Titel:
Analoge Anwendung von § 850b ZPO im Nachlassinsolvenzverfahren
Normenketten:
ZPO § 850b
InsO § 36 Abs. 1, § 129 Abs. 1, § 134 Abs. 1
Leitsätze:
1. Im Nachlassinsolvenzverfahren sind die Pfändungsbeschränkungen des § 850b ZPO zu beachten. (Rn. 21)
2. Die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung der § 850b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO im Nachlassinsolvenzverfahren sind gegeben, wenn der Erblasser demjenigen ein Bezugsrecht auf die Versicherungssumme einer Kapitallebensversicherung im Todesfall eingeräumt hat, der zur Tragung der Beerdigungskosten verpflichtet ist, und die Versicherungssumme nach den Vorstellungen des Erblassers zur Begleichung der Beerdigungskosten herangezogen werden sollte. (Rn. 26)
3. Bei der analog § 850b Abs. 2 ZPO vom Prozessgericht im Insolvenzanfechtungsprozess vorzunehmenden Billigkeitsprüfung kommt dem Umstand, dass die Lebensversicherungssumme für die Bezahlung der Kosten im Zusammenhang mit der Bestattung der Erblasserin verwendet worden ist, eine tragende Bedeutung zu. (Rn. 30)
Schlagworte:
Insolvenzanfechtung, unentgeltliche Leistung, Kapitallebensversicherung, Bezugsrecht, Anfechtungsgegner, Beerdigungskosten, Pfändungsschutz, Billigkeitsprüfung
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 14.07.2022 – 10 O 7234/21
Fundstellen:
MDR 2025, 548
ZInsO 2025, 755
ErbR 2025, 344
FamRZ 2025, 615
FDErbR 2025, 936369
LSK 2024, 36369
BeckRS 2024, 36369
ZRI 2025, 296
ZEV 2025, 276
FDInsR 2025, 936369
NZI 2025, 138
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14.07.2022, Az. 10 O 7234/21, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.333,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2018 zu zahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben der Kläger 60% und der Beklagte 40% zu tragen.
Die Kosten des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz hat der Beklagte zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.847,73 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Der Kläger begehrt vom Beklagten aufgrund von Insolvenzanfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO die Zahlung von insgesamt 5.847,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2018.
2
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über den Nachlass der am ... 05.2017 verstorbenen Z. (im Folgenden Erblasserin). Das Insolvenzverfahren über diesen Nachlass wurde am 07.09.2018 eröffnet. Erbe des Nachlasses ist der Freistaat Bayern, nachdem der Beklagte die Erbschaft ausgeschlagen hatte.
3
Die am ... 06.1931 geborene Erblasserin war die Mutter des Beklagten. Sie stand vor ihrem Tod unter Betreuung. Das Betreuungsverfahren wurde bei dem Amtsgericht Fürth unter dem Az. 404 XVII 644/16 geführt. Die Erblasserin wurde im Wege der Urnenbestattung beigesetzt. Der Beklagte befand sich zum Zeitpunkt ihres Todes in einem noch bis 2018 andauerndem, bei dem Amtsgericht Nürnberg unter dem Az. 821 IK 852/12 geführten Privatinsolvenzverfahren.
4
Die Erblasserin war Inhaberin eines Bausparvertrags bei der W. Bausparkasse AG. Sie hatte dem Beklagten ein widerrufliches Bezugsrecht daran eingeräumt. Das Bausparguthaben in Höhe von 2.333,93 € wurde nach Auflösung des Bausparvertrages durch den Beklagten am 19.06.2017 auf das Konto des Beklagten überwiesen.
5
Die Erblasserin hatte bei der Versicherungskammer B. eine Kapitallebensversicherung auf den Todesfall mit dem Ablauftermin 01.08.2031 abgeschlossen und dem Beklagte daran ein widerrufliches Bezugsrecht eingeräumt. Die Todesfallleistung in Höhe von 3.513,80 € wurde im Juli 2017 an den Beklagten ausbezahlt.
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Der Beklagte trägt vor, dass er die aufgrund seiner Bezugsrechte erhaltenen Zahlungen zur Begleichung von aufgrund der Bestattung der Erblasserin angefallenen Kosten, zur Begleichung weiterer aufgrund des Todes der Erblasserin angefallenen Kosten und zur Begleichung von Verbindlichkeiten der Erblasserin verwendet habe.
