Titel:
Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger beim Elternunterhalt
Normenketten:
BGB § 1601, § 1603
SGB XII § 94 Abs. 1a
Leitsätze:
1. Die Erklärung eines auf Elternunterhalt in Anspruch genommenen Kindes, es sei für die Zahlung von Elternunterhalt unbeschränkt leistungsfähig, widerlegt nicht die gesetzliche Vermutung des § 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII, dass das Einkommen des Kindes des Sozialhilfebeziehers die Jahreseinkommensgrenze des § 94a Abs. 1a S. 1 SGB XII nicht überschreitet. (Rn. 50 – 51)
2. Die unbeschränkte Leistungsfähigkeit kann sich unterhaltsrechtlich auch aus vorhandenem Vermögen ergeben. (Rn. 51)
3. Für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung des Nichtüberschreitens der Jahreseinkommensgrenze bedarf es eines Vortrages des Sozialhilfeträgers zum Einkommen des Kindes. (Rn. 50)
4. Die pauschale Behauptung des Sozialhilfeträgers, das Kind verfüge im Unterhaltszeitraum über ein Jahresbruttoeinkommen iSd § 16 SGB IV von mehr als 100.000 €, führt beim Elternunterhalt zum Anspruchsübergang gem. § 94 Abs. 1, 1a SGB XII, wenn dem das Kind nicht (zumindest pauschal) entgegentritt, weil dann eine unstreitige Tatsache vorliegt. (Rn. 50)
Schlagworte:
Elternunterhalt, Anspruchsübergang, Vermögen, unbeschränkt, leistungsfähig, Jahresbruttoeinkommen, Sozialhilfeträger, Vermutungsregel
Vorinstanz:
AG Obernburg, Endbeschluss vom 29.02.2024 – 4 F 700/20
Fundstellen:
FDSozVR 2025, 936370
BeckRS 2024, 36370
NJW-RR 2025, 260
LSK 2024, 36370
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Endbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Obernburg a. Main vom 29.02.2024, Az. 4 F 700/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 26.564,89 € festgesetzt. Auf denselben Betrag wird die erstinstanzliche Festsetzung in Ziffer 6 des Endbeschlusses vom 29.02.2024 von Amts wegen abgeändert.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind Unterhaltsansprüche des Vaters des Antragsgegners, die wegen gewährter Hilfe zur stationären Pflege auf den Antragsteller als Sozialleistungsträger übergegangen sein sollen.
2
1. Der am … geborene und am … verstorbene V ist der Vater des Antragsgegners. V erhielt ab 14.05.2018 für die Kosten seiner Unterbringung in einem Pflegeheim Hilfe zur stationären Pflege nach dem SGB XII durch den Antragsteller. V litt unter Einschränkungen der Mobilität sowie unter Depressionen und Antriebslosigkeit und war von Verwahrlosung bedroht. Er hatte mehrere Suizidversuche unternommen. Ab dem 01.01.2019 war er in Pflegegrad 2 eingestuft, zuvor ab Oktober 2010 in Pflegestufe 1.
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Mit Schreiben vom 26.03.2019 informierte der Antragsteller den Antragsgegner über den Übergang gesetzlicher Unterhaltsansprüche seines Vaters gemäß § 94 SGB XII bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen. Er forderte den Antragsgegner zur Auskunftserteilung über sein Einkommen und Vermögen zur Berechnung eines eventuellen Unterhaltsbeitrags auf. Dem Auskunftsersuchen kam der Antragsgegner nicht nach. Vielmehr erklärte er sich mit Schreiben vom 14.08.2019 für unbeschränkt leistungsfähig.
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2. Mit Antragsschrift vom 10.12.2020 an das Amtsgericht – Familiengericht – Obernburg am Main, dem Antragsgegner zugestellt am 21.12.2020, hat der Antragsteller den Antragsgegner auf Zahlung übergegangenen Unterhalts in Anspruch genommen.
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Er hat folgendes beantragt,
- 1.
-
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller ab dem 01.12.2020 einen monatlichen laufenden Unterhalt in Höhe von 822,58 € für Herrn V zu zahlen, solange der Antragsteller für Herrn V Sozialhilfe leistet.
- 2.
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Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Unterhalt für Herrn V in Höhe von 15.871,35 € zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.11.2020.
- 3.
