Inhalt

OLG München, Verfügung v. 12.12.2024 – 14 U 3100/24 e
Titel:

Schadensersatzansprüche wegen Corona-Schutzimpfung (Comirnaty)

Normenketten:
AMG § 5, § 84, § 84a
BGB § 823, § 826
ProdHaftG § 15
Leitsätze:
1. Bei einer Corona-Schutzimpfung mit Comirnaty bleibt das Nutzen-Risiko-Verhältnis, bezogen auf die Gesamtheit der Patienten, positiv, wenn man auf die Erkenntnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellt. Aus heutiger wie damaliger Sicht erscheint die Impfung vertretbar. Dies gilt unabhängig von der Frage einer Tatbestandswirkung der Zulassungsentscheidungen. (Rn. 122 und 142 – 209) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Haftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG setzt eine doppelte Kausalität voraus: Die Rechtsgutverletzung muss auf der Anwendung des Arzneimittels beruhen und zugleich infolge der unzureichenden Arzneimittelinformation eingetreten sein. Ein Ursachenzusammenhang zwischen der fehlerhaften Information und der Gesundheitsverletzung ist nur zu bejahen, wenn diese bei ordnungsgemäßer Information mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre. (Rn. 274 und 276) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Schadensersatzanspruch, Arzneimittelhaftung, Corona-Schutzimpfung, Nutzen-Risiko-Abwägung, Gebrauchsinformation, Informationspflichtverletzung, Auskunftsanspruch
Vorinstanz:
LG Kempten, Urteil vom 08.08.2024 – 31 O 957/23
Fundstelle:
BeckRS 2024, 36083

Tenor

A.- Hinweis:
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 8.8.2024 Az. 31 O 957/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Entscheidungsgründe

B.- Hintergrund ist folgende Einschätzung des Senats:
1
I.  Die Klagepartei beantragt in der Berufung:
2
I. Unter Abänderung des Urteils des LG Kempten vom 08.08.2024 zu dem dortigen Az.: 31 O 957/23:
3
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 80.000,00 € nicht unterschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf den zuerkannten Betrag seit Rechtshängigkeit, zu bezahlen.
4
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die ihm in Zukunft aus der Corona-Schutzimpfung vom ... 04.2021, ... 05.2021 und ... 11.2021 mit dem Impfstoff Comirnaty des Herstellers BioNTech/Pfizer entstehen – die immateriellen zukünftigen Schäden nur, soweit diese im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbar sind – zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
5
3. Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen über die im Zeitraum vom 27.12.2020 bis zur mündlichen Verhandlung bei der Beklagten bekannten Wirkungen und Nebenwirkungen sowie sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen des Impfstoffs Comirnaty der Beklagten von Bedeutung sein können, soweit sie Schwellungen und Schmerzen an Fuß und Handgelenken, eine chronische Schmerzerkrankung, Tinnitus, Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme und eine Mitochondrien-Dysfunktion betreffen.
6
Das entspricht den zuletzt gestellten Anträgen erster Instanz (LGU S. 5/6).
7
II. Hilfsweise wird die Aufhebung des Urteils des LG Kempten vom 08.08.2024 zu dem dortigen Az. 31 O 957/23 und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Kempten zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt.
8
II. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
9
Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils nimmt der Senat Bezug.
10
1.  Als unstreitig behandelt das Landgericht folgenden Sachverhalt:
11
Der Kläger wurde 2021 zu den drei antragsgegenständlichen Zeitpunkten jeweils mit Comirnaty geimpft. Vorher (2020) war der Impfstoff von der Europäischen Kommission bedingt zugelassen, danach (2022) erhielt er die Standardzulassung. Seine Sicherheit wird kontinuierlich überwacht (K 29, B 11, B 13). Bis Juni 2022 waren weltweit mehr als 2,6 Milliarden Dosen verimpft.
12
Schon vor der ersten Impfung litt der Kläger, hausärztlich belegt (K 65), an Gelenkschmerzen, einem „Ganglion [an] Knöchel und Fuß“ [vulgo: „Überbein“], einer Osteochondrose [= arthortischer Prozess] der Wirbelsäule, einer Arthritis, Schwellungen und Schmerzen am Handgelenk rechts, einer Tendinitis calcarea [vulgo: „Kalkschulter“]. Von Schwellungen betroffen waren auch „Unterarm (Radius, Ulna, Handgelenk)“.
13
2. – Als streitig behandelt das Landgericht folgende Behauptungen und Ansichten des Klägers:
14
Nach der ersten Impfung habe er Gelenkschmerzen gehabt.
15
Nach der zweiten Impfung seien ihm Knie, Füße, Ellenbogen und Finger angeschwollen, oder: Er habe an Fuß und Handgelenken starke Schwellungen und Schmerzen gehabt (LGU S. 2).
16
Infolge der Impfungen habe er Schmerzen, Schwellungen der Extremitären, Polyarthritis [= über viele Gelenke sich erstreckende Entzündungen], Tinnitus und Gedächtnissowie Konzentrationsstörungen (LGU S. 2/3). Vor den Impfungen sei er noch nie in eine Schmerzklinik überwiesen worden (LGU S. 3), seither aber werde er behandelt (LGU S. 3 -> Blatt 313/318 LGA, K 3, K 87 bis K 99, K 103).
17
2.1 Die Beklagte schulde ihm Schadensersatz nach § 84 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1 und 2 AMG, wobei ihm die Kausalitätsvermutung (§ 84 Abs. 2 S. 1 AMG) zugute komme, da der Impfstoff generell geeignet sei, die geklagten Beschwerden und Beeinträchtigungen auszulösen (LGU S. 3).
18
Das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty sei zweifelhaft und ergebe sich nicht aus der Zulassung.
19
Oder noch ärger (LGU S. 7): Das Nutzen-Risiko-Verhältnis sei negativ, da Comirnaty nicht wirksam vor einer Covid-Erkrankung schütze und allenfalls einen geringen therapeutischen Nutzen habe.
20
Die Charge sei verdächtig, mit Fremd-DNA verunreinigt gewesen zu sein.
21
Naheliegende Alternativursachen neben Comirnaty gebe es für die Beschwerden des Klägers nicht; zudem genüge auch eine Mitverursachung (LGU S. 7).
22
Die Beklagte schulde ihm Schadensersatz wegen unzureichender Produktinformation, die für seine Beschwerden kausal sei. Die Haftungsbegrenzung (§ 3 Abs. 4 MedBvSV) sei verfassungswidrig.
23
2.2 Die Beklagte schulde ihm Schmerzensgeld von mindestens 80.000 € (§ 823 Abs. 1, § 253 BGB) und eine Geldrente (§ 843 Abs. 1 BGB) nach den Grundsätzen der Produkthaftung (LGU S. 3/4) und aus § 826 BGB. Denn sie habe über Nebenwirkungen vorsätzlich nicht ausreichend aufgeklärt.
24
2.3 Die Beklagte schulde auch die klageerweiternd verlangte Auskunft (§ 84a Abs. 1 S. 1 AMG).
25
3. Das Landgericht gibt zur Klageabweisung im wesentlichen folgende Gründe:
26
3.1 Der Kläger habe keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 84 Abs. 1 AMG (LGU S. 9 ff).
27
Dabei könne noch dahingestellt bleiben, ob die geklagten Beschwerden auf der Impfung beruhen.
28
3.1.1 Denn deren Nutzen-Risiko-Verhältnis bleibe auch dann – bezogen auf die hier maßgebliche Gesamtheit der Geimpften – positiv (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG) zu bewerten (LGU S. 9/33).
29
3.1.2 Die Beklagte habe auch nicht etwa für ein Defizit der (hier ohnehin nicht einschlägigen) Kennzeichnung oder aber der Fachinformation oder Gebrauchsinformation (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG) einzustehen (LGU S. 33/36), da der Kläger schon nicht vorgetragen habe, die Fach- und Gebrauchsinformationen überhaupt zur Kenntnis genommen zu haben (LGU S. 37), und auch nicht behaupte, sein Impfarzt hätte diese gelesen und ihn dann auf dieser Basis beraten (LGU S. 37).
30
Unabhängig davon sei nicht glaubhaft, dass der Kläger bei seiner Motivlage (im einzelnen LGU S. 38) von der Impfung Abstand genommen hätte, wenn ihm weitere als die in der Gebrauchsinformation tatsächlich enthaltenen (und schon sehr gravierenden) Nebenwirkungen als möglich hingestellt worden wären (LGU S. 38).
31
3.1.3 Die Kausalitätsvermutung (§ 84 Abs. 2 AMG) helfe dem Kläger nicht (LGU S. 36/37).
32
Zur behaupteten und bestrittenen Schadenseignung gebe es nur ungesicherte Hypothesen.
33
Der Kläger trage zu seinem Gesundheitszustand vor der Impfung nicht ausreichend vor (LGU S. 36), und was er an Impffolgen behaupte, stehe in keinem auffallenden zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung und sei nicht objektiv nachgewiesen. Aber schon wenn man den Schilderungen des Klägers zu seinen vorbestehenden Beschwerden (LGU S. 36) folge, ergebe sich das Bild, dass die jetzigen Beschwerden sich damit weitgehend decken.
34
3.1.4 Dem Kläger helfe auch kein Anscheinsbeweis (so LGU S. 38, wo allerdings ein „nicht“ fehlt = Schreibversehen des Ersturteils).
35
Es stehe kein Sachverhalt fest, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung darauf hindeuten würde, dass der Kläger sich die jetzt beklagten Beschwerden durch die Impfungen mit Comirnaty zugezogen habe, sondern diese könnten eine Vielzahl anderer Ursachen haben (LGU S. 39).
36
3.1.5 Auf die Haftungsbegrenzung durch § 3 Abs. 4 S. 2 MedBVSV (LGU S. 39) komme es nicht mehr an, da schon ohne diese keine Haftung aus § 84 Abs. 1 S. 2 AMG bestehe (LGU S. 39).
37
3.2 Der Kläger habe keinen Anspruch aus dem Produkthaftungsgesetz Das ProdHG sei, wie § 15 ProdHaftG ausdrücklich besagt, unanwendbar (LGU S. 39), was auch keine unionsrechtlichen Bedenken auslöse (LGU S. 39/40).
38
3.3 Der Kläger habe auch keinen Produkthaftungs-Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB.
39
Eine Instruktionspflichtverletzung der Beklagten sei nicht festzustellen (LGU S. 40).
40
3.4 Die Beklagte hafte auch nicht nach § 823 Abs. 2 BGB iVm § 5 AMG.
41
Der Impfstoff könne nicht als „bedenklich“ iSd § 5 AMG eingestuft werden, und zwar aus denselben Gründen nicht, aus denen ein Anspruch nach § 84 AMG scheitere (LGU S. 41).
42
3.5 Für § 826 BGB fehle es an Verschulden und Sittenwidrigkeit (LGU S. 41/42).
43
3.6 Der Kläger habe auch keinen Auskunftsanspruch (§ 84a AMG).
44
3.6.1 Es fehle an der vom Kläger darzulegenden überwiegenden Anfangswahrscheinlichkeit (LGU S. 42).
45
Für die These des Klägers, seine Beschwerden auf Comirnaty zurückführen zu können, spreche nicht mehr als für das Gegenteil.
46
Der schlingernde Vortrag des Klägers zum Auftreten der Beschwerden sei in zeitlicher und sachlicher Hinsicht bereits widersprüchlich (im einzelnen LGU S. 43/45), und ein zeitlicher Zusammenhang mit Impfungen sei auch aus den Arztberichten nicht herauszulesen, die sich auch ihrerseits nicht mit den Schilderungen des Klägers deckten (im einzelnen LGU S.45).
47
3.6.2 Unabhängig von alledem stünde einem Auskunftsanspruch auch entgegen, dass der Kläger ohnehin keinen Schadensersatzanspruch nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG habe, da der Impfstoff keine negative Nutzen-Risiko-Bilanz aufweise (LGU S. 46).
48
III. Die Berufungsbegründung bringt vor:
49
1. Zu Unrecht versage das Landgericht den Auskunftsanspruch (§ 84a AMG).
50
1.1 Der Kläger habe eine ausreichende Anfangswahrscheinlichkeit dafür dargelegt, dass seine nach der Impfung existierenden Beschwerden durch Comirnaty zumindest mit-verursacht seien (BB S. 3).
51
Seine Beschwerden seien folgende:
(a) „Verdacht“ auf Polyneuropathie beider Fußsohlen (BB S. 3),
(b) Fußschmerzen (K 90),
(c) chronisches Schmerzsyndrom,
(d) Polyarthritis,
(e) Fibromyalgie,
(f) Tinnitus beidseitig,
(g) rezidivierende Gelenkschwellungen und Lumbalgien [= LWS-Schmerzen]
(h) ISG-Arthralgien [degenerative Abnutzung von Gelenkknorpel und -fläche]
(i) sowie eine „Mitochondriendysfunktion“ (K 64 S. 85), die „wohl“ durch die Impfung verursacht sei (BB S. 3 unten).
52
Zu Unrecht laste das Landgericht dem Kläger widersprüchliches Vorbringen an:
53
Die vorstehenden Angaben habe der Kläger auf Hinweis des Landgerichts gemacht. Es sei „vollkommen klar“ gewesen, dass damit seine ursprünglichen Angaben aus der Klageschrift „obsolet sein sollten“, allerdings nur „soweit sich die Angaben nicht gegenseitig ergänzen“. Für den Fall, dass sie einander widersprächen (BB S.4) habe nur die spätere Angabe zählen sollen (BB S. 4). Deswegen sei es fehlerhaft, soweit das Landgericht dem Kläger wechselnden und widersprüchlichen Vortrag bescheinige. Soweit das Landgericht die „einzelnen kleineren Widersprüche“ in den Schilderungen des Klägers im Termin bei seiner Anhörung herausarbeite, lasse das Ersturteil Verständnis dafür vermissen, dass der Kläger „genaue Zeitangaben durcheinander wirft“ und Symptome, die erst nach der zweiten Impfung „relevant“ geworden seien, auf die Zeit nach der ersten Impfung verlege – was ohnehin dahinstehen könne, da beide Impfungen zusammen jedenfalls die Ursache bilden würden (BB S. 4 [wobei es hier insgesamt um drei Impfungen geht]).