7
Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat der Klage vollumfänglich stattgegeben.
8
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Berufung eingelegt, mit der er seinen erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
9
Der Senat hat den Parteien mit Beschluss vom 22.03.2024 einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, in dem er darauf hingewiesen hat, dass nach seiner vorläufigen Einschätzung die Anwendung von § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der Fassung bis 31.12.2021 i. V. m. § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO in Betracht kommt. Mit Verfügung vom 20.11.2024 hat der Senat beiden Parteien gemäß § 273 ZPO aufgegeben, sämtliche Unterlagen zur Lebensversicherung der verstorbenen Z. bei der B.-Versicherung zum Verhandlungstermin am 22.11.2024 mitzubringen.
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Der Senat hat sodann im Termin am 22.11.2024 Beweis erhoben durch die Zeugenvernehmung des Bestattungsunternehmers H. und den Beklagten informatorisch angehört. Der Kläger hat im Termin am 22.11.2024 diverse Schriftstücke übergeben, u. a. ein Schreiben der Versicherungskammer B. an die Erblasserin vom 06.08.2016 mit Informationen zum Vertragsstand der Lebensversicherung und ein Schreiben von Rechtsanwältin K. vom 21.06.2018 an das Amtsgericht Nürnberg, Insolvenzgericht.
11
Im Anschluss an die Verhandlung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 22.11.2024 zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen.
12
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Zahlungsanspruch aus § 134 Abs. 1 InsO, § 129 Abs. 1 InsO i. V. m. § 143 Abs. 1 InsO in Höhe von 2.333,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2018.
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1. Eine objektiv gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO ist nur in Höhe von 2.333,93 € zu bejahen.
14
a) Die Einräumung eines widerruflichen Bezugsrechts gegenüber dem Beklagten für das Bausparguthaben und für die Todesfallleistung der Kapitallebensversicherung durch die Erblasserin ist jeweils eine Rechtshandlung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO (BGH, Urteil vom 22.10.2015 – IX ZR 248/14, juris, Rn. 8 bis 10 m. w. N.).
15
b) Die objektive Gläubigerbenachteiligung gemäß § 129 Abs. 1 InsO liegt dann vor, wenn entweder die Schuldenmasse vermehrt oder die Aktivmasse verkürzt und dadurch der Gläubigerzugriff auf das Schuldnervermögen vereitelt, erschwert, gefährdet oder verzögert wird. Erforderlich ist mithin, dass die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die angefochtene Rechtshandlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gewesen wären (BGH, Urteil vom 23.06.2022 – IX ZR 75/21, juris, Rn. 12 m. w. N.).
16
aa) Vorliegend ist hinsichtlich der Einräumung des Bezugsrechts für das Bausparguthaben gegenüber dem Beklagten eine objektive Gläubigerbenachteiligung gegeben. Denn ohne diese Rechtshandlung wäre das Bausparguthaben in Höhe von 2.333,93 € in den Nachlass der Erblasserin und damit auch in die Nachlassinsolvenzmasse gefallen. Zwar werden im hier vorliegenden Fall der Bestellung eines widerruflichen Bezugsrechts zwischen dem Erblasser und dem Bezugsberechtigten keine Vermögenswerte übertragen. Erst mit dem Eintritt des Todesfalls erwirbt der Bezugsberechtigte originär den Anspruch auf das Guthaben gegen das Kreditinstitut, während die eigenen Rechte des Erblassers untergehen. Der Erblasser wendet das Bausparguthaben dem Bezugsberechtigten allerdings mittelbar zu. Mittelbare Zuwendungen sind so zu behandeln, als habe die zwischengeschaltete Person an den Schuldner geleistet und dieser sodann den Dritten befriedigt (so zu einer Risikolebensversicherung BGH, Urteil vom 22.10.2015 – IX ZR 248/14, juris, Rn. 19 bis 22 m. w. N.)
