Titel:
Zweckentfremdungsverbot - Negativattest für Umnutzung einer Zweitwohnung zur teilweisen Nutzung für Wellnessmassagen
Normenkette:
ZwEWG Art. 1 S. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Auch die Nutzung als Zweitwohnung ist, sofern sie nicht nur marginal oder vorgeschoben ist, als Wohnnutzung anzuerkennen. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Fall eines räumlich abgegrenzten Nebeneinanders von Wohnnutzung und gewerblicher/beruflicher Nutzung besteht kein Erfordernis eines zeitlichen Überwiegens der Wohnnutzung. (Rn. 28 – 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das Regelbeispiel des Art. 1 S. 2 Nr. 1 ZwEWG soll nur im Falle eines flächenmäßig bestimmten "Überwiegens" der gewerblichen Nutzung greifen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Negativattest, gewerbliche Mitbenutzung einer Zweitwohnung, kein Ausschluss eines zweckentfremdungsrechtlich befreienden Mitbenutzungstatbestands alleine wegen Nutzung des Wohnraums als Zweitwohnung, Überwiegen der Wohnnutzung, Home-Sharing, Hauptwohnung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 35988
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziff. 2 ihres Bescheids vom 23. Oktober 2023 (Az.: …*) verpflichtet, der Klägerin das beantragte Negativattest gemäß ihrem Antrag vom 19. Juli 2023 zu erteilen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Versagung eines Negativattestes für die Umnutzung einer „Zweitwohnung“ im ersten Obergeschoss des Anwesens … in … zur teilweisen Nutzung für Wellnessmassagen im Hinblick auf ein Zweckentfremdungsverbot.
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Die Klägerin erwarb mit Kaufvertrag vom 26. Juni 2015 einen Nießbrauch an der eingangs genannten Wohnung. Zum Zeitpunkt des Erwerbs wohnte die Klägerin nach eigenen Angaben in der Nähe des streitgegenständlichen Anwesens. Mittlerweile wohnt die Klägerin mit Hauptwohnsitz ca. 11,5 km Wegstrecke entfernt im Stadtteil … Die Eltern der Klägerin wohnen nach Angaben der Klägerin im streitgegenständlichen Anwesen in einer anderen Wohnung. Das Gebäude auf dem Anwesen … ist ein mit Baugenehmigungsbescheid der Beklagten vom 23. August 1972 als Wohnhaus genehmigtes Mehrfamilienhaus. Die streitgegenständliche Wohnung im ersten Obergeschoss ist eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Küche und Bad und einer Gesamtwohnfläche von ca. 57 m2. Die im Grundriss bezeichneten Zimmer tragen die Bezeichnung „Wohnen“ und „Eltern“, wobei der erste Raum eine Fläche von ca. 20 m2 und der zweite Raum („Eltern“) 14,5 m2 Grundfläche hat. Die Klägerin bietet Massage-Dienstleistungen an, die Online unter der Webseite … gebucht werden können. Das Impressum der Webseite nennt keine Anschrift der Klägerin.
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Die Beklagte hat eine Zweckentfremdungssatzung (ZwEVS) erlassen mit letztem Stand vom 17. Mai 2024. § 3 Abs. 2 Nr. 3 ZwEVS lautet:
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(2) Eine Zweckentfremdung liegt nicht vor, wenn … Nr. 3: Wohnraum durch die Verfügungsberechtigten oder Nutzungsberechtigten zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken mitbenutzt wird, soweit dabei die Wohnnutzung überwiegt (über 50 Prozent der Gesamtfläche) und keine baulichen Veränderungen im Sinne von Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 vorgenommen werden.
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Mit eigenem Schreiben der Klägerin vom 14. Juni 2023 wandte sich diese zunächst an das Bauordnungsamt der Beklagten und teilte mit, dass sie beabsichtige, in ihrer Eigentumswohnung im streitgegenständlichen Anwesen eine Praxis für Wellnessmassagen zu betreiben. Die Klägerin sei seit längerem selbständig im Nebenerwerb und biete mobile Wellnessmassagen an. Seit der Geburt ihres Sohnes und der damit verbundenen Kinderbetreuung sei dies aber schwierig geworden. Da sie die streitgegenständliche Eigentumswohnung besitze, wolle sie ihr Gewerbe nun stationär betreiben. Durch die Kinderbetreuung habe sie nur bedingt Zeit, deshalb fände in dem Mehrfamilienhaus kein regelmäßiger und übermäßiger Kundenverkehr statt. Die Klägerin bitte um Überprüfung und Mitteilung, was von Seiten der Beklagten hierzu erledigt oder beachtet werden müsse.
