Titel:
Zurückverweisung im Fall der Nichteinhaltung der Fünfmonatsfrist zum Absetzen der Urteilsgründe
Normenketten:
AsylG § 79 Abs. 2
VwGO § 83 S. 1, § 116 Abs. 2 Hs. 2, § 117 Abs. 4 S. 2 Hs. 1, § 130 Abs. 2, § 138 Nr. 6
GVG § 17 Abs. 1 S. 1, § 17c Abs. 1
Leitsätze:
1. Der VGH darf nach § 79 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AsylG die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das VG u.a. zurückverweisen, wenn das VG noch nicht in der Sache selbst entschieden hat. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das VG hat noch nicht in der Sache selbst entschieden, wenn es die Fünfmonatsfrist zur Abfassung des vollständigen Urteils nicht gewahrt hat und das Urteil deshalb als nicht mit Gründen versehen gilt (§ 138 Nr. 6 VwGO). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Fall der Ersetzung der Verkündung des Urteils durch dessen Zustellung ist entweder gem. § 116 Abs. 2 Hs. 2 VwGO das vollständig abgefasste Urteil oder – in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 4 S. 2 Hs. 1 VwGO – zunächst nur die unterschriebene Urteilsformel binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übermitteln. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Urteilsgründe beruhen jedenfalls dann nicht mehr auf der mündlichen Verhandlung bzw. der anschließenden Beratung und Entscheidungsfindung, wenn die Übermittlung des vollständig abgefassten Urteils an die Geschäftsstelle nicht binnen fünf Monaten erfolgt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
5. Dabei wird im Fall des Verkündungsersatzes nach § 116 Abs. 2 VwGO unterschiedlich beantwortet, ob die Fünfmonatsfrist mit der mündlichen Verhandlung, der Übergabe der unterschriebenen Urteilsformel an die Geschäftsstelle bzw. spätestens zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung beginnen soll. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
6. Für bereits rechtshängige asylrechtliche Verfahren verbleibt es aufgrund des Grundsatzes der perpetuatio fori (§ 83 S. 1 VwGO iVm § 17 Abs. 1 S. 1 GVG) bei der Zuständigkeit der bisher zuständigen Gerichte. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zurückverweisung, Fünfmonatsfrist, nicht mit Gründen versehen, Perpetuatio fori, örtliche Zuständigkeit, Verfahrensaufhebung, Bindungswirkung, Urteilsgründe, Zustellung, Verkündungsersatz, Änderung der Zuständigkeitsverordnung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 04.03.2024 – AN 4 K 21.30127
Fundstellen:
BayVBl 2025, 233
BeckRS 2024, 36831
LSK 2024, 36831
Tenor
I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. März 2024 – AN 4 K 21.30127 – und das verwaltungsgerichtliche Verfahren werden aufgehoben. Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Ansbach zurückverwiesen.
II. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Kläger sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Am 18. September 2020 stellten sie beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.
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Mit Bescheid vom 21. Januar 2021 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zu, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, drohte die Abschiebung in die Türkei an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
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Am 19. Februar 2021 erhoben die Kläger Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 21. Januar 2021 zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach. Diese Klage wies das Verwaltungsgericht auf Grund mündlicher Verhandlung vom 4. März 2024 mit Urteil vom gleichen Tage ab. Das Verwaltungsgericht hatte beschlossen, die Entscheidung nach § 116 Abs. 2 VwGO zuzustellen. Der unterschiebene Tenor des Urteils wurde der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts am 6. März 2024 übergeben. Das vollständig abgefasste Urteil mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrungwurde der Geschäftsstelle am 23. August 2024 übermittelt.
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Auf Antrag der Kläger ließ der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung mit Beschluss vom 21. Oktober 2024 zu (Az. 13a ZB 24.30802), weil das Verwaltungsgericht die Fünfmonatsfrist zur Abfassung des vollständigen Urteils nicht gewahrt habe und das Urteil deshalb als nicht mit Gründen versehen gelte (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 6 VwGO).