17
bb) Hinsichtlich der Einräumung des Bezugsrechts für die Todesfallleistung in Höhe von 3.513,80 € ist zwar nach dem Vorstehenden ebenfalls eine mittelbare Zuwendung der Erblasserin an den Beklagten zu bejahen. Allerdings ist vorliegend die Pfändbarkeit der Todesfallleistung und damit ihre Zugehörigkeit zur Nachlassinsolvenzmasse zu verneinen, § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO i. V. m. § 850b Abs. 1 Nr. 4 in der Fassung bis 31.12.2021, § 850b Abs. 2 ZPO analog.
18
(1) Die nach § 129 Abs. 1 InsO erforderliche objektive Gläubigerbenachteiligung ist zu verneinen, soweit die angefochtene Rechtshandlung unpfändbare Gegenstände betrifft, § 36 InsO (Borries/Hirte in Uhlenbruck, InsO, 15. Auflage 2019, § 129 Rn. 184). Anders herum formuliert setzt die objektive Gläubigerbenachteiligung die Pfändbarkeit voraus. Vorliegend ist die Pfändbarkeit der Todesfallleistung nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO, analog § 850b Abs. 1 Nr. 4 in der Fassung bis 31.12.2021, § 850b Abs. 2 ZPO zu verneinen.
19
Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO gehören nicht der Zwangsvollstreckung unterliegende Gegenstände nicht zur Insolvenzmasse. Eine objektive Gläubigerbenachteiligung setzt jedoch voraus, dass ein Vermögensgegenstand (oder sein Wert) überhaupt dem Zugriff der Insolvenzgläubiger offen gestanden hätte. Bei Gegenständen, die wegen § 36 InsO nicht in die Insolvenzmasse fallen, fehlt es daran (Borries/Hirte in Uhlenbruck, InsO, 15. Auflage 2019, § 129 Rn. 184).
20
Nach § 850b Abs. 1 Nr. 4 in der Fassung bis 31.12.2021, § 850b Abs. 2 ZPO kann ein Anspruch aus einer Lebensversicherung, die nur auf den Todesfall des Versicherungsnehmers abgeschlossen ist, bis zum Betrag von 3.579,00 € unpfändbar sein.
21
Dass § 36 Abs. 1 S. 2 InsO nicht ausdrücklich auf § 850b ZPO verweist, bedeutet nicht, dass diese Norm im Insolvenzverfahren nicht anwendbar wäre. Trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO gehört die Todesfallleistung allerdings dennoch zur Insolvenzmasse, soweit die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung nach § 850b Abs. 2 ZPO vorliegen. Denn beide Absätze des § 850b ZPO kommen über § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO zur Anwendung. Im Rahmen der Insolvenzanfechtungsklage hat das Prozessgericht über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 850b Abs. 2 ZPO zu entscheiden und die Interessen des Schuldners gegen das Gesamtinteresse der Gläubiger bei der zu treffenden Billigkeitsentscheidung umfassend abzuwägen (BGH, Urteil vom 03.12.2009 – IX ZR 189/08 –, juris, Rn. 10 ff., 14 ff.; BGH, Urteil vom 15.07.2010 – IX ZR 132/09 –, juris, Rn. 41).
22
(2) § 36 InsO ist grundsätzlich auch im Nachlassinsolvenzverfahren heranzuziehen. Allerdings ist umstritten, inwieweit die Pfändungsschutzvorschriften einer Modifizierung bei der Anwendung bedürfen (Windel in: Jaeger, Insolvenzordnung, 1. Aufl. 2020, § 315 Örtliche Zuständigkeit, Rn. 103 ff. m. w. N.; Kampf/Roth, ZVI 2022, 251 [252 f.] m. w. N.).
23
Nach Überzeugung des Senats sind im Fall einer Nachlassinsolvenz § 850b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO bei Auszahlung eine Lebensversicherungssumme auf den Todesfall anwendbar.
