Inhalt

VGH München, Urteil v. 05.12.2024 – 8 BV 22.1880
Titel:

Konkurrentenverdrängungsklage gegen wasserrechtlichen Bewilligung zum Betrieb eines Wasserkraftwerks

Normenketten:
WHG § 8 Abs. 1, § 10 Abs. 2, § 14
BayWG Art. 68
BayVwVfG Art. 74 Abs. 4, Abs. 5
RL 2006/123/EG Art. 12
RL (EU) 2019/944 Art. 8
AEUV Art. 49, Art. 54
GRC Art. 16, Art. 20
Leitsatz:
Die (Neu-)Erteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung an den bisherigen Betreiber und Eigentümer einer Wasserkraftanlage ohne vorherige Durchführung eines neutralen und transparenten Bewerberauswahlverfahrens verstößt nicht gegen Art. 12 der RL 2006/123/EG, Art. 8 der Richtlinie (EU) 2019/944, Art. 49 AEUV und Art. 16, 20 GRC. (Rn. 44 und 45)
Schlagworte:
Konkurrentenverdrängungsklage, Rechtschutzbedürfnis, zivilrechtliches Hindernis, Zustellungsfiktion, wasserrechtliche Bewilligung, Konzession, transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren, Klagebefugnis, Auswahlverfahren, transparent, diskriminierungsfrei, Eigenbetrieb, Wasserkraftanlage, Energieunternehmen
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 27.06.2022 – Au 9 K 20.2799
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36875

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt, ihr anstelle der Beigeladenen die Gewässerbenutzungen zum Betrieb einer Wasserkraftanlage der Beigeladenen wasserrechtlich zu gestatten.
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1. Die Beigeladene, ein Eigenbetrieb (GmbH) der Marktgemeinde O. …, betreibt seit dem Jahr 1992 im Stillachtal südlich von O. … die Wasserkraftanlage W. … Die Anlage umfasst ein Oberbecken, die Fassungen Schlappolt- und Scheidtobelbach, eine Druckleitung, ein Unterbecken und ein Krafthaus. Die Wasserkraftanlage liegt u.a. auf Grundstücken der Beigeladenen (FlNr. 3577 Gemarkung O. … [Unterbecken und Krafthaus]; FlNr. 3635/2 [nördliches Oberbecken]).
3
Mit Bescheid vom 25. Mai 2020 stellte das Landratsamt Oberallgäu den Plan der Beigeladenen zur Sanierung und Erweiterung der Wasserkraftanlage fest und bewilligte die mit dem Betrieb verbundenen wasserrechtlichen Benutzungen. Eine Ausfertigung des Bescheids und die festgestellten Planunterlagen wurden – nach vorheriger Bekanntmachung des Landratsamtes im Amtsblatt des Landkreises Oberallgäu am 3. Juni 2020 – beim Markt O. … vom 15. bis 29. Juni 2020 ausgelegt.
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2. Die Klägerin, ein multinationales Energieunternehmen mit Sitz in Italien, beantragte unter dem 19. Juni 2020 beim Landratsamt Oberallgäu die Erteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung, hilfsweise einer gehobenen Erlaubnis für das Aufstauen des W. …bachs, des Schlappoltbachs sowie des Scheidtobelbachs sowie das Aufstauen und Absenken im Ober- und Unterbecken der Wasserkraftanlage W. … sowie das Entnehmen und Ableiten von Wasser aus dem Schlappoltbach und Scheidtobelbach zum Einleiten von Wasser in das Oberbecken der Anlage. Pläne mit Beilagen legte die Klägerin nicht vor; sie verwies stattessen vollumfänglich auf die im Rahmen des Bewilligungsverfahrens der Beigeladenen ausgelegten Unterlagen.
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Mit Bescheid vom 19. November 2020 lehnte das Landratsamt den Antrag der Klägerin mangels Sachbescheidungsinteresse ab. Eine wasserrechtliche Gestattung sei für sie nutzlos; da sie weder Eigentümerin noch zivilrechtlich Nutzungsberechtigte der Wasserkraftanlage sei, könne sie von einer Gestattung keinen Gebrauch machen.
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3. Am 22. Dezember 2020 erhob die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg und beantragte, den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 25. Mai 2020 zurückzunehmen, den Versagungsbescheid vom 19. November 2020 aufzuheben und über ihren Antrag auf Erteilung einer Bewilligung, hilfsweise einer gehobenen Erlaubnis, unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts und der europarechtlichen Verfahrensanforderungen neu zu entscheiden.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. Juni 2022 abgewiesen. Die Klägerin sei nicht klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO. Sie habe kein wirkliches Interesse am Betrieb der Wasserkraftanlage, sondern erstrebe die Einführung eines transparenten Bewerberauswahlverfahrens, das nicht im Wege gerichtlicher Kontrolle, sondern nur durch den Erlass eines Parlamentsgesetzes erreicht werden könne.
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4. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 3. August 2022 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Sie sei klagebefugt. Sollte sie nach einem fairen und transparenten Wettbewerb die wasserrechtliche Gestattung erhalten, hätte sie marktwirtschaftlich die Aussicht, die Grundstücke zu erwerben. Ohne eigene Nutzungsmöglichkeit sei nicht zu erwarten, dass sich die Beigeladene der Einräumung eines Nutzungsrechts an sie weiterhin widersetze. In der Sache stehe ihr aus Art. 12 der RL 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, Art. 8 der Richtlinie (EU) 2019/944 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV sowie Art. 16 (unternehmerische Freiheit) und Art. 20 (Gleichheitsgebot) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) ein Neubescheidungsanspruch auf Basis eines transparenten und wettbewerbskonformen Auswahlverfahrens zu. Die in Art. 68 BayWG angelegte Bevorzugung des Gestattungsinhabers und Anlageneigentümers verstoße gegen Unionsrecht und sei nicht anzuwenden, weil sie den ohnehin stark limitierten Markt der Stromerzeugung durch Wasserkraft abschotte. Ohne faires und transparentes Verfahren komme ein Dritter immer zu spät. Neubewerbern müsse betriebswirtschaftlich ein wirksamer Zugang zu Wasserkraftanlagen verschafft werden.
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Das Anfechtungsbegehren gegen den Drittbescheid sei nicht verfristet; eine Zustellungsfiktion sei wegen Bekanntmachungs- und Auslegungsmängeln nicht eingetreten. Im Übrigen sei es ihr als Unternehmen mit Sitz in Rom nicht zumutbar, täglich deutschlandweit sämtliche regionale Tageszeitungen oder Amtsblätter zu überprüfen.
