Titel:
Anspruch auf Fortführung des Asylverfahrens nach Einstellung wegen versäumten Anhörungstermins
Normenkette:
AsylG § 10 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2, S. 4, § 25, § 33 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, S. 2, S. 3, Abs. 5 S. 1, S. 5 Nr. 2
Leitsätze:
1. Voraussetzung für den Eintritt der Zustellfiktion des § 10 Abs. 2 S. 4 AsylG ist ein ordnungsgemäßer, aber erfolglos gebliebener Zustellversuch. Diese Voraussetzung liegt unter anderem dann nicht vor, wenn an der letzten bekannten Anschrift nach dem VwZG ordnungsgemäß hätte zugestellt werden können, dies aber zu Unrecht unterblieben ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ist nachgewiesen, dass eine Ladung zur persönlichen Anhörung infolge eines vermeidbaren Fehlers des Mitarbeiters des Postdienstleisters nicht zugestellt wurde, hat der Ausländer einen Anspruch auf Fortführung des Verfahrens nach § 33 Abs. 2 S. 3 AsylG. (Rn. 19 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ein Ausländer braucht die Zustellfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG nicht gegen sich gelten lassen, wenn sein Name mit dem an seiner Wohnung angebrachten Namen visuell nahezu identisch ist. Ist nachgewiesen, dass eine Ladung zur persönlichen Anhörung infolge eines vermeidbaren Fehlers des Mitarbeiters des Postdienstleisters nicht zugestellt wurde, hat der Ausländer einen Anspruch auf Fortführung des Verfahrens nach § 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG., Einstellung des Asylverfahrens, versäumter Anhörungstermin, Nichtbetreiben, Zustellfiktion, Namensschild, Fehler des Zustellers, Beweiskraft der Postzustellungsurkunde, Rechtsschutzbedürfnis
Fundstelle:
BeckRS 2024, 35980
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 23. April 2024, Geschäftszeichen …, wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, das Verfahren fortzuführen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der am … geborene Kläger, der sich durch einen marokkanischen Reisepass ausgewiesen hat, ist marokkanischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischer Konfession. Der Kläger verfügte in der Vergangenheit bereits über einen Aufenthaltstitel für Deutschland zur Durchführung eines Studiums.
2
Der Kläger stellte am 22. Dezember 2023 einen Asylantrag. Mit dem Asylantrag wurde gemäß § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) sowohl die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutzes) im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, als auch die Anerkennung als Asylberechtigter gemäß Art. 16a des Grundgesetzes (GG) beantragt.
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Der Kläger bevollmächtigte während des Verwaltungsverfahrens des Bundesamts niemanden zu seiner Vertretung.
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Das Bundesamt beabsichtigte, die nach § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG vorgeschriebene persönliche Anhörung am 4. April 2024 durchzuführen. Daher versandte das Bundesamt an den Kläger eine auf den 13. März 2024 datierende Ladung. Der auf der Ladung angegebene Name stimmt mit den Namen des Klägers, wie er sich aus dem vorgelegten marokkanischen Reisepass ergibt, überein. Die Anschrift in …, an welche die Ladung gerichtet wurde, stimmte mit der Wohnadresse, welche sich aus dem Zuweisungsbescheid der Regierungsaufnahmestelle …, welcher auf den 3. Januar 2024 datiert, überein. Trotz der Übereinstimmungen wurde die Ladung ausweislich der Postzustellurkunde vom 16. März 2024 nicht zugestellt. Als Grund für den erfolglosen Zustellungsversuch wurde auf der Zustellungsurkunde unter Ziffer 1.4.5 angegeben: „Unter angegebener Anschrift wohnt: … Q* …“. Der erste Buchstabe des Nachnamens unterscheidet sich vom Nachnamen des Klägers (O* …*).
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Der Kläger erschien nicht zum Termin der persönlichen Anhörung.