24
Für die vorgenannte Auffassung spricht der Schutzzweck der Pfändungsschutzbestimmung des § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Der BGH hat hierzu in seinem Beschluss vom 19.03.2009 – IX ZA 2/09 –, juris, Rn. 5, der allerdings keine Nachlassinsolvenz, sondern eine Insolvenz des Bezugsberechtigten betraf, Folgendes ausgeführt: Der Gesetzgeber wolle mit der vorgenannten Vorschrift solche Versicherungen erfassen, die dazu dienen, beim Tode des Versicherungsnehmers anfallende Ausgaben, vor allem Bestattungskosten, abzudecken. Eine solche Todesfallversicherung entlastet jene Personen, von denen gemäß § 1968 BGB die Kosten der Bestattung eines Schuldners zu tragen sind. Angesichts dieses – auch auf die Vermeidung von Armenbestattungen gerichteten – Schutzzwecks genüge es für die Anwendbarkeit der Vorschrift, dass der Versicherungsnehmer und der Versicherte identisch sei. Begünstigter könne aber auch ein Dritter, selbst ein Nichtangehöriger, sein, dem die Bestattung des Versicherungsnehmers obliege. Damit erfasse die Vorschrift insbesondere sogenannte Sterbegeldversicherungen, welche die eigenen Beerdigungskosten des Versicherten abdecken sollen, aber – wie im Streitfall – zugunsten eines Angehörigen abgeschlossen werden.
25
Die in BeckOK InsR/Fridgen, 34. Ed. 15.7.2023, InsO § 315 Rn. 43 vertretene gegenteilige Auffassung, dass im Nachlassinsolvenzverfahren die Kleinlebensversicherung gemäß § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht zu den unpfändbaren Gegenständen gehören, wird damit begründet, dass sie zur Deckung der Beerdigungskosten diene. Da diese als Masseverbindlichkeit gemäß § 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu begleichen seien, wäre der Erbe, dem diese Versicherungssumme verbleibe, auf Kosten der Insolvenzgläubiger ungerechtfertigt bereichert. Diese Überlegung passt jedoch schon deshalb nicht auf den vorliegenden Fall, weil der Beklagte hier nicht Erbe geworden ist. Erbe ist vielmehr der Freistaat Bayern. Zudem hat der Beklagte nach der Überzeugung des Senats tatsächlich Beerdigungskosten getragen (zu der Beweiswürdigung im Einzelnen siehe nachstehend unter Punkt (4.2)). Ungeachtet dessen ist ohnehin umstritten, welche Gläubiger von § 324 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfasst werden, nur der Erbringer der Beerdigungsleistung und/oder ein Erbe, Angehöriger oder Dritter, der die Beerdigungskosten beglichen hat (BeckOK InsR/Fridgen, 36. Ed. 15.7.2024, InsO § 324 Rn. 18 m. w. N. zum diesbezüglichen Streitstand).
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(3) Zwar handelt es sich vorliegend ausweislich des vom Kläger im Termin am 22.11.2024 vorgelegten und als Anlage zum Protokoll genommenen Schreibens der Versicherungskammer B. an die Erblasserin vom 06.08.2016 um keine nur auf den Todesfall abgeschlossene Lebensversicherung. Denn diesem Schreiben ist zum Vertragsstand zu entnehmen, dass es sich um eine Kapitallebensversicherung handelt, die entweder im Todesfall oder im Erlebensfall bei Erreichung des Ablauftermins 01.08.2031 ausbezahlt wird. Jedoch hält der Senat § 850b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO für entsprechend anwendbar, wenn wie hier das Ablaufdatum der Kapitallebensversicherung so gewählt ist, dass die Auszahlung im Erlebensfall eher unwahrscheinlich ist und die Kapitallebensversicherungssumme nach den Vorstellungen der Erblasserin zur Begleichung ihrer Bestattungskosten herangezogen werden sollte. Denn auch in einer solchen Konstellation greift der vorstehend dargelegte Schutzzweck der Pfändungsschutzbestimmung des § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO ein.
27
Für eine Auszahlung im Erlebensfall hätte die Erblasserin über 90 Jahre alt werden müssen. Der Senat ist zudem aufgrund der Aussage des Zeugen H. davon überzeugt, dass die Heranziehung der Lebensversicherungssumme für die Begleichung ihrer Bestattungskosten den Vorstellungen der Erblasserin entsprach. Die Erblasserin hatte nämlich ihm gegenüber angegeben, dass sie vorgesorgt habe durch eine „Vorsorgeversicherung oder Sterbeversicherung oder ähnliches“ und dies könne für die Bezahlung ihrer Beerdigung verwendet werden. Zumindest einen gewissen Anhalt findet diese Aussage auch in dem handschriftlichen Schreiben der Erblasserin an den Zeugen H. vom 28.04.2012, in dem Folgendes ausgeführt wird: „Meine Versicherungen wird mein Sohn bearbeiten. Sollten Sie etwas daraus brauchen, nachfolgend seine Erreichbarkeit“.