54
Darum sei es auch irrelevant, dass nach der ersten Impfung eine Schwellung der Hand wieder abklang, denn beide – die „erste und die zweite“ Impfung zusammen hätten „tatsächlich zu den schwerwiegenden Symptomen geführt“, unter denen der Kläger auch heute noch leide (BB S. 4).
55
Zu Unrecht vermisse das Landgericht einen zeitlichen Zusammenhang: Der sei hier ersichtlich gegeben, weil der Kläger Beschwerden schildere, die zwei Wochen nach der zweiten Impfung auftraten (BB S. 4).
56
Zu Unrecht wolle das Landgericht Alternativursachen nicht ausschließen (BB S. 5). Was das Ersturteil mit „entsprechenden Vorerkrankungen“ meine, werde nicht deutlich. Davon abgesehen könne das Landgericht [die hier interessierende Anfangswahrscheinlichkeit] nicht ohne Sachverständigengutachten beurteilen (BB S. 5).
57
1.2 Zirkelschlüssig sei, dass das Landgericht den Auskunftsanspruch [ergänzend auch] mit der Begründung aberkennt, die Auskunft sei nicht nötig, weil das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis ja feststehe und daher ein Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG ohnehin ausscheide.
58
Denn der Auskunftsanspruch diene ja dazu, den Anspruch aus § 84 AMG [leichter] begründen zu können. Er könne daher nicht davon abhängen, ob ein Schadensersatzanspruch bereits bewiesen sei (BB S. 5).
59
Nun verneine das Gericht den Schadensersatzanspruch zwar nicht mit der Begründung „fehlender Beweis“, sondern bereits deshalb, weil der Kläger die Kausalität der Impfungen für seine Beschwerden schon nicht schlüssig dargestellt habe. Das sei aber deshalb fehlerhaft, weil das Landgericht die Schlüssigkeit ohne Sachverständigengutachten nicht beurteilen könne (BB S. 5/6).
60
2. Auch im übrigen verneine das Landgericht den Schadensersatzanspruch (§ 84 AMG) zu Unrecht.
61
2.1 Sehr wohl habe der Kläger zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis (§ 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG) vorgetragen. Dieses bestehe auch bezogen auf die – hier maßgebliche (BB S. 6) – Gesamtheit der Impflinge.
62
2.2 Falsch sei die Annahme des Landgerichts, für die Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses könne es auf negative Folgen nur ankommen, wenn diese bei der Zulassungsentscheidung nicht bereits bekannt waren, weil die Zulassungsentscheidung Tatbestandswirkung habe.
63
Diese müsse (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) inzident (BB S. 9) gerichtlich überprüfbar sein, gerade weil der „EuGH“ judiziere (T-96/21), dass einzelne natürliche Personen die Zulassungsentscheidung nicht unmittelbar angreifen können (BB S. 7/10).
64
Auch das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 857/07) spreche mit Blick auf die Tatbestandswirkung von Exekutivakten davon, dass dennoch gerichtliche Rechtskontrolle stattfinden müssen, auch wenn es diese ausdrücklich eingeschränkt sehe (BB S. 10).
65
Das Landgericht beschäftige sich nicht hinreichend (BB S. 12) mit dem Schriftsatz des Klägers vom 2.2.2024, wo dieser „auf zahlreichen Seiten“ (BB S. 12, ohne Angabe der konkreten Fundstelle in der fast hundertseitigen Replik, meint wohl dort S. 64/74) eine „umfangreiche Auseinandersetzung dargelegt“ habe „mit eben dieser Entscheidung vom 16.9.2022“, nämlich der Standardzulassung der EMA von September 2022 (BB S. 12; K 46 [wobei K 46 der Bewertungsbericht ist]). Diese habe nur Daten bis April 2022 verwendet (BB S. 13).
66
Oder: Die Standardzulassung sei ohnehin irrelevant, denn als der Kläger geimpft wurde, habe es nur eine vorläufige Zulassung gegeben (BB S. 13), und die könne „keinesfalls eine Tatbestandswirkung“ haben.
67
2.3 Die „weitere Zulassung vom 30.8.2023“ (K 58) bestätige die Annahme eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses nicht, weil sie „keine neuen überprüfbaren Erkenntnisse“ gegenüber der Standardzulassung bringe, die als K 46 vorgelegt sei (BB S. 12), und weil sie nur einen angepassten Impfstoff betreffe, den der Kläger nicht erhalten hat.
68
2.4 Der Nutzen der Impfung relativiere sich wie folgt:
„Seien die Todesfälle ab 2022 zurückgegangen und die Pandemie weniger gefährlich geworden, so müsse das nicht an der Durchimpfung breiter Bevölkerungskreise liegen, sondern könne darauf beruhen, dass das Virus seit der Omikron-Variante „harmloser“ geworden sei (BB S. 14).“
69
Dass die Impfung vor einem schweren Verlauf der Infektion schütze, sei umstritten und „für die Standardzulassung vom 16.9.2022 überhaupt kein Kriterium gewesen“ (BB S. 14), d.h. zur Begründung der Standardzulassung (K 46 S. 33) und der Varianten-Zulassung (K 58) gar nicht behauptet worden.
70
Unstreitig schütze die Impfung weder vor einer Infektion noch vor deren Weitergabe (BB S. 33).
71
Die CHMP habe am 16.9.2022 im Bewertungsbericht (K 46) zwar eine Wirksamkeit von 95% hinsichtlich symptomatischer Infektion angegeben. Diesen Wert bestreite der Kläger aber (BB S. 42). Denn die Messung habe erst sieben Tage nach der letzten Impfung begonnen und überspringe damit den „vulnerablen Zeitraum“ zwischen der ersten Impfung und der Entwicklung des vollen Impfschutzes, der erst zwei Wochen nach der letzten Impfung einsetzt. Zudem werte sie nur diejenigen Infektionen ein, die mit einem positiven PCR-Test nachgewiesen sind, somit „längst nicht alle symptomatischen Covid-19-Verdachtsfälle“ (BB S. 42). Ziehe man (nur) die „unbestätigten, lediglich vermuteten Covid-19-Fälle heran, so sei in dieser Gruppe die Impfwirksamkeit nurmehr bei 12%.
72
2.5 Das Risiko werde vom Landgericht unterschätzt aus folgenden Gründen:
73
Verdachtsfälle seien vielfach nicht gemeldet worden, man müsse die „üblichen Dunkelziffern“ hinzurechnen (BB S. 16/17).
74
Die EMA habe sich in einem Interessenkonflikt befunden (BB S. 17/19), und dass eine Haftungsübernahme der EU-Mitgliedstaaten erforderlich wurde, belege die besondere Gefährlichkeit des Impfstoffes und die Zweifel an der Wirksamkeit.
75
Gerade wegen fehlender Langzeitstudien (BB S. 18, erneut BB S. 37/38) habe die Impfung als besonders gefährlich erkannt werden müssen. Auch heute seien die Nebenwirkungen noch nicht sämtlich bekannt oder gar erforscht (BB S. 33). Deshalb müsse man annehmen, dass die Zulassung nicht erteilt worden wäre, wenn man diese auch heute noch unbekannten Nebenwirkungen damals bereits gekannt hätte (BB S. 33).
76
Geprüft worden sei nur der Stoff aus „process-1“, verimpft aber der aus „process-2“ (BB S. 20/24). Spikeproteine könnten Gefäßschäden verursachen, und Verunreinigungen stünden im Raum (BB S. 24/32) wie Kritiker (K 62, C 1, C 2, C 3) publiziert hätten.
77
Die kumulative Analyse (K 51) von Nebenwirkungen bis 28.2.2020 und deren Update vom 11.8.2021 (K 69) sprächen (BB S. 33/40) eher dafür, das Nutzen-Risiko-Verhältnis negativ zu se hen; damit beschäftige sich das Ersturteil aber nicht (BB S. 34).
78
Stattdessen berufe das Landgericht sich auf eine Ausarbeitung des PEI s (B 11) über Nebenwirkungen bis 10.10.2022 (BB S. 35 gegen LGU S. 19), die aber nicht den heutigen Stand widerspiegele, auf den es für die Beurteilung bei § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG ankomme.
79
2.6 Das Landgericht argumentiere verfehlt, dass die Gremien, auf deren Arbeit die Zulassungsentscheidungen beruhten, kompetenter seien als kritische Einzelstimmen (BB S. 35). Die EMA finanziere sich überwiegend aus Gebühren und Entgelten der Pharmaindustrie (BB S. 35) und sei mit industrienahem Personal besetzt.
80
Eine Gerichtsbegutachtung durch einen unabhängigen Sachverständigen werde – was das Ersturteil zu Unrecht bezweifle – „natürlich“ zu anderen Ergebnissen gelangen können, „zumal“ sich ein solcher Sachverständiger auch auf neuere Erkenntnisse stützen könne, verglichen mit jenen, die den Zulassungsentscheidungen zugrunde lagen (BB S. 36).
81
Er könne auch überprüfen, ob die Pharmakovigilanz der Beklagten ordnungsgemäß sei. Das sei nämlich zweifelhaft, und dazu habe der Kläger im Schriftsatz vom 15.7.2024 etwas geschrieben (BB S. 37, [wobei der zitierte Schriftsatz den Vorwurf betraf, Herzerkrankungen als mögliche Nebenwirkungen erkannt, aber nicht zügig genug veröffentlicht zu haben – ohne Bezug zu den Beschwerden des Klägers]). Eigene Studien des Konzerns der Beklagten seien nicht ausreichend lange in doppelt verblindeter Form belassen worden (BB S. 37).
82
2.7 Das Landgericht behaupte auf Seite 28/29 des Ersturteils, „dass die behauptete toxische Wirkung des Spike-Proteins wissenschaftlich nicht erwiesen sei“ (so BB S. 37 [obwohl dergleichen im Ersturteil nicht steht]). Dem habe das Landgericht durch Sachverständigengutachten nachgehen müssen. War die toxische Wirkung von Wissenschaftlern publiziert, so tue es nichts zur Sache, wenn das in online-Magazinen geschah (BB S. 37 [ohne Bezug zum Ersturteil, das nirgends ein „online-Magazin“ erwähnt]).
83
3. Das Landgericht verneine zu Unrecht eine Haftung der Beklagten nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG.
84
Es folge dem Kläger fehlerhaft nicht dahin, dass „der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation“ eingetreten ist.
85
3.1 Die Beklagte habe „hinreichend gesicherte Erkenntnisse darüber gehabt, dass die Impfung zu den bei dem Kläger aufgetretenen Nebenwirkungen führen könne“ (BB S. 38). „Dies wiederum“ treffe aber „nicht zu“ (BB S. 38).
86
Heute stehe in der Gebrauchsinformation (K 54) neben Herzerkrankungen (BB S. 38/39) auch eine allergische Reaktion, und eine „ausgedehnte Schwellung der geimpften Gliedmaße[n]“, Anschwellen des Gesichts, Hautreaktionen, ungewöhnliches Gefühl in der Haut, vermindertes Gefühl oder verminderte Empfindlichkeit sowie „starke Menstruationsblutungen“ (BB S. 39 [ohne Angabe, was sich daran mit den Beschwerden des Klägers decken soll]).
87
Die bei der Impfung des Klägers existente Produktinformation habe hingegen „nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ entsprochen, und gerade dadurch sei „die Rechtsgutverlet zung“ eingetreten, nämlich infolge der unzureichenden Information.
88
Denn die Verdachtsfälle aus den Berichten K 51 und K 52 seien dort nicht genannt gewesen, als da wären: „Störungen des Nervensystems, Muskel-Skelett-Erkrankungen und Bindegewebestörungen, Magen-Darm-Erkrankungen, Hauterkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, des Brustraums und des Mediastinums [= Brustraums zwischen den Lungenflügeln], Infektionen und parasitäre Erkrankungen, Verletzungen, Vergiftungen und Verfahrenskomplikationen und Untersuchungen, ferner noch Herzerkrankungen, vaskuläre Störungen, psychiatrische Störungen und auch Augenstörungen“. Von allen diesen seien nur Herzerkrankungen aufgelistet gewesen, der Rest habe gefehlt. Hätte die Beklagte „eine entsprechende Kennzeichnung jedoch vorgenommen“, so hätte sich der Kläger „eindeutig gegen eine Impfung entschieden“ (BB S. 40).
89
Dasselbe gelte, wenn die Beklagte darüber aufgeklärt hätte, dass „die Faktenlage hinsichtlich erwiesener Nebenwirkungen“ damals „nicht ausreichend“ war, um den Impfstoff als „sicher“ zu bezeichnen, sondern dass abstrakt mit noch unbekannten weiteren Erkrankungen zu rechnen sei (BB S. 40).
90
Dass die vom Kläger vorgelegten Aufklärungsmerkblätter (des Robert-Koch-Instituts) nicht die Gebrauchsinformationen oder Fachinformationen (vulgo: „Packungsbeilage“) des Impfstoffs der Beklagten sind (BB S. 40 gegen LGU S. 35), sei ohne Belang, denn man werde hinsichtlich der Risikoangaben „keine Unterschiede feststellen“ und habe daher die Aufklärungsmerkblätter des RKI „gleichzustellen“ mit den Gebrauchsinformationen der Beklagten (BB S. 40). Die Packungsbeilage habe der Kläger gar nicht kennen können; die Beklagte habe nämlich nichts dafür getan, dass der Kläger sie zur Kenntnis bekäme (BB S. 40/41).
91
3.2 Zu Unrecht glaube das Landgericht dem Kläger nicht, dass er sich bei ausreichender Aufklärung gegen die Impfungen entschieden hätte. Immerhin habe der Kläger das so bekundet. Die von ihm beschriebene Impfmotivation sei nicht gewesen, sich um jeden Preis impfen zu lassen (BB S. 41).
