Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 20.11.2024 – AN 3 K 23.1752
Titel:

Erfolglose Klage der Nachbarin - Notwege- und Notleitungsrecht

Normenketten:
BauGB § 34 Abs. 1
BGB § 917, § 918 Abs. 2
NAV § 12 Abs. 1
AVBWasserV § 8 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
Leitsätze:
1. In Fällen, in denen die Umsetzung der Baugenehmigung die unmittelbar gegenständliche Inanspruchnahme eines Nachbargrundstücks zur Folge hat, also quasi "automatisch" zivilrechtlich den Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts nach § 917 BGB am Grundstück des klagenden Nachbarn auslöst, kann aus Art. 14 Abs. 1 GG ein nachbarschützender Abwehranspruch abgeleitet werden. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Nachbarklage hat keinen Erfolg, wenn ein bereits existierendes Notwegerecht durch eine (neue) Baugenehmigung nicht wesentlich intensiviert wird. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Erschließung meint jedenfalls bei Wohnbauvorhaben, den Anschluss an das öffentliche Straßen- und Wegenetz im Sinne einer Anfahrbarkeit des Grundstücks, den Anschluss an die Abwasserbeseitigung, sowie den Strom- und Wasserversorgungsanschluss. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine einmal ausgelöste Duldungspflicht für ein Notleitungsrecht gilt auch gegenüber etwaigen Rechtsnachfolgern. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Erschließung, Gefahr eines Notleitungsrecht (verneint), Gefahr eines Notleitungsrechts (verneint), Notwegerecht, eingetragenes Geh- und Fahrtrecht, Wasserleitung, Stromleitung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 35989

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte oder die Beigeladenen vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung … (* …*) in … Das eingangs genannte Grundstück befindet sich im Ortsteil „…“ am nordwestlichen Ortsrand. Auf dem Baugrundstück befindet sich ein älteres Wohnhaus, welches am 4. August 1959 baurechtlich genehmigt wurde und im Zuge der Neubebauung abgerissen werden soll. Für das Grundstück existiert kein Bebauungsplan. Nördlich und westlich grenzen Wiesen- bzw. landwirtschaftliche Flächen an. Östlich und südlich grenzen mit Wohnhäusern bebaute Grundstücke an. Neben Wohnhäusern besteht der Ortsteil im Übrigen aus Gaststätten und ehemaligen oder aktiven landwirtschaftlichen Hofstellen.
2
Die Klägerin ist Alleineigentümerin des nördlich angrenzenden Grundstücks Fl.Nr. …, welches eine unbebaute Wiesenfläche darstellt. Ebenso ist die Klägerin Eigentümerin des westlich unmittelbar angrenzenden Wegegrundstücks Fl.Nr. …, auf dem zum Teil der Erschließungsweg „…“ verläuft. Die Klägerin selbst bewohnt das Anwesen „…“ am östlichen Ortsrand und bewirtschaftet im Nebenerwerb auch landwirtschaftliche Flächen in der Umgebung.
3
Im Grundbuch ist für das Baugrundstück ein Geh- und Fahrtrecht am Wegegrundstück Fl.Nr. 57/4 der Klägerin und dem weiter südlich liegenden Grundstück Fl.Nr. … sowie ein Kanaleinlegungs- und Abwasserleitungsrecht an denselben Grundstücken eingetragen. Der Eintragung liegt eine notarielle Vereinbarung vom 16. Februar 1960 zugunsten des jeweiligen Eigentümers des früheren Grundstücks Fl.Nr. … (mittlerweile aufgeteilt in Fl.Nr. … und …*) zugrunde.
4
Mit Bauantrag vom 4. August 2022 beantragten die Beigeladenen die Erteilung einer Baugenehmigung für das eingangs genannte Bauvorhaben.
