Inhalt

VGH München, Beschluss v. 19.11.2024 – 10 B 23.483
Titel:

Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung bei zwischenzeitlicher Ausreise und erneuter Einreise des Ausländers

Normenketten:
Visakodex-VO Art. 24 Abs. 2
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 § 68 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 130a
BGB § 133, 157
Leitsatz:
Verbleiben nach Auslegung einer Verpflichtungserklärung Zweifel, ob der Erklärende eine Haftung für nur einen oder für mehrere Aufenthalte (ermöglicht durch ein nachfolgend erteiltes Visum für mehrfache Einreisen) übernehmen wollte, ist in der Regel von einer Beschränkung auf einen Aufenthalt auszugehen. (Rn. 26)
Schlagworte:
Aufenthaltsrecht, Inanspruchnahme aus Verpflichtungserklärung, Dauer der Verpflichtung, Verpflichtung bei zwischenzeitlicher Ausreise und erneuter Einreise des Ausländers, Auslegung einer Verpflichtungserklärung, zwischenzeitliche Ausreise und erneute Einreise, mehrere Aufenthalte, Haftung für nur einen oder für mehrere Aufenthalte, VO (EG) Nr. 810/2009
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 02.03.2022 – Au 6 K 21.1723
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 30.01.2025 – 10 C 24.2065
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36822

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 2. März 2022 wird der Bescheid des Landratsamts D.-R. vom 3. August 2021 aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen die Inanspruchnahme in Höhe von 9.215,36 Euro aus einer für seine Schwester abgegebenen Verpflichtungserklärung nach § 68 Abs. 1 AufenthG durch den Bescheid des Beklagten und die darin enthaltene Feststellung, dass er aus der Verpflichtungserklärung darüber hinaus längstens bis zum 6. Juni 2024 in Anspruch genommen werden könne.
2
Der Kläger verpflichtete sich am 25. Januar 2018 gegenüber der Ausländerbehörde seines Wohnsitzes mit schriftlicher Erklärung nach § 68 AufenthG, die Kosten für den Lebensunterhalt und nach §§ 66, 67 AufenthG die Kosten für die Ausreise seiner im Iran lebenden Schwester zu tragen. Für die Verpflichtungserklärung wurde der bundeseinheitliche Vordruck verwendet. Betreffend „Dauer der Verpflichtung“ ist vorgedruckt „vom Tag der voraussichtlichen Einreise am [eingefügt: „13.07.2018“] bis zur Beendigung des Aufenthalts des o.g. Ausländers/in oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“. Am Ende der Urkunde ist unter „Bemerkungen“ unter anderem eingetragen: „Voraussichtliche Dauer des Aufenthalts: 2 Monate“ sowie „Zweck des Aufenthalts: Besuch“.
3
Die Schwester des Klägers erhielt am 27. Juni 2018 von der deutschen Botschaft in Teheran ein vom 13. Juli 2018 bis zum 12. Juli 2019 gültiges Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt (Schengen-C) mit einer Dauer des erlaubten Aufenthalts von 90 Tagen und mehrere Einreisen. Im Visumantrag hatte sie als Reisezweck „Besuch von Familie oder Freunden“ genannt, als Dauer des geplanten Aufenthalts „63 Tage“ bei einem geplanten Ankunftsdatum vom „13.07.2018“ und einem geplanten Abreisedatum vom „13.09.2018“.
4
Am 18. Juli 2018 reiste die Schwester in das Bundesgebiet ein und am 15. September 2018 auf dem Luftweg wieder aus.
5
Am 3. Juni 2019 reiste die Schwester des Klägers erneut in das Bundesgebiet ein und stellte am 14. Oktober 2019 einen Asylantrag. Ihr wurden vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von zunächst 9.215,36 Euro bewilligt.
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Nach Anhörung verpflichtete das Landratsamt D.-R. den Kläger mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 3. August 2021 die erbrachten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für seine Schwester im Zeitraum 3. Juni 2020 bis 31. Dezember 2020 in Höhe von 9.215,36 Euro zu erstatten. Ferner wurde der Kläger verpflichtet, die in Zukunft vom Beklagten zu erbringenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für seine Schwester ab dem 1. Januar 2021 bis zur Beendigung der Leistungserbringung, längstens jedoch bis zum 6. Juni 2024, zu erstatten. Schließlich wurde eine Zahlungsfrist gesetzt und die Möglichkeit einer Ratenzahlung in Aussicht gestellt.
