Titel:
Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters bei einem Streit über kommunale Abgaben.
Normenkette:
BayVwVfG Art. 80 Abs. 2
Schlagwort:
Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters bei einem Streit über kommunale Abgaben.
Fundstelle:
BeckRS 2024, 3665
Tenor
1. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 23. August 2023 in Ziffer 3 wie folgt abzuändern: Die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters für das Widerspruchsverfahren wird für notwendig erklärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich zuletzt gegen die Weigerung der Beklagten, die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters für das Widerspruchsverfahren festzustellen.
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1. Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er vereinbarte mit Vertrag vom 27. Juni 2022, beurkundet von dem Notar … (Urkunden-Nr.: …), den Erwerb einer Garage für 10.000,00 EUR.
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Der Notar weigerte sich den Vertrag zu vollziehen, nachdem die fehlende Geschäftsfähigkeit des Verkäufers geltend gemacht wurde.
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Das Finanzamt … machte dem Kläger gegenüber Grunderwerbssteuern in Höhe von 350,00 EUR geltend, deren Begleichung sie am 10. Oktober 2022 anmahnte. Mit anwaltlichen Schreiben vom 9. Dezember 2022 wurde das Finanzamt … aufgefordert, die durch das Finanzamt … am 2. Dezember 2022 angekündigten Vollstreckungsmaßnahmen einzustellen.
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Der Verkäufer des Garagengrundstücks ist am 10. November 2022 ohne Angehörige verstorben.
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2. Mit Bescheiden vom 3. Februar 2022 hat das Finanzamt … sowohl einen Einheitswertbescheid als auch einen Grundsteuermessbescheid erlassen. Gegen diese wurden seitens des Unterfertigten durch seinen anwaltlichen Vertreter am 3. März 2023 Einspruch eingelegt.
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Die Beklagte erließ am 20. Juli 2023 einen Grundabgabenbescheid, mit dem eine jährliche Grundsteuer von 25,80 Euro festgesetzt wurde. Hiergegen wurde mit Schreiben des anwaltlichen Vertreters vom 18. August 2023 Widerspruch eingelegt.
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3. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2023 wurde die Veranlagung zur Grundsteuer aufgehoben, wobei dem Kläger unter Nr. 2 des Widerspruchsbescheids die Kosten des Widerspruchsverfahrens auferlegt wurden und unter Nr. 3 die Beiziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für nicht notwendig erklärt wurde. Mit Ergänzungsbescheid vom 17. Oktober 2023 wurde Nr. 2 dahingehend geändert, dass die Beklagte die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen hat.
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4. Mit Schreiben vom 25. September 2023 erhebt der Kläger durch seinen anwaltlichen Vertreter Klage und beantragt zuletzt,
der Bescheid der Beklagten vom 23. Mai 2023 wird in Ziffer 3 mit der Maßgabe abgeändert, dass die Beklagte die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters für das Widerspruchsverfahren für notwendig erklärt.
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Der Kläger sei der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, um die Korrespondenz mit den Behörden selbst zu führen. Die Beklagte sei aus der Korrespondenz mit dem Finanzamt … und dem Finanzamt … bekannt gewesen, dass der Kläger nicht grundabgabenpflichtig sei. Dem Kläger sei mangels Sprachkenntnissen nichts Anderes übriggeblieben, als einen Rechtsanwalt zu beauftragen.
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5. Die Beklagte erwidert mit Schreiben vom 20. Oktober 2023 und beantragt,
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Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses keine Hinweise dafür bestanden haben, dass die Bindungswirkung des Grundsteuermessbescheides nicht vorliegt.
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Nach dem Änderungsbescheid vom 17. Oktober 2023 sei die Klage unzulässig geworden, da das Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr bestehe. Hinsichtlich Nr. 3 des Bescheides vom 23. August 2023 sei die Klage zwar zulässig, aber unbegründet.
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Die Zuziehung eines Bevollmächtigten sei notwendig, wenn es dem Beteiligten nach seinen persönlichen Verhältnissen und der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten sei, das Widerspruchsverfahren selbst zu führen (BVerwG, NJW 2009, 2968, (2970)). Abzustellen sei darauf, ob ein vernünftiger Bürger mit dem gleichen Bildungs- und Erfahrungsstand wie der Beteiligte sich eines Bevollmächtigten bedient hätte. Weitere Determinante der Zumutbarkeit sei der Umfang des Falles (Wysk in Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 23. Aufl. 2022, § 80 Rn. 40) und der daraus abzuleitende Aufwand in die Betrachtung einzustellen. Die Zuziehung sei tendenziell notwendig, wenn der Sachverhalt nicht sofort beantwortbare Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwerfe (BVerwG, NJW 1978, 1988 m.w.N.).
