Titel:
vorläufiger Rechtsschutz gegen Abschiebungsandrohung nach Polen, unzulässiger Asylantrag bei vorangegangener Schutzzuerkennung in Polen, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung für jungen, arbeitsfähigen Mann in Polen
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 2
AsylG § 34
AsylG § 36
GrCh Art. 4
AufenthG § 60
Schlagworte:
vorläufiger Rechtsschutz gegen Abschiebungsandrohung nach Polen, unzulässiger Asylantrag bei vorangegangener Schutzzuerkennung in Polen, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung für jungen, arbeitsfähigen Mann in Polen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36334
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz, nachdem sein Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt und ihm die Abschiebung nach Polen angedroht wurde.
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1. Der Antragsteller, somalischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 10. Mai 2024 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 23. Mai 2024 einen förmlichen Asylantrag. Ausweislich eines Schreibens des polnischen Ausländeramtes vom 4. Juni 2024 wurde dem Antragsteller am 18. Januar 2024 in Polen subsidiärer Schutz zuerkannt und ihm eine entsprechende, bis 8. Februar 2026 gültige Aufenthaltsberechtigungskarte ausgestellt.
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Die Anhörung des Antragstellers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zur Zulässigkeit seines Asylantrags fand am 27. August 2024 statt. Dabei gab der Antragsteller im Wesentlichen an, dass er in Polen zunächst vier Monate wegen illegaler Einreise in Haft gewesen sei. Nachdem er einen Asylantrag gestellt hätte, sei ihm internationaler Schutz gewährt worden und er habe das Gefängnis verlassen können. Er habe allerdings keinerlei Unterstützung erhalten und sei obdachlos gewesen. Essen habe er von Hilfsorganisationen bekommen. Weder habe er dort die Sprache lernen können noch habe er eine Arbeitserlaubnis bekommen. Ein Somalier, der in Polen lebte, habe ihm geraten, Polen zu verlassen, da Flüchtlinge dort keine Unterstützung erhalten würden. Er sei dann in die Niederlande weitergereist, wo sein Bruder lebe. Das Geld für die Weiterreise habe er von einem Somalier aus Warschau geschenkt bekommen. Wegen der weiteren Angaben des Antragstellers wird auf die Niederschrift der Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 29. August 2024 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1). In Ziffer 2 des Bescheides stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen. In Ziffer 3 wurden der Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Polen abgeschoben. Der Antragsteller könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Der Antragsteller dürfe nicht in sein Herkunftsland abgeschoben werden. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zu Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Wegen der Begründung wird auf den vorgenannten Bescheid des Bundesamts Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller ausweislich der Behördenakte am 2. September 2024 ausgehändigt.
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2. Mit Schreiben vom 5. September 2024, eingegangen bei Gericht am selben Tag per Telefax, erhob der Antragsteller Klage gegen den vorgenannten Bescheid des Bundesamts (W 4 K 24.31680), über die noch nicht entschieden ist, und hat im vorliegenden Verfahren sinngemäß beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach Polen im Bescheid des Bundesamts vom 29. August 2024 anzuordnen.
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Zur Begründung verwies der Antragsteller zunächst auf seine im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt gemachten Angaben. Ergänzend trug der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass er fürchte, in Polen wieder ins Gefängnis zu müssen. Die Zeit im Gefängnis in Polen sei sehr hart gewesen, er habe dort psychische Probleme bekommen und zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Seine psychische Erkrankung könne er in Polen mangels entsprechender Versorgung auch nicht behandeln lassen. Da er in Polen keine Arbeitserlaubnis habe und die polnische Sprache nicht spreche, könne er dort auch seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten und werde wieder auf der Straße landen.
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3. Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz des Bundesamts vom 6. September 2024 beantragt,
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Hinsichtlich der Begründung bezog sich das Bundesamt auf den angefochtenen Bescheid.
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4. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren W 4 K 24.31680 sowie auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
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Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.
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1. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 AsylG bezogen auf die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheids des Bundesamtes vom 29. August 2024 liegen nicht vor.
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Nach § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris). Anknüpfungspunkt zur Frage der Bestätigung oder Verwerfung des Sofortvollzugs durch das Gericht muss daher die Prüfung sein, ob das Bundesamt den Asylantrag zu Recht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt hat, ob diese Ablehnung auch weiterhin Bestand haben kann, ob das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu Recht verneint wurde (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG) und ob die Abschiebungsandrohung auch im Übrigen (vgl. insb. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG) rechtmäßig ergangen ist.
