Titel:
Waffenrechtliche Zuverlässigkeit und Reichsbürgerszene
Normenketten:
WaffG § 4 Abs. 1 Nr. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 45 Abs. 2 S. 1
BJagdG § 18 S. 1, § 17 Abs. 1 S. 1, S. 2
Leitsätze:
1. Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt grundsätzlich Anlass zu der Annahme, ihm fehle es an der Zuverlässigkeit im waffenrechtlichen Sinne. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Indes ist für eine Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit auch bei Personen, die aus Sicht der Behörden dem Kreis der sog. Reichsbürger oder Selbstverwalter zuzuordnen sind, stets eine Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls erforderlich, insbesondere des konkreten Verhaltens der individuellen Person. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Jedenfalls bei Personen, die über reine Sympathiebekundungen hinaus ausdrücklich oder konkludent ihre Bindung an in der Bundesrepublik geltende Rechtsvorschriften in Abrede oder unter einen Vorbehalt stellen, ist das Vertrauen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß – dh vor allem im Einklang mit der Rechtsordnung – umgehen, in aller Regel zerstört. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuverlässigkeit im Sinne des Waffenrechts, Zugehörigkeit zur sogenannten, reichsbürgertypisches Verhalten, u.a. Versand, Schreiben, Reichsbürger, Reichsbürgerszene, Zuverlässigkeit, Szenenzugehörigkeit, konkretes Verhalten, Zuverlässigkeit im waffenrechtlichen Sinne
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37396
Tenor
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten der Verfahren.
Tatbestand
1
Die 1964 geborene Klägerin ist Inhaberin eines seitens des Landratsamtes … am 8. Februar 2010 ausgestellten und bis 31. März 2025 letztmalig verlängerten Jagdscheines (…) sowie zweier Waffenbesitzkarten (… und …), auf die insgesamt vier Waffen eingetragen sind.
2
Im Rahmen eines Bußgeldverfahrens wegen eines Verkehrsverstoßes übersandte die Klägerin dem Polizeiverwaltungsamt (PVA) … am 24. Oktober 2022 ein mit „Akzeptanz“ betiteltes Schreiben, in dem die Klägerin unter anderem ausführte:
„Ich habe Ihr oben benanntes Schreiben erhalten und nach rechtlicher Würdigung des Absenders und des Inhaltes Ihr Schreiben als Angebot erkannt. Dieses nehme ich hiermit, unter folgenden Voraussetzungen, an:
1. Erbringen Sie mir bitte Ihre amtliche Legitimation! Weisen Sie darin in notariell beglaubigter Form nach, wofür, wie und wodurch Sie von wem Rechte zur Vornahme von hoheitlichen Handlungen übertragen bekommen haben! Gleichzeitig weisen Sie in notarieller Form nach, auf welchen Staat Sie vereidigt worden sind!
2. Sie erbringen bitte eine notarielle Beglaubigung der Gründungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland sowie des Bundeslandes Bayern.
4. Sollte dies nicht vollumfänglich erfolgen, gehe ich davon aus, daß Sie selbst privat vertragsrechtlich und Ihre Behörde / Amt etc. nach Firmen- und Vertragsrecht als Unternehmen (Handelsrecht / UCC / HGB) handeln und arbeiten! …“
3
Das Schreiben war von der Klägerin handschriftlich unterzeichnet.
4
Laut Aktennotiz der Kriminalpolizeiinspektion (KPI) … vom 28. Dezember 2022 habe man nach Erhalt einer „Mitteilung Reichsbürger“ seitens des PVA … die Klägerin am 21. November 2022 zuhause aufgesucht, um ein persönliches und freiwilliges Gespräch mit ihr zu führen. Nachdem lediglich deren Ehemann angetroffen worden sei, habe die Klägerin die zuständige Polizeibeamtin der KPI … zurückgerufen und sich bereit erklärt, zu einem persönlichen Gespräch zu erscheinen. Im Rahmen des als Telefonat am 12. Dezember 2022 stattgefundenen Gesprächs habe die Klägerin angegeben, sich entschieden davon zu distanzieren, Reichsbürgerin zu sein. Die große Durchsuchungsaktion des BKA in der letzten Woche bei Reichsbürgern sehe sie lediglich als „PR-Gag“ und „fake“ an, sonst wären nicht sämtliche Medien im Vorfeld bereits informiert gewesen. Dies würde dem Durchsuchungszweck offensichtlich entgegenstehen. Wenn man entsprechende Interviews der Bundesjustizministerin höre, die von einer Gesetzesänderung mit Beweislastumkehr spreche, sei für sie klar, dass es sich hier um „fake“ handele, um eben solche gesetzlichen Entscheidungen herbeizuführen. Ihr Schreiben an das PVA sei ein „Versuchsballon“ gewesen, sie habe es im Internet gefunden und austesten wollen, wie die Behörde reagiere. Es sei ihr nie um das Bußgeld gegangen, das sie im Übrigen mittlerweile bezahlt habe. In der Coronazeit habe sie zwei schwere Jahre hinter sich gebracht, sie habe die getroffenen Maßnahmen kritisch gesehen.
5
Im Nachgang hat die Klägerin der KPI … am 14. Dezember 2022 weitere Unterlagen (Emails und Ausdrucke aus dem Internet zu den Themen Corona, Asyl und Razzien bei der Reichsbürgerbewegung, vgl. Bl. 18 ff. der Behördenakte, u.a. Email von … „Ein Gespenst geht um in Deutschland! Das Gespenst des Reichsbürgers […], Email von … „Razzia gegen Reichsbürger“ mit handschriftlicher Kommentierung der Klägerin „BKA erfindet Reichsbürger-Putsch […]“ sowie das Buch „Das Deutsche Reich 1871 bis heute“ von Dr. M. H.) als Hintergrundwissen bzw. zur „Durchsicht“ (Email der Klägerin vom 7.2.2023, vgl. Bl. 44 der Behördenakte) übergeben.
