Titel:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (teilweise stattgegeben), Öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch, Kreisangehörige Gemeinde, Gemeindliches Selbstverwaltungsrecht, Unzulässigkeit der Übertragung zusätzlicher Aufgaben bei fehlender gesetzlicher Grundlage, Keine Pflicht zur Aufnahme und Übernahme von Asylbewerberleistungsberechtigten in eigener Zuständigkeit, Kein Zuweisungsrecht, Keine Rechtsverletzung bzgl. der Verwaltungsgemeinschaft
Normenketten:
VwGO § 123
GG Art. 28 Abs. 2
AufnG Art. 6
DVAsyl § 5
Schlagworte:
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (teilweise stattgegeben), Öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch, Kreisangehörige Gemeinde, Gemeindliches Selbstverwaltungsrecht, Unzulässigkeit der Übertragung zusätzlicher Aufgaben bei fehlender gesetzlicher Grundlage, Keine Pflicht zur Aufnahme und Übernahme von Asylbewerberleistungsberechtigten in eigener Zuständigkeit, Kein Zuweisungsrecht, Keine Rechtsverletzung bzgl. der Verwaltungsgemeinschaft
Fundstelle:
BeckRS 2024, 372
Tenor
I. Auf den Antrag der Antragstellerin zu 1) wird dem Antragsgegner bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache untersagt, der Antragstellerin zu 1) Asylbewerberleistungsberechtigte im Sinne des § 1 AsylbLG auf ihrem Gemeindegebiet (auf asylrechtlicher und / oder ausländerrechtlicher Grundlage) zuzuweisen und sie (auf asylrechtlicher und / oder ausländerrechtlicher Grundlage) zu verpflichten, für zugewiesene Asylbewerberleistungsberechtigte im Sinne des § 1 AsylbLG eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Die Gerichtskosten haben der Antragsgegner und die Antragstellerin zu 2) jeweils zu 1/2 zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 1) hat der Antragsgegner zu tragen. Die Antragstellerin zu 2) hat die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu 1/2 zu tragen. Im Übrigen haben die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerinnen wenden sich gegen eine bevorstehende „Zuweisung“ von Asylbewerberleistungsberechtigten im Sinne des § 1 AsylbLG durch das Landratsamt B. … … (im Folgenden: Landratsamt) an die Antragstellerin zu 1).
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1. Die Antragstellerin zu 1) ist kreisangehörige Gemeinde des Landkreises B. … … Sie ist Mitglied der Antragstellerin zu 2).
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Auf Anfrage des Landratsamts im Rahmen deren Unterkunfts-Akquise zur Unterbringung von Asylbewerberleistungsberechtigten (von der Antragspartei verallgemeinert als „Flüchtlinge“ bezeichnet) wollte die Antragstellerin zu 1) im Frühjahr 2022 dem Landratsamt das alte Feuerwehrhaus auf dem Gebiet der Antragstellerin zu 1) für deren Unterbringung von Asylbewerberleistungsberechtigten zur Verfügung gestellt werden. Hierzu kam es letztlich nicht, weil das Landratsamt die Örtlichkeit für zu klein und zu dezentral erachtete. Seitdem wird das sog. alte Feuerwehrhaus mit der entsprechenden Genehmigung anderweitig genutzt.
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Am 23. Februar 2023 beschloss die Antragstellerin zu 2), die auf dem Gemeindegebiet der Antragstellerin zu 1) befindliche und an das Stadtgebiet von B … … angrenzende Fläche am sog. alten Flugplatz (Fl.Nr. … Gemarkung G. ….) für die Errichtung von Unterkünften vorzuschlagen. Das Landratsamt nahm das Angebot bis zuletzt nicht an.
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Das Landratsamt hat am 2. August 2023 in einer vom Landratsamt einberufenen Bürgermeisterdienstbesprechung eine Liste mit den Zahlen zur beabsichtigten Zuweisung von Flüchtlingen an die kreisangehörigen Gemeinden bekannt gemacht. Hierbei hat das Landratsamt die zahlenmäßige Verteilung auf die kreisangehörigen Gemeinden nach Quoten vorgenommen. Nach Vortrag des Antragsgegners sei im Februar 2016 in einer Bürgermeisterdienstbesprechung eine Einigung auf diese freiwillige Quotenverteilung zustandegekommen. Nach der Liste des Landratsamts ergab sich eine Untererfüllung der Quote der Antragstellerin zu 1) in Höhe von 24 Personen bzw. 66% (Stand 29.10.2023). Mit Schreiben vom 10. August 2023 wurden die kreisangehörigen Gemeinden durch das Landratsamt auf die bevorstehenden Zuweisungen von Asylbewerberleistungsberechtigten hingewiesen. Konkret wurde insofern ausgeführt, dass den kreisangehörigen Gemeinden einschließlich der Antragstellerin zu 1) „Flüchtlinge“ zur Unterbringung ab Mitte September zugewiesen würden. Ein Abmelden aus dem System der Zuweisung oder ein Zurückschicken der Flüchtlinge werde nicht akzeptiert. Das Landratsamt wies im Schreiben vom 10. August 2023 darauf hin, „dass die Zuständigkeit für den Betrieb der jeweiligen Unterbringung bei der betreffenden Gemeinde liegt. Sofern Bedarf besteht, unterstützen wir Sie, bei der Beschaffung von Einrichtungsgegenständen, soweit es unsere Möglichkeiten zulassen. Für die Herrichtung, notwendige Umbauten, Genehmigungen und den Betrieb bleibt die Gemeinde zuständig.“
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Hierauf forderte der Erste Bürgermeister der Antragstellerin zu 1) die Gemeindebürger mittels Nachricht im Dorfboten dazu auf, leerstehende Flächen zu melden und Vorschläge zum Umgang mit der Situation zu machen. Reaktionen hierauf folgten nicht. Zu vier im Gemeindegebiet befindlichen leerstehenden Objekten sollten die Eigentümer kontaktiert werden. Bei zwei Objekten waren die Eigentümer infolge des Todes der vormaligen Eigentümer unbekannt und Auskünfte über die Erben wurden vom Nachlassgericht aus der Nachlassakte nicht herausgegeben. Die beiden übrigen Eigentümer lehnten eine Aufnahme in das jeweilige Objekt ab bzw. verwiesen darauf, dass es genutzt werde oder aufgrund über zehnjährigen Leerstands derzeit nicht nutzbar sei.