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Die Klägerin beantragt,
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a) das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2022 (Az. Au 9 K 20.2799) aufzuheben,
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b) den zugunsten der Beigeladenen erteilten Bescheid des Beklagten vom 25. Mai 2020 zum Betrieb der Wasserkraftanlage W. …, zur Errichtung und zum Betrieb der Wasserkraftanlage Scheidtobelbach sowie bauliche Maßnahmen an Gewässern und Anlagen aufzuheben; hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, den zugunsten der Beigeladenen erteilten Bescheid vom 25. Mai 2020 zurückzunehmen,
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c) den Versagungsbescheid des Beklagten vom 19. November 2020 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung der Bewilligung, hilfsweise der gehobenen Erlaubnis nach § 8 WHG, unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts und der europarechtlichen Verfahrensanforderungen neu zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angegriffene Urteil. Dem Neubescheidungsantrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis; eine Bewilligung sei für die Klägerin nicht verwertbar, weil ihr die Beigeladene kein privates Nutzungsrecht an Betriebsgrundstücken einräumen werde. Der Anwendungsbereich der Dienstleistungs- und der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie sei nicht eröffnet. Die Erzeugung von Strom sei keine Dienstleistung, sondern unterfalle der Warenverkehrsfreiheit. Bei der wasserrechtlichen Bewilligung handle es sich um keine Konzession im Sinn des Unionsrechts, sondern um ein „umweltpolitisches Attest“; ein ausschließliches Verwertungsrecht werde nicht übertragen. Im Übrigen genüge das nationale Recht den europäischen Transparenzanforderungen.
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Das gegen den Bescheid vom 25. Mai 2020 gerichtete Anfechtungsbegehren sei verfristet. Die Zustellungsfiktion sei gegenüber der Klägerin eingetreten. Die Bekanntmachung mit Auslegung habe die Anstoßwirkung ihr gegenüber voll erfüllt.
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5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten und der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2022 hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die nur teilweise zulässige Klage erweist sich im Übrigen als unbegründet.
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A. Die Klage ist nur zum Teil zulässig.
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I. Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist statthaft. Das Klagebegehren ist darauf gerichtet, die Beigeladene aus ihrer Rechtsposition als Inhaberin der wasserrechtlichen Bewilligung zum Betrieb des streitbefangenen Wasserkraftwerks zu verdrängen, um selbst – jedenfalls potenziell nach Maßgabe eines Auswahlverfahrens (Neubescheidung) – an ihre Stelle zu treten (sog. Konkurrentenverdrängungsklage); es kann mit einer Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage verfolgt werden (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2011 – 6 C 2.10 – NVwZ 2011, 613 = juris Rn. 13; U.v. 25.9.2008 – 3 C 35.07 – BVerwGE 132, 64 = juris Rn. 22; BVerfG, B.v. 14.1.2004 – 1 BvR 506/03 – NVwZ 2004, 718 = juris Rn. 22; Rennert, DVBl 2009, 1333/1336).
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II. Die Verpflichtungsklage der Klägerin auf Neubescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer wasserrechtlichen Gestattung ist zulässig.
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1. Der Klage fehlt nicht das Rechtschutzinteresse, weil die Klägerin die begehrte wasserrechtliche Gestattung betreffend den Betrieb der streitbefangenen Wasserkraftanlage wegen der zivilrechtlichen Verhältnisse derzeit nicht nutzen kann.
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Einer Verpflichtungsklage fehlt das Rechtsschutzinteresse, wenn der Verwertung der erstrebten Genehmigung zivilrechtliche Hindernisse entgegenstehen, sie sich „schlechthin nicht ausräumen“ lassen (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 24.10.1980 – 4 C 3.78 – BVerwGE 61, 128 = juris Rn. 16; B.v. 18.6.2024 – 4 B 3.24 – juris Rn. 5). Ob dies der Fall ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung des Tatsachengerichts nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, B.v. 20.7.1993 – 4 B 110.93 – NVwZ 1994, 482 = juris Rn. 3). Bei der Bewertung kommt es nicht auf jedweden Ausschluss einer anderen Möglichkeit in einem naturwissenschaftlichen Sinn an, sondern auf eine Beurteilung nach den Maßstäben der praktischen Vernunft. Dies schließt es aus, eindeutigen Erklärungen bloße Spekulationen über einen möglichen späteren Meinungswandel entgegenzusetzen (vgl. BVerwG, B.v. 12.8.1993 – 7 B 123.93 – NVwZ-RR 1994, 381 = juris Rn. 4). Hat der zivilrechtliche Berechtigte seine Zustimmung verweigert, so steht der Verwertung einer Genehmigung ein schlechthin nicht ausräumbares Hindernis entgegen, solange nichts auf die Bereitschaft hindeutet, diesen geäußerten Standpunkt aufzugeben (vgl. BVerwG, B.v. 31.7.1992 – 4 B 140.92 – juris Rn. 3).
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Die Beigeladene ist Eigentümerin von Grundstücken, auf denen sich wesentliche Bestandteile der streitbefangenen Wasserkraftanlage befinden (FlNr. 3577 [Unterbecken und Krafthaus]; FlNr. 3635/2 [nördliches Oberbecken]). Sie hat erklärt, der Klägerin keine Nutzungsrechte einzuräumen (vgl. Schreiben vom 12.7.2023, elektronische Gerichtsakte [eGA] S. 189). Ausgehend davon lässt sich ein Kraftwerksbetrieb der Klägerin nicht verwirklichen, weil sie dafür benötigte Grundstücke ohne privates Nutzungsrecht nicht in Anspruch nehmen kann. Denn eine wasserrechtliche Bewilligung beinhaltet nicht das Recht, fremde Grundstücke und Anlagen zu benutzen. In § 8 Abs. 1 Satz 2 WHG i.d.F.v. 27. Juli 1957 war dies gesetzlich geregelt; daran hat sich der Sache nach nichts geändert, auch wenn das Gesetz inzwischen auf eine ausdrückliche Feststellung verzichtet (vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, 13. Aufl. 2023, § 10 Rn. 32; Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Stand August 2024, § 10 WHG Rn. 31).
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Es steht aber nicht fest, dass sich dieses rechtliche Hindernis „schlechthin nicht ausräumen“ lässt. Denn es ist konkret möglich und nicht nur reine Spekulation, dass die Beigeladene ihre bislang ablehnende Haltung revidiert (vgl. BVerwG, B.v. 31.7.1992 – 4 B 140.92 – juris Rn. 3; B.v. 12.8.1993 – 7 B 123.93 – NVwZ-RR 1994, 381 = juris Rn. 3 f.; Hesselbarth, NVwZ 2016, 1532/1535). Erhielte die Klägerin – an Stelle der Beigeladenen – die streitbefangene wasserrechtliche Bewilligung, würde sich die Frage einer Überlassung der Anlage an den Inhaber des Gewässerbenutzungsrechts neu stellen. So hat der Geschäftsführer der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, dass in diesem Fall die weitere Vorgehensweise von den Gesellschaftsorganen und der Gemeinde als alleinige Gesellschafterin entschieden werden müsste. Bei der Ausübung ihrer Gesellschafterrechte hätte die Gemeinde den im kommunalen Haushaltsrecht verankerten Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten (Art. 95 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 GO i.V.m. Art. 61 Abs. 2 Satz 1 GO; vgl. Gaß in Burgi/Habersack, Handbuch des Öffentlichen Rechts des Unternehmens, 1. Aufl. 2023, § 21 Rn. 123; Weber in Wurzel/Schraml/Gaß, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 4. Aufl. 2021, Rn. 490 ff.). Dies schließt Entscheidungen aus, die mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlechthin unvereinbar sind (zu diesem Maßstab vgl. BayVGH, U.v. 21.3.2012 – 4 B 11.221 – DVBl 2012, 698 = juris Rn. 29; U.v. 18.3.1998 – 4 B 97.3249 – BayVBl 1998, 402 = juris Rn. 17).
