Titel:
Nachbarklage gegen nachträgliche Baugenehmigung
Normenketten:
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 1, S. 2, S. 3, Abs. 5, Abs. 6, Abs. 7, Art. 63 Abs. 1
BGB § 242
Leitsätze:
1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit auf der Verletzung von Normen beruht, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren und zumindest auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da Art. 6 BayBO in seiner Gesamtheit auch dem Schutz der angrenzenden Nachbarn dient, hat der Nachbar grundsätzlich ein Recht darauf, dass entsprechende Abweichungen zu seinen Lasten nur unter Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 63 BayBO erteilt werden. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgt, dass ein Grundstückseigentümer, der selbst mit seinem Gebäude den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, billigerweise nicht verlangen kann, dass der Nachbar die Abstandsfläche freihält, sofern die beidseitigen Abweichungen etwa gleichwertig sind und nicht zu schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
4. Aus dem nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnis folgt für den Nachbarn unter anderem die Pflicht, dass er nach Erkennen einer Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen ungesäumt seine nachbarlichen Einwendungen geltend macht, wenn ihm nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden soll. (Rn. 65) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage gegen nachträgliche Baugenehmigung für z.T. grenzständig errichtete Terrassenüberdachung unter Erteilung einer Abweichung hinsichtlich der Abstandsflächen, Erfordernis der Atypik, Aufhebung der Baugenehmigung wegen fehlender Atypik, Treu und Glauben: Verwirkung, widersprüchliches Verhalten, Nachbarklage, Drittschutz, nachbarschaftliches Gemeinschaftsverhältnis, Treu und Glauben, Grenzabstand, Verwirkung, Atypik, grenzständige Terrassenüberdachung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37397
Tenor
1. Der Baugenehmigungsbescheid des Landratsamtes … vom 4. Juli 2022, Az.: …, zur Errichtung einer Terrassenüberdachung und einer Stützmauer auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … wird aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte und die Beigeladenen, diese als Gesamtschuldner, je zur Hälfte. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen eine den mit Beschluss vom 3. August 2022 Beigeladenen unter Gewährung einer Abweichung von den Abstandsflächen und einer Befreiung bezüglich der Baugrenzen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Terrassenüberdachung und einer Stützmauer.
2
Die Beigeladenen sind seit 2001 Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … ( …; im Folgenden wird auf die Angabe der Gemarkung verzichtet, da alle genannten Grundstück innerhalb der Gemarkung … liegen). Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. ... „…“, der für das gesamte Plangebiet ein reines Wohngebiet ausweist und für jedes zur Bebauung vorgesehene Grundstück ein Baufenster für das Wohnhaus und die Garage vorsieht, sowie im Geltungsbereich der für das gesamte Gemeindegebiet geltenden Satzung über abweichende Maße der Abstandsflächentiefe vom 18. Januar 2021, deren § 2 regelt:
„Abweichend von Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO beträgt die Abstandsfläche im Gemeindegebiet außerhalb von Gewerbe-, Kern- und Industriegebieten und festgesetzten urbanen Gebieten 1 H, mindestens jedoch 3 m. Vor bis zu zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge genügen in diesen Fällen 0,5 H, mindestens jedoch 3 m, wenn das Gebäude an mindestens zwei Außenwänden Satz 1 beachtet.“
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Das Grundstück war ursprünglich aufgrund einer Baugenehmigung aus dem Jahr 1977 mit einem Einfamilienhaus mit Garage und Stützmauer/Sichtschutzmauer bebaut.
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Westlich und nördlich grenzt an das Grundstück FlNr. … das Grundstück FlNr. … an, das seit etwa 2009 im Eigentum des Klägers steht. Bei dem Grundstück FlNr. … handelt es sich um ein Hinterliegergrundstück, das über den nördlich an das Grundstück FlNr. … angrenzenden, etwa 4 m breiten S...weg an den … angeschlossen ist. Der S...weg ist in Höhe der nordwestlichen Ecke des streitgegenständlichen Grundstückes auf etwa 7,50 m erweitert. Das Grundstück FlNr. … ist im westlichen Teil mit einem Einfamilienhaus bebaut. In der Folgezeit kam es auf dem Grundstück des Klägers unter anderem auch im Bereich der Zufahrt zu Baumaßnahmen, anlässlich derer der Kläger die Beigeladenen um den Verkauf einer Teilfläche von zehn bzw. 11 qm im nordöstlichen bzw. nordwestlichen Bereich ersuchte, woraufhin es zum Abschluss eines notariellen Teilflächenkaufvertrages vom 2. März 2011 und zu einer notariellen Vereinbarung zur Messungsanerkennung und Auflassung vom 20. Oktober 2016 zur Vollziehung des notariellen Teilflächenkaufvertrages gekommen ist.
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2013 errichteten die Beigeladenen ohne Einholung einer Baugenehmigung im nordwestlichen Bereich des Grundstücks FlNr. … eine Terrassenüberdachung bestehend aus einer Stahlkonstruktion mit Glasdach und Glassichtschutzwand (im Westen) mit den Abmessungen von 5,23 m x 5,22 m und einer Höhe von 2,67m und unter Modifizierung der bestehenden Mauer (Erhöhung und Ergänzung einer Brandersatzwand), wobei die Mauer über eine Länge von 2,87 m unmittelbar an die nördliche Grundstücksgrenze angrenzt.
