Inhalt

VG München, Beschluss v. 22.10.2024 – M 13L DK 22.2341
Titel:

Disziplinarklage, Einstellung des Disziplinarverfahrens nach Entlassung auf eigenen Antrag, Feststellung nach Art. 11 Abs. 6 BayDG, Schweres Dienstvergehen einer Polizeibeamtin durch Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen im Drogenmilieu

Normenketten:
BayDG Art. 11
BayDG Art. 33
BayDG Art. 57
BayDG Art. 58
Schlagworte:
Disziplinarklage, Einstellung des Disziplinarverfahrens nach Entlassung auf eigenen Antrag, Feststellung nach Art. 11 Abs. 6 BayDG, Schweres Dienstvergehen einer Polizeibeamtin durch Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen im Drogenmilieu
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36714

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt.
II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 6 Satz 2 BayDG vorliegen.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Gegenstand des Verfahrens ist eine Disziplinarklage des Polizeipräsidiums München als Disziplinarbehörde vom ... 2022 mit dem Ziel der Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis. Darin legt der Kläger der am ... 1993 geborenen Beklagten als Beamtin auf Lebenszeit seit 1. Februar 2016 im Dienst der Bayerischen Polizei, zuletzt als Polizeiobermeisterin, zur Last, durch Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen sowie Beihilfe zum vorsätzlichen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, Warnungen vor Polizeikontrollen sowie unberechtigter Datenabfragen und eigenen Konsums von Kokaingemisch ein sehr schweres Dienstvergehen begangen zu haben. Auf die Disziplinarklage wird im Übrigen gemäß § 117 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Bezug genommen und von einer wiederholenden Darstellung abgesehen.
2
Die Beklagte hat sich umfangreich zur Disziplinarklage durch ihren Bevollmächtigten sowie eigene Angaben schriftsätzlich sowie in der mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 2024 eingelassen. Dabei hat sie den Vorwurf der Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen, hinsichtlich dessen gegen die Beklagte ein rechtskräftiger Strafbefehl des Amtsgerichts … vom ... 2021 – 1 Cs ... … – mit einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten ergangen ist, eingeräumt, ist aber der zur Last gelegten Beihilfe entgegengetreten. Insoweit hatte die Staatsanwaltschaft München II das Strafverfahren mangels Tatnachweises mit Verfügung vom 19. Januar 2021 eingestellt. Den eigenen Konsum von Betäubungsmitteln hat die Beklagte vehement bestritten und hierzu auf die eingeholten gutachterlichen Ausführungen des Forensisch Toxikologischen Centrums München Bezug genommen, die eine unbemerkte Aufnahme in einem EnergyDrink nicht ausschließen. Sie habe sich zum Zeitpunkt ihres dienstpflichtwidrigen Verhaltens zudem in einer negativen Lebensphase befunden, die – auch mit therapeutischer Unterstützung – überwunden sei. Hierzu haben ihr Bevollmächtigter sowie die Beklagte ausführlich ausgeführt. Die Zeit ihrer vorläufigen Dienstenthebung habe sie für ein Studium der sozialen Arbeit mit Bachelorabschluss genutzt und insofern auch ein Angebot zur sofortigen Beschäftigung. Im Übrigen wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
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Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung am 22. Oktober 2024 einen Antrag auf Entlassung aus dem Beamtenverhältnis mit sofortiger Wirkung gestellt hat und daraufhin von den hierzu berechtigten Vertretern des Klägers im Bescheidswege eine solche mit Ablauf des 22. Oktober 2024 verfügt wurde, hat der Kläger beantragt,
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das Disziplinarverfahren einzustellen und eine Feststellung nach Art. 11 Abs. 6 BayDG zu treffen.
5
Die Beklagte hat durch ihren Bevollmächtigten beantragt,
das Disziplinarverfahren einzustellen.
6
Eine Feststellung nach Art. 11 Abs. 6 BayDG sei nicht zu treffen. Auf die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung wird insoweit Bezug genommen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Disziplinarakten des Polizeipräsidiums München und Polizeipräsidiums Oberbayern Nord mit den darin befindlichen Kopien der Strafakte der Staatsanwaltschaft München II und die beigezogene Personalakte Bezug genommen.
II.
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Das Disziplinarverfahren gegen die Beklagte ist einzustellen und dabei das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 6 Bayerisches Disziplinargesetz (BayDG) festzustellen. Der Beklagten sind die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
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1. Das Disziplinarverfahren gegen die Beklagte ist gemäß Art. 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
Var. 1 BayDG einzustellen, da die Beklagte durch ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis mit Ablauf des 22 Oktober 2024 nicht mehr dem Geltungsbereich des Bayerischen Disziplinargesetzes unterfällt.