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2. Der Klägerin fehlt auch nicht aus dem Grund die Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO), dass sie keinen ordnungsgemäßen und vollständigen eigenen Antrag gestellt hat, worauf das Verwaltungsgericht abgestellt hat (vgl. UA Rn. 30 ff.). Zwar ist ein Mitbewerber regelmäßig nur klagebefugt, wenn er selbst einen konkurrierenden Zuteilungsantrag gestellt hat, der nicht aussichtslos ist (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 42 Rn. 147; Rennert, DVBl 2009, 1333/1339). Dies setzt aber voraus, dass alle Interessierten gleichmäßig Gelegenheit zur Antragstellung hatten. Daran fehlt es im vorliegenden Fall, weil kein objektives Verfahren zur Bedarfsermittlung durchgeführt wurde (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.2011 – 6 C 2.10 – NVwZ 2011, 613 = juris Rn. 16 f.).
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III. Die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 25. Mai 2020 ist unzulässig.
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Die Klageerhebung am 22. Dezember 2020 erfolgte nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der Bescheid vom 25. Mai 2020 gilt der Klägerin gegenüber, die bis dahin keine Einwendungen erhoben hatte („übrige Betroffene“), mit dem Ende der Auslegungsfrist am 29. Juni 2020 als zugestellt (vgl. Art. 69 Satz 2 BayWG i.V.m. Art. 74 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 BayVwVfG).
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1. Nach Art. 69 Satz 2 BayWG i.V.m. Art. 74 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG ist – zusätzlich zu den Individualzustellungen an Vorhabenträger, Einwender und beteiligten Vereinigungen – eine Ausfertigung des Bescheids mit einer Rechtsbehelfsbelehrung und einer Ausfertigung der Planunterlagen in den Gemeinden zwei Wochen zur Einsicht auszulegen. Der Ort und die Zeit der Auslegung sind ortsüblich bekanntzumachen; in der Bekanntmachung ist darauf hinzuweisen, dass mit dem Ende der Auslegungsfrist der Bescheid gegenüber den übrigen Betroffenen als zugestellt gilt (Art. 74 Abs. 4 Satz 2 und 3 BayVwVfG).
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Vorliegend fehlt es an einer ortsüblichen Bekanntmachung durch die Marktgemeinde O. … An deren Stelle bewirkte das Landratsamt eine öffentliche Bekanntmachung mit dem Inhalt des Art. 74 Abs. 5 Satz 2 BayVwVfG. Dies war in zweifacher Hinsicht verfahrensfehlerhaft. Zum einen ersetzte die öffentliche Bekanntmachung nicht sämtliche Zustellungen; den beteiligten Vereinigungen wurde der Bescheid mit Postzustellungsurkunde zugestellt (vgl. Behördenakte [BA] A-1945 Nrn. 11-13 und Nr. 15 S. 47). Zum anderen lagen die Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 5 Satz 1 BayVwVfG nicht vor; es waren nicht mehr als 50 Zustellungen vorzunehmen.
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Dieser Verfahrensfehler hindert aber nicht den Eintritt der Zustellungsfiktion.
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a) Inhaltlich enthielt die öffentliche Bekanntmachung des Landratsamts alle Angaben, die eine ortsübliche Bekanntmachung der Gemeinde gemäß Art. 74 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 (Ort und Zeit der Auslegung) und Satz 3 Halbsatz 2 (Hinweis auf die Zustellungsfiktion) BayVwVfG verlangt. Es fehlten keine Angaben, die zur Erfüllung der Anstoßwirkung notwendig sind (zu diesem Bezugspunkt vgl. Masing/Schiller in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 6. Aufl. 2021, § 74 Rn. 143). Die zusätzlich – d.h. über Art. 74 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BayVwVfG hinausgehend – bekanntgemachten Angaben (verfügender Teil des Bescheids, Rechtsbehelfsbelehrung, Anforderungsrecht) sind nicht geeignet, bei den potenziell Betroffenen einen Irrtum über den Bescheid und die dagegen eröffneten Rechtschutzmöglichkeiten hervorzurufen (vgl. auch BVerwG, U.v. 25.1.2021 – 9 C 8.19 – BVerwGE 171, 194 = juris Rn. 18 zu § 58 Abs. 1 VwGO). Der Bekanntmachungszweck wurde demnach erreicht (vgl. auch BayVGH, B.v. 26.11.2002 – 22 AS 02.40076 – NVwZ-RR 2003, 296 = juris Rn. 6 betreffend den Verzicht auf eine zusätzliche ortsübliche Bekanntmachung der Auslegung nach § 74 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 VwVfG bei einer öffentlichen Bekanntmachung nach § 74 Abs. 5 Satz 2 VwVfG).
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b) Auch durch das Tätigwerden der unzuständigen Behörde (Landratsamt statt Gemeinde) wurde die Möglichkeit der „übrigen Betroffenen“, sich über den Erlass des Bescheids zu informieren, nicht behindert. Zwar besteht grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse der Betroffenen, Bekanntmachungen nicht an verschiedenen Orten suchen zu müssen (vgl. BT-Drs. 7/4494 S. 10 zu § 72 Abs. 2 VwVfG). Da die Marktgemeinde O. … kein eigenes Amtsblatt unterhält und ihre Satzungen und Verordnungen durch Veröffentlichung im Amtsblatt des Landkreises Oberallgäu bekanntmacht (vgl. § 36 Abs. 1 der Geschäftsordnung für den Marktgemeinderat O. … 2020-2026 i.d.F.v. 8.5.2020), wäre eine ortsübliche Bekanntmachung durch die Gemeinde an derselben Stelle erfolgt (Art. 74 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 BayVwVfG i.V.m. Art. 27 Abs. 2 Satz 1 und Art. 26 Abs. 2 GO; vgl. auch LT-Drs. 9/10711 S. 11).
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c) Der Vorhalt der Klägerin, ihr sei als ausländisches Unternehmen eine Sichtung aller regionalen Tageszeitungen oder Amtsblätter nicht zuzumuten, geht fehl. Die Zustellungsfiktion wirkt auch zulasten auswärtig ansässiger Betroffener, sofern das betroffene Grundstück oder sonstige Recht in einer der Gemeinden liegt, in denen die Auslegung und Bekanntmachung durchgeführt wurden; andernfalls würde der gesetzliche Zweck, die Unanfechtbarkeit der Entscheidung herbeizuführen (vgl. BT-Drs. 7/910 S. 23, 89 zu § 70 Abs. 4 VwVfG-E [= § 74 Abs. 4 VwVfG], nicht erreicht (vgl. Lieber in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 74 Rn. 354).
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2. Ein Auslegungsmangel ist weder aufgezeigt noch sonst erkennbar.