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Mit Bauantrag ursprünglich vom 15. Juli 2020, der auf Forderung der unteren Bauaufsichtsbehörde mehrmals durch die Vorlage weiterer Unterlagen ergänzt bzw. modifiziert wurde, beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Brandersatzwand und einer Terrassenüberdachung an einem bestehenden Wohnhaus unter Gewährung einer Befreiung von den Baugrenzen und einer Abweichung bezüglich der Einhaltung von Abstandsflächen. Zur Begründung der begehrten Abweichung trugen die Beigeladenen vor, dass der Kläger anlässlich seiner Bauarbeiten mit der Bitte auf sie zugekommen sei, die Grundstücksgrenzen im Bereich der Nordgrenze und des Fahrweges so auszugleichen, dass er seine Zufahrt besser nutzen und zwei Kfz-Stellplätze unmittelbar an der nordwestlichen Grundstücksgrenze, von der Terrasse durch die Sichtschutzmauer getrennt, errichten könne. Sie hätten dem zugestimmt, sodass es 2011 zu einem notariellen Vorvertrag gekommen sei. Man habe versäumt die Umgestaltung der Sichtschutzmauer notariell regeln zu lassen. 2013 sei die Mauer im Rahmen der Erstellung der Terrassenüberdachung renoviert worden, wobei die Mauer auf einer Länge von 4 m um ca. 30 cm erhöht worden sei. Die Mauer sei so umgestaltet worden, dass auf dem Nachbargrundstück die Kfz Stellplätze nach dem Wunsch des Nachbarn erstellt hätten werden können. Der Kläger sei sowohl mit der Ausführung der Mauer als auch mit der Errichtung der Terrassenüberdachung einverstanden gewesen. 2016 nach Fertigstellung aller Baumaßnahmen sei einvernehmlich eine Neuvermessung der Grundstücksgrenze erfolgt und die Übertragung der Fläche von 11 qm notariell beurkundet worden. 2019 habe der Kläger im Rahmen eines Bauantrages für einen Erweiterungsbau eine Abstandsflächenübernahme erbeten. Der Bevollmächtigte des Klägers habe dabei festgestellt, dass bei den Baumaßnahmen Vorschriften nicht beachtet worden seien und eine Abstandsflächenübernahme für die Stützmauer nicht vorliege. Es sei vorgeschlagen worden, dass der Kläger die Abstandsflächenübernahme nachträglich erteilen können, wenn im Gegenzug eine Abstandsflächenübernahme an der Westgrenze für die Hauserweiterung erfolgen werde. Nachdem sie dies abgelehnt hätten, habe der Kläger den Vorgang an das Landratsamt zur Überprüfung gemeldet. Das nachbarschaftliche Verhältnis sei zwischenzeitlich abgekühlt. Der Kläger habe eine Abstandsflächenübernahme für die Stützmauer abgelehnt.
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Die dem Bauantrag beigefügten Pläne waren durch den Kläger nicht unterzeichnet.
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Die Gemeinde erteilte mit Formularen vom 4. Dezember 2020 und 1. Juni 2022 das gemeindliche Einvernehmen. Aus dem beigefügten Auszug aus dem Sitzungsbuch der Gemeinde … ergibt sich, dass der Bau- und Umweltausschuss in seiner Sitzung am 30. Mai 2022 beschlossen hat, der Befreiung von der Satzung über abweichende Maße der Abstandsflächentiefe vom 18. Januar 2021 in Bezug auf die Abstandsflächentiefe zu Errichtung einer Brandersatzwand und einer Terrassenüberdachung zuzustimmen.
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Während des laufenden Baugenehmigungsverfahrens erfragte der Kläger mehrfach den Sachstand und trug Einwendungen vor.
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Mit Bescheid vom 4. Juli 2022 erteilte der Beklagte den Beigeladenen die Baugenehmigung für das beantragte Vorhaben nach Maßgabe der beiliegenden geprüften Bauvorlagen und unbeschadet der Rechte Dritter. Es wurde eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 3 Satz 2 BayBO von Art. 6 Abs. 5 BayBO bezüglich der Einhaltung der Abstandsflächen vor der nördlichen Außenwand zugelassen und eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans bezüglich der Überschreitung der Baugrenzen erteilt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass das Landratsamt hinsichtlich der Abweichung von den Abstandsflächen das ihm eingeräumte Ermessen ausgeübt habe und unter Abwägung aller relevanten Umstände entschieden habe, die Abweichung zuzulassen. Eine wesentliche Beeinträchtigung öffentlicher Belange und insbesondere der nachbarlichen Interessen sei nicht gegeben, da durch die auf der FlNr. … zum Liegen kommenden Abstandsflächen das Wohngebäude mit der Hausnummer ... nicht in Bezug auf Belichtung, Belüftung oder Brandschutz beeinträchtigt werde. Die Terrassenüberdachung bestehe bereits seit 2013 und sei einige Jahre durch den Nachbarn geduldet worden. Erst aufgrund einer nachbarschaftliche Auseinandersetzung sei die Terrassenüberdachung bemängelt worden. Ebenso handele es sich bei der von der Abweichung betroffenen Grundstücksfläche um die Zufahrtsfläche zu der Hausnummer, welche maximal durch ein Nebengebäude wie eine Garage oder einen Carport genutzt werden könne, was durch die Terrassenüberdachung nicht beeinträchtigt sei. Eine Verschattung von Stellplätzen sei nicht als problematisch anzusehen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Abstandsflächen in nördlicher Richtung insbesondere aufgrund des Grenzverlaufs in dieser Richtung nicht eingehalten werden könnten. Der betroffene Grundstücksteil sei an den Eigentümer mit der FlNr. … veräußert worden, damit dieser seine Abstandsflächen einhalten könne. Im Hinblick auf diese Tatsache sei eine Abweichung vertretbar. Durch die Terrassenüberdachung werde die Situation an der Grenze im Hinblick auf Belichtung, Belüftung und Besonnung und den Wohnfrieden nur unwesentlich verschlechtert. Eine unzumutbare Beeinträchtigung gehe von der Baumaßnahme nicht aus. Die Abwägung habe somit ergeben, dass durch die Zulassung der Abweichung die Nachbarn nicht tatsächlich beeinträchtigt seien. Bei der Abwägung der gegenseitigen Interessen des Bauherrn und der Nachbarn seien die Maßstäbe beachtet, die sich aus dem drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme ergäben. Durch Zulassung der Abweichung seien die Nachbarn nicht tatsächlich oder spürbar, d.h. in der Form einer feststellbaren Wertminderung in ihrem Eigentum im Hinblick auf Belichtung und Belüftung oder die sinnvolle bauliche Ausnutzung ihres Grundstücks beeinträchtigt.