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Für die entsprechende Anwendung der § 850b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO ist im konkreten Fall des Weiteren folgende Überlegung anzuführen. Es wäre ein widersinniges Ergebnis, wenn man einerseits – im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 19.03.2009 – IX ZA 2/09 –, juris) – vorgenannte Vorschriften betreffend die Privatinsolvenz des Beklagten anwenden würde, andererseits aber dieses Ergebnis sogleich wieder konterkarieren würde, indem man diese Vorschriften betreffend die Nachlassinsolvenz für unanwendbar hielte.
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(4) Bei der vom Senat nach § 850b Abs. 2 ZPO zu treffenden Billigkeitsentscheidung bleibt es bei der Unpfändbarkeit der Todesfallleistung in Höhe von 3.513,80 €.
30
(4.1) Bei der Billigkeitsentscheidung ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Beklagte die Erblasserin nicht beerbte und dennoch nach § 1615 Abs. 2, § 1601 Abs. 1, § 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Tragung der Bestattungskosten verpflichtet war.
31
(4.2) In die Billigkeitsentscheidung fließt ferner ein, dass der Senat aufgrund der informatorischen Anhörung des Beklagten, der Vernehmung des Zeugen H. und der vom Beklagten vorgelegten Rechnungen und sonstigen Schriftstücke davon überzeugt ist, dass der Beklagte im Zusammenhang mit der Bestattung der Erblasserin jedenfalls Kosten in Höhe von insgesamt 3.540,49 € getragen hat, davon entfallen 2.695,49 € auf die Rechnung des Bestattungsunternehmers H. vom 18.06.2017, 245,00 € auf die Rechnung des Pfarramtes R. vom 29.06.2017 für die Urnenfeier, 200,00 € auf die Nutzung des Urnengrabes über 15 Jahre, 100,00 € auf geschätzte Ausgaben für Grabschmuck und 300,00 € auf geschätzte Ausgaben für einen Leichenschmaus mit zumindest 6 Personen.
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Der Zeuge H. hat bestätigt, dass seine als Anlagen BB 2a und BB 2b vorgelegte Rechnung vom 18.06.2017 über 2.695,49 € mit Bezahltvermerk zu den beiden dort genannten Terminen per Banküberweisung bezahlt worden ist. Zwar konnte er keine Angaben dazu machen, wer die jeweilige Banküberweisung vorgenommen habe. Er gab jedoch an, dass er nach der ersten Banküberweisung mit dem Beklagten telefoniert habe und dass dieser ihm bei dieser Gelegenheit gesagt habe, wann der zweite Teil bezahlt werde. Diese Äußerung, der Umstand, dass die Rechnung über die Bestattung an den Beklagten adressiert war und die weitere Angabe des Zeugen H. dass sich um die eigentliche Bestattung außer dem Beklagten damals jedenfalls niemand gekümmert habe, rechtfertigen den Schluss darauf, dass diese Rechnung vom Beklagten bezahlt worden ist.
33
Aufgrund der Aussage des Zeugen H. ist der Senat des Weiteren davon überzeugt, dass weitere Kosten in Höhe von 200,00 € für die Nutzung des Urnengrabes über 15 Jahre entstanden und vom Beklagten beglichen worden sind.
34
Dass die Rechnung des Pfarramtes R. vom 29.06.2017 für die Urnenfeier über 245,00 € (Anlage B 3) bezahlt worden ist, ergibt sich aus dem Schreiben der Pfarrei R. vom 03.07.2024 (Anlage BB 1). Den Schluss auf die Bezahlung durch den Beklagten zieht der Senat nicht nur aus dem Umstand, dass sowohl die Rechnung als auch das Bestätigungsschreiben an den Beklagten adressiert waren, sondern auch insoweit aus der Angabe des Zeugen H., dass sich zum Zeitpunkt der eigentlichen Bestattung nur der Beklagte um diese gekümmert habe.