-
Der Antragsgegner wird verpflichtet, vorgerichtliche Anwaltskosten an den Antragsteller in Höhe von 1.003,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 07.11.2020 zu zahlen.
6
Im Übrigen wird auf die Antragsschrift Bezug genommen.
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Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 22.01.2021 Antragsabweisung beantragt.
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Er hat die Auffassung vertreten, dass sein Vater nicht pflegeheimbedürftig sei, so dass ein Unterhaltsanspruch mangels Bedürftigkeit nicht bestehe und damit auch nicht auf den Antragsteller übergegangen sei. Die Mobilitätseinschränkungen nach Pflegegrad 2 ließen sich durch häusliche Pflege abdecken. Depression, Antriebslosigkeit und Suizidgefahr seien medizinische Bedarfe, welchen durch Medikamente im häuslichen Bereich bzw. durch Einweisung in ein Krankenhaus für Psychiatrie zu begegnen sei. Sie stellten keine unterhaltsrechtliche Bedarfsposition dar, für die der Antragsgegner hafte. Der Unterhaltsbedarf sei auf das angemessene Maß beschränkt. Der Bedarf nach einer 24-Stunden-Betreuung sei nicht gegeben. Die häusliche Pflege des Vaters könne kostenneutral erfolgen, was insbesondere mit Schriftsatz vom 02.07.2021 dargestellt worden ist.
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Ferner hat der Antragsgegner auf die veränderte Rechtslage seit dem 01.01.2020 durch Inkrafttreten des Angehörigenentlastungsgesetzes hingewiesen. Seitdem streite außerdem die gesetzliche Vermutung aus § 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII für ihn, dass er kein jährliches Gesamteinkommen von mehr als 100.000,00 € habe, so dass auch aus diesem Grund kein Anspruch übergegangen sei. Die Vermutung habe der Antragsteller nicht widerlegt. Aus seiner Erklärung vom 14.08.2019, unbeschränkt leistungsfähig zu sein, folge nicht, dass er über ein Einkommen von mehr als 100.000,00 € im Jahr verfüge. Er könne anderweitig, durch Aufnahme eines Darlehens oder aus Vermögen, leistungsfähig sein. Die Erklärung habe sich auf die bis 31.12.2019 geltende Rechtslage bezogen.
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Das Amtsgericht hat die Beteiligten im Termin vom 18.06.2021 angehört.
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Weiter hat es auf Antrag des Antragstellers mit Beweisbeschluss vom 13.07.2021 ein Gutachten zur Pflegebedürftigkeit des Vaters des Antragsgegners in einer stationären Einrichtung ab März 2019 eingeholt und damit den Sachverständigen für Pflege, Pflegeleistungen und Pflegeleistungsabrechnungen P beauftragt.
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Dieser ist im schriftlichen Gutachten vom 03.12.2021 (vgl. Sonderheft „Gutachten“) zu dem Ergebnis gelangt, dass eine ambulante Versorgung des Vaters des Antragsgegners nicht kostenneutral hätte gestaltet werden können. Außerdem sei die stationäre Unterbringung in einem Pflegeheim aufgrund der Depression mit teilweise völliger Antriebsminderung, der mehrfachen Suizidversuche und des zunehmenden pflegerischen Bedarfs unumgänglich gewesen.
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Dem ist der Antragsgegner mit Schriftsätzen vom 14.03.2022, 05.05.2022 und 22.06.2022 weiter entgegengetreten. Zum Nachweis der Tatsache, dass die Depression seines Vaters nicht den Intensitätsgrad für eine dauerhafte stationäre Heimunterbringung aufweise, hat er mit Schriftsatz vom 22.06.2022 die Einholung eines medizinischen, psychiatrischen Gutachtens beantragt.
14
Mit Schriftsatz vom 21.07.2023 hat der Antragsgegner mitgeteilt, dass sein Vater am …07.2023 verstorben sei.
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Mit Endbeschluss vom 29.02.2024 hat das Amtsgericht im schriftlichen Verfahren wie folgt entschieden:
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller ab dem 01.12.2020 bis zum 30.06.2023 einen monatlichen laufenden Unterhalt in Höhe von 822,58 € für Herrn V zu zahlen.
2. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Unterhalt in Höhe von 15.871,35 € für Herrn V zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.11.2020.
3. Der Antragsgegner wird verpflichtet, vorgerichtliche Anwaltskosten an den Antragsteller in Höhe von 1.003,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 07.11.2020 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird der Antrag abgewiesen.
5. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
6. Der Verfahrenswert wird auf 25.742,31 € festgesetzt.
16
Das Amtsgericht hat seine Entscheidung mit einem Anspruch des Antragstellers aus §§ 1601, 1603 BGB i.V.m. § 94 SGB XII begründet. Es komme nicht darauf an, ob für den Zeitraum ab 01.01.2020 die Vermutungsregel des § 94 Abs. 1a SGB XII greife. Zwar habe der darlegungs- und beweisbelastete Antragsteller nicht ausreichend vorgetragen, dass das Einkommen des Antragsgegners 100.000,00 € brutto pro Jahr übersteige. Jedoch sei unstreitig, dass der Antragsgegner unbeschränkt leistungsfähig sei. Vor diesem Hintergrund bedürfe es keiner Feststellung zur Vermutungsregel. Vielmehr hätte sich der Antragsgegner substantiiert damit verteidigen müssen, dass sein Bruttoeinkommen diese Einkommensgrenze unterschreite.
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Die stationäre Maßnahme beim Vater des Antragsgegners sei medizinisch-pflegerisch notwendig gewesen. Dies habe der Sachverständige P nachvollziehbar dargelegt. Das Gericht schließe sich den Ausführungen des Sachverständigen an. Die depressive Erkrankung des Vaters des Antragsgegners sei dem Vater nicht vorwerfbar, so dass er berechtigt stationäre Pflege in Anspruch genommen habe.
18
Das Gericht sei nicht gehalten, Feststellungen zum Einkommen des Antragsgegners zu treffen. Aufgrund der Erklärung des Antragsgegners als unbeschränkt leistungsfähig sei davon auszugehen, dass die angemessenen Selbstbehalte der Jahre 2019 bis 2023 jeweils nicht unterschritten worden seien.
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Der Unterhaltsanspruch ende mit dem unstreitigen Tod des Vaters des Antragsgegners am …07.2023. Der Antrag sei insoweit abzuweisen, als nicht dargelegt worden sei, welcher Anteil des laufenden Nettosozialhilfeaufwands auf die verbleibenden Tage im Juli 2023 entfallen sei.
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Der Anspruch auf die Nebenforderung folge aus §§ 286, 288 BGB.
21
Die Kostenentscheidung hat das Amtsgericht auf § 243 S. 1 und 2 Nr. 1 FamFG gestützt, die Festsetzung des Verfahrenswerts auf § 51 FamGKG.
22
3. Gegen den ihm am 05.03.2024 zugestellten Endbeschluss hat der Antragsgegner durch Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 19.03.2024, eingegangen beim Amtsgericht Obernburg am Main am 20.03.2024, Beschwerde eingelegt.
23
Mit Schriftsatz vom 06.05.2024, beim Beschwerdegericht eingegangen am selben Tag, stellt er folgenden Antrag:
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Obernburg vom 29.02.2024 zum Aktenzeichen 4 F 700/20 ist abzuändern.
2. Der Antrag des Antragstellers gemäß Schriftsatz vom 10.12.2020 ist zurückzuweisen.
24
Mit demselben Schriftsatz hat der Antragsgegner seine Beschwerde begründet, indem er die amtsgerichtliche Entscheidung in vollem Umfang zur Überprüfung durch das Beschwerdegericht gestellt und sein erstinstanzliches Verteidigungsvorbringen wiederholt hat. So hat der Antragsgegner für den Zeitraum ab 01.01.2020 weiterhin die fehlende Widerlegung der Vermutungsregel aus § 94 Abs. 1a SGB XII durch den Antragsteller gerügt sowie für den gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum die fehlende Notwendigkeit der Unterbringung seines Vaters in einer stationären Pflegeeinrichtung und damit den unterhaltsrechtlichen Bedarf. Insoweit hat er ergänzend ausgeführt, dass sich das Amtsgericht zur Feststellung des Unterbringungsbedarfs des Vaters des Antragsgegners in einem Pflegeheim lediglich auf das Gutachten eines Pflegesachverständigen gestützt habe. Die Feststellung der Tatsache, bis zu welchem Grad die psychiatrische Erkrankung des Vaters des Antragsgegners einer Heimpflege bedurft hätte, unterfalle jedoch der Beurteilungskompetenz eines Facharztes für Psychiatrie. Seinen Beweisantrag zur Einholung eines medizinischen – psychiatrischen Gutachtens aus dem Schriftsatz vom 22.06.2022, dass kein Heimunterbringungsbedarf bei seinem Vater bestanden habe, habe das Amtsgericht zu Unrecht übergangen.