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Soweit der Kläger mit Schreiben vom 14. März 2022 vorgetragen habe, dass durch die Terrassenüberdachung ein Brandrisiko für Objekte auf dem Nachbargrundstück bestehe, sei zu berücksichtigen, dass an der nördlichen Grundstücksgrenze eine Brandwandersatzwand nach Art. 28 BayBO vorgesehen sei. Hiernach gehe von der Terrassenüberdachung brandschutztechnisch keine Gefahr aus. Der Abstand zur westlichen Grundstücksgrenze betrage zwischen ca. 3,80 m und 4,40 m. Die Terrassenüberdachung werde komplett aus nichtbrennbaren Baustoffen (Alu-Glaskonstruktion) errichtet. Eine erleichterte Brandübertragung auf Gebäude des Nachbarn durch die Überdachung sei nicht erkennbar bzw. zu erwarten.
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Die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans könne erteilt werden. Das gemeindliche Einvernehmen liege vor. Die Erteilung einer Befreiung stehe im Ermessen der Baugenehmigungsbehörde. Die Ermessensprüfung habe ergeben, dass die Voraussetzungen vorlägen. Die Grundzüge der Planung würden nicht berührt und die Abweichung sei städtebaulich vertretbar. Die Befreiung sei auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Das Vorhaben berücksichtige die im Zusammenhang mit den städtebaurechtlichen Anforderungen an die Bauleitplanung heranzuziehenden Belange. Nach den festgestellten Umständen bzw. den örtlichen Gegebenheiten verletze die Befreiung die Nachbarn nicht in ihren Rechten. Auch werde mit der betreffenden Festsetzung des Bebauungsplans kein nachbarschützender Zweck verfolgt.
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Die Baugenehmigung wurde dem Kläger mittels am 4. Juli 2022 zur Post gegebenen Einschreiben zugestellt.
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Der Kläger ließ mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 2. August 2022, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach über EGVP und qualifiziert signiert eingegangen am selben Tag, Klage erheben. Zur Begründung der Klage führten die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 27. September 2022 aus, dass es sich sowohl bei der Terrassenüberdachung als auch der Mauer um Schwarzbauten handele, die nachgenehmigt hätten werden müssen. Bei den Bauarbeiten 2013 sei der Kläger mit den vorgenommenen Baumaßnahmen vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Soweit es 2012 und 2016 zu dem Verkauf einer Teilfläche von 11 qm gekommen sei, so sei hiermit kein irgendwie geartetes Einverständnis des Klägers mit bisherigen oder künftigen Schwarzbauten an der gemeinsamen Grundstücksgrenze einhergegangen. Gegenleistung für die verkaufte Teilfläche sei allein der entrichtete Kaufpreis gewesen, nicht ein sonstiges Entgegenkommen.
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In rechtlicher Hinsicht wurde vorgetragen, dass der Kläger durch die zugelassene Abweichung hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsflächen vor der nördlichen Außenwand in seinen nachbarlichen Rechten verletzt werde. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung bezüglich der Anforderungen an eine Abweichung nach Art. 63 BayBO hätte der Kläger einen Anspruch darauf, dass nicht nur seine eigenen Belange sachgerecht ermittelt und abgewogen würden, sondern auch darauf, dass die für und gegen die Abweichung sprechenden öffentlichen und privaten Belange ebenfalls korrekt ermittelt und gewürdigt würden, da die zugelassene Abweichung das Abstandsflächenrecht, also drittschützende Vorschriften, betreffe. Dem werde die Abweichungsentscheidung nicht gerecht (wird weiter ausgeführt).
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Die Abweichung erweise sich auch unter Zugrundelegung der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wegen Fehlens einer Atypik als rechtswidrig (wird weiter ausgeführt).
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Die Baugenehmigung verstoße weiter gegen das Rücksichtnahmegebot zu Lasten des Klägers. Durch den abstandsflächenrechtlichen Verstoß seien die nachbarlichen Belange und das gegebene Konfliktpotenzial nicht in einen vernünftigen und verträglichen Ausgleich gebracht worden. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot zu Lasten des Klägers liege vor, da das die Abstandsflächen nicht einhaltende Vorhaben nicht nur mit erheblichen Immissionen einhergehe, sondern ihm angesichts seiner massiven Gestalt und Ausführung eine erdrückende Wirkung zu Lasten des Grundstücks des Klägers zukomme.
- 1.
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Der Baugenehmigungsbescheid des Beklagten vom 4. Juli 2022, Aktenzeichen …, Vorhaben: Errichtung einer Terrassenüberdachung und einer Stützmauer, …, FlNr. …, Gemarkung …, wird aufgehoben.
- 2.
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Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
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Der Beklagte beantragt mit Schriftsatz vom 23. November 2022:
20
Die Klage wird abgewiesen.
21
Zur Begründung wird unter Hinweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 19. September 2013 – RO 2 K 12.50 – ausgeführt, dass die Abweichung unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO, vereinbar sein müsse. In der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids seien die Umstände unter Würdigung der Belange des Bauherrn sowie der Nachbarn ausführlich dargestellt und die behördliche Ermessenentscheidung einzelfallbezogen begründet worden. Ein Ermessensfehler sei nicht ersichtlich. Inwieweit die Gewährung der Abweichung zu einer Beeinträchtigung des sozialen Wohnfriedens bzw. der Belichtung und Belüftung auf dem klägerischen Grundstück komme, sei nicht ersichtlich und sei vom Kläger auch nicht näher dargelegt worden.