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Im September 2023 wurde durch das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration die Zuweisung von Flüchtlingen an den Landkreis bis zum Jahresende ausgesetzt.
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In der Sitzung des Gemeinderats G. … vom 12. September 2023 wurde folgender Beschluss gefasst: „Der Gemeinderat beschließt, dass die Gemeinde G. … Klage gegen die Zuweisung von Flüchtlingen erhebt. Eine einstweilige Verfügung ist parallel dazu zu beantragen.“ In der Sitzung der Gemeinschaftsversammlung R. … vom 16. Januar 2024 wurde folgender Beschluss gefasst: „Die Verwaltungsgemeinschaft R. … wird als Klägerin / Antragstellerin in den Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München, AZ: M 24 K 23.5041 und AZ: M 24 E 23.5726 nach Maßgabe des Art. 4 der Bayerischen Verwaltungsgemeinschaftsordnung auftreten.“
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2. Die Antragstellerin zu 1) ließ durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2023 – eingegangen bei Gericht am selben Tag – Klage zum Verwaltungsgericht München erheben. Die Klage wird unter dem Aktenzeichen M 24 K 23.5041 geführt. Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2023 ließ die Antragstellerin zu 2) durch ihren Bevollmächtigten ihren Beitritt zum Klageverfahren auf der Seite der Klagepartei erklären.
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Die Antragstellerinnen beantragten im Klageverfahren zuletzt:
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1. Es wird festgestellt, dass die Klägerin zu 1) mit ihrem Angebot, Wohnraum im alten Feuerwehrhaus, Fl.Nr. … der Gemarkung G. …, S. … Str. 2 in … G. … für die Unterbringung von Flüchtlingen / Asylbewerbern zur Anmietung dem Beklagten zur Verfügung zu stellen, insoweit ihrer Mitwirkungspflicht nach Art. 6 Abs. 2 Aufnahmegesetz (AufnG) genügt hat und so bei der weiteren Zuweisung von Flüchtlingen zu behandeln ist, als hätte sie neben den tatsächlich untergebrachten zehn weitere untergebracht und diese Zahl bei der Zuweisung anzurechnen.
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2. a) Es wird dem Beklagten untersagt, der Klägerin zu 1) Flüchtlinge / Asylbewerber zur Unterbringung auf ihrem Gemeindegebiet zuzuweisen, insbesondere sie zu verpflichten, für zugewiesene Flüchtlinge / Asylbewerber eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen.
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Hilfsweise: 2.b) Es wird dem Beklagten untersagt, der Klägerin zu 1) Flüchtlinge / Asylbewerber zur Unterbringung auf ihrem Gemeindegebiet zuzuweisen, insbesondere sie zu verpflichten, für zugewiesene Flüchtlinge / Asylbewerber eine Unterkunft zu stellen, solange das Landratsamt B … … sich nicht bereit erklärt, die Unterbringung auf der Fl.Nr. … der Gemeinde G. … durchzuführen und selbst für die Beschaffung und Aufstellung von Wohncontainern Sorge trägt.
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Hilfsweise: 2.c) Es wird dem Beklagten untersagt, der Klägerin zu 1) Flüchtlinge / Asylbewerber zur Unterbringung auf ihrem Gemeindegebiet zuzuweisen, solange das Landratsamt B … … das Angebot der Klägerin zu 1), Wohncontainer zur Unterbringung auf der Fl.Nr. … zur Anmietung zur Verfügung zu stellen, nicht angenommen und der Klägerin zu 1) zur Änderung des Flächennutzungsplanes sowie Aufstellung eines Bebauungsplanes auf der Fl.Nr. … der Gemeinde G. … und zur Beschaffung der Container ausreichend Zeit, mindestens ab Annahme des Angebots zehn Monate eingeräumt hat.