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Mit Bescheid vom 23. April 2024 entschied das Bundesamt, dass das Asylverfahren eingestellt ist (Ziffer 1 des Bescheids). Es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheids). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm die Abschiebung nach Marokko angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und im Fall einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 3 des Bescheids). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4 des Bescheids).
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Gegen diesen Bescheid, der dem Kläger infolge eines zwischenzeitlichen Umzugs am 27. April 2024 unter einer anderen Adresse in … zugestellt wurde, erhob die Prozessbevollmächtigte des Klägers am 29. April 2024 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth und beantragte,
Der Bescheid der Beklagten vom 23. April 2024, zugestellt am 27. April 2024, wird aufgehoben. Hilfsweise ist festzustellen, dass beim Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Marokkos vorliegen.
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Zur Begründung führte die Prozessbevollmächtigte des Klägers an, dass die Einstellung zu Unrecht erfolgt sei. Der Kläger sei der Anhörung nur ferngeblieben, weil er infolge der nicht erfolgten Zustellung der Einladung keine Kenntnis vom Anhörungstermin hatte.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 7. Mai 2024
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Zur Begründung des Antrags auf Ablehnung bezog sich die Beklagte auf den Ausgangsbescheid. Der Ausgangsbescheid vom 23. April 2024 wurde im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kläger trotz Ladung nicht zum Anhörungstermin erschienen sei und daher nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 des Asylgesetzes (AsylG) zu vermuten sei, dass der Kläger das Verfahren nicht betreibe. Daher wäre das Verfahren gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG einzustellen gewesen.
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Mit der Klage war ein Antrag auf einstweiligen Rechtschutz (Az. B 8 K 24.30908) verbunden. Diesem Antrag gab das Gericht mit Beschluss vom 16. Mai 2024 statt.
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Auf Anfrage des Gerichts teilte die Klägerseite mit Schreiben vom 22. Mai 2024 und die Beklagtenseite mit Schreiben vom 21. Mai 2024 mit, dass Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht.
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Mit Beschluss vom 29. Mai 2024 wurde der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht kann über die Klage im erteilten Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden (vgl. § 101 Abs. 2 VwGO).
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Das Gericht legt die als Anfechtungsklage erhobene Klage sachdienlich als Versagungsgegenklage aus, mit der erreicht werden soll, dass der angegriffene Bescheid aufgehoben und die Beklagte verpflichtet werden soll, das Verfahren fortzuführen. Die so verstandene Klage ist zulässig und begründet. Die Einstellung des Asylverfahrens nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG erfolgte zu Unrecht und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Die Klage ist zulässig. Es fehlt auch nicht deshalb an einem Rechtsschutzbedürfnis, weil dem Kläger neben einer Klage gegen den streitigen Bescheid auch die Möglichkeit eines Wiederaufnahmeantrags nach § 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG zur Verfügung steht. Diese Möglichkeit besteht gemäß § 33 Abs. 5 Satz 5 Nr. 2 AsylG nur einmal; wenn die erstmalige Einstellung zu Unrecht erfolgt ist, bliebe dem Kläger diese einmalige Möglichkeit zur Heilung eines eigenen Fehlverhaltens verwehrt (vgl. auch m.w.N. BeckOK Ausländerrecht, 41. Edition, Stand: 1.4.2024, § 33 AsylG Rn. 39 f.).
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Der Kläger braucht sich in Bezug auf sein Rechtsschutzbedürfnis auch nicht darauf verweisen lassen, dass er nach § 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG bereits innerhalb eines Verwaltungsverfahrens die Fortsetzung des Asylverfahrens hätte erreichen können. Für ihn waren aus den ihm vorliegenden Unterlagen die näheren Umstände, die zur Einstellung des Asylverfahrens geführt haben, nicht erkennbar. Der Kläger hatte bis zur Übermittlung der Beklagtenakte keine sichere Kenntnis davon, dass das Asylverfahren eingestellt wurde, weil er den Termin zu einer persönlichen Anhörung versäumt hatte.