25
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 27.05.2024 die Zurückweisung der Beschwerde beantragt.
26
Mit Verfügung vom 28.05.2024 hat das Beschwerdegericht darauf hingewiesen, dass es sich bei Anspruchsübergang und Leistungsfähigkeit um unterschiedliche Rechtsfragen handele und hat weitere Hinweise zu § 94 Abs. 1a SGB XII erteilt.
27
Mit Schriftsatz vom 22.08.2024 hat der Antragsteller daraufhin hilfsweise beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis über den Widerspruch des Antragsgegners gegen den Bescheid des Antragstellers vom 03.07.2024 entschieden sei.
28
Der Antragsteller hat mit Bescheid vom 03.07.2024 den Antragsgegner verpflichtet, gemäß §§ 94 Abs. 1a S. 5, 117 Abs. 1 SGB XII Auskunft über sein Einkommen und Vermögen zu erteilen. Über den vom Antragsgegner eingelegten Widerspruch wurde noch nicht entschieden. Eine Anfrage des Antragstellers vom 21.02.2020 an das Finanzamt hat ergeben, dass der Antragsgegner im Jahr 2017 ein Bruttoarbeitseinkommen von 203.672,00 € gehabt habe. Schließlich hat der Antragsteller behauptet, dass der Antragsgegner zu jedem Zeitpunkt im streitgegenständlichen Zeitraum ein Einkommen über 100.000,00 € jährlich gehabt habe.
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Das Beschwerdegericht hat die Beteiligten im Termin vom 12.09.2024 angehört. Auf Hinweis auf das mit Schriftsatz vom 22.08.2024 behauptete jährliche Einkommen des Antragsgegners von über 100.000,00 € hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners erklärt, dass er die Behauptung als Behauptung ins Blaue hinein für nicht für verwertbar halte und daher kein Bestreiten erfolge. Er ist der Ansicht, dass die Auskunft des Finanzamts vom 21.02.2020 verfahrensrechtlich nicht hätte ergehen dürfen und unverwertbar sei.
30
Im Termin vom 12.09.2024 hat der Antragsgegner seinen Beschwerdeantrag aus dem Schriftsatz vom 06.05.2024 gestellt, der Antragsteller den Zurückweisungsantrag aus dem Schriftsatz vom 27.05.2024 sowie den Hilfsantrag aus dem Schriftsatz vom 22.08.2024.
31
Außerdem hat der Antragsgegner die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt.
32
Ergänzend wird auf den schriftlichen Akteninhalt des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens Bezug genommen.
33
1. Die Beschwerde des Antragsgegners ist nach §§ 117, 58 ff FamFG statthaft und im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdebegründung samt Antrag ausgehend von der Zustellung der angegriffenen Entscheidung an den Antragsgegner am 05.03.2024 fristgerecht innerhalb der Zweimonatsfrist gemäß §§ 112 Nr. 1, 113 Abs. 1, 117 Abs. 1 S. 2, 3 FamFG, 222 Abs. 2 ZPO am nächsten Werktag – Montag, den 06.05.2024 – beim Beschwerdegericht eingegangen.
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2. Die Beschwerde bleibt jedoch ohne Erfolg und ist daher als unbegründet zurückzuweisen. Auf den Hilfsantrag des Antragstellers aus dem Schriftsatz vom 22.08.2024 kommt es nicht an, da er mit seinem Hauptantrag, die Beschwerde zurückzuweisen, Erfolg hat.
35
Der Antragsgegner ist dem Antragsteller aus übergegangenem Recht in Höhe der für den Vater des Antragsgegners für dessen stationäre Pflege aufgewendeten Leistungen zur Unterhaltszahlung verpflichtet (vgl. §§ 1601 ff BGB, 94 SGB XII).
