Inhalt

VG München, Beschluss v. 17.12.2024 – M 12 E 24.7508
Titel:

Aussetzung der Abschiebung

Normenketten:
VwGO § 123
§ 80 Abs. 7 analog
Schlagwort:
Aussetzung der Abschiebung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 17.12.2024 – 10 CE 24.2134
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37567

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 1.250 festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der am … … 2002 geborene Antragsteller ist nigerianischer Staatsangehöriger und reiste im Alter von acht Jahren mit einem Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung zu seinem Vater in das Bundesgebiet ein. Am 2. November 2010 erhielt er erstmals eine Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG, die mehrfach befristet verlängert wurde. Zuletzt war er im Besitz einer bis 14. Juli 2023 gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 2 AufenthG.
2
Der Antragsteller hat in Deutschland drei minderjährige Halbgeschwister, zu denen er guten Kontakt hat. Zur Mutter der Halbgeschwister hat er auch auf Wunsch des Vaters keinen Kontakt. Der Vater war in der Erziehung sehr streng, auch hinsichtlich körperlicher Übergriffe. Nach Installierung einer ambulanten Erziehungshilfe ist der Antragsteller mit ca. 11 oder 12 Jahren auf eigene Initiative hin in eine Pflegefamilie gekommen, wo er ca. 7 Monate gelebt hat, dann jedoch auf eigenen Wunsch wieder zum Vater zurückgekehrt ist. Er besuchte den M-Zweig der Mittelschule, ohne den qualifizierenden Hauptschulabschluss zu erreichen. Nach einem Vorrücken auf Probe in die 10. Klasse wurde er wegen häufiger Unpünktlichkeit und mangelnden Engagements der Schule verwiesen. Daraufhin arbeitete er in Gelegenheitsjobs. Ab Ende November 2019 besuchte er das Berufsvorbereitungsjahr, das er im Februar 2020 mit dem Mittelschulabschluss verließ. Im September 2020 begann er eine Ausbildung als Kaufmann im …service bei der … … mit einer Ausbildungsvergütung von 750 EUR netto. Nach eigenen Angaben hat der Antragsteller Schulden in Höhe von 13.000 EUR und hat deshalb auch einen Minijob angenommen. Eigenen Angaben zufolge konsumiert der Antragsteller kontinuierlich ca. ein bis zwei Joints Marihuana am Abend.
3
Der Antragsteller ist im Bundesgebiet mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten, insbesondere wegen Diebstahls- und Körperverletzungsdelikten, aber auch wegen Betäubungsmitteldelikten. Zuletzt wurde er mit Urteil des Amtsgerichts … vom ... . Oktober 2022 wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in vier tatmehrheitlichen Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Amtsanmaßung in Tatmehrheit mit versuchtem gewerbsmäßigen Bandenbetrug in drei tatmehrheitlichen Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Amtsanmaßung zu 2 Jahren und 9 Monaten Jugendstrafe verurteilt. Hintergrund war, dass sich der Antragsteller als sog. „Logistiker“ an der Begehung von Betrugsdelikten nach dem Modus operandi „Falscher Polizist“ beteiligt hatte. Der Antragsteller befand sich in dieser Sache von 6. Dezember 2021 bis 29. September 2023, als er auf Bewährung entlassen wurde, in Haft.
4
Mit Bescheid vom 15. Februar 2023 wurde der Antragsteller aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und gegen ihn ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen, das unter der Bedingung der nachgewiesenen Straffreiheit und Drogenabstinenz auf fünf Jahre, andernfalls auf sieben Jahre befristet wurde. Die Abschiebung aus der Haft nach Nigeria wurde angekündigt. Für den Fall der Haftentlassung vor Abschiebung wurde dem Antragsteller unter Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise von vier Wochen nach Haftentlassung die Abschiebung zuvorderst nach Nigeria angedroht.
5
Die hiergegen erhobene Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 12 K 23.1180) wurde gegen eine Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 2 Jahre und 9 Monate unter der Bedingung der nachgewiesenen Straffreiheit und Drogenabstinenz in der mündlichen Verhandlung am 10. August 2023 zurückgenommen.
6
Ein Abschiebeversuch des Antragstellers am 23. Januar 2024 scheiterte, da der Antragsteller nicht erschienen ist. Der Antragsteller war seither unbekannten Aufenthalts, wobei er sich zumindest zeitweise in Frankreich aufgehalten hat, wo er auch zur Festnahme ausgeschrieben wurde.
