Inhalt

VGH München, Urteil v. 17.12.2024 – 15 N 23.1106
Titel:

Erforderlichkeit eines Bebauungsplans

Normenkette:
BauGB § 1 Abs. 3, Abs. 7
Leitsatz:
Es stellt im Rahmen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung ein zulässiges Ziel der Planung dar, eine seit Jahrzehnten bestehende, faktisch öffentliche Verkehrsfläche auf einem privaten Grundstück  dauerhaft als öffentliche Verkehrsfläche zu sichern, um aus Verkehrssicherheitsgründen die Befahrbarkeit der Erschließungsstraße in voller Breite zu erhalten. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolle, Erforderlichkeit, kein Abwägungsfehler, Abwägung, Bekanntmachung, Erschließung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36837

Tenor

I. Der Normenkontrollantrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.  

Tatbestand

1
Die Antragstellerin wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. 60 „An der H.-straße“.
2
Im Innerortsbereich des Antragsgegners zweigt von der Hauptstraße eine Stichstraße ab, durch die einige Grundstücke erschlossen werden. Der Großteil der Stichstraße steht im Eigentum des Antragsgegners und ist als öffentliche Verkehrsfläche gewidmet. Eine im südwestlichen Bereich der Stichstraße liegende kleine Teilfläche des westlich an die Stichstraße angrenzenden Grundstücks der Antragstellerin, auf dem sich ein Gewerbebetrieb befand, wird seit Jahrzehnten als Teil der Stichstraße für öffentliche Verkehrszwecke genutzt, ohne gewidmet zu sein. Im Jahr 2020 errichtete die Antragstellerin an dieser Grundstücksgrenze zwischen dem Grundstück des Antragsgegners und dem Grundstück der Antragstellerin eine Absperrung.
3
Der Bebauungsplan umfasst den südlichen Teil der Stichstraße entlang ihres nicht gewidmeten Teils und setzt für die Grundstücksteile der Antragstellerin und des Antragsgegners öffentliche Verkehrsflächen und Straßenbegrenzungslinien fest. Ziel der Planung ist es, für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs die gesamte Breite der Stichstraße dauerhaft als öffentliche Verkehrsfläche zu sichern. Der Antragsgegner beabsichtigt, ggf. ein Enteignungsverfahren einzuleiten, um die festgesetzte Verkehrsfläche widmen zu können.
4
Der Bebauungsplan wurde als Satzung in der Sitzung vom 28. Februar 2023 beschlossen und am 29. März 2023 ortsüblich bekannt gemacht. Darin enthalten war ein Hinweis, der Satzungsbeschluss sei am 28. Juni 2023 erfolgt.
5
Am 20. Juni 2023 stellte die Antragstellerin einen Normenkontrollantrag. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Bekanntmachung sei fehlerhaft, da sie sich auf ein unzutreffendes Beschlussdatum vom 28. Juni 2023 beziehe. Es fehle an der Erforderlichkeit und die Antragstellerin werde in ihrem Anspruch auf gerechte Abwägung verletzt.
6
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
7
den Bebauungsplan des Antragsgegners Nr. 60 „An der H.-straße“ für unwirksam zu erklären.
8
Der Antragsgegner beantragt,
9
den Antrag abzulehnen.
10
Insbesondere sei der Bebauungsplan am 18. Juli 2023 zulässigerweise rückwirkend zum 29. März 2023 erneut bekannt gemacht worden.
11
Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat sich nicht am Verfahren beteiligt.
12
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Planaufstellungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.

