Titel:
Dienstliche Beurteilung, Beurteilungsspielraum, Unmittelbarer Vorgesetzter, Keine Plausibilisierung
Normenkette:
LlbG Art. 54
Schlagworte:
Dienstliche Beurteilung, Beurteilungsspielraum, Unmittelbarer Vorgesetzter, Keine Plausibilisierung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36399
Tenor
I. Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger für den Zeitraum vom ... Juni 2020 bis … Mai 2023 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu beurteilen. Die dienstliche Beurteilung vom ... Juni 2023 für den Beurteilungszeitraum … Juni 2020 bis … Mai 2023 wird aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der 1975 geborene Kläger steht als Polizeivollzugsbeamter (Besoldungsgruppe A 9) in den Diensten des Beklagten. Er war im Beurteilungszeitraum im Kontaktbereichs- und Gerichtsdienst tätig.
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In der periodischen dienstlichen Beurteilung vom ... Juni 2023 für den Beurteilungszeitraum ... Juni 2020 bis … Mai 2023 erhielt der Kläger in der Besoldungsgruppe A 9 ein Gesamturteil von 8 Punkten. Der Kläger erhob hiergegen Klage. In der Vorbeurteilung für den Beurteilungszeitraum ... Juni 2017 bis … Mai 2020 erhielt der Kläger in der Besoldungsgruppe A 9, in die er im Beurteilungszeitraum befördert wurde, ein Gesamturteil von 10 Punkten.
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Mit Schriftsatz vom 5. Februar 2024, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Kläger Klage erhoben. Es sei nicht plausibel, warum der Kläger gerade mit 8 Punkten beurteilt worden sei. Die Herabstufung im Gesamtprädikat der periodischen Beurteilung um zwei Notenstufen im Verhältnis zur Vorbeurteilung sei nicht nachvollziehbar, besonders, da der Kläger im Vorbeurteilungszeitraum befördert worden sei. Das ordnungsgemäße Beurteilungsverfahren werde bestritten. Außerdem sei unklar, welcher Maßstab der Beurteilung zugrunde liege.
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Der Kläger hat beantragt,
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Die Beurteilung des Klägers vom ... Juni 2023 für den Beurteilungszeitraum ... Juni 2020 bis … Mai 2023 wird aufgehoben.
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Der Beklagte wird verurteilt, den Kläger für die Zeit vom ... Juni 2020 bis … Mai 2023 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu beurteilen.
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Das Polizeipräsidium M. hat für den Beklagten beantragt,
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Es sei während des gesamten Beurteilungszeitraums zu Vorfällen gekommen, die Zweifel an der Eignung, fachlichen Leistung und Befähigung des Klägers erzeugt hätten. Beim Kläger habe sich eine andauernde negative Entwicklung eingestellt, die sich trotz diverser Kritikgespräche nicht gebessert habe. Es habe immer wieder Konflikte mit Kollegen gegeben. Der Kläger habe sich schwer in die Dienstgruppe einfügen können. Fachlich sei er mit einfachsten Fragestellungen überfordert gewesen. Aufgrund dessen sei er im Vergleich zur Vorbeurteilung schlechter beurteilt worden.
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Mit Beschluss vom 11. Oktober 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung am 29. November 2024 Beweis erhoben zum Zustandekommen der dienstlichen Beurteilung vom … Juni 2023 für den Kläger durch Einvernahme von PDin S. und PHK B. als Zeugen.
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Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten sowie insbesondere für das Ergebnis der Beweisaufnahme auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29. November 2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der Kläger hat einen Anspruch auf Aufhebung seiner periodischen Beurteilung vom … Juni 2023 für den Beurteilungszeitraum … Juni 2020 bis … Mai 2023 und Erstellung einer neuen periodischen Beurteilung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Die streitgegenständliche Beurteilung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO analog, da einer dienstlichen Beurteilung keine Verwaltungsaktsqualität zukommt).