92
4. Zu Unrecht verneine das Landgericht eine deliktische Haftung (§ 823, § 826 BGB).
93
Verschulden der Beklagten liege „letztendlich“ vor (BB S. 41).
94
5. Das Landgericht lehne zu Unrecht eine Haftung nach dem ProdHG ab.
95
Das Ersturteil lasse eine Prüfung vermissen, ob § 15 Abs. 1 ProdHG unionsrechtskonform sei (BB S. 41/42 gegen LGU S. 38 [wo sich das Landgericht indes mit dieser Frage beschäftigt]).
96
6. Das Landgericht verneine zu Unrecht einen Anspruch nach § 823 BGB unter dem Gesichtspunkt der Produktbeobachtungspflicht.
97
Verschulden der Beklagten liege darin, vor dem Inverkehrbringen nicht so umfassend Daten erhoben zu haben, dass „die aufgetretene Nebenwirkung zutage gefördert“ worden wäre (BB S. 42).
98
7. Der Kläger rege „eine Vorlage zum EuGH gemäß § 267 Abs. 1 lit a AEUV über die Rechtsfrage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses“ an (BB S. 43), genauer: „ob die Beurteilung des Nutzen-Risikos ermessensfehlerfrei ist und keine ermessensfremden Erwägungen miteinbezogen wurden“ und „ob eine Vereinbarkeit mit der europäischen Verordnung (RG) 726/200 4) und der Grundrech techarta vorliegt“ (BB S. 44).
99
IV. Die Berufung ist ohne Erfolgsaussicht.
100
Das transparent strukturierte und sorgfältig begründete Urteil des Landgerichts leidet nicht an Rechtsfehlern (§ 546 ZPO). Die zugrunde zu legenden Tatsachen (§ 529 ZPO) gebieten keine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
101
1. Zutreffend versagt das Landgericht den Auskunftsanspruch (§ 84a AMG).
102
1.1 Zutreffend nimmt das Landgericht eine allenfalls gleiche Wahrscheinlichkeit der beiden möglichen Erklärungen für die Beschwerden des Klägers (Impfung ./. Vorerkrankung) an.
103
Unstreitig litt der Kläger vor der Impfung bereits an Erkrankungen, die jegliche Gelenkschwellung samt den sie begleitenden Schmerzen erklären. Um das festzustellen, brauchte das Landgericht kein Sachverständigengutachten. Dass diese Schmerzen erst nach den Impfungen stationär behandelt wurden, ändert nichts an der Qualität als Vorerkrankung.
104
Der Kläger hat bereits keine ausreichende Anfangswahrscheinlichkeit dafür dargelegt, dass seine nach der Impfung existierenden Beschwerden durch Comirnaty zumindest mit-verursacht seien. In der Reihenfolge der von der Berufungsbegründung aufgezählten Punkte ist dazu auszuführen:
105
(a) Ein bloßer „Verdacht“ auf Polyneuropathie beider Fußsohlen ist keine mit Bestimmtheit behauptete Erkrankung hieran.
106
(b) Aus Anlass der Fußschmerzen (K 90) diagnostiziert der Neurologe (K 90) gerade keine Polyneuropathie, sondern hat den Kläger untersucht und keine Gefühlsstörungen festgestellt mit Ausnahme des Nervus suralis, der aber seit 2016 verletzungsbedingt beschädigt ist (Stichwort: „Läsion“). Eine neurologische Ursache hat der Neurologe für die Fußschmerzen nicht gefunden. Die beklagten immer wieder auftretenden Schwellungen (K 90 Seite 1) deuten auf nichts anderes hin als die Vorerkrankungen (LGU S. 2; K 65: „Gelenkschmerzen“, „Arthritis“).
107
(c) Ein chronisches Schmerzsyndrom kann der Kläger mindestens ebensogut aus den Vorerkrankungen entwickelt haben, da diese Schmerzen auslösen und das „chronische Schmerzsyndrom“ lediglich deren Verstetigung beschreibt.
108
(d) Polyarthritis ist eine an mehreren Stellen (darum „Poly-“) aufgetretene „Arthritis“ und deutet damit auf nichts anderes hin als auf die Vorerkrankung.
109
(e) Fibromyalgie bezeichnet eine Störung der Schmerzempfindung und Schmerzverarbeitung. Sie deutet ebensowenig wie das chronische Schmerzsyndrom mit irgendeiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit auf eine Verursachung durch die Impfungen hin.
110
(f) Der „Tinnitus beidseitig“ wird im Ersturteil (LGU S. 2) zwar nicht unter den Vorerkrankungen genannt, gehört aber hierzu, wie K 65 Seite 11 von 25 belegt: Hier findet sich für den .2.2018 bereits die Diagnose „tinnitus aurium“, deutsch: Tinnitus auf den (beiden) Ohren.
111
(g) Rezidivierende Gelenkschwellungen und Lumbalgien [= LWS-Schmerzen] sind unstreitig Vorerkrankungen des Klägers.
112
(h) Hierhin gehören ersichtlich auch die ISG-Arthralgien [degenerative Abnutzung von Gelenkknorpel und -fläche].
113
(i) Es verbleibt die „Mitochondriendysfunktion“ (K 64 S. 85), von der der behandelnde Arzt (= Dr. ... nicht: Frau Dr.... am ... .2.2023 schreibt, diese stehe „wahrscheinlich ursächlich u.a. auch mit der wiederholten Exposition der Mitochondrien durch COVID-19-Spike-Proteine durch Vakzination und stattgehabten Infekt in Verbindung“.
114
Nicht ersichtlich ist hier aber der zeitliche Zusammenhang mit der Impfung, den man für jede geschilderte Gesundheitsbeeinträchtigung selbstverständlich separat zu betrachten hat, wobei der Kläger hier – soweit ersichtlich – keinen Zwei-Wochen-Zusammenhang geschildert hat. Zudem offenbart der behandelnde Arzt (K 64 S. 85) als ebenso wahrscheinliche Ursache den „stattgehabten Infekt“ – was einleuchtet, da ja auch eine Covid-19-Infektion darin besteht, dass ein Angriff von toxischen Spike-Proteinen stattfindet.
115
Nicht mehr ankommen kann es hiernach darauf, dass das Landgericht – zutreffend – auch den wechselnden Vortrag des Klägers zu seinen Beschwerden referiert und ergänzend heranzieht, um zu begründen, warum es daraus keinen hinreichenden Vortrag zur Anfangswahrscheinlichkeit im Sinne von § 84a AMB herleitet. Anderes zeigt die Berufungsbegründung auch hierzu nicht auf, sondern schlingert gleichsam weiter: Denn wäre „vollkommen klar“, inwieweit die ursprünglichen Angaben aus der Klageschrift „obsolet sein sollten“, dann könnte dies nicht von einer Prüfung abhängen, inwieweit „sich die Angaben gegenseitig ergänzen“ oder „einander widersprächen“. Überlässt eine Partei diese Auswertung dem Landgericht, dann ist ihr Vortrag alles andere als klar. Auch kann es nicht falsch sein, dem Kläger wechselnden und widersprüchlichen Vortrag anzulasten, wenn doch die Berufungsbegründung diese Widersprüche einräumt und lediglich als „einzelne kleineren Widersprüche“ qualifiziert sehen will.
116
Überzeugend ist nach alledem, dass das Landgericht mögliche Alternativursachen bereits anhand des klägerischen Vorbringens nicht ausschließen mochte, denn diese lagen auf der Hand, weshalb auch eine Sachverständigenbegutachtung nicht erforderlich war.
117
Für den Senat vollständig mitzuvollziehen ist daher die Annahme des Landgerichts, dass eine Verursachung durch die streitgegenständliche Impfung äußerstenfalls gleich wahrscheinlich ist wie die Annahme einer vorbestehenden Erkrankung. Es fehlte daher an der „Einstiegs-Annahme“, an die § 84a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 AMG den Auskunftsanspruch knüpft. Deswegen war der Auskunftsanspruch ohne weiteres abzuweisen.
118
1.2 Dahingestellt bleiben kann deshalb die Kritik der Berufungsbegründung an dem lediglich ergänzenden Begründungsansatz des Landgerichts, die Auskunft sei nicht nötig, weil das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis ja feststehe und daher ein Schadensersatzanspruch nach § 84 AMG ohnehin ausscheide.
119
Dieser Begründungsansatz ist indessen konsequent (nicht: zirkelschlüssig), weil das Landgericht den Schadensersatzanspruch in allen Varianten des § 84 Abs. 1 Satz 2 (also sowohl Nr. 1 als auch Nr. 2) AMG ausgeschlossen hatte – nicht etwa nur mit der alleinigen Begründung, das Nutzen-Risiko-Verhältnis sei in Ordnung gewesen. Letzteres spricht das Ersturteil auf Seite 46 zwar gesondert an, verweist aber auf die gesamte Begründung betreffend die Abweisung des Schadensersatzanspruchs.
120
Das Landgericht hat den Auskunftsanspruch nicht davon abhängig gemacht, ob ein Schadensersatzanspruch bereits bewiesen sei. Sondern das Landgericht hat den Auskunftsanspruch aberkannt, weil der Schadensersatzanspruch bereits nicht schlüssig begründet war: Der Kläger hatte die Kausalität der Impfungen für seine Beschwerden schon nicht darstellen können. Die Schlüssigkeit von Vorbringen ist eine Rechtsfrage und Sachverständigenbeweis hierzu nicht zu erheben.
121
2. Zutreffend versagt das Landgericht den Schadensersatzanspruch nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AMG (BB S. 7 ff).
122
Das Nutzen-Risiko-Verhältnis bleibt, bezogen auf die Gesamtheit der Patienten, positiv, wenn man – mit dem Landgericht und der Berufungsbegründung – auf die Erkenntnisse im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellt. Aus heutiger wie damaliger Sicht erscheint die Impfung vertretbar.
123
2.1 Zutreffend nimmt das Landgericht eine Tatbestandswirkung der vorläufigen und der diese bestätigenden endgültigen Zulassung (OLG Koblenz 10.7.2024, 5 U 1375/23 = BeckRS 2014, 16169 mwN) an.
124
Zutreffend folgert das Landgericht aus dieser Tatbestandswirkung, dass Umstände, die im Zeitpunkt der jeweiligen Zulassung bereits bekannt waren, diese nicht unvertretbar machen können, wenn sie sich später wie vorausgesehen realisieren.
125
2.1.1 Nicht verfangen kann hiergegen der Einwand der Berufungsbegründung, dass die Zulassungsentscheidung wegen Art. 19 Abs. 4 GG zivilgerichtlich überprüfbar sein müsse, weil sie als solche für Private nicht anfechtbar sei.
126
Letzteres möchte die Berufungsbegründung unter Bezugnahme auf eine Entscheidung „T-96/21“ darstellen, die sie dem Gerichtshof der Europäischen Union zuschreibt, die aber ein Beschluss des Gerichts erster Instanz ist (wie schon das OLG Koblenz a.a.O. herausgearbeitet hat): Der Beschluss verneint ein Rechtsschutzbedürfnis des Einzelnen für eine Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV) und wirft daher die Frage auf, wie zugunsten Einzelner das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gewahrt werden kann.
127
Dieses (Art. 19 Abs. 4 GG) wird aber im Ersturteil nicht verletzt. Das Landgericht stellt mit seiner „Tatbestandswirkungs-These“ nicht in Frage, dass die Rechtmäßigkeit der Standardzulassung im Zivilprozess voll überprüfbar wäre.
128
Diese Überprüfung bleibt möglich, kann aber nur dadurch ausgelöst werden, dass der Kläger (a) entweder substanziiert darlegen würde, welche der Beklagten damals bereits bekannten Umstände bei der Zulassungsentscheidung nicht berücksichtigt worden sein sollen, bei deren Berücksichtigung eine andere Zulassungsentscheidung gerechtfertigt gewesen wäre, oder (b) darlegen würde, dass nach der Zulassung Nebenwirkungen des Impfstoffs bekannt geworden sind, deren Kenntnis im Zeitpunkt der Zulassung einer Zulassung entgegen gestanden hätten (OLG Koblenz ebd mwN) oder aber (c) dass der Kläger im einzelnen begründen würde, worin ein etwaiger Ermessensfehler bei der Nutzen-Risiko-Abwägung liege, d.h. das Ermessen nicht ausgeübt oder überschritten wäre, gesetzlichen Bestimmungen widerspräche oder gegen Denkgesetze und anerkannte Erfahrungssätze verstieße (OLG Koblenz ebd).
129
2.1.2 Nicht verfangen kann die Berufungsrüge, wonach das Ersturteil sich mit dem CHMP-Zulassungsgutachten vom 16.9.2022 (Bewertungsbericht K 46) nicht ausreichend auseinandersetze.
130
Nach dem Berufungsvorbringen soll es auf diesen Bericht schon aus zeitlichen Gründen nicht ankommen. Dass die Standardzulassung im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Impfungen noch nicht erteilt war, ist allerdings in diesem Zusammenhang relevanzlos, da die Frage hier lautete, ob nach der vorläufigen Zulassung Umstände aufgetreten sind, die diese in Frage zu stellen geeignet waren, was angesichts der Standardzulassung und den ihr vorausgegangenen Erhebungen fern lag.
131
In diesem Sinne wird die Standardzulassung nicht dadurch entwertet, dass sie lediglich auf Daten bis April 2022 (statt bis Oktober 2022) zurückgriff. Das „Datenlücke-Argument“ der Berufungsbegründung verkennt, dass der zur Standardzulassung abgefasste Bewertungsbericht lediglich den Zeitraum für die Verlängerung der Marktzulassung bewertet, der sich ausweislich Seite 4 des Berichts auf den genannten Zeitraum vom 30.4.2021 bis zum 29.4. 2022 erstreckt (OLG Koblenz, a.a.O.). Darüber hinaus gehende Daten waren für diesen Verlängerungszeitraum mithin nicht relevant.
