Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 19.02.2024 – AN 1 K 23.2341
Titel:

Untätigkeitsklage auf Leistung einer höheren Alimentation

Normenkette:
VwGO § 75
Leitsatz:
Bei einer Untätigkeitsklage iSv § 75 VwGO wird ein Rechtsschutzbedürfnis für eine reine Bescheidungsklage verneint, wenn eine gebundene Behördenentscheidung aussteht; dies ist bei einer Leistungsklage auf eine höhere Alimentation der Fall, da sich die Höhe der Besoldung allein nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen bestimmt und keine behördliche Entscheidung nach Zweckmäßigkeits- bzw. sonstigen Ermessengesichtspunkten eröffnet (ebenso VG Neustadt a.d. Weinstraße BeckRS 2019, 33061). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Richteralimentation, Kein Rechtschutzbedürfnis für reine Bescheidungsklage bei rechtlich gebundenen Anspruch, kein Rechtschutzbedürfnis für reine Bescheidungsklage bei rechtlich gebundenem Anspruch, Leistungswiderspruch, Untätigkeitsklage, Alimentation, verfassungsgerichtliche Anforderungen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 3659

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist bezüglich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger ist Richter am Sozialgericht … in der Besoldungsgruppe R1. Er ist verheiratet und hat drei unterhaltsberechtigte Kinder.
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1. Mit Schreiben vom 14. August 2020 stellte der Kläger unter Bezugnahme auf verfassungsgerichtliche Rechtsprechung einen Antrag auf verfassungskonforme Besoldung. Neben seinem Antrag bezüglich der aktuellen Besoldung bezog er sich dabei auch rückwirkend auf den längstmöglichen Zeitpunkt.
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Mit Leistungswiderspruchsbescheid vom 23. Oktober 2023 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Hierbei bezog er sich nur auf den Zeitraum vor dem 1. Januar 2020. Der Bescheid enthielt einen Hinweis mit folgendem Wortlaut:
„Hinweis: Für Zeiträume ab 01.01.2020 wurden, soweit ein Anspruch auf höhere Leistungen als gezahlt, bestand, Nachzahlungen der orts- und familienbezogenen Leistungen aufgrund der neuen Regelungen geleistet und die laufende Zahlung entsprechend angepasst. Die Ansprüche auf höhere Besoldung im Rahmen angemessener Alimentation sind damit abgegolten. Insofern sind Anträge für Zeiträume ab 01.01.2020 als erledigt zu betrachten.“
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2. Mit Schreiben vom 19. November 2023 erhob der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach. Zur Begründung führte er aus, der Beklagte habe über den Leistungswiderspruch vom 14. August 2020 hinsichtlich der Jahre 2020 bis 2022 ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden. Der Leistungswiderspruchsbescheid vom 23. Oktober 2023 beziehe sich lediglich auf den Zeitraum vor dem 1. Januar 2020. Auch in den Bezügemitteilungen Mai und Juni 2023 sei keine Nachberechnung für den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022 erfolgt. Es sei Untätigkeitsklage geboten. Selbst nach Erhebung der vorliegenden Klage habe der Beklagte keine sachliche Entscheidung getroffen. Der Beklagte müsse eine Einzelfallprüfung vornehmen und hierüber in der Sache durch Widerspruchsbescheid entscheiden. Die Dreimonatsfrist sei abgelaufen. Der Kläger habe zudem vor Erhebung der Untätigkeitsklage selbstverständlich Kontakt zur Bezügestelle aufgenommen und Zweifel an der fehlenden sachlichen Entscheidung über den Zeitraum 2020 bis 2022 geäußert.
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Der Kläger beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, über den Leistungswiderspruch des Klägers vom 14. August 2020 hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022 zu entscheiden.