22
Gemäß Stellungnahme des Fachbereichs Immissionsschutz sei entgegen der Befürchtung des Klägers nicht mit einer erhöhten Immissionsbelastung des Nachbargrundstücks aufgrund der gewährten Abweichung zu rechnen. Hinsichtlich des vom Kläger monierten Fehlens einer Atypik übersehe dieser, dass im Falle einer Abweichung hinsichtlich der Abstandsflächen die Atypik kein zwingend notwendiges Tatbestandsmerkmal darstelle. Insoweit werde auf die Gesetzesbegründung verwiesen.
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Die Bevollmächtigten des Klägers erwiderten mit Schriftsatz vom 9. Januar 2023, dass die angegriffene Abweichungsentscheidung bereits nicht der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 13.2.2001 – 20 B 00.2213), dass abstandsflächenwidrige Bebauungsverhältnisse nach Möglichkeit bereinigt und nicht verfestigt werden sollten, gerecht werde. Denn obwohl die hier gegebene formelle und materielle Baurechtswidrigkeit des Vorhabens ein maßgeblicher Gesichtspunkt im Rahmen einer Abweichungsentscheidung sein müsse, werde dies vorliegend nicht berücksichtigt.
24
Daneben entstehe der Eindruck, dass der Beklagte mit der Abweichungsentscheidung die Intension verfolge, eine Alternative für die vorliegend nicht erklärte Abstandsflächenübernahme zu generieren, was unzulässig sei (BayVGH, B.v. 14.3.2022 – 1 ZB 22.89).
25
Soweit der Beklagte davon ausgehe, dass das Tatbestandsmerkmal der Atypik nicht mehr erforderlich sein solle, so sei dies in Rechtsprechung und Literatur stark umstritten. Insgesamt bestehe in Rechtsprechung und Literatur Einigkeit darüber, dass die in der Gesetzesbegründung angeklungene beabsichtigte Wirkung der Regelung keine Stütze im Gesetzeswortlaut finde (wird unter Hinweis auf verschiedene Rechtsprechung weiter ausgeführt).
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Vorliegend sei eine Atypik nicht gegeben. Darauf komme es aber nicht an, da die Baugenehmigung aus anderen selbständig tragenden Gründen rechtswidrig sei. Jedenfalls führe jede Verkürzung der Abstandsflächen zu einer Verschlechterung der Nachbarsituation.
27
Die Abweichungsentscheidung sei nicht mit öffentlichen Belangen, insbesondere denen des Brandschutzes und der ausreichenden Belichtung und Belüftung, vereinbar. Der Nachbar könne bei einer Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften auch die objektive Rechtswidrigkeit der Abweichung rügen.
28
Die Ermessensfehlerhaftigkeit der Abweichungsentscheidung ergebe sich im Weiteren daraus, dass der Beklagte personenbezogene Umstände in die Entscheidung einbezogen habe, obwohl das Baurecht objekt- und nicht personenbezogen sei (BayVGH, B.v. 14.3.2022 – 1 ZB 22.89).
29
Die Bevollmächtigten der Beigeladenen beantragen mit Schriftsatz vom 11. Januar 2023:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Beigeladenen.
30
Den Sachverhalt betreffend wird ausgeführt, dass die Mauer, bestehend aus einem gemauerten Teil mit darauf befindlichem Zaunelement, bei Erwerb des Anwesens FlNr. … durch die Beigeladenen im Jahr 2001 bereits vorhanden gewesen sei. Der Kläger habe die Mauer nach Erwerb des Grundstücks FlNr. … jahrelang geduldet. Eine bauliche Veränderung habe im Zuge einer Mauererhöhung nicht stattgefunden, vielmehr sei der alte und dunkle Zaunbereich entfernt und die Mauer in gleicher Höhe angepasst, begradigt, neu verputzt und als Stütze für das Glasdach verstärkt worden. Eine neue Beeinträchtigung sei keinesfalls entstanden. Die Klage gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung resultiere allein aus einer Unstimmigkeit hinsichtlich einer Abstandsflächenübernahme durch die Beigeladenen im Rahmen des durch den Kläger angestrengten Baugenehmigungsverfahrens für einen Erweiterungsbau seines Wohnhauses (wird weiter ausgeführt).
31
In rechtlicher Hinsicht führten die Bevollmächtigten der Beigeladenen aus, dass die erteilte Abweichung rechtmäßig sei. Der Beklagte setze sich im Bescheid vom 4. Juli 2022 explizit mit den Belangen des Klägers auseinander. Die Baubehörde äußere sich zu der baulichen Situation und etwaig möglichen Beeinträchtigungen, um diese dann zu verneinen, da bereits der Standort der Mauer an der Z... straße lediglich eine Beeinträchtigung auf diese bedinge. Eine Verschattung einer Zufahrt, welche keine Nutzungseinschränkung herbeiführe sowie seit Jahren in derselben Form vorhanden sei, lasse keinen Rückschluss auf eine Verletzung nachbarlicher Interessen zu. Es komme auf eine tatsächlich bemerkbare Benachteiligung an.
32
Eine – nur pauschal behauptete – Wertminderung sei nicht ersichtlich. Eine Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächen führe nicht dazu, dass sich diese auf das Nachbargrundstück erstrecken würden. Eine Verletzung nachbarlicher Interessen bestehe nicht, da der Kläger die Mauer jahrelang geduldet habe. Geringfügige Abweichungen änderten hieran nichts (VG Würzburg, B.v. 23.4.2021 – W 4 S 21.348). Lägen die Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO vor, habe die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Zulassung der Abweichung zu entscheiden, wobei angesichts der hohen Anforderungen sich die Behörde, falls die Voraussetzungen bejaht würden, für die Zulassung der Abweichung zu entscheiden habe, sog. intendierten Ermessens (wird unter Verweis auf BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 – weiter ausgeführt).
33
Zudem habe es aufgrund der BayBO-Novelle 2018 keiner Atypik bedurft, um eine Abweichung zu erhalten (wird unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung und die Vollzugshinweise zur BayBO 2018 weiter ausgeführt).
