Titel:
Elternunterhalt bei Erklärung der unbeschränkten Leistungsfähigkeit
Normenketten:
BGB § 1601, § 1603
SGB XII § 94 Abs. 1a
Leitsätze:
1. Erklärt der Unterhaltspflichtige sich für unbeschränkt leistungsfähig, bedarf es keiner Feststellungen zur Vermutungsregelung des § 94 Abs. 1a SGB XII. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Unterhaltspflicht tritt ein, wenn die stationäre Maßnahme beim unterhaltsberechtigten Vater medizinisch-pflegerische notwendig ist und dies dem unterhaltsverpflichteten Kind billigerweise vorgehalten werden kann. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Elternunterhalt, Angehörigenentlastungsgesetz, Regress, Bruttoeinkommen, unbeschränkt leistungsfähig, Auskunft, Vermutung, widerlegbar, medizinische Maßnahme
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 26.09.2024 – 2 UF 70/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36371
Tenor
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragssteller ab dem 01.12.2020 bis zum 30.06.2023 einen monatlichen laufenden Unterhalt in Höhe von 822,58 € für … zu zahlen.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragssteller rückständigen Unterhalt in Höhe von 15.871,35 € für … zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2020.
3. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragssteller vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.003,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2020 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.
5. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
6. Der Verfahrenswert wird auf 25.742,31 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Unterhalt gemäß § 1603 BGB aus übergegangenem Recht gemäß § 94 SGB XII.
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Der Antragsteller war überörtlicher Träger der Sozialhilfe. Im Rahmen seiner örtlichen und sachlichen Zuständigkeit gewährte er dem Vater des Antragsgegners Sozialhilfe.
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Der Vater des Antragsgegners beantragte mit Antrag vom 14.05.2018 eine solche Hilfe. Der Vater des Antragsgegners lebte fortan in einem Pflegeheim und wurde stationär versorgt. Der Nettosozialhilfeaufwand des Antragsstellers hierfür betrug in der Zeit von März 2019 bis Oktober 2020 15.048,77 €, sowie laufend monatlich ab November 2020 822,58 €. Dieser Aufwand ist Gegenstand des Regresses des Antragsstellers. Der Antragsgegner erklärte sich gegenüber dem Antragsteller und auch in diesem Verfahren als unbeschränkt leistungsfähig. Er zahlte außergerichtlich trotz anwaltlicher Aufforderung jedoch keinerlei Unterhalt. Der Aufenthalt des Vaters des Antragsgegners in der stationären Einrichtung (B.-J.-Haus in As.), welche die medizinisch-pflegerische Versorgung des Vaters des Antragsgegners übernommen hatte, dauerte bis zu dem Tod des Vaters am ... 2023 an, ebenso die Sozialhilfeleistungen.
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Der Antragsteller behauptet, der Aufenthalt des Vaters des Antragsgegners in der stationären Einrichtung sei medizinisch-pflegerisch notwendig gewesen. Eine häusliche Pflege sei kostenneutral in Bezug auf die konkret erfolgte stationäre Versorgung und die damit einhergehenden Kosten nicht möglich gewesen.
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Der Antragsteller beantragt:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragssteller ab dem 01.12.2020 einen monatlichen laufenden Unterhalt von 822,58 € für … zu zahlen, solange der Antragssteller Sozialhilfe leistet.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragssteller rückständigen Unterhalt in Höhe von 15.871,35 € für, … i zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2020.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragssteller vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.003,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.11.2020 zu zahlen.
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Der Antragsgegner beantragt,
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Das Gericht hat Beweis erhoben über die Behauptung der Antragstellerseite durch Beweisbeschluss vom 13.07.2021 durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen …. Zudem hat das Gericht im Termin zur mündlichen Verhandlung die Antragstellerseite und den Antragsgegner persönlich angehört. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten wird Bezug genommen auf das schriftlich eingereichte Gutachten des Sachverständigen vom 03.12.2021 und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten nebst der vorgelegten Anlagen.
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Der zulässige Antrag hat überwiegend Erfolg. Dem Antragssteller steht der geltend gemachte Unterhaltsanspruch aus übergegangenem Recht jedenfalls bis einschließlich 30.06.2023 zu.
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Der Anspruch des Antragsstellers gegen den Antragsgegner auf Zahlung von Verwandtenunterhalt beruht auf §§ 1601, 1603 BGB i.V.m. § 94 SGB XII. Gemäß § 1601 BGB i.V.m. § 1603 Abs. 1 BGB sind Verwandte in gerader Linie verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren, es sei denn, sie sind bei Berücksichtigung ihrer sonstigen Verpflichtungen außerstande, den Unterhalt ohne Gefährdung ihres eigenen Unterhalts zu gewähren. Das Maß des Unterhalts richtet sich nach den Einkommensverhältnissen des barunterhaltspflichtigen Verwandten.
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Entscheidungserheblich kommt es nicht darauf an, ob jedenfalls für den Zeitraum ab 2020 die Vermutungsregelung des § 94 Abs. 1a SGB XII greift.