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Mit Schreiben vom 27. Juni 2023 teilte der Stab Wohnen der Beklagten der Klägerin mit, dass es sich um eine Zweckentfremdung handeln könne und deshalb ein Antrag auf Genehmigung eventuell notwendig sei.
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Mit eigenem Schreiben der Klägerin vom 5. Juli 2023 bat die Klägerin um Erteilung eines Negativattestes und führte aus, dass ihr Vorhaben unter 50 Prozent der Gesamtfläche für gewerbliche Nutzung liege (ca. 30 Prozent der Gesamtfläche). Der Vorgang stelle nach Meinung der Klägerin keine Zweckentfremdung dar. Die restliche Wohnung werde von der Klägerin aus gesundheitlichen Gründen als Zweitwohnung genutzt (Eltern wohnen nebenan).
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Nach Aufforderung durch die Beklagte stellte die Klägerin ihren Antrag auf Erteilung eines Negativattestes erneut unter Nutzung des Online-Antragsformulars, welches am 19. Juli 2023 bei der Beklagten einging. Im Antrag ist u.a. angegeben, dass die Wohnung aktuell für Wohnzwecke genutzt werde und die derzeitige Nutzung seit dem 15. Juli 2023 stattfinde. Im Formularfeld „Zustand der Wohnung“ ist angeführt, dass die Wohnung bis jetzt nach dem Auszug der Mieter saniert worden sei. Im Textfeld „Begründung“ wurde angegeben, dass die Klägerin im kleinen Rahmen und im geringfügigen Bereich Wellnessmassagen durchführe. Örtlich würde dies im „Bereich“, der im Plan (gemeint: Grundriss) als „Eltern“ gekennzeichnet sei, erfolgen.
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Mit Schreiben der Beklagten vom 25. Juli 2023 wurde die Klägerin zu einer beabsichtigten Ablehnung des Antrags angehört.
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Mit eigenem Schreiben der Klägerin vom 5. August 2023 antwortete die Klägerin auf das Anhörungsschreiben. Die Klägerin habe auch während des Kaufes in unmittelbarer Nähe der Eltern gewohnt, was für sie ein „wichtiger Bestandteil“ sei. Zwischen dem Kauf und der Situation heute habe sich jedoch das Leben der Klägerin verändert, da sie ihren Partner kennengelernt habe und man vor vier Jahren den gemeinsamen Sohn bekommen habe. Der Partner der Klägerin habe nie in der Stadt leben wollen und man habe sich dafür entschieden, in … eine Immobilie zu kaufen. Da der Partner der Klägerin sehr viel beschäftigt sei und erst spät nach Hause komme, brauche die Klägerin die dringende Unterstützung (durch ihre Mutter und ihren Vater) sowohl für ihren Sohn als auch für sich selbst.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2023 wurde der Klägerin die zweckentfremdungsrechtliche Genehmigungsfreiheit hinsichtlich der Nutzung der Wohnung als Zweitwohnung zur Betreuung des Kindes bestätigt (Ziffer 1), jedoch der Antrag auf Negativattest für die Nutzung der Wohnung als Räumlichkeit für gewerbliche Wellnessmassagen abgelehnt (Ziffer 2).
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Nutzung der Wohnung als Zweitwohnung für Betreuungszwecke und zur Pflege der Familie nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ZwEVS keine Zweckentfremdung von Wohnraum darstelle (wird weiter ausgeführt). Die Wohnung sei seit dem 2. Oktober 2023 auch als Zweitwohnung angemeldet.