5
In der Stellungnahme der Standortgemeinde zum erteilten Einvernehmen vom 5. Juli 2023 ist ausgeführt, dass die Erschließung auch im Sinne der Wasserversorgung durch Anschluss an die zentrale Wasserversorgung gesichert sei. Einem Aktenvermerk vom 5. April 2023 über ein Telefonat zwischen einem Mitarbeiter der Bauverwaltung des Landratsamtes und einem Mitarbeiter der Stadtwerke der Standortgemeinde ist zu entnehmen, dass die Stadtwerke davon ausgingen, dass die bestehende Wasserversorgungsleitung für das Baugrundstück ausreichend sei, um ein bzw. zwei Einfamilienhäuser zu versorgen. Erst ab einem dritten Einfamilienhaus müsse die Leitung geprüft werden.
6
Die Klägerin erhob im Verwaltungsverfahren gegen das Vorhaben mit eigenem Schreiben vom 25. August 2022 Einwendungen. Die Einwendungen wurden im Schreiben im Wesentlichen mit der (übermäßigen/unrechtmäßigen) Nutzung des Wegegrundstücks bzw. Wiesengrundstücks begründet (wird weiter ausgeführt). Der Weg sei nicht ausreichend befestigt, genüge jedoch für die landwirtschaftlichen Zwecke der Feldbearbeitung seitens der Klägerin (wird weiter ausgeführt).
7
Mit streitgegenständlichem Bescheid des Landratsamts vom 31. Juli 2023 wurde die Baugenehmigung für das o.g. Vorhaben erteilt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Zufahrt zum Baugrundstück als ausreichend und infolge des bestehenden Geh- und Fahrtrechts als gesichert beurteilt werde. Es könne auch keine unverhältnismäßige Intensivierung der Nutzung des Geh- und Fahrtrechts (und auch der weiteren dinglichen Sicherungen) erkannt werden. Zwar werde das Versorgungsleitungsrecht im Gegensatz zum Kanaleinlegungs- und Abwasserleitungsrecht nicht explizit in der notariellen Urkunde benannt, jedoch folge das Landratsamt der herrschenden Meinung des BayVGH, dass ein Geh- und Fahrtrecht die rechtliche Durchquerung mit einer Wasserversorgungsleitung inkludiere (unter Verweis auf Rechtsprechung BayVGH, B.v. 13.8.2003 – 23 CS 03.1922). Die Wasserversorgungs- und Abwasserbeseitigungsleitungen verliefen laut Angaben des Bauherrn bzw. Entwurfsverfassers im Bereich des eingetragen Geh- und Fahrtrechts.
8
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 29. August 2023 – hier eingegangen am gleichen Tag – ließ die Klägerin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid erheben. Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2023 wurde die Klage weitergehend begründet. Die Baugenehmigung sei rechtswidrig, da die hierfür notwendige gesicherte Erschließung nicht gesichert sei. Es existiere kein gesicherter Anschluss an die Wasserversorgung, da die Grunddienstbarkeit ausdrücklich nur das Durchleitungsrecht von Abwasser umfasse (wird weiter ausgeführt). Auch fehle es an einer für die Erschließung notwendigen, gesicherten Stromversorgung.
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Mit Schriftsatz vom 29. August 2023 beantragt die Klägerin:
10
Der Baugenehmigungsbescheid der Beklagten vom 31. Juli 2023, Az.: …, wird aufgehoben.
11
Mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2023 beantragt der Beklagte,
die Klage abzuweisen.
12
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass anders als von der Klägerseite behauptet vorliegend die Erschließung des Baugrundstücks im vollem Umfang hinreichend gesichert sei.
13
Mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2023 beantragen die Beigeladenen,
die Klage abzuweisen.
14
Mit Schriftsatz vom 4. September 2024 führte der Beigeladenenvertreter hierzu aus, das die Klägerin verschweige, dass die streitgegenständliche Thematik bereits zivilrechtlich einer Klärung zugeführt werden sollte und dabei die hiesigen Beigeladenen vor dem Landgericht … obsiegt hätten.
