Inhalt

VGH München, Urteil v. 04.12.2024 – 16a D 22.1787
Titel:

Disziplinarmaßname der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wegen sexueller Beziehung zu Schülerin

Normenketten:
BayDG Art. 11, Art. 14, Art. 25 Abs. 1, Art. 55, Art. 63 Abs. 1
GSO § 39
LDO § 5
BayEUG Art. 59
BeamtStG § 34 S. 3, § 47
Leitsätze:
1. Entsprechend des umfassenden Bildungsauftrags der Schule hat ein Lehrer gegenüber den Schülern nicht nur die Pflicht zum Unterricht, sondern auch zur Erziehung unter Beachtung der Elternrechte; er muss insbesondere die geistige und sittliche Entwicklung der ihm anvertrauten Kinder fördern und schützen, wobei sich Schüler, Eltern, Dienstherr und Öffentlichkeit unbedingt darauf verlassen können müssen, dass sexuelle Kontakte zwischen Lehrern und Schülern unterbleiben. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bereits um den Schulfrieden potentiell beeinträchtigende Sorgen der Eltern zu vermeiden, ist jedes Verhalten zu unterlassen, das den berechtigten Verdacht entsprechender Grenzüberschreitungen begründet (ebenso OVG Münster BeckRS 2023, 34139). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Maßgeblich für die Klassifizierung einer Veranstaltung als Schulveranstaltung ist, dass die Schule die Verantwortung für Organisation und Durchführung trägt; auch freiwillige schulische Angebote und zusätzliche freiwillige Unterrichtsangebote sind daher Schulveranstaltungen, während derer der zuständigen Lehrkraft nicht nur die Aufsichtspflicht, sondern die unmittelbare pädagogische Verantwortung für den Unterricht und die Erziehung der Schüler obliegt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) nach § 170 Abs. 2 StPO ist disziplinarrechtlich unerheblich, da nur hinsichtlich tatsächlicher Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren eine Bindungswirkung besteht und nicht bezüglich der Sachverhaltsfeststellungen einer staatsanwaltlichen Einstellungsverfügung. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
5. Disziplinarrechtlich unerheblich ist, wenn die Schülerin die Beziehung ebenso gewollt hat wie der Lehrer und die Initiative teilweise von ihr ausgegangen ist, denn aufgrund seiner Stellung als Lehrer hätte dieser sich konsequent allen entsprechenden Ansinnen entziehen müssen (ebenso OVG Münster BeckRS 2021, 11539). (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Oberstudienrat, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, mehrmonatige sexuelle Beziehung mit einer minderjährigen Schülerin, Einverständnis der Schülerin, schulische Veranstaltung, Teilnahme- oder Anwesenheitspflicht, Schulball
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 22.06.2022 – M 19L DK 22.1065
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36839

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.  

Tatbestand

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Der 1975 geborene Beklagte (Oberstudienrat, Besoldungsgruppe A 14) wendet sich im Berufungsverfahren gegen das Urteil der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts München vom 22. Juni 2022, mit dem seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wegen einer mehrmonatigen sexuellen Beziehung mit einer minderjährigen Schülerin ausgesprochen wurde. Er ist verheiratet, Vater von Zwillingen im Alter von zwölf Jahren und weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet.
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Nachdem sich zwei ehemalige Schülerinnen der Schulleitung ihres früheren Gymnasiums, an dem der Beklagte unterrichtet hat, anvertraut hatten, leitete die Landesanwaltschaft Bayern auf Veranlassung des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus (StMUK) mit Verfügung vom 5. November 2020 ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein. Mit Schreiben vom selben Tag informierte sie die zuständige Staatsanwaltschaft über den dem Beklagten vorgeworfenen Sachverhalt. Am 16. November 2020 erhielt die Landesanwaltschaft Bayern Kenntnis darüber, dass sich der Beklagte in einer Klinik befinde und dienstunfähig sei. Mit Verfügung vom 15. Dezember 2020 setzte sie das Disziplinarverfahren bis zur Beendigung der strafrechtlichen Ermittlungen aus. Die Staatsanwaltschaft stellte das strafrechtliche Ermittlungsverfahren (401 Js 38874/20) wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 Strafgesetzbuch – StGB) zum Nachteil der Schülerin P.K. (mit der der Beklagte in der Zeit zwischen Juli 2017 bis April 2018 eine sexuelle Beziehung führte) sowie der ehemaligen Schülerin A.J. (sexuelle Beziehung zwischen Sommer 2018 bis Frühling 2020; beide im Jahr 2000 geboren) mit Verfügung vom 28. April 2021 nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) ein. Bei der Schülerin A.J. habe der erste sexuelle Kontakt nach ihrer Entlassung als Abiturientin stattgefunden. Zwischen der Schülerin P.K. und dem Beklagten habe kein Lehrer-Schüler-Verhältnis im Sinne eines Abhängigkeits- oder Über-/Unterordnungsverhältnisses bestanden. Die Landesanwaltschaft setzte das Disziplinarverfahren daraufhin mit Verfügung vom 25. Juni 2021 fort, enthob den Beklagten am 25. Februar 2022 vorläufig des Dienstes und behielt 50% seiner Dienstbezüge ein. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (VG München, B.v. 22.6.2022 – M 19L DA 22.1446; BayVGH, B.v. 7.9.2022 – 16a DS 22.1641 – jeweils juris).
