Inhalt

VG Regensburg, Beschluss v. 19.12.2024 – RN 4 S 24.33223
Titel:

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung in den Iran, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte und die Zuerkennung des internationalen Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat.

Normenketten:
AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsätze:
1. Offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erfordert eine Widersprüchlichkeit in sich, oder wenn Aussagen offenkundig nicht den Tatsachen entsprechen, dafür ist es aber nicht ausreichend, wenn Aussagen einer Person im Widerspruch zu Aussagen einer anderen Person stehen, die diese Person in ihrem eigenen Asylverfahren, über welches bereits entschieden wurde, vorgetragen hat.
2. § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG setzt nach der Gesetzesbegründung und nach dem Wortlaut der Neufassung „mutwillig“ voraus, dass nicht jede Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments zu einer Qualifizierung der Ablehnung eines unbegründeten Asylantrags als offensichtlich unbegründet führt, sondern allein eine solche, die im Ergebnis die sichere Feststellung von Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden verhindert hat.
Schlagworte:
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung in den Iran, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte und die Zuerkennung des internationalen Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat.
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37489

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage RO 4 K 24.33224 gegen die in Ziffer 5 des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24.11.2024 enthaltene Abschiebungsandrohung wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung in den Iran, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) den Antrag auf Asylanerkennung bzw. auf Zuerkennung des internationalen Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat.
2
Die am … geborene Antragstellerin ist iranische Staatsangehörige mit persischer Volks- und christlicher Religionszugehörigkeit. Sie reiste nach eigenen Angaben auf dem Luftweg nach Italien und am 10.10.2022 in die Bundesrepublik ein und meldete sich am 24.10.2022 asylsuchend. Am 11.01.2023 stellte sie sodann einen förmlichen Asylantrag.
3
Der Tochter der Antragstellerin, welche bereits am 08.06.2017 in die Bundesrepublik eingereist ist, wurde mit Bescheid vom 30.10.2017 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Im Aktenvermerk des Bundesamts (Az. …, S. 111) ist ausgeführt, dass die Tochter glaubhaft vorgetragen habe, dass sie den Iran aufgrund einer drohenden Zwangsehe verlassen habe. Des Weiteren sei sie wiederholt Opfer häuslicher Gewalt durch ihren strenggläubigen Vater gewesen. Die Mutter sei Christin und habe aufgrund dessen bereits im Jahr 2012 eine neun-monatige Haftstrafe verbüßt. Der Vater habe aus diesem Grund das Sorgerecht über die Töchter erhalten und sich von der Mutter scheiden lassen. Er habe die Töchter oft geschlagen, gequält und zum Beten gezwungen. Im Jahr 2016 habe dann der Vater die Tochter mit einem 18 Jahre älteren Mann vom Geheimdienst verlobt. Die Tochter sei daraufhin depressiv geworden und habe sich am 30.03.2017 versucht das Leben zu nehmen. Daraufhin sei sie in eine psychiatrische Klinik gekommen, aus der sie mit der Hilfe ihrer Mutter geflohen sei. Nach der Flucht aus der Klinik habe sich die Tochter bei einem Bekannten der Mutter versteckt. Der Vater und der Verlobte hätten überall nach ihr gesucht. Nach einem Monat habe der Vater eine Anzeige gegen die Mutter bei der Polizei erstattet. Daraufhin sei die Situation für die Tochter zu gefährlich gewesen und sie habe mit Hilfe eines Schleppers den Iran verlassen.
4
Bei der Anhörung am 18.07.203 gab die Antragstellerin gegenüber dem Bundesamt an, dass sie bis zu ihrer Ausreise am 4. oder 5.10.2022 versteckt bei ihrer Freundin, einer armenischen Christin in deren Firma in Teheran gelebt habe. Sie sei eine Art Hauswirtschafterin gewesen. Nach ihrer Scheidung im Jahr 2013 habe sie bis Februar 2022 zusammen mit ihrem Bruder bei ihren Eltern in S. , südlich von Teheran gelebt. Im Iran habe sie noch ihre Eltern, zwei Brüder, vier Schwestern sowie die Großfamilie. Sie habe aber keinen Kontakt mehr zu ihren Verwandten. Nachdem sie 2017 ihre Tochter ins Ausland geschickt habe, hätten ein Bruder und eine Schwester den Kontakt abgebrochen. Nachdem ihre Eltern und ihr Bruder sie im Februar 2022 aus dem Haus geworfen hätten und sie zu ihrer Freundin umgezogen sei, habe sie auch zu diesen keinen Kontakt mehr. Sie habe nach ihrem Studium als Lehrerin für die persische Sprache unterrichtet, unter anderem auch Austauschstudenten der Universität ... . Aufgrund ihrer Erkrankung habe sie nicht mehr hundert Prozent arbeiten können. Sie habe eine kleine monatliche Unterstützung erhalten. Die Kosten der Reise (ca. 3.450 Euro) habe sie durch den Verkauf von Gold und Goldschmuck finanziert.
