Inhalt

VG München, Beschluss v. 17.12.2024 – M 18 E 24.6808
Titel:

Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung, Erhöhter Förderbedarf, Integrativer Betreuungsplatz, Heilpädagogische Leistung, Darlegungspflicht

Normenketten:
SGB VIII § 22a Abs. 4
SGB VIII § 24
SGB IX § 79
SGB IX § 113
Schlagworte:
Einstweilige Anordnung (Ablehnung), Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Kindertageseinrichtung, Erhöhter Förderbedarf, Integrativer Betreuungsplatz, Heilpädagogische Leistung, Darlegungspflicht
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36388

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin begehrt im Rahmen einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihr einen Integrationsplatz in einer Kindertageseinrichtung nachzuweisen.
2
Die Antragstellerin ist am ... Dezember 2018 geboren.
3
Bis 31. Januar 2024 besuchte sie die Kindertagesstätte N. in G. Nach Kündigung des Betreuungsvertrags aufgrund von Verhaltensauffälligkeiten der Antragstellerin im Hinblick auf ihre Impulskontrolle und gewalttätiges Verhalten besuchte sie ab 22. April 2024 als Integrationskind die inklusive Einrichtung M. des Trägers F. Nachdem sich auch dort Verhaltensauffälligkeiten bei der Antragstellerin zeigten, ersuchte der Träger F. die Eltern der Antragstellerin um Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrags.
4
In einem Aktenvermerk des Antragsgegners über ein Telefonat mit dem Vater der Antragstellerin vom 26. Juni 2024 ist ein psychiatrisches Gutachten vom April 2024 erwähnt, wo von Impulskontrollstörung die Rede sei. Außerdem sei ein Termin bei einer Psychotherapeutin vereinbart gewesen.
5
Ein weiterer Aktenvermerk des Antragsgegners über in Telefonat mit der Einrichtungsleitung der Einrichtung M. vom selben Tag teilt über deren Beobachtungen mit, dass sich das aggressive Verhalten der Antragstellerin nach den ersten Tagen in der Einrichtung gesteigert habe. Die Antragstellerin sei in einer Gruppe mit 19 Kindern überfordert. Sie sei mehrmals gewalttätig geworden, u.a. habe eine „Würgeattacke“ gegen ein anderes Kind stattgefunden. Die Antragstellerin sei so schnell, man könne die Aufsicht nicht gewährleisten, obwohl eigens Personal für sie abgestellt worden sei. Gespräche mit der trägereigenen Psychologin und der Familie hätten stattgefunden.
6
Am 10. Juli 2024 teilte die Einrichtungsleiterin der Einrichtung M. dem Antragsgegner mit, die Mutter der Antragstellerin habe rückgemeldet, dass die Termine bei einer Psychologin gut liefen, die Diagnostik laufe. Vermutlich bekomme die Antragstellerin künftig Ritalin. Jedoch sagten alle beteiligten Spezialisten, dass die Antragstellerin keine langen Betreuungszeiten aushalten könne. Es werde nochmals geprüft, ob eine Betreuung über einen kurzen Zeitraum möglich sei, wenn die Medikation gut anschlage.
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Nachdem die Eltern der Antragstellerin den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichneten, sprach der Träger F. mit Schreiben vom 24. Juli 2024 die Kündigung des Betreuungsplatzes rückwirkend zum 13. Juni 2024 aus.
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Die Leiterin des Trägers F. setzte den Antragsgegner mit E-Mail vom 23. Juli 2024 über die Kündigung in Kenntnis und teilte mit, die Antragstellerin habe eine sehr stark ausgeprägte bzw. massive Impulskontrollstörung und werde durch nicht vorhersehbare Kleinigkeiten unglaublich schnell und stark getriggert, was dann zu plötzlichen impulsiven, aggressiven und verletzenden Handlungen gegenüber anderen Kindern führe. Die Betreuung in der Einrichtung M. könne nicht mehr gewährleistet werden. Eine Gruppe mit der Stärke eine Kindergartengruppe stelle eine ständige Überforderung für die Antragstellerin dar. Eine kleinere Gruppe, in der sie auch individuell und kognitiv entsprechend gefördert werden könne, wie z.B. eine Schulvorbereitende Einrichtung, werde als wesentlich geeigneter und sinnvoller, gerade auch im Hinblick auf das Alter der Antragstellerin, angesehen.
9
Am 25. Juli 2024 wandte sich der Vater der Antragstellerin an den Antragsgegner und bat aufgrund der Kündigung um Hilfe. Der Antragsgegner teilte ihm die Kontaktdaten der Stiftung Kinderhilfe in F., die heilpädagogisch-therapeutische Plätze im Vorschulalter anbietet, sowie der zentralen Anlaufstelle des Amtes für Jugend und Familie „Beratung, Vermittlung & Intervention“ (BVI) für eine Beratung mit.