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Der Senat ist überzeugt, dass der Bescheid nebst Planunterlagen vom 15. bis 29. Juni 2020 in der Marktgemeinde O. … ausgelegt wurde. Zwar wurde der Tag des Beginns und des Endes der Auslegung nicht in den Akten bestätigt. Die behördeninterne Kommunikation (vgl. E-Mails vom 26.5.2020, eGA S. 228 f. und vom 2.6.2020, BA A-1945 Nr. 6 = Blatt 9]) lässt für den Senat keinen Zweifel, dass die Auslegung tatsächlich vom 15. bis 29. Juni 2020 ordnungsgemäß erfolgt ist (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. auch BVerwG, U.v. 19.1.1990 – 4 C 28.89 – BVerwGE 84, 271 = juris Rn. 20 f.).
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Abgesehen davon geht bei einer öffentlichen Bekanntmachung nach Art. 75 Abs. 5 Satz 2 BayVwVfG, der die Veröffentlichung im Amtsblatt vom 3. Juni 2020 inhaltlich entsprach, die maßgebende Anstoßwirkung nicht von der Auslegung, sondern von der Bekanntmachung des verfügenden Teils des Planfeststellungsbeschlusses aus (so BVerwG, U.v. 31.7.2012 – 4 A 5000.10 u.a. – BVerwGE 144, 1 = juris Rn. 32; nachgehend BVerfG, B.v. 24.10.2017 – 1 BvR 877/13 – NVwZ 2018, 579 = juris Rn. 27 ff.).
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3. Die Verfristung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 25. Mai 2020 hat keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage in „eigener Sache“; denn es ist möglich, dass die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen die einem Mitbewerber rechtswidrig erteilte Gestattung zurücknimmt (vgl. BVerwG, U.v. 7.10.1988 – 7 C 65.87 – BVerwGE 80, 270 = juris Rn. 10; U.v. 31.5.2011 – 8 C 52.09 – NVwZ 2011, 1069 = juris Rn. 14; Pietzcker/Marsch in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, § 42 Abs. 1 VwGO Rn. 145; Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2025, § 42 Rn. 93).
40
IV. Der auf die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheids vom 25. Mai 2020 gerichtete Hilfsantrag ist ebenfalls unzulässig.
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Die Verpflichtungsklage ist aufgrund der Bestandskraft des angegriffenen Verwaltungsakts statthaft (vgl. BVerwG, U.v. 21.11.2023 – 9 A 11.21 – NVwZ 2024, 589 = juris Rn. 27 ff.; U.v. 23.6.2020 – 9 A 22.19 – BVerwGE 168, 368 = juris Rn. 20), aber unzulässig, weil die Klägerin die Rücknahme nicht vorab beim Landratsamt beantragt hat. Eine zulässige Verpflichtungsklage setzt grundsätzlich voraus, dass der Kläger vorher im Verwaltungsverfahren die Vornahme des eingeklagten Verwaltungsakts erfolglos beantragt hat (vgl. BVerwG, U.v. 28.11.2007 – 6 C 42.06 – BVerwGE 130, 39 = juris Rn. 23; Wysk, VwGO, § 42 Rn. 55). Ein solcher Antrag kann dem Schreiben der Klägerin vom 19. Juni 2020, mit dem sie für sich selbst eine wasserrechtliche Gestattung beantragt hat, nicht (sinngemäß) entnommen werden. Zum damaligen Zeitpunkt war ihr der Bescheid vom 25. Mai 2020 noch nicht bekannt; ein Aufhebungsbegehren wäre mangels Bestandskraft mit einer Anfechtungsklage zu verfolgen gewesen.
42
B. Soweit die Klage zulässig ist, erweist sie sich als unbegründet.
43
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Neubescheidung ihres Antrags auf Erteilung einer wasserrechtlichen Gestattung der mit dem Betrieb der streitbefangenen Wasserkraftanlage einhergehenden Gewässerbenutzungen (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
44
Das Landratsamt war nicht verpflichtet, über die (Neu-)Erteilung der wasserrechtlichen Bewilligung zum Betrieb der Wasserkraftanlage W. auf der Grundlage eines neutralen und transparenten Verfahrens zur Bewerberauswahl zu entscheiden. Das nationale Wasserrecht sieht ein formalisiertes Auswahlverfahren mit einer öffentlichen Bekanntmachung im Sinn eines „Aufrufs zum Wettbewerb“ nicht vor. Erlaubnis- oder Bewilligungsanträge, die nach Einleitung des Anhörungsverfahrens zu einem Gestattungsantrag gestellt werden, werden nicht mehr berücksichtigt (Art. 68 Satz 4 BayWG).
45
Die Verpflichtung zur Durchführung eines neutralen und transparenten Auswahlverfahrens ergibt sich auch nicht aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht.
46
I. Die wasserrechtliche Gestattung der mit dem Betrieb eines Wasserkraftwerks einhergehenden Gewässerbenutzungen stellt keine Genehmigung im Sinn des Art. 12 Abs. 1 der RL 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt dar.
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Die Bestimmung, die unmittelbare Wirkung hat (vgl. EuGH, U.v. 20.4.2023 – C-348/22 – NZBau 2023, 535 = juris Rn. 67), verpflichtet die Mitgliedstaaten, Genehmigungen für eine bestimmte Dienstleistungstätigkeit, deren Zahl u.a. aufgrund der Knappheit natürlicher Ressourcen begrenzt ist, unter Anwendung eines neutralen und transparenten Verfahrens zur Auswahl der Bewerber zu erteilen.
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1. Bei der Stromerzeugung – hier mittels einer Wasserkraftanlage – handelt es sich um keine Dienstleistung im Sinn der RL 2006/123/EG. Der Bau und der Betrieb einer Wasserkraftanlage bezieht sich auf die Herstellung eines Erzeugnisses, nämlich von Elektrizität. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs kann die Herstellung eines Erzeugnisses als solche jedoch nicht als Dienstleistung angesehen werden (vgl. EuGH, U.v. 28.5.2020 – C-727/17 – NVwZ 2020, 1417 = juris Rn. 57; U.v. 7.5.1985 – 18/84 – Slg 1985, 1339 = juris Rn. 12; U.v. 11.7.1985 – 60/84 u.a. – NJW 1986, 1421 = juris Rn. 10; so auch Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, E.v. 26.1.2023 – Ra 2020/07/0068-11 – Rn. 16). Die Vorschriften über den freien Warenverkehr gehen deshalb vor (vgl. Erwägungsgrund 76 der RL 2006/123/EG; Durner DVBl 2020, 149/150).
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2. Aber selbst wenn man den Betrieb einer Wasserkraftanlage als Dienstleistung ansehen würde, fiele die wasserrechtliche Gestattung der damit einhergehenden Gewässerbenutzungen nicht in den Anwendungsbereich der RL 2006/123/EG.
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Die RL 2006/123/EG findet nach ihrem neunten Erwägungsgrund keine Anwendung auf Anforderungen, die nicht die Dienstleistungstätigkeit als solche regeln oder betreffen, sondern von Dienstleistungserbringern im Zuge der Ausübung ihrer Wirtschaftstätigkeit genauso beachtet werden müssen wie von Privatpersonen. Sie schützt Dienstleistungserbringer davor, stärker belastet zu werden als Bürger, die keine Dienstleistungen erbringen; es ist jedoch eindeutig nicht ihr Ziel, allgemeine administrative Erfordernisse wie Straßenverkehrsvorschriften, Baunormen oder Rechtsvorschriften über die Stadtplanung zu beseitigen. Nicht alles, was sich ganz zufällig auf die Niederlassungsfreiheit auswirken mag, muss eine Anforderung nach Art. 4 Nr. 7 der RL 2006/123/EG darstellen (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar vom 18.5.2017 – C-360/15 u.a. – juris Rn. 136).