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Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klage sei unbegründet, da eine Sachentscheidung hinsichtlich einer möglichen Nachzahlung des Orts- und Familienzuschlags für den Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022 durch den Beklagten ergangen sei. Zum einen sei eine Nachberechnung für den vorgenannten Zeitraum im Rahmen der Bezügemitteilung Juni 2023 erfolgt. Zum anderen sei mit dem Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2023 über den als Leistungswiderspruch ausgelegten Antrag des Klägers vom 14. August 2020 innerhalb von drei Monaten entschieden worden. Das Gesetz zur Neuausrichtung orts- und familienbezogener Besoldungsbestandteile vom 10. März 2023 (GVBl. Nr. 5/2023 S. 80) diene der Umsetzung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2020. Das Gesetz zur Neuausrichtung orts- und familienbezogener Besoldungsbestandteile vom 10. März 2023 sei hinsichtlich der laufenden Bezüge im Abrechnungsmonat Mai 2023 – rückwirkend ab April 2023 – vollzogen worden. Für die Zeit ab Januar 2020 bis März 2023 gegebenenfalls zustehenden Nachzahlungen seien im Zahltag Juni 2023 geleistet worden. Der Kläger sei hierüber – wie alle Beamten des Freistaats Bayern – mit der Bezügemitteilung für Mai 2023 mit folgendem Text informiert worden:
„Mit dem Gesetz zur Neuausrichtung orts- und familienbezogener Besoldungsbestandteile vom 10. März 2023 (GVBl. Nr. 5/2023, S. 80) werden die familienbezogenen Besoldungsbestandteile den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechend systematisch neu ausgerichtet und die Besoldung dabei wieder stärker von den tatsächlichen Lebensverhältnissen abhängig gemacht. Nähere Informationen hierzu sind auf der Website des Landesamtes für Finanzen unter der Adresse https://s.bayern.de/OrtsFamilienzuschlag veröffentlicht. Nachzahlungen erfolgen für alle Betroffenen rückwirkend zum 1. Januar 2020 von Amts wegen. Sofern ein Anspruch besteht wird mit den Bezügen im Folgemonat eine entsprechende Nachzahlung erfolgen.“
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Der Kläger habe im Abrechnungsmonat 05/2023 für den Monat April 2023 eine OFZ-Nachzahlung in Höhe von … EUR brutto erhalten. Der Anspruch auf die im Abrechnungsmonat Juni 2023 geleistete Nachzahlung für die Zeit ab 1. Januar 2020 richte sich nach Art. 109 Abs. 1 BayBesG. Für die Nachzahlungsermittlung sei im Zeitraum 1. Januar 2020 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes, d. h. bis 31. März 2023, ein maschineller Abgleich zwischen der alten Regelung (Familienzuschlag und ggf. Ballungsraumzulage) und der neuen Regelung (Orts- und Familienzuschlag) durchgeführt worden. Für die Jahre 2020 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes sei bei der Berechnung des Orts- und Familienzuschlags nach den Art. 35 bis 37 BayBesG auf die Tabellen der Anlage 11 bzw. für Zeiträume ab 1. Januar 2023 auf die Anlage 5 abzustellen. Auf dieser Grundlage stehe dem Kläger nach Art. 109 Abs. 1 BayBesG eine OFZ-Nachzahlung nur für die Zeit vom 1. Januar 2023 bis 31. März 2023 zu, die im Abrechnungsmonat Juni 2023 geleistet worden sei. Für den Zeitraum 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022 stehe dem Kläger hingegen keine Nachzahlung zu.
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Von der OFZ-Neuregelung seien alle Beamten des Freistaats Bayern mit familienbezogenen Leistungen betroffen. Die Berechnung der OFZ-Nachzahlungsbeträge für die Jahre ab 2020 sei aufgrund der Vielzahl der betroffenen Fälle (bayernweit im sechsstelligen Bereich) nicht durch die einzelne Bezügestelle erfolgt, sondern bayernweit zentral, maschinell und in Abstimmung mit dem Bayer. Staatsministerium für Finanzen und Heimat. Aufgrund der Vielzahl der Fälle sei es auch nicht möglich gewesen, für jeden Einzelfall, mit jeweils individueller Fallgestaltung, einen förmlichen Bescheid über die Nachzahlungsbeträge oder nicht zustehende Nachzahlungen ab dem Jahr 2020 zu erlassen.