10
Mit Schreiben an den Träger vom 14. August 2024 wandten sich die Eltern gegen die Kündigung und trugen u.a. vor, in der Zeit zwischen dem Betreuungsverbot am 13. Juni und der Kündigung seien Fortschritte erzielt worden, die geeignet seien, die Situation zu verbessern, sodass die Betreuung wieder aufgenommen werden könne. Die Antragstellerin habe einen Therapieplatz bei einer Kinderpsychologin und bekomme aufgrund der ADHS-Diagnose entsprechende Medikamente, die geeignet seien, die Impulskontrolle stark zu verbessern. Frau Sch vom … G. habe bestätigt, dass die Antragstellerin mithilfe der Medikamente wieder „kindergartenfähig“ werde.
11
Am 14. November 2024 stellte der Bevollmächtigte der Antragstellerin Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und beantragte für diese:
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Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, der Antragstellerin einen I-Platz in einer Tageseinrichtung mit einem Betreuungsumfang von mindestens 25 Wochenstunden (verteilt auf die üblichen Betreuungstage Montag bis Freitag jeweils durchgängig mindestens fünf Stunden) zuzuteilen.
13
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Eltern hätten frühzeitig und mehrfach erfolglos einen Betreuungsplatz beantragt. Sie seien wegen Berufstätigkeit dringend auf den Betreuungsplatz angewiesen.
14
Der Antragsgegner legte die Behördenakten elektronisch vor und beantragte mit Schriftsatz vom 28. November 2024:
15
Der Antrag wird abgelehnt.
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Zur Begründung wurde ausgeführt, der Anspruch nach § 24 Abs. 3 SGB VIII decke nur den „Regelbedarf“, keine behinderungsspezifischen Bedarfe ab. Es bestünden erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass ein Betreuungsplatz nach § 24 Abs. 3 SGB VIII dem Bedarf der Antragstellerin nicht gerecht werden könne und der Anspruch nach §§ 113, 79 SGB IX auf Förderung in einer heilpädagogischen Tageseinrichtung gegen den insoweit zuständigen Bezirk vorrangig wäre.
17
Am 5. Dezember 2024 legte die Antragstellerseite einen sozialpädiatrischen vorläufigen Entlassbericht mit Datum 8. Oktober 2024 über eine stationäre Behandlung der Antragstellerin in der Zeit vom 2. Oktober 2024 bis 5. November 2024 vor, in dem im Wesentlichen die psychischen Befunde „Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92.8 G)“ und „Verdacht auf Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0 V)“ genannt werden. Als Teilhabefaktor wird beschrieben: „Teilhabe eingeschränkt, aktuell keine altersgerechte soziale Teilhabe aufgrund eines fehlenden Betreuungsplatzes, spezifische Maßnahmen und Rahmenbedingungen erforderlich“. Unter „Zusammenfassung“ wird u.a. ausgeführt, in der psychologischen Diagnostik habe sich deutlich oppositionelles Verhalten mit ausgeprägten Wutanfällen mit Kratzen und Treten gezeigt. Die Antragstellerin sei insbesondere im zwischenmenschlichen Kontakt mit bekannten Personen deutlich impulsiv und unruhig erlebt worden, stellenweise habe sich auch gehemmtes Verhalten gezeigt. Aufgrund des oppositionellen Verhaltens und der motorischen Unruhe sei eine medikamentöse Therapie mit Methylphenidat initiiert worden, die von der Antragstellerin gut vertragen werde. Es wurden u.a. die Weiterführung der ambulanten Psychotherapie und der ambulant psychiatrischen Anbindung empfohlen sowie die Etablierung einer ambulanten Erziehungshilfe, dringend Besuch einer HPT, Frühförderung mit Heilpädagogik und Ergotherapie und der Besuch einer Schule mit Förderschwerpunkt emotionale Entwicklung. Aufgrund der bestehenden multiplen Entwicklungsstörung mit Auswirkungen auf die emotionale Entwicklung und die soziale Integration und die Teilhabe unter gleichaltrigen Kindern seien die teilstationären Maßnahmen zur Eingliederungshilfe im Sinne von § 99 SGB IX i.V.m. § 53 SGB XII, 102 SGB IX aus kinderärztlicher und psychologischer Sicht dringend indiziert.
18
Mit Beschluss vom 12. Dezember 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
19
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
20
Der Antrag hat keinen Erfolg.
21
Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
22
Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsgrunds ist grundsätzlich, dass es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen, aber auch der öffentlichen Interessen und der Interessen anderer Personen nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Maßgebend sind dabei die tatschlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
23
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber in zeitlicher Hinsicht vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
24
Nach diesen Maßgaben hat die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es wurde nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ein Betreuungsplatz nach § 24 Abs. 3 SGB VIII dem Bedarf der Antragstellerin hinreichend gerecht werden kann.