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Es entziehe sich darüber hinaus jeglicher Grundlage, dass durch die Nutzung der baulichen Anlage erhebliche Immissionen einhergingen. Die bauliche Veränderung der Mauer führe zu keiner Nutzungsänderung. Die pauschale Behauptung des Klägers werde zurückgewiesen.
35
Auch bestünden keine brandschutzrechtlichen Bedenken, da eine Brandwandersatzwand nach Art. 28 BayBO bestehe und daher von der Terrassenüberdachung brandschutztechnisch keine Gefahr ausgehe. Darüber hinaus betrage der Abstand zur westlichen Grundstücksgrenze 3,80 m bis 4,40 m und die Terrassenüberdachung sei komplett aus nichtbrennbaren Baustoffen (Alu-Glas-Konstruktion) errichtet.
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Im weiteren Verfahren vertieften die Beteiligten ihren bisherigen Vortrag.
37
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte und hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
39
Die Baugenehmigung vom 4. Juli 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, da die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen drittschützendes Abstandsflächenrecht verstößt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40
Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit auf der Verletzung von Normen beruht, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren und zumindest auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 21.7.2020 – 2 ZB 17.1309 – juris Rn. 4). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren auch keine umfassende Rechtskontrolle statt, vielmehr hat sich die gerichtliche Prüfung darauf zu beschränken, ob durch den angefochtenen Bescheid drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln, verletzt werden.
41
1. Die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung ist rechtswidrig, da die erteilte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften rechtswidrig ist.
42
a) Die streitgegenständliche Terrassenüberdachung mit der zum Teil unmittelbar an der nördlichen Grundstücksgrenze errichteten Mauer ist abstandsflächenpflichtig und hält die erforderlichen Abstandsflächen nicht ein.
43
Bei der Terrassenüberdachung mit Mauer handelt es sich um ein Gebäude im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO bzw. eine Anlage mit gebäudegleicher Wirkung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO (Kraus in Busse/Kraus, BayBO Art. 6 Rn. 22, 36; VG Ansbach; B.v. 14.2.2024 – AN 3 S 23.2673). Dabei ist für die Annahme eines Gebäudes eine allseitige oder teilweise Umschließung keine Voraussetzung (Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO Art. 57 Rn. 138). Für die Terrassenüberdachung mit Mauer gilt weder eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO noch findet die Regelungen des Art. 6 Abs. 6 und 7 BayBO Anwendung.
44
Die sowohl nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO als auch nach § 2 der gemeindlichen Satzung über abweichende Maße der Abstandsflächentiefe einzuhaltende Abstandsfläche von 3 m können auf dem Grundstück der Beigeladenen (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO) in Richtung Norden nicht eingehalten werden. Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO, wonach sich Abstandsflächen auch auf öffentlichen Verkehrs-, Grün- und Wasserflächen bis zu deren Mitte erstrecken dürfen, ist nicht einschlägig, da es sich bei schlauchartigen Zufahrt zum klägerischen Grundstück nicht um eine öffentliche Verkehrsfläche oder einen E...weg im Sinne des Art. 53 Nr. 3 BayStrWG, der einem beschränkten oder unbeschränktem öffentlichen Verkehr zur Verfügung gestellt worden ist, handelt. Auch scheidet eine analoge Anwendung des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO bei Annahme eines Privatweges aus, da die Zufahrt Bestandteil des klägerischen Grundstückes ist und ausschließlich diesem zu Erschließung dient.
45
Des Weiteren liegt auch kein Fall gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO vor, da es weder rechtlich noch tatsächlich gesichert ist, dass die nördlich an das Grundstück der Beigeladenen angrenzende Fläche nicht überbaut wird. Zwar können Grundstücksteilflächen, die der wegemäßigen Erschließung eines Hinterliegergrundstückes dienen, unter Umständen nicht bebaubar sein (Hahn in Busse/Kraus, BayBO Art. 6 Rn. 110). Dies gilt jedoch nicht für den vorliegenden Fall, da aufgrund der Verbreiterung im westlichen Bereich die ansonsten etwa 4 m breiten Zufahrt zumindest dort, wo die Terrassenüberdachung mit Mauer unmittelbar an die Grenze gebaut ist, kleinere Nebenanlagen, Stellplätze oder Carports errichtet werden können.
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b) Zu Recht ging der Beklagte deshalb davon aus, dass gemäß § 63 Abs. 1 BayBO eine Abweichung von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts erforderlich ist.
47
Da die Regelungen des Art. 6 BayBO in ihrer Gesamtheit auch dem Schutz der angrenzenden Nachbarn dienen (vgl. BayVGH, B.v. 21.10.1991 – 2 CS 91.2446 – BeckRS 1991, 09074; Dirnberger, in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Art. 66 Rn. 258 m.w.N.), hat der Nachbar grundsätzlich ein Recht darauf, dass Abweichungen im Sinne von Art. 63 BayBO von den drittschützenden Regelungen des Art. 6 BayBO zu seinen Lasten nur unter Einhaltung der Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 BayBO erteilt werden.
48
Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO in der zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung geltenden Fassung (BayVGH, B.v. 30.11.2023 – 2 ZB 21.2099 – juris Rn. 27; B.v. 18.1.2010 – 1 ZB 07.3187 – juris Rn. 12 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 5.10.1965 – IV C 3.65 – juris) kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von Anforderungen dieses Gesetzes und auf Grund dieses Gesetzes erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO, vereinbar sind.
