Inhalt

AG Miesbach, Urteil v. 21.03.2024 – 62 Cs 11 Js 36474/23
Titel:

Kritik an Politikern – Freispruch vom Vorwurf der Beleidigung  

Normenketten:
StGB § 185, § 193
GG Art. 5
Leitsätze:
1. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit erfordert als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Abweichend davon tritt bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen, die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Schmähung liegt dann vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Bei der grundsätzlich vorzunehmenden Interessenabwägung ist zu beachten, dass die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen. Einem Bundesminister sind dabei härtere Äußerungen zuzumuten als einem Lokalpolitiker. Welche Äußerungen sich Personen des öffentlichen Lebens gefallen lassen müssen und welche nicht, liegt nämlich nicht nur an der Art und den Umständen der Äußerung, sondern auch daran, welche Position sie innehaben und welche öffentliche Aufmerksamkeit sie für sich beanspruchen. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beleidigung, Kritik an Politikern, Meinungsfreiheit, Menschenwürde, Formalbeleidigung, Schmähkritik, Interessenabwägung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 37187

Tenor

I. Der Angeklagte … wird freigesprochen.
II. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Entscheidungsgründe

(Abgekürzt gemäß § 267 Abs. 5 StPO)
I.
1
Hinsichtlich des Sachverhalts und der rechtlichen Würdigung wird auf den Strafbefehl vom 27.11.2023 verwiesen.
II.
2
Dieser Vorwurf konnte nach Durchführung der Hauptverhandlung aus rechtlichen Gründen nicht aufrechterhalten werden.
3
Aufgrund der Einlassung des Angeklagten und der Beweisaufnahme hat sich der objekive Sachverhalt so bestätigt, wie er in dem Strafbefehl beschrieben war.
4
Der Angeklagte war aber freizusprechen, da der Angeklagte durch das Aufstellen der beiden Banner hinsichtlich der 4 dort abgebildeten Personen keine Beleidigung begangen hat.
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Der Angeklagte hat sich im Rahmen der Hauptverhandlung – erstmalig – wie folgt zum Vorwurf eingelassen:
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Er sei Unternehmer und habe mit den Bannern nur seiner Meinung Ausdruck verleihen wollen. Er habe die Banner im Internet gesehen und er habe sich diese besorgt und satirisch seine Meinung darlegen wollen. Es sei nicht um eine persönliche Beleidigung der 4 Personen gegangen, sondern es sei um die Wirtschaft im Land gegangen. Er sei zur Tatzeit mit der Regierung nicht zufrieden gewesen, es habe vieles nicht mehr gepasst. Er sei Taxiunternehmer in der 4. Generation und verkaufe auch Taxis und sei auch im Immobilienbereich tätig. Er sei Betroffener der Politik der Regierung, da die Lieferketten nicht mehr passen würden und die Energiekosten zu hoch geworden seien. Seit der neuen Regierung hätte sich die Lage für die Wirtschaft in Deutschland verschlechtert. Man sei nur noch am Zahlen und die Regierung mache alles platt.
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Der objektive Sachverhalt werde grundsätzlich eingeräumt und die beiden Banner seien von Freitag bis Dienstag neben der Bundesstraße gehangen.
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Zu den einzelnen Personen:
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Ablichtung der Bundesaußenministerin Frau ...:
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Inwiefern die Ablichtung der Bundesaußenministerin als Kind, welche die Arme vor der Brust verschränkt, einen Angriff auf die Ehre dieser Person darstellen solle, erschließe sich nicht.
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Ablichtung des Bundeswirtschaftsministers ...:
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Gleiches gelte für die Darstellung des Bundeswirtschaftsministers, der seine leeren Hosentaschen zeige. Diese Abbildung solle nicht zeigen, dass er Deutschland finanziell ruiniert habe, sondern solle deutlich machen, dass der Bundeswirtschaftsminister kein Geld habe, um die Wirtschaft des Landes anzukurbeln. Bei dem Zitat „Vaterlandsliebe fand ich stets zum Kotzen“ handele es sich um eine Aussage, die der Bundeswirtschaftsminister tatsächlich getätigt habe.
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Ablichtung des Landwirtschaftsministers ...:
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Ebenso verhalte es sich mit der Abbildung des Bundeslandwirtschaftsministers, der so dargestellt sei, dass ihm eine Möhre samt Grün aus dem rechten Ohr wachse. Er habe damit als Bundeslandwirtschaftsminister kenntlich gemacht werden sollen und der politische Bezug zum Amt des Bundeslandwirtschaftsministers habe deutlich gemacht werden sollen.
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Ablichtung von Frau ...:
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Auch insoweit sei eine ehrverletzende Aussage nicht gegeben. Frau ... sitze in der Abbildung mit einem Rock auf einer Dampfwalze und es seien nicht die unteren Extremitäten durch eine Dampfwalze ersetzt. Vielmehr sei der Unterkörper durch das Kleid nicht zu sehen. Frau ... trage bekanntermaßen immer lange Röcke. Hinzu komme das politische Statement, dass nach Auffassung des Angeklagten durch die Partei der Grünen und die Regierungsmitglieder alles platt gemacht werde. Eben dafür stehe sinngemäß die Ablichtung der Dampfwalze. Es solle damit deutlich gemacht werden, dass die wirtschaftliche Lage der BRD rückläufig sei.
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Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Angeklagte hinsichtlich der oben genannten 4 Personen sich nicht wegen einer Beleidigung schuldig gemacht hat, sondern seine Tat von der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG gedeckt ist (§§ 185, 193 StGB).
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Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Grundrechtlich geschützt sind damit insbesondere Werturteile – wie im vorliegenden Fall – also Äußerungen, die durch ein Element der Stellungnahme gekennzeichnet sind. Dies gilt ungeachtet des womöglich ehrschmälernden Gehalts einer Äußerung. Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts (vgl. BVerfG 54, 129 <138 f.>; 61, 1 <7 f.>; 93, 266 <289 f.>). Die strafrechtliche Sanktionierung knüpft an diese dementsprechend in den Schutzbereich fallenden und als Werturteil zu qualifizierenden Äußerungen an und greift damit in die Meinungsfreiheit ein
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Dieser Eingriff in das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
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Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Dazu gehört auch § 185 StGB (vgl. BVerfG 93, 266<290 ff.>).
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Bei Anwendung dieser Strafnorm auf Äußerungen im konkreten Fall verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zunächst eine der Meinungsfreiheit gerecht werdende Ermittlung des Sinns der infrage stehenden Äußerung (vgl. BVerfG 93, 266 <295 f.>). Darauf aufbauend erfordert das Grundrecht der Meinungsfreiheit als Voraussetzung einer strafgerichtlichen Verurteilung nach § 185 StGB im Normalfall eine abwägende Gewichtung der Beeinträchtigungen, die der persönlichen Ehre auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite drohen (vgl. BVerfG 7, 198<212>; 85, 1 <16>; 92, 266<293>). Abweichend davon tritt ausnahmsweise bei herabsetzenden Äußerungen, die die Menschenwürde eines anderen antasten oder sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen aber die Meinungsfreiheit hinter den Ehrenschutz zurück, ohne dass es einer Einzelfallabwägung bedarf (vgl. BVerfG 82, 43 <51>; 85, 1 <16>; 90, 241 <248>; 93, 266<293 f>; 99, 185 <196>).
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Eine Schmähung, und nur eine solche kommt hier in Betracht, liegt dann vor, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfG 82, 172 <283 f.>; 85, 1 <16>; 93, 266 <294>).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen vermag das Gericht auf den Abbildungen keine Schmähkritik hinsichtlich der dort abgebildeten 4 Personen zu erkennen:
Im einzelnen:
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Ablichtung der Bundesaußenministerin Frau ...:
25
Da die deutsche Bundesaußenministerin im Vergleich zu Amtskollegen anderer Länder als junge Ministerin angesehen werden kann, liegt durch die Darstellung der Ministerin als Kind eine Schmähung hier nicht vor.
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Ablichtung des Bundeswirtschaftsministers ...:
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Da der deutsche Bundeswirtschaftsminister mit leeren Taschen dargestellt wird und ihm somit keine Mittel zur Förderung der Wirtschaft zur Verfügung stehen, liegt eine Auseinandersetzung in der Sache und keine Schmähkritik vor.