7
Am 12. Juli 2024 erlangte die Antragsgegnerin Kenntnis vom Aufenthaltsort des Antragstellers in M... … Beim Aufenthaltsort des Antragstellers handelte es sich dabei nicht um die Wohnanschrift seines Vaters und der Halbgeschwister.
8
Am 30. Juli 2024 leitete die Antragsgegnerin die Beschaffung eines Heimreisedokuments ein.
9
Aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts … vom 24. September 2024 wurde der Antragsteller zur Sicherung der Abschiebung in Haft genommen.
10
Der Antragsteller stellte am 26. September 2024 einen Asylantrag. Die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf Asylanerkennung und auf subsidiären Schutz wurden mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. Oktober 2024, zugestellt am 10. Oktober 2024, als offensichtlich unbegründet abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Andernfalls wurde ihm die Abschiebung zuvorderst nach Nigeria angedroht. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Fall einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (§ 80 Abs. 4 VwGO).
11
Von der JVA … wurde die Flugreisetauglichkeit des Antragstellers am 9. Oktober 2024 bestätigt. Er sei willens und in der Lage, Medikamente selbstständig einzunehmen.
12
Mit Schriftsatz vom … Oktober 2024 übermittelte der Bevollmächtigte des Antragstellers ein psychologisches Gutachten der psychologischen Praxis S... … H... … vom selben Tag und führte weiter aus, dass der Antragsteller demnach offensichtlich psychisch labil sei. Es sei eine ausführlichere Diagnostik angebracht. Autobiografisch erklärbare Ängste vor dem Wegfall seines Bezugssystems, seiner Identität und Zugehörigkeit vermischten sich mit realistischen Ängsten, in Nigeria als mittelloser Fremder zu stranden. Der Antragsteller könne diese rational nicht differenzieren und werde täglich im Schlaf von diesen überflutet. Er sei nicht in der Lage, mit dem Erlebten umzugehen und wahrscheinlich mehrfach schwerst traumatisiert. Er sei nicht in der Lage, mit einer Abschiebung nach Nigeria konstruktiv umzugehen. Er könne sich nicht glaubhaft von Selbstmord distanzieren und selbst nach mehrmaligem Nachfragen durch den Gutachter sei ein Selbstmord wahrscheinlich. Eine dringend erforderliche psychotherapeutische Behandlung könne nur erfolgreich stattfinden, wenn das primäre Grundbedürfnis nach Sicherheit gegeben sei. Nachdem dies in Nigeria nicht der Fall sei, werde von einer Reise in das Geburtsland abgeraten. Ferner empfiehlt der Gutachter vor allem aufgrund des jungen Alters einen längeren Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik mit differenzierter Diagnostik und medikamentöser Einstellung.
13
Am 11. Oktober 2024 übermittelte die Antragsgegnerin ein Emergency Travel Certificate, mit dem dem Antragsteller eine Ausreise nach Nigeria möglich ist.
14
Aufgrund eines mit Blick auf eine beabsichtigte Abschiebung des Antragstellers am 15. Oktober 2024 gestellten Antrags nach § 123 VwGO wurde die Antragsgegnerin mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 14. Oktober 2024 verpflichtet, aufenthaltsbeendende Maßnahmen hinsichtlich des Antragstellers bis 24. Oktober 2024 und, im Fall der Stellung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 9. Oktober 2024, bis eine Woche nach der Bekanntgabe einer ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts auszusetzen (M 12 E 24.6080).
15
Der Antragsteller hat gegen den Bescheid des Bundesamts am 14. Oktober 2024 fristgerecht Klage erhoben und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt. Letzterer wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. Oktober 2024, dem Antragsteller zugestellt am 5. November 2024, abgelehnt (Au 7 S 24.31037). Das Klageverfahren ist noch anhängig (Au 7 K 24.31029).
16
Aufgrund dessen wurde eine für den 12. November 2024 geplante Abschiebung storniert.