35
Die vom Beklagten in seiner informatorischen Anhörung im Termin am 22.11.2024 angegeben weiteren Ausgaben im Zusammenhang mit der Bestattung für Grabschmuck und Leichenschmaus veranschlagt der Senat mit 100,00 € und 300,00 €. Dass der Beklagte selbst insoweit weder konkrete Beträge nennen noch Belege vorlegen kann, hindert nicht die Überzeugungsbildung des Senats, dass der Beklagte insoweit tatsächlich Ausgaben hatte. Denn solche Ausgaben werden erfahrungsgemäß nicht selten bar beglichen und in Anbetracht der seit dem Todesfall verstrichenen Zeit von mittlerweile mehr als sieben Jahren verwundert es nicht, dass etwaige Kassenbons oder sonstige Quittungen nicht mehr vorhanden sind. Bei der Höhe der nach § 287 ZPO geschätzten Ausgaben des Beklagten hierfür berücksichtigt der Senat, dass die finanziellen Verhältnisse des Beklagten aufgrund seiner damaligen Privatinsolvenz sehr eingeschränkt waren und dass die Erblasserin laut der Angaben des Zeugen H. eine schlichte Bestattung wünschte.
36
Bei der Überzeugungsbildung des Senats spielte auch eine nicht unwesentliche Rolle, dass nach der Lebenserfahrung regelmäßig Beerdigungskosten anfallen, die den in § 850b Abs. 1 Nr. 4 ZPO in der Fassung bis 31.12.2021 genannten Betrag von 3.579,00 € deutlich übersteigen. So ist bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Betrages bei der Erbschaftssteuer ein Betrag von 10.300 € ohne Nachweis abzugsfähig (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG). Auch deswegen erscheinen dem Senat jedenfalls Gesamtausgaben für die Bestattung der Erblasserin in Höhe der Todesfallleistung von 3.513,80 € auch bei einer schlichten Bestattung und beengten finanziellen Verhältnissen des Beklagten sehr gut nachvollziehbar.
37
Ob der Beklagte im Zusammenhang mit der Bestattung der Erblasserin ggf. noch höhere Ausgaben hatte, ist an dieser Stelle unerheblich, weil die nach Überzeugung des Senats getätigten Ausgaben des Beklagten bereits den Betrag der Todesfallleistung der Kapitallebensversicherung erreichen.
38
(4.3) Schließlich findet in die Billigkeitsentscheidung Eingang, dass sich der Beklagte zum Zeitpunkt des Todesfalles der Erblasserin aufgrund seines Privatinsolvenzverfahrens in beengten finanziellen Verhältnissen befand, aufgrund derer er – ohne die Todesfallleistung der Lebensversicherung – die Beerdigungskosten nicht hätte trägen können, obwohl er – wie bereits ausgeführt – zu ihrer Tragung verpflichtet war. Der Todeszeitpunkt ist hier wegen § 140 Abs. 1 InsO maßgeblich (näher hierzu nachfolgend unter Punkt 2.b).
39
Dass der Beklagte sich aufgrund seines zum Zeitpunkt des Todesfalles der Erblasserin noch laufenden Privatinsolvenzverfahrens in beengten finanziellen Verhältnissen befand, hat der Beklagte bei seiner informatorischen Anhörung nachvollziehbar geschildert. Diese Angaben werden bestätigt durch die Aussagen des Zeugen H., wonach er dem Beklagten bei seiner Rechnung preislich entgegen gekommen sei, da dieser damals in etwas beengten finanziellen Verhältnissen lebte. Schließlich finden diese Angaben des Beklagten auch einen Anhalt in dem Schreiben der ursprünglichen Insolvenzgutachterin Rechtsanwältin K. an das Amtsgericht Nürnberg, Insolvenzgericht, vom 21.06.2018, wonach zum Zeitpunkt des Schreibens dort noch ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten unter dem Az. 821 IK 852/12 geführt wurde.