Entscheidungsgründe

13
1. Der zulässige Normenkontrollantrag, über den mit Einverständnis sämtlicher Beteiligter ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 101 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg. Der Bebauungsplan ist weder aus formellen, noch aus materiellen Gründen unwirksam.
14
1.1. Der Bebauungsplan leidet nicht an einem Bekanntmachungsfehler.
15
Zwar enthielt die Bekanntmachung vom 29. März 2023 den (fehlerhaften) Hinweis, dass der Bebauungsplan am 28. Juni 2023 als Satzung beschlossen worden sei, obwohl der Beschluss tatsächlich am 28. Februar 2023 gefasst wurde. Es kann jedoch offenbleiben, ob es sich hierbei um einen beachtlichen formellen Fehler oder lediglich einen offensichtlichen Schreibfehler handelt, da dies in einem ergänzenden Verfahren korrigiert wurde (vgl. BayVGH, U.v. 15.6.2021 – 15 N 20.385 – juris Rn. 15). Der Bebauungsplan wurde durch Bekanntmachung vom 18. Juli 2023 unter Angabe des richtigen Beschlussdatums rückwirkend zum 29. März 2023 erneut in Kraft gesetzt (§ 214 Abs. 4 BauGB).
16
1.2. Der Bebauungsplan leidet auch nicht an materiellen Fehlern.
17
1.2.1. Dem Bebauungsplan fehlt nicht die städtebauliche Erforderlichkeit.
18
Nach § 1 Abs. 3 Satz 1, § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne in eigener Verantwortung aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebau-liche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Dabei ist ihnen ein Planungsermessen eingeräumt, das neben dem „Wie“ auch das „Ob“ und „Wann“ der planerischen Gestaltung umfasst. Grundsätzlich bleibt es der Einschätzung der Gemeinde überlassen, ob sie einen Bebauungsplan aufstellt, ändert oder aufhebt. Maßgebend sind ihre eigenen städtebaulichen Vorstellungen (BVerwG, B.v. 15.6.2004 – 4 BN 14.04 – juris Rn. 4).
19
Gemessen daran dringt die Antragstellerin mit ihrem Vortrag, die Planung diene lediglich als Vorwand, um das Teilstück der Antragstellerin zum Zwecke der Enteignung als öffentliche Verkehrsfläche überplanen zu können, nicht durch. Ziel der Planung ist es, die seit Jahrzehnten bestehende, faktisch öffentliche Verkehrsfläche auf dem Grundstück der Antragstellerin dauerhaft als öffentliche Verkehrsfläche zu sichern, um aus Verkehrssicherheitsgründen die Befahrbarkeit der Erschließungsstraße in voller Breite zu erhalten (vgl. Abwägung in der Sitzung des Antragsgegners vom 28. Februar 2023 und Begründung des Bebauungsplans auf S. 1). Dies sind im Rahmen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zulässige Überlegungen des Antragsgegners als Träger der Planungshoheit (vgl. OVG NW, U.v. 22.3.1993 – 11a NE 64/89 – NVwZ-RR 1994, 311 – juris Rn. 41). Die Grundsätze der Enteignung sind im Rahmen der Festsetzung von Flächen für eine öffentliche Nutzung auch nicht bereits auf die Zulässigkeit der Planung anzuwenden (vgl. BayVGH, U.v. 17.11.2014 – 9 N 13.1303 – juris Rn. 17).
20
1.2.2. Der Bebauungsplan leidet auch nicht an einem beachtlichen Abwägungsmangel.
21
Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. § 2 Abs. 3 BauGB ergänzt dieses materiell-rechtliche Abwägungsgebot, um die Verfahrensanforderung (vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB), dass die abwägungserheblichen Belange in wesentlichen Punkten (zutreffend) zu ermitteln und zu bewerten sind. Insgesamt unterliegt die Abwägung allerdings nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Gegen das rechtsstaatlich fundierte Gebot gerechter Abwägung wird verstoßen, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall), in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit), wenn die Bedeutung dieser Belange verkannt wird (Abwägungsfehleinschätzung) oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität). Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen entscheidet. Das Vorziehen und Zurücksetzen bestimmter Belange innerhalb des vorgegebenen Rahmens ist die „elementare planerische Entschließung“ der Gemeinde über die städtebauliche Entwicklung und Ordnung und kein aufsichtlich oder gerichtlich nachvollziehbarer Vorgang (vgl. BayVGH, U.v. 11.3.2024 – 15 N 23.83 – juris Rn. 27). Dabei differenziert das Gesetz in Bezug auf die Fehlerfolgenregelungen zwischen Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis. Für die Abwägung ist nach § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan maßgebend (BayVGH, U.v. 7.10.2022 – 9 N 21.190 – juris Rn. 43).