17
Mit Schriftsatz vom … Dezember 2024 hat der Bevollmächtigte des Antragstellers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München beantragt,
18
I. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, der Ausländerbehörde – hier das Kreisverwaltungsamt M. als Ausländerbehörde mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
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II. Bis zur Entscheidung über den unter I. gestellten Antrag, wird die Antragsgegnerin dazu verpflichtet, der Ausländerbehörde, hier das das Kreisverwaltungsamt M. , mitzuteilen, dass von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abgesehen wird.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, Eilbedürftigkeit liege vor, da der Antragsteller am Mittwoch, den 19. Dezember 2024 abgeschoben werden solle. Der Antragsteller sei nigerianischer Staatsangehöriger und lebe seit 14 Jahren in Deutschland. Er sei derzeit nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis, habe jedoch einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt worden sei; die Klage dagegen sei beim VG Augsburg anhängig. Der Antragsteller sei durch Dr. T. S. Facharzt für Neurologie und Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie und forensische Psychiatrie in der JVA … am 25. November 2024 untersucht worden. Es liege ein Gutachten vom 3. Dezember 2024 vor. Der Antragsteller sei nicht ausreisepflichtig. Er habe einen Asylfolgeantrag gestellt und es bestünden ernsthafte Zweifel an der Reisefähigkeit. Gegenüber dem Bundesamt sei aufgrund des Gutachtens zudem ein Wiederaufgreifensantrag mit Datum vom 16. Dezember 2024 gestellt worden. Dieses Gutachten sei bislang weder durch die Antragsgegnerin noch das VG Augsburg berücksichtigt worden. Unter Berücksichtigung des Gutachtens seien beim Antragsteller Feststellungen nach § 60 Abs. 7 AufenthG zu treffen und es sei zudem festzustellen, dass er derzeit nicht reisefähig sei. Der Vater und 2 Brüder des Antragstellers lebten in Deutschland und hätten die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Antragsteller sei im Alter von 8 Jahren über den Familiennachzug zu seinem Vater in die Bundesrepublik eingereist. Ab 2016 sei er straffällig geworden. Dabei sei es zwar zu mehreren Ahndungen gekommen, jedoch nur zu einer Jugendstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten. Die Ausweisungsverfügung sei spätestens am 10. August 2023 bestandskräftig geworden. Der Antragsteller habe die Einigung jedoch inhaltlich nicht verstanden. Er sei der Meinung gewesen, dass er damit nicht ausgewiesen werde. Zudem seien mittlerweile Änderungen eingetreten, die bei dieser Einigung keine Berücksichtigung gefunden hätten und einer Ausweisung entgegenstünden. Der Antragsteller sei faktischer Inländer, da er den Großteil seines Lebens in Deutschland verbracht und mit der Kultur seines Heimatstaates keine Berührungspunkte habe. Er habe im Alter von 8 Jahren Nigeria verlassen und sei in Deutschland aufgewachsen. Dass er auch durch die Familie nicht den entsprechenden Background zu Nigeria erhalten habe, liege auch daran, dass sein Vater sich von diesem Land abgewendet und die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen habe. Sämtliche für die Persönlichkeitsentwicklung maßgeblichen Familienmitglieder seien mittlerweile deutsche Staatsbürger. Der Antragsteller spreche fließend Deutsch und kenne die Gegebenheiten in Deutschland im Gegensatz zu Nigeria. Sein Heimatland Nigeria kenne er lediglich als Urlaubsland ohne jeglichen Bezug dazu. Die Großeltern väterlicherseits seien mittlerweile verstorben. Überdies sei er aufgrund der psychischen sowie körperlichen Situation nicht reisefähig. Bei der Eröffnung des Haftbefehls sei er zusammengebrochen, wobei medizinische Gründe bislang nicht abschließend geklärt worden seien. Mit Gutachten des Dr. S... … sei eine mittel bis hochgradige depressive Reaktionsbildung, im Wesentlichen wohl als Abschiebeangst und Ausdruck der Haftsituation zu bewerten, und ein zerebrales Krampfleiden, offensichtlich eine Epilepsie vom Grand-mal-Typ, bisher nur laienhaft behandelt und diagnostiziert, festgestellt worden. Der aktuelle Befund zeige eine höhergradige Depression mit nicht zu vernachlässigender Suizidalität. Ein zerebrales Krampfleiden sei völlig ungenügend diagnostiziert und letzten Endes nur aufgrund der Eigenmedikation des Antragstellers offensichtlich unzureichend eingestellt. Es werde eine unzureichende antikonvulsive Therapie durchgeführt. 