7
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage trug der Kläger vor, er habe bei der Abgabe der Verpflichtungserklärung eindeutig und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese nur für einen Besuch von einer geplanten Länge von zwei Monaten gelten solle. Dies sei in der Erklärung auch korrekt zum Ausdruck gekommen, diese sei nicht zu Lasten des Klägers auszulegen. Er habe auch nicht gewusst, dass die deutsche Auslandsvertretung ein Visum nicht für einen einzigen Besuch, sondern für mehrfache Einreisen erteile. Die Schwester habe den einmaligen Besuch ordnungsgemäß beendet und sei in den Iran zurückgekehrt; dadurch sei der Besuch beendet worden und die Verpflichtung des Klägers entfallen.
8
Durch das angefochtene Urteil vom 2. März 2022 wies das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die Klage ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die vom Kläger abgegebene, wirksame Verpflichtungserklärung vom 25. Januar 2018 rechtfertige sachlich und zeitlich seine Haftung für die hier zu erstattenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Verpflichtung habe nicht durch die zwischenzeitliche Rückkehr der Schwester in den Iran geendet. Die Haftung des Verpflichtungsgebers erstrecke sich vielmehr auf jede durch das – auf Grund seiner Verpflichtung erteilte – Visum ermöglichte Einreise und ende erst mit der Ausreise auf Grund der zeitlich letzten legalen Einreise. Dass der Kläger bei der Abgabe der Verpflichtungserklärung eindeutig und ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass die Erklärung nur für einen Besuch von einer geplanten Länge von zwei Monaten gelten solle, ändere hieran nichts, denn eine entsprechende Begrenzung unter „Bemerkungen“ unterhalb des Unterschriftsfelds sei nicht Teil der Erklärung, sondern diene der Information der deutschen Auslandsvertretung für die Visumerteilung und sei daher bei ihrer Auslegung nicht ausschlaggebend zu berücksichtigen. Eine inhaltliche Beschränkung im Erklärungsteil hätte möglicherweise zur Versagung des Visums geführt. Die Verpflichtung habe sich auch nicht lediglich auf einen Besuch anlässlich der Hochzeitsfeier des Klägers beschränkt, selbst wenn er die Vorstellung gehabt haben sollte, ein Visum werde nur für eine einzige Einreise erteilt. Die deutsche Auslandsvertretung habe hier unionsrechtskonform das einheitliche Visum für eine mehrmalige Einreise erteilt. Die Haftung des Klägers gründe sich daher auf die letzte legale Einreise, die durch das Visum ermöglicht worden sei, im Juni 2019. Die Haftung dauere ab dieser Einreise fünf Jahre an.
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Die Inanspruchnahme des Klägers in Höhe von 9.215,36 Euro sei auch im Übrigen rechtmäßig, insbesondere nicht unverhältnismäßig.
10
Zur Begründung seiner vom Senat mit Beschluss vom 9. März 2023 (10 ZB 22.1047) zugelassenen Berufung trägt der Kläger vor, der Beklagte habe keinen Anspruch auf Erstattung der seiner Schwester gewährten bzw. der erst noch zu gewährenden Leistungen. Er habe keine Verpflichtungserklärung für den Zeitraum ab 3. Juni 2020 abgegeben. Die unter dem 25. Januar 2018 vom Kläger abgegebene Erklärung habe sich lediglich auf einen einmaligen, längstens zweimonatigen Besuch der Schwester bezogen. Die Relevanz der Erklärung habe sich mithin mit der Ausreise der Schwester am 15. September 2018 erschöpft. Die weiter im Bescheid enthaltene Feststellung einer Erstattungspflicht für noch nicht konkret geltend gemachte Kosten sei nach der Rechtsprechung nicht zulässig.
11
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
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unter Abänderung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 2. März 2022 den Bescheid des Beklagten vom 3. August 2021 aufzuheben.