3
Am 5. Februar 2022 erhob die Landesanwaltschaft Bayern Disziplinarklage zum Verwaltungsgericht München mit dem Ziel der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Dabei legte sie ihm folgenden Sachverhalt zur Last:
4
Die im Juni 2000 geborene Schülerin P.K. habe bis zum Schuljahr 2015/16 das Gymnasium besucht, an dem der Beklagte unterrichtet habe. Zum Schuljahr 2016/17 habe sie in die 11. Klasse eines anderen Gymnasiums gewechselt. Sie habe allerdings weiterhin und damit auch in den Schuljahren 2016/17 und 2017/18 an dem vom Beklagten durchgeführten Begabungsstützpunkt an der Schule, an dem der Beklagte unterrichtete, teilgenommen. Dieser sei ein Wahlkurs, der allen Schülerinnen und Schülern des Landkreises offen gestanden habe. Teil des Begabungsstützpunktes sei eine Showchemiegruppe gewesen. Darüber hinaus seien den Schülerinnen und Schülern des Wahlkurses unter anderem Capoeira-Stunden und Basketball-Spiele angeboten worden, die nicht Bestandteil des Begabungsstützpunktes gewesen seien. Die Teilnahme an dem Begabungsstützpunkt sei nicht benotet worden und auf freiwilliger Basis erfolgt. Am Ende des Kurses hätten die Schülerinnen und Schüler bei regelmäßiger Teilnahme am Begabungsstützpunkt ein Teilnahmezertifikat erhalten. Die Schülerin P.K. habe für die Teilnahme in den Schuljahren 2014/15 und 2016/17 eine Teilnahmebescheinigung erhalten, nicht dagegen für das Schuljahr 2017/18, in dem sie nur unregelmäßig und als „Gast“ teilgenommen habe. Zwischen dem Beklagten und der Schülerin P.K. habe sich auf dem Schulball im Februar 2017, als sie für längere Zeit zusammen getanzt hätten und er sie danach mit seinem Auto nach Hause gefahren habe, eine zunächst freundschaftliche Beziehung entwickelt. Anfangs sei ein privater WhatsApp-Kontakt entstanden, in dem sie sich zu gemeinsamen Tanzstunden verabredet hätten mit dem Ziel, auf dem Abiball im Juni 2017 tanzen zu können. Die Tanzstunden hätten zu nicht näher bestimmten Zeiten jeweils zu Beginn der Mittagspause im Gymnasium des Beklagten stattgefunden. Zwischen Juni und Juli 2017 sei es zu weiteren Kontakten außerhalb der Tanzstunden gekommen. Ab diesem Zeitpunkt habe sich eine sexuelle Beziehung zwischen dem Beklagten und der Schülerin entwickelt, wobei es zunächst zum Austausch von Intimitäten, aber nicht zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. Von September 2017 bis April 2018 habe es mehrmalige wöchentliche Treffen (2-3 Mal pro Woche) gegeben, bei denen es in erster Linie zum Geschlechtsverkehr gekommen sei. In dieser Zeit habe die Schülerin eine Essstörung entwickelt. Sie habe die Beziehung mit dem Beklagten im April 2018 beendet, nachdem ihre Eltern davon erfahren hätten und sie eine neue Beziehung eingegangen sei.
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Mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22. Juni 2022 wurde gegen den Beklagten auf die Disziplinarmaßname der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt.
6
Der Beklagte trägt zur Begründung seiner Berufung vor, es habe kein Lehrer-Schüler-Verhältnis vorgelegen. Dies ergebe sich aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft, der Bindungswirkung zukomme. Da der sogenannte „Dinner-und-Dance“-Abend, in dessen Folge sich der WhatsApp-Kontakt entwickelt habe, jedweden Personen auch ohne Verbindung zur Schule offen gestanden habe, habe es sich hierbei nicht um einen klassischen „Schulball“ und damit nicht um eine Schulveranstaltung gehandelt. Die Verbindung zu der Schülerin P.K. habe Ende Juli 2017 begonnen, als der Begabungsstützpunkt für das Schuljahr 2016/17 abgeschlossen und die Zertifikate bereits ausgeteilt gewesen seien. Im relevanten Zeitraum von Ende Juli 2017 bis April 2018 sei es nicht um Schulnoten, nicht einmal um ein Teilnahmezertifikat gegangen, da die Schülerin bereits im Besitz eines solchen Zertifikats gewesen sei und lediglich aus Interesse und freiwillig weiter an den Stunden teilgenommen habe (sog. „deciso-Status“). Diesen Status habe der Beklagte selbst „ins Leben gerufen“, um ehemaligen Schüler/-innen und Interessierten oder Studierenden die Möglichkeit zu bieten, freiwillig an spannenden Projekten teilzunehmen. Soweit man zur Begründung eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses auf die überobligatorische Aufnahme der Schülerin P.K. auf die an den Ministerialbeauftragten übersandte Teilnehmerliste abstelle, sei dies bloße Förmelei. Für die Schülerin habe keine Anwesenheitspflicht und kein Abhängigkeitsverhältnis bestanden. Sie sei im fraglichen Zeitraum nicht mehr seine Schülerin und nicht einmal Schülerin an seiner Schule gewesen. Die im Begabungsstützpunkt zusätzlich angebotenen Aktivitäten seien kein schulisches Programm gewesen. Tanzstunden und WhatsApp-Kontakt seien noch keine unzulässige Grenzüberschreitung. Die Schülerin habe tatsächlich und in einer Vielzahl von WhatsApp-Nachrichten ihr Interesse an der Aufrechterhaltung der Beziehung zum Ausdruck gebracht und dem Beklagten den Eindruck vermittelt, es gehe ihr sehr gut mit ihm. Das Verhalten des Beklagten verstoße nicht gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten. Private Treffen hätten außerhalb der Schulzeit in privaten Räumlichkeiten stattgefunden. Abzustellen sei insoweit auf den Beginn der sexuellen Beziehung Ende Juli 2017 und den Beginn der Sommerferien. Damit sei fehlerhaft ein einheitliches innerdienstliches Dienstvergehen angenommen worden. Wegen der obigen Ausführungen, der Besonderheiten des Falles und des sog. „deciso-Status“ liege auch kein außerdienstliches Dienstvergehen vor. Der Beklagte habe nicht vorsätzlich im Sinne einer Zuwiderhandlung gegen das Distanzgebot verstoßen, das vorliegend mangels Lehrer-Schüler-Verhältnisses nicht greife. Wegen der Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung wäre allenfalls eine wesentlich mildere Maßnahme angezeigt gewesen. Zur Frage der verminderten Schuldfähigkeit des Beklagten hätte ein psychiatrisches Gutachten eingeholt werden müssen. Nach seinem Zusammenbruch am 10. November 2020 und einem Klinikaufenthalt von zehn Tagen habe er auf eigene Initiative eine Psychotherapie begonnen, in deren Verlauf eine Abspaltungsstörung mit narzisstischem Anteil diagnostiziert worden sei. Inzwischen sei er beruflich wieder voll einsetzbar. Er habe alle ihm möglichen Maßnahmen ergriffen, um einer Rückfalltendenz entgegenzuwirken. Ein Gericht müsse den Sachverständigenbeweis nach pflichtgemäßem Ermessen von Amts wegen erheben, wenn seine eigene Sachkunde nicht ausreiche, um schlüssig vorgetragene und wirksam bestrittene Tatsachen festzustellen. Im Rahmen der Zumessung habe das Verwaltungsgericht nicht ausreichend die Person des Beklagten mit weder straf- noch disziplinarrechtlichen Vorbelastungen, stets sehr guten dienstlichen Leistungen, seinen guten Beurteilungen sowie seinem Persönlichkeitsbild berücksichtigt.
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Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts München aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
11
Er verteidigt im Wesentlichen das angefochtene Urteil.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegte Strafakte, die Disziplinarakte sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auf die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (Art. 11 BayDG) erkannt.