6
Laut Aktenvermerk der KPI … vom 28. Dezember 2022 werde die Klägerin derzeit vorbehaltlich neuer Erkenntnisse nicht als Reichsbürgerin eingestuft. Sie hinterfrage politische Entscheidungen zwar kritisch und sei gegen die damaligen Corona-Maßnahmen gewesen, auch dürfte die Klägerin für Verschwörungstheorien empfänglich sein, allerdings habe sie während des Gesprächs immer wieder glaubhaft vorbringen können, dass sie den Staat nicht ablehne und sich an alle Gesetze halten werde.
7
Mit Schreiben vom 9. Januar 2023 teilte die KPI … dem Landratsamt … mit, dass die Klägerin mittlerweile polizeilich als Reichsbürgerin eingestuft werde, da sie laut Mitteilung des LKA … am 16. Dezember 2022, mithin wenige Tage nach dem Gespräch mit der KPI …, in … an einem Vortrag des Reichsbürgers Herrn Dr. M. H. teilgenommen habe.
8
Mit Schreiben vom 23. Januar 2023 hörte das Landratsamt … die Klägerin zum beabsichtigten Widerruf der Waffenbesitzkarten und des Entzugs des Jagdscheines an.
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Mit schriftlicher Äußerung vom 7. Februar 2023 gab die Klägerin an, sich auf das Schärfste gegen die Einstufung ihrer Person als Reichsbürgerin zu verwehren. Sie bestätige hiermit, dass sie vollumfänglich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung in Deutschland – fußend auf dem Grundgesetz und seiner Rechtsordnung – stehe und die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland als verbindlich anerkenne. Die Behörde stütze ihre Einschätzung lediglich auf den Besitz und die Lektüre eines Buches sowie die Teilnahme an einem öffentlichen Vortrag. Sie habe sich jedoch lediglich umfassend über die Themen informieren und dem Autor ihre Fragen stellen wollen. Als Freiberuflerin im Fachbereich Forsten, wo sie auch öffentliche Aufträge erhalte, sei ihr Jagdschein teilweise Voraussetzung und ihr persönlich daher Verfassungstreue wichtig. Auf den Inhalt des Schreibens im Übrigen (vgl. Bl. 44 f. die Behördenakte) wird verwiesen.
10
Am 13. Februar 2023 übersandte die Klägerin dem Landratsamt … einen mit „Zuallererst eine Frage der Bildung“ überschriebenen Leserbrief von …, aus der Zeitung „Junge Freiheit“.
11
Am 7. März 2023 fand ein Gespräch zwischen der KPI …, dem Landratsamt … und der Klägerin statt, bei dem die Beteiligten den Verdacht der Zugehörigkeit der Klägerin zur Reichsbürgerbewegung erörterten und der Klägerin nochmals Gelegenheit gaben, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Laut Gesprächsnotiz des Landratsamtes … vom 13. März 2023 habe die Klägerin dabei unter anderem angegeben, das Schreiben an das PVA sei „just for fun“ erfolgt. Sie sei historisch interessiert und daher auf Herrn Dr. H. gestoßen. Bei der Szene handele es sich wohl um ein absolutes Sondergrüppchen ohne allgemeine Anerkennung („Spinnerei“, 2. Referent des Vortrages zu esoterisch). Sie sei sich nicht bewusst gewesen, sich in der Reichsbürgerszene zu bewegen. Ein Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung sei gegenüber den Gesprächsteilnehmern auch nach mehrmaliger Nachfrage nicht ausdrücklich erfolgt, die Klägerin sehe das geltende System eher als gegeben an und nehme dies so hin. Sie habe die Bundesrepublik Deutschland als lediglich „faktisch anerkannt“ bezeichnet. Davon, dass ihr Personalausweis seit 2021 abgelaufen sei, habe sie keine Kenntnis. Daran, dass die Polizeibeamtin der KPI … sie vor dem Vortrag informiert habe, dass Herr H. als Reichsbürger gelte, habe sich die Klägerin nicht erinnert. Auf die Gesprächsnotiz (vgl. Bl. 65 der Behördenakte) wird im Übrigen verwiesen.
12
Mit Bescheid vom 26. April 2023 erklärte das Landratsamt … den Jagdschein der Klägerin für ungültig und eingezogen (Ziffer 1). Es verpflichtete die Klägerin, den Jagdschein dem Landratsamt zu übersenden oder dort abzugeben (Ziffer 2). In Ziffer 3 widerrief das Landratsamt … die Waffenbesitzkarten der Klägerin. Es verpflichtete die Klägerin, die Waffenbesitzkarten an das Landratsamt zu übersenden oder dort abzugeben (Ziffer 4). In Ziffer 5 verpflichtete es die Klägerin, die in Ziffer 3 des Bescheides aufgeführten Waffen unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen und die Unbrauchbarmachung oder die Überlassung dem Landratsamt schriftlich nachzuweisen. In Ziffer 6 erfolgten Zwangsgeldandrohungen für die Ziffern 2, 4 und 5b des Bescheides sowie die Androhung der Sicherstellung der Waffen, wenn der diesbezüglichen Verpflichtung zur Unbrauchbarmachung oder Überlassung nicht bis zum 16. Mai 2023 nachgekommen werde. Auf die übrigen Verfügungen des Bescheides wird verwiesen.