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Danach sind Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches jeweils mehr als 100.000,00 Euro (Jahreseinkommensgrenze). Der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten ist ausgeschlossen, sofern Unterhaltsansprüche nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen sind. Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen nach Satz 1 die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet. Zur Widerlegung der Vermutung nach Satz 3 kann der jeweils für die Ausführung des Gesetzes zuständige Träger von den Leistungsberechtigten Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Unterhaltspflichtigen nach Satz 1 zulassen. Liegen im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte für ein Überschreiten der Jahreseinkommensgrenze vor, so ist § 117 anzuwenden. Zwar hat die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Antragstellerseite nicht ausreichend dazu vorgetragen, dass das Einkommen des Antragsgegners 100.000,00 € brutto pro Jahr übersteigt. Jedoch ist unstreitig, dass der Antragsgegner unbeschränkt leistungsfähig ist. Vor diesem Hintergrund bedarf es schlicht keiner Feststellungen zur Vermutungsregelung. Nach § 117 SGB XII, auf den § 94 Abs. 1a SGB XII verweist, haben die Unterhaltspflichtigen dem Träger der Sozialhilfe über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse Auskunft zu geben, soweit die Durchführung dieses Buches es erfordert. Bei einer Erklärung der unbeschränkten Leistungsfähigkeit ist die Auskunft nicht erforderlich. Vielmehr hätte sich der Antragsgegner substantiiert damit verteidigen müssen, dass sein Bruttoeinkommen diese Einkommensgrenze unterschreitet.
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Entscheidungserheblich kommt es nur darauf an, ob die stationäre Maßnahme beim Vater des Antragsgegners medizinisch-pflegerische notwendig war und dies dem Unterhaltsverpflichteten billigerweise vorgehalten werden kann. Diese Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Gerichts vor. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen … in seinem Gutachten vom 03.12.2021 führt dieser zunächst aus, dass jedenfalls wesentliche Bereiche der Grundversorgung, wie zum Beispiel die tägliche Körperpflege hätten kostenneutral durch einen ambulanten pflegerischen Dienst sichergestellt werden können. Ebenso wäre durch einen ambulanten Pflegedienst die sogenannte Behandlungspflege sicherzustellen gewesen. Die weitere Versorgung, hier gerade die Haushaltsversorgung (z.B. Einkaufen) wäre auch ambulant durch einen Pflege- oder Betreuungsdienst möglich gewesen. Im Ergebnis hält der Sachverständige jedoch gerade aufgrund der psychiatrischen Vorgeschichte des Vaters, geprägt durch Depressionen und Suizidversuche und der völligen Antriebsminderung eine stationäre Heimunterbringung bei einem zunehmenden pflegerischen Hilfebedarf für unumgänglich. Das Gericht schließt sich den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen an. Auch wenn im vorliegenden Fall zu berücksichtigen ist, dass der Vater des Antragsgegners bei der Begutachtung wach und vollständig orientiert war, so ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben keine andere Betrachtungsweise, indem der Vater möglicherweise seine Hilfebdürftigkeit verhindern hätte können. Das Gericht ist der Überzeugung, dass der Vater des Antragsgegners vielmehr aufgrund dieser psychiatrischen Erkrankung berechtigt war, eine für sich passende Pflege- und Betreuungsform, auch stationärer Art zu finden. Dies mag anders zu beurteilen sein, wenn die pflegerische Situation frei und mit der Möglichkeit zur Änderung der eigenen Situation des Unterhaltsbedürftigen gewählt wird. Dies ist hier aber nicht der Fall. Der Sachverständige schildert selbst, dass bereits durch die Feststellungen des vorliegenden Pflegegutachtens vom 13.10.2010 das Kritik- und Urteilsvermögen des Vaters des Antragsgegners nicht vorhanden war. In diesem Zusammenhang ist die Antriebslosigkeit, die nach den Ausführungen des Sachverständigen eine Vielzahl der täglichen Pflegeleistungen erforderlich macht und die durchaus auch ambulant durchgeführt werden könnten, dem Vater aber nicht vorwerfbar. Vielmehr ist naheliegend, dass der Vater des Antragsgegners diese deshalb zeigt, da bereits eine depressive Erkrankung vorliegt.
13
Das Gericht war nicht gehalten, weitere Feststellungen zum Einkommen des Antragsgegners zu treffen. Der Antragsgegner hat sich selbst als unbeschränkt leistungsfähig bezeichnet. Es ist davon auszugehen, dass der für die Jahre 2019 bis 2023 jeweils nach den SüdL bestehende angemessene Selbstbehalt nicht unterschritten ist.
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Der Unterhaltsanspruch endet durch den unstreitigen Tod des Vaters des Antragsgegners am 13.07.2023. Der Antrag war insoweit im Übrigen abzuweisen, da von der Antragstellerseite nicht ausreichend dargelegt wurde, welcher Anteil hinsichtlich des laufenden Nettosozialhilfeaufwands auf die verbleibenden Tage im Juli 2023 entfiel.
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Der Anspruch auf die Nebenforderungen folgt aus §§ 286, 288 BGB.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 Satz 1 und 2 Nr. 1 FamFG. Abweichend von den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Kostenentscheidung entscheidet das Gericht in Unterhaltssachen nach billigem Ermessen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens auf die Beteiligten. Vorliegend ist hierbei insbesondere das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten einschließlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung zu berücksichtigen.
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Die Wertfestsetzung folgt aus § 51 FamGKG.