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Der Beklagte hat ein innerdienstliches Dienstvergehen begangen (I.). Ein Lehrer, der eine mehrmonatige sexuelle Beziehung mit einer minderjährigen Schülerin unterhält, die ihm aufgrund seines Amtes zur Ausbildung und Erziehung besonders anvertraut ist, beeinträchtigt das für die Ausübung seines Berufs erforderliche Vertrauen seines Dienstherrn und sein Ansehen in der Öffentlichkeit auf das Schwerste und macht sich untragbar (II.). In diesem Fall ist die volle Ausschöpfung des Orientierungsrahmens geboten. Die in der Rechtsprechung entwickelten „anerkannten“ Milderungsgründe kommen dem Beklagten nicht zugute. Die Gesamtwürdigung aller be- und entlastenden Umstände ergibt, dass der Beklagte wegen des endgültigen Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist.
I.
15
In tatsächlicher Hinsicht legt der Senat seiner disziplinarrechtlichen Beurteilung die Feststellungen zum äußeren Geschehen im angefochtenen Urteil zugrunde, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (Art. 3 BayDG i.V.m. § 130b Satz 1 VwGO).
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1. Dies zugrunde gelegt bestand zwischen dem Beklagten und der im Juni 2000 geborenen Schülerin P.K. seit dem Schulball im Februar 2017 eine freundschaftliche Beziehung mit privatem WhatsApp-Kontakt und gemeinsamen Tanzübungsstunden in den Räumen des Gymnasiums. Dieser Kontakt intensivierte sich ab Juni 2017. Ende Juli 2017 entwickelte sich eine sexuelle Beziehung zwischen dem Beklagten und der minderjährigen Schülerin. Zwischen September 2017 und April 2018 fanden zwei- bis dreimal wöchentlich Treffen statt, bei denen es regelmäßig zum Geschlechtsverkehr kam. Die Schülerin beendete die Beziehung zu dem Beklagten im April 2018. Während des Zeitraums von Februar 2017 bis April 2018 besuchte die Schülerin P.K. nicht mehr das Gymnasium, an dem der Beklagte unterrichtete. Sie nahm als externe Schülerin an dem von ihm abgehaltenen Begabungsstützpunkt teil und erhielt hierfür im Schuljahr 2016/17 eine Teilnahmebescheinigung, nicht aber für das Schuljahr 2017/18, in dem sie lediglich den sog. „deciso-Status“ hatte. Die gemeinsame Zeit erfolgte im gegenseitigen Einvernehmen. Die Schülerin brachte tatsächlich und in einer Vielzahl von WhatsApp-Nachrichten ihr Interesse an der Aufrechterhaltung der Beziehung zum Ausdruck und vermittelte dem Beklagten den Eindruck, es gehe ihr sehr gut mit ihm. Sie legte ihm offen, dass sie ihre Sexualität auch mit anderen Männern auslebte.
17
Der Beklagte hat den Sachverhalt in der Stellungnahme seines Bevollmächtigten vom 16. Juli 2021 und in der persönlichen Anhörung vor der Disziplinarbehörde am 14. Februar 2022 eingeräumt. Darüber hinaus beruht der Sachverhalt auf den Zeugenaussagen der Schülerin P.K. in dem bei der zuständigen Staatsanwaltschaft durchgeführten Ermittlungsverfahren.
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2. Der Beklagte hat durch sein distanzloses Verhalten gegen die Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten (§ 34 Satz 3 BeamtStG in der bis 6.7.2021 geltenden Fassung – a.F.) verstoßen. Entsprechend des umfassenden Bildungsauftrags der Schule (Art. 1 und 2 BayEUG) hat ein Lehrer gegenüber den Schülern nicht nur die Pflicht zum Unterricht, sondern auch zur Erziehung unter Beachtung der Elternrechte. Er muss insbesondere die geistige und sittliche Entwicklung der ihm anvertrauten Kinder fördern und schützen. Schüler, Eltern, Dienstherr und Öffentlichkeit müssen sich unbedingt darauf verlassen können, dass sexuelle Kontakte zwischen Lehrern und Schülern unterbleiben. Deswegen bedarf eine Lehrkraft in besonderem Maße des uneingeschränkten Vertrauens sowohl des Dienstherrn als auch der Eltern, die ihre Kinder in die Obhut der Schule geben. Eltern und Öffentlichkeit müssen darauf vertrauen können, dass ein Lehrer seine minderjährigen Schüler nicht in verfängliche Situationen bringt, die es als fraglich erscheinen lassen, dass er die psychische und physische Integrität, die Intimsphäre sowie die sexuelle Selbstbestimmung der Schüler in der gebotenen Weise respektiert. Die so beschriebene Grenze ist überschritten, weit bevor (strafrechtlich erhebliche) sexuelle Übergriffe oder gar sexueller Missbrauch zur Diskussion stehen. Minderjährige Schülerinnen und Schüler werden durch Lehrer als ihre Vorbilder – auch psychisch – beeinflusst. Damit dies ausschließlich auf dem dafür wie oben beschrieben vorgesehenen Boden geschieht, müssen partnerschaftlich-freundschaftliche ebenso wie erst recht Liebesbeziehungen zwischen Lehrerinnen oder Lehrern auf der einen und Schülerinnen oder Schülern auf der anderen Seite unterbleiben (OVG NW, U.v. 14.3.2018 – 3d A 502/17.O – juris Rn. 55 bis 58). Bereits um den Schulfrieden potentiell beeinträchtigende Sorgen der Eltern zu vermeiden, ist daher jedes Verhalten zu unterlassen, das den berechtigten Verdacht entsprechender Grenzüberschreitungen begründet (vgl. OVG NW, U.v. 3.11.2023 – 31 A 1600/21.O – juris Rn. 100 m.w.N.). Unabhängig von dem Individualrechtsschutz erwartet die Allgemeinheit von der Schule, dass ein Unterricht gewährleistet ist, der allein von sachlichen Kriterien und nicht von sexuellen Interessen geleitet ist.
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Soweit der Beklagte meint, es habe kein Lehrer-Schüler-Verhältnis vorgelegen, weil weder der „Dinner-und-Dance“-Abend noch der Begabungsstützpunkt für die Schülerin, die ein anderes Gymnasium am Ort besucht habe, eine Schulveranstaltung gewesen sei, da die Schülerin am Begabungsstützpunkt lediglich freiwillig als Gast ohne Anwesenheitspflicht und ohne Abhängigkeitsverhältnis teilgenommen habe, vermag er damit nicht durchzudringen.
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Die an einzelnen Gymnasien abgehaltenen sog. Begabungsstützpunkte sind Bausteine des Förderprogramms des StMUK zur Begabtenförderung an den bayerischen Gymnasien. Das StMUK sieht die Begabtenförderung als Kernaufgabe jeder Schule. Die Koordination obliegt den Ministerialbeauftragten für die Gymnasien (vgl. https://www.km.bayern.de/ministerium/institutionen/ministerialbeauftragte-gymnasium/oberbayern-ost/begabtenfoerderung.html). Diese eröffnen in ihren Bezirken besonders begabten Kindern und Jugendlichen ein über den jeweiligen Lehrplan hinausgehendes, anspruchsvolles Ergänzungsangebot. Um geeigneten Schülerinnen und Schülern, die nicht auf eines von acht Kompetenzzentren für Begabtenförderung in Bayern wechseln können und wollen, und um Schülerinnen und Schülern mit Inselbegabungen weitere Angebote machen zu können, gibt es unter anderem die Regionalzentren für Begabtenförderung (Begabungsstützpunkte). Im Bereich des Ministerialbeauftragten für die Gymnasien Oberbayern-Ost haben vier Gymnasien, darunter das Gymnasium, an dem der Antragsteller unterrichtete, einen Begabungsstützpunkt eingerichtet.