5
Die Antragstellerin übergab dem Bundesamt ihre ID-Karte, einen Führerschein, ihre Scheidungsurkunde sowie ihre Geburtsurkunde. Auf Nachfrage nach ihrem Reisepass gab die Antragstellerin an, dass der Schlepper ihr diesen weggenommen habe. Er habe sie in Italien bis zum Flugzeug begleitet und ihr gesagt, dass sie in Deutschland einen Reisepass nicht benötigen würde. Warum der Schlepper ihn einbehalten habe, wisse die Antragstellerin nicht.
6
Nach den Gründen der Ausreise befragt gab die Antragstellerin an, dass sie 2017 an Krebs erkrankt sei. Im Krankenhaus hätten ihr eine armenische Freundin und ihre Tochter aus der Bibel vorgelesen. Das Gehörte habe sich die Antragstellerin in einem Heft notiert. Der ältere Bruder und ihre Schwestern hätten sich, als sie das Interesse der Antragstellerin am Christentum bemerkt hätten, von ihr abgewandt. Bei dem älteren Bruder handele es sich um einen sehr religiösen Menschen, der im Fernsehen auftrete und als religiöser Sprecher sehr beliebt beim bersten religiösen Führer K. sei. Das Manuskript habe die Antragstellerin in einem Schrank im Haus der Eltern aufbewahrt. Dort sei es vom jüngeren Bruder der Antragstellerin entdeckt worden. Er habe es aber für Unterlagen der Tochter der Antragstellerin gehalten. Nachdem der ältere Bruder aber von dem Fund erfahren habe, habe er die gemeinsame Mutter angerufen und damit gedroht, die Antragstellerin zu töten. Daraufhin habe die Antragstellerin keine Kraft mehr gehabt, sich zu verstecken, weswegen sie sich zur Ausreise entschlossen habe. Alles habe sie im Haus der Eltern zurücklassen müssen. Ihre Scheidungsurkunde sowie andere Papiere habe sie mitgenommen.
7
Zu ihrer Konversion befragt gab die Antragstellerin an, im Jahr 2011 sei sie mit dem Christentum in Kontakt gekommen. Die Töchter von Nachbarn seien Christen gewesen. Bei der armenischen Frau aus dem Krankenhaus handele es sich um deren Mutter. Diese habe für die Antragstellerin gebetet und deren Tumore hätten sich verkleinert. Auf Nachfrage, in welcher Beziehung die Antragstellerin zu der armenischen Christin gestanden habe, gab sie an, die Töchter seien miteinander befreundet gewesen. Sie sei zu einem Verein namens A1. mitgenommen worden, zu dem muslimische Personen keinen Zutritt hätten. Auch die in Deutschland lebende Tochter und deren Freunde hätten für die Antragstellerin gebetet. Anschließend habe Gott das Herz der Antragstellerin berührt. Seitdem glaube sie an die christliche Religion. Krankheitsbedingt habe sie in keine Kirche gehen können und habe keine Bibel besessen. Jetzt habe sie sogar drei Bibeln in persischer Sprache. Seit Oktober 2022 besuche sie einen Bibelkurs und am 29.07.2022 habe sie sich taufen lassen.
8
Ihre Tochter habe die Antragstellerin über das Christentum informiert. Während der Krankheitsphase habe sie allein auf die selbstgemachten Notizen zurückgreifen können und sich nicht anderweitig informieren können. Von ihrer Tochter habe sie die erste Bibel bekommen. Vom Christentum wisse die Antragstellerin, dass sie durch Jesus geheilt worden sei. Jesus sei der Einzige, der für die Sünden der Menschen ans Kreuz gegangen sei. Im Christentum sehe sie nur Liebe. Das Christentum vermittele Liebe. So, wie man Gott liebe und an ihn glaube, müsse man das Gleiche auch den Nachbarn tun. Man müsse Nachbarn lieben. Beim Lesen der Bibel empfinde sie eine tiefe Ruhe. Der Lebensplan liege beim Herrn Jesus Christus. Er werde die Menschen steuern und ihnen den Weg zeigen. Die Antragstellerin habe sich gemeldet, um auf Kinder, deren Eltern den Gottesdienst besuchten, aufzupassen.