132
Die in K 46 (Seite 33) behauptete Wirksamkeit (“95%“) ist nicht etwa deshalb methodisch falsch gemessen, weil die Messung erst sieben Tage nach der letzten Impfung beginnt: Um einen „vulnerablen Zeitraum zwischen der ersten Impfung und der Entwicklung des vollen Impfschutzes“ geht es vorliegend nicht, da von den drei streitgegenständlichen Impfungen zwei (= die erste und die zweite) nach der Logik der Berufungsbegründung ja miteinander die Beschwerden heraufbeschworen haben sollten.
133
Indem die Berufungsbegründung von einem „vulnerablen Zeitraum“ spricht, scheint sie eine Zeitspanne von ein bis zwei Wochen nach der betreffenden Impfung zu meinen und kritisieren zu wollen, dass die Beobachtungen (zum Nutzen und zu Nebenwirkungen) erst nach diesen 7 oder 14 Tagen einsetzen. Sie teilt allerdings nirgends mit, was daran falsch sein soll und welchen anderen Zeitraum zwischen der Verabreichung des Impfstoffs und dem Moment, in dem der Körper des Impflings eine Immunantwort auf diesen Impfstoff ausgebildet haben wird, man stattdessen richtigerweise bei Beobachtungen einhalten sollte. Die Vorstellung, als ob ein Impfstoff „sofort“ zu wirken hätte, sobald die Spritze verabreicht wäre, entspräche nicht der Lebenserfahrung.
134
Methodisch überzeugend (und entgegen der Berufungsbegründung nicht falsch, sondern einzig seriös) ist, es als Infektionen nur solche anzusehen, bei denen ein positiver PCR-Test vorliegt und Infektionen nicht schon dann als Covid-19 zu etikettieren, wenn ein bloßer „symptomatischer Covid-19-Verdachtsfall“ vorliegt.
135
2.1.3 Auffällig ist aber, dass selbst nach der Berufungsbegründung innerhalb der Gruppe unbestätigter Verdachtsfälle noch ein Nutzen feststellbar wäre, wie der Kläger, gestützt auf eine andere Untersuchung (FDA Briefing Document vom 10.12.2020, dort S. 42) vorbringt:
136
Laut dem Kläger wurden dort bloß vermutete (= unbestätigte) Covid-19-Erkrankungen einbezogen und legt die Studie auf dieser (per se nicht validen) Grundlage in der Gruppe Unbestätigter eine Impfwirksamkeit von immerhin 12% nahe (BB S. 40), sobald man in dieser Gruppe die Geimpften mit denjenigen verglich, die bloß ein Placebo erhalten hatten. Dieses „magere“ Ergebnis (“12% Wirksamkeit“ laut FCA Briefing Document 10.12.2020) kann indes schon deshalb keinen Berufungseinwand tragen, weil die Berufungsbegründung (Seite 37) die Studie selbst als methodisch fragwürdig kritisiert (Stichwort: „nicht doppelt verblindet“, „Placebo-Empfänger zu früh im Bilde“) und damit unterstreicht, dass das Landgericht sie keinesfalls als valide annehmen musste.
137
2.1.4 Beanstandungsfrei stützt sich das Ersturteil (auch) auf die weitere Zulassung (B 8) vom 30.8.2023.
138
Gerade wenn diese „keine neuen überprüfbaren Erkenntnisse“ gegenüber K 46 enthalten hat, bedeutete das nämlich, dass das den bisherigen Zulassungen zugrunde gelegte Nutzen-Risiko-Verhältnis unverändert positiv war. Dass die weitere Zulassung sich auf einen angepassten Impfstoff bezog, den der Kläger nie erhielt, ist für diesen Befund ohne Belang.
139
Die weitere Zulassung „bestätigt“ durchaus, dass die Standardzulassung und die ihr vorausgegangene vorläufige Zulassung jeweils auf Nutzen-Risiko-Abwägungen beruhten, die auch später noch für richtig erachtet wurden, nämlich als es galt, auf der Basis des standardzugelassenen Impfstoffs einen solchen zu entwickeln und zuzulassen, der auf eine Mutation des Erregers abgestimmt war.
140
2.1.5 Nach alledem hat das Landgericht überzeugend auf die Tatbestandswirkung der vorläufigen Zulassung, die im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Impfung bestand, abgestellt und aus späteren Umständen keine nachträglichen Zweifel an dem damals erwarteten Nutzen-Risiko-Verhältnis hergeleitet.
141
Auf die Zweifel des Klägers, ob die „Prüfung durch die Behörden“ im Zusammenhang mit u.a. dieser vorläufigen Zulassung sowie den weiteren Zulassungen „ordnungsgemäß abgelaufen“ sei, geht das Ersturteil (LGU S. 20 ff) ein, erachtet diese aber in überzeugender Weise für nicht durchgreifend.
142
2.2 Zutreffend bejaht das Landgericht einen Nutzen der streitgegenständlichen Impfung.
143
Das gilt sogar unabhängig von der Frage einer Tatbestandswirkung der Zulassungsentscheidungen.
144
Dass die Impfung – jedenfalls bezogen auf die Allgemeinheit – vor einem besonders schweren Verlauf der Krankheit schützt, entspricht allgemeiner Auffassung und wird auch belegt durch die Untersuchung, die der Kläger erstinstanzlich als K 77 vorgelegt hat, nämlich eine israelische Studie vom 9.12.2021 (dort namentlich Seite 9/10), aus der hervorgeht, dass in der geimpften Gruppe relevant weniger schwere Verläufe auftraten. Der Nutzen wurde und wird nicht (ausschließlich) in der Verhinderung einer Reaktion auf das Virus gesehen, sondern in der nachhaltigen Abmilderung dieser Reaktion. Bei geringer Infektionsintensität vermeidet der Impfstoff so äußerlich die Infektion und bei einer schweren Infektion verhindert und mildert er schwere Verläufe bis hin zum Tod (OLG Koblenz ebd.).
145
2.2.1 Relevanzlos ist, ob der Bewertungsbericht zur Standardzulassung (K 46) diesen Effekt postulierte und inwieweit sie sich überhaupt zu dem Nutzen noch verhielt:
146
Das Nutzen-Risiko-Verhältnis war nämlich bereits in einem (ersten) „Bewertungsbericht EMA 707383/2020 in der Korrekturfassung vom 19.2.2021“, d.h. vor der bedingten Zulassung des Impfstoffs am 21.12.2020, ausführlich erörtert und als positiv bewertet worden.
147
Änderte sich die Betrachtung und Bewertung des Nutzens im Hinblick auf die Gesamtheit der Betroffenen und im Hinblick auf einzelne betrachtete Risikogruppen im Ergebnis zum Ausgangsbericht nicht, so bedurfte es im Bewertungsbericht vom 15.9.2022 (K 46) dazu auch keiner weiteren Ausführungen. Zu betrachten waren dann dort nur neu hinzukommende Risiken und die Entwicklung zuvor bereits erkannter Risiken sowie das Verhältnis zwischen dem unverändert bewerteten Nutzen und den neu oder erstmals zu bewertenden Risiken. Dies führte im vorliegenden Fall zu der fortbestehen positiven Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses.
148
2.2.2 Soweit der nochmals spätere Bewertungsbericht vom 30.8.2023 (B 8) den Akzent nicht auf besonders schwere Verläufe legt, sondern [an einer Stelle, die sich mit der Entstehungsgeschichte beschäftigt (Seite 4) ] von der seinerzeit bezweckten „Vorbeugung“ spricht, entwertet das nicht die These vom Schutz vor schwerer Erkrankung und vom unverändert positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis (Seite 27/28).
149
2.2.3 Dass die EMA in einem „Interessenkonflikt“ stünde, kann die Berufungsbegründung nicht daraus herleiten, dass die Kommission im Vertrag mit „dem Impfstoffhersteller“ ausdrücklich „anerkannt“ hätte, dass dessen Bemühungen, einen Impfstoff zu entwickeln und herzustellen, ihrer Art nach anspruchsvoll (oder „ehrgeizig“) wären und „bedeutende Risiken und Unsicherheiten“ bärgen, und mit Blick darauf vor dem Hintergrund, dass Langzeitstudien fehlten, einen Haftungsausschluss zugestanden hätte.
150
Es begründet keinen Interessenkonflikt der Behörden, wenn der Kläger der Ansicht ist, ohne Langzeitstudien hätte man den Impfstoff nicht vorläufig zulassen dürfen, sondern – wie sonst üblich – viele Jahre damit warten sollen. Die Entscheidung zwischen Entwicklungssicherheit und Schnelligkeit (Stichwort: „Epidemie und Kollaps der Gesundheitssysteme“) begründet keinen „Interessenkonflikt“, sondern stellt einen Zielkonflikt dar. Den haben die Behörden vertretbar entschieden, wie sich insbesondere nachträglich zeigt.
151
Die – notwendigerweise – fehlenden Langzeiterfahrungen bedeuteten selbstverständlich ein besonders hohes Risiko, das aber überwogen wurde durch den Nutzen, namentlich für die Allgemeinheit.
152
Die Symptome des Klägers mögen – ihr Beruhen auf Vorerkrankungen probehalber hinweg gedacht – teilweise als „typische Langzeitfolgen“ entweder einer Impfung oder der vom Kläger durchgemachten Covid-Infektion verständlich sein. Das führt indessen nicht zum Erfolg der Berufung.
153
2.2.4 Davon abgesehen kann die Haftungsübernahme seitens der Mitgliedstaaten auch nicht als Indiz dafür gesehen werden, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis als negativ gesehen worden wäre:
154
Dass die Entwicklung als „anspruchsvoll“ oder „ehrgeizig“ besonders „anerkannt“ wurde, versteht sich bereits vor dem Hintergrund, dass ex ante denkbar erschien, der Impfstoff könnte hernach möglicherweise aufgrund von Unwägbarkeiten „in den Bereichen Forschung, Entwicklung und Herstellung aufgrund von technischen, klinischen, behördlichen oder Herstellungs-, Versand-, Lager- oder sonstigen Problemen oder Fehlern“ nicht zugelassen werden – weshalb die Entwicklung ein wirtschaftliches Risiko für den Hersteller war.
155
Zudem hatte zu dem Zeitpunkt der Erstellung des Vertrags im Juni 2020 eine umfassende Überprüfung des Impfstoffs noch nicht stattgefunden, so dass auch aus diesem Grund mit der von der Klägerin zitierten Wendung kein Zugeständnis eines die Nutzen überwiegenden Risikos des Impfstoffs abgegeben werden sollte (OLG Koblenz, a.a.O.).
156
Entgegen der Berufungsbegründung taugt der Haftungsausschluss (als Haftungsübernahme der EU-Mitgliedsstaaten) auch sonst nicht als Indiz für die Annahme des Klägers, die Beklagte habe in diesem Zeitpunkt „erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit und Ungefährlichkeit des eigenen Impfstoffes gehabt“:
157
Er beruht ersichtlich auf der Besonderheit, dass die Risiken weniger gut einschätzbar waren als es der Fall gewesen wäre, wenn man Jahre Zeit gehabt hätte, um „in Ruhe“ einen Impfstoff zu entwickeln und zu erproben.
158
2.2.5 Die Kommission mag unter „Zeitdruck“ gestanden haben. Dieser wurde aber im wesentlichen durch die pandemische Lage und den drohenden und in Teilen des Unionsgebiets bereits eingetretenen Kollaps der Gesundheitssysteme verursacht.
159
Kein nennenswerter Beitrag zum Zeitdruck kann darin gesehen werden, dass der Vertrag mit der Beklagten eine Frist für die Zulassungserteilung enthielt, bei deren erfolglosem Ablauf die Beklagte (und nicht nur sie) hätte kündigen können. Im übrigen ist der Zeitdruck kein Indiz dafür, dass eine Entscheidung damals oder nachträglich falsch gewesen sein müsste. Zeitdruck lässt nicht auf ein negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis schließen.
160
Zudem kann nicht festgestellt werden, dass in dem Vertrag überhaupt Druck auf die Kommission aufgebaut worden wäre, um möglichst schnell eine Zulassung des Impfstoffs zu erwirken: Zum einen brauchte die Kommission die Zulassung des Impfstoffs nicht bei einem Dritten zu erwirken, sondern konnte hierüber selbst entscheiden. Zum anderen kann bei der Kündigungsregelung eine zeitliche Drucksituation nicht erkannt werden, zumal die Regelung eine Kündigungsmöglichkeit auch für die Kommission vorsah, wenn die Zulassung nicht bis zum 15.08.2021 – mithin rund 14 Monate nach Erstellung des Vertrags – hätte erteilt werden können. Angesichts der bereits am 21.12.2020 erteilten bedingten Zulassung ist nicht ersichtlich, dass die Regelung einer Kündigungsmöglichkeit ab dem 15.8.2021 zeitlichen Druck auf die Kommission ausgeübt haben könnte (OLG Koblenz, a.a.O.).
161
2.2.6 Keinen Erfolg kann die Berufung haben, soweit der Kläger meint, der Senat müsste Sachverständigenbeweis zum Nutzen-Risiko-Verhältnis auch deshalb erheben, weil ein Fachartikel von McKernan et al. (K 63) Erkenntnisse aufgezeigt habe:
162
Der Kläger versteht McKernan et al. dahin, dass der vertriebene Impfstoff nicht in allen Stücken dem geprüften entspräche (K 63), sondern DNA-Rückstände enthielte, Membranschäden verursachen könnte (C 3) und in irgendeinem Umfang verunreinigt wäre (K 42 S. 31, Ziffer 2.2.4), während das PEI die Reinheit nur visuell kontrollierte (C 4).
163
Der Kläger referiert sodann bereits selbst, dass das PEI (PEI) auf den kritischen Artikel von McKernan et al. (K 63) u.a. mit dem Gegeneinwand eingegangen sei, dass die DNA-Rückstände keinen Zusammenhang mit Nebenwirkungen hätten.
164
Der Vortrag des Klägers zur Verunreinigung des Impfstoffs mit Fremd-DNA stellt das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis nicht in Frage:
165
Der Kläger legt nicht dar, welche Auswirkungen die behauptete Verunreinigung des Impfstoffs mit Fremd-DNA auf die Gesundheit der Impflinge gehabt haben soll.