15
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 20. November 2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet, da die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtmäßig ist und die Klägerin insofern nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung, die gemäß Art. 68 Abs. 1 BayBO zu erteilen ist, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind, entgegenstehen, haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Einem Kläger kommt im Rahmen einer Drittanfechtungsklage gegen eine an einen Dritten gerichtete Baugenehmigung mithin kein Vollüberprüfungsanspruch zu. Vielmehr kann der Kläger als Nachbar nur solche Rechtsverletzungen ins Feld führen, die auf Normen beruhen, die in qualifizierter und individualisierter Weise gerade auch dem Schutz des Klägers dienen (BVerwG, U.v. 6.10.1989 – 4 C 14/87 – juris Rn. 9 = BVerwGE 82, 343; BayVGH, B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231 – juris Rn. 8).
18
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung im Rahmen einer Drittanfechtungsklage ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Eine davon abweichende Verlagerung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kommt allerdings dann in Betracht, wenn sich die Sach- und Rechtslage zugunsten des Genehmigungsinhaber verändert hat, da kein Grund besteht, eine in der Vergangenheit rechtswidrig erteilte Genehmigung aufzuheben, wenn sie mittlerweile sofort wieder erteilt werden müsste (BVerwG, B.v. 23.4.1998 – 4 B 40/98 – juris Rn. 3 m.w.N. = NVwZ 1998, 1179).
19
1. Die gesicherte Erschließung eines Bauvorhabens, welche nach § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 1 Satz 1 und § 35 Abs. 1 und 2 BauGB Voraussetzung für die Erteilung einer Baugenehmigung ist, ist nach ständiger Rechtsprechung keine drittschützende Regelung, welche der Klage eines Nachbarn zum Erfolg verhelfen kann (BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 15 CS 20.57 – juris Rn. 30 = NVwZ-RR 2020, 671; B.v. 26.1.2021 – 9 ZB 18.2316 – juris Rn. 7 m.w.N.). Allerdings kann in den Fällen, in denen die Umsetzung der Baugenehmigung die unmittelbar gegenständliche Inanspruchnahme eines Nachbargrundstücks zur Folge hat, also quasi „automatisch“ zivilrechtlich den Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts nach § 917 BGB am Grundstück des klagenden Nachbarn auslöst, aus Art. 14 Abs. 1 GG ein nachbarschützender Abwehranspruch abgeleitet werden (BayVGH, B.v. 25.3.2022 – 15 ZB 22.267 – juris Rn. 9 m.w.N.). Hintergrund ist insofern, dass eine bestandskräftige Baugenehmigung – gerade auch, wenn sie rechtswidrig sein sollte – dennoch die „ordnungsmäßige Benutzung“ i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB definiert und somit dem eventuell notwegepflichtigen Nachbarn den Einwand der ordnungswidrigen Benutzung auch zivilrechtlich abschneidet (BVerwG, B.v. 11.5.1998 – 4 B 45/98 – juris Rn. 8 m.w.N. = NJW-RR 1999, 165; BGH, U.v. 24.4.2015 – V ZR 138/14 – juris Rn. 16 = NJW-RR 2015, 1234; BayVGH, B.v. 30.9.2019 – 9 CS 19.967 – juris Rn. 28). Gleiches gilt auch für ein Notleitungsrecht (BayVGH, B.v. 26.4.2023 – 1 CS 22.2416 – juris Rn. 13).