9
Auf ihr Verhältnis zur Religion vor ihrer Zuwendung zum Christentum angesprochen gab die Antragstellerin an, mit der Unterstützung der Familie zunächst ein religiöser Mensch gewesen zu sein. Es sei eine normale Zeit gewesen und sie sei nicht unter Druck gesetzt worden. Ihre Familie sei sehr religiös. Als die Familie erfahren habe, dass die Antragstellerin Christin sei, habe diese keinerlei Rechte mehr gehabt. Nach der Heirat sei sie von ihrem Ehemann unterdrückt worden. Er habe gesagt, dass Frauen keine Rechte hätten. Die Antragstellerin solle auf ihre Rechte warten, bis ihre Haare weiß wären. Iranische Gerichte und die Justiz seien nicht auf der Seite von Frauen. Auf Nachfrage, was das mit Religion zu tun habe, gab die Antragstellerin an, durch das Verhalten ihres Ehemannes die Religion gehasst zu haben. Sie basiere auf Lüge, Krieg und Töten. Frauen hätten keine Rechte und würden geschlagen. Männer seien die Starken, Frauen die Schwachen. Daraus resultiere ihr Hass. Auf Nachfrage, ob sie überlegt habe, gar keiner Religion anzugehören, gab die Antragstellerin an, nach Scheidung und vielen Misshandlungen im Prinzip ungläubig gewesen zu sein. Einen Teil der Religion habe sie aber noch geglaubt. Mit anderen Religionen außer dem Christentum habe sie sich nicht beschäftigt.
10
Am Christentum habe die Antragstellerin anfangs die Liebe der armenischen Nachbarn fasziniert. Diese seien so liebevoll gewesen. Zum Beispiel sei Schweinefleisch im Iran verboten. Aber an einem Ort namens G. gebe es Wildschweine. Dort hätten die Nachbarn das Fleisch geholt, Wurst gemacht und der Familie der Antragstellerin gegeben. Auch Kuchen hätten sie ihr gegeben. Die Nachbarn hätten auch die Tochter der Antragstellerin gerettet. Damit meine sie, die Nachbarn hätten die Gedanken der Tochter geändert. Die Tochter habe zuvor Jesus nicht gekannt. Mit dem Kontakt zu den Nachbarn habe die Tochter festgestellt, was für liebe Nachbarn man habe.
11
Im Iran habe die Antragstellerin für sich selbst gebetet und mit Gott und Jesus gesprochen. Sie habe keine Bibel besessen. Sie habe das gemacht, was ihr die Tochter beigebracht habe. Jetzt erfahre sie mehr über das Christentum. Das werde ihr helfen, vieles einfacher zu verstehen. Sie sei ein ruhiger Mensch geworden, müsse sich nicht verstecken, könne offen leben und schreibe Lieder. Auf Nachfrage, was ihr am christlichen Glauben besonders wichtig sei, gab die Antragstellerin an, es handele sich um Freiheit und Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Sie müsse keinen Hijab tragen. Auf Nachfrage, inwieweit sich all dies auf das Christentum zurückführen lasse, gab die Antragstellerin an, das Christentum zwinge nicht, das Haar zu verstecken. Auf Nachfrage, wie sich ihr Leben durch die Hinwendung zum Christentum geändert habe, gab die Antragstellerin an, sie verzeihe jetzt den Menschen, die ihr Schlechtes angetan hätten. Psychisch gehe es ihr jetzt besser. Sie könne frei zur Kirche gehen, was im Iran nicht möglich gewesen sei. Sie habe sich ergeben und losgelassen für ihren Gott. Auf Nachfrage nach einer Lieblingsstelle aus der Bibel gab die Antragstellerin an, Petrus habe einen behinderten Bettler geheilt. Man könne sich als normaler Mensch im Christentum so weit entwickeln, dass man kranke Menschen heilen könne. Wie Jesus die Kranken durch Handauflegen geheilt habe, könne man auch soweit kommen, wenn man tief im Glauben sei.
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Auf Nachfrage, wie die Antragstellerin in Deutschland ihren christlichen Glauben auslebe, gab diese an, sonntags in die Kirche zu gehen und anfangs deutsche, jetzt persische Gottesdienste zu besuchen. Es gebe auch einen Bibelkurs, in dem man sich auf die Taufe vorbereiten könne. Auf Nachfrage nach weiteren religiösen Aktivitäten gab die Antragstellerin an, zum Sprachunterricht zu gehen. Sie wolle missionieren und anderen Menschen die Frohe Botschaft bringen. Außerdem gebe es eine christliche T.-Gruppe. Mit einer Mitbewohnerin habe sie eine Frauengemeinde gegründet. Wenn z.B. eine Frau gut schneidern könne, so biete sie ihre Dienste anderen an. Auf Nachfrage nach ihrer Missionierungsabsicht gab die Antragstellerin an, sie lade die Menschen zum christlichen Glauben ein. Damit meine sie zunächst die Einladung in Kirche und Gemeinde. Das habe sie bei einer Iranerin so gemacht. Diese sei jetzt als Schneiderin aktiv. Sie versuche, sich um die Bekleidung der Menschen zu kümmern, und sie zum Glauben zu bringen. Die Antragstellerin beabsichtige, Lieder und Gedichte auf der Bühne zu präsentieren. Missionieren sei für die Antragstellerin wichtig, weil sie selbst den Segen erhalten und Wunder gesehen habe. Ihr gehe es gut in ihrem Glauben und ihren Gebeten. Für Flüchtlinge bedeute es Schutz. Ihre Kinder seien weit weg, aber wenn sie mit dem Herrn spreche, empfinde sie Fröhlichkeit in sich.