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Mit Schreiben vom 22. Oktober 2024 hat der Verwaltungsgerichtshof die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG das Urteil des Verwaltungsgerichts und das verwaltungsgerichtliche Verfahren aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
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Im Hinblick darauf haben die Kläger die Berufung mit Schreiben vom 20. November 2024 lediglich vorsorglich begründet und beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. März 2024 – AN 4 K 21.30127 – abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, die Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 21. Januar 2021 als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise den Klägern subsidiären Schutz zuzuerkennen, äußerst hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. §§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG vorliegen,
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sowie auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren verzichtet.
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Die Beklagte hat mit Schreiben vom 20. November 2024 auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO).
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1. Die Sache konnte gemäß § 79 Abs. 2 AsylG (in der neuen Fassung aufgrund des Gesetzes zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren vom 21.12.2022, BGBl 2022 I S. 2817) unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. März 2024 – AN 4 K 21.30127 – und des diesem zugrundeliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an das Verwaltungsgericht Ansbach zurückverwiesen werden.
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a) Die Zurückverweisung nach § 79 Abs. 2 AsylG n.F. setzt nicht voraus, dass ein Beteiligter sie beantragt. Insoweit ist die im allgemeinen Prozessrecht geltende Zurückverweisungsregelung des § 130 Abs. 2 VwGO im Asylprozess durch § 79 Abs. 2 AsylG modifiziert, wie der unterschiedliche Wortlaut dieser Regelungen und die Entstehungsgeschichte des § 79 Abs. 2 AsylG n.F. (s. BT-Drs. 20/4327, S. 44) zeigen (BayVGH, U.v. 4.12.2023 – 13a B 22.30839 – juris Rn. 21; VGH BW, B.v. 27.6.2024 – A 12 S 290/24 – juris Rn. 12; VGH BW, B.v. 26.3.2024 – A 9 S 422/22 – juris Rn. 2).
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b) Der Verwaltungsgerichtshof darf nach § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Verwaltungsgericht unter anderem zurückverweisen, wenn das Verwaltungsgericht noch nicht in der Sache selbst entschieden hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben:
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aa) Das Verwaltungsgericht hat noch nicht in der Sache selbst entschieden, weil es die Fünfmonatsfrist zur Abfassung des vollständigen Urteils nicht gewahrt hat und das Urteil deshalb als nicht mit Gründen versehen gilt (§ 138 Nr. 6 VwGO).
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(1) Das Verwaltungsgericht hat die Fünfmonatsfrist zur Abfassung des vollständigen Urteils nicht beachtet.
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Es hat von der Möglichkeit des § 116 Abs. 2 VwGO Gebrauch gemacht und die Verkündung des Urteils durch dessen Zustellung ersetzt (vgl. SP S. 19). In einem solchen Fall ist entweder gemäß § 116 Abs. 2 Halbs. 2 VwGO das vollständig abgefasste Urteil oder – in entsprechender Anwendung des § 117 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 1 VwGO – zunächst nur die unterschriebene Urteilsformel binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle zu übermitteln.
