Inhalt

VGH München, Beschluss v. 05.12.2024 – 10 CS 24.1402, 10 C 24.1405
Titel:

Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung 

Normenketten:
VwGO § 60 Abs. 1, § 146 Abs. 4 S. 1, S. 4
StPO § 81b Abs. 1 Alt. 2
ZPO § 85 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Aussetzung eines Strafverfahrens zum Zweck von Nachermittlungen ändert nichts an der Eigenschaft des Betroffenen als "Beschuldigter" iSd § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine sog. "Nackt-ED-Behandlung" grundsätzlich rechtmäßig und verhältnismäßig sein kann, weil Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerade gegenüber Kindern ein erhebliches Gefährdungspotential zukommt, da diese das Kind nicht nur aktuell gefährden, sondern zudem erhebliche Gefahren vor allem für die weitere geistige und psychische Entwicklung eines Kindes drohen; der Bekämpfung derartiger Gefahren kommt daher ein erhebliches Gewicht zu. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Polizeirecht, Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist, erkennungsdienstliche Behandlung, Nackt-ED-Behandlung, Anordnung, Nacktbilder, Kinder, Kinderpornographie, Strafverfahren, Beschuldigter, Beschwerdebegründungsfrist, Versäumung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 26.07.2024 – W 9 S 24.1273
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36824

Tenor

I. Die Verfahren 10 CS 24.1402 und 10 C 24.1405 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerde im Verfahren 10 CS 24.1402 wird verworfen.
III. Die Beschwerde im Verfahren 10 C 24.1405 wird zurückgewiesen.
IV. Der Antragsteller hat die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.
V. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CS 24.1402 wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