500 mg Levetiracetam liege unter der Initialdosis von 7 mg/Kilogramm; bei 89 kg müsste er 630 mg aufweisen als Tagesdosis für den Behandlungsbeginn. Er sei damit offensichtlich unterdosiert. Die zusätzlich verordneten 2 × 10 mg Diazepam seien sicher nicht antidepressiv wirksam. Es bestehe zwar ein antikonvulsiver Effekt, das Medikament sei aber sicher nicht ein Mittel der 1. oder 2. Wahl zur Langzeitmedikation. Wenn das Medikament abgesetzt werde, steige die Gefahr von zerebralen Krampfanfällen schon wegen der Abstinenzproblematik. Es sei auch ein Suchtpotenzial zu befürchten. Darüber hinaus bedürfe es einer ordentlichen Diagnostik mit EEG und CCT oder NMR. Der bisherige Therapieverlauf sei offensichtlich ungenügend. Es bestünden erhebliche gesundheitliche Risiken bei einer Rückkehr. Bei der Rückkehr ins Heimatland sei ein Abbruch der Therapie so gut wie sicher. Es gebe einen Mangel an spezialisierten Fachkräften, nur wenige Neurologen und spezialisierte Ärzte und diese konzentrierten sich auf die Hauptstädte. Die meisten Fachkräfte seien in städtischen Krankenhäusern konzentriert. Ansonsten gebe es nur eine begrenzte Verfügbarkeit von Medikamenten wie Antiepileptika. Selbst gängige Präparate seien nicht überall verfügbar, das gelte erst recht für das Levetiracetam und die Kosten seien für viele Patienten unerschwinglich. Es gebe keine Krankenversicherung. Generika seien eine Option, aber die Versorgung sei nicht flächendeckend gesichert. In vielen Teilen Nigerias werde Epilepsie immer noch stark stigmatisiert. Die Behandlung von Epilepsie sei in vielen Fällen in Nigeria nicht adäquat. Eine erzwungene Abschiebung sei aus verschiedenen Gründen fatal. Es wäre mit einem Fortschreiten des zerebralen Krampfleidens zu rechnen, das bedeute auch die Gefahr einer dementiellen Entwicklung, einer epileptischen Wesensänderung oder eines Ablebens im Grand malAnfall, erst recht, wenn sich einmal ein status epilepticus entwickelt habe. Nach derzeitigen Stand bestehe keine Reise- und Transportfähigkeit bzw. wäre allenfalls in fachneurologische Begleitung gegeben. Wie dann allerdings im Heimatland die Therapie und diagnostische Abklärung fortbestehen könne, sei bei fehlender Krankenversicherung und flächendeckenden Zugang zu adäquate Behandlung letzten Endes nur sehr wenig wahrscheinlich. Demnach habe sich die Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Antragstellers geändert. Das beigefügte Gutachten sei bislang noch nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen und auch nicht die darin gewonnenen Diagnosen. Dem Antragsteller sei aufgrund der Abschiebehaft eine fachärztliche Untersuchung bislang nicht möglich gewesen. Die JVA habe eine Untersuchung verweigert. Der Gutachter Dr. S... … sei selbstständig beauftragt worden. Der Antragsteller habe sich am 5. Oktober 2024 mit seiner langjährigen Freundin, einer deutschen Staatsangehörigen, verlobt. Beide führten seit Jahren eine Beziehung und wollten zeitnah heiraten. Es bestehe ein Anordnungsanspruch, da die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 AufenthG vorlägen. Es liege weder ein gültiger Reisepass noch eine Aufnahmeerklärung des Zielstaats vor. Zudem stehe die Krankheit, welche im Zielstaat nicht behandelt werden könne, der Abschiebung entgegen. Zudem seien sicherheitsrechtliche Bedenken vorhanden. Mit Blick auf die deutschen Familienangehörigen des Antragstellers stehe der Abschiebung überdies Art. 6 GG entgegen. Der Antragsteller habe eine langjährige Beziehung zu seiner deutschen Verlobten und ein inniges Verhältnis zu seinen minderjährigen Brüdern und dem deutschen Vater. Zu letzterem habe er eine sehr enge Bindung. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Duldung nach § 60b AufenthG als „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ lägen nicht vor. Es stehe außerdem Art. 8 EMRK entgegen, da der Antragsteller faktischer Inländer sei. Er halte sich mittlerweile seit 14 Jahren in der Bundesrepublik auf und spreche die deutsche Sprache. Ihm sei es nur nicht gelungen, sich nachhaltig in die Rechtsordnung zu integrieren. Von einer Missachtung der Rechtsordnung könne jedoch nicht gesprochen werden, wenn er nur diese und keine andere Rechtsordnung kennengelernt habe. Eine nachhaltige wirtschaftliche Integration sei vorhanden. Er habe in der Bundesrepublik die Schule besucht und abgeschlossen. Er habe eine berufliche Ausbildung begonnen, diese aufgrund der Inhaftierung aber nicht abschließen können. Es sei ihm nicht zumutbar, im Land seiner Staatsangehörigkeit zu leben. Es sei nicht anzunehmen, dass er mit den heimatstaatlichen Lebensverhältnissen vertraut sei und über hinreichende Kenntnisse der heimatstaatlichen Sprache verfüge. Schließlich bestehe ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG aufgrund der gesundheitlichen Situation des Antragstellers. Der Antragsteller habe seine Krankheit der Antragsgegnerin mehrfach mitgeteilt, die die Reiseunfähigkeit jedoch zu keinem Zeitpunkt beachtet oder ausreichend geprüft habe. Zuletzt werde mit Nichtwissen bestritten, dass eine nach § 71 Abs. 5 Satz 2 AsylG ergangene Mitteilung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vorliege. Wäre der Antragsteller aus der rechtswidrigen Sicherungshaft entlassen worden, hätte er auch seine Krankheit näher darlegen und glaubhaft machen können.