36
a) Soweit der Antragsgegner den Bedarf seines Vaters für stationäre Pflege in Abrede stellt und meint, ein Unterhaltsanspruch sei mangels Bedürftigkeit seines Vaters und mangels Angemessenheit der Heimunterbringung nicht entstanden und habe damit auch nicht auf den Antragsteller übergehen können, kann dem nicht gefolgt werden. Vielmehr belegt das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten den Pflegebedarf des Vaters des Antragsgegners in einer stationären Einrichtung, was auch unterhaltsrechtlich beachtlich ist. Denn gemäß § 1610 Abs. 2 BGB umfasst der Unterhalt den gesamten Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten. Der Einholung des vom Antragsgegner beantragten psychiatrischen Gutachtens bedurfte es nicht.
37
Der Vater des Antragsgegners war seit Januar 2019, mithin im gesamten verfahrensgegenständlichen Zeitraum, in Pflegegrad 2 eingestuft, was einer erheblichen Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten entspricht (vgl. § 15 Abs. 3 Nr. 2 SGB XI). In die Einstufung der Pflegegrade fließt mit 10 Prozent der Bereich „Mobilität“ ein, mit 15 Prozent der Bereich „kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“, mit 40% der Bereich „Selbstversorgung“, mit 20 Prozent der Bereich „Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen“ und mit weiteren 15 Prozent der Bereich „Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte“ (vgl. § 15 Abs. 2 S. 7 Nr. 1 – 5 SGB XI). Die Depressionserkrankung des Vaters des Antragsgegners mit der daraus resultierenden Antriebslosigkeit, Suizidalität und Verwahrlosungstendenz ist damit unter den Aspekten „psychische Problemlagen“ und „Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen“ in die Bemessung des pflegerischen Bedarfs eingeflossen.
38
Ausweislich des vom Amtsgericht eingeholten Sachverständigengutachtens vom 03.12.2021 konnte eine häusliche Pflege des Vaters des Antragsgegners nicht kostenneutral sichergestellt werden, wie vom Antragsgegner behauptet. Vielmehr hat der Sachverständige ausgeführt (vgl. S. 2 des Gutachtens), dass die nach dem SGB XI bewilligungsfähigen Pflegesachleistungen von monatlich 689 € bei Pflegegrad 2 lediglich zur Abdeckung der „schnellen“ morgendlichen Körperpflege mit einem Zeitaufwand von maximal 20 Minuten ausgereicht hätten. Der weiterhin zustehende Entlastungsbetrag von 125 € nach § 45b SGB XI hätte die Reinigung der Wohnung nur alle 14 Tage sichergestellt. Durch Leistungen der häuslichen Krankenpflege gemäß § 37 SGB V hätte ferner die Medikamentengabe gewährleistet werden können. Alles andere wäre privat zu finanzieren gewesen, nämlich Hilfe beim Einkaufen, Wäsche machen, Begleitung zu Ärzten, Therapeuten sowie das Sicherstellen regelmäßiger Mahlzeiten sowie die abendliche Körperpflege.
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Damit trifft nicht zu, dass mit der Pflegesachleistung von 689 € bei Pflegegrad 2 im Jahr 2021 sämtlicher pflegerische Bedarf eines häuslich untergebrachten Berechtigten hätte abgedeckt werden können, wie vom Antragsgegner im Schriftsatz vom 02.07.2021 behauptet. Lediglich der Einsatz eines ambulanten Pflegedienstes im Umfang von 20 Minuten täglich hätte damit nach der unwidersprochenen Darlegung des Sachverständigen sichergestellt werden können, was dem Zeitaufwand für die morgendliche Körperpflege entspricht. Ausgehend von einer monatlichen Rente des Vaters des Antragsgegners von 1200 € netto (vgl. Schriftsatz des Antragsgegners vom 02.07.2021) verbleibt nach Abzug der dort weiter veranschlagten monatlichen Kosten von 508,40 € für die Warmmiete und 459 € für drei gelieferte Mahlzeiten täglich ein Betrag von 232,60 €. Damit hätten im Jahr 2021 bei Geltung eines Mindestlohnes von 9,50 € bzw. ab 01.07.2021 9,60 € Unterstützungsleistungen von unter 6 Stunden wöchentlich bezahlt werden können (9,55 x 5,62 x 4,33). Dieser Zeitaufwand reicht jedoch nicht aus, um die vom Sachverständigen als privat zu finanzierenden Hilfen wie oben aufgeführt zu gewährleisten. So umfasst etwa das Sicherstellen regelmäßiger Mahlzeiten bei einem depressiven, antriebslosen Menschen wie dem Vater des Antragsgegners nicht nur deren Lieferung dreimal am Tag. Vielmehr ist durch eine Betreuungsperson auch die Aufnahme der Mahlzeiten sowie der anschließende Abwasch des Geschirrs sicherzustellen. Dies allein ist mit mindestens 20 Minuten dreimal täglich zu veranschlagen, somit täglich eine Stunde, was sich pro Woche auf 7 Stunden summiert. Allein dies hätte das Resteinkommen des Vaters des Antragsgegners aufgezehrt, ohne dass die vom Sachverständigen ferner aufgezeigten umfangreichen offenen Aufwandspositionen abgedeckt worden wären.