49
Nach ständiger Rechtsprechung zu den vor dem Gesetz zur Änderung der Bayerischen Bauordnung und weiterer Rechtsvorschriften vom 10. Juli 2018 geltenden Abweichungsregelungen setzt die Zulassung einer Abweichung Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Lüftung (sowie eine Verringerung der freien Flächen des Baugrundstücks) im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (BayVGH, B. v. 13.2.2002 – 2 CS 01.1506 – juris Rn. 16; B. v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – juris Rn. 8; B. v. 15.11.2005 – 2 CS 05.2817 – juris Rn. 2; B. v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717 – juris Rn. 24; B. v. 11.1.2007 – 14 B 03.572 – juris Rn. 22; B. v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16; B. v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; B. v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 3; U. v. 22.12.2011 – 2 B 11.2231 – juris Rn. 16). Denn während bei bautechnischen Anforderungen der Zweck der Vorschriften vielfach auch durch eine andere als die gesetzlich vorgesehene Bauausführung gewahrt werden kann (die dann im Wege der Abweichung zuzulassen ist), wird der Zweck des Abstandsflächenrechts, der vor allem darin besteht, eine ausreichende Belichtung und Lüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern, regelmäßig nur dann erreicht, wenn die Abstandsflächen in dem gesetzlich festgelegten Umfang eingehalten werden. Jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO hat zur Folge, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden.
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Hinsichtlich des Erfordernisses der Atypik hat sich nach Überzeugung der Kammer durch das Einfügen des Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO durch das Gesetz zur Änderung der Bayerischen Bauordnung und weiterer Rechtsvorschriften vom 10. Juli 2018 keine Änderung ergeben. Insoweit schließt sich die Kammer der Bewertung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in seiner Entscheidung vom 23. Mai 2023 (BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris Rn. 26 f.) an, wonach die Zulassung einer Abweichung vom Abstandsflächenrecht entsprechend der bisherigen Rechtsprechung auch nach der Gesetzesänderung noch eine sogenannte Atypik bedarf, um dem Schutzzweck der Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO entsprechen zu können (a.A.: BayVGH, B.v. 2.5.2023 – 2 ZB 22.2484 – juris Rn. 10 in einem Zulassungsverfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der Abweichungserteilung nicht entscheidungserheblich war; offen gelassen z.B.: BayVGH, B.v. 10.2.2022 – 15 ZB 21.2428 – juris Rn. 36; B.v. 7.6.2021 – 9 CS 21.953 – juris Rn. 22).
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So führt der 1. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (BayVGH, U.v. 23.5.2023 – 1 B 21.2139 – juris Rn. 26 f.) aus:
„In dem zum 1. September 2018 eingefügten Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO, wonach Art. 63 BayBO unberührt bleiben soll (§ 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung der Bayerischen Bauordnung und weiterer Rechtsvorschriften vom 10. Juli 2018, GVBl S. 523), findet ein etwa vorhandener Wille des Gesetzgebers, dass eine Atypik bei der Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächen generell nicht mehr zu prüfen sein soll, keinen hinreichenden Niederschlag. Für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung kommt es in erster Linie auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers an (vgl. BVerwG, U.v. 22.8.2000 – 1 C 9.00 – DVBl 2001, 136). Nur wenn der Wille des Gesetzgebers auch im Text Niederschlag gefunden hat, kann dieser bei der Interpretation berücksichtigt werden (vgl. HessVGH, U.v. 23.7.2017 – 6 A 414/15 – juris Rn. 43 m.w.N.). Auf ein in der Gesetzesbegründung niedergelegtes Verständnis der Norm, das – wie hier – keinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat, kann nicht entscheidend abgestellt werden (vgl. BGH, U.v. 12.3.2013 – XI ZR 227/12 – BGHZ 197, 21). Auch bisher schon richteten sich die Voraussetzungen für die Erteilung von Abstandsflächenvorschriften nach Art. 63 BayBO, die Frage der Atypik war Teil der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 63 BayBO. Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO mit seinem Verweis auf Art. 63 BayBO führt daher nicht zu einer Änderung der Rechtslage.
Allerdings hat der Gesetzgeber mit Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus im Jahr 2021 nunmehr selbst definiert, unter welchen Voraussetzungen eine Abweichung erteilt werden soll. Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO in der seit dem 1. Februar 2021 geltenden Fassung soll für den Fall, dass ein rechtmäßig errichtetes Gebäude durch ein Wohngebäude höchstens gleicher Abmessung und Gestalt ersetzt wird, eine Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO erteilt werden. Mit der Aufnahme des in der Entscheidungspraxis sehr häufig vorkommenden Anwendungsfall für die Erteilung von Abweichungen als Regelbeispiel wird den durch Art. 14 GG geschützten Interessen des Bauherrn an einer sinnvollen Verwertung der vorhandenen Bausubstanz Rechnung getragen. Vorhandene Wohnpotentiale sollen besser reaktiviert und genutzt werden, um dringend benötigten Wohnraum zu schaffen. Die Regelung soll für Wohnraum jeder Art und Größe gelten. Die Erteilung von Abweichungen in anderen Fällen bleibt davon unberührt (vgl. LT-Drs. 18/8547, Begründung zu Nr. 22 Buchst. a (Art. 63 Abs. 1 Satz 2 neu), S. 20; Dhom/Simon in Busse/Kraus, BayBO, Stand Januar 2023, Art. 63 Rn. 28, 28a). Mit diesem Regelbeispiel hat der Gesetzgeber erstmals eine atypische Situation konkret festgelegt, unter der eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden soll (vgl. zu der vergleichbaren Problematik in § 31 Abs. 2 BauGB Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Oktober 2022, § 31 Rn. 29). Die Änderung der Bayerischen Bauordnung ist im Verfahren zu berücksichtigen, da sie dem Nachtragsbescheid vom 16. September 2021 zugrunde liegt.“
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Dies berücksichtigend fehlt es vorliegend an einer entsprechenden Atypik.
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Eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben. In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen (BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16).