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Wird zunächst nur die unterschriebene Urteilsformel übergeben, so ist entsprechend § 117 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 VwGO das vollständig abgefasste Urteil mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrungalsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln. Damit soll sichergestellt werden, dass der Zusammenhang zwischen dem auf Grund der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung bzw. Entscheidungsfindung ergangenen Urteil einerseits und den schriftlich niederzulegenden Urteilsgründen andererseits nicht verlorengeht, insbesondere im Hinblick auf das mit der Zeit verblassende Erinnerungsvermögen des bzw. der Richter (vgl. GmS-OGB, B.v. 27.4.1993 – GmS-OGB 1.92 – BVerwGE 92, 367 – DVBl 1993, 1082 – juris Rn. 12; BVerwG, U.v. 3.8.1990 – 7 C 41-43.89 – BVerwGE 85, 273 – juris Rn. 7). Die Urteilsgründe beruhen jedenfalls dann nicht mehr auf der mündlichen Verhandlung bzw. der anschließenden Beratung und Entscheidungsfindung, wenn die Übermittlung des vollständig abgefassten Urteils an die Geschäftsstelle nicht binnen fünf Monaten erfolgt (vgl. zum Ganzen: GmS-OGB, B.v. 27.4.1993 – GmS-OGB 1.92 – BVerwGE 92, 367 – DVBl 1993, 1082 – juris Rn. 8 ff.; BVerwG, B.v. 3.5.2004 – 7 B 60.04 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 23.4.2019 – 13a ZB 18.32206 – juris Rn. 5 m.w.N.; Kraft in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 116 Rn. 20 m.w.N., § 117 Rn. 33 f., § 138 Rn. 60). Dabei wird im Fall des Verkündungsersatzes nach § 116 Abs. 2 VwGO unterschiedlich beantwortet, ob die Fünfmonatsfrist mit der mündlichen Verhandlung, der Übergabe der unterschriebenen Urteilsformel an die Geschäftsstelle bzw. spätestens zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung beginnen soll (vgl. zu den unterschiedlichen Auffassungen BayVGH, B.v. 23.4.2019 – 13a ZB 18.32206 – juris Rn. 6 f. m.w.N.).
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Vorliegend wurde ausweislich der Akten des Verwaltungsgerichts der unterschriebene Tenor am 6. März 2024 und damit innerhalb von zwei Wochen seit der mündlichen Verhandlung am 4. März 2024 an die Geschäftsstelle übermittelt. Allerdings wurde das vollständig abgefasste Urteil mit Tatbestand, Entscheidungsgründen und Rechtsmittelbelehrungder Geschäftsstelle erst am 23. August 2024 übergeben. Damit ist die Übergabe des vollständig abgefassten Urteils nach jeder der Auffassungen zum Beginn der Fünfmonatsfrist im Fall des § 116 Abs. 2 VwGO nicht binnen fünf Monaten erfolgt.
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(2) Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. März 2024 ist deshalb nicht mit Gründen versehen (§ 138 Nr. 6 VwGO).
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Ist die Fünfmonatsfrist nicht gewahrt, gilt ein Urteil als nicht mit Gründen versehen im Sinn des § 138 Nr. 6 VwGO (GmS-OGB, B.v. 27.4.1993 – GmS-OGB 1.92 – BVerwGE 92, 367 – DVBl 1993, 1082 – juris Rn. 8; BVerwG, U.v. 3.8.1990 – 7 C 41-43.89 – BVerwGE 85, 273 – juris Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 23.4.2019 – 13a ZB 18.32206 – juris Rn. 4 u. 9; Kraft in Eyermann, a.a.O., § 116 Rn. 20, § 117 Rn. 34, § 138 Rn. 60 m.w.N.). Einem solchen Urteil beigefügte Gründe sind als nicht geschrieben zu behandeln (BVerwG, U.v. 3.8.1990 – 7 C 41-43.89 – BVerwGE 85, 273 – juris Rn. 6 m.w.N.; Kraft in Eyermann, a.a.O., § 117 Rn. 34 f. § 138 Rn. 60 m.w.N.).
22
(3) Ist ein Urteil im Sinn des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen bzw. gelten Gründe als nicht geschrieben, hat das Verwaltungsgericht auch nicht in der Sache entschieden (vgl. VGH BW, B.v. 26.3.2024 – A 9 S 422/22 – juris Rn. 6 f. zu einem Urteil ohne Entscheidungsgründe; vgl. BayVGH, U.v. 4.12.2023 – 13a B 22.30839 – juris Rn. 22 zu einer der Klageabweisung durch Prozessurteil beigegebenen Sachbeurteilung, die ebenso als nicht geschrieben gilt; vgl. zu letztgenannter Fallgestaltung auch Happ in Eyermann; a.a.O., § 130 Rn. 12 m.w.N.).