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Ein soeben beschriebener „Automatismus“ liegt jedoch nicht vor, wenn andere Erschließungsmöglichkeiten – ohne Einräumung eines Notwegerechts – bestehen, wobei umständlichere, weniger bequeme und auch kostspieligere Erschließungsmöglichkeiten genutzt werden müssen (BayVGH, B.v. 25.3.2022 – 15 ZB 22.267 – juris Rn. 10 m.w.N.). Ebenso wenig hat eine Nachbarklage Erfolg, wenn ein bereits existierendes Notwegerecht durch eine (neue) Baugenehmigung nicht wesentlich intensiviert wird (BayVGH, B.v. 26.1.2021 – 9 ZB 18.2316 – juris Rn. 21; B.v. 21.8.2017 – 1 ZB 14.1989 – juris Rn. 3). Schließlich kann sich der Einwand des Nachbarn auch dann nicht durchsetzen, wenn es sonstige, dauerhaft gesicherte Duldungspflichten für eine Leitung oder einen Weg gibt (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2014 – 1 CS 13.2388 – juris Rn. 8; BVerwG, U.v. 26.3.1976 – IV C 7.74 – juris Rn. 28 = BVerwGE 50, 282).
21
Nach diesen Grundsätzen ist die Erschließung im bauplanungsrechtlichen Sinne gesichert. Erschließung meint jedenfalls bei Wohnbauvorhaben, den Anschluss an das öffentliche Straßen- und Wegenetz im Sinne einer Anfahrbarkeit des Grundstücks, den Anschluss an die Abwasserbeseitigung, sowie den Strom- und Wasserversorgungsanschluss (BayVGH, B.v. 4.10.2024 – 9 CS 24.545 – juris Rn. 21 m.w.N.). Die wegemäßige Erschließung sowie der Anschluss an die Abwasserbeseitigung sind durch die eingetragenen Grunddienstbarkeiten gesichert (dazu 1.1). Eine Verletzung des Eigentumsrechts der Klägerin wegen einer Inanspruchnahme ihres Wegegrundstücks durch die bereits bestehende und verlegte Wasserversorgungs- bzw. Stromleitung ist ausgeschlossen, weil einerseits dem insoweit bereits existenten Notleitungsrecht keine wesentliche Intensivierung droht (1.2) und andererseits gesetzliche Duldungspflichten den Leitungsverlauf dauerhaft sichern (1.3).
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1.1 Aufgrund des im Grundbuch zugunsten des Baugrundstücks eingetragen Geh- und Fahrtrechts sowie des dort eindeutig geregelten „Kanaleinlegungs- bzw. Abwasserleitungsrechts“ ist eine Erschließung insofern gesichert. Soweit die Klägerseite hiergegen zunächst noch Einwendungen im Sinne eines Erlöschens, einer Beschränkung bzw. einer rechtsmissbräuchlichen Nutzung geltend gemacht hat, verweist das Gericht auf die Entscheidung des Landgerichts … vom 7. März 2024 (* …*), dessen Ausführungen es sich anschließt.
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Allerdings kann insbesondere aus dem eigetragenen Geh- und Fahrtrecht (jedenfalls nicht stillschweigend oder unbenannt) auch die Einräumung eines Wasserversorgungsrechts oder sonstiger Leitungsrechte abgeleitet werden. Soweit sich der Beklagte auf ältere Rechtsprechung des BayVGH hierzu beruft (BayVGH, B.v. 28.8.2008 – 4 ZB 08.1071 – juris Rn. 10 m.w.N.; B.v. 13.8.2003 – 23 CS 03.1922 BeckRS 2003, 31497), folgt das Gericht dieser nicht (überzeugend daher VG München, U.v. 23.4.2024 – M 1 K 21.6 – juris Rn. 33 ff.; wohl auch VG Regensburg, U.v. 26.10.2021 – RN 6 K 20.2195 – juris Rn. 34). Die Rechtsprechung steht im Widerspruch zu neuerer, höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, U.v. 26.1.2018 – V ZR 47/17 – juris Rn. 15 = NJW-RR 2018, 913).
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1.2 Es existiert aber sowohl hinsichtlich der Wasserversorgung als auch hinsichtlich der Stromversorgung bereits ein Notleitungsrecht, welches im Zuge der streitgegenständlichen Baugenehmigung aus 2023 nicht wesentlich intensiviert wird. Ein Notleitungsrecht kann sich aus einer wirksamen Baugenehmigung für einen Vorgängerbau ergeben (BayVGH, B.v. 21.1.2014 – 1 CS 13.2388 – juris Rn. 9), welche hier in Form der Baugenehmigung des Landratsamts vom 4. August 1959 für das zum Abriss anstehende Wohnhaus aktenkundig ist.
