Inhalt

VGH München, Beschluss v. 16.12.2024 – 4 C 24.1656
Titel:

Anhörungsrüge gegen die Nichtzulassung der weiteren Rechtswegbeschwerde

Normenketten:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 108 Abs. 2, § 152 Abs. 1 Nr. 2, § 152a, § 173 S. 1
GVG § 17a Abs. 4 S. 4, S. 5
Leitsätze:
1. Seit Inkrafttreten von § 152a VwGO sind Gegenvorstellungen grundsätzlich nicht mehr statthaft, denn Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen verwaltungsgerichtliche Urteile und Beschlüsse sind in der VwGO abschließend aufgeführt; die Gegenvorstellung gehört nicht dazu (BVerwG BeckRS 2017, 110842). (Rn. 1) (redaktioneller Leitsatz)
2. Da die Anhörungsrüge dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit einräumt, sondern allein der Behebung von Verstößen gegen die grundgesetzliche Garantie rechtlichen Gehörs dient, kann die unterbliebene Zulassung der Rechtsbeschwerde für sich genommen keine Gehörsverletzung darstellen, es sei denn, ein speziell auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag der Beteiligten wurde verfahrensfehlerhaft übergangen (BGH BeckRS 2020, 27306). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anhörungsrüge kann nicht mit einer bloß inhaltlichen Kritik der angegriffenen Entscheidung begründet werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gegenvorstellung, Anhörungsrüge, Nichtzulassung der weiteren Rechtswegbeschwerde, Gehörsrüge bezüglich der Zulassungsentscheidung, Überraschungsentscheidung
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 28.10.2024 – 4 C 24.1656
VG München vom 10.09.2024 – M 7 E 24.4356
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36805