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Vorliegend habe es für die Beantwortung der Widerspruchsfrage lediglich der Mitteilung an das Kassen- und Steueramt bedurft, dass der Kaufvertrag unwirksam gewesen sei, sowie dem Antrag beim hierfür zuständigen Finanzamt zur Abänderung des Grundsteuermessbescheids. Weitergehende Tätigkeit oder Rechtsausführungen seien nicht notwendig gewesen. Der Kläger sei ferner bereits seit 1995 in … gemeldet und werde seit Jahren zur Grundsteuer herangezogen. Soweit der Klägervertreter umfangreich Korrespondenz mit dem Finanzamt vorlegt, verkenne dieser, dass die Beklagte an die Entscheidung des Finanzamtes hinsichtlich des Grundlagenbescheides gebunden sei (§§ 184 Abs. 1, 182 Abs. 1 AO i.V.m. § 171 Abs. 10 AO).
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Soweit der Klägervertreter vorträgt, der Kläger beherrsche selbst nicht hinreichend die deutsche Sprache, so stehe dies im offenen Widerspruch zu den sonstigen vorgelegten Unterlagen. Der unter K1 vorgelegte notarielle Kaufvertrag enthalte den Zusatz, dass der Kläger der deutschen Sprache hinreichend mächtig sei.
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6. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2023 erklärt der Kläger den Klageantrag hinsichtlich Nr. 2 des Bescheides vom 23. August 2023 vor dem Hintergrund des Änderungsbescheides vom 17. Oktober 2023 für erledigt. An der Klage hinsichtlich Nr. 3 des Bescheides wurde ausdrücklich festgehalten. Die Beklagte schließt sich der Teilerledigungserklärung mit Schreiben vom 15. November 2023 an. Das Gericht trennte das streitgegenständliche Verfahren unter neuem Aktenzeichen ab und stellte das ursprüngliche Verfahren mit Beschluss vom 16. November 2023 ein und setzte fest, dass die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
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Mit Schreiben vom 27. November 2023 erklärte die Klägerseite, mit Schreiben vom 21. November 2023 die Beklagte ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung der Notwendigkeit der Beiziehung eines Anwalts im Vorverfahren, § 113 Abs. 5 VwGO.
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1. Der Antrag ist offenkundig so zu verstehen und auszulegen (§ 88 VwGO), dass er sich gegen den Widerspruchsbescheid vom 23. August 2023 und nicht gegen den Ausgangsbescheid vom 23. Mai 2023 richtet. Insoweit handelt es sich um ein offenkundiges Versehen, wie sich aus dem Klagebegehren ergibt, das sich sachlich auf die Feststellung der Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung im Widerspruchsverfahren bezieht. Über diese konnte denknotwendigerweise erst im Widerspruchsbescheid eine Aussage getroffen werden. Nicht anders hatte im Übrigen auch die Beklagte das klägerische Begehren verstanden, die sich ausdrücklich auf den Bescheid vom 23. August 2023 bezieht.
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Die Klage gegen Ziffer 3 des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2023 findet als Verpflichtungsklage statt. Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit ist, dass die Zuziehung eines Rechtsanwalts für das Widerspruchsverfahren durch die Behörde ausdrücklich für notwendig erklärt wurde, Art. 80 Abs. 3 Satz 2 BayVwVfG (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.1987 – 7 C 83/84 – Rn. 7; Fabisch in Giehl/Adolph, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, 51. AL Stand: September 2023, Art. 80 BayVwVfG Rn. 108).
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Die Klage richtet sich vorliegend allein gegen die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheids einschließlich der nach § 80 VwVfG getroffenen Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters. Dementsprechend war über diese Kosten auch nicht im Rahmen des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO zu entscheiden, da sich an die materielle Rechtsfrage kein Hauptsacheverfahren angeschlossen hat (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.2021 – 4 C 3.20 – Rn. 19). Für das klägerische Recht auf effektiven Rechtsschutz ist dabei geboten, die im Raum stehende Streitfrage selbständig zu behandeln.
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2. Die Frage der Feststellung der Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts richtet sich vorliegend nach Art. 80 Abs. 2 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG). Die Verwaltung der Realsteuern, zu denen die Grundsteuer gehört (§ 3 Abs. 2 AO), obliegt den Gemeinden (Art. 18 KAG). § 1 Abs. 2 der Abgabenordnung klammert bewusst das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren aus, so dass das Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO, wenn auch unter entsprechender Anwendung der §§ 355 ff. AO, stattfindet (Gersch in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 1 Rn. 11; Krumm/Paeßens, GrStG, 1. Aufl. 2022, Grundlagen Rn. 60). Die Erstattung von Kosten im gerichtlichen Vorverfahren regelt Art. 80 BayVwVfG.