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Der christliche Glaube sei für die Antragstellerin unverzichtbar geworden, weil sie Wunder erlebt habe. Sie selbst sei geheilt worden. Die Ärzte hätten sie schon aufgegeben. Die Gebete von armenischen Frauen hätten sie gerettet. In Deutschland fühle sie sich sicher. Gerne würde sie Videomaterial in den Iran zu Bekannten und Freunden schicken. Auf Nachfrage, wie sie ihren neuen Glauben bei einer Rückkehr in den Iran ausleben würde, gab die Antragstellerin an, darüber nicht nachgedacht zu haben. Auf nochmalige Nachfrage hin gab die Antragstellerin dann an, sie würde umgebracht. Man dürfe im Iran nicht einmal eine Bibel besitzen oder vor einer Kirche stehenbleiben. Fünf Pastoren seien hingerichtet worden.
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Auf Nachfrage hin gab die Antragstellerin an, im Iran keine Hauskirche besucht zu haben. Auf Vorhalt, ihre Tochter habe in deren Anhörung angegeben, die Antragstellerin sei 2012 konvertiert und nach dem Besuch einer Hauskirche festgenommen und für neun Monate inhaftiert worden, es habe eine Gerichtverhandlung gegeben und ihr Ex-Ehemann habe angegeben, dass die Antragstellerin Christin sei, gab diese an, damals noch nicht einen so tiefen Glauben gehabt zu haben. Sie habe sich für ihre Tochter geopfert, damit diese nicht festgenommen worden sei. Daher sei die Antragstellerin mitgenommen worden. Es habe sich aber um kein richtiges Gefängnis gehandelt. Es habe sich um eine Moschee bzw. eine Art Erziehungs-Einrichtung gehandelt. Man habe von ihr verlangt, mit dem christlichen Glauben nicht weiterzumachen. Das sei wegen der Tochter gewesen. Damit man der Tochter nichts antue. Damit meine sie, so die Antragstellerin auf Nachfrage, die Tochter sei jung gewesen. Man habe die Tochter inhaftieren und umbringen können. Ihre Tochter sei 2011 konvertiert. Auf Vorhalt, dass die Tochter angegeben habe, erst in Deutschland mit dem Christentum in Kontakt gekommen zu sein, gab die Antragstellerin an, das sei richtig. Die Tochter sei in Deutschland mehr Christin geworden. Im Iran habe die Tochter keine Kirche betreten dürfen.
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Nach ihren Beschwerden befragt, gab die Antragstellerin an, dass sie im Iran Brustkrebs gehabt habe und man habe ihr eine Brust entfernt. Sie nehme seit sechs Jahren täglich eine Tablette T. Man vermute, dass auch in ihrer Gebärmutter Metastasen seien, weswegen sie in Deutschland operiert werden solle.
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Die Antragstellerin übergab dem Bundesamt folgende Unterlagen:
- Undatiertes Schreiben der G. (R. ...), in dem auf die Konversion der Antragstellerin zum Christentum, ihre Krebserkrankung sowie deren Integrationsfähigkeit eingegangen wird.
- Taufkarte vom …2023
- Patienteninformationen des Krankenhauses … nebst Arztbericht (Diagnosen: Postmenopausenblutung unter T. ; Z.n. Mammakarzinom 2017; Z.n. N. und T1. , Z.n. Mastektomie und ALND; Z.n. R. ...)
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Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 27.11.2024 die Anträge auf Asylanerkennung (Nr. 2), auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) bzw. des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab. Das Nichtvorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG wurde festgestellt (Nr. 4). Unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche wurde die Abschiebung in den Iran angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrages ausgesetzt (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
18
Die Ablehnung als offensichtlich unbegründet wird einerseits auf § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützt, da nach Auffassung des Bundesamts der Vortrag der Antragstellerin in zentralen Punkten des geschilderten Vorfluchtgeschehens dem Vortrag ihrer Tochter in deren Asylverfahren widerspreche. Das auf entsprechenden Vorhalt erfolgte Vorbringen habe erkennbaren Ausfluchtcharakter gehabt, ohne die Unvereinbarkeit der Darstellungen beseitigen zu können.