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Die Nutzung des Zimmers „Eltern“ für gewerbliche Zwecke (Wellnessmassagen) stelle hingegen eine Zweckentfremdung von Wohnraum im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 ZwEVS dar. Der Ausnahmetatbestand von § 3 Abs. 2 Nr. 3 ZwEVS greife für den vorliegenden Fall nicht. Die Regelung fuße auf dem Gedanken, seine selbst genutzten Räume zeitweise mit anderen Personen zu teilen oder beruflich nutzen zu können. Die Regelung beziehe sich damit auf das typische „Homesharing-Modell“ der selbst genutzten Hauptwohnung, wobei ein kleinerer Bereich (weniger als 50 Prozent der Gesamtfläche) anderweitig genutzt werde. Dies zeige bereits der Wortlaut „mitbenutzt“. Ein „Mitbenutzen“ könne im Satzungssinne nur dann erfolgen, wenn die Räume auch sonst während des gesamten Tages von der Klägerin zu eigenen Wohnzwecken genutzt würden. Dies werde auch durch die Arbeitshilfe des Staatsministeriums zum Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung klargestellt, worin auch von dem Mitbenutzen der „Hauptwohnung“ die Rede sei. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin laut Melderegister ihren Hauptwohnsitz derzeit nicht in dem streitgegenständlichen Anwesen, so dass die Regelung ohnehin nicht einschlägig sein könne. Auch die Anmeldung einer Zweitwohnung ändere nichts an dieser Beurteilung, da schon die Natur der Zweitwohnung einem „Mitbenutzen“ im zweckentfremdungsrechtlichen Sinne widerspreche, weil diese gerade nicht während der gesamten restlichen Zeit zu eigenen Wohnzwecken genutzt werde. Im vorliegenden Fall beschränke sich die Nutzung der Zweitwohnung auf die Zeiten, in denen eine Betreuung des Sohnes durch die Eltern der Klägerin erfolge. Ansonsten werde für die restliche Zeit der Hauptwohnsitz als Lebensmittelpunkt und zur Lebensgestaltung genutzt.
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Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 24. November 2023 – hier eingegangen am gleichen Tag – ließ die Klägerin Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheids erheben. Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 16. Februar 2024 im Wesentlichen ausgeführt, dass die Ablehnung rechtswidrig sei. Die Nutzung als Zweitwohnung sei nicht als Zweckentfremdung beurteilt worden. Dies gelte auch für die gewerbliche Mitbenutzung aufgrund der Raumgrößen.
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Mit Schriftsatz vom 24. November 2023 beantragt die Klägerin:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2023 wird in Ziffer 2 aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin entsprechend deren Antrag auf Erteilung eines Negativattests vom 19. Juli 2023 betreffend die Wohnung … zu verbescheiden.
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Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2024 beantragt die Beklagte,
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage unbegründet sei, da die Erteilung des Negativattests insoweit zu Recht versagt worden sei, als die Klägerin die Wohnung im ersten Obergeschoss des Anwesens für gewerbliche Wellnessmassagen nutzen wolle. Man nehme Bezug auf die Gründe des Bescheids vom 23. Oktober 2023. Die Klagebegründung rechtfertige keine andere Beurteilung. Sie gehe insbesondere auf das zentrale Argument der Beklagten, dass die Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 2 Nr. 3 ZwEVS auf Zweitwohnungen nicht anwendbar sei, nicht ein. Auf Nr. 2.5 der Arbeitshilfe zum Bayerischen Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum sei nochmals verwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 23. Mai 2024 stimmte die Beklagte und mit Schriftsatz vom 27. Juni 2024 auch die Klägerseite einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu.
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Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die erhobene Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig und begründet, da der streitgegenständliche Ablehnungsbescheid in seiner Ziffer 2 rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Negativattests bezüglich der gewerblichen Mitnutzung ihrer Zweitwohnung für gelegentliche Massagen nach § 9 der „Satzung der Stadt … über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum vom 17. Mai 2024“ (ZwEVS).
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Das Gericht konnte aufgrund wechselseitiger Verzichtserklärungen nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Der Klageantrag ist nach § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Klägerin die Verpflichtung zur Vornahme (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) und nicht nur eine erneute Verbescheidung ihres Antrags begehrt, da die Sache auch eindeutig spruchreif ist.
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Rechtsgrundlage für das begehrte Negativattest ist § 9 ZwEVS. Hiernach wird auf Antrag des Betroffenen ein Negativattest ausgestellt, wenn die Maßnahme keiner Genehmigung bedarf, weil kein Wohnraum im Sinne der Satzung vorliegt oder keine Zweckentfremdung vorliegt oder Genehmigungsfreiheit besteht.