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bb) Es ist auch eine weitere Verhandlung der Sache erforderlich. Das ist lediglich dann nicht der Fall, wenn die Sache bereits entscheidungsreif ist (VGH BW, B.v. 26.3.2024 – A 9 S 422/22 – juris Rn. 3 m.w.N.; Happ in Eyermann; a.a.O., § 130 Rn. 6 m.w.N.). Vorliegend ist die Sache nicht bereits entscheidungsreif, wie die in der vorsorglichen Berufungsbegründung aufgeworfenen Rechts- und Tatsachenfragen und die diversen (schriftsätzlichen) Beweisanträge der Kläger belegen.
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cc) Die Zurückverweisung ist auch ermessensgerecht (vgl. dazu Happ in Eyermann, a.a.O. § 130 Rn. 15). Sie dient der besseren Lastenverteilung zwischen Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof (vgl. zu diesem gesetzgeberischen Motiv BT-Drs. 20/4327, S. 44). Dies gilt gerade in Asylstreitverfahren wie dem vorliegendem, in dem der Sachverhalt möglicherweise noch umfassend aufzuklären ist, wie die diversen (schriftsätzlichen) Beweisanträge der Kläger zeigen. Außerdem steht den Beteiligten nach einer Zurückverweisung und Entscheidung durch das Verwaltungsgericht bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 AsylG eine weitere Tatsacheninstanz zur Verfügung. Eine Verkürzung des Rechtswegs wird so vermieden (vgl. dazu VGH BW, B.v. 26.3.2024 – A 9 S 422/22 – juris Rn. 11).
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c) Die Sache war an das Verwaltungsgericht Ansbach zurückzuverweisen. Dem steht nicht entgegen, dass die Bayerische Staatsregierung gestützt auf § 83 Abs. 3 AsylG in § 8d Nr. 3 Zuständigkeitsverordnung (ZustV) i.d.F. vom 16. Juni 2015 (GVBl S. 184, BayRS 2015-1-1-V), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Zuständigkeitsverordnung und Delegationsverordnung vom 23. Juli 2024 (GVBl S. 331, BayRS 2015-1-1-V, 103-2-V) mit Wirkung ab 1. September 2024 die Zuständigkeit für Streitigkeiten nach dem Asylgesetz hinsichtlich des Herkunftsstaats Türkei für den Bezirk des Verwaltungsgerichts Ansbach auf das Verwaltungsgericht Würzburg verlagert hat.
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aa) Denn für bereits rechtshängige asylrechtliche Verfahren verbleibt es aufgrund des Grundsatzes der perpetuatio fori (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) bei der Zuständigkeit der bisher zuständigen Gerichte (so auch die Begründung des Verordnungsentwurfs mit Stand v. 20.6.2024, S. 7; soweit in der Begründung von „anhängig“ die Rede ist, hat dies keine Bedeutung, da sich aus dem dort ebenfalls genannten § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG zweifelsfrei ergibt, dass für die perpetuatio fori auf die „Rechtshängigkeit“ abzustellen ist), hier also bei der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach. Für die örtliche Zuständigkeit verweist § 83 Satz 1 VwGO auf eine entsprechende Anwendung der §§ 17 – 17b GVG. Aus einer entsprechenden Anwendung von § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG folgt, dass die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt wird (perpetuatio fori, vgl.: Wöckel in Eyermann, a.a.O, § 83 Rn. 10; Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, § 83 VwGO Rn. 10). Unbeachtlich nach § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG sind dabei nicht nur tatsächliche Änderungen, sondern auch Rechtsänderungen, es sei denn, das Gesetz bestimmt – wie hier nicht – ausdrücklich etwas anderes (Wöckel in Eyermann, a.a.O., § 41 Rn. 9 m.w.N.; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 30. Aufl. 2024, § 90 Rn. 18 m.w.N.). War demnach vorliegend das Verwaltungsgericht Ansbach bei Eintritt der Rechtshängigkeit, also bei Klageerhebung (§ 90 VwGO) am 19. Februar 2021, für die Asylklage der sich zu diesem Zeitpunkt nach Aktenlage in Nürnberg aufhaltenden Kläger örtlich zuständig, dann wird dies durch die nach Klageerhebung in Kraft getretene Änderung der Regelung für die örtliche Zuständigkeit – wie hier durch § 8d ZustV zum 1. September 2024 – nicht berührt.