166
Offen bleiben kann, ob der Kläger zum Thema „Verunreinigung des Impfstoffs“ auch die von ihm angesprochenen Spikeproteine rechnet, die in den Impfstoffen enthalten sind und ebenso Gefäßschäden verursachen können, wie es die Spikeproteine des Erregers bei einer Covid-19-Infektion tun: Der Kläger behauptet ja nicht, einen Gefäßschaden durch die Impfung erlitten zu haben.
167
Auch dass die bei der streitgegenständlichen Impfung verwendete Charge des Impfstoffs mit Fremd-DNA verunreinigt gewesen wäre, behauptet der Kläger nicht; dafür gäbe es auch keinen Anhaltspunkt.
168
2.2.7 Soweit die Berufungsbegründung stichwortartig auf einen Bericht von Frau Prof. Dr. K. und anderen zu sprechen kommt, der auf einen Beitrag des Senders MDR vom 12.12. 2023 Bezug nimmt, und selbst schon schildert, dass der Sender diesen aus seiner Mediathek gelöscht hat, weil er journalistischen Standards nicht entsprochen hatte, liegt hierin kein Anhaltspunkt für ein verunreinigungsbedingt negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis:
169
Der Sender hat den Beitrag vom 12.12.2023 als falsch widerrufen. Anhaltspunkte dahin, dass gerade der Kläger eine mit Fremd-DNA verunreinigte Impfdosis erhalten hätte, gibt es daher ebensowenig wie dafür, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs chargenabhängig unterschiedlich zu bewerten wäre.
170
Ob die Untersuchungen der die Verunreinigung beschreibenden Frau Prof. Dr. K. den wissenschaftlichen Standards entsprachen, auf die das PEI in seinen Gegeneinwänden hinweist, bleibt offen. Die behördliche Entscheidung im Sinne eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses lässt sich so nicht in Frage stellen.
171
2.2.8 Keinen Erfolg hat auch der in der Berufung erhobene Angriff, dass die Beklagte den Impfstoff in zwei unterschiedlichen Verfahren herstelle („process 1“ für die klinische Prüfung ./. „process 2“ für den Markt), die sich darin unterschieden, woher die verwendete DNA stamme, die als Vorlage für die enzymatische In-vitro-Herstellung der mRNA diene. Der Kläger kritisiert, die Bevölkerung werde „praktisch ausschließlich“ (BB S. 20) mit Impfstoff des „process 2“ geimpft, obwohl lediglich der Impfstoff des „process 1“ durch die Europäische Arzneimittelagentur geprüft werde.
172
Dies ist indessen kein Argument gegen eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz des Impfstoffs:
173
Der vom Kläger erwähnte „Assessment Report“ der EMA vom 19.2.2020 (BB S. 31) ist, soweit ersichtlich, nicht vorgelegt, jedoch aus einem anderen Verfahren derselben Klägervertreter (14 U 2313/24, dort „K 42“ und „K 41“) senatsbekannt: Er spricht die unterschiedlichen Verfahren offen an und befindet nach einer eingehenderen Analyse insbesondere der „Quellen“ (14 U 2313/24 „K 41“ S. 27 ff, gestempelt als „K 41“): Die „Vergleichbarkeit dieser Verfahren“ beruhe „auf dem Nachweis vergleichbarer biologischer, chemischer und physikalischer Eigenschaften des Wirkstoffs und des Endprodukts“. Daraus geht in keiner Weise hervor, dass die beiden unterschiedlichen Herstellungsprozesse Bedenken begegneten.
174
Der genannte Assessment-Report, deutsch „Bewertungsbericht“ besagt gegen Ende unter der Überschrift „Entwicklung von Herstellungsverfahren“:
„Es wurde eine Sicherheitsrisikobewertung für potenzielle prozessbedingte Verunreinigungen im Wirkstoffprozess im Hinblick auf die Patientensicherheit durchgeführt. Die Quellen der Verunreinigungen werden ausreichend berücksichtigt. Die Strategie zur Bewertung des Sicherheitsrisikos umfasst den Vergleich der theoretisch ungünstigsten Konzentration von Verunreinigungen – unter der Annahme, dass diese nicht entfernt werden – mit den berechneten Schwellenwerten für Sicherheitsbedenken. Die Worst-Case-Werte der Restrohstoffe und Reagenzien aus dem Herstellungsprozess des BNT162b2-Wirkstoffs wurden so berechnet, dass sie deutlich unter den vorgegebenen Sicherheitsgrenzen liegen. Dies wird als akzeptabel angesehen.“
175
Trotz der bekannten unterschiedlichen Herstellungsprozesse und der Verunreinigungen kam der CHMP zu dem Ergebnis, die bedingte Zulassung des streitgegenständlichen Impfstoffs wegen seines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses zu empfehlen.
176
Diese Schlussfolgerung wird nicht dadurch zweifelhaft, dass der Kläger (BB S. 20) auf den Artikel von McKernan et al. (“Sequencing of bivalent Moderna and Pfizer mRNA vaccines reveals nanogram to microgram quantities of expression vector dsDNA per dose“) über die hohe Konzentration von DNA in einigen Impfdosen Bezug nimmt. Dieser Artikel soll (BB S. 20) als Anlage „K 63“ erstinstanzlich eingeführt sein, während K 63 der von der Europäischen Kommission erstellte Text des „Advance Purchase Agreeement“ mit dem Hersteller ist. Gemeint ist in der Berufungsbegründung „K 62“ (vgl. BB S. 21).
177
Die Autoren selbst (McKernan et al K 62 Seite 14) schränken die Aussagekraft ihrer Studie ein, weil die Herkunft der untersuchten Impfstofffläschchen unbekannt sei, da diese Fläschchen ihnen anonym per Post zugesandt worden seien; die Fläschchen seien auch ohne Kühlakkus angekommen, es sei aber bekannt, dass RNA schneller abgebaut werde als DNA, und es sei möglich, dass eine schlechte Lagerung zu einem schnelleren Abbau von RNA als DNA führe; außerdem sei bei allen Impfstoffen das auf dem Fläschchen angegebene Verfallsdatum überschritten gewesen, „was darauf hindeutet, dass weitere Arbeiten erforderlich sind, um die DNA-zu-RNAVerhältnisse in frischen Chargen zu verstehen“.
178
Hier setzt auch die von der Berufungsbegründung (BB S. 21/23) bereits angesprochene Gegenkritik des PEI s an, das an den „häufig zitierten Preprint-Veröffentlichungen von McKernan et al. (April 2023) und Speicher et al. (Oktober 2023)“ beanstandete, es fehlten „ausreichende Angaben, ob die genannten Bedingungen eingehalten wurden, sowie Angaben zur Nachvollziehbarkeit der gewählten Methodik“ (OLG Koblenz ebd).
179
2.3 Das Landgericht unterschätzt auch nicht die Nebenwirkungen.
180
Auch bei der Beurteilung des Risikos bleiben die Betrachtungen des Landgerichts richtig, und zwar selbst dann, wenn man – anders als das Landgericht – den Zulassungsentscheidungen keine Tatbestandswirkung zuschreibt.
181
2.3.1 Das Landgericht sieht bei der Betrachtung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses (LGU S. 19/20. S. 30) als Prämisse an, dass bloße Verdachtsfälle nicht mit tatsächlichen Nebenwirkungen gleichzusetzen sind. Diese Prämisse ist richtig.
182
Hingegen scheint die Berufungsbegründung zu meinen, das Landgericht hätte diese Prämisse beiseiteschieben sollen mit der [aus der Luft gegriffenen] Begründung, Ärzte und Patienten hätten viel zu selten Verdachtsmeldungen erstattet (BB S. 16), und man müsse „die üblichen Dunkelziffern“ hinzurechnen.
183
Dem ist nicht zu folgen. Die „Hinzurechnung“ irgendwelcher „Dunkelziffern“ wäre nämlich gleichbedeutend damit, bloße Verdachtsmeldungen ausreichen zu lassen.
184
In die Bewertung der Risiken eines Impfstoffs im Verhältnis zu seinem Nutzen können vielmehr allein diejenigen Nebenwirkungen einbezogen werden, die den Zulassungsbehörden über eine Meldung bekannt werden.
185
Bei der behördlichen Entscheidung über die Zulassung eines Impfstoffs verbietet sich jede Spekulation über lediglich potentielle Nebenwirkungen, deren Schwere und deren Anzahl. Daher muss die vom Kläger reklamierte „Dunkelziffer“ an unerwünschten Nebenwirkungen bei der Entscheidung über die Zulassung außer Betracht bleiben. Ansonsten wäre einer manipulativen Bewertung Tür und Tor geöffnet (OLG Koblenz, a.a.O.).
186
2.3.2 Dass noch nicht sämtliche Nebenwirkungen erforscht seien (BB S. 33), ermöglicht nicht die vom Kläger angestrebte Folgerung, dass die Risiken – bei gebotener Gesamtbetrachtung aller seltenen oder häufigen Nebenwirkungen (BB S. 32) – unvertretbar wären (BB S. 33).
187
Wenn die jetzt behaupteten gesundheitlichen Beschwerden des Klägers im Zeitpunkt der Zulassung „ganz offensichtlich nicht bekannt“ gewesen sind (BB S. 33), bedeutet das nicht, dass sie durch die Impfung hervorgerufen sind.
188
Es kann daher nicht kurzerhand postuliert werden, dass die Zulassung zu versagen gewesen wäre, wenn die Behörde diese Beschwerden des Klägers gekannt hätte. Das gilt auch für sonstige Beschwerden, die unter dem vorläufigen Sammelbegriff „PostVac-Syndrom“ benannt werden.
189
2.3.3 Die in K 51 (“5.3.6 Cumulative Analysis of post-authorization adverse event Reports of PF-07302048 (BNT162B2) received through 28-FEB-2021“) analysierten Nebenwirkungen mögen vielfältig und für den Betroffenen auch „verheerend“ sein (BB S. 33).
190
Mit dem Hinweis hierauf stellt die Berufungsbegründung aber zum einen keinen Bezug zu den Gesundheitsbeschwerden des Klägers her, zum anderen verfehlt sie den kollektiven Fokus des Nutzen-Risiko-Verhältnisses:
191
Die ermittelten Risiken und der nachgewiesene Nutzen müssen gegeneinander abgewogen werden. Nach § 4 Abs. 28 AMG umfasst das Nutzen-Risiko-Verhältnis „eine Bewertung der positiven therapeutischen Wirkungen des Arzneimittels im Verhältnis zu dem Risiko nach Absatz 27 Buchstabe a“, welches sich definiert als „jedes Risiko im Zusammenhang mit der Qualität, Sicherheit oder Wirksamkeit des Arzneimittels für die Gesundheit der Patienten oder die öffentliche Gesundheit“. Dabei gilt: Je besser der therapeutische Nutzen und je schwerwiegender die Erkrankung ohne Impfung, desto eher können auch gravierende schädliche Wirkungen akzeptiert werden (OLG Koblenz, a.a.O.).
192
Das heißt: Risiken für den Einzelnen lassen sich nicht gänzlich ausschließen und werden hingenommen, wenn der Nutzen bezogen auf die Gesamtheit der potentiellen Anwender in der Verhältnismäßigkeitsabwägung höher ausfällt. Das Landgericht hatte daher keinen Anlass, auf K 51 näher einzugehen.
193
2.3.4 Nicht nachzugehen brauchte das Landgericht der Behauptung des Klägers, das Spike-Protein (nicht nur des Erregers, sondern auch) des Impfstoffes wirke toxisch (K 59, K 60):
194
Der Kläger entnimmt diese Aussage den Darstellungen von Fachleuten – in den auf englisch verfassten Artikeln „Toxicity of SARS-CoV 2 Spike Protein from the Virus and Produced from COVID-19 mRNA or Adenoviral DNA Vaccines“ (K 59) und „'Spikeopathy':- COVID-19 Spike Protein Is Pathogenic, from Both Virus and Vaccine mRNA (K 60).
195
Im einzelnen gilt hierzu:
196
Nicht verfangen kann es, soweit die Berufungsbegründung behauptet, das Landgericht habe im Ersturteil auf Seite 29 die Thesen aus K 59 und K 60 als „nicht erwiesen“ bezeichnet.
197
Eine solche Aussage steht so schon nicht im Ersturteil; hier liegt wohl eine Verwechselung mit einem anderen Verfahren vor.
198
Auch im Begründungszusammenhang des Landgerichts ging es nirgends darum, dass die Toxizitäts-These „nicht erwiesen“ sei. Das Landgericht war auch nicht gehalten, zu der Toxititäts-These Sachverständigenbeweis anzuordnen.
199
Vielmehr verdeutlicht das im hiesigen Berufungsverfahren angegriffene Ersturteil (LGU S. 29) dass das Landgericht „keine hinreichenden Anhaltspunkte“ für die Annahme sieht, die europäischen Behörden hätten bei ihren fortlaufenden Prüfungen Tatsachen unbeachtet gelassen, bei deren Beachtung sie zu einer negativen Nutzen-Risiko-Relation hätten kommen müssen.
200
Damit ist mit Blick auf die Toxizitäts-These lediglich ausgesagt, dass die Meinungen in den Aufsätzen K 59 und K 60 solche Anhaltspunkte nicht liefern. Das tun sie auch nicht:
201
(1) Der Aufsatz K 59 legt die spezifischen Gefahren des Spike-Proteins bei einer Covid-Infektion dar (Stichwort: „Zytokoin-Sturm“) und sieht ein ähnliches Gefahrenpotenzial im Grundsatz auch bei das Spike-Proteinen in Impfstoffen. Er fordert weitere Beobachtung und Forschung, postuliert aber nirgends, dass die Impfung wegen eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses unterbleiben müsse.
202
(2) Der Aufsatz K 60 ist 2023 veröffentlicht und postuliert, „dass Kliniker in allen Bereichen der Medizin auf die verschiedenen möglichen Erscheinungsformen von COVID-19-impfstoffbedingten Erkrankungen, sowohl akuter als auch chronischer Art, und auf die Verschlimmerung bereits bestehender Erkrankungen achten müssen“ – was in den Augen des Senats allseitigem Verständnis entspricht.