19
Anderseits sei der Asylantrag nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, da die Antragstellerin ihren Reisepass (auf Anraten des Schleusers) diesem ausgehändigt habe. Nachvollziehbare Gründe hierfür habe sie nicht nennen können, sodass ein Verstoß gegen die gesteigerten Mitwirkungspflichten nach §§ 15, 25 AsylG vorliegen würde, hier insbesondere §§ 15 Abs. 2 Nr. 4 und 5 AsylG. Einem Reisepass komme nicht nur die Funktion als Identitätsnachweis zu (inklusive Möglichkeit der Überprüfung auf seine Echtheit hin mittels PTU), sondern ermögliche in seiner Funktion als Reisedokument auch Rückschlüsse und Beweise hinsichtlich der vollzogenen Reisebewegungen. Seine Vernichtung diene zudem der Verhinderung bzw. Erschwerung von Rückführungsmaßnahmen (Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen). Demgegenüber seien andere Identitätsdokumente (ID-Karte) oder Personenstandsurkunden – abhängig vom Herkunftsstaat – u. U. nicht gleich geeignet, um Nachweis über die Identität und Staatsangehörigkeit zu geben, weil z. B. ihre Ausstellungsmodalitäten als fragwürdig zu bewerten seien oder sie aufgrund fehlenden Vergleichsmaterials oder nicht vorhandener Fälschungssicherheit nicht als gleichermaßen geeigneter Identitätsnachweis fungieren können, wie ein von den staatlichen Institutionen ausgestellter und mit besonderen Fälschungsmerkmalen versehener Reisepass.
20
Der Bescheid wurde der Antragstellerin mittels Postzustellungsurkunde am 07.12.2024 zugestellt.
21
Am 13.12.2024 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben (RO 4 K 24.33224) und beantragte gleichzeitig einstweiligen Rechtschutz. Auf die umfassenden Ausführungen im Schriftsatz vom 13.12.2024 wird verwiesen.
22
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 5 des Bescheides vom 27.11.2024 enthaltende Abschiebungsandrohung anzuordnen.
23
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
24
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der in elektronischer Form vorgelegten Behördenakten (. 1, einschließlich der Akte Tochter Az. …) Bezug genommen.
II.
25
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Asylgesetz (AsylG) durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin.
26
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Abschiebungsandrohung ist zulässig und begründet.
27
A) Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist er nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt. Er wurde auch fristgerecht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung gem. § 36 Abs. 1 i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG erhoben.
28
B) Der Antrag ist auch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) begründet.
29
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat abzuwägen zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem privaten Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 68). Bei der Abwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren nur erforderliche und mögliche summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse der Antragstellerin, vom Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts zunächst verschont zu bleiben, zurück. Erweist sich umgekehrt der Bescheid nach vorläufiger Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung in der Regel anordnen, da kein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheids besteht. Ist der Ausgang des Verfahrens nicht absehbar, bleibt es bei der allgemeinen Interessenabwägung.
30
Vorliegend fällt die Interessenabwägung zugunsten des Interesses der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung der Klage aus. Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung wird nach Aktenlage aller Voraussicht nach erfolgreich sein. Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids ist im entscheidungserheblichen Zeitpunkt, § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG, nach summarischer Prüfung rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Dass aus den Akten ersichtliche öffentliche Interesse am Sofortvollzug gebietet es nicht, im konkreten Fall – abweichend von der Wertung des Gesetzgebers – den Antrag abzulehnen.
31
Die mit dieser Verwaltungsentscheidung intendierte umgehende Beendigung des Aufenthalts der Antragstellerin im Bundesgebiet stützt sich auf die Ablehnung des Asylantrages als offensichtlich unbegründet und ist deren Folge. Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Einschätzung des Bundesamtes, dass die geltend gemachten Ansprüche auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz offensichtlich nicht bestehen, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen (BVerfG v. 14.5.1996 – 2 BvR1516/93 – juris). Aus den Gründen des Bescheids muss sich dabei klar ergeben, weshalb das Bundesamt zu dem Ergebnis kommt, dass die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus sowie auf Asylanerkennung nicht nur schlicht, sondern offensichtlich unbegründet sind.
32
Die Aussetzung der Abschiebung darf gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an dem Offensichtlichkeitsurteil oder der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig (§ 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG). Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung – insbesondere das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes – einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG v. 14.05.1996 – a. a. O.).
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1. Dies zugrunde gelegt bestehen für das Gericht ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet.
34
a) Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG liegen nach summarischer Prüfung nicht vor.
35
Das Bundesamt hat hier einerseits unter Berufung auf § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG die Anträge auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt, weil der Vortrag der Antragstellerin in zentralen Punkten des geschilderten Verfolgungsgeschehens dem Vortrag ihrer Tochter in deren Asylverfahren widerspreche und auch auf Vorhalt das Vorbringen Ausfluchtcharakter gehabt habe, ohne die Unvereinbarkeit von Darstellungen zu beseitigen.