51
Die Anforderungen nach den §§ 8 ff. WHG gelten unterschiedslos für jeden Gewässerbenutzer und nicht speziell für Personen, die beabsichtigen, mit der Gewässerbenutzung bestimmte Arten von Dienstleistungen zu erbringen. Sie müssen von Privatpersonen genauso beachtet werden wie von Dienstleistungserbringern im Zuge der Ausübung ihrer Wirtschaftstätigkeit (vgl. EuGH, U.v. 22.9.2020 – C-724/18 u.a. – NJW 2021, 41 = juris Rn. 40 ff.; U.v. 30.1.2018 – C-360/15 u.a. – DVBl 2019, 233 = juris Rn. 123 f.; Raschauer/Ortner, RdU 2019, 137/140). Die wasserrechtliche Gestattungspflicht knüpft an die tatsächliche Benutzung eines Gewässers an; der dahinterstehende Zweck – wie vorliegend die Stromerzeugung durch den Betrieb einer Wasserkraftanlage – ist nicht maßgeblich.
52
II. Auf Art. 8 der Richtlinie (EU) 2019/944 mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Änderung der RL 2012/27/EU lässt sich eine Verpflichtung der Wasserrechtsbehörde, ein Auswahlverfahren nach objektiven, transparenten und diskriminierungsfreien Kriterien durchzuführen, ebenfalls nicht stützen.
53
Bei dem wasserrechtlichen Verfahren zur Gestattung von Gewässerbenutzungen, die mit dem Betrieb einer Wasserkraftanlage einhergehen, handelt es sich um kein Genehmigungsverfahren für die „Schaffung neuer Erzeugungskapazitäten“.
54
1. Die Richtlinie (EU) 2019/944, die sich auf die EU-Kompetenz im Bereich der Energiepolitik stützt (Art. 194 AEUV), zielt im Wesentlichen darauf ab, einen offenen und durch Wettbewerb geprägten Elektrizitätsbinnenmarkt zu errichten, auf diesem Markt gleiche Bedingungen zu schaffen, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und den Klimawandel zu bekämpfen (vgl. Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie; EuGH, U.v. 11.6.2020 – C-378/19 – juris Rn. 22; U.v. 12.12.2019 – C-376/18 – juris Rn. 32, jeweils zur Vorgängerrichtlinie 2009/72/EG).
55
Bei der wasserrechtlichen Gestattung handelt es sich dagegen um kein energiepolitisches, sondern um ein umweltrechtliches Instrument. Die Verpflichtung, für jede Gewässerbenutzung – von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen – eine konstitutive behördliche Zulassung einzuholen, stellt das zentrale Strukturprinzip des Wasserrechts dar; es dient dem staatlichen Anliegen, den zur Verfügung stehenden Wasserschatz für die Zukunft geordnet zu bewirtschaften und Gefahren für das Wasser zu vermindern (vgl. BT-Drs. 16/12275 S. 55; BVerfG, B.v. 15.7.1981 – 1 BvL 77/78 – BVerfGE 58, 300 = juris Rn. 110; BVerwG, U.v. 14.4.2005 – 7 C 16.04 – NVwZ 2005, 1076 = juris Rn. 25). Unionsrechtlich wird eine nationale Genehmigung für bestimmte Gewässerbenutzungen vorausgesetzt (vgl. Art. 11 Abs. 3 Buchst. e und f der RL 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik [Wasserrahmenrichtlinie]; vgl. auch Fellenberg/Schiller in Schink/Fellenberg, GK-WHG, 1. Aufl. 2021, § 8 Rn. 7 und § 12 Rn. 6). Die wasserrechtliche Gestattung trägt dazu bei, die umweltpolitischen Ziele der EU (Art. 191 AEUV) zu verwirklichen, die Art. 4 der Wasserrahmenrichtlinie aufstellt. Das Gestattungsverfahren hat also weder bei nationaler noch bei europäischer Betrachtung einen Bezug zur Steuerung von Erzeugungskapazitäten für Elektrizität.
56
2. Der (modifizierte) Weiterbetrieb der streitbefangenen Wasserkraftanlage schafft auch keine „neuen“ Erzeugungskapazitäten. Das Genehmigungsverfahren nach Art. 8 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2019/944 bezieht sich auf neue Kraftwerke (vgl. Mitteilung der Kommission vom 10.1.2007- Aussichten für den Erdgas- und Elektrizitätsbinnenmarkt, Ratsdokument 5232/07 = COM(2006) 841 final S. 9 Fußnote 11). Abgesehen davon werden mit dem Weiterbetrieb der streitbefangenen Wasserkraftanlage keine Erzeugungskapazitäten erhöht. Die erneuerte und ergänzte Anlage wird im Wesentlichen wie früher betrieben; infolge ökologischer Verbesserungen (zusätzliche Restwasserabgabe) sinkt die erzeugte Strommenge (vgl. Erläuterungsbericht S. 29 und 60 f.). Der Vorhalt der Klägerin, der Weiterbetrieb verhindere ein „Stillstehen“, sodass es zu einer Schaffung neuer Erzeugungskapazitäten komme, kann nicht über den klaren Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 Richtlinie(EU) 2019/944 hinweghelfen.
57
III. Eine Verpflichtung, vor der (Neu-)Erteilung einer wasserrechtlichen Bewilligung ein neutrales und transparentes Verfahren zur Bewerberauswahl durchzuführen, ergibt sich auch nicht aus der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV.
58
Die Behörden müssen, wenn sie eine Konzession erteilen wollen, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinien über die verschiedenen Kategorien des öffentlichen Auftragswesens fällt, die Grundregeln des AEU-Vertrags im Allgemeinen und das Diskriminierungsverbot im Besonderen beachten. Soweit an einer solchen Konzession ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht, liegt in ihrer ohne jede Transparenz erfolgenden Vergabe an ein Unternehmen, das in dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, dem der öffentliche Auftraggeber angehört, eine Ungleichbehandlung zum Nachteil der Unternehmen, die an dieser Konzession interessiert sein könnten und in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind. Eine solche Ungleichbehandlung ist nach Art. 49 AEUV grundsätzlich verboten (stRspr, vgl. EuGH, U.v. 13.10.2005 – C-458/03 – NVwZ 2005, 1407 = juris Rn. 46; U.v. 9.9.2010 – C-64/08 – EuZW 2010, 821 = juris Rn. 51; U.v. 21.3.2019 – C-702/17 – juris Rn. 28).
59
Bei der wasserrechtlichen Bewilligung (§§ 8, 14 WHG), die der Beigeladenen ohne Öffentlichkeitsbeteiligung für potenzielle Bewerber und ohne Durchführung eines transparenten und diskriminierungsfreien Auswahlverfahrens erteilt wurde, handelt es sich nicht um eine solche Konzession im unionsrechtlichen Sinn.