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3. Zugleich mit der Klage ließ die Antragstellerin zu 1) durch ihren Bevollmächtigten einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stellen. Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2023 erklärte die Antragstellerin zu 2) durch ihren Bevollmächtigten ihren Beitritt auf der Seite der Antragstellerin zu 1). Sie beantragen,
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1. Es wird dem Antragsgegner bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München, AZ: M 24 K 23.5041 untersagt, der Antragstellerin zu 1) Flüchtlinge / Asylbewerber auf ihrem Gemeindegebiet zuzuweisen, insbesondere sie zu verpflichten, für zugewiesene Flüchtlinge / Asylbewerber eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen.
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2. Es wird dem Antragsgegner bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München, AZ: M 24 K 23.5041 untersagt, der Antragstellerin zu 1) Flüchtlinge / Asylbewerber zur Unterbringung auf ihrem Gemeindegebiet zuzuweisen, insbesondere sie zu verpflichten, für zugewiesene Flüchtlinge / Asylbewerber eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen, solange das Landratsamt B … … sich nicht bereit erklärt, die Unterbringung auf der Fl.Nr. … der Gemeinde G. … durchzuführen und selbst für die Beschaffung und Aufstellung von Wohncontainern Sorge trägt.
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3. Es wird dem Antragsgegner bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht München, AZ: M 24 K 23.5041 untersagt, der Antragstellerin zu 1) Flüchtlinge / Asylbewerber zur Unterbringung auf ihrem Gemeindegebiet zuzuweisen, insbesondere solange das Landratsamt B … … sich nicht bereit erklärt, die Unterbringung auf der Fl.Nr. … der Gemeinde G. … durchzuführen und sodann der Antragstellerin zu 1) für mindestens zehn Monate Zeit vor der Zuweisung einräumt, Wohncontainer zur Vermietung an das Landratsamt B … … zu besorgen und aufzustellen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass Zweifel bestünden, ob Art. 6 Abs. 2 AufnG eine taugliche Rechtsgrundlage für die Zuweisung von Flüchtlingen darstelle und ob es überhaupt eine taugliche Rechtsgrundlage gebe. Das Gesetz enthalte keine ausdrückliche Verpflichtung der Gemeinden zur Bereitstellung von Unterkünften für Flüchtlinge. Die Zuweisung von Flüchtlingen stelle einen unzulässigen Eingriff in die Selbstverwaltungshoheit (Art. 28 Abs. 2 GG; Art. 10, Art. 11 BV) der Antragstellerin zu 1) dar. Selbst bei einer Betroffenheit im übertragenen Wirkungskreis könne einer Gemeinde nichts Unzumutbares abverlangt werden. Jedenfalls habe die Antragstellerin zu 1) eine etwaige Pflicht durch das – mittlerweile nicht mehr aufrechterhaltene – Angebot, Wohncontainer zur Unterbringung von Flüchtlingen auf dem Gelände des alten Flughafens zur Anmietung zur Verfügung zu stellen, mehr als erfüllt. Andere Unterbringungsmöglichkeiten als am alten Flugplatz stünden für die Antragstellerin zu 1) nicht zur Verfügung oder würden bereits anderweitig genutzt. Hilfsweise (Antrag zu 2) könne eine Zuweisung von Flüchtlingen nur erfolgen, wenn das Landratsamt für die notwendigen infrastrukturellen Maßnahmen Sorge trage, weil die Gemeinde mit der Zurverfügungstellung der Fläche am alten Flugplatz ihrer etwaigen Mitwirkungspflicht genüge. Weiter hilfsweise (Antrag zu 3) sei eine Zuweisung nur zulässig, wenn der Klägerin genügend Zeit bleibe, die Voraussetzungen der Unterbringung auf dem alten Flugplatz zu schaffen. Zum Anordnungsgrund wurde ausgeführt, dass die derzeitige Aussetzung der Zuweisung nur bis zum Jahresende 2023 gelte. Mit einer Entscheidung in der Hauptsache sei vor der nächsten Zuweisung nicht zu rechnen.