21
Angesichts dieser Rahmenbedingungen ist der vom Beklagten abgehaltene Begabungsstützpunkt Biologie/Chemie, der während der Unterrichtstage (freitagnachmittags), in den Räumen und mit Personal des Gymnasiums (unter Anrechnung auf das Stundenkontingent der Lehrkraft) durchgeführt wurde, zu Recht als schulische Veranstaltung zu qualifizieren. Denn eine (sonstige) Schulveranstaltung ist nach Art. 30 Abs. 3 BayEUG eine Veranstaltung einer Schule, die einen unmittelbaren Bezug zu den Aufgaben der Schule, nämlich Erziehung und Unterricht, aufweist. Sie kann den Unterricht sachlich ergänzen, erweitern, unterstützen oder verdeutlichen, kann aber auch vorwiegend der Erziehung oder der Bereicherung des Schullebens dienen. Daran gemessen stellt der durch den Beklagten abgehaltene Begabungsstützpunkt eine Ergänzung des naturwissenschaftlichen Unterrichts („in Verbindung mit dem Schulstoff“ vgl. Homepage des Gymnasiums) und ein wichtiges Angebot im Rahmen der Begabtenförderung an bayerischen Gymnasien als „Kernaufgabe“ der Schule in Erfüllung ihres Bildungsauftrags dar.
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Eine Teilnahme- oder Anwesenheitspflicht ist für die Klassifizierung eines entsprechenden zusätzlichen Unterrichtsangebots als Schulveranstaltung ohne Bedeutung. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Schule – wie hier – die Verantwortung für die Organisation und die Durchführung der Veranstaltung trägt (Dirnaichner in PdK BayG-1, Stand Mai 2022, 1.1 zu Art. 30 BayEUG). Die Teilnahme an (sonstigen) schulischen Veranstaltungen sowie deren Vorbereitung gehören zu den dienstlichen Aufgaben der Lehrkraft (§ 4 Abs. 1 Satz 1 der Lehrerdienstordnung – LDO). Während der Schulveranstaltung oblag dem Beklagten als zuständiger Lehrkraft nicht nur die Aufsichtspflicht (§ 39 GSO; § 5 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 LDO), sondern die unmittelbare pädagogische Verantwortung für den Unterricht und die Erziehung der Schüler (Art. 59 BayEUG).
23
Der vom Beklagten selbst eingeführte sog. deciso-Status steht dem Charakter des Begabungsstützpunktes als schulische Veranstaltung, insbesondere auch für die betroffene Schülerin, nicht entgegen. Darauf, dass die Schülerin schon im Besitz eines Teilnehmerzertifikats war und an dem Kurs freiwillig als Gast erneut teilgenommen hat, kommt es nicht an. Sie hatte keinen etwaigen Sonderstatus inne, der die Tat in einem milderen Licht erscheinen ließe. Auch Schülerinnen und Schüler, die an freiwilligen Wahlkursen an einer anderen Schule teilnehmen, sind ihrer dortigen Lehrkraft anvertraut und nicht weniger schutzbedürftig als diejenigen Schülerinnen und Schüler, die zugleich am Regelunterricht an der Schule teilnehmen, an der die Lehrkraft unterrichtet. Hinzu kommt, dass die Gastschüler anderer Gymnasien – wie die Schülerin – auf einer Teilnehmerliste vermerkt waren, die über das Rektorat der Schule an die Dienststelle des Ministerialbeauftragten (MB-Dienststelle) übermittelt wurden (Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem VG v. 22.6.2022, S. 4). Die Budgetstunden wurden beim zuständigen Ministerialbeauftragten beantragt, mit zwei Wochenstunden bewilligt und im System der Amtlichen Schulverwaltung (ASV) eingetragen. Die Fachbetreuer von Schülerinnen und Schülern anderer Gymnasien waren über deren Teilnahme am Begabungsstützpunkt in der Regel informiert. Dies geschah mit dem Ziel, die Teilnahme im ASV zu vermerken (Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem VG v. 22.6.2022, S. 3).
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Disziplinarrechtlich unerheblich ist der Umstand, dass die zuständige Staatsanwaltschaft das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Zum einen besteht nur hinsichtlich tatsächlicher Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren eine Bindungswirkung (vgl. Art. 25 Abs. 1, Art. 55 Halbsatz 1, Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayDG), nicht hingegen bezüglich der Sachverhaltsfeststellungen einer staatsanwaltlichen Einstellungsverfügung. Zum anderen setzt – wie bereits dargestellt – eine Verletzung des Distanzgebots ein strafrechtlich relevantes Handeln nicht voraus (stRspr. vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2010 – 16a D 08.1287 – juris Rn. 89; OVG NW, U.v. 14.3.2018 – 3d A 502/17.O – juris Rn. 58); strafbares Handeln könnte die Schwere der Pflichtverletzung erhöhen, beeinflusst deren Vorliegen aber nicht (OVG NW, U.v. 14.4.2021 – 3d A 1050/20.O – juris Rn. 81). Strafrecht und Disziplinarrecht dienen unterschiedlichen Zwecken. Aufgabe des Disziplinarrechts ist es, die Funktionsfähigkeit und das Ansehen des öffentlichen Dienstes zu sichern. Deshalb kann eine Verfehlung disziplinarrechtlich äußerst schwerwiegend sein, die strafrechtlich nicht relevant ist. § 174 StGB verlangt zudem nicht nur das Bestehen eines Lehrer-Schüler-Verhältnisses, sondern darüber hinaus den Missbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit (Abs. 1 Nr. 2) bzw. dass die Person, der in einer dazu bestimmten Einrichtung die Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung von Personen unter achtzehn Jahren anvertraut ist, ihre Stellung ausnutzt (Abs. 2 Nr. 2 StGB).