13
Das Landratsamt … begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass dem Landratsamt nach Erteilung bzw. nach Verlängerung des Jagdscheines Tatsachen bekannt geworden seien, welche eine Versagung des Jagdscheines wegen fehlender Zuverlässigkeit (§ 5 Waffengesetz – WaffG) nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Bundesjagdgesetz (BJagdG) begründen würden. Die Klägerin habe sich nicht ausreichend von den Überzeugungen der Reichsbürgerbewegung distanziert, sondern habe deren Gedankengut für sich übernommen, weshalb die KPI … die Klägerin als Reichsbürgerin eingestuft habe. Bei Personen, die der sogenannten Reichsbürgerbewegung zugehörig seien oder der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland negieren und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennen würden, gäbe es Anlass zu der Befürchtung, dass auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgt werden. Dies gelte für den Umgang mit Waffen ebenso wie für die Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, die Pflicht zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, die Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen im Besonderen. Auf Grund der dem Landratsamt … vorliegenden Tatsachen liege die Unzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG vor und seien die Voraussetzungen für die Ungültigkeitserklärung des Jagdscheines gemäß § 18 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG und den Widerruf der Waffenbesitzkarten gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG erfüllt. Die Klägerin zeige auf Grund ihrer Verhaltensweisen enge Verstrickungen zur Reichsbürgerbewegung. In der Gesamtschau lägen im maßgeblichen Zeitraum der letzten fünf Jahre hinreichend Tatsachen vor, die nach ausführlicher Einzelfallprüfung die Annahme rechtfertigen würden, dass die Klägerin im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a aa WaffG auch Bestrebungen verfolgt habe, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind. Die Teilnahme an Vorträgen, die wie vorliegend eindeutig der Reichsbürgerbewegung zugeordnet werden könnten, ließen auf die Weigerung schließen, die staatliche Rechtsordnung als solche bzw. Handlungen staatlicher Organe nicht anzuerkennen. Auch die Vorlage von Schriftstücken zum Thema Corona, Asyl, Razzien bei der Reichsbürgerbewegung und des Buches „Das Deutsche Reich 1871 bis heute“ vom Autor Dr. M. H. im Rahmen einer Vorsprache bei der KPI … würden die Verknüpfung der Klägerin zur Reichsbürgerszene deutlich machen. Zudem handele es sich bei dem Leserbriefschreiber, …, dessen Leserbrief die Klägerin dem Landratsamt übersandt habe, nach durchgeführten Internetrecherchen um einen Anhänger der Reichsbürgerbewegung. Die fehlende Anerkennung der staatlichen Organe werde im Schreiben der Klägerin vom 24. Oktober 2022 an das bayerische PVA deutlich. Das Schreiben enthalte Zweifel an der amtlichen Legitimation der Polizei als Exekutivorgan sowie der Existenz des Bundeslandes Bayern und der Bundesrepublik Deutschland. Dies dürfe damit als aktives Vorgehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung bewertet werden. Zwar habe die Klägerin im Rahmen der Anhörung bestätigt, dass sie die Bundesrepublik Deutschland anerkenne, jedoch sei dies nicht mit ihren Aussagen im Gespräch vom 7. März 2023 vereinbar, in dem die Bundesrepublik Deutschland von der Klägerin als „faktisch“ anerkannt dargestellt worden sei. Das Bewusstsein der Klägerin, dass die Reichsbürgerbewegung verfassungsfeindliche Ziele verfolge, sei nach den Aussagen im persönlichen Gespräch vom 7. März 2023 nicht gegeben.
14
Auf die Bescheidsbegründung im Übrigen wird verwiesen.
15
Über ihren Bevollmächtigten hat die Klägerin am 30. Mai 2023 hiergegen Klagen erhoben. Der Bescheid sei rechtswidrig. Es fehle an ausreichenden Tatsachenfeststellungen. Die Klägerin habe den Bußgeldbescheid vom 19. Oktober 2021 bestandskräftig werden lassen und das Bußgeld sowie angefallene Verwaltungsgebühren in voller Höhe per Überweisung vom 29. November 2022 bezahlt. Sie habe der KPI … mitgeteilt, dass es ihr nie um das Bußgeld gegangen sei, zudem habe sie sich entschieden davon distanziert, Reichsbürgerin zu sein, sodass die KPI im Aktenvermerk vom 28. Dezember 2022 festgestellt habe, dass die Klägerin immer wieder glaubhaft habe vorbringen können, dass sie den Staat nicht ablehne und sich an alle Gesetze halten werde. Eine polizeiliche Einstufung als Reichsbürgerin sei vorbehaltlich neuer Erkenntnisse nicht erfolgt. Entgegen der Ausführungen im Bescheid habe die Klägerin das Buch von Herrn Dr. M. H. nicht als lesenswerte Literatur beworben, richtig sei vielmehr das im Aktenvermerk vom 9. Januar 2023 verwendete Wort „beigefügt“. Die behördlichen Feststellungen zu dem öffentlichen Vortrag von Herrn Dr. M. H. seien rudimentär. Inhaltliche Feststellungen zum Inhalt des Vortrages würden fehlen. Wie im Anhörungsschreiben angegeben, wende sich die Klägerin gegen die behördliche Annahme, auf Grund der Lektüre des vorstehend zitierten Buchtitels und der Teilnahme an einem öffentlichen Vortrag des Autors ein inhaltliches Einverständnis mit der Reichsbürger-Ideologie zu teilen. Sie verweise zur Begründung auf ihr wissenschaftlich-methodisches Vorgehen in Form eines Quellenstudiums, welches sie sich in ihrem Studium angeeignet habe. Es sei völlig unzutreffend, den Besuch des Vortrages als Beweis für eine Identifizierung mit dem Gedankengut der Reichsbürger zu deuten oder hieraus ein aktives Vorgehen gegen die verfassungsmäßige Ordnung abzuleiten. Der klägerseitig übersandte Leserbrief aus der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ sei von dem Beklagten nicht hinreichend gewürdigt worden. Zureichende Feststellungen ergäben sich auch nicht aus dem Protokoll vom 13. März 2023 über das Gespräch vom 7. März 2023. Unter anderem sei die Wertung, das Schreiben der Klägerin vom 24. Oktober 2022 weise einen „reichsbürgertypischen Inhalt“ auf, nicht durch Tatsachen aufgelöst worden. Zudem habe der Beklagte nicht erkennen lassen, ob in der Tatsache, dass der Personalausweis der Klägerin seit 2021 abgelaufen sei, ein Indiz dafür gesehen werde, dass die Klägerin das Bestehen der Bundesrepublik Deutschland verleugne. Die Klägerin verfüge über einen bis zum 