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Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung des Negativattests, weil sie sich für die Mitbenutzung ihrer als Zweitwohnung genutzten Wohnung im Anwesen … zum Zwecke des gelegentlichen Anbietens von Massagen auf die Dispensvorschrift von § 3 Abs. 2 Nr. 3 ZwEVS berufen kann. Hiernach liegt keine Zweckentfremdung vor, wenn Wohnraum (dazu 1.) durch die Verfügungsberechtigten oder Nutzungsberechtigten zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken mitbenutzt wird, soweit dabei die Wohnnutzung überwiegt (über 50% der Gesamtfläche) (hierzu 2.) und keine baulichen Veränderungen im Sinne von Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 vorgenommen wurden (hierzu 3.).
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1. Am Vorliegen von Wohnraum im Sinne von § 2 Abs. 1 und Abs. 2 ZwEVS besteht kein Zweifel. Die Wohnung im ersten Obergeschoss (rechts) im Anwesen … ist nicht nur objektiv zum Wohnen geeignet, sondern aufgrund der Baugenehmigung vom 23. August 1972 als Wohngebäude auch subjektiv hierzu bestimmt. Einwände hiergegen wurden nicht erhoben. Auch die Nutzung als Zweitwohnung ist, sofern sie nicht nur marginal oder gar vorgeschoben ist, als Wohnnutzung anzuerkennen, denn eine Unterscheidung zwischen Hauptwohnung und Zweit- oder Nebenwohnung ist weder dem bayerischen ZwEWG noch der ZwEVS der Beklagten zu entnehmen (vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2022 – 12 CS 22.182 – juris Rn. 20 m.w.N. = NVwZ-RR 2022, 614). Eine Angemessenheitskontrolle der Zweitwohnungsnutzung ist – außerhalb der Aspekte einer marginalen oder nur vorgeschobenen Nutzung – weder nach dem ZwEWG noch nach der ZwEVS der Beklagten möglich (BayVGH, B.v. 23.3.2022 – 12 CS 22.182 – juris Rn. 16 = NVwZ-RR 2022, 614).
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Ansatzpunkte für eine nur vorgeschobene Zweitwohnungsnutzung durch die Klägerin vermag das Gericht nicht zu erkennen. Vielmehr hat sie nachvollziehbar dargelegt, die Wohnung als Ausweichwohnung nachmittags zur Einbindung ihrer Eltern in die Betreuung ihres Sohnes zu benutzen. Dies hat letztlich auch die Beklagte durch Erteilung eines Negativattestes in (der nicht angefochtenen) Ziffer 1 des hier streitgegenständlichen Bescheids bestätigt, weshalb eine beachtliche Zweitwohnnutzung vorliegt.
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2. Auch liegt eine gewerbliche Mitbenutzung des Wohnraums durch das gelegentliche Anbieten von Wellnessmassagen im Nebenerwerb vor. Dass das Anbieten von Wellnessmassagen nicht mehr unter den Begriff des Wohnens fällt, ist unstreitig (vgl. insofern VG Berlin, B.v. 26.9.2017 – 6 L 292.17 – juris Rn. 35 ff.).
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Die gewerbliche Mitbenutzung hält sich jedoch in dem von § 3 Abs. 2 Nr. 3 ZwEVS – nur durch die Flächenverhältnisse – gezogenen, erlaubnisfreien Rahmen. Vorliegend soll lediglich der kleinere der zwei Wohnräume („Eltern“) für gelegentliche Wellnessmassagen genutzt werden, während das größere Zimmer („Wohnen“) für den Aufenthalt am Nachmittag und die Betreuung des Kindes genutzt werden soll. Damit ist dem in dem Befreiungstatbestand geforderten Flächenverhältnis von weniger als 50% der Gesamtfläche genüge getan, denn die Wohnnutzung überwiegt – wenn auch als „Zweitwohnung“ – die gewerblich genutzten Wohnflächen.
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2.1 Soweit sich die Beklagte in der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids darauf beruft, dass ein „Mitbenutzen“ im Sinne der Vorschrift nicht vorliegen könne, weil die Wohnung dazu „auch sonst den gesamten Tag“ zur Wohnnutzung genutzt werden müsse, läuft dies letztlich auf eine zeitliche Komponente des Wortes „Mitbenutzen“ aus § 3 Abs. 2 Nr. 3 ZwEVS hinaus. Jedenfalls für den (hiesigen) Fall eines räumlich abgegrenzten Nebeneinanders von Wohnnutzung und gewerblicher/beruflicher Nutzung kann das Gericht weder dem ZwEWG noch der ZwEVS das Erfordernis eines zeitlichen Überwiegens der Wohnnutzung entnehmen.