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Eine derartige Sondersituation ist für das streitgegenständliche Vorhabensgrundstück gerade nicht erkennbar. Die örtlichen Gegebenheiten sind durch großzügige Grundstückszuschnitte mit sehr aufgelockerter Bebauung geprägt. Die Grundstücke sind – wie sich gerade auch an dem die Abstandsflächen einhaltenden Erweiterungsbau des Klägers erkennen lässt – grundsätzlich auch unter Berücksichtigung der Anforderung von zeitgerechten Wohnformen unter Einhaltung der Abstandsflächen bebaubar. Hinzukommt, dass es nicht Intention der Baumaßnahmen war, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren. Denn Gegenstand der Baugenehmigung ist die Errichtung einer Terrassenüberdachung mit seitlicher Mauer zur Abstützung der Überdachung. Eine sinnvolle Nutzung der vorhandenen Bausubstanz ist aber auch ohne Terrassenüberdachung unproblematisch möglich. Allein die Tatsache, dass die Abweichung zur Legalisierung eines bereits verwirklichten Abstandsflächenverstoßes erfolgt ist und insoweit keine Zustimmung des Nachbarn, dass die Abstandsflächen sich auf das Nachbargrundstück erstrecken können (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO), vorliegt, rechtfertigt nicht die Annahme eines atypischen Falles (BayVGH, B.v. 14.3.2022 – 1 ZB 22.89 – juris Rn. 10, wonach die Erteilung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften keine Variante zu der Möglichkeit einer Abstandsflächenübernahme ist).
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Eine Atypik ergibt sich auch nicht aus der Besonderheit der Lage und des Zuschnitts der benachbarten Grundstücke zueinander, ggf. auch unter Berücksichtigung des Grundstücksteilverkaufes der Beigeladenen an den Kläger. Zuzugeben ist, dass die Grundstücksgrenze durch die Aufweitung der Zufahrt des klägerischen Grundstücks in dem betroffenen nordwestlichen Bereich des Grundstücks der Beigeladenen nicht linear verläuft. Allerdings schränkt dieser Grenzverlauf die Bebaubarkeit des Grundstücks auch nur in diesem Abschnitt ein und führt aufgrund der Größe des Grundstückes nicht dazu, dass nicht an anderer Stelle eine überdachte Terrasse oder an gleicher Stelle eine etwas kleiner ausgeführte Terrassenüberdachung hätte errichtet werden können. Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Teilverkaufes, da die Terrassenüberdachung auch vor dem Teilverkauf die erforderlichen Abstandsflächen auf dem Grundstück der Beigeladenen schon nicht eingehalten hätte. Letztlich stellt sich die ursprünglich ohne Baugenehmigung errichtete Terrassenüberdachung als Ausdruck des Wunsches, das Grundstück bestmöglich bzw. stärker als nach Art. 6 BayBO zulässig auszunutzen, dar. Dies rechtfertigt jedoch nicht die Erteilung einer Abweichung (VG München, U.v. 9.5.2016 – M 8 K 15.459 – juris Rn. 24 unter Verweis auf BayVGH, B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 3; OVG NRW, B.v. 5.3.2007 – 10 B 274/07 – juris Rn. 17).
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Liegt die erforderliche Atypik nicht vor, erweist sich eine trotzdem erteilte Abweichung von der Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen von vornherein als rechtswidrig; die Baugenehmigung ist auf eine Nachbarklage hin aufzuheben (BayVGH, B. v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16; VG München, U.v. 9.5.2016 – M 8 K 15.459 – juris Rn. 25). Es kommt daher nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob als weitere Voraussetzung die Vereinbarkeit der Abweichung mit den öffentlichen Belangen unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Interessen gegeben ist, wobei das Gericht die Bewertung des Beklagten, dass in der vorliegenden Konstellation die Belange des Nachbarn nicht bzw. lediglich geringfügig betroffen sind, als durchaus zutreffend erachtet.
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2. Eine andere Bewertung ist auch nicht veranlasst unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 14.10.2014 – 4 B 51.14 – juris Rn. 4) gilt der Grundsatz von Treu und Glauben in der gesamten Rechtsordnung, also auch im landesrechtlichen Abstandsflächenrecht (BayVGH, B.v. 1.9.2016 – 2 ZB 14.2605 – juris Rn. 15). Das Recht des Nachbarn, sich grundsätzlich gegen jede Unterschreitung der Mindestabstandsflächen zur Wehr setzen zu können, ohne den Nachweis einer gerade dadurch hervorgerufenen tatsächlichen Beeinträchtigung führen zu müssen, unterliegt mit Rücksicht auf den das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben Grenzen. Der baurechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken der gegenseitigen Rücksichtnahme; seine Grundlage ist das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis, in dessen Rahmen jeder Eigentümer zugunsten seines Nachbarn bestimmten Beschränkungen unterworfen ist und im Austausch dafür verlangen kann, dass der Nachbar diese Beschränkungen gleichfalls beachtet (BayVGH, B.v. 2.5.2023 – 2 ZB 22.2484 – juris Rn. 5 unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – juris Rn. 12)
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b) Soweit daraus abgeleitet werden kann, dass ein Grundstückseigentümer, der selbst mit seinem Gebäude den erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, billigerweise nicht verlangen kann, dass der Nachbar die Abstandsfläche freihält, sofern die beidseitigen Abweichungen etwa gleichwertig sind und nicht zu – gemessen am Schutzzweck der Vorschrift – schlechthin untragbaren, als Missstand (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayBO) zu qualifizierenden Verhältnissen führen (BayVGH, B.v. 1.9.2016 – 2 ZB 14.2605 – juris Rn. 15 m.w.N.), so ist diese Fallgruppe vorliegend nicht einschlägig, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen darlegte, dass sein Anbau aufgrund der Ablehnung der Beigeladenen, eine Abstandsflächenübernahmeerklärung abzugeben, unter Einhaltung der erforderlichen Abstandsflächen errichtet worden ist.
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c) Der Kläger ist aber auch nach den Grundsätzen der Verwirkung nicht gehindert, seinen Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung geltend zu machen.
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Verwirkung als ein im Grundsatz von Treu und Glauben wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Die Vertrauensgrundlage, dass ein Recht nach langer Zeit nicht mehr geltend gemacht wird, muss für die Dispositionen des Nachbarn kausal geworden sein (BayVGH, B.v. 16.11.2009 – 2 ZB 08.2389 – juris Rn. 8 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 16.4.2002 Az. 4 B 8/02 – juris und U.v. 16.5.1991 Az. 4 C 4/89 - juris).