25
Ungeachtet dessen wäre hier im Übrigen auch aus strafrechtlicher Sicht von einem Obhutsverhältnis zwischen dem Beklagten und der Schülerin auszugehen. Mit dem Neunundvierzigsten Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht (BGBl 2015 S. 10) hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der bis dahin aus seiner Sicht zu engen Auslegung des Tatbestandsmerkmals des „Anvertraut-Seins zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung“ den § 174 Abs. 2 StGB mit Wirkung vom 27. Januar 2015 neu formuliert, um alle strafwürdigen Fälle zu erfassen (BT-Drs. 18/2601, S. 27). Allein die überlegene soziale Rolle des Erwachsenen in einem Erziehungs-, Ausbildungs- oder Betreuungsverhältnis vermag demnach schon ein dem konkreten Obhutsverhältnis gleichkommendes Machtgefälle zwischen dem Jugendlichen und dem betreffenden Erwachsenen zu begründen, ohne dass zwischen dem Erwachsenen und dem Jugendlichen ein konkretes Über- und Unterordnungsverhältnis besteht. Es handele sich um ein strukturelles, Institutionen innewohnendes Macht- und Autoritätsgefälle, das es geraten erscheinen lässt, diese Institutionen von sexuellen Beziehungen im grundsätzlichen Über- und Unterordnungsverhältnis insoweit frei zu halten, als Jugendliche daran beteiligt seien. Bei Jugendlichen mit noch ungefestigter sexueller Selbstbestimmung bestehe die Gefahr, dass sie sozial überlegenen erwachsenen Personen auch dann nicht auf gleicher Ebene begegnen und Gebrauch von ihrer sexuellen Selbstbestimmung machen können, wie sie es gleichgestellten Personen gegenüber könnten. Ihre sexuelle Selbstbestimmung sei damit diesen Personen gegenüber in vergleichbarer Weise gefährdet wie gegenüber Personen, denen sie zur Erziehung, Ausbildung oder Betreuung in der Lebensführung anvertraut worden seien. Als Beispiel könne ein Schulverhältnis dienen, in dem den Lehrern der Schule gegenüber den diese Schule besuchenden Schülern Autorität zukomme, ohne dass es sich dabei um den Klassen- oder Fachlehrer handeln müsse (BT-Drs. 18/2601, S. 27).
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Bereits vor Inkrafttreten des seit 27. Januar 2015 geltenden § 174 Abs. 2 StGB war in der strafrechtlichen Rechtsprechung (BGH, B.v. 6.5.2014 – 4 StR 503/13 – juris Rn. 13) anerkannt, dass eine Obhutsbeziehung im Lehrer-Schüler-Verhältnis nicht auf die Erteilung von (verbindlichem) Regelunterricht etwa durch den Klassen- oder Fachlehrer beschränkt ist. Sie kann auch unabhängig davon zu bejahen sein, etwa bei Aufsichtstätigkeiten oder im Rahmen besonderer Veranstaltungen der Schule, zu denen sogar die Durchführung einer von den Schulbehörden genehmigten, nicht zum regulären Unterricht zählenden Arbeitsgemeinschaft, wie z.B. eines freiwilligen Sanitätsdienstes, gehören kann. Maßgeblich ist der Schutzzweck der Vorschrift, wonach Minderjährige und daher regelmäßig noch nicht ausgereifte Menschen vor sexuellen Übergriffen durch Autoritätspersonen bewahrt werden sollen, denen sie anvertraut sind (vgl. BGH, U.v. 5.11.1985 – 1 StR 491/85 – BGHSt 33, 340, 344).
27
3. Aufgrund des hier zu bejahenden Lehrer-Schüler-Verhältnisses hat der Beklagte das Dienstvergehen innerdienstlich begangen. Für die rechtliche Einordnung eines Verhaltens als innerdienstliche Pflichtverletzung kommt es in erster Linie auf die materielle Dienstbezogenheit an. Entscheidend für die rechtliche Einordnung eines Verhaltens als innerdienstliche Pflichtverletzung ist dessen kausale und logische Einbindung in ein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2001 – 1 D 55.99 – juris Rn. 57). Diese kausale und logische Einbindung in das Amt des Beklagten als Lehrer ist gegeben. Der Ursachenzusammenhang folgt aus der Stellung des Beklagten gegenüber der Schülerin als ihr damaliger Lehrer im Begabungsstützpunkt mit entsprechenden Pflichten ihr gegenüber einschließlich des Distanzgebots (vgl. BayVGH, U.v. 10.7.2019 – 16a D 17.1249 – juris Rn. 32; U.v. 13.6.2012 – 16a D 10.1098 – juris Rn. 39; U.v. 24.5.2017 – 16a D 15.2267 – juris Rn. 168; OVG NW, U.v. 30.3.2017 – 3d A 1512/13.O – juris Rn. 91 ff.). Nicht maßgeblich ist hingegen, dass die Verfehlungen nicht während der Schulstunden oder im Schulgebäude stattgefunden haben (BayVGH, U.v. 15.12.2010 – 16a D 08.1287 – juris Rn. 90; OVG NW, U.v. 14.4.2021 – 3d A 1050/20.O – juris Rn. 67) sowie die Frage, ob der Dinner & Dance Abend im Februar 2017 eine Schulveranstaltung gewesen ist oder nicht.
II.
28
Die festgestellte Dienstpflichtverletzung wiegt in ihrer Gesamtheit so schwer, dass die Entfernung aus dem Dienst die angemessene Disziplinarmaßnahme ist.
29
1. Nach Art. 14 Abs. 1 BayDG ist die Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme nach der Schwere des Dienstvergehens und unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbildes des Beamten sowie des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit zu treffen. Das Gewicht der Pflichtverletzung ist danach Ausgangspunkt und richtungsweisendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies beruht auf dem Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die auch im Disziplinarverfahren Anwendung finden. Die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 12 m.w.N.).
30
Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist nur zulässig, wenn der Beamte wegen der schuldhaften Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht das für die Ausübung seines Amts erforderliche Vertrauen endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG). Nur so können die Integrität des Berufsbeamtentums und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung der Beamten aufrechterhalten werden. Ist die Weiterverwendung eines Beamten wegen eines von ihm begangenen schweren Dienstvergehens nicht mehr denkbar, muss er durch eine Disziplinarmaßnahme aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 12 ff.).
31
Da die Schwere des Dienstvergehens nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 BayDG maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme ist, muss das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des Art. 6 Abs. 1 BayDG aufgeführten Disziplinarmaßnahmen zugeordnet werden. Bei der Auslegung des Begriffs „Schwere des Dienstvergehens“ ist maßgebend auf das Eigengewicht der Verfehlung abzustellen. Hierfür können bestimmend sein objektive Handlungsmerkmale (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, z.B. Kern- oder Nebenpflichtverletzungen, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, z.B. Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und für Dritte (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 a.a.O. Rn. 16).
32
2. Die in Ausfüllung dieses Rahmens zu treffende Bemessungsentscheidung nach Maßgabe des Art. 14 BayDG führt zur Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis, weil er durch sein Dienstvergehen das Vertrauen des Klägers und auch der Allgemeinheit endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG).
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2.1 Die volle Ausschöpfung des gebildeten Orientierungsrahmens ist hier wegen der konkreten Umstände des Dienstvergehens geboten.