40
2. Die Voraussetzungen des § 134 Abs. 1 InsO liegen vor.
41
a) In einem Zwei-Personen-Verhältnis ist eine Leistung als unentgeltlich im Sinne des § 134 InsO anzusehen, wenn ihr nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts keine Leistung gegenübersteht, dem Leistenden also keine dem von ihm aufgegebenen Vermögenswert entsprechende Gegenleistung zufließen soll (BGH, Urteil vom 11.11.2021 – IX ZR 237/20 –, juris, Rn. 50 m. w. N.).
42
Die Einräumung der widerruflichen Bezugsrechte gegenüber dem Beklagten wäre selbst dann unentgeltlich im vorgenannten Sinne, wenn sich der Beklagte gegenüber der Erblasserin zur Übernahme der Beerdigungskosten verpflichtet hätte. Denn auch in diesem Fall würde der Erblasserin keine Gegenleistung zufließen. Jedenfalls sie selbst nämlich wäre nicht zur Tragung der Kosten ihrer Beerdigung verpflichtet, sondern nach § 1968 BGB ihre Erben. Überdies war der Beklagte auch ohne eine solche vertragliche Verpflichtung ohnehin nach § 1615 Abs. 2, § 1601 Abs. 1, § 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Tragung der Beerdigungskosten der Erblasserin verpflichtet.
43
b) Die Vierjahresfrist nach § 134 Abs. 1 Hs. 2 InsO ist gewahrt.
44
Eine Rechtshandlung gilt gemäß § 140 Abs. 1 InsO als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Die Norm bringt den Rechtsgedanken zum Ausdruck, dass der Zeitpunkt entscheiden soll, in dem durch die Handlung eine Rechtsposition begründet worden ist, die bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens ohne die Anfechtung beachtet werden müsste (BGH, Urteil vom 19.07.2018 – IX ZR 307/16, NZI 2018, 800 Rn. 12, beck-online).
45
Erst mit dem Eintritt des Todesfalles der Erblasserin am 18.05.2017 entfaltet das widerrufliche Bezugsrecht des Beklagten betreffend das Bausparguthaben Rechtswirkungen. Denn wie bereits dargelegt, erwirbt derjenige, der ein widerrufliches Bezugsrecht hat, erst mit dem Eintritt des Todesfalls originär den Anspruch auf das Guthaben gegen das Kreditinstitut, während die eigenen Rechte des Erblassers untergehen.
46
3. Der Beklagte ist nach § 143 Abs. 1 InsO zur Zahlung von 2.333,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.07.2018 verpflichtet.
47
a) Durch die Anfechtung wird die gläubigerbenachteiligende Wirkung beseitigt, die durch eine Rechtshandlung verursacht wird. Zurückzugewähren ist aber nur der beim Gläubiger eingetretene Erfolg, § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO (BGH, Urteil vom 12.10.2017 – IX ZR 288/14 –, juris, Rn. 42).
48
Da nach dem Vorstehenden der Umfang der Rückgewährpflicht nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO spiegelbildlich zur eingetretenen Gläubigerbenachteiligung und damit zur Massezugehörigkeit ist, kann der Kläger nur die Zahlung der von der Bausparkasse an den Beklagten geleisteten 2.333,93 € verlangen.
49
b) Der Beklagte kann sich nicht auf Entreicherung nach § 143 Abs. 2 Satz 1 InsO berufen.
50
aa) Der Beklagte hätte auf Grund der ihm bekannten Umstände zwingend auf eine Gläubigerbenachteiligung schließen müssen (§ 143 Abs. 2 Satz 2 InsO).
51
Der Beklagte war nach seinem Vortrag auf Seite 2 der Klageerwiderung vom 04.04.2022 schon vor dem Todesfall der Erblasserin bekannt, dass diese Sozialhilfe erhielt, weil sie die laufenden Kosten der Pflege nicht mehr aus eigenen Mittel bezahlen konnte. Denn er will den Betreuer der Erblasserin darauf hingewiesen haben, dass es einer Erhöhung der Pflegestufe auf 3 bedarf. Damit mussten sich ihm im Nachlassfall zu berücksichtigende Verbindlichkeiten bei dem Träger der Sozialhilfe aufdrängen.
52
bb) Selbst wenn man anderer Ansicht wäre, würde dies nichts am Ergebnis ändern.