25. Mai 2025 gültigen Reisepass. Von der zuständigen Wohnortgemeinde sei ihr im Rahmen einer Vorsprache zur Verlängerung des Personalausweises mitgeteilt worden, dass die Verlängerung der Wirksamkeitsdauer des Personalausweises nicht notwendig sei, solange sie über einen gültigen Reisepass verfüge. Insgesamt folge die Klägerin nicht der Ideologie der Reichsbürger. Der Bescheid stelle nicht einmal Vermutungstatsachen fest. Der Schluss darauf, es bestehe Anlass zur Befürchtung, dass die Klägerin auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht befolgen werde, entbehre jeglicher Grundlage. Aus keinem Verhalten der Klägerin sei ableitbar, sie würde ihre Rechte außerhalb oder neben der bestehenden Rechtsordnung durchsetzen. Unmittelbare Verletzungen der Pflicht zur sicheren Waffenaufbewahrung, zur getrennten Aufbewahrung von Waffen und Munition, zur Pflicht zu gewährleisten, dass andere Personen keinen Zugriff haben können sowie die strikten Vorgaben zum Schießen mit Waffen hätten nie auch nur ansatzweise in Rede gestanden. Hinsichtlich des Inhalts des vorgenannten Buches habe der Beklagte nicht dargetan, was „Inhalte aus dem Bereich der Reichsbürgerbewegung“ seien und inwiefern solche Inhalte in der Lesung von Herrn Dr. M. H. vorgetragen worden seien. Seine streitgegenständlichen Erkenntnisse erziele der Beklagte u.a. aus der Internetplattform „Wikipedia“ ohne eigene Prüfung. Zudem sei auf Internetseiten aus dem gewerkschaftlichen und politisch linken Milieu zu dem von der Klägerin zitierten Leserbriefschreiber recherchiert worden. Es gäbe keine von dem Beklagten ermittelten rechtsrelevanten Tatsachen, die nach aller Lebenserfahrung ein plausibles Risiko dafür begründen, dass die Klägerin künftig ein überhaupt prognoserelevantes Verhalten (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG) an den Tag legen werde. Mehrere Tatsachen (wie z.B. die Zahlung der Geldbuße; Beweggründe der Klägerin für Vortragsbesuch; abgegebene Bekenntnisse zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland), die zu Gunsten der Klägerin sprächen, seien nicht entsprechend gewertet worden. Die Klägerin beantragt,
- 1.
-
Der Bescheid der Beklagten vom 26. April 2023 (Geschäftszeichen: …) wird aufgehoben.
- 2.
-
Die Beklagte wird verpflichtet, den eingezogenen Jagdschein mit der Nummer … sowie die Waffenbesitzkarten mit den Nummern … und … an die Klägerin herauszugeben.
16
Der Beklagte beantragt jeweils Klageabweisung und bezieht sich zur Begründung auf den angegriffenen Bescheid. Die Klägerin sei im Rahmen der Ermittlungen zum Schreiben an das PVA von der zuständigen Polizeibeamtin der KPI … aufgeklärt worden, dass sich Herr Dr. M. H. mit der „Reichsbürgerbewegung“ identifiziere und öffentlich als Anhänger davon auftrete. Dennoch habe sie am 16. Dezember 2022 an dessen Vortrag teilgenommen. Auf Grund des Veranstalters und des Titels des Vortrages sei mit hinreichender Sicherheit davon auszugehen, dass dort Inhalte aus dem Bereich der „Reichsbürgerbewegung“ vorgetragen worden seien. Von der Klägerseite seien die staatsfeindlichen Inhalte und Darstellungen in dem Buch rund um eine angebliche Nichtexistenz der Bundesrepublik Deutschland nicht gewürdigt worden. Die Aussagen der Klägerin im Schreiben vom 24. Oktober 2022 an das PVA seien hinsichtlich der Infragestellung der Staatsorgane der Polizei sowie des Freistaats Bayern und der Bundesrepublik Deutschland eindeutig dem Gedankengut der Reichsbürgerbewegung zuzuordnen. Diese Erkenntnisse würden in Summe ausreichen, um den Reichsbürgerverdacht der Klägerin zu erhärten. Auffällig sei, dass die Klägerin dem Beklagten und der KPI … zudem unaufgefordert Links, Webseiten etc. zukommen habe lassen, welche den Verdacht der Reichsbürgerzugehörigkeit weiter verstärken würden. Sowohl der Leserbriefschreiber wie auch die Zeitschrift „Junge Freiheit“ seien dem rechten Spektrum zuzuordnen. Weiter habe sich der Verdacht der Reichsbürgerzugehörigkeit erhärtet, indem die Klägerin im Rahmen des persönlichen Gesprächs im Landratsamt … auf mehrmalige Befragung zu ihrer Haltung zur Bundesrepublik Deutschland, zur freiheitlich demokratischen Grundordnung usw. keine positive Äußerung dahingehend getätigt habe.
17
Mit Beschluss vom 25. Oktober 2024 hat die Kammer die beiden Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
18
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte verwiesen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 25. Oktober 2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
19
Die zulässigen Klagen sind unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 26. April 2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sowohl der Widerruf der Waffenbesitzkarten der Klägerin (im Folgenden Ziffer 1) als auch die Einziehung und Ungültigkeitserklärung des Jagdscheines (im Folgenden Ziffer 2) sind rechtmäßig erfolgt. Auch im Übrigen bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen den angegriffenen Bescheid (im Folgenden Ziffer 3). Ein Anspruch auf Herausgabe des eingezogenen Jagdscheines sowie der Waffenbesitzkarten an die Klägerin besteht auf Grund der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Waffenbesitzkarten und der Ungültigkeitserklärung des Jagdscheines ebenfalls nicht (Ziffer 4).
20
1. Der unter Ziffer 3 des Bescheides verfügte Widerruf der Waffenbesitzkarten der Klägerin ist rechtlich nicht zu beanstanden.
21
Rechtsgrundlage für den Widerruf ist § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG. Danach sind Erlaubnisse nach dem Waffengesetz, hier die Waffenbesitzkarten, zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine waffenrechtliche Erlaubnis setzt unter anderem voraus, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG). Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG besitzen Personen die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie (Buchst. a) Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden werden, (Buchst. b) mit Waffen oder Munition nicht vorsichtig oder sachgemäß umgehen oder diese Gegenstände nicht sorgfältig verwahren werden, (Buchst. c) Waffen oder Munitionen Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage kommt es auf den Zeitpunkt des Bescheidserlasses an (vgl. BVerwG, U.v. 19.6.2019 – 6 C 9.18 – juris Rn. 13).
