Titel:
Erschließungsbeitragsrecht, Klage gegen Widerspruchsbescheid (erfolglos), Abgrenzung Außenbereich und Innenbereich, Bebauungszusammenhang
Normenketten:
KAG Art. 5a
BauGB § 34
BauGB § 35
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, Klage gegen Widerspruchsbescheid (erfolglos), Abgrenzung Außenbereich und Innenbereich, Bebauungszusammenhang
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36717
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung ihres Erschließungsbescheides durch den Beklagten.
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Mit Bescheid vom 11. Februar 2021 zog die Klägerin die Beigeladene für das Grundstück FlNr. 101/5 (fortan jeweils: Gemarkung …) für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage „… Straße“ zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 3.887,91 Euro heran.
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Das Grundstück der Beigeladenen ist mit einem Wohngebäude bebaut und liegt am westlichen Ortsrand des Ortsteils … der Klägerin im Kreuzungsbereich der … Straße und Hauptstraße. Westlich des Grundstücks der Beigeladenen befindet sich auf dem Grundstück FlNr. 101/6 ein weiteres Wohngebäude. In südwestlicher Richtung befindet sich auf FlNr. 102 eine landwirtschaftlich genutzte Lagerhalle. Ein Bebauungsplan besteht im streitgegenständlichen Bereich, d.h. im Westen …, nicht.
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Auf den Widerspruch der Beigeladenen hin hob der Beklagte – vertreten durch das Landratsamt Dachau – den Erschließungsbeitragsbescheid der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2022 auf. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Grundstück der Beigeladenen dem planungsrechtlichen Außenbereich zuzurechnen sei und daher nicht zum Kreis der von der Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke nach Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 131 Abs. 1 BauGB zähle. Der Bescheid wurde Klägerin am 3. Juni 2022 zugestellt.
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Hiergegen hat die Klägerin am 1. Juli 2022 Klage erhoben.
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Das Grundstück der Klägerin liege im planungsrechtlichen Innenbereich. Der durch die nordöstlich und südöstlich des Grundstücks vorhandene Bebauung begründete Bebauungszusammenhang erstrecke sich auf das Grundstück der Beigeladenen und vermittle den Eindruck der Geschlossenheit. Dieser werde von der … Straße nicht unterbrochen, da die Straße innerhalb des Ortsteils gelegen sei und in städtebaulich funktionalem Zusammenhang mit der umgebenden Bebauung stehe.
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Die Klägerin beantragt,
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den Widerspruchsbescheid des Landratsamts Dachau vom 23. Mai 2022 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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Zur Begründung verweist der Beklagte auf den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid.
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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Widerspruchsbehörde hat den Erschließungsbeitragsbescheid der Klägerin vom 11. Februar 2021 zu Recht aufgehoben, da die Heranziehung der Beigeladenen zu dem Erschließungsbeitrag für die Herstellung der … Straße rechtswidrig war, denn das Grundstück der Beigeladenen ist dem planungsrechtlichen Außenbereich zuzuordnen.
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Gemäß Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 131 Abs. 1 BauGB, § 4 der Erschließungsbeitragssatzung der Klägerin vom 18. Dezember 2017 können nur die Grundstücke zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen werden, die von der jeweiligen Erschließungsanlage erschlossen werden.
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Zwar liegt das Grundstück der Beigeladenen an der am Abzweig der Hauptstraße beginnenden und sich nach Westen fortsetzenden … Straße an, Grundstücke im planungsrechtlichen Außenbereich sind nach ständiger, höchstrichterlicher Rechtsprechung jedoch nicht als erschlossen i.S.d. § 131 Abs. 1 BauGB anzusehen (vgl. nur BVerwG, B.v. 23.11.1982 – 8 B 126/82 – juris Rn. 2 f.).