Tenor

I. Die Gegenvorstellung wird verworfen.
II. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
III. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1
1. Die Gegenvorstellung der Antragsgegnerin gegen die in Nr. III des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Oktober 2024 enthaltene Nichtzulassung der weiteren Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG ist unzulässig und daher zu verwerfen. Seit Inkrafttreten von § 152a VwGO sind Gegenvorstellungen grundsätzlich nicht mehr statthaft, denn Rechtsmittel und Rechtsbehelfe gegen verwaltungsgerichtliche Urteile und Beschlüsse sind in der Verwaltungsgerichtsordnung abschließend aufgeführt; die Gegenvorstellung gehört nicht dazu (BVerwG, B.v. 11.4.2017 − 6 C 28.16 − juris Rn. 2; B.v. 24.2.2023 – 1 WRB 1.23 – juris Rn. 7 m.w.N.).
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2. Die Anhörungsrüge gegen die in Nr. III des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Oktober 2024 enthaltene Nichtzulassung der weiteren Rechtswegbeschwerde hat ebenfalls keinen Erfolg.
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a) Die Anhörungsrüge geht allerdings nicht schon deshalb ins Leere, weil der Senat im vorliegenden Eilverfahren an einer Zulassung der weiteren Beschwerde generell gehindert gewesen wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hält an der in einer älteren Entscheidung vertretenen Auffassung, wonach die weitere Rechtswegbeschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unstatthaft sei, weil für diesen Zwischenstreit kein weitergehender Instanzenzug eröffnet sein könne als im zugrundeliegenden Verfahren (BVerwG, B.v. 8.8.2006 – 6 B 65.05 – juris Rn. 5), in seiner neueren Rechtsprechung nicht mehr fest. Laut seinem Beschluss vom 6. Juli 2022 (Az. 3 B 31.21, BVerwGE 176, 66 Rn. 13 ff.) muss im Hinblick darauf, dass das Verfahrensrecht eine parallele Zuständigkeit für Eil- und Hauptsacheverfahren vorsieht, die Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren jedenfalls dann eröffnet sein, wenn sie in dem bereits anhängigen Hauptsacheverfahren ebenfalls zugelassen worden ist oder zugelassen wird. Hiernach bestünde auch im vorliegenden Eilverfahren die prinzipielle Möglichkeit einer solchen weiteren Beschwerde, solange im gleichzeitig anhängigen Klageverfahren (Az. 4 C 24.1657) über die mit gleichlautender Begründung erhobene Anhörungsrüge nicht ablehnend entschieden worden ist.
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b) Die Anhörungsrüge ist aber unbegründet, da der Senat mit der Entscheidung, die weitere Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG nicht zuzulassen (Nr. III des Beschlusses vom 28.10.2024), den Anspruch der Antragsgegnerin auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 152 Abs. 1 Nr. 2 VwGO).
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Die Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133). Er verpflichtet das Gericht zudem, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, nicht aber dazu, den Vorstellungen eines Beteiligten zu folgen (BVerfG, B.v. 3.6.1987 – 1 BvR 313/85 – BVerfGE 75, 369/381 f.; BVerwG, B.v. 14.11.2017 – 10 B 4.17 – juris Rn. 10). Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs stellt auch nicht sicher, dass eine gerichtliche Entscheidung frei von materiellen Rechtsfehlern oder sonstigen Verfahrensfehlern ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2019 – 15 ZB 19.34099 – juris Rn. 10).
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aa) Hiernach liegt in dem Umstand, dass der Senat im Beschluss vom 28. Oktober 2024 die weitere Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht nicht zugelassen hat, kein Gehörsverstoß, der zur Korrektur dieser Entscheidung zwingen würde. Zwar kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ungeachtet der Bindung des Gerichts an seine eigene Entscheidung (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 318 ZPO) eine nachträgliche Zulassung der weiteren Rechtsbeschwerde auf eine zulässige und begründete Anhörungsrüge hin erfolgen, wenn bei der vorherigen Entscheidung, die Beschwerde nicht zuzulassen, ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör vorgelegen hat (BGH, B.v. 14.10.2020 – IV ZB 4/20 – NJW-RR 2020, 1389 Rn. 12 m.w.N.). Da die Anhörungsrüge dem Gericht keine umfassende Abhilfemöglichkeit einräumt, sondern allein der Behebung von Verstößen gegen die grundgesetzliche Garantie rechtlichen Gehörs dient, kann aber die unterbliebene Zulassung der Rechtsbeschwerde für sich genommen keine Gehörsverletzung darstellen, es sei denn, ein speziell auf die Zulassungsentscheidung bezogener Vortrag der Beteiligten wurde verfahrensfehlerhaft übergangen (BGH, a.a.O., Rn. 13). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
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Die Antragsgegnerin hat die Frage, ob in der auf Beschwerde des Antragstellers hin vom Senat zu treffenden Rechtswegentscheidung die weitere Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werden müsste, zu keinem Zeitpunkt angesprochen. Sie hat auch den in der Anhörungsrüge erhobenen Einwand, dass sich mit der Zuweisung in den öffentlich-rechtlichen Rechtsweg zugleich der materiell-rechtliche Maßstab für die Beurteilung von Fraktionsäußerungen ändere und sich daraus die grundsätzliche Bedeutung ergebe, zuvor an keiner Stelle anklingen lassen, sondern im Beschwerdeverfahren auf jegliche Äußerung verzichtet.
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bb) Ein Gehörsverstoß folgt auch nicht aus dem Vorbringen der Antragsgegnerin, der Senat habe die gemäß § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG in Fällen grundsätzlicher Bedeutung zwingend vorgeschriebene Zulassung der weiteren Beschwerde nicht ausgesprochen, obwohl es zu der umstrittenen Frage des Rechtswegs bei Fraktionsäußerungen bisher noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung gebe. Der Sache nach rügt die Antragsgegnerin damit die fehlerhafte Anwendung einer streitentscheidenden Rechtsnorm. Die Anhörungsrüge kann aber nicht mit einer bloß inhaltlichen Kritik der angegriffenen Entscheidung begründet werden (vgl. Schübel-Pfister in Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 152a Rn. 26 m.w.N.).
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In der Zuweisung des Rechtsstreits zum Verwaltungsrechtsweg kann im Übrigen keine unzulässige Überraschungsentscheidung gesehen werden. Eine solche liegt nur vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf – selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – nicht zu rechnen brauchte (BVerwG, B.v. 5.6.2024 – 4 B 23/23 – juris Rn. 6 m.w.N.). Auf derart unvorhersehbare Gesichtspunkte hat der Senat bei seiner Entscheidung nicht entscheidungstragend abgestellt. Bereits in dem von beiden Beteiligten erwähnten Urteil vom 9. März 1988 (Az. 4 B 86.03226 – NJW 1988, 2754) hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich klargestellt, dass die Außenrechtsbeziehungen kommunaler Fraktionen Anteil an der öffentlich-rechtlichen Qualität der kommunalen Gebietskörperschaften und ihrer Organe haben; auf diese Aussage hat sich der Antragsteller in seinen Schriftsätzen vom 22. Juli und 4. September 2024 vorrangig gestützt. Er hat auch seine Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts ausdrücklich damit begründet, dass die angegriffene Pressemitteilung in untrennbarem Zusammenhang mit der Amtsausübung der Antragsgegnerin und deren Mitglieder erfolgt sei. Dass der Senat dieser rechtlichen Bewertung der Antragstellerseite zumindest im Ergebnis gefolgt ist, konnte aus Sicht der Antragsgegnerin keine Überraschung darstellen.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht; nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) fällt aber eine streitwertunabhängige Festgebühr für das Verfahren über die Rüge wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör an.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3, § 152 Abs. 1 VwGO).