22
Über die waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ist auf Grund einer Prognose des künftigen Verhaltens zu entscheiden, an die keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen. Maßstabsbildend ist der Gesetzeszweck. Dieser besteht darin, die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Das Gebot der Risikominimierung ist Ausdruck der präventiven Gefahrenvorsorge. Daraus folgt, dass nur solche Personen als zuverlässig gelten können, bei denen die tatsächlichen Umstände keinen vernünftigen Zweifel zulassen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen werden. Die Prognose der Unzuverlässigkeit ist bei Berücksichtigung des strikt präventiven, auf die Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten gerichteten Regelungskonzepts des Waffengesetzes nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tatsachen, auf die sie gestützt ist, nach aller Lebenserfahrung kein plausibles Risiko dafür begründen, dass die in Rede stehende Person künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begehen wird (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1.14 – juris Rn. 17; B.v. 10.7.2018 – 6 B 79.18 – juris Rn. 6 m.w.N.). Die Prognose im Hinblick auf mangelnde Zuverlässigkeit setzt nicht den Nachweis voraus, der Betroffene werde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit Waffen und Munition nicht verantwortungsbewusst umgehen. Es genügt vielmehr, dass bei verständiger Würdigung aller Umstände eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen zukünftigen nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen besteht. Ein Restrisiko muss dabei nicht hingenommen werden. Im Rahmen der Prognose ist das Verhalten einer Person in der Vergangenheit zu berücksichtigen; daneben ist aber auch jeder andere Umstand, der beurteilungsrelevant sein kann, mit einzubeziehen (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 10.10.2017 – 1 S 1470/17 – juris Rn. 25 m.w.N., U.v. 26.10.2018 – 1 S 1726/17 – juris Rn. 49 m.w.N.; HessVGH, U.v. 30.11.2022 – 4 A 2186/20 – juris Rn. 44).
23
Die im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG anzustellende Prognose muss ausweislich des Wortlauts stets auf „Tatsachen“ gestützt sein. Bloße Vermutungen reichen daher nicht aus (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 10.10.2017 – 1 S 1470/17 – juris Rn. 26; Gade, Waffengesetz, 3. Auflage 2022, § 5 Rn. 18). Ebenso wie für die Prognose der Unzuverlässigkeit eine hinreichende Wahrscheinlichkeit genügt, sind im Bereich der Gefahrenabwehr nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch die Anforderungen an die der Prognose zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen herabgesetzt: Je gewichtiger das gefährdete Rechtsgut ist und je weitreichender es durch die jeweiligen Handlungen beeinträchtigt würde, desto geringere Anforderungen dürfen an den Grad der Wahrscheinlichkeit gestellt werden, mit der auf eine drohende Verletzung geschlossen werden kann, und desto weniger fundierend dürfen gegebenenfalls die Tatsachen sein, die auf die Gefährdung des Rechtsguts schließen lassen. Allerdings muss stets gewährleistet bleiben, dass Annahmen und Schlussfolgerungen einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 22.2.2024 – 6 S 221/24 – juris Rn. 16 – 17 m.w.N.).
24
Im Hinblick auf die Zuordnung zur Reichsbürgerszene gilt insoweit Folgendes:
25
Wer der Ideologie der Reichsbürgerbewegung folgend die Existenz und Legitimation der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung generell nicht als für sich verbindlich anerkennt, gibt Anlass zu der Befürchtung, dass er auch die Regelungen des Waffengesetzes nicht strikt befolgen wird. Ausgehend von dem Grundsatz, dass nur derjenige im Besitz von Waffen sein soll, der nach seinem Verhalten das Vertrauen darin verdient, dass er mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen wird (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2015 – 6 C 1.14 – juris Rn. 17; B.v. 31.1.2008 – 6 B 4.08 – juris Rn. 5), muss einer der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnenden Person anknüpfend an die Tatsache, dass sie die waffenrechtlichen Normen gerade nicht als für sich verbindlich ansieht, die nach § 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden (vgl. BayVGH, B.v. 16.1.2019 – 21 C 18.578 – juris Rn. 14; U.v. 30.7.2020 – 24 BV 18.2500 – juris Rn. 13; VGH Baden-Württemberg, B.v. 10.10.2017 – 1 S 1470/17 – juris Rn. 27 f.; OVG Bln-Bbg, B.v. 21.3.2019 – OVG 11 S 16.19 – juris Rn. 4 ff.; ThürOVG, B.v. 28.1.2021 – 3 EO 316/20 – juris Rn. 4; SächsOVG, B.v. 3.12.2018 – 3 B 379/18 – juris Rn. 16; OVG NRW, B.v. 5.7.2018 – 20 B 1624/17 – juris Rn. 17 ff.; NdsOVG, B.v. 18.7.2017 – 11 ME 181/17 – juris Rn. 12).
26
Erforderlich ist auch bei Personen, die aus Sicht der Behörden dem Kreis der sog. „Reichsbürger“ oder „Selbstverwalter“ zuzuordnen sind, stets eine Würdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere des konkreten Verhaltens der individuellen Person. Maßgeblich ist deren innere Einstellung. Dabei kommt es auf eine Gesamtwürdigung des im jeweiligen Einzelfall an den Tag gelegten Verhaltens und sonstiger Indizien an. Es ist Sache des jeweiligen Antragstellers, die von ihm durch sein Verhalten selbst hervorgerufenen, berechtigten Zweifel im Hinblick auf seine waffenrechtliche Zuverlässigkeit zu entkräften (vgl. BayVGH, U.v. 30.7.2020 – 24 BV 18.2500 – juris Rn. 16; B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.295 – juris Rn. 17).