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2. Die Klage hat in der Sache Erfolg. Der Kläger kann die gesetzliche Vermutung des Nichtbetreibens seines Asylverfahrens widerlegen, weshalb der Kläger nach § 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG einen Anspruch auf Fortführung des Verfahrens hat.
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a. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG stellt das Bundesamt ein Verfahren ein, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Dabei wird nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AsylG vermutet, dass ein Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Der Kläger erschien zu dem für den 4. April 2024 anberaumten Termin zur persönlichen Anhörung nicht.
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b. Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG gilt die Vermutung des § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Nach § 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG ist das Verfahren fortzuführen, wenn der Ausländer diesen Nachweis führt.
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Im verfahrensgegenständlichen Fall konnte der Kläger mangels Kenntnisse der Gründe der Einstellung den Nachweis nicht führen, doch konnte infolge der unverzüglichen Klageerhebung anhand der Beklagtenakte ermittelt werden, dass der Kläger auf die zur Einstellung des Verfahrens führenden Umstände keinen Einfluss hatte.
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aa. Aus der Beklagtenakten ergibt sich, dass die Zustellung der Ladung durch den Mitarbeiter des Postdienstleisters Deutsche Post AG nicht erfolgt ist, weil im Anwesen ausweislich der Anbringungen am Anwesen nicht der Kläger, sondern eine andere Person mit sehr ähnlichem Namen wohne. Der Mitarbeiter des Postdienstleisters hat den Namen der Person, welche dort laut den Anbringungen im Anwesen wohnen soll, auf der Postzustellurkunde dokumentiert und – bei identischem Vornamen – unterscheidet sich der Anfangsbuchstabe des Nachnamens visuell nur ganz gering, denn der Nachname des Klägers beginnt mit einem „O“, der Nachname, der am Anwesen angebracht war, beginnt mit einem „Q“. Der restliche Teil des Nachnamens war – wie auch der Vorname – identisch.
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bb. Die Zustellfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG greift – obwohl die Ladung bei ordnungsgemäßer Adressierung als nicht zustellbar an das Bundesamt zurückgekommen ist – in diesem Zusammenhang nicht. Denn Voraussetzung für den Eintritt der Fiktionswirkung ist, dass der erfolglose Zustellversuch ordnungsgemäß erfolgt ist, was unter anderem dann nicht der Fall ist, wenn an der letzten bekannten Anschrift nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungszustellungsgesetzes hätte ordnungsgemäß zugestellt werden können, dieses aber zu Unrecht unterblieben ist (VG Augsburg, B.v. 24.3.2017 – Au 7 S 17.30386 – juris Rn. 30; VG München, B.v. 3.5.2017 – M S 17.35642 – juris Rn. 26; VG Düsseldorf, B.v. 5.2.2015 - 13 L 3079/14.A – juris Rn. 7 ff.). Hieran gemessen ist die Zustellung zu Unrecht unterblieben.
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(1) Die Ladung erfolgte unter Angabe des vom Kläger dem Bundesamt mitgeteilten Namens, der auch durch einen marokkanischen Reisepass nachgewiesen ist, an die Anschrift, welche dem Bundesamt mittels Überlassung einer Zuweisungsentscheidung vom 3. Januar 2024 durch die Regierungsaufnahmestelle der Regierung von … mitgeteilt worden war.
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(2) Da nichts Gegenteiliges vorgetragen wurde, kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger in Ermangelung einer anderen Wohnung und auch in Ermangelung der Berechtigung zum Auszug aus dem staatlichen Unterkunftssystem dort gewohnt hat. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass der Kläger noch immer in einer staatlich betriebenen dezentralen Unterkunft in … untergebracht. Und schließlich kann aus der sehr starken Ähnlichkeit des Namens des Klägers mit dem Namen, der am früheren Wohnsitz des Klägers angebracht war, geschlossen werden, dass dies zum damaligen Zeitpunkt der Wohnort des Klägers war und er dort zu erreichen war.