25
Mit dem vorliegenden Verfahren wird der Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII begehrt. Demnach hat ein Kind, das das 3. Lebensjahr vollendet hat, ohne weitere Voraussetzungen bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung. Die „Förderung in einer Tageseinrichtung“ steht grundsätzlich allen, also auch Kindern mit Behinderung offen (Wiesner/Wapler/Struck/Schweigler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 24 Rn. 62, § 22a Rn. 19 ff., beck-online; BeckOGK/Etzold, 1.6.2023, SGB VIII § 24 Rn. 47, beck-online). § 22a Abs. 4 SGB VIII sieht dementsprechend – ebenso wie Art. 12 Abs. 1 BayKiBiG – vor, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam gefördert werden sollen, um eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Es ist daher Aufgabe des Antragsgegners im Rahmen seiner Planungsverantwortung dafür zu sorgen, dass auch ausreichend integrative Kindertageseinrichtungen im Sinne von Art. 2 Abs. 3 BayKiBiG zur Verfügung stehen (vgl. VG München, B.v. 27.3.2024 – M 18 E 24.876 – juris Rn. 23 f.; B.v. 22.8.2024 – M 18 E 24.4368 – juris Rn. 29 f.; BeckOK SozR/Winkler SGB VIII § 22a Rn. 16-18).
26
Nach dem Wortlaut des § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII sollen die Kinder in der Kindertageseinrichtung „gefördert“ werden. Gemäß § 22 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII soll sich die Förderung am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethische Herkunft berücksichtigen. Sofern die Bedürfnisse bzw. der Förderbedarf des Kindes im Einzelfall, etwa aufgrund des Vorliegens einer Behinderung, erhöht ist, ist der Anspruch auf Nachweis eines Platzes, der eben diesem individuellen, qualifizierten Bedarf gerecht wird, gerichtet (VG München, B.v. 22.8.2024 – M 18 E 24.4368 – juris Rn. 31; vgl. Rixen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 24 SGB VIII, Stand: 01.08.2022, Rn. 28).
27
Allerdings deckt der Anspruch nach § 24 Abs. 3 SGB VIII nur den „Regelbedarf“, keine behinderungsspezifischen Bedarfe, ab. Kann ein Kind in einer „Regeleinrichtung“ nicht seiner Behinderung entsprechend gefördert werden und steht auch kein geeigneter Platz in einer integrativen/inklusiven Gruppe bzw. Einrichtung zur Verfügung (§ 22a Abs. 4 SGB VIII), hat das Kind nach § 113 SGB IX möglicherweise einen Anspruch auf den Besuch einer Einrichtung, die seinem Bedarf gerecht wird (Wiesner/Wapler/Struck/Schweigler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 24 Rn. 62, § 22a Rn. 19 ff., beck-online; Christian Grube in: Hauck/Noftz SGB VIII, 1. Ergänzungslieferung 2024, § 22a SGB VIII, Rn. 8; Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, SGB VIII § 22a Rn. 14, beck-online). Ein Anspruch eines „wesentlich behinderten Kindes“ auf eine gemeinsame Betreuung mit Kindern ohne Behinderung in einer Regeleinrichtung besteht hingegen auch unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht (NdsOVG, B.v. 15.10.2013 – 4 ME 238/13; Wiesner/Wapler/Struck/Schweigler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 24 Rn. 62, § 22a Rn. 21a, beck-online; BVerfG, B.v. 10.2.2006 – 1 BvR 91/06 – juris).
28
Die Antragstellerin hat vorliegend nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr Förderbedarf hinreichend durch einen integrativen Betreuungsplatz gedeckt wird und daher ein Anspruch auf den Nachweis eines solchen integrativen Platzes nach § 24 Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 22a Abs. 4 SGB VIII besteht. Vielmehr ist insoweit der Anspruch nach §§ 113, 79 SGB IX auf Förderung in einer heilpädagogischen Tageseinrichtung vorrangig, § 10 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII i.V.m. Art. 64 Abs. 2 AGSG (vgl. JAmt 2022, 501, beck-online).
29
Es liegt ein ärztlicher Entlassbericht vom 8. Oktober 2024 vor, wonach der Besuch einer „HPT“ dringend empfohlen wird. Außerdem wird Frühförderung mit Heilpädagogik und Ergotherapie empfohlen sowie im Vorgriff auf die anstehende Einschulung eine Empfehlung einer Schule mit Förderschwerpunkt emotionale Entwicklung ausgesprochen. Die teilstationären Maßnahmen zur Eingliederungshilfe i.S.v. § 99 SGB IX i.V.m. § 53 SGB XII, § 102 SG IX werden „aufgrund der bestehenden multiplen Entwicklungsstörung mit Auswirkungen auf die emotionale Entwicklung und die soziale Integration und Teilhabe als dringend indiziert“ angesehen. Als hier v.a. relevante Diagnosen werden „Kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen (F92.8 G)“ sowie der „Verdacht auf Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F90.0 V)“ genannt. Eine Medikation mit Methylphenidat wurde – wohl zur Behandlung der Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung – begonnen und weitergeführt.