27
Jedenfalls dann, wenn eine Person über reine Sympathiebekundungen hinaus ausdrücklich oder konkludent ihre Bindung an in der Bundesrepublik geltende Rechtsvorschriften in Abrede oder unter einen Vorbehalt stellt, begründet dies Zweifel an ihrer Rechtstreue und wird infolgedessen das Vertrauen, dass die Person mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß – d.h. vor allem im Einklang mit der Rechtsordnung – umgeht, in aller Regel zerstört. Das gilt insbesondere und umso mehr dann, wenn die Person eine ausdrückliche oder sinngemäße Erklärung, sich außerhalb des geltenden Rechts bewegen zu können, auch in die Tat umsetzt, wenn sie also aus Bekundungen zur vermeintlich fehlenden Verbindlichkeit der in der Bundesrepublik geltenden Rechtsvorschriften praktische Konsequenzen zieht (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 10.10.2017 – 1 S 1470/17 – juris Rn. 27; B.v. 22.2.2024 – 6 S 221/24 – juris Rn. 19 – 20).
28
Vorliegend besitzt die Klägerin die für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr, weil die absoluten Unzuverlässigkeitsgründe im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG vorliegen. Mit dem Verhalten der Klägerin liegen zum maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung Umstände vor, welche die Annahme rechtfertigen, dass die Klägerin waffenrechtlich unzuverlässig ist, da sie der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen ist, sich deren Ideologie verbindlich zu eigen gemacht und daraus auch praktische, nach außen sichtbare Konsequenzen gezogen hat.
29
Dieser Einschätzung liegen folgende seitens des Beklagten dargelegte Tatsachen zugrunde, die die Klägerin nicht substantiiert zu erschüttern vermochte:
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a) Die Klägerin hat sich in ihrem Schreiben („Akzeptanz-Schreiben“) vom 24. Oktober 2022 gegenüber dem Polizeiverwaltungsamt in offensichtlich reichsbürgertypischer Weise geäußert. Dies ist ein nach außen wahrnehmbares Verhalten gegenüber einer staatlichen Behörde, das den Rückschluss auf eine innere Einstellung als Anhängerin des Gedankenguts der „Reichsbürger“ offenbart.
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Das Schreiben weist eine typische Reichsbürgerrhetorik auf. Bereits die Überschrift „Akzeptanz“ suggeriert die für Reichsbürger typische Annahme, dass Forderungen des Staates nur ein „Angebot“ darstellen würden, welches der Empfänger akzeptieren könne. Zudem wird die Annahme des „Angebots“ unter Voraussetzungen gestellt. Unabhängig davon und selbstständig tragend stellt die Klägerin mit den von ihr aufgestellten Forderungen die auf dem Grundgesetz fußende Rechtsordnung sowie die gesamte Staatsorganisation, vorliegend das handelnde Polizeiverwaltungsamt, als öffentlich-rechtliche Institution, in Frage, indem sie vom zuständigen Sachbearbeiter Nachweise fordert „wie und wodurch Sie von wem Rechte zur Vornahme von hoheitlichen Handlungen übertragen bekommen haben! Gleichzeitig weisen Sie in notarieller Form nach, auf welchen Staat Sie vereidigt worden sind!“. Zudem verlangt sie „eine notarielle Beglaubigung der Gründungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland“ und „des Bundeslandes Bayerns“ (vgl. zu „Akzeptanz-Schreiben“ VG Cottbus, U.v. 29.6.2023 – 3 I 2/23 – juris Rn. 15). Der Versand solcher „Akzeptanz-Schreiben“ ist typisch für das Reichsbürgermilieu (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2023, S. 238; zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit bei Versand solcher Schreiben: BayVGH, B.v. 20.4.2023 – 24 CS 23.295 – juris Rn. 16; B.v. 8.11.2023 – 24 ZB 23.1372 – juris; VG Cottbus, a.a.O.). Die ansonsten heterogene Reichsbürgerszene eint die zentrale Fragestellung, ob Deutschland eine gültige Verfassung habe. Teile der Szene vertreten – wie offenbar auch die Klägerin – die Auffassung, dass das Grundgesetz nur für die „juristische Person“ bzw. das „Personal“ der privatrechtlichen und unter alliierter Kontrolle stehenden Firma „BRD-GmbH“ gelte. Regelmäßig überziehen Angehörige der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene Behörden und Gerichte mit querulatorischen Schreiben, in denen sie der öffentlichen Verwaltung und der Justiz deren Autorität und Existenz absprechen. Dabei werden ausufernde Schreiben an Behörden verfasst, die nur schwer nachvollziehbare Argumente und Behauptungen sowie abwegige Rechtsauffassungen beinhalten. Zum Teil verfolgen sie damit – wie wohl zunächst auch die Klägerin – das Ziel, sich rechtlichen Verpflichtungen, wie z.B. Forderungen des Staates aus Steuer-, Bußgeld- oder Verwaltungsverfahren zu entziehen (vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2023, S. 216 ff.).
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Auf Nachfrage zu dem versandten Schreiben gab die Klägerin an, das Schreiben im Internet gefunden und „just for fun“ oder als „Versuchsballon“ versandt zu haben, um zu testen, was passiere. Weitere derartige Schreiben werde sie nicht versenden. Eine nachvollziehbare und plausible Erklärung, weshalb sie es für sinnvoll oder erforderlich erachtet habe, ein solches Schreiben, das inhaltlich deutlich von allgemein üblichen Gepflogenheiten im Briefverkehr mit Behörden und sonstigen Stellen abweicht, die Grundordnung und Existenz der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellt und sich dabei durch für die „Reichsbürgerszene“ typisches Vokabular und sprachliche Wendungen auszeichnet, an eine Behörde zu übersenden, konnte die Klägerin nicht dartun. Insbesondere die Deklaration eines behördlichen Bescheides (in einem standardisierten Massenverfahren wie einem Bußgeldverfahren) als zivilrechtliches Angebot, die Forderung nach einer amtlichen Legitimation in notariell beglaubigter Form und eine notarielle Beglaubigung der Gründungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland / Bayerns hätte auch ein juristischer Laie bei ansonsten unkritischer Übernahme des Textes als zweifelhafte Auffälligkeiten bemerken und hinterfragen müssen. Indem die Klägerin dies offenbar nicht im Ansatz getan hat, sondern stattdessen dieses Schreiben für sich personalisiert und in ihrem Namen verschickt hat, muss sie sich den Inhalt zurechnen lassen, der eine entsprechende ideologische Ausrichtung nahelegt. Nicht zu Gunsten der Klägerin fällt dabei ins Gewicht, dass sie angab, das der Korrespondenz zugrundeliegende und vom PVA geforderte Bußgeld schließlich (nach über einem Jahr seit Bescheidserlass) bezahlt zu haben.