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aa) Die Regelung des § 30 Abs. 1 Nr. 2 setzt nach der gesetzgeberischen Intention die Regelung des Art. 32 Abs. 2 i.V.m Art. 31 Abs. 8 lit. e Asylverfahrens-RL um und erfasst die vormals in § 30 Abs. 3 Nr. 1 a.F. geregelten Fälle offensichtlicher Unbegründetheit, wenn das Vorbringen des Ausländers in wesentlichen Punkten nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel gestützt wird (Begr. des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 20/9463, 56). Die Vorschrift knüpft – unausgesprochen – an die Mitwirkungsobliegenheiten des Asylbewerbers im Asylverfahren an. Hierzu gehört es, die Gründe, auf die er sich in seinem Asylverfahren beruft, vollständig und wahrheitsgetreu darzulegen, soweit es sich um sein persönliches Schicksal handelt (BT-Drs. 12/4450, 22). Ist sein diesbezüglicher Vortrag in sich widersprüchlich oder im offenkundigen Widerspruch zu Tatsachen, genügt der Asylbewerber der in eigenem Interesse bestehenden Obliegenheit nicht (VG Berlin BeckRS 2021, 5195 Rn. 15).
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Dasselbe gilt auch für eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben. Auch wenn dies sprachlich nicht eindeutig ist, ist der Zusatz im anschließenden Relativsatz, der einen Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen verlangt, (wohl) auf diese beiden Alternativen zu beziehen, während die eindeutig unstimmigen und widersprüchlichen Angaben schon in sich nicht schlüssig sein und nicht mehr mit anderen Informationen abgeglichen werden müssen. Dabei müssen sich die eindeutig falschen oder offensichtlich unwahrscheinlichen Angaben auf Tatsachen beziehen; deren rechtliche Bewertung wird hingegen nicht erfasst (VG Köln BeckRS 2024, 8007 Rn. 10).
38
Es ist zudem davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung der Vorschrift nicht die Anforderungen an ein Offensichtlichkeitsverdikt absenken wollte, sodass i.R.d. § 30 Abs. 1 Nr. 2 auf den für § 30 Abs. 1 a.F. maßgeblichen Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit zurückgegriffen werden kann, der seinerseits historisch zunächst mit Blick auf die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet entwickelt worden ist, aber auf die Entscheidung des Bundesamtes nach § 30 übertragen werden kann (Heusch in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 01.07.2024, § 30 Rn. 24). Bereits zu § 11 Abs. 1 AsylVfG a.F. hatte das BVerfG festgestellt, dass das erforderliche Maß an Richtigkeitsgewissheit für die Bundesamtsentscheidung jedenfalls nicht hinter den Anforderungen zurückbleiben dürfe, die an die zum Rechtsmittelausschluss führende Abweisung einer asylrechtlichen Klage als offensichtlich unbegründet zu stellen seien (BVerfG NJW 1984, 2028). Das BVerfG bejaht – mit Blick auf die unbegründete Asylklage – die Offensichtlichkeit in ständiger Rechtsprechung, „wenn im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise kein Zweifel bestehen kann und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rspr. und Lehre) die Abweisung der Klage geradezu aufdrängt“ (BVerfG, B. v. 21.07.2000 – 2 BvR 1429/98 – BeckRS 2000, 22406 Rn. 3 m.w.N.) Befindet das Bundesamt einen Asylantrag für offensichtlich unbegründet i.S.v. § 30 Abs. 1 Nr. 2, gilt – bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung – derselbe Maßstab. Angesichts der einschneidenden Rechtsfolgen kann eine solche Evidenzentscheidung nur dann getroffen werden, wenn die entsprechende Wertung auf der Hand liegt (zu § 30 a.F.: VG Berlin, B. v. 26.01.2023 – VG 39 L 610/22 A – BeckRS 2023, 4461 Rn. 4; VG Ansbach, B.v. 04.01.2021 – AN 15 S 18.31236 – BeckRS 2021, 405 Rn. 12).
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bb) Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist das Vorbringen der Antragstellerin nicht derart unstimmig oder widersprüchlich, dass sich die Ablehnung des Asylantrages geradezu aufdrängt. Insoweit ist festzustellen, dass der Vergleich der Aussagen der Antragstellerin mit den Aussagen ihrer Tochter eine Widersprüchlichkeit nicht per se begründen kann, da insoweit nicht pauschal angenommen werden kann, dass die Aussagen der Tochter in ihrem Asylverfahren -insbesondere soweit sie die Angelegenheiten der Mutter (also der hiesigen Antragstellerin) betreffen, tatsächlich richtig waren. Es muss zumindest auch in Erwägung gezogen werden, dass die Angaben der Tochter der Antragstellerin insbesondere zum Besuch der Hauskirche durch die Antragstellerin und dem Gefängnisaufenthalt unrichtig waren. Bei den Aussagen der Tochter handelt es sich weder um festgestellte Tatsachen, noch um Offensichtlichkeiten, sodass die vermeintlich im Widerspruch dazu stehenden Aussagen der Antragstellerin nicht unter § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG subsumiert werden können. Die Aussagen der Antragstellerin selbst sind in sich weder eklatant widersprüchlich, noch stehen sie im Widerspruch zu festgestellten Tatsachen. Auch wenn die Angaben der Antragstellerin wegen einzelner Unstimmigkeiten im Vortrag gegebenenfalls als eher unwahrscheinlich anzusehen sein sollten, steht jedenfalls eine Verfolgung durch die eigene Familie bzw. den iranischen Staat aufgrund eines Konversionsprozesses nicht im Widerspruch zu den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen (vgl. bspw. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Iran, 26.06.2024, S. 95 ff).