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Die Untätigkeitsklage erscheine mutwillig und sei nicht gerechtfertigt. Hätte der Kläger seine Bezügemitteilung für Mai 2023 genau gelesen und sich mit den auf der Webseite des Landesamtes für Finanzen veröffentlichten Informationen zur Neuregelung des Familienzuschlags beschäftigt, hätte er nachvollziehen können, dass die Nachzahlungen ab dem Jahr 2020 – soweit ihm diese zustünden – von Amts wegen gezahlt würden und dieser Vorgang natürlich eine Berechnung, wenn auch im Hintergrund, beinhalte. Da bereits im Abrechnungsmonat Juni 2023 über eine ggf. zustehende Nachzahlung bzw. nicht zustehende Nachzahlung für den Zeitraum 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022 entschieden worden sei, könne der Vorwurf der Untätigkeit nicht nachvollzogen werden.
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3. Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die Klage konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierauf übereinstimmend verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die Klage hat keinen Erfolg, weil sie bereits unzulässig ist.
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1. Für die geltend gemachte Klage fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis. Das Rechtsschutzbedürfnis erfordert für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art und Umfang ein berechtigtes Interesse, um die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes auf das zur Durchsetzung subjektiver Rechte erforderliche Maß zu beschränken und einem Missbrauch prozessualer Rechte vorzubeugen. Kein Rechtsschutzinteresse besteht, wenn das Rechtsschutzbegehren nutzlos ist oder auf einfacherem und schnellerem Wege ohne Inanspruchnahme der Gerichte realisiert werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 11.7.2018 – 1 C 18.17 – NVwZ 2018, 1875). Bei einer sog. Untätigkeitsklage i.S.v. § 75 VwGO, die der Kläger erhoben hat, wird ein Rechtsschutzbedürfnis für eine reine Bescheidungsklage verneint, wenn eine gebundene Behördenentscheidung aussteht (vgl. Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 75 Rn. 3 m.w.N.; VG Neustadt a.d. Weinstraße, B.v. 5.12.2019 – 5 K 1053/19.NW – BeckRS 2019, 33061). Da sich die Höhe der Besoldung allein nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen bestimmt und keine behördliche Entscheidung nach Zweckmäßigkeits- bzw. sonstigen Ermessengesichtspunkten inmitten steht, ist vorliegend kein Rechtsschutzbedürfnis für die durch den Kläger erhobene Bescheidungsklage über seinen Leistungswiderspruch vom 14. August 2020 hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022 gegeben.
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Das fehlende Rechtsschutzbedürfnis gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger mit seinem Leistungswiderspruch vom 14. Juni 2020 eine Anpassung seiner Bezüge insbesondere vor dem Hintergrund zweier Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2020 (B.v. 4.5.2020 – 2 BvL 4/18 und B.v. 4.5.2020 – 2 BvL 6/17 – jew. juris) gefordert hatte und der Freistaat Bayern den neuen verfassungsgerichtlichen Anforderungen an die Richteralimentation durch das Gesetz zur Neuausrichtung orts- und familienbezogener Besoldungsbestandteile vom 10. März 2023 zwischenzeitlich nachgekommen ist. Durch die vom Landesamt für Finanzen in seinen Bezügemitteilungen und in der Klageerwiderung dargestellte Vorgehensweise wurde diese rückwirkende Änderung des Besoldungsrechts für den vom Leistungswiderspruch umfassten Zeitraum vom 1. Januar 2020 bis 31. Dezember 2022 auf den Kläger und seinen Besoldungsanspruch angewendet, erbrachte in seinem Fall aber keine Erhöhung der ihm zustehenden Bezüge. In der Sache ist dem klägerischen Begehren mithin entsprochen worden. Eine Verfassungswidrigkeit der aktuellen Alimentation macht der Kläger zudem nicht geltend.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.