30
Von einer ausschlaggebenden Verbesserung des Zustands der Antragstellerin ist im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (noch) nicht auszugehen. Auch widerlegt der Entlassbericht die Annahme der Eltern im Schreiben an den Träger F. vom 14. August 2024, dass die Antragstellerin durch die Medikamentengabe kurzfristig wieder „kindergartenfähig“ werde.
31
Soweit im ärztlichen Entlassbericht Ausführungen zur geeigneten Betreuungsform gemacht werden, sind diese zwar lediglich als Einschätzungen der Fachärzte zu beurteilen, denen insoweit jedoch keine Fachkompetenz und ihrer Beurteilung keine Bindungswirkung zukommt.
32
Hingegen erscheinen die Ermittlungen durch den Antragsgegner sinnvoll und auch (noch) ausreichend, um den Betreuungsbedarf der Antragstellerin als in einer (Integrations-)Tagesstätte nicht mehr erfüllbar anzusehen.
33
Die Leitung des Trägers F. hat nach Rücksprache mit der trägereigenen Psychologin, die ihrerseits wiederum in Kontakt mit der behandelnden Psychotherapeutin war, an der Kündigung des Betreuungsplatzes festgehalten und dies mit der sehr stark ausgeprägten bzw. massiven Impulskontrollstörung begründet, die nicht nur zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit der anderen Kindern führen würde, sondern gerade auch zu einer ständigen Überforderung der Antragstellerin in einer Kindergartengruppe der üblichen Stärke. Durch die Vielzahl von Faktoren und Reizen würde die Antragstellerin ständig getriggert, was bei dieser dann schnell zu plötzlichen und impulsiven, aggressiven und verletzenden Handlungen führe. Eine individuelle Förderung in einer kleineren Gruppe wurde nachvollziehbar als wesentlich geeigneter und sinnvoller gesehen – besonders im Hinblick auf die im Jahr 2025 anstehende Einschulung der Antragstellerin.
34
An weitergehender Glaubhaftmachung dazu, dass die diagnostizierten Entwicklungsstörungen einen Umfang haben, der eine Betreuung und Förderung auf einem Integrationsplatz in einem Kindergarten ggf. mit Individualbegleitung als ausreichend erscheinen lassen, fehlt es hingegen.
35
Die Antragstellerin hat daher aufgrund ihrer besonderen Bedürfnisse keinen Anspruch gegen den Antragsgegner auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer regulären Kindertageseinrichtung.
36
Nachdem bislang keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der vorrangig zuständige Bezirk Leistungen der Eingliederungshilfe als Leistungen der sozialen Teilhabe durch Übernahme der Kosten für die Förderung in der heilpädagogischen Tagesstätte ablehnen würde, bedarf es auch keiner Verpflichtung des Antragsgegners zu einer entsprechenden (nachrangigen) Leistung (vgl. auch JAmt 2022, 501 – beck-online).
37
Das Gericht weist jedoch darauf hin, dass das Jugendamt nach § 9 SGB IX ggf. zu prüfen hat, ob Eingliederungshilfe eher geeignet ist, und auf eine Antragstellung hinzuwirken und bei erkannter Unzuständigkeit den Antrag ggf. fristgerecht weiterzuleiten hat, vgl. § 14 SGB IX (vgl. JAmt 2022, 501, 502 – beck-online).
38
Außerdem wird darauf hingewiesen, dass, sofern der Betreuungsbedarf der Antragstellerin ggf. nach einer weiteren Diagnostik durch einen integrativen Betreuungsplatz sichergestellt ist, der Antragsgegner einen geeigneten und zumutbaren inklusiven Betreuungsplatz nachzuweisen hat. Der Antragsgegner kann sich hierbei weder auf fehlende Betreuungskapazitäten (stRspr., vgl. VGH BW, B.v. 23.11.22 – 12 S 2224/22 – juris m.w.N.), noch ohne besondere Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten auf vorausgegangene, zwischenzeitlich aber nicht mehr zur Verfügung stehende Betreuungsplätze berufen (vgl. NdsOVG, B.v. 19.7.2022 – 14 ME 277/22 – juris Rn. 3; VGH BW, B.v. 8.9.23 – 12 S 790/23 – juris).
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Mangels Vorliegens eines Anordnungsanspruchs zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, kann offenbleiben, ob durch die Antragsseite zudem ein Anordnungsgrund hinreichend glaubhaft gemacht wurde.
40
Der Antrag war daher abzulehnen.
41
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
42
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.