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Gemessen hieran fällt die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus. Denn die Androhung seiner Abschiebung nach Polen begegnet bei Anlegung des vorbeschriebenen rechtlichen Maßstabs keinen ernstlichen Zweifeln.
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2. Ein Fall von § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist gegeben. Nach dieser Vorschrift ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat.
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2.1. Dies ist vorliegend der Fall. Insoweit nimmt das Gericht Bezug auf die entsprechenden Angaben des Antragstellers im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt (vgl. Blatt 80 f. der elektr. BA), die insoweit mit dem Schreiben des polnischen Ausländeramts vom 4. Juni 2024 übereinstimmen (vgl. Blatt 70 der elektr. BA).
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2.2. Der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig gem. § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG steht aller Voraussicht nach auch nicht Art. 4 der Grundrechtscharta (GrCh) i.V.m. Art. 3 EMRK entgegen (vgl. hierzu EuGH, B.v. 13.11.2019 – C-540/17 u.a. – juris). Eine ernsthafte Gefahr, eine gegen Art. 4 GrCh verstoßende, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Polen zu erfahren, besteht für den Antragsteller als jungen, alleinstehenden und arbeitsfähigen Mann zur Überzeugung des Gerichts nicht.
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2.2.1. Bei der Prüfung, ob Polen hinsichtlich der Behandlung von rücküberstellten Schutzberechtigten gegen Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK verstößt, ist ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 – juris). Denn Polen unterliegt als Mitgliedstaat der Europäischen Union deren Recht und ist den Grundsätzen einer gemeinsamen Asylpolitik sowie den Mindeststandards des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems verpflichtet. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem fußt auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden. Daraus hat der Europäische Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (vgl. hierzu nur EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. juris Rn. 83 f.).
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Diese Vermutung ist zwar nicht unwiderleglich. Eine Widerlegung dieser Vermutung hat der Europäische Gerichtshof aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft. Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder jeder Verstoß gegen die Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU), die Qualifikationsrichtlinie (RL 2011/95/EU) oder die Verfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU) genügt, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den an sich zuständigen Mitgliedstaat zu hindern. Denn Mängel des Asylsystems können nur dann gegen das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung verstoßen, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen.
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Diese Schwelle ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Anschluss an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK (vgl. Art. 6 Abs. 3 EUV und Art. 52 Abs. 3 GrCh) erst dann erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 89 ff.; aus der Rechtsprechung des EGMR siehe etwa EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/12 – NVwZ 2015, 127 ff.). Selbst große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse erreichen diese Schwelle nicht, wenn sie nicht mit extremer materieller Not verbunden ist, aufgrund derer diese Person sich in einer solch schwerwiegenden Situation befindet, dass sie einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichgestellt werden kann (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 89 ff.).
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Auch der Umstand, dass der Schutzberechtigte in dem Mitgliedstaat, der dem Asylantragsteller Schutz gewährt hat, keine oder im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten nur in deutlich eingeschränktem Umfang existenzsichernde Leistungen erhält, ohne jedoch anders als die Angehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt zu werden, kann nur dann zu der Feststellung führen, dass dieser dort tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre, eine gegen Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung zu erfahren, wenn dieser Umstand zur Folge hat, dass sich dieser Schutzberechtigte aufgrund seiner besonderen Verletzbarkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 93).
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Ein ernsthaftes Risiko eines Verstoßes gegen Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK besteht auch nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Fall einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur in dem Fall, in dem die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist und die betroffene Person dadurch Gefahr läuft, erheblich in ihrer Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden (vgl. BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 12; B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18).
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Für die Erfüllung der Grundbedürfnisse gelten – gerade bei nichtvulnerablen Personen – nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. So kann etwa der Umstand, dass der betreffenden Person bezogen auf die Unterkunft ein Schlafplatz in einer von Kirchen, Nichtregierungsorganisationen oder Privatpersonen gestellten Notunterkunft oder in einer staatlich geduldeten „informellen Siedlung“ zur Verfügung steht, genügen, wenn die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor den Unbilden des Wetters bieten und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lassen (vgl. BVerwG, B.v. 27.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 14).
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Ferner ist in die Gesamtwürdigung einzustellen, inwieweit Rückkehrende die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt auf einem Mindestniveau durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Das wirtschaftliche Existenzminimum ist immer dann gesichert, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können, wobei zu den im vorstehenden Sinne zumutbaren Arbeiten auch Tätigkeiten zählen, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs, beispielsweise während der Touristensaison, ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ angesiedelt sind (vgl. BVerwG, B.v. 19.1.2022 – 1 B 93.21 – juris Rn. 25; BayVGH, U. v. 28.3.2024 – 24 B 22.31136 – juris Rn. 29).