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Eine weitere zeitliche Komponente kann dem Wort „mitbenutzen“ – mit Ausnahme bereits oben angesprochener Marginalität oder Vorspiegelung – nicht entnommen werden. Dabei wäre zu bedenken, dass eine zeitliche Komponente – im hiesigen Fall des räumlich abgegrenzten Nebeneinanders der Nutzungen – auch praktisch gar nicht kontrollierbar wäre, weshalb die Vorschrift zu Recht eine Abgrenzung nur anhand der – wenigstens halbwegs praktikabel – nachprüfbaren Flächenverhältnisse vornimmt. Insofern legt die Vorschrift fest, dass eine erlaubnisfreie Mitbenutzung eben nur vorliegt, „(…) soweit dabei die Wohnnutzung überwiegt (über 50% der Gesamtfläche) (…)“. Wieso dem Wort „mitbenutzen“ darüber hinaus – gerade im Hinblick auf die sehr deutliche Aufschlüsselung des „Überwiegens der Wohnnutzung“ durch Flächenverhältnisse – eine (nicht weiter konkretisierte) zeitliche Komponente zu entnehmen sein soll, ist nicht klar. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf die deutliche gesetzgeberische Wertung in Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG (dazu auch 2.2).
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Schließlich spricht gegen eine zeitliche Komponente auch folgende Überlegung. Würde man mit der Beklagten verlangen, dass die (gewerblich mitbenutzte) Wohnung auch sonst „den gesamten Tag“ zur Wohnnutzung genutzt werden müsste, würde auch derjenige, der zwar in seiner Hauptwohnung weniger als 50% der Fläche für seine gewerbliche Tätigkeit nutzt, aber mehr als 50% der Zeit mit dem Gewerbe verbringt („Heimarbeits-Workaholic“) hiernach zweckentfremden. Das wäre weder praktisch kontrollierbar, noch lässt sich dies dem Wortlaut entnehmen. Das „Überwiegen“ der Wohnnutzung – auch im Sinne des Art. 1 Satz 1 ZwEWG – wird in dieser Fallgruppe vielmehr nur anhand eines Flächenverhältnisses bemessen.
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2.2. Im Hinblick auf die von der Beklagten zumindest angedeutete typisierende Wirkung des Wortes „mitbenutzen“ im Sinne eines angeblich zugrundliegenden „Home-Sharing Modells“ ist eine solche weder dem Wortlaut zu entnehmen, noch dürfte eine Typisierung dieser Gestalt mit den Regelungen des ZwEWG vereinbar sein.
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Die Beklagte hat ausgeführt, dass der Vorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 2 ZwEVS der Typus eines „Home-Sharing Modells“ zugrunde liege, weshalb ein gewerbliches Mitbenutzen das Innehaben einer Hauptwohnung voraussetze. Für eine derartig gravierende Einschränkung des Begriffes „Wohnraum“, der – wie bereits oben dargelegt – keine Unterscheidung zwischen Haupt- und Neben-/Zweitwohnung kennt, wäre die Vorschrift zu unbestimmt. Wie ein objektiver Dritter dem Wort „mitbenutzen“ eine typisierende Einschränkung dergestalt entnehmen können soll, dass es sich um das Mitbenutzen (nur) einer Hauptwohnung handeln darf, ist unklar. Wieso dem räumlichen Nebeneinander von gewerblicher Mitbenutzung und Wohnnutzung überhaupt ein bestimmtes Leitmodell („Home-Sharing“) im Sinne eines Typus zugrunde liegen soll, wird auch nicht weiter erklärt. Selbst nach der von der Beklagten zitierten „Arbeitshilfe zum ZwEWG“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr (Ziffer 2.5 Tiret 2) ist „Home-Sharing“ nur ein möglicher Fall der gewerblichen Mitbenutzung, der nicht als Zweckentfremdung gewertet werden soll.