40
Das eingeholte Gutachten hat zudem die Heimunterbringung des Vaters des Antragsgegners vor allem aufgrund der Depressionserkrankung mit teilweiser völliger Antriebsminderung, der mehrfachen Suizidversuche und des zunehmenden pflegerischen Bedarfs für unumgänglich erachtet. Dies ist nicht zu beanstanden. Die Depressionserkrankung des Vaters des Antragsgegners war vor Beginn seines Heimaufenthalts medikamentös eingestellt worden (vgl. Arztbericht vom 17.03.2018 des BKH … nach vorangegangenem Suizidversuch des Vaters des Antragsgegners, Anlage zur Antragsschrift). Der Suizidalität des Vaters des Antragsgegners, die trotzdem fortbestanden und zu weiteren Suizidversuchen geführt hat, konnte nur wirksam durch eine Heimunterbringung begegnet werden, um weiteren Suizidversuchen entgegenzuwirken bzw. im Falle eines solchen die Notfallversorgung und Krankenhauseinweisung sicherzustellen.
41
Eine 24 Stunden umfassende Betreuung des Vaters des Antragsgegners war damit unumgänglich. Der Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens bedurfte es nicht. Denn die psychiatrische Diagnose einer Depression mit Suizidneigung stand fest und ist – wie oben aufgezeigt – in die Bemessung des Pflegebedarfs eingeflossen und damit taugliche Beurteilungsgrundlage für den erstinstanzlich beauftragten Pflegesachverständigen gewesen.
42
Die Notwendigkeit einer Heimunterbringung gehörte damit buchstäblich zum Lebensbedarf des Vaters des Antragsgegners. Sie war damit vom angemessenen Unterhalt gemäß § 1610 Abs. 2 BGB umfasst.
43
Die Kosten der Heimunterbringung konnte der Vater des Antragsgegners aus eigenen Mitteln und Mitteln der Pflegeversicherung nicht decken. Vielmehr musste der Antragsteller auf Antrag des Vaters des Antragsgegners den ungedeckten Bedarf durch Leistungen zur stationären Pflege (vgl. § 65 SGB XII) übernehmen. Auf die Berechnungen des Sozialhilfeaufwands des Jahres 2019 und ab dem 01.01.2020 in der Antragsschrift, S. 5 und 6, wird Bezug genommen. Diese haben für den Zeitraum März bis einschließlich Dezember 2019 insgesamt 6.822,97 € betragen sowie ab dem 01.01.2020 monatlich 822,58 €. Die gewährten Leistungen sind unbestritten.
44
Der Vater des Antragsgegners war damit unterhaltsbedürftig gemäß § 1602 Abs. 1 BGB und anspruchsberechtigt gegenüber dem Antragsgegner, seinem Sohn, aus § 1601 BGB.
45
b) Der Unterhaltsanspruch des Vaters des Antragsgegners ist gemäß § 94 Abs. 1 S. 1 SBG XII für die Dauer der Leistungserbringung bis zur Höhe der erbrachten Leistungen auf den Antragsteller übergegangen.
46
Für die Zeit ab 01.01.2020, dem Inkrafttreten des § 94 Abs. 1a SGB XII, ergibt sich nichts anderes.
47
Zwar bestimmt § 94 Abs. 1a S. 1 bis 3 SGB XII folgendes: Unterhaltsansprüche der Leistungsberechtigten gegenüber ihren Kindern und Eltern sind nicht zu berücksichtigen, es sei denn, deren jährliches Gesamteinkommen im Sinne des § 16 des Vierten Buches beträgt jeweils mehr als 100.000 Euro (Jahreseinkommensgrenze). Der Übergang von Ansprüchen der Leistungsberechtigten ist ausgeschlossen, sofern Unterhaltsansprüche nach Satz 1 nicht zu berücksichtigen sind. Es wird vermutet, dass das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen nach Satz 1 die Jahreseinkommensgrenze nicht überschreitet.