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Mit Schreiben vom 7. Dezember 2023 hat die Prozessvertretung der Regierung von ... die Vertretung des Antragsgegners angezeigt. Sie beantragt für den Antragsgegner:
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Zur Begründung wurde mit Schreiben vom 13. Dezember 2023 im Wesentlichen ausgeführt, dass die bisherige Verteilung von Flüchtlingen im Vergleich der 21 Städte und Gemeinden im Landkreis aktuell sehr unausgeglichen sei, weshalb von den Gemeinden eine gerechtere Verteilung gefordert worden sei. Im Februar 2016 sei sich in einer Bürgermeisterdienstbesprechung auf eine freiwillige Quotenregelung im Landkreis geeinigt worden, der auch die Antragstellerin zu 1) zugestimmt habe. Diese Quotenregelung sei aber mangels Erforderlichkeit bislang nicht angewendet worden. Aufgrund der Aussetzung der Zuweisung von Flüchtlingen an das Landratsamt seien die landkreiseigenen Unterkünfte nicht vollständig ausgelastet. Es stünden ausreichend Kapazitäten zur Verfügung, um in den kommenden zwei Monaten die zu erwartenden Zuweisungen in landkreiseigenen Unterkünften unterzubringen. Eine weitergehende Prognose könne das Landratsamt nicht treffen. Das Ersuchen nach einstweiligem Rechtsschutz sei in mehrfacher Hinsicht unzulässig. Der Antrag sei nicht wirksam gestellt, weil der Rechtsanwalt nicht ordnungsgemäß bevollmächtigt sei. Es sei keine schriftliche Prozessvollmacht vorgelegt worden und es fehle an einem Gemeinderatsbeschluss, der den ersten Bürgermeister zur Beantragung einer einstweiligen Anordnung berechtige. Eine eigene Kompetenz des Ersten Bürgermeisters sei nicht gegeben. Es fehle außerdem an der Antragsbefugnis der Antragstellerin zu 1), weil ein Anordnungsgrund ausgeschlossen sei, da momentan und in den nächsten zwei Monaten nicht mit einer Zuweisung zu rechnen sei. Weiter fehle der Antragstellerin zu 1) die aktive Verfahrensführungsbefugnis, da die Mitwirkungspflicht im übertragenen Wirkungskreis verortet sei und deshalb im Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgemeinschaft liege. Letztlich fehle es auch am Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin zu 1), weil eine vorbeugende Untersagungsklage wegen der vorrangigen Möglichkeit der Anfechtungsklage (erforderlichenfalls mit einem Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) gegen eine etwaige zukünftige Zuweisung nicht zulässig sei.
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Der Bevollmächtigte der Antragstellerinnen legte unterzeichnete Prozessvollmachten vor. Für die weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses Verfahrens und des Klageverfahrens verwiesen.
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Der Antrag der Antragstellerin zu 1) hat im Hauptantrag Erfolg. Der Antrag der Antragstellerin zu 2) bleibt ohne Erfolg.
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1. Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 ZPO). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20; B.v. 15.3.2018 – 10 CS 17.2378 – juris Rn. 14).
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Liegt eine Fallgestaltung vor, in der im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO die Hauptsache teilweise oder ganz vorweggenommen werden würde, darf eine vorläufige Regelung nach § 123 VwGO nur ergehen, wenn eine Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) schlechterdings notwendig ist, mithin, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für die Antragstellerin zu 1) unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2021 – 10 CE 21.945 – juris Rn. 24 m.w.N.).
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2. Der Antrag zu 1., dem Antragsgegner zu untersagen, der Antragstellerin zu 1) Asylbewerberleistungsberechtigten auf ihrem Gemeindegebiet zuzuweisen, insbesondere die Antragstellerin zu 1) zu verpflichten, für zugewiesene Asylbewerberleistungsberechtigte eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen, ist zulässig.
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Der Antrag bezieht sich auf die Zuweisung von Asylbewerberleistungsberechtigten im Sinne des § 1 AsylbLG an die Antragstellerin zu 1). Dies ergibt sich aus der Heranziehung der Rechtsvorschriften nach Art. 6 Abs. 2 AufnG und § 5 Abs. 3 Satz 2 DVAsyl (geregelt in Teil 2 Kapitel 1 der DVAsyl). Beide beziehen sich gemäß Art. 1 Abs. 1 AufnG bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 1 DVAsyl nur auf Asylbewerberleistungsberechtigte. Die Angabe „Flüchtlinge/Asylbewerber“ in den Ausführungen der Antragstellerinnen meint also Personen, die dem Asylbewerberleistungsgesetz unterfallen.
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Der Antrag nach § 123 VwGO ist statthaft. Mit ihrem Antrag sind die Antragstellerinnen – entgegen der Ansicht des Antragsgegners – nicht auf die Möglichkeit der Anfechtungsklage nach Erlass eines Zuweisungsbescheides und gegebenenfalls einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verweisen. Wird – wie im vorliegenden Fall – im Wege des vorbeugenden Rechtsschutzes ein öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch gegen ein drohendes tatsächliches Verwaltungshandeln geltend gemacht, ist ein hierauf gerichteter Antrag nach § 123 VwGO statthaft, wenn sich dieses Verwaltungshandeln hinreichend konkret abzeichnet, insbesondere die für eine Rechtmäßigkeitsprüfung erforderliche Bestimmtheit vorliegt (OVG NRW, B.v. 4.2.2021 – 4 B 1380/20 – juris Rn. 118-121 m.w.N.).