60
1. Eine „Beschaffungskonzession“ liegt nicht vor. Die Gewässerbenutzung bzw. der Kraftwerksbetrieb kommen dem Beklagten nicht unmittelbar wirtschaftlich zugute. Dafür reicht es nicht aus, dass die Leistung – hier die Erzeugung nachhaltiger Energie durch Wasserkraft – im öffentlichen Interesse liegt (vgl. EuGH, U.v. 25.3.2010 – C-451/08 – NVwZ 2010, 565 = juris Rn. 58). Der Beklagte deckt damit keinen „eigenen“ Bedarf oder erlegt dem Betreiber auf, bestimmte Leistungen an die Allgemeinheit zu erbringen (vgl. Rossi/Pfahl in Kment, Konzessionen im Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2016, S. 16; Opitz, NVwZ 2014, 753/757). Auf der Seite des Inhabers begründet eine wasserrechtliche Bewilligung auch keine (einklagbare) Verpflichtung, die Gewässerbenutzung auszuüben (vgl. Pape in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Juni 2024, § 10 WHG Rn. 35; Müggenborg in Berendes/Frenz/Müggenborg, WHG, § 10 Rn. 32; allgemein zu diesem Kriterium vgl. EuGH, U.v. 25.3.2010 – C-451/08 – NVwZ 2010, 565 = juris Rn. 62). Damit unterscheidet sich eine solche Genehmigung von einer Konzession zum Zweck der Beschaffung (vgl. Erwägungsgrund 14 der RL 2014/23/EU; EuGH, U.v. 14.7.2016 – C-458/14 u.a. – EuZW 2016, 657 = juris Rn. 47; Bericht der Kommission über die Anwendung der RL 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe und über die Auswirkungen der Ausschlüsse nach Artikel 12 auf den Binnenmarkt, COM(2023) 460 final S. 6 und Fußnote 13; Stickler, EuZW 2016, 657/661 f.).
61
2. Die wasserrechtliche Bewilligung stellt auch keine Konzession im unionsrechtlichen Sinn dar, die das Niederlassungsrecht (Art. 49 AEUV) betrifft, weil sie zur wirtschaftlichen Verwertung von im öffentlichen Eigentum stehenden Gütern berechtigt.
62
In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist geklärt, dass Genehmigungen zur Nutzung öffentlicher Grundstücke für privatwirtschaftliche Zwecke als Konzessionen unter Art. 49 AEUV fallen können (vgl. EuGH, U.v. 14.7.2016 – C-458/14 u.a. – EuZW 2016, 657 – juris Rn. 63 ff.; U.v. 11.7.2024 – C-598/22 – juris Rn. 44). Eine solcher Fall liegt hier nicht vor.
63
a) Die wasserrechtliche Bewilligung stellt keine vergaberechtsähnliche Verteilentscheidung dar, mit denen die wirtschaftliche Verwertungsbefugnis an den zum Kraftwerksbetrieb benutzten Gewässern zugeteilt wird (vgl. Durner, DVBl 2020, 149/155). Allein die Tatsache, dass sie nicht nur eine öffentlich-rechtliche Unbedenklichkeitsbescheinigung darstellt, sondern ein subjektiv-öffentliches Recht verleiht, das Gewässer zu einem bestimmten Zweck in einer nach Art und Maß bestimmten Weise zu benutzen (vgl. § 10 Abs. 1 Alt. 2 WHG), führt zu keinem wirtschaftlichen Verwertungsrecht im Sinn einer Konzession, die Art. 49 AEUV betrifft (vgl. auch Rossi/Pfahl in Kment, Konzessionen im Umwelt- und Infrastrukturrecht, 2016, S. 6; Burgi/Zimmermann, NZBau 2023, 635/636). Dem Begünstigten wird kein Gewässerabschnitt zur eigenverantwortlichen wirtschaftlichen Verwertung zugeteilt. Die Bewilligung verleiht keinen Anspruch auf Zufluss von Wasser in einer bestimmten Menge (vgl. § 10 Abs. 2 WHG).
64
Damit hat der Gesetzgeber Oberflächengewässer einer vom Grundeigentum losgelösten öffentlich-rechtlichen Benutzungsordnung unterworfen und der Allgemeinheit zugeordnet, um im Sinne einer weitgehenden Sozialbindung eine geordnete Bewirtschaftung des Wassers nach Menge und Beschaffenheit sicherzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 25.5.2023 – 7 A 7.22 – BVerwGE 179, 30 = juris Rn. 74; U.v. 11.11.1970 – IV C 102.67 – BVerwGE 36, 248 = juris Rn. 21 f.). Der Ausschluss eines Rechts auf Wasserzufluss gilt nicht nur für naturbedingte, sondern auch für künstliche Veränderungen, insbesondere, wenn später konkurrierende Benutzungen hinzutreten (vgl. Knopp/Müller in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG AbwAG, § 10 Rn. 58 f.; Czychowski/Reinhardt, WHG, § 10 Rn. 72). Die Bewilligung verleiht also kein ausschließliches Recht (vgl. EuGH, U.v. 17.12.2015 – C-25/14 u.a. – NZA 2016, 113 = juris Rn. 35; U.v. 3.6.2010 – C-203/08 – NVwZ 2010, 1085 = juris Rn. 57).
65
b) Vorliegend kommt noch hinzu, dass die in Rede stehende Gewässernutzung im Wesentlichen auf Grundstücken der Beigeladenen erfolgt. Die Wasserrechtsbehörde kann einem zivilrechtlich nicht nutzungsberechtigten Drittbewerber diesbezüglich kein wirtschaftliches Verwertungsrecht verschaffen (für staatseigene Grundstücke vgl. aber Nr. 1.5.3.3 der Verwaltungsvorschrift zum Vollzug des Wasserrechts vom 27.1.2014 i.d.F.d. Bekanntmachung vom 12.11.2021 [VVWas]). Denn die wasserrechtliche Bewilligung verleiht ihrem Inhaber kein Recht, fremde Grundstücke und Anlagen zu benutzen (vgl. dazu bereits oben Rn. 25).
66
c) Das wasserrechtliche Zulassungsregime belässt der Klägerin – auch ohne Verfahren zur transparenten Bewerberauswahl – einen diskriminierungsfreien Marktzugang.
67
Art. 49 Abs. 1 AEUV verbietet – über den Wortlaut hinausgehend – Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (vgl. grundlegend EuGH, U.v. 30.11.1995 – C-55/94 – NJW 1996, 579 = juris Rn. 37; U.v. 11.7.2024 – C-598/22 – juris Rn. 48; Forsthoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Stand Juli 2024, Art. 49 AEUV Rn. 89 ff.). Der Begriff der „Beschränkung“ umfasst auch Maßnahmen, die – obwohl sie unterschiedslos anwendbar sind – den Marktzugang von Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedstaaten unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. EuGH, U.v. 8.6.2023 – C-468/20 – WRP 2023, 1187 = juris Rn. 82; U.v. 21.12.2016 – C-201/15 – NJW 2017, 1723 = juris Rn. 48 f.). Eine Beschränkung liegt u.a. vor, wenn einem Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit genommen wird, unter Bedingungen eines normalen und wirksamen Wettbewerbs in den Markt des Aufnahmemitgliedstaats einzutreten (vgl. EuGH, U.v. 29.3.2011 – C-565/08 – EuZW 2011, 400 = juris Rn. 51). Demgegenüber stellt eine Regelung eines Mitgliedstaats nicht allein deshalb eine Beschränkung dar, weil andere Mitgliedstaaten die in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Wirtschaftsteilnehmer weniger strengen oder wirtschaftlich interessanteren Vorschriften unterwerfen (vgl. EuGH, U.v. 12.9.2013 – C-475/11 – GesR 2013, 671 = juris Rn. 47).