48
Jedoch ist mittlerweile unstreitig, dass der Antragsgegner im verfahrensgegenständlichen Zeitraum über ein Einkommen von mehr als 100.000,00 € pro Jahr verfügte, so dass der Übergang von Unterhaltsansprüchen auch für den Zeitraum ab 01.01.2020 erfolgt ist. Gemeint ist damit ein Einkommen im Sinne der §§ 94 Abs. 1a SGB XII, 16 SGB IV, also ein zu versteuerndes Gesamteinkommen des Antragsgegners.
49
Durch die Behauptung des Antragstellers im Schriftsatz vom 22.08.2024, dass der Antragsgegner im verfahrensgegenständlichen Zeitraum jeweils ein Einkommen über 100.000,00 € jährlich gehabt habe, und dem – trotz Hinweis des Senats im Termin vom 12.09.2024 – unterbliebenen Bestreiten des Antragsgegners gilt die Behauptung als zugestanden (vgl. §§ 113 Abs. 1 FamFG, 138 Abs. 2 und 3 ZPO). Die Behauptung des Antragstellers mag ins Blaue hinein erfolgt sein, da ohne tatsächliche Anhaltspunkte jedenfalls für die relevanten Jahre 2020 bis 2023 aufgestellt. Allerdings hat sich ein Beteiligter nach den o. g. Regeln der ZPO zu jeder Tatsachenbehauptung zu erklären. Tut er dies – wie vorliegend – nicht, gilt die Behauptung als zugestanden und es liegt unstreitiger Vortrag vor. Zu unstreitigem Vortrag stellt sich die Frage einer Behauptung ins Blaue hinein jedoch nicht. Vielmehr ist dies allein bei streitigem Vortrag für die Frage des Eintritts in eine Beweisaufnahme relevant.
50
Ebenso kommt es bei unstreitigem Vortrag nicht auf Vermutungsregeln wie der aus § 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII an. Hätte der Antragsgegner die Behauptung des Antragstellers aus dem Schriftsatz vom 22.08.2024 zu seinem Jahreseinkommen zumindest pauschal bestritten, was freilich nur im Rahmen der prozessualen Wahrheitspflicht (vgl. §§ 113 Abs. 1 FamFG, 138 Abs. 1 ZPO) statthaft ist, wäre es Aufgabe des für den Anspruchsübergang darlegungs- und beweisbelasteten Antragstellers gewesen, die für den Antragsgegner sprechende Vermutung des § 94 Abs. 1a S. 3 SGB XII eines die Jahreseinkommensgrenze von 100.000,00 € nicht übersteigenden Einkommens zu widerlegen. Hierauf kommt es vorliegend mangels Bestreitens jedoch nicht an.
51
Damit ist der erstinstanzliche Streit, ob die Erklärung des Antragsgegners, unbeschränkt leistungsfähig zu sein, die Vermutungsregel des § 94 Abs. 1a SGB XII widerlegt habe, verfahrensmäßig überholt. Der dies bejahenden Auffassung des Amtsgerichts kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn die Erklärung, unbeschränkt leistungsfähig zu sein, beinhaltet keinerlei Aussage zur Höhe des Einkommens des Antragsgegners. Wie dieser zutreffend ausgeführt hat (vgl. etwa Schriftsatz vom 02.07.2021), könnte er auch durch Aufnahme eines Darlehens oder aus Vermögen leistungsfähig sein.
52
c) Der Antragsgegner ist in Höhe der auf den Antragsteller übergegangenen Unterhaltsansprüche auch leistungsfähig. Im vorgerichtlichen Schriftsatz vom 14.08.2019 hat sich der Antragsgegner für unbeschränkt leistungsfähig erklärt. Soweit sich diese Erklärung nur auf die bis zum 31.12.2019 geltende Rechtslage erstreckt haben sollte, wie vom Antragsgegner mit Schriftsatz vom 09.01.2023 ausgeführt, ergibt sich für die Zeit ab dem 01.01.2020 nichts anderes. Denn unzureichende Leistungsfähigkeit als Einwendung hat der Antragsgegner als Unterhaltsschuldner darzulegen und zu beweisen. Diesbezüglichen Vortrag hat er jedoch für keinen Zeitraum erstattet.