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b) Hinzukommt, dass die Klägerin in Vorbereitung eines Gesprächs mit der KPI … zu einer möglichen Zugehörigkeit der Klägerin zur Reichsbürgerszene der Polizeiinspektion das Buch von Dr. M. H. „Das Deutsche Reich – 1871 bis heute“ sowie weitere Artikel (Ein Gespenst geht um in Deutschland! Das Gespenst des Reichsbürgers […], Email von … „Razzia gegen Reichsbürger“ mit handschriftlicher Kommentierung der Klägerin „BKA erfindet Reichsbürger-Putsch“) überlassen hat.
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Herr Dr. H. gilt als bekennender Reichsbürger (https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/koblenz/reichsbuerger-treffen-andernach-aktivst-h.-demokratiefeindlich-100.html, abgerufen am: 4.10.2024, https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-reichsbuerger-treffen-koenigsplatz-m.-h.-demokratiefeindlichkeit-lux.Sys9GTKKedZkSAkhKBzSbd?reduced=true, abgerufen am: 10.10.2024, https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/report-mainz/meldungen/pressemitteilung-nach-reichsbuerger-razzia-beschuldigte-erhalten-zuspruch-aus-der-szene-100.html 11.10.2024, abgerufen am: 10.10.2024). In seinem Buch vertritt Dr. M. H. die These, die Bundesrepublik Deutschland existiere nicht, es gelte in Deutschland Besatzungsrecht. Der Autor, der darüber hinaus auch als Aktivist für die Reichsbürgerszene tätig ist, verwendet darüber hinaus demokratiefeindliches Vokabular in der Öffentlichkeit (https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/koblenz/reichsbuerger-treffen-andernach-aktivst-h.-demokratiefeindlich-100.html, abgerufen am: 4.10.2024). Angehörige der Reichsbürgerszene berufen sich wie Dr. M. H. in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches. Szeneangehörige fühlen sich daher auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetzen Folge zu leisten (Verfassungsschutzbericht Bayern 2023).
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Zur Überlassung des Buches an die Polizeiinspektion … gab die Klägerin an, dass es sich um Hintergrundwissen (vgl. Aktennotiz der KPI … vom 28. Dezember 2022) gehandelt habe.
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Bereits durch die Überschriften der weiteren der KPI überlassenen Artikel wird deutlich, dass darin – mit Zustimmung der Klägerin (siehe handschriftliche Kommentierung) – die Gefährlichkeit der Reichsbürgerbewegung verharmlost wird.
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Insgesamt brachte die Klägerin auch damit ihre ideologische Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene zum Ausdruck. Im Wissen und offenbar unbeeindruckt davon, dass die Behörden ihre Zugehörigkeit zu dieser Szene mit evtl. Auswirkungen auf die Berechtigung zum Besitz von Waffen überprüften, überließ die Klägerin der Polizei Dokumente mit eindeutig ideologischem Inhalt. Das verleiht der Nähe der Klägerin zur Reichsbürgerszene eine gesteigerte Verbindlichkeit als es die bloße private Lektüre solcher Druckwerke vermitteln würde. Die Klägerin hat damit vielmehr die Ernsthaftigkeit der Befassung mit der Thematik und ihre Identifikation mit der Bewegung zum Ausdruck gebracht. Nicht im Ansatz wird dabei eine kritische oder hinterfragende Haltung der Klägerin deutlich.
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c) Am 16. Dezember 2022, mithin wenige Tage nach dem Gespräch mit der KPI …, besuchte die Klägerin einen öffentlichen Vortrag von Dr. M. H. Auf Nachfrage seitens der Behörden gab die Klägerin an, sich angeblich nicht darüber informiert zu haben, dass Herr Dr. H. als Reichsbürger gelte. Die Szene sei wohl ein absolutes Sondergrüppchen ohne allgemeine Anerkennung. Dies ist jedoch vor dem Hintergrund, dass die Klägerin über den Inhalt des Buches von Herrn Dr. H. Bescheid wissen musste und seitens der Polizei sowie des Landratsamts … zuvor mit dem Vorwurf der Zugehörigkeit zur „Reichsbürgerszene“ konfrontiert wurde, nicht glaubwürdig.
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Bei einer Gesamtschau aller vorliegenden Umstände durfte der Beklagte basierend auf Tatsachen davon ausgehen, dass die Klägerin der „Reichsbürger“-Szene nahesteht und deren Gedankengut sowie Ideologie für sich verbindlich erachtet. Dies und die durch ihr Verhalten selbst hervorgerufenen berechtigten Zweifel im Hinblick auf ihre waffenrechtliche Zuverlässigkeit konnte die Klägerin nicht glaubwürdig entkräften.
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In den Gesprächen am 12. Dezember 2022 und 7. März 2023 sowie im behördlichen Verfahren hatte die Klägerin ausreichend Gelegenheit, ihr Verhalten zu erklären und sich von etwaigem demokratie- und verfassungsfeindlichen Gedankengut glaubhaft zu distanzieren. Eine ernsthafte und überzeugende Distanzierung erfolgte jedoch nicht. Zwar gab die Klägerin an, sich von der Reichsbürgerszene zu distanzieren, die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu akzeptieren und ihre Waffen nicht missbräuchlich einzusetzen, weshalb die Behörden die Klägerin ggf. zunächst auch nicht als „Reichsbürgerin“ einstuften. Zudem gab die Klägerin an, bei dem Vortrag von Dr. M. H. habe es sich um „Spinnerei“ gehandelt. Jedoch hat sich die Klägerin nach Überzeugung der Kammer nicht entsprechend konsistent zu ihren Aussagen verhalten und ihr Handeln nicht danach ausgerichtet, sodass insgesamt nicht von einer glaubhaften Abkehr von demokratie- und verfassungsfeindlichem Gedankengut auszugehen war. Stattdessen war das Verhalten der Klägerin widersprüchlich, was die Klägerin sich bei der Beurteilung ihrer waffenrechtlichen Zuverlässigkeit zu ihren Lasten vorhalten lassen muss.