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Auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Pläne und Luftbildaufnahmen (vgl. die vorgelegten Behördenakten sowie „BayernAtlas“ (https://geoportal.bayern.de/bayernatlas, Stand 2024)) sowie der bei Google Street View (Stand Mai 2022) verfügbaren Lichtbilder auf Straßenniveau ist die Kammer in Anbetracht der konkreten örtlichen Verhältnisse der Auffassung, dass sich das Grundstück der Beigeladenen im bauplanungsrechtlichen Außenbereich befindet. Bereits die vorgenannten Erkenntnisquellen vermitteln der Kammer einen ausreichenden Eindruck von den maßgeblichen Verhältnissen vor Ort, insbesondere war dafür die Durchführung eines Augenscheins nicht veranlasst. Soweit sich die notwendigen Erkenntnisse über die konkrete Situation vor Ort – wie hier – in hinreichender Weise aus den bei den Akten befindlichen Lageplänen, Fotos und Luftbildern gewinnen lassen, bedarf es einer weiteren Aufklärung durch einen Augenschein nicht; das gilt nur dann nicht, wenn ein Beteiligter geltend macht, dass die Karten und Luftbilder in Bezug auf bestimmte, für die Entscheidung wesentliche Merkmale keine hinreichende Aussagekraft besitzen, und dies zutreffen kann (BayVGH, B.v. 11.9.2024 – 6 ZB 23.1832 – juris Rn. 12 m.w.N.). Letzteres war vorliegend nicht der Fall.
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Mangels Bebauungsplan richtet sich die bauplanungsrechtliche Zuordnung des Grundstücks der Beigeladenen nach den §§ 34, 35 BauGB.
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Wegen der Grundsätze zur Abgrenzung von Innen- und Außenbereich wird zunächst auf die diesbezüglich herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur verwiesen, der die Kammer folgt (statt vieler: BayVGH, B.v. 17.4.2023 – 1 ZB 22.1789 – juris Rn. 10; B.v. 6.2.2023 – 15 ZB 22.2506 – juris Rn. 7; B.v. 27.7.2022 – 9 ZB 22.431 – juris Rn. 7; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2023, § 34 Rn. 13 ff., § 35 Rn. 13 f.), wegen der diesbezüglichen erschließungsbeitragsrechtlichen Besonderheiten der Berücksichtigung typischer wohnakzessorischer Nutzungen vgl. u.a.: Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 13 Rn. 31 f.; VG München, U.v. 29.7.2022 – M 28 K 19.2179 – juris Rn. 56 ff. m.w.N.. Darüber hinaus kann insoweit auch auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2022 verwiesen werden.
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Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist nicht davon auszugehen, dass das Grundstück der Beigeladenen am Bebauungszusammenhang des übrigen Ortsteils i.S.d. § 34 BauGB teilnimmt.
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Dies ergibt sich im Einzelnen aus folgenden Erwägungen:
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Das klägerische Grundstück bildet keinen Bestandteil eines Bebauungszusammenhangs. Es fehlt an einem Eindruck der Geschlossenheit. Westlich des Grundstücks der Beigeladenen befindet sich auf FlNr. 101/6 lediglich ein weiteres Wohnhaus, bevor sich weitläufige landwirtschaftliche Nutzflächen anschließen. Da es den beiden Wohngebäuden auf FlNr. 101/6 und 101/5 an einem hinreichenden Gewicht fehlt, ist nicht von einem eigenständigen Ortsteil westlich der … Straße auszugehen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der auf FlNr. 102 befindlichen Lagerhalle, da diese zum einen durch das landwirtschaftlich genutzte Grundstück FlNr. 101 räumlich getrennt und die Lagerhalle zum anderen nicht zum ständigen Aufenthalt von Menschen bestimmt und daher insoweit nicht zu berücksichtigen ist.
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Südlich des Grundstücks FlNr. 101/5 verläuft zunächst die ca. 5,00 bis 6,00 m breite Hauptstraße, an der sodann weitere landwirtschaftlich genutzte Flächen auf den FlNrn. 329, 330 anliegen.