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Für die vorzunehmende Gesamtwürdigung ist zudem irrelevant, ob gegebenenfalls notwendige Hilfen vom Zielstaat, aus EU-Programmen, durch internationale Organisationen oder private Gruppen bereitgestellt werden, um die Situation äußerster materieller Armut, in die ein mittelloser Schutzberechtigter ohne private und familiäre Kontakte bei seiner Rückführung gelangen könnte, abzuwenden (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 22.8.2018 – 3 L 50/17 – juris Rn. 17 unter Hinweis auf Thym, Rücküberstellung von Schutzberechtigten, NVwZ 2018, 609/613). Insbesondere sind Unterstützungsleistungen von vor Ort tätigen nichtstaatlichen Hilfeorganisationen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 25 f.).
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Ist dagegen ernsthaft zu befürchten, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber bzw. anerkannte Schutzberechtigte im zuständigen Mitgliedstaat derartige Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat rücküberstellten Personen im Sinne von Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK zur Folge haben, ist eine Überstellung mit diesen Bestimmungen unvereinbar (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 87; BVerwG, B.v. 19.3.2014 -10 B 6.14 – juris Rn. 6).
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Hinsichtlich der Gefahrenprognose ist im Rahmen des Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK auf den Maßstab des „real risk“ der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte abzustellen (vgl. EGMR, Große Kammer, U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06, Saadi – NVwZ 2008, 1330 Rn. 129; BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. etwa BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5.09 – BVerwGE 136/377 Rn. 22 m.w.N.).
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Die Lebenssituation anerkannt Schutzberechtigter in Polen stellt sich nach der aktuellen Erkenntnislage wie folgt dar:
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Die Ausländerbehörde in Warschau erteilt subsidiär geschützten Personen eine Aufenthaltskarte für zwei Jahre, die auf Antrag verlängert wird, wobei der Schutzstatus an sich unbefristet erteilt wird (AIDA Country Report: Poland, Update 2023, 13.6.2024, S. 117; BFA, LIS – Polen, Version 4, 28.06.2024, S. 13). Schutzberechtigte genießen zudem volle Niederlassungsfreiheit in ganz Polen.
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Sie dürfen nach Erhalt der positiven Entscheidung noch für max. zwei Monate in der Unterbringung für Asylwerber bleiben (BFA, LIS – Polen, Version 4, 28.06.2024, S. 14). Bis auf einige Gemeinden, die jedes Jahr Wohnungen speziell für Schutzberechtigte anbieten, bietet der Staat aber keine eigenen Unterbringungsmöglichkeiten. Auch enthält das polnische Recht keine gesonderten Rechtsvorschriften für die Unterbringung für Ausländer, einschließlich Personen, die internationalen Schutz genießen. Generell herrscht in Polen ein Mangel an Sozialwohnungen, sowohl für polnische Staatsbürger als auch für Inhaber eines Schutztitels. Die Schwierigkeit, angemessenen Wohnraum zu finden, ist vor dem Hintergrund des allgemeinen Mangels an erschwinglichem Wohnraum in Polen zu sehen. Belastbare Zahlen, wie viele der Schutzberechtigten tatsächlich obdachlos sind, gibt es allerdings nicht, auch wenn einige Stimmen davor warnen, dass die Zahl obdachloser Schutzberechtigter „substanziell“ sein könnte (AIDA Country Report: Poland, Update 2023, 13.6.2024, S. 133; BFA, LIS – Polen, Version 4, 28.06.2024, S. 14).
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Zudem können anerkannte Schutzberechtigte in Polen vorübergehend und ergänzend auf staatliche Leistungen und die Unterstützung durch caritative Organisationen zurückgreifen. Sie können insbesondere binnen 60 Tagen ab Statuszuerkennung die Teilnahme an einem speziellen Individual Integration Program (IPI) beantragen, das von den Poviat Family Support Centres (PCPR) angeboten wird. Es dauert 12 Monate, in denen Integrationshilfe gewährt wird. Diese umfasst unter anderem eine Beihilfe für Polnisch-Kurse, Übernahme der Krankenversicherung und Sozialberatung. Abhängig von der Haushaltsgröße erhalten die Nutznießer zwischen 322,00 EUR (Einzelperson) und 161,00 Euro (bei vier oder mehr Familienmitgliedern) pro Person in den ersten sechs Monaten und zwischen 290,00 EUR und 145,00 EUR pro Person in den zweiten sechs Monaten des IPI. Die PCPR unterstützen die Teilnehmer auch bei der Arbeitssuche und bei der Suche nach Wohnraum (vgl. BFA, LIS – Polen, Version 4, 28.06.2024, S. 14 f.).