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bb) Die Bayerische Staatsregierung hat in der Verordnung zur Änderung der Zuständigkeitsverordnung und Delegationsverordnung vom 23. Juli 2024 auch keinen Gebrauch von der Möglichkeit des § 17c Abs. 1 GVG gemacht, den Grundsatz der perpetuatio fori zu durchbrechen. Diese Vorschrift lautet: Werden Zuständigkeitskonzentrationen oder Änderungen der Gerichtsbezirksgrenzen aufgrund dieses Gesetzes, aufgrund anderer bundesgesetzlicher Regelungen oder aufgrund Landesrechts vorgenommen, stehen in diesen Fällen bundesrechtliche Bestimmungen, die die gerichtliche Zuständigkeit in anhängigen und rechtshängigen Verfahren unberührt lassen, einer landesrechtlichen Zuweisung dieser Verfahren an das neu zuständige Gericht nicht entgegen. Es ist schon problematisch, ob § 17c Abs. 1 GVG überhaupt zur Anwendung kommen kann, denn § 83 Satz 1 VwGO verweist nur auf §§ 17 – 17b GVG, hingegen nicht auf § 17c GVG: Hierbei handelt es sich allerdings wohl um ein Redaktionsversehen (so Wöckel in Eyermann, a.a.O., § 83 Rn. 1; a.A.: Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, § 83 VwGO Rn. 1a). Dies kann allerdings dahingestellt bleiben: Bei Anwendbarkeit des § 17c Abs. 1 GVG hätte die Bayerische Staatsregierung gestützt auf diese Vorschrift die durch § 8d ZustV vorgenommene Zuständigkeitskonzentration unter Durchbrechung des Grundsatzes der perpetuatio fori mit einer landesrechtlichen Zuweisung von bereits rechtshängigen asylrechtlichen Verfahren an das neu zuständige Gericht – hier also der Zuweisung von beim Verwaltungsgericht Ansbach rechtshängigen asylrechtlichen Verfahren hinsichtlich des Herkunftslands Türkei an das Verwaltungsgericht Würzburg – verbinden können. Von einer solchen Möglichkeit hat der Verordnungsgeber aber jedenfalls keinen Gebrauch gemacht, denn dem Wortlaut der Verordnung ist keine landesrechtliche Zuweisung von bereits rechtshängigen Verfahren zu entnehmen. Die Begründung des Verordnungsentwurfs betont ausdrücklich die Geltung des Grundsatzes der perpetuatio fori, nach dem es für bereits rechtshängige asylrechtliche Verfahren gemäß § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG bei der Zuständigkeit der bisher zuständigen Gerichte bleibt (vgl. die Begründung des Verordnungsentwurfs mit Stand v. 20.6.2024, S. 7). Soweit in der Begründung statt von „rechtshängigen“ von „anhängigen“ Verfahren die Rede ist, hat dies deshalb keine durchgreifende Bedeutung, weil die Begründung ebenso auf den Grundsatz der perpetuatio fori verweist und § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG nennt, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, dass für diese auf die „Rechtshängigkeit“ abzustellen ist. Die Verwendung des Begriffs „anhängig“ statt „rechtshängig“ stellt eine bloße Ungenauigkeit dar. Hingegen kann hieraus nicht abgeleitet werden, der Verordnungsgeber habe insoweit von der Möglichkeit des § 17c Abs. 1 GVG (teilweise) Gebrauch machen wollen. Hätte er eine solche Ausnahme von dem Grundsatz der perpetuatio fori vorsehen wollen, dann hätte er dies im Wortlaut der Vorschrift ausdrücklich regeln müssen. Unbeschadet dessen kommt auch in der Begründung eine solche Regelungsabsicht nicht deutlich zum Ausdruck.