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Zwar mag im Hinblick darauf, dass der Kläger seit Errichtung der Terrassenüberdachung im Jahr 2013 bis etwa 2019/2020 weder dem Landratsamt noch den Beigeladenen gegenüber die formelle Illegalität und den Abstandsflächenverstoß gerügt hat, eine Vertrauensgrundlage in der Gestalt gegeben sein, dass der Kläger nach etwa sechs Jahre dies nicht mehr geltend machen wird. Möglicherweise haben die Beigeladenen auch tatsächlich darauf vertraut, dass der Kläger ein ihm zustehendes Recht nicht mehr ausüben werde. Es fehlt aber an einer Vertrauensbestätigung dahingehend, dass die Beigeladenen infolge dessen in ihren Vorkehrungen und Maßnahmen sich so eingerichtet haben, dass ihnen durch die verspätete Durchsetzung des Rechtes ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Denn es fehlt vorliegend gerade an Dispositionen der Beigeladenen aufgrund der Untätigkeit des Klägers. Die einzigen Dispositionen/Investitionen, die die Beigeladenen ins Feld führen können, sind die Aufwendungen für die Errichtung der Terrassenüberdachung. Diese sind aber weit vor dem Zeitpunkt, in dem eine Verwirkung überhaupt erst in Betracht kommen kann, getätigt worden. Insoweit tragen die Beigeladenen das mit der Errichtung eines Vorhabens ohne Baugenehmigung verbundene Risiko.
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Zum Tragen kommt auch, dass sich das Stillhalten des Klägers und eine Vertrauensbildung bei den Beigeladenen mangels Baugenehmigung nur auf die Hinnahme der behördlicherseits geduldeten Anlage, mithin die Geltendmachung eines Anspruchs auf Nutzungsuntersagung bzw. Beseitigung beziehen konnte. Zwar können materiell-rechtliche Abwehransprüche des Nachbarn auch gegenüber ungenehmigten Bauvorhaben verwirkt werden, eine (etwaige) Verwirkung eines Anspruchs auf Einschreiten schließt jedoch das Recht des Nachbarn nicht aus, gegen eine legalisierende Baugenehmigung mit der Nachbarklage vorzugehen. Denn die Wirkungen einer Baugenehmigung für den Rechtskreis des Nachbarn gehen über die einer vorherigen bloßen behördlichen Duldung hinaus, weil sie die Zulässigkeit des Vorhabens nunmehr auf Dauer und weitgehend unabhängig vom Charakter der Umgebungsbebauung und ihrer Entwicklung festschreibt und den Nutzungskonflikt zwischen Bauvorhaben und Umgebungsbebauung einseitig zugunsten der Beigeladenen entscheidet (OVG NRW, U.v. 21.3.1995 – 11 A 1089/91 – juris Rn. 39 ff.).
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d) Der Geltendmachung des nachbarlichen Abwehranspruches steht auch nicht das Verbot widersprüchlichen Verhaltens als weitere Ausprägung des Gebots von Treu und Glauben entgegen.
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Das nachbarschaftliche Gemeinschaftsverhältnis verpflichtet Nachbarn, durch ein zumutbares aktives Handeln mitzuwirken, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst niedrig zu halten; der Nachbar muss dieser Verpflichtung dadurch nachkommen, dass er nach Erkennen der Beeinträchtigung durch Baumaßnahmen ungesäumt seine nachbarlichen Einwendungen geltend macht, wenn ihm nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden soll, weil er mit seinen Einwendungen länger als notwendig gewartet hat. Dabei kann sich im Einzelfall ausnahmsweise auch eine Pflicht zu alsbaldiger Reaktion ergeben, wenn sich der Nachbar nicht dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens ausgesetzt sehen möchte. Dabei ist das Schweigen eines Eigentümers nicht als Zustimmung zu dem Bauvorhaben zu werten (BayVGH, B.v. 16.11.2009 – 2 ZB 08.2389 – juris Rn. 12).
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Das Verhalten des Klägers ist jedoch nicht als widersprüchlich zu bewerten.
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Die Beigeladenen tragen vor, dass sie die Terrassenüberdachung im Jahr 2013 mit Einverständnis des Klägers errichtet hätten, nachdem im Jahr 2011 der Grundstücksteilverkauf erfolgt sei. Der Kläger habe insbesondere keine Einwände hinsichtlich möglicher Abstandsflächen vorgetragen. Der Kläger habe sich erst, nachdem die Beigeladenen 2019 eine Abstandsflächenübernahme abgelehnt hätten, gegen die Terrassenüberdachung gewandt.
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Selbst wenn der Kläger im Vorfeld der Baumaßnahme der Beigeladenen seine Zustimmung zum Ausdruck gebracht haben sollte, wofür die Beigeladenen beweispflichtig wären, so würde sich dies wohl nur hinsichtlich eines Verzicht auf bauaufsichtliche Maßnahmen auswirken, nicht aber hinsichtlich einer nachträglichen Erteilung einer Baugenehmigung, der – wie bereits unter Ziff. 2 c) dargelegt – eine andere Regelungswirkung zukommt.
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Im Übrigen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen, dass er sich erst im Zusammenhang mit seinem eigenen Bauvorhaben mit der Bedeutung und Funktion von Abstandsflächen auseinandergesetzt und daraufhin erkannt habe, dass die Terrassenüberdachung den gesetzlichen Anforderungen nicht entspreche, woraufhin er sich an die Nachbarn gewandt habe. Eine andere Bewertung ist insoweit auch nicht aufgrund des Grundstücksteilverkaufes und der Messungsanerkennung, die entgegen der Annahme der Beigeladenen auch keine konkludente Regelung hinsichtlich der Abstandsflächen enthält, möglich.
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Damit ist die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinem subjektiv-öffentlichen Recht. Der Klage war daher vollumfänglich stattzugeben.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Beigeladenen haben einen Sachantrag gestellt, so dass sie sich auch einem Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben.
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4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.