34
Der Beklagte hat seine Nichteignung für den Lehrerberuf gezeigt. Wie dargestellt ist ein Lehrer nach dem umfassenden Bildungsauftrag der Schule nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern auch zur Erziehung der Kinder verpflichtet. Er muss insbesondere die geistige und sittliche Entwicklung der ihm anvertrauten Kinder fördern und schützen. Bezogen auf das Amt eines Lehrers verlangt die Wohlverhaltenspflicht – wie unter I.2 ausgeführt – die Einhaltung strikter körperlicher Distanz zu Schülerinnen und Schülern. Es gehört zu den Pflichten eines verbeamteten Lehrers, die Integrität der Schüler zu wahren, ihre behutsame Entwicklung zu gewährleisten und dem Anspruch und Vertrauen der Schüler und ihrer Eltern darauf gerecht zu werden, dass Lehrer das Obhuts- und Näheverhältnis zu den Schülern nicht zur Verfolgung eigener Bedürfnisse nutzen. Daraus folgt, dass beim Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern körperliche Distanz einzuhalten ist, auch dann, wenn ein Schüler mit deren Aufgabe einverstanden ist. Diese Pflicht betrifft den Kernbereich der pädagogischen Pflichten; ihre Verletzung macht den Beamten regelmäßig untragbar (BayVGH, U.v. 12.3.2013 – 16a D 11.624 – juris Rn. 65; U.v. 15.12.2010 – 16a D 08.1287 – juris Rn. 84; OVG NW, U.v. 3.11.2023 – 31 A 1600/21.O – juris Rn. 134; U.v. 14.3.2018 – 3d A 502/17.O – juris Rn. 78 f. m.w.N.).
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Sexuelle Kontakte sind im Interesse der Funktionsfähigkeit des Schulbetriebs aus dem Erziehungs- und Ausbildungsverhältnis fernzuhalten. Eltern müssen darauf vertrauen können, dass die eingesetzten Lehrer zu jeder Zeit dem Distanzgebot Rechnung tragen. Ansonsten steht ein Fundament staatlicher Beschulung in Frage. Unabhängig von dem Individualrechtsschutz erwartet die Allgemeinheit von der Schule, dass ein Unterricht gewährleistet ist, der allein von sachlichen Kriterien und nicht von sexuellen Interessen geleitet ist. Durch das Eingehen sexueller Beziehungen mit einer Schülerin oder einem Schüler verliert ein Lehrer die für die Wahrnehmung seiner pädagogischen Aufgabe notwendige Distanz. Abgesehen von den Folgen für die betroffene Schülerin oder den betroffenen Schüler müssen sexuelle Beziehungen die Schüler- und die Elternschaft generell befürchten lassen, dass das Lehrer-Schüler-Verhältnis damit sachwidrig beeinflussbar ist. Das Schulklima würde dadurch in unerträglicher Weise belastet (OVG NW, U.v. 14.4.2021 – 3d A 1050/20.O – juris Rn. 75 unter Berufung auf BVerwG, B.v. 1.3.2012 – 2 B 140.11 – juris Rn. 9). Die Wahrung der Integrität der Schüler, die Pflicht zur Gewährleistung ihrer behutsamen Entwicklung sowie Anspruch und Vertrauen der Schüler und Eltern darauf, dass Lehrer das Obhuts- und Näheverhältnis zu den Schülern nicht zur Verfolgung eigener Bedürfnisse ausnutzen, verpflichten den Lehrer dazu, sich in sexueller Hinsicht uneingeschränkt korrekt – in Wort und Tat – zu verhalten (vgl. BayVGH, U.v. 9.4.2014 – 16a D 12.1439 – juris Rn. 91).
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Mit dem Eingehen einer sexuellen Beziehung mit einer minderjährigen Schülerin hat der Beklagte in erster Linie seine eigenen Bedürfnisse befriedigt, die Erfordernisse seines Berufs, insbesondere das der sexuellen Zurückhaltung, zurücktreten lassen und sich damit als Lehrer und Pädagoge untragbar erwiesen. Sein Verhalten stellt eine eklatante Überschreitung der durch den pädagogischen Auftrag bestimmten Grenze zwischen Lehrer und Schülerin dar. Obwohl der Beklagte nach der Heimfahrt der Schülerin nach dem Dinner & Dance Abend sogar von einem Kollegen darauf hingewiesen wurde, dass er damit die notwendige Distanz zur Schülerin überschreite und dies künftig zu unterlassen habe (vgl. Persönlichkeitsbild v. 28.10.2020), setzte er sein Verhalten fort und intensivierte sogar die Beziehung mit seiner Schülerin.
37
Zu seinen Lasten ist die Intensität der sexuellen Beziehung zu berücksichtigen. Die Schülerin gab im Rahmen der polizeilichen Vernehmung an, sich zwischen September 2017 und April 2018 jede Woche zwei oder dreimal getroffen zu haben – „vorrangig eigentlich nur um Sex zu haben“ (Strafakte S. 52). Auch der Beklagte räumte bei seiner Anhörung vor der Disziplinarbehörde am 14. Februar 2022 ein, dass es bei ihren Treffen abhängig von den „Rahmenbedingungen, wenn die Orte dies zugelassen haben“ immer zum Geschlechtsverkehr (in seinem Fahrzeug oder bei der Schülerin zu Hause) gekommen sei (Disziplinarakte S. 246). Diese Aussage erweckt den Eindruck, dem knapp 25 Jahre älteren Beklagten sei es maßgeblich um die Befriedigung seiner physiologischen sexuellen Bedürfnisse gegangen. Im Zeitraum der vorgeworfenen Handlungen war die Schülerin noch minderjährig. Zu berücksichtigen war auch, dass es sich bei dem Dienstvergehen nicht um ein einmaliges Fehlverhalten handelte, sondern die sexuelle Beziehung über einen Zeitraum von acht Monaten andauerte und die Schülerin ihren Angaben im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nach erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten hat. Diese habe die Schülerin dem Beklagten auch offenbart, der darauf aber nicht eingegangen sei (Strafakte S. 148). Die Schülerin hat gegenüber dem Beklagten auch mehrfach angesprochen, dass sie die Geheimhaltung ihrer Beziehung gegenüber ihren Eltern stark belaste (vgl. Stellungnahme v. 16.7.2021 – Disziplinarakte S. 122, 125). Auch dieser Aspekt, eine Schülerin sehenden Auges einem Interessenkonflikt mit ihren Eltern auszusetzen, ist für einen Pädagogen inakzeptabel.