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Der Beklagte verteidigt, ohne einen ausdrücklichen Antrag zu stellen, das erstinstanzliche Urteil und beruft sich insoweit im Wesentlichen auf seinen dortigen Vortrag.
14
Mit Schreiben vom 25. Oktober 2024 hat der Senat die Beteiligten gemäß § 130a i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO zu einer Entscheidung durch Beschluss nach § 130a Satz 1 VwGO angehört.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und der Behördenakten verwiesen.
II.
16
Der Senat entscheidet über die Berufung gemäß § 130a VwGO durch Beschluss, da er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält; die Beteiligten wurden hierzu angehört.
17
Die zulässige Berufung ist begründet, weil der streitgegenständliche Bescheid des Landratsamts D.-R. vom 3. August 2021 rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO); er war daher unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils vom 2. März 2022 aufzuheben.
18
Die Rechtmäßigkeit eines Leistungsbescheids betreffend die Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung bestimmt sich nach der im Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage, soweit nicht späteren Änderungen der Rechtslage zulässigerweise Rückwirkung auf den maßgeblichen Zeitpunkt zukommt (BVerwG, U.v. 26.1.2017 – 1 C 10.16 – BVerwGE 157, 2018 = juris Rn. 17; BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 1 C 4.13 – BVerwGE 149, 65 = juris Rn. 9; BVerwG, U.v. 16.10.2012 – 10 C 6.12 – BVerwGE 144,326 = juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 24.1.2023 – 10 B 21.715 – juris Rn. 31; BayVGH, B.v. 26.8.2020 – 10 ZB 20.1516 – juris Rn. 7).
19
Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung ist § 68 Abs. 1 AufenthG. Danach hat derjenige, der sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentliche Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen. Aufwendungen, die auf einer Beitragsleistung beruhen, sind nicht zu erstatten. Der Zeitraum von fünf Jahren beginnt mit der durch die Verpflichtungserklärung ermöglichten Einreise des Ausländers. Die Verpflichtungserklärung erlischt vor Ablauf des Zeitraums von fünf Jahren ab Einreise des Ausländers nicht durch Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abschnitt 5 des Kapitels 2 oder durch Anerkennung nach § 3 oder § 4 des Asylgesetzes. Nach § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG steht der Erstattungsanspruch der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat. Diese ist befugt, den Anspruch im Wege des Verwaltungsakts (Leistungsbescheid) geltend zu machen (BVerwG, U.v. 24.11.1998 – 1 C 33.97 – juris Rn. 21).
20
Die im streitgegenständlichen Leistungsbescheid geltend gemachten Kosten werden jedoch im vorliegenden Fall von der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung nicht erfasst. Die Verpflichtungserklärung des Klägers vom 25. Januar 2018 betrifft den Aufenthalt seiner Schwester von der Einreise am 18. Juli 2018 bis zu ihrer Ausreise am 15. September 2018, jedoch nicht (mehr) deren Aufenthalt nach ihrer erneuten Einreise am 3. Juni 2019. Dies ergibt sich schon aus dem Zweck der Verpflichtungserklärung, dem begünstigten Ausländer den Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 AufenthG) und damit die Erteilung eines Visums zur Einreise und nachfolgendem Aufenthalt zu ermöglichen (Schöninger in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2024, AufenthG § 68 Rn. 3), nicht aber für weitere beliebige Aufenthalte der begünstigten Person (innerhalb von fünf Jahren). Die Haftung endet damit mit der Ausreise des begünstigten Ausländers „automatisch“ (so Kluth in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2024, AufenthG § 68 Rn. 15; Schöninger in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2024, AufenthG § 68 Rn. 15; ebenso Hailbronner in Hailbronner, Ausländerrecht, § 68 AufenthG, Stand 1.3.2020, Rn. 22; unklar Münch in Hoffmann, Ausländerrecht, 3. Auflage 2023, AufenthG § 68 Rn. 11).