22
Gemessen daran liegt kein beachtlicher Abwägungsfehler vor. Der Vortrag der Antragstellerin, der Antragsgegner habe ihr Eigentumsrecht nicht berücksichtigt, trifft nicht zu. Der Antragsgegner war sich vielmehr eines Eingriffs in das Eigentum der Antragstellerin bewusst und stellt ausdrücklich darauf ab, dass die Planung im Bereich der im Umgriff gelegenen Teilfläche eine private Nutzung des Grundstücks aufhebt (vgl. Protokoll der Sitzung des Antragsgegners vom 28. Februar 2023). Die Behauptung, wegen der vom Antragsgegner beschlossenen Veränderungssperre sei eine Modernisierungsmaßnahme für den Gewerbebetrieb der Antragstellerin nicht möglich gewesen, weshalb der Betrieb geschlossen werden musste, trifft ebenfalls nicht zu. Vielmehr ergibt sich aus der von der Antragstellerin vorgelegten Niederschrift des Aufsichtsrats vom 2. Mai 2023, dass der Vorstand aus wirtschaftlichen Gründen (hohe Verluste und Investitionsstau) sowie aufgrund der ablehnenden Haltung des Antragsgegners zum Erweiterungsbau beantragt hatte, den Betrieb zu schließen. Im Übrigen hat der Antragsgegner sein Einvernehmen zur Erweiterung des Betriebsgebäudes in der Sitzung vom 28. September 2022 erteilt. Zu den Einwendungen der IHK Regensburg und der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz, die Belange des bestehenden Gewerbebetriebs müssten berücksichtigt werden, führt der Antragsgegner gemäß dem Protokoll der Sitzung vom 28. Februar 2023 aus, bekannte Erweiterungsabsichten (Vorbescheidsantrag vom 1.9.2022) würden nicht beeinträchtigt, da sie außerhalb des Plangebiets lägen und inhaltlich nicht mit der Planung kollidierten. Ein Eingriff in die ausgeübte Nutzung sei nicht ersichtlich. Hieraus lässt sich kein Abwägungsfehler ableiten.
23
Ebensowenig dringt die Antragstellerin mit dem Argument durch, es sei widersprüchlich, einerseits mit der Begründung, die Erschließung sei gesichert, auf dem benachbarten Grundstück massive Wohnbebauung mit erheblichem Verkehr zuzulassen, und andererseits die fehlende Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zum Anlass zu nehmen, sie zu enteignen. Dass die Breite der Stichstraße u.U. auch ohne das Teilstück der Antragstellerin für eine gesicherte Erschließung ausreicht, hindert den Antragsgegner nicht daran, auch dieses Teilstück als öffentliche Verkehrsfläche festzusetzen. Begründet wurde die Festsetzung damit, ohne die Teilfläche der Antragstellerin entstünde eine Verengung, welche die Straßennutzung beeinträchtigen würde; die Befahrbarkeit der Erschließungsstraße in voller Breite trage zur Verkehrssicherheit bei. Dies ist nachvollziehbar, zumal sich zuvor bereits ein Verkehrsunfall an der Engstelle ereignet hat. Der Antragsgegner hat hier im Rahmen seiner planerischen Entschließung das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zulässigerweise als gewichtiger angesehen als die Interessen der Antragstellerin. Entscheidet sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision der verschiedenen Belange für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen, ergibt sich hieraus regelmäßig kein Abwägungsfehler.
24
Entgegen dem Vortrag der Antragstellerin, der Antragsgegner habe keine Alternativen hinsichtlich einer anderweitigen Erschließung geprüft, geht aus dem Protokoll vom 28. Februar 2023 hervor, dass vorzugswürdige Alternativen aufgrund der durch die bestehende Bebauung begrenzten Verhältnisse nicht bestünden. Unabhängig davon, dass eine generelle Alternativenprüfung bei der Bauleitplanung im Rahmen der Abwägung nicht geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.4.2014 – 4 BN 49.13 – juris Rn. 12), ist diese Argumentation des Antragsgegners im Hinblick auf die beengten Verhältnisse sowie die baulichen Verhältnisse vor Ort nachvollziehbar.
25
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V. mit §§ 708 ff. ZPO.
26
3. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).