68
Ausgehend von diesen Maßstäben beeinträchtigt das wasserrechtliche Gestattungsregime, das keine transparente Bewerberauswahl vorsieht, nicht den Zugang der Klägerin zum deutschen Markt in Bezug auf den Betrieb von Wasserkraftwerken. Zwar mag es Neubewerbern erschwert sein, von der Eröffnung wasserrechtlicher Verfahren an einzelnen Standorten zu erfahren; soweit dies öffentlichen Quellen (z.B. Marktstammdatenregister, Wasserbuch) entnommen werden kann, erfordert es einen zusätzlichen Aufwand, der etablierten Betreibern nicht abverlangt wird (vgl. EuGH, U.v. 5.2.2015 – C-317/14 – EuZW 2015, 486 = juris Rn. 31). Der Marktzugang der Klägerin ist aber auch ohne transparente Bewerberauswahl vor (Neu-)Erteilung einer wasserrechtlichen Gestattung gewährleistet. Dieser erfolgt nämlich – mangels staatlicher Konzessionierung der zur Erzeugung von Elektrizität aus Wasserkraft geeigneten Standorte – ohne hoheitliche Regulierung durch freihändigen Erwerb des Wirtschaftsguts (i.d.R. Grundstück); die wasserbehördliche Gestattung der mit dem Kraftwerksbetrieb verbundenen Gewässerbenutzung ist „wettbewerbsneutral“. Jeder inländische oder ausländische Wirtschaftsteilnehmer kann unter denselben Bedingungen auf dem „freien Markt“ ein Wasserkraftwerk erwerben (vgl. auch Raschauer/Ortner, RdU 2019, 137/139; Durner, DVBl 2020, 149/157). Die Gestattung geht dann grundsätzlich auf den Rechtsnachfolger über (vgl. Art. 8 Abs. 4 WHG). Der Umstand, dass die für die Erzeugung von Wasserkraft geeigneten Standorte knapp sind, trifft alle inländischen und ausländischen Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Weise. Die von der Klägerin vorgebrachten faktischen Marktzutrittshemmnisse sind damit nicht Folge des wasserrechtlichen Gestattungsverfahrens, sondern der Eigentumsverhältnisse an den von der Beigeladenen zur Erzeugung elektrischer Energie aus Wasserkraft genutzten Grundstücken (so auch Österreichischer Verwaltungsgerichtshof, E.v. 26.1.2023 – Ra 2020/07/0068-11 – Rn. 33).
69
Der Umstand, dass die Klägerin im Fall ihres Obsiegens in einem offenen Wettbewerb um Gewässerbenutzungsrechte Kraftwerksanlagen zu besseren marktwirtschaftlichen Konditionen erwerben könnte, impliziert nicht, dass das wasserrechtliche Zulassungsregime Neubewerber in ihrem Marktzugang behindert oder sogar den Markt abschottet. Aus Art. 49 AEUV folgt keine Verpflichtung, die Bedingungen für den Marktzugang von Wirtschaftsteilnehmern zu optimieren. Eine Stärkung der marktwirtschaftlichen Verhandlungsposition von Neubewerbern wirkt zum Nachteil etablierter Betreiber, deren Wasserkraftanlagen Eigentumsschutz genießen (vgl. BVerfG, U.v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u.a. – BVerfGE 143, 246 = juris Rn. 345) oder – wie hier bei der Beigeladenen als GmbH in ausschließlich kommunaler Trägerschaft, die sich nicht auf Art. 14 Abs. 1 GG berufen kann (vgl. BVerfG, U.v. 6.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u.a. – BVerfGE 143, 246 = juris Rn. 190; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 18. Aufl. 2024, Art. 14 Rn. 23) – von der Selbstverwaltungsgarantie nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 83 Abs. 1 BV geschützt werden. Bei der Versorgung der Bevölkerung mit Licht und elektrischer Kraft handelt es sich – unbeschadet der europäischen Liberalisierung des Elektrizitätsmarkts – um eine Aufgabe der Daseinsvorsorge im eigenen Wirkungskreis der Gemeinden (vgl. Wolff in Lindner/Möstl/Wolff, Verfassung des Freistaats Bayern, 2. Aufl. 2017, Art. 83 Rn. 21).
70
Die Einführung eines staatlichen Konzessionierungsverfahrens für Wasserkraftstandorte, das die Klägerin der Sache nach anstrebt, ist einem Tätigwerden des Gesetzgebers vorbehalten. Dies kann nicht durch richterliche Rechtsfindung ersetzt werden (vgl. auch BVerwG, U.v. 18.7.2023 – 4 CN 3.22 – BVerwGE 179, 348 = juris Rn. 17). Dass andere Mitgliedstaaten wie Italien ein Konzessionsverfahren anwenden, führt nicht zu einer Beschränkung des Marktzugangs in Deutschland (vgl. oben Rn. 67; EuGH, U.v. 8.6.2023 – C-468/20 – WRP 2023, 1187 = juris Rn. 85).
71
IV. Auch auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) kann die Klägerin keinen Neubescheidungsanspruch stützen.
72
1. Ein Sachverhalt, der im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRC in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt und die Anwendbarkeit von Art. 16 und Art. 20 GRC begründet, ist vorliegend gegeben. In den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt ein Sachverhalt, wenn ein hinreichender Zusammenhang von einem gewissen Grad zwischen einem Unionsrechtsakt und der fraglichen nationalen Maßnahme besteht. Hierzu muss das Unionsrecht bestimmte Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf den nationalen Sachverhalt schaffen, durch die ihr Tätigwerden im weiten Sinne einer Erfüllung unionsrechtlicher Verpflichtungen oder Ermächtigungen als Durchführung von Unionsrecht anzusehen ist (vgl. EuGH, U.v. 6.3.2014 – C-206/13 – NVwZ 2014, 575 = juris Rn. 24 f.; U.v. 13.1.2022 – C-363/20 – BB 2022, 149 = juris Rn. 38; BVerwG, U.v. 10.12.2021 – 5 C 8.20 – BVerwGE 174, 244 = juris Rn. 45). Bei der Zulassung von Gewässerbenutzungen erfüllt die Wasserrechtsbehörde auch unionsrechtliche Verpflichtungen. Denn das nationale wasserrechtliche Gestattungsregime dient im weiten Sinn der Verwirklichung der EU-Umweltziele aus Art. 4 der RL 2000/60/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. Die Wasserrechtsbehörde ist hiernach verpflichtet, eine Gestattung eines Vorhabens bzw. einer Gewässerbenutzung zu versagen, wenn sich der Zustand des fraglichen Wasserkörpers dadurch verschlechtern kann (vgl. EuGH, U.v. 1.6.2017 – C-529/15 – NVwZ 2017, 1614 = juris Rn. 31; U.v. 1.7.2015 – C-461/13 – NVwZ 2015, 1041 = juris Rn. 50); darüber hinaus enthält die Vorschrift Vorgaben für das behördliche Zulassungsverfahren (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2021 – 9 A 8.20 – BVerwGE 171, 346 = juris Rn. 22).