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Beigefügt war ein psychiatrisches Gutachten von Dr. S... … vom 3. Dezember 2024, auf dessen Inhalt verwiesen wird, sowie eine Stellungnahme des Antragstellers vom 9. Dezember 2024, in dem dieser im Wesentlichen ausführt, dass er in Deutschland eine neue Heimat gefunden, die deutsche Sprache erlernt und sich in die deutsche Gesellschaft integriert habe. Er habe einen Schulabschluss erworben und 2020 eine Ausbildung begonnen. Die Abschiebung würde nicht nur sein Leben stark beeinträchtigen, sondern er sehe auch schwerwiegende Risiken in seinem Heimatort. Die Sicherheitslage habe sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In vielen Teilen des Landes bestünden unkalkulierbare Risiken für Leib und Leben durch Bedrohung, Erpressung, Raub, Entführung und Mord. Es sei unzumutbar, ein neues Leben in Nigeria zu beginnen. Weder könne er die Sprachen noch habe er soziale Bindungen oder finanzielle Rücklagen in dem Land. Zudem sei er seit über einem Jahr an Epilepsie und Depressionen erkrankt. In seinem Geburtsort seien Medikamente nur wenig verfügbar. Seine gesundheitliche Situation könne sich dadurch dramatisch verschlechtern. In vielen Teilen Nigerias werde Epilepsie immer noch stark stigmatisiert; deshalb wolle er seine Erkrankungen in Deutschland behandeln lassen. Darüber hinaus sei er inzwischen verlobt und plane eine Zukunft mit seiner deutschen Verlobten. Die einzige Familie, die er habe, lebe im Bundesgebiet. Eine Rückkehr wäre nicht nur für ihn fatal, sondern auch für seine Liebsten äußerst belastend. Im Jugendalter habe er oft Fehler begangen, die er heute zutiefst bereue. Er habe seine Strafe verbüßt. Seine Zukunft wolle er nicht wegwerfen, da die Haftzeit für ihn eine Erleuchtung gewesen sei. Er verfüge über einen festen Wohnsitz, wolle an seiner Karriere arbeiten und das beste in diesem Land erreichen. Sein kriminelles Jugendleben habe er hinter sich gelassen.
22
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2024 beantragt,
23
den Antrag abzulehnen.
24
Zur Begründung wurde ausgeführt, von der JVA … sei die Flug- und Reisetauglichkeit bestätigt worden. Seit der Inhaftnahme seien dort keine Krampfanfälle bekannt geworden. Eine ärztliche Begleitung des Fluges sei vorhanden, so dass eine (notfall)ärztliche Versorgung sichergestellt sei. Von der JVA sei bestätigt worden, dass dem Antragsteller Medikamente für den Flug und die ersten drei Tage im Heimatland zur Weiterversorgung mitgegeben werden. Vor dem Flug erhalte er ein Flugblatt mit Kontaktdaten für „Available Services oft he Joint Reintegration Services“ am Ankunftsflughafen, an die er sich wenden könne. Er werde nach der Landung der Immigration Authority übergeben, sei demnach nicht sofort auf sich allein gestellt. Zur Behandelbarkeit der möglichen Epilepsieerkrankung werde auf den Bescheid des Bundesamts verwiesen. Eine Behandlung sei in Nigeria möglich.