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Flüchtlinge und Personen mit subsidiärem Schutz haben zudem Zugang zum Arbeitsmarkt unter den gleichen Bedingungen wie polnische Staatsbürger (AIDA Country Report: Poland, Update 2023, 13.6.2024, S. 134; BFA, LIS – Polen, Version 4, 28.06.2024, S. 14). Der Zugang zur Beschäftigung ist nicht auf bestimmte Sektoren beschränkt, in der Praxis jedoch aufgrund von fehlender Unterstützung von Arbeitgeberseite oft schwer zu realisieren, zumal es an geeigneten Mechanismen fehlt, Personen mit internationalem Schutzstatus in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Insbesondere fehlende Sprachkenntnissen und Qualifikationen behindern daher den Zugang zum Arbeitsmarkt. Auch hier spielen polnische NGO‘s eine wichtige Rolle bei der Unterstützung und Integration in den Arbeitsmarkt. In größeren Städten ist es zudem einfacher, einen Arbeitsplatz zu finden, so z.B. in Warschau, wo Berufsausbildungen in Fremdsprachen angeboten werden (AIDA Country Report: Poland, Update 2023, 13.6.2024, S. 134 f.). Seit Ende 2019 hat die nationale Arbeitsaufsichtsbehörde (NLI) eine Beratungsstelle für Migranten eingerichtet, wo sie Informationen über die Bedingungen für Aufenthalt und Arbeit in Polen erhalten können. Die Informationen werden in mehreren Sprachen angeboten (vgl. zum Ganzen: OVG SH, U.v. 22.6.2023 – 4 LB 6/22 – juris Rn. 82 m.w.N.).
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Auch haben Schutzberechtigte in Polen den gleichen Zugang zum allgemeinen Sozialsystem wie polnische Bürger. Sie können in ihrem Wohnortbezirk Sozialhilfe erhalten, wenn sie eine gewisse Einkommensgrenze nicht überschreiten. In der Praxis kommt es allerdings aufgrund von mangelnden Sprachkenntnissen, mangelndem Wissen über die eigenen Rechte und administrativen Hürden oft zu Problemen beim Zugang zu Sozialhilfe (BFA, LIS – Polen, Version 4, 28.06.2024, S. 15). Gleichwohl erhalten nicht wenige anerkannt Schutzberechtigte Sozialleistungen in Polen (vgl. AIDA Country Report: Poland, Update 2023, 13.6.2024, S. 139).
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Auf der Grundlage der öffentlichen Krankenversicherung gelten für Schutzberechtigte beim Zugang zur Gesundheitsversorgung die gleichen Regeln wie für polnische Bürger. Die Krankenversicherung deckt die meisten medizinischen Behandlungen ab. Personen mit internationalen Schutz werden, wenn sie nicht versichert sind, direkt in eine Liste der Personen aufgenommen, die Zugang zu den öffentlichen Gesundheitsdiensten haben, sofern ihr Einkommen die gesetzlich festgelegte Grenze nicht überschreitet (AIDA Country Report: Poland, Update 2023, 13.6.2024, S. 141). Die größten Hürden beim Zugang zur medizinischer Versorgung sind nach der aktuellen Auskunftslage sprachliche und kulturelle Barrieren (AIDA Country Report: Poland, Update 2023, 13.6.2024, S. 141; BFA, LIS – Polen, Version 4, 28.06.2024, S. 15).
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2.2.3. Unter Berücksichtigung dieser Umstände stellen sich die Lebensverhältnisse von zurückkehrenden anerkannt Schutzberechtigten in Polen nach Auffassung des erkennenden Einzelrichters somit nicht schon allgemein für jedweden Personenkreis von Schutzberechtigten als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK (so etwa auch: VG Würzburg, U.v. 12.7.2024 – W 4 K 24.30355; OVG SH, U.v. 22.6.2023 – 4 LB 6/22 – juris; VG Schleswig, U.v. 11.4.2023 – 16 A 68/23; VG Würzburg, U.v. 31.8.2022 – W 1 K 22.30205 – juris; U.v. 6.4.2022 – W 1 K 22.30178 – juris).