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Erschwerend ist im Rahmen des Persönlichkeitsbildes des Beamten auch die weitere sexuelle Beziehung mit einer anderen minderjährigen, psychisch labilen ehemaligen Schülerin zu berücksichtigen. Den strafrechtlichen Ermittlungsakten zufolge unterrichtete der Beklagte diese Schülerin in der Oberstufe durchgehend in dem Fach Chemie. Zwei Wochen nach dem Abiball sei es im Sommer 2018, ca. drei Monate nach Beendigung des Verhältnisses zu der Schülerin P.K., zu einem ersten sexuellen Kontakt gekommen. Auch die zweite Schülerin habe an psychischen Problemen gelitten. Sie habe sich wegen einer depressiven Episode, Magersucht und selbstverletzenden Verhaltens ca. zwei Monate nach ihrem Abitur für sechs Wochen stationär in eine Klinik begeben müssen. Beide Schülerinnen hätten gemeinsam beschlossen, ihre sexuellen Beziehungen mit dem Beklagten der Schulleitung zu melden, weil sie das Gefühl gehabt hätten, „ihre Unreife und psychologische Situation [sei] ausgenutzt“ worden. Sie hätten verhindern wollen, dass „noch weitere Mädchen (…) oder generell junge Leute (…) in diese Situation kommen und so darunter leiden müssen“ (Strafakte S. 71 f.).
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Art. 58 Abs. 2 Satz 1 BayDG steht einer Berücksichtigung dieser Umstände nicht entgegen. Denn dem Gericht – etwa durch die Behördenakten oder im Rahmen einer Beweiserhebung – bekannt gewordene zumessungsrelevante Umstände können im Rahmen der Zumessungserwägungen nach Art. 14 BayDG, etwa bei der Beurteilung der Persönlichkeit des Beamten sowie im Rahmen aller bemessungsrelevanten be- und entlastenden Gesichtspunkte, ohne Weiteres berücksichtigt werden (vgl. Urban in Urban/Wittkowski, BDG, 2. Aufl. 2017, § 60 Rn. 12; BVerwG, B.v. 9.10.2014 – 2 B 60.14 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 20.9.2023 – 16a D 22.172 – juris Rn. 37).
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Insgesamt ist daher wegen des Versagens im Kernbereich der Dienstpflichten und der groben Verletzung des verfassungsrechtlichen Erziehungsauftrags (Art. 131 Abs. 2 BV) die volle Ausschöpfung des Orientierungsrahmens geboten.
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2.2 Die in der Rechtsprechung entwickelten sogenannten „anerkannten“ Milderungsgründe kommen dem Beklagten nicht zugute.
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2.2.1 Der Beklagte kann sich nicht auf eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des §§ 20, 21 StGB als Milderungsgrund berufen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte aufgrund einer krankhaften oder anderen seelischen Störung gemäß §§ 20, 21 StGB im Zustand erheblich eingeschränkter Steuerungs- und damit verminderter Schuldfähigkeit gehandelt hat.
43
Der Beklagte trägt vor, ihm sei eine „Abspaltungsstörung mit narzisstischem Anteil“ diagnostiziert worden, ohne hierfür eine Diagnose nach der ICD-10 zu benennen oder Atteste bzw. Stellungnahmen behandelnder Ärzte oder Therapeuten vorzulegen. Während des Zeitraums der sexuellen Beziehung war der Beklagte nicht wegen psychischer Auffälligkeiten in ärztlicher Behandlung. Vielmehr war er im Zeitraum des engen Kontakts zu der Schülerin P. K. uneingeschränkt zur Ausübung seines Dienstes fähig und hat auch in dieser Zeit gute Leistungen erbracht. Darüber hinaus handelt es sich bei der Pflicht eines Lehrers zur Wahrung einer angemessenen Distanz gegenüber einer Schülerin oder einem Schüler um eine elementare, ohne Weiteres einsehbare und einfach zu befolgende Dienstpflicht. Schließlich gab der Beklagte selbst an (Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem VG v. 22.6.2022), erst drei Tage nach Zustellung der Einleitungsverfügung (am 10.11.2020) einen psychischen Zusammenbruch erlitten zu haben, der zu einem anschließenden Klinikaufenthalt geführt habe. Worauf der Antragsteller seine Behauptung stützt, „im fraglichen Zeitraum“ habe eine erhebliche Störung im Sinne des § 21 StGB vorgelegen, bleibt offen. Beweisanregungen „ins Blaue hinein“ sowie die Bereitschaft, dass „natürlich auch ein vom Gericht festzulegender Gutachter eingeschaltet werden kann“, genügen nicht, um Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit während des Zeitraums der sexuellen Beziehung mit der minderjährigen Schülerin zu begründen.
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2.2.2 Bei der Schwere des von dem Beklagten begangenen Dienstvergehens, aufgrund dessen er sich als Beamter untragbar gemacht hat, können weder die fehlende Vorbelastung noch die dienstlichen Leistungen und das von der Schulleitung erstellte Persönlichkeitsbild (vom 28.10.2020) zur Verhängung einer milderen Disziplinarmaßnahme führen. Diese Umstände stellen das normale Verhalten zur Erfüllung der Dienstpflichten dar und sind nicht geeignet, die Schwere des Dienstvergehens derart abzumildern, dass bei einem Beamten, der das in ihn gesetzte Vertrauen von Grund auf erschüttert hat, von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abgesehen werden könnte (BayVGH, U.v. 29.7.2015 – 16b D 14.1328 – juris Rn. 40; BVerwG, B.v. 5.4.2013 – 2 B 79.11 – juris Rn. 27).
45
2.2.3 Anhaltspunkte für das Vorliegen weiterer sog. anerkannter Milderungsgründe wie „Handeln in einer einmaligen persönlichkeitsfremden Augenblickstat“ bestehen nicht. Ein persönlichkeitsfremdes Verhalten liegt im Hinblick auf das planvolle Vorgehen des Beklagten und der weiteren sexuellen Beziehung mit einer anderen minderjährigen, psychisch labilen Schülerin nach deren Ausscheiden aus dem Schulverhältnis nicht vor. Von einem durch Spontaneität und Kopflosigkeit bestimmten Verhalten als Charakteristikum der persönlichkeitsfremden Augenblickstat kann bei dem auf Dauerhaftigkeit der Pflichtverletzungen ausgerichteten Verhalten (sexuelle Beziehung von Juli 2017 bis April 2018) nicht ausgegangen werden (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2016 – 2 WD 19.15 – juris Rn. 55).
46
3. Art. 14 Abs. 1 BayDG sowie das im Disziplinarverfahren geltende Schuldprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangen, dass – über die in der Rechtsprechung entwickelten „anerkannten“ Milderungsgründe hinaus – bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme sämtliche be- und entlastenden Gesichtspunkte ermittelt und von dem Gericht bei seiner Entscheidung berücksichtigt werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2015 – 2 C 6.14 – juris Rn. 37).
47
Die Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände ergibt jedoch, dass der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist, weil er durch das Dienstvergehen das Vertrauen des Klägers und der Allgemeinheit endgültig verloren hat (Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BayDG).