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1. Dienstliche Beurteilungen sind ihrem Wesen nach persönlichkeitsbedingte Werturteile, die verwaltungsgerichtlich nur beschränkt überprüfbar sind (BVerwG, U.v. 13.5.1965 – II C 146.62 – BVerwGE 21, 127/129; U.v. 26.6.1980 – II C 8/78 – BVerwGE 60, 245 ständige Rechtsprechung). Nach dem erkennbaren Sinn der Regelung über die dienstliche Beurteilung soll nur der Dienstherr oder der für ihn handelnde Beurteiler ein persönliches Werturteil darüber abgeben, ob und inwiefern der Beamte den vom Dienstherrn zu bestimmenden, zahlreichen fachlichen und persönlichen Anforderungen des konkreten Amtes entspricht. Bei einem derartigen, dem Dienstherrn vorbehaltenden Akt wertender Erkenntnis steht diesem eine der gesetzlichen Regelung immanente Beurteilungsermächtigung zu. Demgegenüber hat sich die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle darauf zu beschränken, ob der Beurteiler den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt hat, oder ob er von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Soweit der Dienstherr Richtlinien für die Erstellung dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten sind und ob sie den gesetzlichen Regelungen über die dienstliche Beurteilung und auch sonst mit gesetzlichen Vorschriften in Einklang stehen (BVerwG, U.v. 11.1.1999 – 2 A 6/98 – ZBR 2000, 269). Die verwaltungsgerichtliche Kontrolle kann dagegen nicht dazu führen, dass das Gericht die fachliche oder persönliche Beurteilung des Beamten durch den Dienstherrn in vollem Umfang nachvollzieht oder diese gar durch eine eigene Beurteilung ersetzt (BVerwG, U.v. 26.6.1980, a.a.O.). Innerhalb des durch die Art. 54 ff. des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaubahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz – LlbG) vom 5. August 2010 (GVBl S. 410) gezogenen Rahmens unterliegt es grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn, wie er die ihm aufgegebene, für zukünftige Personalentscheidungen verwertbare Aussage zu den einzelnen Beurteilungsmerkmalen gestalten und begründen und worauf er im einzelnen sein Gesamturteil stützen will (BVerwG, U.v. 17.12.1981 – 2 C 69/81 – BayVBl 1982, 348). Tatsächliche Grundlagen, auf denen Werturteile beruhen, sind nicht notwendig in die dienstliche Beurteilung aufzunehmen (BVerwG, U.v. vom 16.10.1967 – VI C 44.64 – Buchholz 232, § 15 BBG Nr. 1; U.v. 26.6.1980, a.a.O.). Der Dienstherr kann einerseits einzelne Tatsachen oder Vorkommnisse im Beurteilungszeitraum aufgreifen und aus ihnen wertende Schlussfolgerungen ziehen, wenn er sie etwa zur Charakterisierung der Beamtin für besonders typisch hält oder für eine überzeugende Aussage zu einzelnen Beurteilungsmerkmalen für wesentlich erachtet. Er kann sich andererseits aber auch auf die Angabe zusammenfassender Werturteile aufgrund einer unbestimmten Vielzahl nicht benannter Einzeleindrücke beschränken. Schließlich kann er die aufgezeigten verschiedenen Möglichkeiten, über die Eignung und Leistung der Beamtin ein aussagekräftiges, auch für Dritte verständliches Urteil abzugeben, in abgestufter Form miteinander verwenden bzw. miteinander verbinden. Alle diese Gestaltungsformen einer dienstlichen Beurteilung halten sich in dem von den Laufbahnvorschriften vorgezeichneten rechtlichen Rahmen (vgl. BayVGH, U.v. 23.5.1990 – 3 B 89.02832 m.w.N.; vgl. zum Ganzen auch: VG München, U.v. 7.12.1999 – M 5 K 99.2303).