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Das südöstlich der Hauptstraße auf FlNr. 181/9 gelegene Wohnhaus vermag ebenfalls keinen Bebauungszusammenhang zu vermitteln. Es ist bereits fraglich, ob dieses Grundstück aufgrund der weiträumigen Baulücke(n) auf den FlNrn. 181/12, 181/13, 182/4 selbst noch dem Innenbereich zugeordnet werden kann. Jedenfalls ist aber aufgrund der erheblichen Entfernung zum Grundstück der Beigeladenen (mind. 40,00 m) und der keinen Bebauungszusammenhang vermittelnden Hauptstraße nicht davon auszugehen, dass das Grundstück FlNr. 101/5 derart von der südöstlichen Bebauung geprägt würde, dass die Errichtung eines Gebäudes auf dieser Fläche als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung erschiene. Der Innenbereich endet daher jedenfalls an der westlichen Gebäudekante bzw. unter Berücksichtigung der sog. „Hausgartenrechtsprechung“ (vgl. etwa BayVGH, U.v. 16.2.2021 – 6 CS 20.3153 – juris Rn. 12 ff.) etwa an der südwestlichen Grundstücksgrenze der FlNr. 181/9.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin vermittelt auch die nordöstliche Wohnbebauung auf den FlNrn. 83/1 und 81/1 dem Grundstück der Beigeladenen keinen Bebauungszusammenhang.
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Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass aufgrund der relativ geringen Breite der … Straße von ca. 5,00 m noch nicht zwingend von einer trennenden Wirkung ausgegangen werden muss. Sie ist jedoch auch nicht in der Lage, einen Bebauungszusammenhang zu vermitteln, an dem das klägerische Anwesen teilhätte (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 ZB 12.468 – juris). Dieses erscheint der Bebauung nordöstlich der … Straße nicht zugehörig, sodass ohne Belang ist, ob diese ihrerseits dem Innenbereich zuzuordnen ist. Der Bebauungszusammenhang des Ortsteils einschließlich einer erschließungsbeitragsrechtlich anzuerkennenden wohnakzessorischen Nutzung endet etwa auf Höhe der Süd- bzw. Westgrenze der FlNr. 83/1 und bezieht daher das Grundstück der Beigeladenen nicht mehr mit ein. Dies ergibt sich daraus, dass sich nördlich und westlich der FlNr. 83/1 freie Landschaft anschließt und auch keine topografische Zäsur erkennbar ist, welche den Bauzusammenhang vermitteln würde. Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei dem Häuserzug auf den FlNrn. 83/1, 81/1 um einen in den Außenbereich hineinragenden Vorsprung des weiter östlich gelegenen Ortsteils handelt, sodass sich die Bebauung auf den FlNrn. 101/6, 101/5 nicht als Fortsetzung einer organischen Siedlungsstruktur darstellt. Inwieweit also das hiervon durch die … Straße getrennte Grundstück der Beigeladenen baulich geprägt sein soll, ist für die Kammer nicht ersichtlich.
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Daher ist das Grundstück der Beigeladenen dem planungsrechtlichen Außenbereich zuzuordnen, die Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen rechtswidrig und war der Erschließungsbeitragsbescheid der Klägerin vom 11. Februar 2022 aufzuheben.
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Dem steht auch nicht entgegen, dass das Grundstück der Beklagten – auf Grundlage einer Baugenehmigung nach § 35 Abs. 2 BauGB – tatsächlich bebaut ist, da es insoweit auf eine typisierende Betrachtung ankommt (BVerwG, B.v. 23.11.1982 – 8 B 126/82 – juris Rn. 3).
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Andere Gründe die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheides begründen könnten, wurden weder vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich.
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Vor diesem Hintergrund war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene einen Klageabweisungsantrag gestellt und sich somit einem entsprechenden Kostenrisiko, vgl. § 154 Abs. 3 VwGO, ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, der Klägerin auch die Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, § 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
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Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).