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Ablichtung des Bundeslandwirtschaftsministers ... :
29
Da der deutsche Bundeslandwirtschaftsminister mit einer aus einem Ohr herauswachsenden Möhre dargestellt wird und somit auf die grüne Politik und die grünen Ideen und Gedanken des Ministers angespielt wird, liegt auch insoweit eine Auseinandersetzung in der Sache und keine Schmähkritik vor.
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Ablichtung der Frau ...:
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Der Angeklagte hat hier nach seiner Einlassung nicht die Fraktionsvorsitzende der Grünen selbst als Dampfwalze und mit einem Unterleib wie einer Dampfwalze, wie von der Staatsanwaltschaft angenommen, darstellen wollen, sondern sie auf einer Dampfwalze sitzend und damit die deutsche Wirtschaft plattmachend darstellen wollen.
32
Es liegt somit eine mehrdeutige Äußerung in Bildform vor. Eine strafgerichtliche Verurteilung wegen einer Äußerung verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 GG, wenn bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde gelegt worden ist, ohne das andere, ebenfalls mögliche Deutungen mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden sind (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 15.05.2023, Az: 207 StRR 128/23).
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Nach Anschauung des Gerichts kann die vom Angeklagten herangezogene Deutung der Abbildung nicht mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen werden. Dass Frau ... . mit einem langen Rock auf einer Dampfwalze sitzt, kann nach Anschauung des Gerichts nicht ausgeschlossen werden, da auf dem Bild tatsächlich ein langer grüner Rock, unten abgesetzt, zu erkennen ist.
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Somit liegt auch hier eine Auseinandersetzung in der Sache und nicht sicher eine Schmähkritik vor.
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Da somit keine Schmähkritik vorliegt, ist vom Gericht eine Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen zwischen der persönlichen Ehre auf der einen Seite und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite. Hierbei können auch erstmalig die Interessen des Angeklagten, der sich erst in der Hauptverhandlung zu seiner Motivation geäußert hat, berücksichtigt werden.
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Bei dieser Interessenabwägung ist zu beachten, dass die Grenzen zulässiger Kritik an Politikern weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen. Einem Bundesminister sind dabei härtere Äußerungen zuzumuten als einem Lokalpolitiker. Welche Äußerungen sich Personen des öffentlichen Lebens gefallen lassen müssen und welche nicht, liegt nämlich nicht nur an der Art und den Umständen der Äußerung, sondern auch daran, welche Position sie innehaben und welche öffentliche Aufmerksamkeit sie für sich beanspruchen. Bei der Interessenabwägung sind die konkreten Umstände des Falles zu berücksichtigen und die Situation, in der die Äußerung erfolgte, also Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äußernden und der Betroffenen.
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Zu beachten ist dabei, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch grundlos, pointiert, polemisch und überspitzt geäußert werden darf. Die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen liegt nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist (vgl. BVerfG 82, 272 <283 f.>; 85, 1 <16>).
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Bei der Güter- und Interessenabwägung kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass hier das Recht der persönlichen Ehre dem Recht auf Meinungsfreiheit nicht überwiegt.
39
Der Angeklagte durfte seine Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik und der aktuellen Regierung in der geschehenen Form äußern:
40
Der Angeklagte als selbständiger Unternehmer ist selbst unmittelbar Betroffener der von ihm kritisierten Politik. Die Banner hingen nur von Freitag bis Dienstag neben einer Bundesstraße. Die betroffenen Personen haben – mit Ausnahme von Frau A. B. – keinen Strafantrag gestellt. Die Banner zeigen die Unzufriedenheit des Angeklagten mit der aktuellen Politik, der sich durch die aktuelle Politik „plattgemacht“ fühlt. Diese Machtkritik steht unter dem Schutz der Meinungsfreiheit.
41
Der Angeklagte war somit aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
III.
42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.