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Nach Art. 80 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG gehören zu den erstattungsfähigen Kosten des Widerspruchsverfahrens die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen dessen, der den Widerspruch eingelegt hat. Nach Satz 3 sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren nur dann notwendige Aufwendungen, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Bei der Entscheidung über die Notwendigkeit handelt es sich um eine rechtlich gebundene Entscheidung (Fabisch in Giehl/Adolph, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, 51. AL Stand: September 2023, Art. 80 BayVwVfG Rn. 108)
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Ob die Frage der Zuziehung eines Rechtsanwaltes notwendig war, muss aus der Sicht eines verständigen Beteiligten beurteilt werden. Auf objektive Maßstäbe, die einer rechts- und sachkundigen Person zur Verfügung stehen, kommt es nicht an. Die Anforderungen an die Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit des Beteiligten dürfen nicht überspannt werden. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen (vgl. Fabisch in Giehl/Adolph, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, 46. AL Stand: November 2019, Art. 80 BayVwVfG Rn. 126 unter Bezug auf VG Ansbach, U.v. 19.1.2021 – AN 1 K 20.1565). Bei Streitigkeiten über gemeindliche Abgaben ist die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters regelmäßig geboten, weil in ihnen typischerweise schwierige Rechtsfragen auftreten, die nur eine mit dieser Materie vertraute Person übersehen und zuverlässig beantworten kann (BVerwG, U.v. 15.2.1991 – 8 C 83/88 – Rn. 15).
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3. Auf Basis dessen hat der Kläger vorliegend einen Anspruch auf die Feststellung der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters für das Widerspruchsverfahren.
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Zwar ergibt sich die Notwendigkeit der Hinzuziehung des anwaltlichen Vertreters nicht schon auf Grundlage einer möglichen Sprachbarriere. Entsprechenden Überlegungen liegen im Verwaltungsverfahren vor dem Hintergrund der Wertung des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG grundsätzlich in der Risikosphäre des Widerspruchsführers. Auch scheint der Sachverhalt vorliegend nicht übermäßig kompliziert, denn eine Grundsteuer fällt denknotwendigerweise nur dann an, wenn tatsächlich Grundbesitz erworben wurde.
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Vorliegend war der Fall jedoch so, dass ein einfacher Hinweis auf den Sachverhalt nicht genügte, um den Streit aus der Welt zu schaffen. Vielmehr wurden im Widerspruchsbescheid zu Unrecht die Kosten des Widerspruchsverfahrens geltend gemacht und ferner beabsichtigte auch das Finanzamt … die Zwangsvollstreckung der Grunderwerbssteuern.
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In der Gesamtschau handelt es sich bei einem wegen Geschäftsunfähigkeit nicht vollzogenen Kaufvertrag um einen ungewöhnlichen Vorgang, mit einer Vielzahl beteiligter Behörden (Finanzamt und Gemeinde) und zu differenzierenden Sachverhalten (Grunderwerbssteuer, Grundsteuermessbetrag und Grundsteuer). Anders als bei der ursprünglichen Veranlagung zu Grund- und Grunderwerbsteuer, herrschte im Fall der Rückgängigmachung der Kaufverpflichtung kein vergleichbarer Automatismus, wie er sich zuvor nach der Mitteilung über den Kaufvertrag ergeben hatte.
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Und weiter ist auch der Zeitfaktor zu sehen, wonach der Kläger mit dem drohenden Ablauf der Monatsfrist Widerspruch erheben musste, um seine Rechte zu wahren. Vor diesem Hintergrund war aus Sicht eines verständigen Beteiligten die Hinzuziehung eines anwaltlichen Vertreters für das Widerspruchsverfahren notwendig.
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Ferner und schließlich ist auch die Bindungswirkung des Grundsteuermessbescheids selbst bei einem verständigen Beteiligten nicht ohne weiteres bekannt. Etwas anderes hätte sich vielleicht dann ergeben, wenn die Beklagte einen entsprechenden Zwischenhinweis gegeben hätte, wonach die Grundsteuer automatisch geändert werde, wenn der entsprechende Grundsteuermessbescheid geändert werde.
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4. Damit war der Klage stattzugeben. Die Kostenentscheidung basiert auf § 154 Abs. 1 VwGO.