Inhalt

AG Rosenheim, Beschluss v. 08.04.2024 – VI 4081/21
Titel:

Annahme der Testierunfähigkeit im Erbscheinverfahren durch den Rechtspfleger

Normenketten:
BGB § 2229 Abs. 4
GNotKG § 22 Abs. 1
Leitsatz:
Ein Antrag auf Erteilung eines Erbscheins kann auch dann durch den Rechtspfleger zurückgewiesen werden, wenn der beauftragte Sachverständige - auch nach Auswertung von vom Gericht eingeholter Zeugenaussagen - von einer Testierunfähigkeit ausgeht (insoweit aufgehoben durch OLG München BeckRS 2024, 36374). (Rn. 4 – 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erbschein, Testament, Testierfähigkeit, Demenzerkrankung, psychiatrisches Gutachten, Zeugenaussage, Beweisaufnahme, Richtervorbehalt, Rechtspfleger
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 18.12.2024 – 33 Wx 153/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36375

Tenor

1. Der Antrag der Antragstellerin ... vom 14-012022 auf Erteilung eines Erbscheins wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe

1
Mit Antrag vom 14.01.2022, eingegangen bei Gericht am 17.01.2022, beantragte die Beteiligte ... die Erteilung eines Erbscheins dahingehend, dass die Erblasserin beerbt wird von ... allein.
2
Die Beteiligte ... begründet dieses Erbrecht wie folgt:
„Die Erblasserin hat folgende Verfügung von Todes wegen hinterlassen: eigenhändiges Testament vom 29.01.2020. Es sind keine sonstigen Verfügungen der Erblasserin von Todes wegen vorhanden, auch keine aufgehobenen oder auf andere Weise gegenstandslos gewordenen. Alleinerbin der Erblasserin bin somit ich, ... Weitere Personen, durch die die Erbfolge beeinträchtigt würde, sind und waren nicht vorhanden. Ein Rechtsstreit über das Erbrecht ist nicht anhängig. Ich habe die Erbschaft angenommen.“
3
Es war von Amts wegen zu prüfen, ob die Erblasserin zum Zeitpunkt der Verfassung des eigenhändigen Testaments vom 29.01.2020 noch ausreichend testierfähig war.
4
Mit psychiatrischen Gutachten des ... vom 28.02.2023 wurde festgestellt, dass durchaus zahlreiche Aspekte dafürsprechen, dass die Erblasserin am 29.012020 wegen einer Demenzerkrankung die Fähigkeit verloren hatte, die Tragweite und die Bedeutung einer letztwilligen Verfügung zu erfassen. Allerdings sei auf der Grundlage der vorliegenden Informationen (psychiatrisches Gutachten von ... vom 08.04.2020, welches im Rahmen des Betreuungsverfahrens für die Erblasserin erstellt wurde, vgl. BI. 36/45 d. A. in Sachvortrag einer weiteren Beteiligten des Betreuungsverfahrens vom 27.03.2020, vgl. BI. 1 d. A. in ... ärztlichen Entlassungsbrief von vom 31.05.2019, vgl. BI. 9/13 d. A. in und Stellungnahmen des Landratsamts Traunstein vom 31.03.2020 und vom 02.04.2020, vgl. BI. 17/18, 19/23 d. A. in auch nicht auszuschließen, dass die im Mai 2019 dokumentierten Auffälligkeiten ihres geistigen Zustandes ein delirantes Syndrom infolge eines Liegetraumas darstellten und somit situationsbedingt waren und sich später, im Vorfeld des März 2020 (vor Anordnung der Betreuung), eine erneute delirante Entgleisung einstellte. Für eine sichere Beurteilung der Psychopathologie seinen aus psychiatrischer Sicht noch zusätzliche Informationen über die intellektuellen Befindlichkeiten in den Zeiträumen vor dem stationären Aufenthalt der Erblasserin in der Kreisklinik Ruhpolding sowie zwischen dieser Behandlung und der Testamentserstellung erforderlich. Hier kämen insbesondere die Hausarztpraxis, private Kontaktpersonen, wie die Mieterin und Nachbarn der Erblasserin und der MDK Bayern in Frage.
5
Nach Einholung der entsprechenden zusätzlichen Informationen im Rahmen der weiteren Ermittlungen durch das Nachlassgericht wurde in dem psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen ... vom 23.012024 folgendes festgestellt: „Wiese eine über 90-jährige Frau zum relevanten Zeitpunkt einen derart gestörten Realitätsbezug auf, dass sie ihre Mutter noch am Leben wähnt und nach dieser sucht, wäre sie sicher nicht in der notwendigen Form in der Lage, sich an relevante Sachverhalte und Ereignisse zu erinnern oder sich ein klares Urteil zu bilden, und hätte aus psychiatrischer Sicht zweifellos die Voraussetzungen von Testierfähigkeit verloren.“
6
Speziell zum Zeitraum um die Testamentserstellung konnten sich die Antragstellerin ... und die Nachbarn der Erblasserin, nämlich die Eheleute ... äußern. Die Zeugeneinvernahme der ehemaligen Nachbarin Erblasserin im Herbst 2019 mit der Suche nach ihrer Mutter begann. Der ehemalige Nachbar und Zeuge ... gab an, dass die Erblasserin ab Herbst/Winter 2019 auf der Suche nach ihrer Mutter war. Die Zeugeneinvernahme des ehemaligen Nachbarn ... hat ergeben, dass die Erblasserin bereits 2017 oder 2018 nach ihrer Mutter gesucht hat. Die ehemalige Nachbarin und Zeugin ... gab an, dass die Erblasserin bereits im Herbst 2017 oder 2018 nach ihrer Mutter gesucht hat. Die Erblasserin wurde am Boden sitzend im Nachbargrundstück aufgefunden. Sie deutete immer auf das Nachbarhaus und sagte, dass dort drüben ihre Mutter sei bis sie ... beruhigen konnte. ... berichtete ebenfalls, dass sie die Erblasserin 2019 mit der Witterung nicht angemessenen Schuhen auf der Straße und der Suche nach ihrer Mutter getroffen habe. Die Einvernahme der Antragstellerin ... hat ergeben, dass sie hinsichtlich der Suche der Mutter der Erblasserin nichts aussagen kann, da sie hiervon nur gehört, aber etwaige Vorfälle nie mitbekommen hat.
7
Das Gericht hat keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen, insbesondere berichten die ... unabhängig voneinander, dass die Suche der Erblasserin nach ihrer Mutter bereits vor der Erstellung des eigenhändigen Testaments vom 29.01.2020 begann, so dass es das Gericht als erwiesen ansieht, dass zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung die Erblasserin nicht mehr testierfähig war.
8
Der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins vom 14.01.2022 war daher zurückzuweisen.
9
Die Kostenentscheidung beruht auf S. 22 Abs. 1 GNotKG.