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Der Antragsteller ist jung und alleinstehend. Er muss daher nur für seinen eigenen Lebensunterhalt aufkommen und es kann ihm ein erhöhter Grad an (örtlicher) Flexibilität zugemutet werden, insbesondere mit Blick auf die Suche nach einer Unterkunft und einer Arbeitsstelle. Gerade in größeren Städten ist es einfacher, einen Arbeitsplatz zu finden, so z.B. in Warschau, wo Berufsausbildungen in Fremdsprachen angeboten werden (AIDA Country Report: Poland, Update 2023, 13.6.2024, S. 134 f.). Gründe dafür, dass es dem Antragsteller bei entsprechenden Bemühungen in Polen nicht gelingen könnte, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr hat sich der Antragsteller in Polen – soweit ersichtlich – erst gar nicht ernsthaft um eine Arbeitsstelle bemüht, sondern ist bereits einen Monat nach seiner Anerkennung zu seinem Bruder in die Niederlande weitergereist. Dass der Antragsteller nicht arbeitsfähig wäre, ist nicht erkennbar. Nachweise bzw. Atteste hinsichtlich einer erst nachträglich, im gerichtlichen Verfahren geltend gemachten psychischen Erkrankung hat der Antragsteller bislang nicht vorgelegt. Nachvollziehbar Gründe, weswegen der Antragsteller als anerkannt Schutzberechtigter im Falle seiner Rückkehr nach Polen inhaftiert werden sollte, liegen ebenfalls nicht vor (vgl. hierzu etwa USDOS, Poland 2023 Human Rights Report, S. 3 ff.; AIDA Country Report: Poland, Update 2023, 13.6.2024, S. 83 ff.).
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Berücksichtigt man weiter, dass für anerkannt Schutzberechtigte soziale Netzwerke von großer Bedeutung sind (vgl. AIDA Country Report: Poland, Update 2023, 13.6.2024, S. 134), ist nicht einzusehen, warum es dem Antragsteller in Polen nicht gelingen sollte, mit Landsleuten erneut in Kontakt zu treten und diese Kontakte auch für die Suche nach einer Arbeitsstelle und einer Wohnung zu nutzen. So hat der Antragsteller selbst angegeben, mit Landsleuten in Polen in Kontakt gewesen zu sein, die ihm vor Ort Ratschläge gaben und ihm sogar die Weiterreise finanziert haben.
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Der erkennende Einzelrichter ist daher auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Antragstellers der Überzeugung, dass es diesem bei einer Rückkehr nach Polen bei entsprechender Eigeninitiative gelingen wird, eine Arbeitsstelle zu finden und so sein Existenzminimum – gegebenenfalls unter zusätzlicher Zuhilfenahme von durch private Nichtregierungsorganisationen angebotenen Unterstützungsleistungen zur Überwindung von Anfangsschwierigkeiten – zu sichern, was letztlich auch die Suche nach einer dauerhaften Unterkunft erleichtern wird. Bei dem Antragsteller handelt es sich somit nicht um eine Person, die vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängig ist und die sich bei einer Rückkehr nach Polen unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen alsbald in einer Situation extremer materieller Not befinden wird, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre (vgl. zu diesen Anforderungen nochmals EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 89 ff.; aus der Rechtsprechung des EGMR siehe etwa EGMR, U.v. 4.11.2014 – 29217/12 – NVwZ 2015, 127 ff.).
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Nach alldem stehen der Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als unzulässig zum maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung auch mit Blick auf Art. 4 GrCh i.V.m. Art. 3 EMRK keine substantiierten Einwendungen entgegen.
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3. Auch greifbare Anhaltspunkte, die für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu Gunsten des Antragstellers sprächen, und infolgedessen eine Abschiebungsandrohung nicht hätte ergehen dürfte (vgl. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG), sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt das Gericht daher Bezug auf die entsprechende Begründung im angefochtenen Bescheid und macht sie sich zu eigen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Ergänzend ist diesbezüglich noch auszuführen, dass hinsichtlich der erstmals im Rahmen des vorliegenden Gerichtsverfahrens geltend gemachten psychischen Erkrankung des Antragstellers dem Gericht bislang keinerlei Nachweise vorliegen.
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4. Schließlich ist die Abschiebungsandrohung auch im Übrigen (vgl. § 34 Abs. 1 und § 36 Abs. 1 AsylG) rechtlich nicht zu beanstanden.
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5. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).