203
Die Autoren „plädieren auch für die Aussetzung von COVID-19-Impfstoffen auf Genbasis und Lipid-Nanopartikel-Trägermatrizen sowie von anderen Impfstoffen, die auf mRNA- oder Virus-Vektor-DNA-Technologie basieren“ (K 60 S. 40) Das begründen sie damit, dass zwischenzeitlich (2023) ein „sicherer Weg“ zur Verfügung stehe, nämlich „die Verwendung von Impfstoffen mit erprobten rekombinanten Protein-, abgeschwächten oder inaktivierten Virus-Technologien“: Von denen gebe es „inzwischen viele für die Impfung gegen SARS-CoV-2“.
204
Für die Annahme, dass im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Impfung bessere Impfstoffe zur Verfügung gestanden hätten als das dem Kläger verabreichte Präparat, liefert der Beitrag keine Anhaltspunkte, ebensowenig für die Annahme, die streitgegenständliche Impfung hätte wegen eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses unterbleiben müssen.
205
2.3.5 Gleiches gilt, soweit die Berufungsbegründung (BB S. 37) insinuiert, das Landgericht habe Artikel nicht erörtert, sondern damit abgetan, dass sie aus Online-Magazinen stammen.
206
Das Ersturteil enthält bereits keine solche Erwägung; das Wort „online-Magazin“ kommt im hier angegriffenen Ersturteil nicht vor. Der Berufungsangriff scheint auch hier einer Verwechslung mit einem anderen Verfahren aufgesessen zu sein.
207
Im übrigen gilt auch hier:
208
Das Landgericht führt lediglich aus, es sehe keine Anhaltspunkte dafür, dass die europäischen Behörden bei ihren fortlaufenden Prüfungen Tatsachen unbeachtet gelassen hätten, bei deren Beachtung sie zu einer negativen Nutzen-Risiko-Relation hätten kommen müssen. Berichte einzelner (z.B. eines Hausarztes, hier Dr. ... ) über ihre – notwendig ausschnitthaften – Erfahrungen änderten hieran nichts.
209
2.3.6 Die Berufungsbegründung vermag aus der Erwägung, dass die Langzeitfolgen noch nicht abschließend bewertet werden können, nicht schlüssig herzuleiten, warum es deshalb falsch sein soll, zur Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses die nachgewiesenen Impfschäden (und nur diese) zu beobachten und in absoluten Zahlen mit der Anzahl der Impfungen zu vergleichen.
210
2.4 Soweit der Kläger (BB s. 43) eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 1 lit a AEUV anregt, ist dem nicht zu folgen:
211
Die vom Kläger vorgeschlagene „Vorlagefrage“ (BB S. 44) „ob die Beurteilung des Nutzen-Risikos ermessensfehlerfrei ist und keine ermessensfremden Erwägungen miteinbezogen wurden“ und „ob eine Vereinbarkeit mit der europäischen Verordnung (RG) 726/2004 und der Grundrechtecharta vorliegt“, betrifft weder die Auslegung der Verträge (Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV) noch die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union (vgl. Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV). Die Gültigkeit der Zulassungsentscheidung besteht mangels Widerrufs (Art. 20a Verordnung (EG) 726/2004) unverändert fort (OLG Koblenz ebd).
212
Das Nutzen-Risiko-Verhältnis ist Tatfrage, was jedoch entgegen der Berufungsbegründung nicht bedeutet, dass dazu ein Sachverständigengutachten nötig wäre.
213
2.5 Vielmehr ist das Landgericht zutreffend – und unabhängig von der Frage einer Tatbestandswirkung der Zulassungsentscheidungen – zu der Annahme gelangt, dass die Bewertungen der Expertengremien (gleichsam als antizipierte Sachverständigengutachten) die Wertung eines positiven Nutzen-Risiko-Verhältnisses tragen (OLG Koblenz, a.a.O.):
214
2.5.1 Dem Durchführungsbeschluss der EU-Kommission vom 10.10.2022 lag die Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) vom 15.9.2022 zugrunde.
215
Aus ihr geht hervor, dass der Beklagten seit der bedingten Marktzulassung des streitgegenständlichen Impfstoffs am 21.12.2020 verschiedene „Spezifische Verpflichtungen“ (abgekürzt: „SV“) auferlegt worden waren (vgl. Art. 14-a Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004). Diese werden in dem Bericht des CHMP ausführlich dargestellt.
216
Der Ausschuss hält dazu fest, dass zu sämtlichen Spezifischen Verpflichtungen neue Daten fristgerecht und als annehmbar zur Erfüllung der Verpflichtungen vorgelegt worden seien. Die allgemeine Schlussfolgerung zu den Spezifischen Verpflichtungen (Ziffer 2.3 des Berichts = K 46 S.14) lautet:
„(…) Das klinische Unbedenklichkeitsprofil sowie die Wirksamkeit dieses Produkts werden als umfassend charakterisiert und unterstützen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis. (…)“
217
Unter Ziffer 6.2 (K 46 S. 32) führt der CHMP zum Nutzen-Risiko-Verhältnis aus, dass die neuen Daten keinen Einfluss auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs in der zugelassenen Indikation hätten, sondern vielmehr das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis in der zugelassenen Indikation bestätigten. Weiter steht in dem Bericht (K 46 S. 34):
„Unsicherheiten und Einschränkungen in Bezug auf ungünstige Auswirkungen:
Die Unsicherheiten und Einschränkungen ungünstiger Auswirkungen wurden bereits in weiteren Verfahren erörtert. Die Hauptunsicherheiten betreffen die langfristigen Auswirkungen und die Auswirkungen bei bestimmten Risikogruppen.
Nutzen-Risiko-Bewertung und Erörterung:
Die Vorteile von Comirnaty in Bezug auf den Schutz vor COVID-19 überwiegen eindeutig die ermittelten Risiken, und während dieses Verlängerungszeitraums wurden keine neuen Informationen bekannt, die das Verhältnis verändert hätten. Sämtliche qualitätsbezogenen SV gelten als erfüllt (…).
Bedeutung von günstigen und ungünstigen Auswirkungen:
Nicht zutreffend.
Nutzen-Risiko-Verhältnis:
Auf der Grundlage des kumulativen Nachweises für günstige und ungünstige Auswirkungen bleibt das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Comirnaty positiv.“
218
Unter Ziffer 7 (K 46 Seite 35) empfiehlt der CHMP sodann Folgendes:
„7. Empfehlungen
Auf der Grundlage der Überprüfung der verfügbaren Informationen über den Stand der Erfüllung der spezifischen Verpflichtungen ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis für Comirnaty in der zugelassenen Indikation (siehe Zusammenfassung der Produktmerkmale) weiterhin günstig. Da sämtliche spezifischen Verpflichtungen entweder erfüllt oder in Studien der Kategorie 3 des RMP umgestuft wurden, liegen keine Gründe mehr vor, die Marktzulassung an Bedingungen zu knüpfen, und der CHMP empfiehlt daher die Erteilung einer Standardgenehmigung für die Marktzulassung von Comirnaty, die keinen spezifischen Verpflichtungen unterliegt.“
219
2.5.2 Das PEI hat in einer Stellungnahme vom 10.10.2022 (B 11) mitgeteilt, dass der Ausschuss für Humanarzneimittel bei der EMA für den Impfstoff der Beklagten und einen weiteren mRNA-Impfstoff eines anderen Herstellers die Umwandlung der bedingten Zulassung in eine unbedingte Zulassung empfohlen habe.
220
Aus den für beide Impfstoffe bestehenden Verpflichtungen, Ergebnisse aus den laufenden klinischen Prüfungen vorzulegen und zusätzliche Daten über die pharmazeutische Qualität des jeweiligen Impfstoffprodukts im Hinblick auf den geplanten enormen Produktionsanstieg zu liefern, seien umfangreiche Daten gewonnen worden. Zusätzliche Studien, einschließlich unabhängiger, von den EU-Behörden koordinierter Studien, hätten weitere Daten zu wichtigen Aspekten geliefert, z. B. dazu, wie gut die Impfstoffe schwere COVID-19-Erkrankungen verhinderten. Darüber hinaus hätten die Unternehmen alle angeforderten zusätzlichen Daten zur pharmazeutischen Qualität des jeweiligen Impfstoffprodukts vorgelegt.
221
Insgesamt seien seit der Einführung dieser Impfstoffe mit Hunderten von Millionen verabreichten Dosen umfangreiche Daten gewonnen worden. In Anbetracht der Gesamtheit der verfügbaren Daten würden die spezifischen Verpflichtungen nicht mehr als ausschlaggebend für das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfstoffprodukte angesehen werden. Damit sei der Weg frei für den Übergang von einer bedingten Zulassung zu einer Standardzulassung.
222
Den Mitteilungen des PEI s über bis zum 31.7.2023 (B 9) in Deutschland gemeldete „Verdachtsfälle von Nebenwirkungen bzw Impfkomplikationen“ ist – wenn man die ausführlichen Untersuchungen (B 9 Seite 1/27) in einem Satz zusammenfassen mag – kein valides Risikosignal zu entnehmen.
223
2.5.3 Das heißt:
224
Sowohl der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA (= CHMP) als auch das PEI gelangen auf der Basis aller bis dahin bekannten und gemeldeten Nebenwirkungen und Impfkomplikationen auf sachverständiger Ebene (dazu nachfolgend) zu dem Ergebnis, dass im Zeitpunkt der Erteilung der Standardzulassung für den streitgegenständlichen Impfstoff am 10.10.2022 das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv war.
225
Das bei der vorläufigen Zulassung erwartete positive Nutzen-Risko-Verhältnis bestätigt sich hierin.
226
Durch die am 31.8.2023 erfolgte Zulassung des auf die COVID-19-Subvariante Omikron XBB. 1.5 angepassten Impfstoffs der Beklagten durch die Europäische Kommission wurde das Nutzen-Risiko-Verhältnis erneut bestätigt. Über die Empfehlung des CHMP zur Zulassung berichtet die EMA in ihrer Meldung vom 30.8.2023 (Anlage B 8).
227
Die am 21.12.2020 erteilte bedingte Zulassung ist damit weder geändert noch ausgesetzt oder widerrufen worden (Art. 20a Verordnung (EG) 726/2004), sondern in eine unbedingte Zulassung umgewandelt worden. Auch danach ist die Verwendung des Impfstoffs nicht durch die Kommission ausgesetzt worden (Art. 20 Abs. 4 Verordnung (EG) 726/2004). Die unbedingte Zulassung vom 10.10.2022 ist bis zum heutigen Zeitpunkt ebenfalls weder geändert noch ausgesetzt oder widerrufen worden. Vielmehr hat die Europäische Kommission am 31.8.2023 auch den auf die COVID 19-Subvariante Omikron XBB. 1. 5. angepassten Corminaty-Impfstoff zugelassen.
228
2.5.4 Die Organe der EMA und das PEI sind medizinisch-pharmazeutische und damit wissenschaftliche Fachgremien (nicht: politische Gremien im Wortsinne).
229
Die Entscheidungen der Europäischen Kommission zur bedingten Zulassung des Impfstoffs am 21.12.2020 und zur unbedingten Zulassung am 10.10.2022 basieren auf Empfehlungen der EMA, die wiederum ein Gutachten zum Nutzen-Risiko-Verhältnis des Impfstoffs eingeholt hat (Art. 14-a Abs. 3, 4 und 8 Verordnung (EG) 726/2004).
230
Die Europäische Arzneimittelagentur hat nach Art. 56 Verordnung (EG) 726/2004 verschiedene Organe. Zu diesen Organen gehören (a) nach Art. 56 Abs. 1 lit. a) der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP), der die Gutachten der Agentur zu Fragen der Beurteilung von Humanarzneimitteln ausarbeitet, sowie (b) nach Art. 56 Abs. 1 lit. a) aa) der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC), der zuständig ist für Empfehlungen an den CHMP und die Koordinierungsgruppe in allen Fragen, die Pharmakovigilanz-Tätigkeiten in Bezug auf Humanarzneimittel sowie Risikomanagement-Systeme betreffen, und für die Überwachung der Effektivität dieser Risikomanagement-Systeme.
231
Der PRAC, also der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz, setzt sich gemäß Art. 61a der Verordnung (EG) 726/2004 aus Vertretern aus allen Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), wissenschaftlichen Experten, Vertretern der Heilberufe und Vertretern der Patientenorganisationen zusammen. Die Ernennung der Mitglieder und der stellvertretenden Mitglieder des Ausschusses für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz erfolgt gemäß Art. 61a Abs. 3 Satz 1 der Verordnung (EG) 726/2004 „auf der Grundlage ihres einschlägigen Fachwissens in Pharmakovigilanz-Angelegenheiten und in der Risikobeurteilung von Humanarzneimitteln, um höchste fachliche Qualifikationen und ein breites Spektrum an einschlägigem Fachwissen zu gewährleisten.“
232
Im CHMP, dem Ausschuss für Humanarzneimittel, ist gemäß Art. 61 der Verordnung – wie auch im PRAC – jeder Mitgliedsstaat mit einem mit besonderem Fachwissen ausgestatteten Mitglied vertreten. Ferner können sich die Mitglieder des Ausschusses für Humanarzneimittel gemäß Art. 61 Abs. 3 der Verordnung 726/2004 von Sachverständigen aus speziellen Bereichen von Wissenschaft oder Technik begleiten lassen.
233
Das Pendant der EMA auf Bundesebene ist das PEI (kurz: PEI; § 77 Abs. 2 AMG). Das PEI ist die in Deutschland federführend zuständige Behörde im Zusammenhang mit der Entwicklung, Zulassung, Bewertung und Überwachung der Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen. Ihm obliegt insbesondere die Erfassung und Auswertung von impfinduzierten Risiken und die Koordination gegebenenfalls zu ergreifender Maßnahmen.