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Das Gericht geht jedoch davon aus, dass ein Notleitungsrecht im hiesigen Fall nicht durch die Baugenehmigung für den Vorgängerbau zur Existenz gebracht wurde. Vielmehr ist vorliegend kraft Gesetzes (§ 918 Abs. 2 Satz 1 BGB) durch einen erst nach Erteilung der Baugenehmigung durchgeführten Teilungs- und Veräußerungsvorgang am vormaligen Baugrundstück Fl.Nr. … ein solches Recht entstanden. Sowohl der Baugenehmigungsbescheid als auch der mit Prüfstempel versehene Lageplan zur Baugenehmigung weisen als Baugrundstück die noch ungeteilte Fl.Nr. … aus. Das Gericht geht davon aus, dass erst nach Erteilung der Baugenehmigung die Teilung der Fl.Nr. … in das heutige Baugrundstück Fl.Nr. … und das klägerische Wegegrundstück Fl.Nr. … erfolgte (vgl. Ziffer I der aktenkundigen, notariellen Grunddienstbarkeitsbestellung vom 16. Februar 1960). Den übermittelten Bauvorlagen von 1959 ist jedoch zu entnehmen, dass die Abwasserleitung baulich auf dem ungeteilten Grundstück geplant war und auch tatsächlich später so ausgeführt wurde. Parallel dazu verläuft nach den aktenkundigen Unterlagen auch die Wasserversorgungs- und wohl auch die Stromleitung. Dabei ist es für die Anwendung des § 918 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht erforderlich, dass der potentiell Notleitungsberechtigte sein Grundstück zum Zeitpunkt der Veräußerung tatsächlich über den veräußerten Teil erreichte, sondern vielmehr reicht grundsätzlich die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit hierzu aus (BGH, U.v. 23.1.1970 – V ZR 2/67 – juris Rn. 33 = BGHZ 53, 166; OLG Brandenburg, U.v. 24.3.2022 – 5 U 62/20 – juris Rn. 28). Insofern wurde dem Baugrundstück im Sinne von § 918 Abs. 2 Satz 1 BGB durch eine Veräußerung nachträglich der Anschluss an das Leitungsnetz genommen, weshalb der Eigentümer des nunmehr trennenden Grundstücks nach der gesetzlichen Vorschrift ein Notleitungsrecht zu dulden hat. Eine einmal ausgelöste Duldungspflicht für ein Notleitungsrecht gilt nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung auch gegenüber etwaigen Rechtsnachfolgern (OVG Koblenz, U.v. 4.1.1994 – 6 A 11948/92 – juris Rn. 35 = NVwZ-RR 1995, 225; OLG Brandenburg, U.v. 24.3.2022 – 5 U 62/20 – juris Rn. 32; BeckOK BGB § 918 Rn. 6). Deshalb kommt es auch nicht mehr darauf an, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zuletzt bemängelte, dass unklar sei, wer genau in der Vergangenheit die Aufteilung der Grundstücke vorgenommen hat. Als Rechtsnachfolgerin des Voreigentümers ist sie jedenfalls an die Teilung und die gesetzliche Konsequenz des § 918 Abs. 2 Satz 1 BGB gebunden.
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Das bestehende Wasserleitungsrecht wird nach der aktenkundigen Auskunft der Stadtwerke vom 5. April 2023 auch nicht intensiviert, da die bestehende Leitung für das Vorhaben der Beigeladenen ausreichend ist. Gleiches gilt für die Stromleitung.