53
Denn sowohl hinsichtlich der Friedhofsgebühr für 2017 in Höhe von 10,00 € als auch hinsichtlich der von der Techniker Krankenkasse geforderten Zuzahlungen für die Behandlung der Erblasserin in Höhe von 75,21 € (inklusive 5,00 € Mahnkosten) fehlt es an dem erforderlich adäquat-kausalem Zusammenhang zwischen Vermögensnachteil und Vermögenszuwachs. Denn diese Beträge hätte der Beklagte aufgrund ihrer geringen Höhe trotz seiner damals beengten finanziellen Verhältnisse begleichen können, zumindest ratenweise.
54
Gleiches gilt für etwaige Aufwendungen des Beklagten im Zusammenhang mit der Räumung der Wohnung der Erblasserin in der Einrichtung für betreutes Wohnen, zumal sich eine solche Räumung ggf. auch sehr kostengünstig organisieren lässt, z. B. über die Beantragung von Sperrmüll und/oder die Zurverfügungstellung eines zum Transport geeigneten Privatfahrzeuges durch Freunde oder Bekannte.
55
Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass der Beklagte über die vorerwähnten geschätzten Ausgaben für privaten Grabschmuck in Höhe von 100 € und für einen Leichenschmaus in Höhe von 300,00 € hinaus weitere Aufwendungen für die Beerdigung der Erblasserin in Höhe von 5.500,00 € hatte, für die er weder Rechnungen oder Zahlungsnachweise vorlegen noch konkreten Vortrag äußern kann. Aufwendungen in dieser Höhe stünden nicht nur in Widerspruch zu den damals beengten finanziellen Verhältnissen des Beklagten, sondern auch zum Wunsch der Erblasserin nach einer schlichten Bestattung. Zudem ist nicht ersichtlich, wofür diese Aufwendungen noch hätten anfallen sollen. Der Bestattungsunternehmer H. äußerte, dass der von der Erblasserin gewünschte Grabstein mit Vogeltränke seines Wissens erst später vom Schwager des Beklagten bezahlt worden sein soll.
56
c) Ein Zinsanspruch betreffend die 2.333,93 € ergibt sich ab dem 04.07.2018 aus § 143 Abs. 1 Satz 3 InsO, § 280 Abs. 1, Abs. 2, § 286, 288 Abs. 1, 291 BGB. Denn der Kläger forderte den Beklagten mit Schreiben vom 28.06.2018 zur Zahlung bis zum 03.07.2018 auf (Anlage K 4).
57
4. Der Zahlungsanspruch ist nicht verjährt (§ 146 Abs. 1 InsO, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB).
58
Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB begann erst mit der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens am 07.09.2018 zu laufen, da der Anfechtungsanspruch erst dann im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstanden ist (Uhlenbruck/Hirte/Borries, 15. Aufl. 2019, InsO § 146 Rn. 2a).
59
Die somit mit Ablauf des 31.12.2021 grundsätzlich endende Verjährungsfrist wurde durch die Veranlassung der Bekanntgabe des am 24.11.2021 eingegangenen PKH-Antrags vom 22.11.2021 an den Beklagten, die am 09.12.2021 erfolgt ist, gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 14 Hs. 2 BGB rechtzeitig gehemmt.
60
Die Kostenentscheidung betreffend die erste Instanz beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Kostenentscheidung betreffend die Berufungsinstanz folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, soweit die Berufung in der Sache keinen Erfolg hat, und aus § 97 Abs. 2 ZPO, soweit die Berufung in der Sache Erfolg hat. Denn der Nachweis der Begleichung von Bestattungskosten ist dem Beklagten erst aufgrund der Vernehmung des Zeugen H. gelungen, den der Beklagte erstmals in der Berufungsinstanz benannt hat.
61
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
62
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung. Zwar sind die vorstehend aufgeworfene Rechtsfrage betreffend die Anwendbarkeit der § 850b Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ZPO im Nachlassinsolvenzverfahren nach den Recherchen des Senats weder obergerichtlich noch höchstrichterlich entschieden. Aber es ist zumindest derzeit nicht ersichtlich, dass sie über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus von Relevanz sein könnte, zumal dieser mit einem Zusammentreffen von Privatinsolvenz und Nachlassinsolvenz eine sehr spezielle Sachverhaltskonstellation zum Gegenstand hat.