234
Daneben ist das PEI eine Forschungseinrichtung, um die Expertise zur Impfstoffbeurteilung einschließlich der Beurteilung von individuell auftretenden unerwünschten Impfreaktionen zu bündeln. Geforscht wird unter anderem auf den Gebieten der Immunologie, der Virologie und der Bakteriologie. Aufgrund dieser herausgehobenen Stellung ist das PEI weltweit vernetzt und berät nationale, europäische und internationale Gremien im Zusammenhang mit Impfstoffen (OLG Koblenz ebd mwN).
235
Diese Institutionen und ihre Arbeitsebenen sind keine politischen Gremien. Ihre Empfehlungen und Entscheidungen orientieren sich nicht an politischen Interessen, auch wenn Grundlage der Einrichtung der Europäischen Arzneimittelagentur und ihrer Organe eine politische Entscheidung war, was insofern nicht verwundert, als nur dadurch eine in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union anerkannte und handlungsfähige Institution wie die EMA geschaffen werden konnte.
236
2.5.5. Die Einschätzungen zur Arzneimittelsicherheit des CHMP, des PRAC und des PEI stehen also einer sachverständigen Begutachtung gleich, da bereits die gesetzlichen Vorgaben für deren Besetzung sie als sachverständige Stellen qualifizieren: Die Institutionen vereinen die widerstreitenden wissenschaftlichen Erfahrungen, Erkenntnisse, Sichtweisen und Hypothesen in sich und lassen diese in eine umfassende Nutzen-Risiko-Bewertung einfließen.
237
Die Bewertung der Experten von CHMP und PRAC und PEI, die selbst nicht in einem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen, bildet das größtmögliche Fachwissen für die hier zu entscheidende Frage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des streitgegenständlichen Impfstoffs ab. Hiervon geht erkennbar auch das Landgericht im angegriffenen Urteil aus.
238
CHMP, PRAC und PEI vermögen den Gerichten die notwendige Fachkenntnis zu vermitteln, um die Frage des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Impfstoffs der Beklagten zu beurteilen (so im Ergebnis auch BVerwG 1 WB 2/22 = BeckRS 2022, 15743 Rn 138 ff):
239
Dass amtliche Auskünfte, wenn sie zugleich fachwissenschaftliche Informationen sind, einen Sachverständigenbeweis ersetzen oder entbehrlich machen können, ist nicht nur im Verwaltungsprozess anhand einer Gesamtwertung von § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, § 99 Abs. 1 Satz 1 sowie § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 273 Abs. 2 Nr. 2, § 358 a Satz 2 Nr. 2 ZPO anerkannt (BVerwG, a.a.O., Rn. 139; OLG Koblenz, a.a.O.), sondern gilt ebenso (Musielak/Voit/Huber/Röß ZPO § 402 Rn. 7; Anders/Gehle ZPO, § 373 Rn. 34) im Zivilprozess, was bereits deshalb einleuchtet, weil § 286 Abs. 1 ZPO die Beweiswürdigung des Gerichts nicht an das Strengbeweisverfahren bindet.
240
Der Senat macht sich die zitierten Erkenntnisse der oben aufgeführten Expertengremien daher als Grundlage des vorliegenden Berufungsverfahrens zu eigen.
241
2.5.6 Vor dem erläuterten Hintergrund des maximalen Fachwissens in den Expertengremien ist auch nicht zu erwarten, dass die Begutachtung durch einen einzelnen Virologen oder Pharmakologen als Sachverständigen im hiesigen Einzelfall zu anderen Erkenntnissen führen würde.
242
Es läge fern und wäre geradezu lebensfremd anzunehmen, ein einzelner Sachverständiger könnte über weitere Quellen, eine größere Datengrundlage und umfangreicheres Wissen verfügen als die aus jeweils mindestens 27 Personen bestehenden genannten Expertengremien. Auch deshalb war das Landgericht nicht gehalten, seinerseits einen Sachverständigen zu beauftragen (OLG Koblenz, a.a.O.).
243
Es wäre nicht ersichtlich, wie ein einzelner Sachverständiger überlegenes Wissen besitzen sollte. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich dessen Bewertung eines positiven oder negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses nicht auf den Kläger individuell zu beziehen hätte, sondern auf die Gesamtheit der potentiellen Patientengruppe innerhalb der Europäischen Union. Der Kläger meint zwar, überlegenes Wissen könne ein Gerichtsgutachter deshalb haben, weil er die weitere Entwicklung „nach Oktober 2022“ bewerten könne (BB S. 36). Das tun indessen auch die oben genannten Gremien fortlaufend im Wege der Pharmakovigilanz. Welche überlegenen Erkenntnismöglichkeiten ein Einzel-Sachverständiger hätte, seinerseits die Qualität der Pharmakovigilanz zu überprüfen, zeigt die Berufungsbegründung nicht auf.
244
2.5.7 Die richterliche Abwägung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG ist zwar nicht identisch mit der Abwägung zur prospektiven Zulassungsentscheidung der EU-Kommission, aber:
245
Erstens ist der Abwägungsvorgang jeweils im wesentlichen strukturgleich in der Gegenüberstellung von Nutzen und Risiko.
246
Zweitens stellen die durchgängig gleichlautenden Entscheidungen der oben genannten Expertengremien in Bezug auf das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis ein gewichtiges Indiz im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung (§ 25 Abs. 10 AMG) dar, ob eine ermessensfehlerhafte Bewertung auf europäischer Ebene bei der Zulassungsentscheidung vorlag – wenn man nicht schon von einer Tatbestandswirkung ausgehen will.
247
Die unstreitige Historie des Impfstoffs von seiner erstmaligen bedingten Zulassung bis zur Erteilung der Standardzulassung in der EU sowie der Zulassung des Impfstoffs für eine Virusvariante, die – auf ständig ergänzter Datengrundlage – jeweils nicht geändert, aufgehoben oder widerrufen wurden, lässt den Schluss zu, dass die nach der bedingten Zulassung bekannt gewordenen Fälle von Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Folgeschäden am Nerven- oder Herz-Kreislaufsystem, allergische Sofortreaktionen (Anaphylaxie) oder möglicherweise zum Tod führende Lungenentzündungen, wie sie etwa in dem vom Kläger herangezogenen Aufklärungsmerkblatt mit Stand 1.4.2021 (= K 24) aufgelistet sind, an der positiven Nutzen-Risiko-Abwägung der Expertengruppen nichts geändert haben. Das gilt auch für die allgemeinbekannt gewordenen spätere Aufklärungs-Merkblätter.
248
2.5.8 Relevante medizinische Anhaltspunkte, die von den genannten Expertengruppen vor der Empfehlung für die Zulassung nicht berücksichtigt worden sein sollen und die gegen ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis sprechen könnten, oder solche, die nach der Zulassung bekannt geworden sind und eine andere Zulassungsentscheidung begründet hätten, wären sie schon zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen, trägt der Kläger nicht vor:
249
2.5.8.1 Das Fehlen von Langzeitstudien war bekannt und ist in die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses durch die Ausschüsse eingeflossen. Das ergibt sich aus dem Bewertungsbericht des CHMP vom 15.9.2022 indirekt daraus, dass die Beurteilung für die unbedingte Zulassung nur rund 21 Monate nach der Erteilung der außerordentlichen (bedingten) Zulassung erfolgte.
250
Das Fehlen von Langzeitstudien ist der bedingten Zulassung eines Arzneimittels nach Art. 14-a Abs. 1 Verordnung 726/2004 zudem immanent, denn dort ist geregelt, dass „in hinreichend begründeten Fällen (…) zur Schließung medizinischer Versorgungslücken für Arzneimittel, die zur Behandlung, Vorbeugung oder ärztlichen Diagnose von zu schwerer Invalidität führenden oder lebensbedrohenden Krankheiten bestimmt sind, eine Zulassung erteilt werden [kann], ehe umfassende klinische Daten vorliegen, sofern der Nutzen der sofortigen Verfügbarkeit des betreffenden Arzneimittels auf dem Markt das Risiko überwiegt, das sich daraus ergibt, dass nach wie vor zusätzliche Daten erforderlich sind.“
251
In Satz 2 heißt es weiter:
„In Krisensituationen kann eine Zulassung solcher Arzneimittel erteilt werden, selbst wenn noch keine vollständigen vorklinischen oder pharmazeutischen Daten vorgelegt wurden.“
252
Ergänzt wird diese Regelung durch Absatz 3, wonach Zulassungen nach Art. 14-a nur erteilt werden dürfen, wenn
„das Nutzen-Risiko-Verhältnis positiv ist und der Antragsteller aller Wahrscheinlichkeit nach in der Lage ist, umfassende Daten bereitzustellen.“
253
Die von der Beklagten vorgelegten Daten aus klinischen und nicht-klinischen Studien waren für den CHMP und die EMA offensichtlich bereits zur Erfüllung der dargelegten Zulassungsvoraussetzungen für die bedingte Zulassung ausreichend, ebenso wie die Studiendaten zu den Speziellen Verpflichtungen nach der bedingten Zulassung des Impfstoffs für den CHMP hinreichend aussagekräftig waren, um den Nutzen des Impfstoffs im Verhältnis zu den bis dahin erkennbaren Nebenwirkungen einzuschätzen (siehe oben).
254
Das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis wird durch fehlende Langzeitstudien auch deshalb nicht in Frage gestellt, weil es bis heute nur bedingte Erkenntnisse betreffend Langzeitfolgen einer Covid-19-Infektion, insbesondere in Relation zu deren Schwere, gibt. Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass die Langzeitfolgen einer Erkrankung an COVID-19 weit schwerwiegender sind als die Risiken einer Impfung. Auch deshalb stellt das Fehlen von Langzeitstudien kein durchgreifendes Argument für ein den Nutzen überwiegendes Risiko des Impfstoffs dar.
255
Schließlich spricht der Umstand, dass der aus 27 Mitgliedern – einem aus jedem Mitgliedsstaat der EU – bestehende Ausschuss für Humanarzneimittel (§ 61 Abs. 1 Verordnung (EG) 726/2004) zu einem offensichtlich einstimmigen Ergebnis hinsichtlich der Nutzen-Risiko-Abwägung gekommen ist, dafür, dass kein einziges Ausschussmitglied so erhebliche Bedenken gegen den Umfang der Daten, die Aussagekraft der Studien oder die Bewertbarkeit bzw. Verwertbarkeit der Ergebnisse hatte, dass in das Gutachten ein begründetes Sondervotum aufgenommen werden musste (§ 61 Abs. 7 Satz 2 Verordnung (EG) 726/2004).
256
2.5.8.2 Der überwiegende Nutzen des streitgegenständlichen Impfstoffs ist auch nicht damit in Zweifel zu ziehen, dass dieser insoweit kein „vollständiger“ ist, als er nicht hundertprozentig vor einer Infektion mit SARS-CoV-2 oder vor einem schweren Verlauf der Erkrankung Covid-19 schützt. Beides war vor der bedingten Zulassung durch die EU-Kommission bereits bekannt und wurde von dieser hingenommen:
257
So bringt der Kläger selbst (BB S. 13) vor, dass es in dem Bericht der EMA vom 30.8.2023 (K 58) und dem vom 15.9.2022 (K 46) keine „weitergehenden Prüfungen“ gebe, sondern diese auf den ursprünglichen Bewertungsbericht für die bedingte Zulassung Bezug nahm. Allen drei Berichten gemeinsam ist sonach, dass die Behörden durchgängig von einer hohen Wirksamkeit des Impfstoffs (K 46 S. 32) ausgingen und die verbleibenden Unwägbarkeiten benannten, die mithin bereits vor Erteilung der bedingten Zulassung des Impfstoffs bekannt waren. Sie führten dennoch nicht zu der Annahme eines negativen Nutzen-Risiko-Verhältnisses, vielmehr gab der CHMP übereinstimmend die Empfehlung für die bedingte Zulassung des Impfstoffs (OLG Koblenz ebd.).
258
In dem späteren Bewertungsbericht des CHMP vom 15.9.2022 über die Verlängerung der Marktzulassung (K 46) ist ausgeführt, dass die „verbleibenden Unsicherheiten“ sich hauptsächlich auf die Anwendung bei immungeschwächten Personen, die langfristige Wirksamkeit und Unbedenklichkeit und z. B. die Wirksamkeit gegen die Übertragung bezögen (K 46 S. 33). Dementsprechend hat der CHMP in dem Bewertungsbericht festgehalten (K 46 S. 34):
„Die Vorteile von Comirnaty in Bezug auf den Schutz vor COVID-19 überwiegen eindeutig die ermittelten Risiken, und während dieses Verlängerungszeitraums wurden keine neuen Informationen bekannt, die das Verhältnis verändert hätten. Sämtliche qualitätsbezogenen SV gelten als erfüllt.“
259
Danach sind der nicht absolute Schutz und die nicht in jedem Aspekt bekannte Wirksamkeit des Impfstoffs in die Abwägung des Nutzens zu den Risiken des Impfstoffs eingeflossen und hingenommen worden. Diese Aspekte können daher nicht im Nachhinein eine andere Entscheidung rechtfertigen.
260
2.5.8.3 Dass vor der Zulassung weder Genotoxizitäts- noch Karzinogenitätsstudien durchgeführt wurden, führt ebenfalls nicht zu einem negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis.
261
Das Fehlen derartiger Studien war vor der Zulassung des Impfstoffs ebenfalls bekannt. Das ergibt sich aus dem Umkehrschluss dazu, dass der CHMP die Datenlage als qualitativ und quantitativ ausreichend bewertete, bevor er am 15.9.2022 die Zulassung empfahl (Anlage K 46).
262
Dass es im ersten Bewertungsbericht zur vorläufigen Zulassung anders gesehen worden wäre, bringt der Kläger nicht vor.
263
Im Bewertungsbericht vom 15.9.2022 (in der vom Landgericht erwähnten Korrekturfassung, vgl. LGU S. 19) wird auf Seite 88 das Fehlen von Studien zur Genotoxizität ausdrücklich als „akzeptabel“ beschrieben, da es sich bei den Bestandteilen der Impfstoffformulierung um Lipide und RNA handele, bei denen kein genotoxisches Potenzial zu erwarten sei.