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Das drohende Verwaltungshandeln durch das Landratsamt zeichnet sich im vorliegenden Fall hinreichend konkret ab. Mit Schreiben vom 10. August 2023 hat das Landratsamt die bevorstehenden Maßnahmen hinreichend konkretisiert. Hieraus ergibt sich, dass das Landratsamt beabsichtigt, den kreisangehörigen Gemeinden und damit auch der Antragstellerin zu 1) Asylbewerberleistungsberechtigte zur Unterbringung in eigener Zuständigkeit zuzuweisen und diese zu verpflichten, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. So wird ausdrücklich von bevorstehenden Zuweisungen gesprochen und erklärt, dass die Zuständigkeit für den Betrieb der jeweiligen Unterbringung – einschließlich der Herrichtung, der notwendigen Umbauten und der Genehmigungen – bei der betreffenden Gemeinde liege. Die konkreten Maßnahmen der Zuweisungen und der Verpflichtung zur Bereitstellung entsprechender Unterkünfte zeichnen sich nach den Ausführungen des Antragsgegners ab. Sie waren zunächst nur vorübergehend ausgesetzt, weil dem Landratsamt selbst von der Regierung von ... keine Asylbewerberleistungsberechtigten zugewiesen wurden. Es ist auch absehbar, dass in den derzeit nicht ausgelasteten Unterkünften auf Kreisverwaltungsebene ab ca. Ende Februar 2024 keine Kapazitäten mehr bestehen. Da das Landratsamt eine weitere Prognose nicht treffen kann, sind die vom Landratsamt beabsichtigten Zuweisungen ab diesem Zeitpunkt absehbar.
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Der Antrag wurde entgegen der Auffassung des Antragsgegners sowohl für die Antragstellerin zu 1) als auch für die Antragstellerin zu 2) ordnungsgemäß gestellt. Für die Antragstellerin zu 1) liegt eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung durch den ersten Bürgermeister vor, der aufgrund der Gemeinderatsbeschlüsse im Rahmen seiner Befugnisse handelte (Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 36 Satz 1 Gemeindeordnung – GO). Für die Antragstellerin zu 2) liegt ebenfalls eine wirksame Vertretung durch den Gemeinschaftsvorsitzenden bzw. den Verfahrensbevollmächtigten vor. Selbst wenn der Gemeinschaftsvorsitzende zunächst als vollmachtloser Vertreter gehandelt hätte, wurde die Vertretung jedenfalls nachträglich durch den entsprechenden Beschluss der Gemeinschaftsversammlung vom 16. Januar 2024 genehmigt (Art. 6 Abs. 4 Satz 1 Verwaltungsgemeinschaftsordnung – VGemO, Art. 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Gesetz über die kommunale Zusammenarbeit – KommZG i.V.m. § 177 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB).
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3. Die Antragstellerin zu 1) hat für sich einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (hierzu 3.1.). Die Antragstellerin zu 2) hat für sich keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (hierzu 3.2.).
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3.1. Die Antragstellerin zu 1) hat einen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Unterlassung einer (auf asylrechtlicher und ausländerrechtlicher Rechtsgrundlage erfolgenden) Zuweisung von Asylbewerberleistungsberechtigten und auf Unterlassung einer (auf asylrechtlicher und ausländerrechtlicher Rechtsgrundlage erfolgenden) Verpflichtung zur entsprechenden Bereitstellung von Unterkünften glaubhaft gemacht. Der Anspruch ergibt sich aus dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch in Verbindung mit dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht.
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Die Herleitung des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs aus den Grundrechten, dem Rechtsstaatsprinzip oder einer analogen Anwendung der §§ 906, 1004 BGB ist zwar umstritten, seine Voraussetzungen sind in der Rechtsprechung jedoch ungeachtet dieser umstrittenen Herleitung geklärt. Der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen droht. Die Grundrechte schützen den Grundrechtsträger vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen jeder Art, so dass er, wenn ihm eine derartige Rechtsverletzung droht, gestützt auf das jeweilige Grundrecht Unterlassung verlangen kann (BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 74). Entsprechendes gilt für rechtswidrige Eingriffe in institutionelle Rechtspositionen (vgl. zum Unterlassungsanspruch politischer Parteien BVerwG, B.v. 24.3.2016 – 6 B 4/16 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 14.9.2023 – 10 CE 23.796 – juris Rn. 74) und damit auch für das grundrechtlich geschützte Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.
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Dies zugrunde gelegt sind die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs zugunsten der Antragstellerin zu 1) erfüllt. Die durch das Landratsamt bevorstehende Zuweisung von Asylbewerberleistungsberechtigten und die Verpflichtung zur entsprechenden Bereitstellung von Unterkünften ist ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin zu 1).
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3.1.1. Gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. auch Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV) haben die Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Von den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft sind diejenigen Bedürfnisse umfasst, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindebürgern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und - wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen (st. Rspr. seit BVerfG, B.v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619/83 – juris Rn. 59; Mehde in Dürig/Herzog/Scholz, 101. EL Mai 2023, GG Art. 28 Rn. 190). Seine zentrale Wirkung entfaltet Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG in der Praxis in Gestalt der Garantie der eigenverantwortlichen Erfüllung bestimmter, selbstgewählter Aufgaben (Mehde in Dürig/Herzog/Scholz, 101. EL Mai 2023, GG Art. 28 Rn. 183).
39
Das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht steht gemäß Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG unter Gesetzesvorbehalt (ebenso nach Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV), sodass der Aufgabenkreis der Gemeinden durch die – ihrerseits wiederum verfassungskonformen – Vorgaben des Gesetzgebers bestimmt wird (vgl. BVerfG, B.v. 19.11.2002 – 2 BvR 329/97 – Rn. 44; Mehde in Dürig/Herzog/Scholz, 101. EL Mai 2023, GG Art. 28 Rn. 249).