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Die Widersprüchlichkeit ergibt sich zum einen daraus, dass die Klägerin unter dem unmittelbaren Eindruck intensiver behördlicher Nachfragen zu ihrer Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene dennoch einen offenbar sogar kostenpflichtigen Vortrag von dem bekannten und bekennenden Reichsbürger Dr. M. H. besucht hat. Zum anderen wird die mangelnde Konsistenz und Ernsthaftigkeit etwaiger Distanzierungen auch durch die Übergabe des Buches von Dr. M. H. an die KPI … deutlich. Da beides zeitlich unmittelbar nach Gesprächen mit den Behörden über die Zugehörigkeit der Klägerin zur Reichsbürgerszene erfolgte, erscheinen die vorherigen Distanzierungen der Klägerin von der Szene als unglaubwürdig. Gleiches gilt für etwaige Behauptungen, sie wisse nicht, dass es sich bei Dr. M. H. um einen Reichsbürger handele. Zudem bekannte die Klägerin, dass die Bundesrepublik Deutschland „nur faktisch“ existiere (vgl. Bl. 65A der Behördenakte), was insofern wiederum inkonsistent zu etwaigen Distanzierungen von der Reichsbürgerszene, aber konsistent zu dem „Akzeptanz“-Schreiben an das PVA ist.
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Die Verhaltensweisen der Klägerin sind auch weder – wie von ihr behauptet – Ausdruck eines bloßen Geschichtsinteresses noch stellen sie lediglich eine vermeintlich wissenschaftlich kritische Recherchetätigkeit oder Informationsbeschaffung ohne äußere Wahrnehmbarkeit dar. Vielmehr tat die Klägerin ihre Überzeugungen und die Identifikation mit dem Gedankengut der Reichsbürgerbewegung durch das Schreiben an das PVA, die Übergabe des Buches an die KPI und den Besuch des Vortrages von Dr. M. H. auch unmissverständlich und mehrmals nach außen kund. Die Klägerin hat damit wiederholt Verhalten an den Tag gelegt, mit dem sie ausdrücklich ihre Bindung an in der Bundesrepublik Deutschland geltende Rechtsvorschriften in Abrede stellt. Damit wurde das Vertrauen an ihre Rechtstreue und daran, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß – vor allem im Einklang mit der Rechtsordnung – umgeht, zerstört. Auf Grund ihrer Verhaltensweisen ist nicht auszuschließen, dass die Klägerin davon ausgeht, sich außerhalb des Rechts bewegen zu können und aus Bekundungen zur vermeintlich fehlenden Existenz der Bundesrepublik Deutschland und der dort geltenden Rechtsvorschriften auch ernsthafte Konsequenzen zieht. Für die Prognose im Hinblick auf die mangelnde waffenrechtliche Zuverlässigkeit genügt es nach oben aufgeführter ständiger Rechtsprechung, dass bei verständiger Würdigung aller Umstände eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen zukünftigen nicht ordnungsgemäßen Umgang mit Waffen besteht. Ein Restrisiko muss dabei nicht hingenommen werden.
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Der Beklagte ist damit zurecht davon ausgegangen, dass die Klägerin die für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt, weil die absoluten Unzuverlässigkeitsgründe im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a bis c WaffG vorliegen. Offenbleiben kann damit, da nicht mehr entscheidungserheblich, ob die Klägerin mit ihrem Verhalten auch den Tatbestand des § 5 Abs. 2 Ziffer 3 Buchst. a aa WaffG (Regelunzuverlässigkeit) verwirklicht hat.
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2. Da die Klägerin unzuverlässig im Sinne des § 5 WaffG ist, ist auch ihre Klage gegen die Abgabe und Einziehung des Jagdscheines unbegründet (§ 18 Satz 1, § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BJagdG). Gemäß § 18 Satz 1 BJagdG ist die Behörde, wenn Tatsachen, welche die Versagung des Jagdscheines begründen, erst nach Erteilung des Jagdscheines eintreten oder der Behörde, die den Jagdschein erteilt hat, bekanntwerden, in den Fällen des § 17 Abs. 1 BJagdG verpflichtet, den Jagdschein für ungültig zu erklären und einzuziehen. Zu den Fällen des § 17 Abs. 1 BJagdG zählt gemäß dessen Nr. 2 auch die fehlende Zuverlässigkeit, die bei der Klägerin auf Grund der vorstehend beschriebenen und gewerteten Vorfälle gegeben ist. Keine weiteren Angaben sind in der mündlichen Verhandlung dazu erfolgt, inwiefern die Klägerin den Jagdschein für berufliche Zwecke benötige.
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3. Rechtliche Bedenken gegen die in Ziffern 2, 4, 5 bis 9 getroffenen Nebenentscheidungen bestehen ebenfalls nicht und wurden seitens der Klägerin auch nicht vorgebracht.
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4. Die Klage war auch hinsichtlich des Klageantrags zu 2) als unbegründet abzuweisen. Da der Bescheid vom 26. April 2023 inklusive aller Nebenentscheidungen, die die Pflicht gemäß § 46 Abs. 1 WaffG und § 18 BJagdG (vgl. VG Ansbach, U.v. 18.11.2022 – AN 16 K 20.02798 – juris Rn. 27 bzw. Art. 52 BayVwVfG, vgl. VG Ansbach, U.v. 12.10.2011 – AN 15 K 11.01496 – juris Rn. 16) zur Herausgabe der jeweiligen Erlaubnisdokumente beinhaltet, rechtmäßig ist, hat die Klägerin keinen Anspruch auf Herausgabe des eingezogenen Jagdscheines sowie der Waffenbesitzkarten.
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5. Die Klage war daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.