10
Nach Erhebung der Disziplinarklage obliegt die Einstellung – nicht nur des Klageverfahrens, sondern auch des Disziplinarverfahrens – dem zuständigen Disziplinargericht gemäß Art. 57 Abs. 2 Nr. 2 BayDG, das im Beschlusswege und vorliegend – angesichts einer Entscheidung aufgrund der mündlichen Verhandlung – unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter entscheidet.
11
2. Wäre das Disziplinarverfahren nicht einzustellen, wäre die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen, so dass die Einstellung mit der Feststellung gemäß Art. 11 Abs. 6 BayDG zu verbinden ist, dass dessen Voraussetzungen vorliegen, mit der Folge, dass die Beklagte nicht mehr bei einem bayerischen Dienstherrn erneut zur Beamtin ernannt werden darf und auch kein anderes Beschäftigungsverhältnis begründet werden soll. Die Zuständigkeit des Gerichts für eine solche Feststellung ergibt sich aus Art. 57 Abs. 2 Nr. 2 a.E. i.V.m. Art. 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BayDG.
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a) Die Beklagte hat ein sehr schweres Dienstvergehen i.S.v. § 47 Abs. 1 Satz 1
Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) als aktive Polizeibeamtin begangen, indem sie sich durch den ihr im Strafbefehl des Amtsgerichts … vom ... 2021 – 1 Cs 44 ... – mit Indizwirkung gemäß Art. 25 Abs. 2 BayDG zur Last gelegten und von ihr eingeräumten Sachverhalt der Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen gemäß §§ 258a Abs. 1, 13 StGB strafbar gemacht hat. Die Beklagte hatte Kenntnis vom Handel ihres Freundes mit Kokain, machte hierüber jedoch keine Angaben ihrem Dienstherrn gegenüber. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Disziplinarklage sowie den Strafbefehl Bezug genommen. Die außerdienstliche Kenntniserlangung vom strafbaren Verhalten ihres damaligen Freundes befreite die Beklagte nicht von ihrer Amtspflicht. Der Handel mit Drogen wie Kokain stellt zwar keine Katalogstraftat nach § 138 StGB dar, aber eine gravierende Straftat, an deren Verfolgung ein überwiegendes öffentliches Interesse mit einem Zurücktreten des privaten Freiraums eines Polizeibeamten besteht (vgl. Hecker in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 258a Rn. 11).
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Das Gericht folgt dem Kläger hingegen nicht, soweit der Beklagten auch eine Beihilfe zum Handeltreiben zur Last gelegt wird. Vielmehr ist in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft München II in der Verfügung vom 19. Januar 2021 davon auszugehen, dass insoweit kein Tatnachweis geführt werden kann. Auch die Zeugeneinvernahme in der mündlichen Verhandlung hat diesbezüglich keinen Tatnachweis erbracht. Keiner näheren Betrachtung bedarf daher, ob und ggf. welche Auswirkungen die Annahme einer strafrechtlich relevanten Beihilfehandlung für die Strafbarkeit einer Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen hätte.
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Ebensowenig ist der der Beklagten zur Last gelegte Konsum von Kokaingemisch bewiesen. Den eigenen Einlassungen der Beklagten zufolge ist in Verbindung mit den gutachterlichen Ausführungen gerade nicht ausgeschlossen, dass die Beklagte das nachgewiesene Kokain im Körper nicht wissentlich zu sich nahm, sondern ihr in von ihr konsumierte EnergyDrinks gemischt wurde. Hier greift der Grundsatz in dubio pro reo, zumal das Gericht die Ausführungen der Beklagten nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck gerade nicht als Schutzbehauptung, sondern vielmehr glaubhaft bewertet.
15
Die der Beklagten zur Last gelegten – teilweise innerdienstlichen, teilweise außerdienstlichen – Warnungen und Informationsweitergaben an ihren damaligen Freund bzw. einmalige unbefugte Datenabfrage bezüglich eines Bekannten fällt gegenüber der Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen nicht eigenständig erschwerend ins Gewicht, so dass es keiner näheren Ausführungen hierzu bedarf. Diesbezüglich war auch das Strafverfahren gemäß § 154 StPO eingestellt worden. Sie sind aber bei der Berücksichtigung der Einzelfallumstände im Rahmen der Maßnahmebemessung durchaus verwertbar.