40
3.1.2. Soweit das Landratsamt beabsichtigt, der Antragstellerin zu 1) Asylbewerberleistungsberechtigte zur Aufnahme und Unterbringung in eigener Zuständigkeit zuzuweisen, greift es in ihr kommunales Recht ein, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln. Die Übertragung einer neuen Aufgabe stellt einen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht dar (vgl. BVerwG B.v. 24.2.1993 – 7 B 155/92 – juris Rn. 4; Mehde in Dürig/Herzog/Scholz, 101. EL Mai 2023, GG Art. 28 Rn. 246). Nach der derzeitigen landesgesetzlichen Ausgestaltung kommt der Antragstellerin zu 1) die Aufgabe der Aufnahme und Unterbringung Asylbewerberleistungsberechtigter in eigener Zuständigkeit nicht zu, sodass durch deren vom Landratsamt (faktisch oder mit Verwaltungsakt) beabsichtigten Übertragung („Zuweisung“) ein rechtswidriger Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht stattfindet. Die Antragstellerin zu 1) ist weder unmittelbar aus dem Selbstverwaltungsrecht (hierzu 3.1.2.1.), noch aus einfachgesetzlichen Vorschriften (hierzu 3.1.2.2.) zur Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerberleistungsberechtigten in eigener Zuständigkeit verpflichtet.
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3.1.2.1. Eine Pflicht zur Aufnahme und Unterbringung ergibt sich nicht aus der Allzuständigkeit der Antragstellerin zu 1) für ihre örtlichen Angelegenheiten nach Art. 28 Abs. 2 GG (vgl. zur Allzuständigkeit Mehde in Dürig/Herzog/Scholz, 102. EL August 2023, GG Art. 28 Rn. 190). Die Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerberleistungsberechtigten ist keine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 28 Abs. 2 GG, sondern eine staatliche Aufgabe (vgl. bereits BVerwG, B.v. 30.5.1990 – 9 B 223/89 – juris Rn. 8; B.v. 24.2.1993 – 7 B 155/92 – juris Rn. 4; zur Abgrenzung zur Obdachlosenunterbringung vgl. BayVGH, U.v. 22.4.1993 – 4 B 92.1327 – juris Rn. 11). Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Struktur des Aufnahmegesetzes, das grundsätzlich staatliche Stellen für die Wahrnehmung der Aufgabe der Unterbringung Asylbewerberleistungsberechtigter vorsieht (vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 1, Art. 3, Art. 4 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 3 AufnG) bzw. eine ausdrückliche Übertragung der eigentlich staatlichen Aufgabe an kreisfreie Städte enthält (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 AufnG).
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3.1.2.2. Die Antragstellerin zu 1) ist auch nach einfachem Recht nicht zur Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerberleistungsberechtigten in eigener Zuständigkeit verpflichtet. Die Möglichkeit einer Zuweisung von Asylbewerberleistungsberechtigten an die Gemeinden durch die Landratsämter hat keine gesetzliche Grundlage.
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Das Aufnahmegesetz (AufnG) vom 24. Mai 2002 (GVBl. S. 192, BayRS 26-5-I), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 9. Dezember 2022 (GVBl. S. 676) geändert worden ist und die Verordnung zur Durchführung des Asylgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes, des Aufnahmegesetzes und des § 12a des Aufenthaltsgesetzes (Asyldurchführungsverordnung – DVAsyl) (DVAsyl) vom 16. August 2016 (GVBl. S. 258, BayRS 26-5-1-I), die zuletzt durch § 1 der Verordnung vom 15. November 2023 (GVBl. S. 616) geändert worden ist, enthalten keine Regelung, nach der die Gemeinden zur Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerberleistungsberechtigten in eigener Zuständigkeit verpflichtet sind. Auch besteht keine Rechtsgrundlage, nach der die Landratsämter berechtigt wären, Asylbewerberleistungsberechtigte an kreisangehörige Gemeinden zuzuweisen oder kreisangehörige Gemeinden zur Bereitstellung von Unterkünften zu verpflichten. Insbesondere enthalten weder Art. 6 AufnG noch § 5 DVAsyl eine derartige Rechtsgrundlage.