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b) Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG liegen nach summarischer Prüfung ebenfalls nicht vor.
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Das Bundesamt hat hier unter Berufung auf § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG die Anträge auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sowie auf Zuerkennung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt, weil die Antragstellerin den Reisepass dem Schleuser ausgehändigt habe.
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Nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen. Die Voraussetzungen für eine hierauf gestützte Offensichtlichkeitsentscheidung liegen hier jedoch nicht vor.
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§ 30 AsylG hat durch Artikel 2 des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz) vom 21.022024 (BGBl. 2024, Nr. 54 vom 26.02.2024), in Kraft getreten am 27.02.2024, eine für die vorliegend zu treffende Entscheidung maßgebliche Neufassung erhalten. Insoweit soll § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG n. F. nach der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 24.11.2023 der Umsetzung von Art. 32 Abs. 2 i. V. m. Art. 31 Abs. 8 lit. d der RL 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Asylverfahrensrichtlinie) dienen, denen zufolge die Mitgliedstaaten einen unbegründeten Antrag als offensichtlich unbegründet betrachten können, wenn angenommen werden kann, dass der Antragsteller ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat. Die Neufassung soll nach der Gesetzesbegründung die nach bisheriger Rechtslage in § 30 Abs. 3 Nrn. 2 und 5 AsylG a. F. geregelten Fälle der Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit durch Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments erfassen. (vgl. BT-Drucksache 20/9463, S. 56; vgl. hierzu auch VG Dresden, B.v. 06.03.2024 – 2 L 116/24.A –, Rn. 13).
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Entgegen der Auffassung des Bundesamts wird aus der Gesetzesbegründung und auch aus dem Wortlaut der Neufassung „mutwillig“ deutlich, dass nicht jede Vernichtung oder Beseitigung eines Identitäts- oder Reisedokuments zu einer Qualifizierung der Ablehnung eines unbegründeten Asylantrags als offensichtlich unbegründet führen soll, sondern allein eine solche, die im Ergebnis die sichere Feststellung von Identität oder Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden verhindert hat. Denn Mutwilligkeit liegt nur bei einem vorsätzlichen oder absichtlichen Handeln mit dem konkreten Zweck der Verschleierung vor, um die Feststellung der Identität oder auch eine Abschiebung zu verhindern oder zu erschweren. Denn nur dann ist die Annahme gerechtfertigt, dass gerade das vernichtete oder beseitigte Personaldokument die Feststellung von Identität oder Staatsangehörigkeit „ermöglicht hätte“. Bestehen aber aus anderen Gründen keine Zweifel an Identität und Staatsangehörigkeit des Asylsuchenden, hat sich die Vernichtung oder Beseitigung des Personaldokuments auf deren Feststellung nicht ausgewirkt (so auch: VG Würzburg, B.v. 10.10.2024 – W 8 S 24.31970 – juris Rn. 25; VG München, B.v. 17.9.2024 – M 25 S 24.32692 – juris Rn. 20; VG Düsseldorf, B.v. 29.08.2024 – 30 L 2228/24.A – juris; VG Berlin, B. v. 26.07.2024 – VG 4 L 326/24 A – juris; VG Schleswig, U.v. 04.07.2024 – 10 A 161/24 – juris Rn 57 f; VG Aachen, B.v. 26.04.2024 – 10 L 265/24.A; VG Köln, B.v. 19.04.2024 – 23 L 511/24.A –, Rn. 10; vgl. zur Altfassung des § 30 Abs. 3 Nr. 5 AsylG: VG Ansbach, B.v. 04.09.2020 – AN 4 S 20.30768 –, juris, Rn. 17 f.).
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Ausgehend hiervon ist festzustellen, dass die mangelnde Vorlage des Reisepasses nicht zu einer Qualifizierung der Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet herangezogen werden kann. Insoweit ist einerseits bereits fraglich, ob im vorliegenden Fall überhaupt Mutwilligkeit angenommen werden kann, da die Antragstellerin insoweit ausgeführt hat, dass sie den Reisepass zurückverlangt habe, der Schleuser die Rückgabe allerdings verweigert habe. Zum anderen hat das Bundesamt ausweislich der Akte keinerlei Zweifel an der Identität der Antragstellerin. Diese hat zwar bei Asylantragstellung nicht den Reisepass vorgelegt, aber ihre Identität und Staatsangehörigkeit jedoch durch die Vorlage anderer Dokumente nachweisen können. Insoweit hat sie insbesondere ihre Geburtsurkunde und ihren Führerschein vorgelegt, dessen Authentizität das Bundesamt nach einer durchgeführten Dokumentenprüfung ausdrücklich nicht in Zweifel gezogen, sondern vielmehr – neben dem Gesamteindruck in der persönlichen Anhörung und den Angaben des eingesetzten Dolmetschers – der aktenkundig gemachten Feststellung zugrunde gelegt hat, sodass Zweifel an Identität und Herkunft der Antragstellerin nicht bestehen. Bei dieser Sachlage erweist sich die Vernichtung des Reisepasses im vorliegenden Zusammenhang als unschädlich.