21
Der Senat folgt nicht der Ansicht, dass sich eine Verpflichtungserklärung auch auf innerhalb des Fünfjahreszeitraums entstandene Kosten für den Lebensunterhalt der begünstigten Person, die nach einer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland mit Besuchervisum wieder in einen anderen Staat ausgereist und dann wieder in das Bundesgebiet eingereist ist, erstreckt (siehe hierzu VG Karlsruhe, U.v. 6.6.2019 – 14 K 10441/18 – juris Leitsatz u. Rn. 30 ff.; ebenso die hier angefochtene erstinstanzliche Entscheidung, Rn. 22). Nach dieser Ansicht verlange der Wortlaut des § 68 Abs. 1 Satz 1 keinen ununterbrochenen Aufenthalt der begünstigten Person im Bundesgebiet. Dass allein eine Ausreise die Haftung aus der Verpflichtungserklärung beende, sei dem Gesetz ebenso nicht zu entnehmen. Der Verpflichtungsgeber hafte nach dem Wortlaut der Norm unabhängig davon, ob der begünstigte Ausländer das Bundesgebiet innerhalb des Fünfjahreszeitraums verlasse, sich – wie im entschiedenen Fall – in einem der Schengen-Staaten (§ 2 Abs. 5 AufenthG) aufhalte und zur Durchführung eines Asylverfahrens wieder einreise. Entscheidend sei nur, dass sich der begünstigte Ausländer in dem Zeitraum der Haftung des Verpflichtungsgebers im Bundesgebiet aufhalte und hierdurch Kosten für seinen Lebensunterhalt entstünden (VG Karlsruhe, U.v. 6.6.2019 – 14 K 10441/18 – juris Rn. 32).
22
Die hier aufscheinende „extensive“ Ausdehnung des Haftungszeitraums ergibt sich jedoch nicht aus der gesetzlichen Regelung. Abgesehen von dem Umstand, dass wie in dem dort zu Grunde liegenden Fall in einer Ausreise in einen anderen Schengen-Staat nicht ohne weiteres eine Erfüllung der Ausreisepflicht liegt (siehe § 50 Abs. 2 u. Abs. 3 Satz 1 AufenthG), ist hier zu berücksichtigen, dass die Schwester des Klägers nach dem vorgesehenen Aufenthalt im Bundesgebiet wieder in ihr Herkunftsland zurückgekehrt ist und erst etwa achteinhalb Monate später wieder in das Bundesgebiet eingereist ist. § 68 Abs. 1 AufenthG ist nicht zu entnehmen, dass die eingegangene Verpflichtung auch für zwar innerhalb des Fünfjahreszeitraums, aber doch „irgendwann“ in der Zukunft liegende weitere Aufenthalte der begünstigten Person im Bundesgebiet gelten sollte. Der Haftungszeitraum beginnt nach dem Wortlaut von § 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 AufenthG mit einer Einreise und erstreckt sich auf die nachfolgende Aufenthaltszeit, jedoch höchstens auf einen Zeitraum von fünf Jahren. Eine kraft Gesetzes stets auf alle Aufenthalte in einem Zeitraum von fünf Jahren ab erstmaliger Einreise erstreckte Haftung wäre auch nicht damit vereinbar, dass sie auf einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung beruht; es hängt vom Inhalt der jeweiligen Verpflichtungserklärung ab, auf welche Aufenthalte sie sich bezieht.
23
Auch aus einer Auslegung der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung ergibt sich nichts Anderes.
24
Die Verpflichtungserklärung gemäß § 68 Abs. 1 AufenthG ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung; ihr Inhalt und ihre Reichweite, insbesondere für welchen Aufenthaltszweck und für welche Dauer sie gelten soll, sind durch Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB anhand der objektiv erkennbaren Umstände zum Zeitpunkt der Unterzeichnung zu ermitteln. Maßgebend ist grundsätzlich der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei objektiver Würdigung verstehen musste. Dieser Auslegungshorizont gilt auch für den Fall, dass die Verpflichtungserklärung durch Unterzeichnung eines von der Ausländerbehörde verwendeten Vordrucks mit vorformulierten Erklärungen und Erläuterungen und gegebenenfalls maßgeblich von der Ausländerbehörde vorgenommenen Änderungen oder Ergänzungen abgegeben wird. In diesem Fall ist allerdings maßgeblich, wie der Erklärende den vorformulierten Text bei objektiver Würdigung verstehen durfte. Verbleiben insoweit Unklarheiten, gehen diese zu Lasten der den Vordruck verwendenden Ausländerbehörde (BVerwG, U.v. 24.11.1998 – 1 C 33.97 – BVerwGE 108, 1 = juris Rn. 34; BayVGH, U.v. 24.1.2023 – 10 B 21.715 – Rn. 38; BayVGH, B.v. 26.8.2020 – 10 ZB 20.1516 – juris Rn. 9; NdsOVG, U.v. 9.2.2022 – 13 LB 3225/21 – juris Rn. 32 ff.).