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Art. 6 AufnG enthält keine Aufnahme- und Unterbringungspflicht der Antragstellerin zu 1) und keine Rechtsgrundlage für die Zuweisung von Asylbewerberleistungsberechtigten an die Antragstellerin zu 1) zur Unterbringung in eigener Zuständigkeit. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 AufnG wird außerhalb der kreisfreien Gemeinden (und soweit die Unterbringung nicht in Einrichtungen, die von den Regierungen betrieben werden – Art. 2 bis 4 AufnG) die Aufgabe der Unterbringung von den Landratsämtern als Staatsbehörden wahrgenommen. Gemäß Art. 6 Abs. 2 AufnG wirken die kreisangehörigen Gemeinden bei der Erfüllung der Aufgabe durch die Landratsämter mit. Die hiernach den Landratsämtern zukommende Zuständigkeit zur Unterbringung von Asylbewerberleistungsberechtigten kann nicht auf die kreisangehörigen Gemeinden delegiert werden. Dies würde der vom Gesetzgeber gewählten Ausgestaltung widersprechen. Der aktuelle Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 AufnG, wonach die Gemeinden bei der Erfüllung der Aufgabe der Landratsämter mitwirken, schließt eine Zuständigkeitsverschiebung auf die kreisangehörigen Gemeinden aus. Nach dem üblichen Sprachgebrauch bedeutet die Mitwirkung bei der Aufgabenerfüllung eine diesbezügliche Unterstützung des (anderen) Pflichtigen und nicht die vollständige Übernahme von dessen Aufgabe. Auch der Gesetzesbegründung lässt sich nichts dahingehend entnehmen, dass Zuweisungen gegenüber den kreisangehörigen Gemeinden bei Erlass des Aufnahmegesetzes gewollt gewesen wären (LT-Drs 14/8632 vom 5.2.2002, S. 7). Vielmehr hat sich der bayerische Gesetzgeber mit der Formulierung einer Mitwirkungspflicht erkennbar gegen eine Aufnahme- und Unterbringungspflicht der kreisangehörigen Gemeinden und damit gegen ein Zuweisungsrecht entschieden. Hätte der Gesetzgeber eine Aufnahme- und Unterbringungspflicht kreisangehöriger Gemeinden gewollt, hätte er diesen die Aufgabe der Unterbringung wie den kreisfreien Städten (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 AufnG) ausdrücklich übertragen. Regelungen zur Zuständigkeit der Gemeinden für die Aufnahme und Unterbringung existieren beispielsweise auch in § 1 Abs. 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz Nordrhein-Westfalen (FlüAG NRW), § 18 Abs. 1 Satz 1 Flüchtlingsaufnahmegesetz Baden-Württemberg (FlüAG BW) und § 18 Abs. 1 Satz 2 Aufnahmegesetz Niedersachsen (NdsAufnG).
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Art. 6 Abs. 1 Satz 1 AufnG i.V.m. § 5 DVAsyl enthält ebenfalls weder eine Aufnahme- und Unterbringungspflicht der Antragstellerin zu 1) noch eine Rechtsgrundlage für die Zuweisung von Asylbewerberleistungsberechtigten an die Antragstellerin zu 1). Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 DVAsyl obliegt die Zuständigkeit für die Einrichtung und den Betrieb dezentraler Unterkünfte den Kreisverwaltungsbehörden, im Kreisgebiet also den Landratsämtern als staatliche Aufgabe (Art. 37 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Landkreisordnung – LKrO). Die kreisangehörigen Gemeinden haben gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 DVAsyl bei der Einrichtung der dezentralen Unterkünfte mitzuwirken. Wie in Art. 6 Abs. 2 AufnG kann sich aus einer bloßen Mitwirkungspflicht – die nach § 5 Abs. 3 Satz 2 DVAsyl zudem auf die Einrichtung der dezentralen Unterkünfte und nicht auf die Unterbringung als solche bezogen ist – keine Möglichkeit der Delegation der Zuständigkeit für die Unterbringung auf die kreisangehörigen Gemeinden ergeben.
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Eine freiwillige Quotenregelung zwischen den kreisangehörigen Gemeinden, auf die sich im Februar 2016 in einer Bürgermeister-Dienstbesprechung auf eine im Landkreis geeinigt worden sei, begründet ebenfalls keine Pflicht der Gemeinde. Insofern handelt es sich jedenfalls nicht um ein Gesetz. Ein solches wäre allerdings – wie oben dargelegt – zur Einschränkung bzw. näheren Bestimmung des Selbstverwaltungsrechts erforderlich (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG).
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Aus der Mitwirkungspflicht nach Art. 6 Abs. 2 AufnG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 AufnG i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 2 DVAsyl ergibt sich auch kein Recht des Landratsamts, die Antragstellerin zu 1) zu verpflichten, den Asylbewerberleistungsberechtigten Unterkünfte in eigener Verantwortung zur Verfügung zu stellen. Auch dies würde eine der gesetzlichen Konzeption widersprechende Zuständigkeitsverschiebung bedeuten. Die Landratsämter akquirieren Unterkünfte bei privaten oder öffentlichen Trägern (z. B. den Gemeinden). Dabei können sie zwar die Mitwirkung der Gemeinden in Anspruch nehmen. Jedenfalls führt die Mitwirkungspflicht aber nicht dazu, dass die Gemeinden Unterkünfte in eigener Verantwortung zur Verfügung zu stellen und zu betreiben haben.
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3.1.2.3. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners besteht aufgrund des Eingriffs in das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin zu 1) auch kein Zweifel an ihrer Aktivlegitimation im vorliegenden Verfahren. Entscheidend ist insofern, dass die Antragstellerin zu 1) als Adressatin der bevorstehenden Zuweisungen selbst eigene Rechte – hier das eigene Selbstverwaltungsrecht – geltend macht. Insbesondere ist die vom Antragsgegner angeführte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Minden nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. In der Entscheidung wurde die Verletzung des Selbstverwaltungsrechts durch die Zuweisung von Flüchtlingen aufgrund der Besonderheiten der Rechtslage in Nordrhein-Westfalen abgelehnt (VG Minden, B.v. 17.5.2018 – 2 L 300/18 – juris Rn. 17). Anders als in Bayern besteht in Nordrhein-Westfalen gerade schon eine Unterbringungs- und Aufnahmepflicht der Gemeinden (§ 1 Abs. 1 FlüAG), die mit einem Weisungsrecht flankiert wird (§ 6 Abs. 1 FlüAG). Die im Fall des Verwaltungsgerichts Minden streitgegenständliche Zuweisung ging also – anders als im vorliegenden Fall – nicht über die gesetzlichen Pflichten der Gemeinde hinaus und griff deshalb nicht in ihr Selbstverwaltungsrecht ein.