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Zugrunde zu legen sind vorliegend die Art. 54 ff. des Gesetzes über die Leistungslaufbahn und die Fachlaufbahnen der bayerischen Beamten und Beamtinnen (Leistungslaufbahngesetz/LlbG), die Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 13. Juli 2009, VV-BeamtR, FMBl. S. 190, Abschnitt 3: Dienstliche Beurteilung – materielle Beurteilungsrichtlinien), in der Fassung der Änderung durch Bekanntmachung vom 19. Oktober 2017 (FMBl S. 510), sowie die Richtlinien für die dienstliche Beurteilung, Leistungsfeststellungen nach Art. 30 und 66 des Bayerischen Besoldungsgesetzes/BayBesG – i.V.m. Art. 62 LlbG für die Beamtinnen und Beamten der Bayerischen Polizei und des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz vom 12. Dezember 2017 (Beurteilungsbekanntmachung Polizei und Verfassungsschutz, AllMBl 2018, S. 3). Maßgebend ist, welches Beurteilungssystem und welche Regelungen zum Beurteilungsstichtag (hier: 31.5.2023) gegolten haben (vgl. BVerwG, U.v. 2.3.2000 – 2 C 7/99 – NVwZ-RR 2000, 621 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 14.2.1990 – 1 WB 181/88 – BVerwGE 86, 240).
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2. Nach diesen Maßstäben ist die streitgegenständliche dienstliche Beurteilung nicht hinreichend plausibilisiert worden.
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a) Unter Plausibilisierung ist in diesem Zusammenhang eine inhaltliche Erläuterung zu verstehen, mit der der Dienstherr die Gründe darstellt, die zu den Werturteilen geführt haben, und auf deren Grundlage die Gerichte nachprüfen können, ob er bei der Erstellung der dienstlichen Beurteilung bzw. bei einzelnen in ihr enthaltenen Werturteilen von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, sachfremde Erwägungen angestellt oder allgemeingültige Wertmaßstäbe verletzt hat (VG Köln, U.v. 5.8.2021 – 19 K 7364/18 – juris Rn. 61; Conrad in: Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, Beamtenrecht in Bayern, Stand: August 2024, Art. 59 LlbG Rn. 26).
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b) Die Beurteilerin PDin S. hat zwar das Zustandekommen und den Maßstab dargestellt, der der dienstlichen Beurteilung für den Kläger zugrunde lag. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten, insbesondere zum Abfallen des Gesamturteils um zwei Punkte, hat sie auf den unmittelbaren Vorgesetzen verwiesen. Für die maßgebliche Frage, wieso der Kläger trotz seiner Beförderung im Vorbeurteilungszeitraum in der streitgegenständlichen Beurteilung ein um zwei Punkte schlechteres Gesamtprädikat im selben Statusamt erzielt hat, hat sich die Beurteilerin, die im Vorbeurteilungszeitraum noch nicht die Beurteilerin des Klägers war, auf die Eindrücke des unmittelbaren Vorgesetzten gestützt. Danach sei ihr berichtet worden, dass sich beim Kläger eine Überforderung eingestellt habe, sobald er sich komplexeren Sachverhalten gewidmet habe und dass die Zusammenarbeit mit den Kollegen nicht funktioniert habe.