25
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
26
Das Gericht legt die Anträge gem. §§ 122, 88 VwGO vor dem Hintergrund, dass die Antragsgegnerin selbst Rechtsträgerin der Ausländerbehörde ist, unter Berücksichtigung des erkennbaren Begehrens des Antragstellers dahingehend aus, dass die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, aufenthaltsbeendende Maßnahmen hinsichtlich des Antragstellers vorläufig auszusetzen.
27
Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg.
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Der Antragsteller begehrt in der Sache insoweit die Abänderung des Beschlusses vom 14. Oktober 2024 nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO analog, soweit darin der Antrag auf eine über den tenorierten Zeitpunkt hinausgehende Aussetzung der Abschiebung abgelehnt wurde. Danach kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines nach § 123 VwGO ergangenen Beschlusses wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. Unabhängig davon kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO analog jederzeit von Amts wegen Beschlüsse nach § 123 VwGO ändern oder aufheben. Dabei darf das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO analog nicht als Rechtsmittelverfahren zur Überprüfung der Richtigkeit der ursprünglich ergangenen Entscheidung verstanden werden. Es dient der Möglichkeit, einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung zu tragen. Prüfungsmaßstab für die Entscheidung ist allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 25.8.2008 – 2 VR 1/08 – juris Rn. 5; OVG NRW, B.v. 7.2.2012 – 18 B 14/12 – juris Rn. 3; VGH BW, B.v. 6.12.2001 – 13 S 1824/01 – juris Rn. 5).
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Wegen der Bindungswirkung der asylrechtlichen Entscheidungen nach § 42 AsylG betreffend das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG können im vorliegenden ausländerrechtlichen Verfahren nur inlands- und nicht zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse in Betracht kommen.
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Der Antragsteller hat als veränderten oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachten Umstand das psychiatrische Gutachten von Dr. S... … vom 3. Dezember 2024 vorgelegt und mitgeteilt, dass beim Bundesamt am 16. Dezember 2024 ein Wiederaufgreifensantrag hinsichtlich § 60 Abs. 7 AufenthG gestellt wurde. Hieraus ergeben sich jedoch keine Umstände, aufgrund derer in Abänderung des Beschlusses vom 14. Oktober 2024 die Antragsgegnerin zu verpflichten wäre, die Abschiebung des Antragstellers weiter auszusetzen.
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Ein rechtliches Abschiebungshindernis aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt sich auch unter Berücksichtigung des psychiatrischen Gutachtens von Dr. S... … aus der gesundheitlichen Situation des Antragstellers nicht.
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Ein rechtliches inlandsbezogenes Abschiebungshindernis liegt insoweit insbesondere dann vor, wenn durch die Beendigung des Aufenthalts eine konkrete Gefahr für das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte Rechtsgut Leib und Leben zu befürchten ist. Erforderlich ist, dass infolge der Abschiebung als solcher − unabhängig von dem konkreten Zielstaat − eine wesentliche Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes der betroffenen Person konkret droht. Zum einen scheidet daher eine Abschiebung aus, wenn und solange die Person wegen der Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich der Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Transport wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (sog. Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn – außerhalb des Transports – das ernsthafte Risiko besteht, dass der Gesundheitszustand der Person unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig von dem konkreten Zielstaat) sich wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert – Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne (vgl. BayVGH, B.v. 15.4.2020 −10 CE 20.369 – juris Rn. 6; B.v. 9.5.2017 – 10 CE 17.750 – juris Rn. 3 m.w.N.).
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Dabei wird nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, gemäß § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll nach § 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
34
Im konkreten Fall hat der Antragsteller die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG nicht durch die Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG widerlegt.