53
d) Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Auskunft des Finanzamts vom 21.02.2020 aufgrund der unstreitigen Einkommenssituation des Antragsgegners für die Entscheidung ohne Belang ist, so dass die antragsgegnerseitig aufgeworfene Frage der Verwertbarkeit dahinstehen kann.
54
e) Damit ist der Antragsgegner im Ergebnis zutreffend vom Amtsgericht verpflichtet worden, für den Zeitraum vom 01.03.2019 bis 30.06.2023 auf den Antragsteller übergegangenen Unterhalt für seinen Vater zu bezahlen. Auf Ziffer 1 und 2 der angegriffenen Entscheidung wird Bezug genommen.
55
Auch die weiteren Entscheidungen des Amtsgerichts zu Ziffer 3 und 4 sind nicht zu beanstanden. Da der Antragsgegner von einer Mitarbeiterin des Antragstellers mit Schreiben vom 29.08.2019 unter Fristsetzung zur Zahlung des damaligen seit März 2019 rückständigen sowie des laufenden Nettosozialhilfeaufwands aufgefordert und damit mangels Leistung in Verzug gesetzt worden ist, haftet er auch für die mit Schriftsatz vom 21.10.2020 entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten der späteren anwaltlichen Bevollmächtigten des Antragstellers (vgl. Ziffer 3 der angegriffenen Entscheidung).
56
Der laufende Unterhaltsanspruch des Antragstellers war – ausweislich Ziffer 1 der Antragsschrift vom 10.12.2020 – auf die Dauer der Leistungserbringung für den Vater des Antragsgegners beschränkt. Mit dem Tod des Vaters des Antragsgegners am …07.2023 hat dessen Sozialhilfebezug geendet und damit auch der geltend gemachte Anspruch, ohne dass es einer prozessualen Erklärung des Antragstellers bedurft hätte. Daher ist es nicht zu beanstanden, dass dem Antragsgegner die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens insgesamt auferlegt worden sind, auch wenn das Amtsgericht den Antrag für den Zeitraum 01.07.2023 bis …07.2023 mangels Bezifferung des konkreten Bruchteils der für diesen Zeitraum gewährten Leistung zurückgewiesen hat. Das Unterliegen des Antragstellers ist bezogen auf den restlichen Verfahrenszeitraum beginnend ab dem 01.03.2019 geringfügig und wirkt sich für die Kostenentscheidung nach § 243 S. 1 und 2 Nr. 1 FamFG mithin nicht aus.
57
Die Kostentragung des Antragsgegners für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 68 Abs. 3 S. 1, 113 Abs. 1, 243 S. 1 und 2 Nr. 1 FamFG. Seine Beschwerde ist erfolglos geblieben.
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Die Festsetzung des Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren ist auf den Wert des erstinstanzlichen Verfahrens beschränkt, auch wenn der Antragsgegner die ihm auferlegte Zahlungsverpflichtung insgesamt angefochten hat (vgl. §§ 40 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 51 FamGKG). Der vom Amtsgericht festgesetzte Verfahrenswert von 25.742,31 € ist jedoch von Amts wegen um den Unterhaltsbetrag für Dezember 2020 (822,58 €) auf 26.564,89 € zu erhöhen und zu korrigieren (vgl. § 55 Abs. 3 FamGKG). Denn bei Einreichung der Antragsschrift vom 10.12.2020 am 14.12.2020 war der Unterhaltsanspruch für Dezember 2020 bereits fällig und ist daher dem Jahreswert des laufenden Unterhalts hinzuzurechnen (vgl. § 51 Abs. 2 S. 1 FamGKG).
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Die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 FamFG liegen entgegen der Anregung des Antragsgegners (vgl. Sitzungsniederschrift vom 12.09.2024) nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch gebietet die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Es handelt sich vorliegend um einen Einzelfall, soweit der Antragsgegner die Notwendigkeit einer Heimunterbringung seines Vaters und einen dies umfassenden Unterhaltsanspruch bestritten hat. Rechtsfragen zu dem ab 01.01.2020 geltenden § 94 Abs. 1a SGB XII, die Grundlage für eine Zulassung gemäß § 70 Abs. 2 Nr. 2 FamFG sein könnten, musste das Beschwerdegericht hingegen nicht entscheiden.