25
Im vorliegenden Fall ist in dem auch hier verwendeten bundeseinheitlichen Vordruck der Verpflichtungserklärung unter „Dauer der Verpflichtung“ vorgedruckt „vom Tag der voraussichtlichen Einreise am …“ – hier ist eingefügt „13.07.2018“ – „bis zur Beendigung des Aufenthalts des o.g. Ausländers/in oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“. Auf der Rückseite der Erklärung finden sich in der Rubrik „Bemerkungen“ noch unter „Voraussichtliche Dauer des Aufenthalts“ die Eintragung „2 Monate“ und unter „Zweck des Aufenthalts“ die Eintragung „Besuch“.
26
Dem vorgedruckten Inhalt der Verpflichtungserklärung im Zusammenhang mit den vorgenommenen Eintragungen ist damit zu entnehmen, dass die Haftung aus der Verpflichtungserklärung mit der „Beendigung des Aufenthalts“, mithin also mit der Ausreise der Schwester des Klägers und deren Rückreise in ihr Herkunftsland, enden sollte. Auch wenn man die Eintragungen auf der Rückseite nur als „informatorisch“ ansehen will (VG Karlsruhe, U.v. 6.6.2019 – 14 K 10441/18 – juris Rn. 40), bestätigen sie doch das Auslegungsergebnis, dass sich die Haftung des Klägers nicht über die Ausreise seiner Schwester hinaus auf einen Zeitraum nach einer erneuten Einreise „irgendwann“ später erstrecken sollte. Zwar kommt der Geltungsdauer des Visums grundsätzlich keine Bedeutung über den Umfang der Verpflichtungserklärung zu, und die Haftung kann auch über die Geltungsdauer des Visums hinaus fortwirken, doch kommt es auch hier entscheidend darauf an, wie der Erklärende die Eintragungen in dem von ihm unterzeichneten Formular verstehen durfte (vgl. VG Mainz, U.v. 25.5.2020 – 4 K 594/19.M – juris Rn. 29; VG Sigmaringen, U.v. 15.3.2023 – VG 8 K 3197/21 – BeckRS 2023, 5744 Rn. 20 ff.). Das gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass der Erklärende letztlich nicht wissen kann und auch keinen Einfluss darauf hat, für welchen Zeitraum und für wie viele mögliche Einreisen die jeweilige Auslandsvertretung das Visum erteilen wird, zumal die Erteilung eines Visums für mehrfache Einreisen aufgrund der zusätzlichen Voraussetzungen (vgl. Art. 24 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 810/2009 über einen Visacodex der Gemeinschaft – Visacodex) nicht der Regel-, sondern der Ausnahmefall ist. Bei natürlicher Betrachtung wird sich der Erklärende nicht für eine für ihn nicht absehbare Vielzahl von potentiellen Einreisen des begünstigten Ausländers verpflichten wollen, da damit das Risiko einer eigenen Inpflichtnahme erheblich steigen würde. Für eine andere Auslegung im Einzelfall bedürfte es eines ausdrücklichen Hinweises durch die Ausländerbehörde. Der von § 68 AufenthG verfolgte Zweck, die öffentlichen Haushalte vor vermeidbaren Belastungen zu schützen, erfordert kein anderes Ergebnis. Ist der Erklärende nicht bereit, sich für mehrere Einreisen zu verpflichten, kann die Ausländerbehörde ihrerseits darauf hinwirken, dass lediglich ein Visum für eine einmalige Einreise erteilt wird (Art. 24 Abs. 1 Satz 2 Visacodex).
27
Der Kläger kann somit aus der von ihm abgegebenen Verpflichtungserklärung nicht für die Kosten des Lebensunterhalts seiner Schwester nach deren erneuter Einreise am 3. Juni 2019 herangezogen werden.
28
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
29
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
30
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.