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Ob der Offensichtlichkeitsentscheidung vorliegend darüber hinaus bereits entgegensteht, dass die Antragstellerin ihren Reisepass bereits am Flughafen in Italien nicht zurückerhalten hat, also noch vor der Einreise nach Deutschland und damit zu einem Zeitpunkt, in dem sie noch gar nicht dem Regime des Asylgesetzes unterfiel, kann daher dahinstehen (vgl. zu einer (fehlenden) Verletzung von Mitwirkungspflichten durch die Vernichtung bzw. Beseitigung eines Passes vor Asylantragstellung unter Geltung der früheren Rechtslage etwa: Blechinger, in: BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Decker/Bader/Kothe, 18. Edition, Stand: 15.01.2024, § 30 AsylG Rn. 78; VG Ansbach, B.v. 04.09.2020 – AN 4 S 20.30768 – juris, Rn. 14; VG Leipzig, B. v. 27.05.2019 – 4 L 492/19.A – juris, Rn. 17 f).
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Etwas anderes ergibt sich vorliegend auch nicht aus der Tatsache, dass, wie das Bundesamt zutreffend ausführt, einem Reisepass nicht nur die Funktion als Identitätsnachweis zukomme, sondern in seiner Funktion als Reisedokument auch Rückschlüsse und Beweise hinsichtlich der vollzogenen Reisebewegungen ermögliche. Insoweit ist festzustellen, dass ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucksache 20/9463, S. 56) allein die fehelende Möglichkeit zur Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit mit § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG sanktioniert werden sollte, was insoweit auch der Art. 32 Abs. 2 i. V. m. Art. 31 Abs. 8 lit. d der RL 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie) entspricht, nicht aber sonstige Feststellungen, die mit einem Reisepass darüber hinaus hätten belegt werden können.
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Auch ist dem Bundesamt zuzugeben, dass andere Identitätsdokumente (bspw. ID-Karten oder Personenstandsurkunden) abhängig vom Herkunftsstaat nicht immer gleich geeignet sein mögen, um einen Nachweis über die Identität und Staatsangehörigkeit zu geben, weil beispielsweise ihre Ausstellungsmodalitäten als fragwürdig zu bewerten sind oder sie aufgrund fehlenden Vergleichsmaterials oder nicht vorhandener Fälschungssicherheit nicht als gleichermaßen geeigneter Identitätsnachweis fungieren können. Doch auch insoweit ist festzustellen, dass eine Sanktionierung aus diesen Gründen der Gesetzesbegründung zu § 30 AsylG nicht entnommen werden kann. Zudem ist im vorliegendem Fall festzustellen, dass entgegen dieser Ausführungen zumindest bei der Antragstellerin keinerlei Zweifel an der Identität bestanden, sodass selbst wenn man grundsätzlich diese Ausführungen für zutreffend halten sollte, sie im vorliegenden Fall keine Relevanz entfalten können.
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b) Dass die Offensichtlichkeitsentscheidung auf die weiteren Qualifizierungstatbestände des § 30 Abs. 1 Nrn. 1, 3 oder Nrn. 5 bis 9 AsylG gestützt werden könnte, ergibt sich aus dem bisherigen Akteninhalt ebenfalls nicht. Die im Bescheid dargelegten Zweifel an der Glaubhaftigkeit des Asylvorbringens mögen daher unter Umständen eine (einfache) Unbegründetheit des Asylantrags rechtfertigen, an dem Vorliegen der Voraussetzungen für eine Qualifizierung der Antragsablehnung als offensichtlich unbegründet bestehen jedoch ernstliche Zweifel. Auch das Bundesamt ist insoweit nicht von dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ausgegangen.
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2. Die auf dem Offensichtlichkeitsurteil beruhende Abschiebungsandrohung wird sich daher in der Hauptsache voraussichtlich als rechtswidrig erweisen, sodass das Interesse der Antragstellerin überwiegt, jedenfalls bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache von einer Abschiebung nach Iran verschont zu bleiben.
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Aus diesem Grund ist unter Beachtung der oben genannten Maßstäbe die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Zeitpunkt der Entscheidung anzuordnen und dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
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Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).