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Der unmittelbare Vorgesetzte PHK B. konnte die erforderliche Plausibilisierung nicht vornehmen. Es ist insbesondere nicht nachvollziehbar, wieso der Kläger in den dienststelleninternen Reihungen zunächst am … Oktober 2021 – wie in der Vorbeurteilung – mit 10 Punkten gereiht war, während er in der Reihung vom … November 2022 um zwei Punkte im Gesamtprädikat herabgestuft wurde. Wenn der unmittelbare Vorgesetzte angibt, dass der Kläger über Jahre hinweg – nicht näher präzisierte – fachliche Mängel gezeigt habe, ist unklar, wieso sich diese (erst) auf die streitgegenständliche Beurteilung auswirken sollten. Es bleibt – auch unter Einbeziehung der schriftlichen Stellungnahme vom ... April 2024 – unklar, ob diese Mängel innerhalb des Beurteilungszeitraums vorgelegen haben, da der unmittelbare Vorgesetzte den Zeitpunkt des Auftretens der Mängel nicht präzisieren konnte und er in der schriftlichen Stellungnahme (auch) auf Vorkommnisse außerhalb des relevanten Beurteilungszeitraums (Jahre 2017 und 2019) Bezug nimmt. Sofern der unmittelbare Vorgesetzte die Verschlechterung um zwei Punkte im Gesamtprädikat maßgeblich auf das soziale Verhalten des Klägers und die daraus hervorgehenden Probleme und Unruhen in der Gruppe stützt, wird pauschal auf unschöne Ereignisse im zwischenmenschlichen Bereich hingewiesen, ohne dies mit aussagekräftigen Beispielen zu unterfüttern. Sofern es eine Streitigkeit mit einer Kollegin im Rahmen einer Vorführung gegeben haben soll, vermag der unmittelbare Vorgesetzte Inhalt und Umstände der Streitigkeit nicht näher zu benennen. Soweit der unmittelbare Vorgesetzte auf Beschwerden von Kollegen über den Kläger Bezug nimmt, die dazu geführt hätten, dass der Kläger umgesetzt worden sei, werden diese nicht näher präzisiert. Auch das Werturteil, niemand habe mit dem Kläger zusammenarbeiten wollen, wurde nicht näher konkretisiert, zumal der unmittelbare Vorgesetzte angegeben hat, dass die Zusammenarbeit je nachdem, mit welchem Kollegen der Kläger zusammengearbeitet habe, unterschiedlich gut verlaufen sei. Daneben ist unklar, inwieweit der unmittelbare Vorgesetzte diese Eindrücke, die ihm überwiegend – abgesehen von dem in seiner schriftlichen Stellungnahme dokumentierten Gespräch im zweiten Quartal 2021, in dem er beim Kläger ein unreflektiertes Verhalten festgestellt habe – von Kollegen zugetragen worden sind, durch eigene Eindrücke verifiziert hat oder ob es sich dabei um Eindrücke vom Hörensagen handelt. Es ist nicht erkennbar, dass zwischen der ersten und zweiten dienststelleninternen Reihung (*... Oktober 2021 bis … November 2022) ein Gespräch des unmittelbaren Vorgesetzten mit dem Kläger stattgefunden hat, in dem der Kläger zu diesen den Beschwerden der Kollegen zugrundeliegenden Sachverhalten befragt worden wäre. Auch zum Vortrag, der Kläger habe Dienstpläne von Kollegen kontrolliert, sind dem unmittelbaren Vorgesetzten keine näheren Umstände bekannt. Da auch auf Verhaltensweisen des Klägers aus dem Jahr 2017 Bezug genommen wird, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Sachverhalte außerhalb des Beurteilungszeitraums mit in die Beurteilung eingeflossen sind. Unabhängig davon leuchtet basierend auf dem Vortrag des unmittelbaren Vorgesetzten nicht ein, wieso der Kläger neben dem Einzelmerkmal „Teamverhalten“ beispielsweise auch in anderen Einzelmerkmalen wie Auffassungsgabe, geistige Beweglichkeit, Entschlusskraft, mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit sowie Verhandlungsgeschick eine gleichförmige Herabstufung um zwei Punkte erfolgt ist.
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c) Vor diesem Hintergrund ist die rechtsfehlerfreie Ausübung des – gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren – Beurteilungsspielraums des Dienstherrn bei dienstlichen Beurteilungen nicht erfolgt. Denn die dienstliche Beurteilung ist nicht hinreichend plausibilisiert worden.
3. Der Beklagte hat als unterlegener Beteiligter § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).