1
Mit seiner Beschwerde im Verfahren 10 CS 24.1402 verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (W 9 K 24.1272) gegen den Bescheid der Kriminalpolizeiinspektion Würzburg vom 12. Juni 2024 weiter, mit dem diese die erkennungsdienstliche Behandlung des Antragstellers angeordnet hat. Mit der Beschwerde im Verfahren 10 C 24.1405 wendet er sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Eilverfahren sowie das Hauptsacheverfahren.
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1. Die Verfahren über die Beschwerden werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
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2. Die Beschwerde im Verfahren 10 CS 24.1402 ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe der Entscheidung des Verwaltungsgerichts begründet worden ist (§ 146 Abs. 4 Satz 1, Satz 4 VwGO). Da der Beschluss des Verwaltungsgerichts dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 29. Juli 2024 zugestellt worden ist, lief die Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO am 29. August 2024 ab; die am 30. August 2024 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangene Beschwerdebegründung war damit verspätet.
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Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Fristversäumung kann nicht gewährt werden, weil der Antragsteller nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist verhindert war (§ 60 Abs. 1 VwGO). Der Bevollmächtigte, dessen Verschulden dem Antragsteller nach § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, trägt in seinem Schriftsatz vom 30. August 2024 zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags nichts vor. In dem Schriftsatz vom 29. August 2024, in dem um Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist gebeten wird, ist lediglich von allgemeiner hoher Arbeitsbelastung die Rede, was für sich allein keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellt (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 17); aus dem Schriftsatz geht vielmehr hervor, dass dem Bevollmächtigten nicht bekannt war, dass die Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO nicht verlängert werden kann (BayVGH, B.v. 21.9.2018 – 11 CS 18.1910 – juris; Kaufmann in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2020, § 146 Rn. 11).
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Hieran ändert es auch nichts, dass der Senat den Bevollmächtigten (erst) am 30. August 2024 – also nach Ablauf der Frist – darauf hingewiesen hat, dass die Begründungsfrist nicht verlängert werden kann. Der Schriftsatz vom 29. August 2024 mit dem Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist ging an diesem Tag erst um 16.28 Uhr auf elektronischem Weg beim Gericht ein und wurde dem Berichterstatter des Senats am folgenden Tag vorgelegt. Dem Bevollmächtigten musste unabhängig von einem gerichtlichen Hinweis bekannt sein, dass eine Verlängerung rechtlich nicht möglich ist.
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3. Die Beschwerde bezüglich der Versagung von Prozesskostenhilfe im Verfahren 10 C 24.1405 ist dagegen zulässig, da eine (fristgebundene) Begründung insoweit nicht vorgeschrieben ist (§ 146 Abs. 1, § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie ist jedoch nicht begründet, weil das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt hat.
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend – unter Verweis auf seine Ausführungen zur Begründetheit des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO – dargelegt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichenden Erfolgsaussichten bot (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114, § 121 ZPO).
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Zu Recht hat es zunächst festgestellt, dass in dem streitgegenständlichen Bescheid das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet worden ist. Der Antragsteller wendet insoweit ein, dass die ihm zu Last gelegte Tat bereits vom 8. Juli 2022 datiere und die Durchsuchungsmaßnahme bei ihm bereits am 22. November 2022 stattgefunden habe. Bereits der Zeitablauf bis zum Bescheidserlass am 12. Juni 2024 widerspreche einer Eilbedürftigkeit hinsichtlich der angeordneten Maßnahme.
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Damit ist die Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung jedoch nicht in Frage gestellt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung im öffentlichen Interesse gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ermöglicht es, den Verwaltungsakt schon nach dem Erlass und nicht erst nach der Bestandskraft zu vollziehen bzw. zu vollstrecken. Hiervon zu unterscheiden ist die besondere Eilbedürftigkeit des Verwaltungsakts als solchem (siehe dazu § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO: „Gefahr im Verzug“). In der Begründung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO hat die erlassende Behörde darzulegen, weshalb eine Vollziehung bzw. Vollstreckung bereits nach Erlass des Bescheids und nicht erst nach dessen Bestandskraft erforderlich ist. Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung zu Recht als ausreichend angesehen. Dass die Kriminalpolizeiinspektion den Bescheid erst am 12. Juni 2024 erlassen hat – nach der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft am 25. April 2024 –, führt angesichts der auf der Hand liegenden Komplexität des Sachverhalts vor allem aufgrund der notwendigen Auswertung einer Anzahl von Speichermedien weder zur Rechtswidrigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung noch zu Fehlern der Ermessensausübung im Bescheid; Hinweise für widersprüchliches oder willkürliches Behördenhandeln sind nicht erkennbar (siehe BayVGH, B.v. 27.11.2023 – 10 CS 23.1571 – juris Rn. 6).
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Ebenso zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausführlich die bei einer Anwendung des § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO anzulegenden Maßstäbe dargelegt und festgestellt, dass die Voraussetzungen dieser Rechtsgrundlage – nach summarischer Prüfung – vorliegen und der angefochtene Bescheid keine Ermessensfehler aufweist.
11
Der Antragsteller war Beschuldigter eines Strafverfahrens wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind, Besitz kinderpornografischer Inhalte und Besitz jugendpornografischer Inhalte nach § 176a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 2, § 184b Abs. 3, § 184c Abs. 3 StGB. Dass laut dem Schriftsatz des Antragstellers vom 26. September 2024 das Strafverfahren vor dem Amtsgericht am 17. September 2024 zum Zweck von Nachermittlungen ausgesetzt wurde, ändert nichts an seiner Eigenschaft als „Beschuldigter“ im Sinn des § 81b Abs. 1 Alt. 2 StPO und an der von der Kriminalpolizeiinspektion vorgenommenen und vom Verwaltungsgericht gebilligten Prognose zur Wiederholungsgefahr. Gegen diese Prognose wendet auch der Schriftsatz vom 30. August 2024 substanziell nichts ein.
12
Auch die in dem streitgegenständlichen Bescheid angeordnete Anfertigung von Nacktbildern dürfte aller Voraussicht nach rechtmäßig sein und eine Anfechtung auch insoweit keine hinreichende Erfolgsaussicht haben. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine sog. „Nackt-ED-Behandlung“ grundsätzlich rechtmäßig und verhältnismäßig sein kann, weil Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerade gegenüber Kindern ein erhebliches Gefährdungspotential zukommt, da diese das Kind nicht nur aktuell gefährden, sondern zudem erhebliche Gefahren vor allem für die weitere geistige und psychische Entwicklung eines Kindes drohen; der Bekämpfung derartiger Gefahren kommt daher ein erhebliches Gewicht zu (NdsOVG, B.v. 22.4.2015 – 11 ME 58/15 – juris Rn. 16; VG Cottbus, B.v. 14.2.2018 – 3 L 95/18 – juris Rn. 16 ff.; siehe auch Trück in Münchner Kommentar zur StPO, 2. Aufl. 2023, § 81b Rn. 16). Das Verwaltungsgericht hat sich gerade mit der angeordneten Anfertigung (auch) von Nacktbildern des Antragstellers eingehend auseinandergesetzt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles eine solche Anordnung nicht zu beanstanden ist. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass die Polizei bereits ein von ihm als „echt“ anerkanntes Nacktbild von ihm besitze, hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass sich ein derartiges privat erstelltes Lichtbild nur bedingt für polizeiliche Ermittlungsarbeit eignet.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
14
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 CS 24.1402 beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG.
15
Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 24.1405 bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
16
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).