotenen Aufmerksamkeit und Eigensorgfalt. Vielmehr wäre aufgrund der Abschüssigkeit und dem damit verbundenen Gefährdungspotential auf den Boden zu achten und der Golftrolley ggfs. so zu schieben gewesen, dass der abschüssige Abgang zu der Unterführung sichtbar ist, so dass die Klägerin ggfs. ausweichen hätte können.
22
3. Selbst wenn man eine Haftung der Beklagten unterstellen würde, entfiele diese insoweit wegen weit überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin, aufgrund der vorgenannten Außerachtlassung der hier erforderlichen Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten.
23
4. Mangels Anspruchs in der Hauptsache bestehen auch nicht die geltend gemachten Nebenforderungen
II.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, Alt. 2 ZPO.
25
Der Streitwert folgt aus § 3 ZPO, wobei für das beantragte angemessene Schmerzensgeld die von der Klagepartei geäußerte Größenvorstellung maßgebend war (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, § 3 Rn. 63 m.w.N.).