48
3.1 Es liegen keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte die sexuelle Beziehung mit der minderjährigen Schülerin im Rahmen einer inzwischen überwundenen negativen Lebensphase geführt hat. Wie bereits im Zusammenhang mit den Darlegungen zur verminderten Schuldfähigkeit ausgeführt, wurden hierfür keine belastbaren Hinweise dargetan. Ob sich aus dem Vortrag des Beklagten, er habe vielfältige Maßnahmen zur Verhinderung eines Rückfalls ergriffen, die prognostische Gesamtwürdigung ergibt, der Beklagte werde in Zukunft nicht mehr gegen seine Dienstpflichten verstoßen, kann letztlich dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls ist die durch das gravierende Fehlverhalten des Beklagten herbeigeführte Zerstörung des Vertrauens des Dienstherrn und der Allgemeinheit bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Der durch seine Handlungen herbeigeführte vollständige Vertrauens- und Autoritätsverlust lässt sich nicht durch die nachträgliche Korrektur einer früheren negativen Lebensphase rückgängig machen (BayVGH, U.v. 12.7.2006 – 16a D 05.981 – juris Rn. 27).
49
Aus diesem Grund scheidet auch eine durchgreifende Berücksichtigung der offenbar auf eigene Initiative begonnenen therapeutischen Aufarbeitung aus (BVerwG, B.v. 25.5.2012 – 2 B 133.11 – juris Rn. 17; BayVGH, U.v. 20.9.2023 – 16a D 22.172 – juris Rn. 34). Der aufgrund des schweren Dienstvergehens erlittene Vertrauensverlust des Beamten ist ungeachtet einer positiv verlaufenden Therapie nicht mehr reparabel.
50
3.2 Selbst wenn die Schülerin die Beziehung ebenso gewollt hätte wie der Beklagte und die Initiative teilweise von ihr ausgegangen wäre, würde dies den Beamten nicht entlasten. Denn in seiner Stellung als Lehrer hätte er sich konsequent allen entsprechenden Ansinnen entziehen müssen (OVG NW, U.v. 14.4.2021 – 3d A 1050/20.O – juris Rn. 103; vgl. OVG RhP, U.v. 24.2.2012 – 3 A 11426.11 – juris Rn. 33). Zudem bestehen zahlreiche Anhaltspunkte dafür, dass die Annäherung zwischen ihm und der Schülerin auch vom Beklagten ausging. So hat der Beklagte nach dem Dinner & Dance Abend im Februar 2017 der Schülerin vorgeschlagen, sie nach Hause zu fahren, sich zu zweit in der Schule in einem Klassenzimmer zu treffen, um zusammen Standardtanzen zu üben (Strafakte S. 41), sich im Sommer 2017 an einem Badesee an die Schülerin „rangekuschelt“ und angefangen, ihren „Rücken zu streicheln“ (Strafakte S. 49) sowie nach eigener Einlassung (Schr. v. 26.4.2021 – Strafakte S. 173) vermutlich Anfang September 2017 die Schülerin gefragt, ob sie mit ihm schlafen wolle. Inwieweit die Schülerin während ihrer sexuellen Beziehung mit dem Beklagten auch andere sexuelle Kontakte unterhielt, unterliegt ihrer Privatsphäre und ist für die Dienstpflichtverletzung des Beklagten ohne Belang.
51
3.3 Ein mögliches Einverständnis der betroffenen Schülerin – das diese im Nachhinein sichtlich bereut und auf ihre Unreife und psychologische Situation zurückgeführt hat – ist unbeachtlich. Denn es handelt sich bei der schulischen Ausbildung um eine mehrpolige Rechtsbeziehung: Schule, Schulleitung und Lehrer auf der einen Seite, Schüler und ihre Eltern auf der anderen Seite. Hinzu kommen noch die Schülerschaft, die Elternschaft und – ganz allgemein – die Öffentlichkeit (mit ihrer Wahrnehmung dessen, was in der Schule geschieht). Der Rechtsverzicht eines Schülers oder aber seiner Erziehungsberechtigten betrifft nur ihr Verhältnis zum Lehrenden und ggf. zur Schule. Da aber zugleich die Rechtskreise der anderen Schüler, ihrer Eltern, der Elternschaft und der Öffentlichkeit betroffen sind und einzelnen die Befugnis zur Disposition hierüber fehlt, ist der Rechtsverzicht insoweit unwirksam und mithin unbeachtlich (OVG NW, U.v. 14.4.2021 – 3d A 1050/20.O – juris Rn. 109 ff.; U.v. 3.11.2023 – 31 A 1600/21.O – juris Rn. 163).
52
Das ehrenamtliche Engagement (z.B. in Vereinen) erweist sich ohne dienstlichen Bezug. Weder ist es von Belang noch geeignet, die mit dem Dienstvergehen einhergehende Vertrauensbeeinträchtigung aufzuwiegen.
53
4. Angesichts des vom Beklagten begangenen Dienstvergehens und der aufgezeigten Gesamtwürdigung ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nicht unverhältnismäßig. Der Beklagte hat ein besonders schweres Fehlverhalten gezeigt. Er hat die Vertrauensgrundlage für die Fortsetzung des Beamtenverhältnisses endgültig zerstört. Seine Entfernung aus dem Dienst ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Beamtenverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Beamten ist nicht unverhältnismäßig oder unvereinbar mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise. Sie beruht auf dem vorangegangenen Fehlverhalten des für sein Handeln verantwortlichen Beklagten, der sich bewusst gewesen sein muss, dass er hiermit seine berufliche Existenz aufs Spiel setzt.
54
Eine anderweitige Verwendung des Beklagten – etwa im Bereich der Erwachsenenbildung, verbunden mit einer Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis – kommt nicht als „mildere Maßnahme“ in Betracht. Wenn – wie hier – das Vertrauensverhältnis des Dienstherrn zu dem Beamten endgültig zerstört ist, weil er als Beamter „nicht mehr tragbar ist“ und es dem Dienstherrn nicht zumutbar ist, das Beamtenverhältnis mit dem Beklagten fortzusetzen, muss der Frage, ob der Beamte anderweitig, ggf. in einer anderen Laufbahn eingesetzt werden kann, nicht nachgegangen werden. Die Prüfung, ob der eines Dienstvergehens schuldige Beamte im Beamtenverhältnis verbleiben darf, hat sich auf sein Amt als Ganzes und nicht nur auf einen begrenzten Tätigkeitsbereich zu beziehen. Das Disziplinargericht kann einer Behörde nicht eine eingeschränkte Verwendung eines disziplinar in Erscheinung getretenen Beamten vorschreiben (vgl. BVerwG, U.v. 22.5.1996 – 1 D 72.95 – juris 19).
55
5. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 72 Abs. 1 Satz 1 BayDG.
56
Das Urteil ist mit seiner Verkündung rechtskräftig geworden (Art. 64 Abs. 2 BayDG, Art. 3 BayDG i.V.m. § 116 Abs. 1 VwGO).