35
Soweit Dr. S... … in seinem Gutachten ein cerebrales Krampfleiden, offensichtlich eine Epilepsie vom Grand-mal-Typ, diagnostiziert, erschließt sich schon nicht, wie er zu dieser Diagnose kommt, nachdem er selbst feststellt (S. 26/27 des Gutachtens), dass ein cerebrales Krampfleiden völlig ungenügend diagnostiziert ist und es hierfür einer ordentlichen Diagnostik mit EEG und hirnmorphologischen bildgebenden Verfahren wie CCT oder NMR bedarf, die beim Antragsteller jedoch nie stattgefunden hat. Eine regelgerechte Diagnostik einer Epilepsie ist somit gerade nicht erfolgt. Die Diagnose beruht vielmehr offensichtlich allein auf den Angaben des Antragstellers, seit über einem Jahr an cerebralen Krampfanfällen zu leiden, wobei sich die Anfallssymptomatik unter der Medikation von etwa 3-4-mal pro Woche auf 1-2-mal pro Woche reduziert habe. Allein die Angaben des Antragstellers vermögen das Vorliegen einer Epilepsie jedoch nicht glaubhaft zu machen, zumal in der JVA keine cerebralen Krampfanfälle des Antragstellers, die immerhin 1-2-mal pro Woche hätten auftreten sollen, wahrgenommen wurden. Zudem ergibt sich aus dem Gutachten weder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 noch der Schweregrad der Erkrankung. Abgesehen davon liegt, selbst wenn man die Angaben des Antragstellers als wahr unterstellt, keine Reiseunfähigkeit im engeren oder weiteren Sinn vor. Der Antragsteller leidet nach eigenen Angaben seit über einem Jahr an cerebralen Krampfanfällen, die er mit Levetiracetam und Diazepam behandelt. Diese Medikamente erhält der Antragsteller auch während des Flugs sowie für die ersten Tage nach der Ankunft in Nigeria. Damit droht dem Antragsteller insoweit durch die Abschiebung als solche – unabhängig vom Zielstaat – keine wesentliche Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustandes. Soweit sich der Gutachter mit den dauerhaften Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten einer Epilepsie in Nigeria befasst, stellt dies einen zielstaatsbezogenen Aspekt dar, der vom Bundesamt zu beurteilen ist. Die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG durch das Bundesamt liegt derzeit jedoch nicht vor. Hieran ist die Ausländerbehörde gebunden (s.o.).
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Auch die Diagnose einer deutlichen, d.h. mittel- bis hochgradigen depressiven Reaktionsbildung, im Wesentlichen wohl als Abschiebeangst und Ausdruck der Haftsituation zu bewerten, lässt schon den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 vermissen. Dass sich diesbzgl. eine Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Antragstellers durch die Abschiebung ergeben würde, ergibt sich aus dem Gutachten nicht. Eine Verschlechterung der depressiven Reaktionsbildung durch die Abschiebung wird im Gutachten nicht beschrieben. Soweit der Gutachter im Zusammenhang mit einer höhergradigen Depression eine nicht zu vernachlässigende Suizidalität benennt, erschließt sich diese aus dem zugrundegelegten Fragebogen zur Beurteilung der Suizidgefahr nicht. Demnach hat der Antragsteller einen Wert erreicht, der im Bereich „Normalität zweifelhaft“ und damit noch unterhalb einer schwachen Suizidgefahr liegt. Auch setzt sich der Gutachter nicht damit auseinander, dass nach Mitteilung der JVA vom 8. Oktober 2024 Suizidabsichten im Fall der Abschiebung verneint wurden (S. 15 des Gutachtens). Abgesehen davon wird durch eine polizeiliche Sicherheitsbegleitung während des Flugs einer evtl. Selbstgefährdung des Antragstellers wirksam begegnet, da die Beamten suizidale Handlungen des Antragstellers vereiteln würden. Daneben ist während des Flugs auch eine ärztliche Begleitung sichergestellt, um ggf. auf körperliche Reaktionen des Antragstellers in dieser Ausnahmesituation reagieren zu können. Dass eine Reise- und Transportfähigkeit nur bei fachneurologischer ärztlicher Begleitung gegeben wäre, ist nicht nachvollziehbar. Auch ein Allgemeinmediziner als Begleitarzt ist in der Lage, die Einnahme der Medikation zu überwachen und ggf. auf körperliche Reaktionen angemessen zu reagieren und damit sicherzustellen, dass der Antragsteller wohlbehalten in seinem Heimatland ankommt. Einer psychiatrischen Betreuung bedarf der Antragsteller während der Abschiebung nicht, zumal auch aus dem Gutachten – abgesehen von einer psychopharmakologischen Medikation – nicht hervorgeht, dass und in welcher Weise der Antragsteller ärztlich behandelt wird. Die ärztliche Flugbegleitung dient zudem nicht der Behandlung der diagnostizierten Erkrankungen, sondern lediglich dem Ausschluss einer evtl. Suizidgefahr und der Sicherstellung eines adäquaten Gesundheitszustands während der Abschiebung. In Nigeria wird der Antragsteller der Immigration Authority übergeben und erhält vorab Informationen und Kontaktdaten zu den „Available Services of the Joint Reintegration Services“ am Ankunftsflughafen, die u.a. auch Überweisungen für dringende medizinische Versorgung umfassen. Dies ist im Hinblick auf eine weniger als schwach einzustufende Suizidgefahr als ausreichend zu betrachten.