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1.3 Selbst wenn man der (unter 1.2 dargelegten) Ansicht der Kammer zu einem bereits existenten Notleitungsrecht nicht folgen würde, könnte die Klägerin aufgrund ihrer gesetzlichen Duldungspflicht aus § 12 Abs. 1 NAV bzw. § 8 Abs. 1 AVBWasserV keine Verletzung ihres Eigentumsgrundrechts aus der Baugenehmigung herleiten. Zwar regeln sowohl § 12 Abs. 1 NAV als auch § 8 Abs. 1 AVBWasserV unmittelbar Duldungspflichten gegenüber den Versorgungsunternehmen (vgl. jeweiligen § 1), jedoch ist auch durch diese Duldungspflichten eine Erschließung im bauplanungsrechtlichen Sinne für den Bauherrn dauerhaft gesichert.
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Sowohl die bereits vorhandene Wasserversorungs- als auch Stromleitung sind von der Klägerin nach § 12 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 NAV bzw. (wesensidentisch) nach § 8 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AVBWasserV zu dulden. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NAV betrifft die Duldungspflicht für Stromleitungen des Niederspannungsnetzes unter anderem Grundstücke, die – obwohl nicht selbst an das Stromnetz angeschlossen – vom Eigentümer in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einem an das Stromnetz angeschlossenen Grundstück genutzt werden. Der Begriff des wirtschaftlichen Zusammenhangs ist weit auszulegen, da alle Anschlussnehmer innerhalb des Netzgebiets eine Solidargemeinschaft bilden, die eine möglichst kostengünstige und effektive Erschließung für alle Begünstigten ermöglichen soll (BGH, U.v. 9.12.2016 – V ZR 231/15 – juris Rn. 9 f. = NJW-RR 2017, 653). Dementsprechend gilt die Duldungspflicht nicht nur für Leitungen zum eigenen Stromanschluss, sondern auch für Anschlüsse Dritter. Die Duldungspflicht gilt auch nicht nur für ein an ein angeschlossenes Grundstück unmittelbar angrenzendes (selbst nicht angeschlossenes) Grundstück (BGH a.a.O.), sondern auch für Grundstücke, die weiter entfernt liegen. Ein solch wirtschaftlicher Zusammenhang – und damit eine Duldungspflicht für Stromleitungen – liegt etwa bei landwirtschaftlich genutzten Flächen vor, die weiter entfernt von der (an das Stromnetz angeschlossenen) Hofstelle, von der aus sie bewirtschaftet werden, liegen (OLG Naumburg, U.v. 19.4.2013 – 10 U 43/12 – juris Rn. 28 ff. = NJW-RR 2014, 18; Theobald/Kühling NAV § 12 Rn. 18).
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So liegt der Fall hier, da die Klägerseite schriftsätzlich ausgeführt hat, dass sie ihre nördlich des Baugrundstücks liegenden Wiesenflächen im Nebenerwerb von ihrer Wohnadresse aus (im gleichen Ortsteil) bewirtschaftet. Weiterhin hat die Klägerin im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 25. August 2022 ausgeführt, dass sie das Wegegrundstück FlNr. … benutzt, um ihre landwirtschaftlichen Flächen bewirtschaften zu können. Da das Wegegrundstück somit notwendig für die Bewirtschaftung der Wiesenflächen ist, steht es – gerade mit Blick auf die oben aufgezeigte weite Auslegung des Begriffs – ebenfalls in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit der an das Stromnetz angeschlossenen „Hofstelle“ an der Wohnadresse. Damit ist das Wegegrundstück duldungspflichtig für die bereits verlegte Stromleitung des Niederspannungsnetzes (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NAV).
30
Nichts anderes gilt für die Auslegung der wesensgleichen Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 2 AVBWasserV im Hinblick auf die ebenfalls auf dem Wegegrundstück verlaufende Wasserversorgungsleitung.
31
Weitere drittschützende Aspekte sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
32
Nach alledem ist die Klage daher abzuweisen.
33
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich die Beigeladenen durch Stellung eines Sachantrags auf Klageabweisung selber einem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO, ihnen einen Kostenerstattungsanspruch zuzusprechen. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.