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3.2. Die Antragstellerin zu 2) hat für sich keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie hat keinen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Unterlassung der Zuweisung von Asylbewerberleistungsberechtigten und auf Unterlassung der Verpflichtung zur entsprechenden Bereitstellung von Unterkünften glaubhaft gemacht.
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Sie kann kein eigenes Recht geltend machen, auf dessen Beeinträchtigung sich ein Unterlassungsanspruch stützen könnte. Auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht kann sich die Antragstellerin nicht berufen, da sie keine Gemeinde ist. Sie ist auch nicht Adressatin der bevorstehenden Zuweisungen. Schließlich kann die Antragstellerin zu 2) auch nicht im Wege der Prozessstandschaft gegen die Zuweisungen an die Antragstellerin zu 1) vorgehen. Eine gesetzliche Prozessstandschaft ist nicht ersichtlich und eine gewillkürte Prozessstandschaft scheidet aus, weil die Antragstellerin zu 1) ihre Rechte selbst geltend macht. Dies gilt sowohl für den Hauptantrag als auch für die Hilfsanträge, da sich alle Anträge auf die Untersagung von Zuweisungen an die Antragstellerin zu 1) richten.
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4. Die Antragstellerin zu 1) hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es besteht die Gefahr, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Selbstverwaltungsrechts der Antragstellerin zu 1) vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Eilbedürftigkeit ist deshalb gegeben, weil die Zuweisung von Asylbewerberleistungsberechtigten an die Antragstellerin zu 1) nach der Auslastung der landkreiseigenen Unterkünfte ab ca. Ende Februar wieder droht. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners genügt dies für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, weil Rechtsschutz in der Hauptsache in dieser kurzen Zeit nicht erlangt werden kann.
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5. Soweit die Antragstellerin zu 1) begehrt, dem Antragsgegner vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache die Zuweisung von Asylbewerberleistungsberechtigten und die Verpflichtung zur Bereitstellung von Unterkünften zu untersagen, liegt für die Zeit bis zur abschließenden Entscheidung eine vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache vor (Kuhla in BeckOK VwGO, 67. Ed. 1.7.2023, VwGO § 123 Rn. 152). Im Interesse des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG ist es vorliegend jedoch geboten, im Eilrechtsschutzverfahren die Hauptsache insoweit vorwegzunehmen. Die zu erwartenden Nachteile für die Antragstellerin zu 1) wären – auch in Anbetracht des verfassungsrechtlichen Rangs des Selbstverwaltungsrechts – unzumutbar und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen. Zudem spricht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache.
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6. Über die von der Antragstellerin zu 1) gestellten Hilfsanträge war aufgrund des Erfolgs ihres Hauptantrags nicht zu entscheiden. Mithin kommt es für die Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit auch nicht darauf an, ob bzw. inwiefern die Antragstellerin zu 1) ihrer Mitwirkungspflicht durch die vorgenommene Ermittlung und Meldung von Flächen und Gebäuden nachgekommen ist.
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7. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Antragstellerin zu 1) hat mit ihrem Antrag Erfolg. Sie ist deshalb von sämtlichen Kosten freizustellen. Ihr gegenüber ist allein der Antragsgegner unterlegen, weshalb dieser die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 1) vollständig zu tragen hat. Der erfolgreiche Antrag macht wertmäßig die Hälfte des Gesamtantrags aus. Der Antragsgegner hat deshalb die Hälfte der Gerichtskosten und die Hälfte der eigenen außergerichtlichen Kosten zu tragen, denn in diesem Umfang sind die Kosten durch die erfolglos gebliebene Abwehr des Gesamtantrags veranlasst. Die Antragstellerin zu 2) ist mit ihrem Antrag vollständig unterlegen. Sie hat deshalb ihre eigenen außergerichtlichen Kosten vollständig zu tragen. Ihr erfolglos gebliebener Antrag macht wertmäßig die Hälfte des Gesamtantrags aus. Sie hat deshalb die Hälfte der Gerichtskosten und die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners zu tragen.
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8. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1, Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Für die Antragstellerin zu 1) und die Antragstellerin zu 2) ist je einmal 5.000,- EUR anzunehmen, sodass ein Gesamtstreitwert von 10.000,- EUR festzusetzen ist. Von der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes grundsätzlich angezeigten Halbierung hat das Gericht mit Blick auf die im gestellten Antrag enthaltene Vorwegnahme der Hauptsache abgesehen (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs; VGH BW, B.v. 23.1.2023 – 9 S 2408/22 – juris Rn. 44).