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b) Das von der Beklagten begangene innerdienstliche Dienstvergehen durch den Verstoß gegen die Pflicht zur Beachtung der Gesetze und ansehens- und vertrauensschädigende Verhalten (vgl. §§ 33 f. BeamtStG) wiegt so schwer i.S.v. Art. 14 BayDG, dass es auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und dem Persönlichkeitsbild der Beklagten mit ihrem bisherigen dienstlichen Verhalten die Höchstmaßnahme nach sich gezogen hätte.
Dabei ergibt sich bereits aus dem Strafrahmen des § 258a StGB ein Orientierungsrahmen bis zur Höchstmaßnahme. Auch wenn die Beklagte blind vor Liebe gewesen sein mag und ihren damaligen Freund aus dem Drogenmilieu habe ziehen wollen, so zeigt der Chatverlauf deutlich, dass sich vielmehr die Beklagte in das Milieu hat ziehen lassen und beispielsweise ausdrücklich formulierte, sie würde die „Kumpels nicht hinhängen“. Zudem versagte die Beklagte als Polizeibeamtin mit ihrer Kernpflicht zur Verhinderung und Bekämpfung von Straftaten nicht nur in einer einmaligen Situation, sondern über einen Zeitraum von mindestens einem Monat. Dies gilt auch unter Berücksichtigung, dass der Dienststelle der Beklagten durchaus bereits bekannt war, dass Herr T. dem Drogenmilieu zuzurechnen war.
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Der anerkannte Milderungsgrund einer überwundenen negativen Lebensphase greift vorliegend nicht, da die konkrete Situation, in der sich die Beklagte zum Zeitpunkt des dienstpflichtwidrigen Verhaltens befand, trotz ihrer unglücklichen und schwierigen Umstände nicht als derart außergewöhnlich einzustufen ist, dass ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr zu erwarten gewesen wäre (vgl. zu den Anforderungen BVerwG, B.v. 15.6.2016 – 2 B 49.15 – beck-online Rn. 10 f.; vgl. OVG Münster, U.v. 29.9.2021 – 3d A 148/20.O – beck-online Rn. 78 ff. – mit BVerwG, B.v. 23.6.2022 – 2 B 53.21 – beck-online Rn. 17 im Nachgang – zum Handeln aus Liebe; vgl. BayVGH. U.v. 24.5.2023 – 16a D 20.2247 – beck-online Rn. 71 a.E., dass „blind vor Liebe“ und ein Zustand „extremer emotionaler Verwirrtheit“ schon keine negative Lebensphase begründe).
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c) Wenngleich folglich die Feststellung nach Art. 11 Abs. 6 BayDG auszusprechen war und dem Gericht diesbezüglich kein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum zukommt, sind bei Anwendung der Rechtsfolge mit der normierten Soll-Vorschrift aus Sicht der Kammer die Umstände des Einzelfalls und insbesondere die Persönlichkeit der Beklagten in besonderer Weise (neuerlich) zu würdigen. Hat die Beklagte auch als Polizeibeamtin zum damaligen Zeitpunkt mit der Folge eines insoweit vollständigen Vertrauensverlustes versagt, so ergibt sich daraus zur Überzeugung der Kammer nicht, dass dies einer Tätigkeit im Bereich der sozialen Arbeit im Rahmen eines etwaigen Beschäftigungsverhältnisses entgegenstünde. Die Beklagte hat sich erkennbar intensiv mit den Gründen ihres damaligen Versagens auseinandergesetzt, dies – auch mit therapeutischer Hilfe – aufbereitet, im Disziplinarwie Klageverfahren mitgewirkt, ihre Drogenabstinenz nachgewiesen, Reue gezeigt sowie Konsequenzen für ihre Alltagsstruktur, Problembewältigung und ihr berufliches Leben gezogen, sich unter anderem bereits während des Disziplinarverfahrens beruflich neu orientiert.
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3. Über die Kosten des Verfahrens ist nach Art. 72 Abs. 4 Satz 2 BayDG i.V.m. § 161 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zu entscheiden. Danach ergibt sich die Kostenentscheidung nach billigem Ermessen, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Vorliegend entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen, da gegen sie ohne Eintritt des erledigenden Ereignisses voraussichtlich eine Disziplinarmaßnahme, nämlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach Art. 11 BayDG, ausgesprochen worden wäre.
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Die Beklagte hat auf Rechtsmittel nach Verkündung des Beschlusses verzichtet, die Klägervertreterin keine diesbezügliche Erklärung abgegeben. Daher ergeht folgende