73
2. Aus Art. 16 GRC ergibt sich kein Neubescheidungsanspruch der Klägerin.
74
Der durch Art. 16 GRC gewährte Schutz umfasst die Freiheit, eine Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit auszuüben, die Vertragsfreiheit und den freien Wettbewerb (vgl. EuGH, U.v. 22.1.2013 – C-283/11 – EuZW 2013, 347 = juris Rn. 42). Er verleiht Abwehrrechte gegen den Staat und vermittelt subjektiv-rechtlichen Schutz vor Wettbewerbsverfälschungen. Art. 16 GRC ist zudem auf die gleichberechtigte Teilhabe an einem unverfälschten Wettbewerb ausgerichtet (vgl. BVerfG, B.v. 15.6.2020 – 2 BvR 71/20 u.a. – NVwZ 2020, 1263 = juris Rn. 23; Kühling/Drechsler in Pechstein/Nowak/Häde, Frankfurter Kommentar EUV/GRC/AEUV, 2. Aufl. 2023, Art. 16 GRC Rn. 17). Das Schutzniveau der Grundrechtskataloge der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und des Grundgesetzes sind weitgehend deckungsgleich (vgl. BVerfG, B.v. 27.4.2021 – 2 BvR 206/14 – BVerfGE 158, 1 = juris Rn. 67).
75
Das wasserrechtliche Zulassungsregime schränkt das Recht der Klägerin, in Deutschland tätig zu werden, nicht unzulässig ein und führt auch nicht zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung zwischen etablierten Betreibern und Neubewerbern (vgl. EuGH, U.v. 12.7.2018 – C-540/16 – juris Rn. 33). Die Klägerin behält – auch ohne transparentes Bewerberauswahlverfahren – einen diskriminierungsfreien Marktzugang; die zu Art. 49 AUEV dargelegten Erwägungen gelten insoweit entsprechend (vgl. oben Rn. 68 ff.). Im Übrigen besteht eine staatliche Schutzpflicht zur Gewährleistung eines ausreichenden Wettbewerbs nur in Fällen, in denen der Gesetzgeber den ihm zustehenden Spielraum überschreitet (vgl. Jarass in Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 4. Aufl. 2021, Art. 16 Rn. 19). Dies kann regelmäßig nur angenommen werden, wenn überhaupt keine Schutzvorkehrungen getroffen werden, die getroffenen Regelungen und Maßnahmen offensichtlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind oder wenn sie erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben (stRspr, vgl. BVerfG, B.v. 8.11.2022 – 2 BvR 2480/10 u.a. – BVerfGE 163, 363 = juris Rn. 129). Dieser unabdingbare Mindeststandard wird hier – wie oben zu Art. 49 AEUV aufgezeigt (vgl. Rn. 68 ff.) – nicht unterschritten.
76
3. Auch auf Art. 20 GRC lässt sich kein Neubescheidungsanspruch stützen. Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot liegt nicht vor.
77
Der in Art. 20 GRC verankerte allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. EuGH, U.v. 5.7.2017 – C-190/16 – EuZW 2017, 729 = juris Rn. 30; U.v. 12.7.2018 – C-540/16 – juris Rn. 35). Das Gleichbehandlungsgebot verlangt eine Verfahrensgestaltung, die einen chancengleichen Wettbewerbszugang angemessen sichert (vgl. BVerfG, B.v. 11.10.2010 – 1 BvR 1425/10 – NVwZ 2011, 113 = juris Rn. 10; B.v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03 – BVerfGE 116, 135 = juris Rn. 64 f., jeweils zu Art. 3 Abs. 1 GG). Dies ist vorliegend – wie oben aufgezeigt (vgl. Rn. 68 f.) – gewährleistet.
78
V. Der Senat kann ohne die von der Klägerseite angeregte Anrufung des Europäischen Gerichtshofs (Vorabentscheidungsverfahren) entscheiden. Die Voraussetzungen des Art. 267 AEUV sind nicht erfüllt. Die aufgeworfenen Fragen
79
„Ist das Unionsrecht, insbesondere Art. 49 AEUV, Art. 16 und Art. 20 GRC, Art. 8 der Richtlinie (EU) 2019/944 sowie Art. 9, 10 und 12 der RL 2006/123/EG, so auszulegen, dass die Wiedererteilung einer wasserrechtlichen Gestattung für den Betrieb einer gewerblich genutzten Wasserkraftanlage in einem wettbewerbskonformen, fairen, transparenten, nicht diskriminierenden und objektiven Verfahren zu erfolgen hat und dass diese Gestattung nur für einen angemessenen Zeitraum erteilt werden darf?“,
80
„Sind die Art. 49 AEUV, Art. 16 und Art. 20 GRC, Art. 8 der Richtlinie (EU) 2019/944 sowie Art. 9, 10 und 12 der RL 2006/123/EG [und] bei der Wiedererteilung von wasserrechtlichen Gestattungen für den Betrieb gewerblich genutzter Wasserkraftanlagen unmittelbar anwendbar, wenn sie insoweit nicht oder fehlerhaft in nationales Recht umgesetzt wurden?“ und
81
„Steht das Unionsrecht, insbesondere die Art. 49 AEUV, Art. 16 und Art. 20 GRC, Art. 8 der Richtlinie (EU) 2019/944 sowie Art. 9, 10 und 12 der RL 2006/123/EG, nationalen Regelungen oder einer nationalen Verwaltungspraxis entgegen, nach der die Wiedererteilung einer wasserrechtlichen Gestattung zum Betrieb einer gewerblich genutzten Wasserkraftanlage davon abhängig gemacht wird, ob der Antragsteller zivilrechtlich eine Möglichkeit hat, von der Gestattung Gebrauch zu machen (z. B. durch Erwerb der Anlage oder Nutzungsvereinbarung mit dem Eigentümer)?“
82
sind – soweit im vorliegenden Fall entscheidungserheblich und nicht bereits vom Europäischen Gerichtshof geklärt (vgl. insbesondere EuGH, U.v. 20.4.2023 – C-348/22 – NZBau 2023, 535 = juris Rn. 67 zur unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 12 der RL 2006/123/EG) – im oben dargelegten Sinn zu beantworten, ohne dass Raum für vernünftige Zweifel bleibt (acte clair, vgl. EuGH, U.v. 6.10.2021 – C-561/19 – NVwZ 2021, 1766 = juris Rn. 39 ff.; U.v. 6.10.1982 – C-283/81 – NJW 1983, 1257 = juris Rn. 16).
83
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).
84
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
85
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.