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cc) An diesem Ergebnis ändert nichts, dass es sich um eine Zurückverweisung handelt. Auch wenn das Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof im Zulassungsverfahren und nun im Berufungsverfahren jeweils neue Aktenzeichen trägt und nach der Zurückweisung an das Verwaltungsgericht Ansbach wohl auch dort ein neues Aktenzeichen erhalten wird, handelt es sich immer noch um das selbe Verfahren, das durch die Klageerhebung der Kläger beim Verwaltungsgericht Ansbach am 19. Februar 2021 rechtshängig geworden ist. Allein diese ursprüngliche Klageerhebung ist für die örtliche Zuständigkeit maßgeblich, auf die später eintretenden Umstände kommt es gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori nicht an.
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Ferner kann auch keine Bedeutung haben, dass die Sache unter Aufhebung des Verfahrens an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Schon nach allgemeinen Grundsätzen gilt, dass die Aufhebung eines Verfahrens bei einer Zurückverweisung auf denjenigen abgrenzbaren Verfahrensteil beschränkt ist, der einen Verfahrensmangel enthält oder in dem dieser Mangel fortwirkt (vgl. NdsOVG, B.v. 18.3.2021 – 12 LB 148/20 – juris Rn. 88 m.w.N.). Angesichts des Konflikts der Zurückverweisung mit dem Gebot, das Verfahren zügig zu gestalten, führt die Zurückverweisung nicht ausnahmslos zur vollständigen Wiederholung des Rechtsstreits vor dem Verwaltungsgericht von Anfang an und zur Wiederholung sämtlicher, auch der verfahrensfehlerfrei abgewickelten Verfahrensabschnitte. Es besteht die Möglichkeit, das Urteil aufzuheben, das Verfahren aber ganz oder teilweise bestehen zu lassen (so zur Parallelvorschrift § 130 Abs. 2 Nr. 2 VwGO: Happ in Eyermann, a.a.O., § 130 Rn. 17). Vorliegend bedeutet dies, dass das Verfahren in den Stand vor Durchführung der mündlichen Verhandlung zurückversetzt wird. Alle zuvor verfahrensfehlerfrei durchgeführten Verfahrensabschnitte haben hingegen weiterhin Bestand. Doch selbst wenn man das Verfahren – wie nicht – von Beginn an aufheben wollte, wäre davon der für die örtliche Zuständigkeit allein maßgebliche Umstand, nämlich die Klageerhebung der Kläger beim Verwaltungsgericht Ansbach am 19. Februar 2021 und die damit gemäß § 90 VwGO eingetretene Rechtshängigkeit, nicht betroffen. Einer erneuten Klageerhebung bedarf es nach der Zurückverweisung ersichtlich nicht.
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Es gibt auch keine Anhaltpunkte dafür, dass das gefundene Ergebnis für den Fall von Zurückverweisungen unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens zu korrigieren wäre. Hätte der Verordnungsgeber für den Fall der Zurückverweisung eine Durchbrechung des Grundsatzes der perpetuatio fori gewollt, hätte er dies gestützt auf § 17c Abs. 1 GVG vornehmen müssen. Er hat von einer solchen Möglichkeit jedenfalls keinen Gebrauch gemacht, wie sich aus dem Wortlaut der Verordnung und deren Begründung ergibt (siehe oben). Auf Überlegungen, ob es womöglich einfacher oder sachgerechter gewesen wäre, bei Zurückverweisungen eine Ausnahme vom Grundsatz der perpetuatio fori zu machen, kommt es nicht an, weil sich der Verordnungsgeber nicht so entschieden hat.
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2. Da die Klage gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts und des diesem zugrundeliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens an das Verwaltungsgericht Ansbach zurückverwiesen wurde, kommt es auf die vorsorglichen Ausführungen der Kläger zur Begründung der Berufung und die Antragstellung nicht weiter an.
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Über die Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach nach erneuter Durchführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (ab dem Stand vor Durchführung der mündlichen Verhandlung, siehe oben) zu entscheiden. Dabei ist es an die rechtliche und tatsächliche Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichthofs gebunden (§ 79 Abs. 2 Satz 2 AsylG), hat also insbesondere von seiner örtlichen Zuständigkeit auszugehen.
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Die Entscheidung über die Kosten muss der Schlussentscheidung vorbehalten bleiben.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO und § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG sind nicht gegeben.