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Die Abschiebung des Antragstellers ist auch nicht deshalb rechtlich unmöglich im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, weil er nach eigenen Angaben am 16. Dezzember 2024 beim Bundesamt einen isolierten Wiederaufgreifensantrag zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG (sog. Folgeschutzgesuch) gestellt hat und das Bundesamt der Antragsgegnerin noch nicht mitgeteilt hat, dass die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Denn die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung kraft Gesetzes nach § 71 Abs. 5 Satz 2 und 3 AsylG ist nicht, auch nicht entsprechend auf Folgeschutzgesuche anzuwenden (Nds OVG, B.v. 26.2.2018 – 13 ME 438/17 -juris; OVG NRW, B v. 11.9.2017 – 18 B 1033/17 – juris Rn. 2 ff.; HessVGH, B.v. 14.12.2006 – 8 Q 2642/06.A – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 29.11.2005 – 24 CE 05.3107 – juris Rn. 11; a.A. VGH BW, B.v. 29.5.2017 – 11 S 2493/16 – juris Rn. 8 ff.). Der Anwendungsbereich des § 71 AsylG und ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmungen auf den Asylfolgeantrag, also die erneute Stellung eines Asylantrages nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags, beschränkt. Ein Folgeschutzgesuch ist kein Asylfolgeantrag im Sinne des § 71 AsylG. Der Ausländer beantragt vielmehr nur das Wiederaufgreifen des Verfahrens auf Feststellung der nationalrechtlichen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und/oder 7 AufenthG. Es besteht auch weder Möglichkeit noch Anlass, den Anwendungsbereich des § 71 Abs. 5 Satz 2 und 3 AsylG im Wege richterlicher Rechtsfortbildung auf das Folgeschutzgesuch auszudehnen. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die vom Gesetzgeber mit dem Wortlaut und der Systematik der Bestimmungen des § 71 AsylG vorgenommene Ausgrenzung von Folgeschutzgesuchen planwidrig sein oder der vom Gesetzgeber mit den Bestimmungen des § 71 AsylG verfolgte Zweck die Ausdehnung des Anwendungsbereichs dieser Bestimmungen auf Folgeschutzgesuche gebieten könnte. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG.
Effektiver Rechtsschutz ist vielmehr hinreichend auch bei Stellung eines Folgeschutzgesuchs gewährleistet. Das Wiederaufnahmebegehren zielt in diesem Fall darauf ab, die frühere negative Feststellung – bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG oder nach Betätigung des gemäß nach § 51 Abs. 5 in Verbindung mit §§ 48, 49 VwVfG eröffneten Ermessens – aufzuheben und nunmehr eine positive Feststellung des Bundesamtes zum Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und/oder 7 AufenthG zu erreichen. Dieses Ziel ist mit der Verpflichtungsklage gegen die Bundesrepublik als Rechtsträgerin des Bundesamtes zu verfolgen. Vorläufiger Rechtsschutz kann durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung erlangt werden, die das Bundesamt verpflichtet, der Ausländerbehörde mitzuteilen, dass in den streitrelevanten Abschiebezielstaat vor Abschluss des Wiederaufgreifensverfahrens nicht abgeschoben werden darf (vgl. Nds OVG, B.v. 26.2.2018 – 13 ME 438/17 -juris; OVG NRW, B.v. 11.9.2017 – 18 B 1033/17 juris Rn. 8 f.; OVG R-P, B.v. 20.7.2017 – 7 B 11085/17 – juris Rn. 7).
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Im Übrigen hat der Antragsteller keine veränderten oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorgetragen, die eine über den 12. November 2024 hinausgehende Aussetzung der Abschiebung begründen könnten. Er wiederholt diesbzgl. lediglich seinen Vortrag im Verfahren M 12 E 24.6080. derartige Umstände sind auch nicht ersichtlich. In der Sache ist daher keine andere Entscheidung veranlasst. Auf II.2. der Gründe des Beschlusses vom 14. Oktober 2024 wird verwiesen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 2 und 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 30.5./1.6.2012 und am 18.7.2013 beschlossenen Änderungen.