264
Das gilt ausweislich des Berichts auch für fehlende Studien zur Karzinogenität (S. 98, 100).
265
Dies führte dennoch nicht zur einer negativen Nutzen-Risiko-Bewertung, sondern gleichwohl zur Empfehlung der bedingten Zulassung (K 46).
266
3. Das Landgericht verneint zutreffend eine Haftung nach § 84 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AMG:
267
Ein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter Gebrauchsinformation besteht nicht.
268
Das Berufungsvorbringen ist schon in sich kaum konsistent, denn einerseits behauptet der Kläger, die Beklagte hätte „hinreichend gesicherte Erkenntnisse“ darüber gehabt, dass die Impfung „zu den bei dem Kläger aufgetretenen Nebenwirkungen führen könne“, andererseits soll „dies wiederum“ nicht zutreffen (BB S. 38).
269
Soweit sich aus der heutigen Gebrauchsinformation (BB S. 38, K 54) und aus der „5.3.6 Cumulative Analysis …“ (K 51) und dem „Number of Case Report“ vom 16.4.2022 (K 52) Verdachtsfälle ergeben sollen, die nicht als mögliche Nebenwirkungen in der Gebrauchsinformation und den Aufklärungsbögen auftauchten (BB S. 36), ist kein Bezug zu den vom Kläger beklagten Beschwerden erkennbar (BB S. 38/39).
270
Davon zu trennen ist der Vorwurf, wonach die „Produktinformation“ – so der Kläger (LGU S. 3) ohne nähere Darstellung, auf welche Schriftstücke und Angaben er abstellt – schon damals „nicht dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse“ entsprochen hätte. Der Erkenntnishorizont kann nicht nach den späteren Ergebnissen der Pharmakovigilanz beurteilt werden, wenn der Kläger darauf hinauswill, schon damals sei man weiter gewesen. Der Kläger legt nirgends dar, welche seiner Beschwerden die Beklagte ab wann als potenzielle Nebenfolge einer Impfung erkannt gehabt hätte, die auf welcher vom Kläger gelesenen „Produktinformation“ nicht enthalten gewesen wäre.
271
Das Landgericht musste im übrigen auch nicht annehmen, dass der Kläger von einer Impfung abgesehen hätte, wenn er ausdrücklich darauf hingewiesen worden wäre, dass die Faktenlage hinsichtlich erwiesener Nebenwirkungen nicht ausreichte, um den Impfstoff als sicher zu bezeichnen – wie es die Berufungsbegründung auf Seite 40 zu fordern scheint. Ein solcher „abstrakter“ (= völlig unspezifischer) Hinweis auf die Gefahr irgendwelcher denkbarer weiterer Erkrankungen wäre ohne Aussagekraft für den Impfling gewesen – wie die Berufungsbegründung auf Seite 18 auch noch ganz richtig bemerkt.
272
Keineswegs „Spekulation“ sondern im Ersturteil sorgfältig begründet ist die Annahme des Landgerichts, dass der Kläger sich hätte impfen lassen, wenn er in dem Umfang aufgeklärt worden wäre, wie er das aus heutiger Sicht für richtig hält. Er hat sich durch schwere Herzerkrankungen nicht schrecken lassen und sich für Nebenfolgen der streitgegenständlichen Impfung derart wenig interessiert, dass er sich trotz der nach der ersten Impfung bereits aufgetretenen Beschwerden impfen ließ, ohne auch nur den Aufklärungsbogen zu lesen.
273
Sonach lediglich ergänzend ist anzumerken:
274
3.1 Die Haftung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AMG setzt – anders als nach Nr. 1, in dessen Rahmen lediglich zu prüfen ist, ob die Gesundheitsverletzung auf der unvertretbaren Wirkung des Arzneimittels beruht – eine doppelte Kausalität voraus: Die Rechtsgutverletzung muss (a) auf der Anwendung des Arzneimittels beruhen und (b) zugleich infolge der unzureichenden Arzneimittelinformation eingetreten sein.
„Arzneimittelinformation“ im Gesetzessinne kann sein:
- Kennzeichnung (§ 10 AMG),
- Gebrauchsinformation (= Packungsbeilage, § 11 AMG) oder
– Fachinformation (§ 11a AMG).
275
Auf keine bestimmte Kategorie unter diesen dreien stellt der Kläger ab, soweit er von „Produktinformation“ spricht. Die Kennzeichnung meint er ersichtlich nicht.
276
Ein Ursachenzusammenhang zwischen der fehlerhaften Information und der Gesundheitsverletzung wäre nur zu bejahen, wenn diese bei ordnungsgemäßer Information mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vermieden worden wäre (OLG Koblenz, a.a.O., m.w.N.).
277
Der Kläger hätte somit darzulegen und zu beweisen, dass der – hier unterstellte – Schaden nicht eingetreten wäre, wenn die Fach- und Gebrauchsinformation erschöpfend und zutreffend gewesen wäre (OLG Koblenz, a.a.O., m.w.N.).
278
3.2 Ein Ursachenzusammenhang zwischen der – unterstellten – fehlerhaften Fach- oder Gebrauchsinformation und den Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers scheidet im vorliegenden Fall bereits deshalb aus, weil der Kläger die Kausalität des behaupteten Informationsfehlers nicht schlüssig dargelegt hat.
279
Er hat die Gebrauchsinformation selbst nicht gelesen, jedenfalls ist dergleichen nicht vorgetragen – auch nicht, dass der Impfarzt die Fach- und/oder Gebrauchsinformation gelesen und in Kenntnis der dort aufgelisteten Risiken und in Abwägung mit den bei ihm bestehenden gesundheitlichen Gegebenheiten mit ihm das Für und Wider der Impfung erörtert hätte. Zumindest dies wäre aber im Falle einer Impfung, bei der der Patient das Arzneimittel in aller Regel nicht selbst anwendet, sondern von einem Arzt verabreicht bekommt, notwendig gewesen (OLG Koblenz ebd mwN). Die Gebrauchsinformation ist nicht der Aufklärungszettel, den der Impfling bekommt, sondern ein Text, der sich an den Fachmann (hier: den Impfarzt) wendet. Die Berufungsbegründung erkennt dies (BB S. 40) und möchte den Aufklärungsbogen (den die Beklagte nicht erstellt) kurzerhand gleichsetzen mit dem den von der Beklagten zu liefernden Texten (BB S. 40). Dem ist nicht zu folgen.
280
3.3 Auch einen Entscheidungskonflikt des Klägers musste das Landgericht nicht annehmen, d.h. diesem nicht glauben, dass er von der Impfung Abstand genommen hätte, wenn er darüber aufgeklärt worden wäre, er könne impfbedingt diejenigen Beschwerden bekommen, für die er nunmehr die erste und zweite der drei Impfungen als Ursache behauptet.
281
Denn in dem Aufklärungsmerkblatt, das der Kläger selbst zu Beweiszwecken vorgelegt hat (K 24) ist auf erhebliche Risiken hingewiesen: Gesichtslähmung, allergische Reaktionen, anaphylaktischer Schock, auf Herzerkrankungen sowie auf mögliche „bisher unbekannte“ Komplikationen. Bei der (ersten) Impfung hatte der Kläger (LGU S. 2) Gelenkschmerzen erlebt und sich nicht von der – sehr zeitigen (Protokoll Seite 9 = Blatt 334 LGA) – zweiten Impfung abhalten lassen. Nach der zweiten Impfung hatte er Schmerzen und Beschwerden, die nicht mehr abklangen (Prot. S. 10 = Blatt 335 LGA), ließ sich aber dennoch auch die dritte Impfung noch verabreichen.
282
Ein Ursachenzusammenhang zwischen einer fehlerhaften Information und der behaupteten Gesundheitsbeschädigung des Klägers wäre nur zu bejahen, wenn die Gesundheitsverletzung bei ordnungsgemäßer Information „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ vermieden worden wäre (OLG Koblenz a.a.O., m.w.N.).
283
Der Kläger hätte daher das Landgericht zumindest davon überzeugen müssen, dass er vor den streitgegenständlichen Impfungen noch einmal überlegt hätte, ob er sich mit dem Impfstoff der Beklagten impfen lassen wollte oder nicht, also: „ins Zweifeln geraten wäre“. Diese Überlegung entspräche der des sog. Entscheidungskonflikts in Arzthaftungssachen (OLG Koblenz, a.a.O., m.w.N.).
284
Das war indessen vorliegend nicht anzunehmen. Insbesondere bei seiner ausführlichen informatorischen Anhörung hat der Kläger nichts dergleichen bekundet, obwohl er zu seiner Impfmotivation durchaus Angaben gemacht hat.
285
4. Die Beklagte haftet nicht nach § 823 Abs. 1 und § 826 BGB.
286
4.1 Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 aufgrund von Produkthaftung besteht nicht Der Vorwurf, das Produkt nicht ordentlich beobachtet zu haben oder (hilfsweise) die „Kennzeichnung“ nicht aktualisiert zu haben, verfängt nicht. Der Sachvortrag des Klägers geht ins Blaue und lässt offen, welche Erkenntnisse die Beklagte bei richtiger Beobachtung ab wann hätte gewonnen haben sollen und welchen Bezug das samt der „Kennzeichnung“ (die der Impfling regelmäßig nicht zu sehen bekommt) zu den behaupteten Schäden des Klägers habe.
287
Entgegen der Berufungsbegründung kann der Kläger nicht beweisen, dass seine Beschwerden sich erst „kurz nach dem Inverkehrbringen des Impfstoffs“ (meint: kurz nach der streitgegenständlichen Impfung) geäußert hätten, sondern hatte schon vorher dazu passende Diagnosen, siehe oben. Es gibt schon deshalb kein Indiz dafür, dass die Beklagte sie schon vorher als mögliche Nebenwirkungen hätte entdecken können.
288
Dass die Beklagte ihre Instruktionspflicht verletzt hätte, indem sie zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens eine fehlerhafte Information über den Impfstoff erteilt hätte, ist vorliegend nach alledem nicht anzunehmen, obgleich der Kläger in der Berufungsbegründung diesen Zeitpunkt benannt hat (BB S. 40: „27.12.2020“).
289
Dass die Beklagte ihre Produktbeobachtungspflicht oder die Pflicht zum Produktrückruf verletzt haben könnte, kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Insoweit kann auf die Ausführungen zu § 84 AMG verwiesen werden, da nicht ersichtlich wäre, wieso die Beklagte nach § 823 Abs. 1 BGB strenger haften sollte als nach § 84 Abs. 1 AMG.
290
Jedenfalls aber scheitert ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB am fehlenden Nachweis der Kausalität durch den beweisbelasteten Kläger. Bei Instruktionsfehlern wie auch bei der Verletzung von Produktbeobachtungs- und daran geknüpften Warnpflichten hängt die Haftung davon ab, ob der Schaden bei pflichtgemäßem Handeln „mit Sicherheit“ vermieden worden wäre; die bloße Wahrscheinlichkeit, dass der Geschädigte die Warnung befolgt hätte, genügt nicht (OLG Koblenz, a. a.O., m.w.N.). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, da der Kläger nicht dargelegt hat, dass sein Impfarzt die Fachinformationen zur Kenntnis genommen oder er selbst die Packungsbeilage vor der Impfung gelesen hätte.
291
4.2 Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 5 AMG besteht nicht.
292
Voraussetzung hierfür wäre das Vorliegen eines bedenklichen Arzneimittels. Bedenklich sind nach der Legaldefinition des § 5 Abs. 2 AMG diejenigen Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.
293
Wie bereits oben ausgeführt, ist für die Annahme einer Bedenklichkeit im Sinne von § 5 AMG (ähnlich wie bei § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG) die wissenschaftliche Unvertretbarkeit der schädlichen Wirkungen des Arzneimittels maßgeblich. Die (Un-)Vertretbarkeit der schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels ist durch eine auf die jeweilige Indikation des Medikaments bezogene Nutzen-Risiko-Abwägung zu ermitteln (OLG Koblenz, a.a.O., m.w.N.). Diese Abwägung fällt im vorliegenden Fall – bei ausreichender Datenlage – zugunsten der Nutzen des Impfstoffs aus, siehe oben.
294
Der Impfstoff der Beklagten ist demnach als unbedenklich einzustufen, so dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 5 AMG ohne Erfolg bleibt.
295
5. Zutreffend hat das Landgericht eine Haftung nach dem ProdHaftG abgelehnt.
296
5.1 § 15 ProdHaftG sieht vor, dass die Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes nicht anzuwenden sind, wenn infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit worden ist, jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt wird.
297
Bei dem von der Beklagten hergestellten Impfstoff handelt es sich – was zwischen den Parteien unstreitig ist – um ein zum Gebrauch beim Menschen bestimmtes zulassungspflichtiges Arzneimittel, das in Deutschland, also im Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes (AMG) an den Kläger als Verbraucher abgegeben wurde. Dieser behauptet auch eine Verletzung seiner Gesundheit, so dass grundsätzlich die Regelungen des AMG vor denjenigen des ProdHaftG vorrangig sind.
298
5.2 Das Urteil des Landgerichts ist in diesem Punkt auch nicht rechtsfehlerhaft, wie die Berufung meint, weil das Landgericht sich nicht mit der Frage befasst habe, ob § 15 ProdHaftG europarechtskonform ist oder der RL 85/374/EG widerspricht:
299
Vor dem Hintergrund des eindeutigen Votums des Generalanwalts beim EuGH vom 11.6.2014 (Rechtssache C-310/13, in BeckRS 2014, 80985, Rn. 28 ff, 34), dem der Gerichtshof selbst nicht widersprochen hat, geht der Senat von einer Richtlinienkonformität des § 15 Abs. 1 ProdHaftG aus.
C. Frist:
300
Hierzu kann sich die berufungsführende Seite, soweit noch beabsichtigt, äußern bis zum 27.1.2025.
301
Die Berufungsgegnerin braucht vorerst nicht zu erwidern.
302
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).