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Vielmehr scheint die Beklagte die gesetzgeberische Wertung zu Art. 1 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG, welcher letztlich wohl Vorbild für die hier nicht einschlägige Vorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 5 ZwEVS sein dürfte, auf eine ganz andere Fallgruppe zu übertragen. Art. 1 Satz 2 Nr. 3 ZwEWG und – korrespondierend – § 3 Abs. 2 Nr. 5 ZwEVS regeln eine – im hiesigen Fall – nicht einschlägige, zeitlich abwechselnde Nutzung des gesamten Wohnraums („zeitliches Nacheinander“). Hierzu hat der Gesetzgeber in seiner Begründung zum ZwEWG (LT-Drs. 17/15781 S. 5) ausgeführt, dass diesem Regelbeispiel der Gedanke einer „Sharing Economy“ Rechnung trage.
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Demgegenüber ist die hier einschlägige Fallgruppe nicht durch ein „zeitliches Nacheinander“, sondern durch ein „räumliches Nebeneinander“ mehrerer Nutzungsformen geprägt. Die gesetzgeberische Intention zu Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG, welcher letztlich wohl Vorbild für die hier einschlägige Vorschrift des § 3 Abs. 2 Nr. 3 ZwEVS sein dürfte, war jedoch deutlich und mehrfach dahingehend geäußert, dass eine Zweckentfremdung in dieser Fallgruppe nur dann vorliegt, wenn mehr als 50 Prozent der Gesamtfläche nicht für Wohnzwecke genutzt werden (LT-Drs. 17/15781 S. 5; LT-Drs. 15/8369 S. 6). Zwar handelt es sich bei Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG nur um ein Regelbeispiel, wie schon das Wort „insbesondere“ und auch die gesetzliche Begründung zeigen (LT-Drs. 15/8369 S. 6). Im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber aber mehrmals und deutlich betont hat, dass das Regelbeispiel des Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG nur im Falle eines flächenmäßig bestimmten „Überwiegens“ der gewerblichen Nutzung greifen soll, bestünden erhebliche Bedenken des Gerichts dagegen, diese Regelung im Satzungs- oder Auslegungswege weiter – sei es durch ein „zeitliches Überwiegen“ oder das „typisierende“ Innehaben einer Hauptwohnung – zu verschärfen (vgl. auch BayVGH, B.v. 23.3.2022 – 12 CS 22.182 – juris Rn. 18 m.w.N. = NVwZ-RR 2022, 614).
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Schließlich ist auch nicht ersichtlich, wieso die Beklagte aus der „Arbeitshilfe zum ZwEWG“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr ableiten will, dass es auf das Erfordernis einer Hauptwohnung ankäme. Zwar wird dort unter Ziffer 2.5 (Tiret 1) tatsächlich als Beispiel für zweckentfremdungsrechtlich zulässige Maßnahmen das Mitbenutzen einer Hauptwohnung genannt. Einen Umkehrschluss bewertet die Arbeitshilfe jedoch damit nicht explizit. Selbst wenn die Arbeitshilfe im Übrigen im Sinne eines Umkehrschlusses zu interpretieren wäre, würde es sich dennoch lediglich um eine Rechtsmeinung der Exekutive handeln, welche – im Sinne eines Umkehrschlusses – von der Kammer mit obiger Begründung nicht geteilt würde.
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Soweit die Beklagte etwa noch auf die Rechtslage in Berlin verwiesen hat, bleibt anzumerken, dass dort ein formelles Parlamentsgesetz das Innehaben einer Hauptwohnung tatbestandlich zur Voraussetzung für eine unschädliche gewerbliche Mitbenutzung macht (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 Berl.ZwVbG). Vergleichbare Regelungen enthält weder das ZwEWG noch die ZwEVS.
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2.3 Auf ein zeitliches Überwiegen der Wohnnutzung kommt es damit, ebenso wie auf das Innehaben eines Hauptwohnsitzes für die Inanspruchnahme einer zweckentfremdungsrechtlich zulässigen, gewerblichen Mitnutzung des Wohnraums nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 ZwEVS nicht an. Entscheidend sind lediglich die nicht nur marginale oder nur vorgetäuschte Wohnnutzung sowie das flächenmäßige Überwiegen der Wohnnutzung (für den Fall einer gewerblichen Mitbenutzung wohl auch VG München U.v. 11.4.2018 – M 9 K 17.1966 – juris Rn. 47 ff.).
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3. Bauliche Veränderungen sind weder geplant, noch beantragt und auch nicht zu erwarten, weshalb auch diesbezüglich ein Negativattest nicht verweigert werden kann.
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Nach alledem hat die Klägerin einen Anspruch auf Erteilung eines Negativattests entsprechend ihrem Antrag vom 19. Juli 2023.
40
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.