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(3) Dass die Ladung den Kläger unter der Anschrift in … nicht erreicht hat, kann nicht dem Kläger zugerechnet werden.
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(a) Nach § 10 Abs. 1 AsylG hat der Ausländer während der Dauer des Asylverfahrens vorzusorgen, dass ihn Mitteilungen des Bundesamtes, der zuständigen Ausländerbehörde und der angerufenen Gerichte stets erreichen können; insbesondere hat er jeden Wechsel seiner Anschrift den genannten Stellen unverzüglich anzuzeigen. Über die Pflicht zur Anzeige eines Anschriftenwechsels hinaus umfasst die Vorsorgepflicht grundsätzliches alles, was die Erreichbarkeit des Asylbewerbers für die Behörden berührt und zu den Voraussetzungen eines erfolgreichen postalischen Zugangs einer schriftlichen Mitteilung durch diese gehört. So hat der Asylbewerber bei einer eigenen Wohnung einen Briefkasten vorzuhalten und daran sowie an der Tür deutliche Namensangaben anzubringen (Preisner, in: BeckOK AuslR, 41. Ed., Stand: 1. April 2024, AsylG § 10 Rn. 13; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. Aufl. 2022, AsylG § 10 Rn. 6).
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Dieser Verpflichtung hat der Kläger ganz überwiegend entsprochen. Denn auch wenn das am Anwesen angebrachte Namensschild nicht vollständig den korrekten Namen des Klägers wiedergab, so war doch der Vorname identisch und der am Anwesen angebrachte Nachname, welcher mit „Q“ begann, unterschied sich vom echten Nachnamen des Klägers, der mit „O“ beginnt, visuell nur ganz geringfügig.
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Da es sich um zwei verschiedene Buchstaben handelte, handelte der Mitarbeiter des Postdienstleisters grundsätzlich richtig, indem er den Brief nicht in einem Briefkasten einlegte. Grundsätzlich bestand angesichts der unterschiedlichen Anfangsbuchstaben des Nachnamens das latente Risiko des Vorhandenseins zwei unterschiedlicher Personen mit sehr ähnlichem Namen. Hätte es eine andere Person gegeben, deren Name der am Anwesen angebrachte Name gewesen wäre, hätte die Einlegung in den Briefkasten eine Falschzustellung bedeutet. Eine solche stellt grundsätzlich eine Verletzung des Postgeheimnisses dar (BVerwG vom 18.5.1982 – 1 D 70/81 – juris Rn. 12 ff).
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Trotzdem hätte die sehr starke visuelle Ähnlichkeit der Anfangsbuchstabens des Nachnamens bei sonst identischen weiteren Empfängerdaten (restliche Buchstaben des Nachnamens, identischer Vorname und übereinstimmende Straße und Wohnort) nach Überzeugung des Einzelrichters für einen verständigen Dritten Anlass dafür bieten müssen, entweder vor Ort genauer nachzuforschen, indem sich der Mitarbeiter des Postdienstleisters um ein Antreffen des Empfängers bemüht und sich von diesem ein amtliches Dokument zeigen lässt oder aber der Mitarbeiter das Schreiben andernorts niederlegt, wo man sich bei der Abholung ein amtliches Dokument würde zeigen lassen, und im Briefkasten des Anwesens eine entsprechende Benachrichtigungskarte hinterlässt. Dass ein solches Handeln, welches sich nach Überzeugung des Einzelrichters aufdrängt, durch den Mitarbeiter des Postdienstleisters unterlassen wurde und dieser die Sendung vorschnell als unzustellbar an das absendende Bundesamt zurücksandte, kann dem Kläger nicht angelastet werden.
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(b) Vorstehendes ist nach der Überzeugung des Einzelrichters vollumfänglich durch die Postzustellungsurkunde bewiesen, denn der Sachverhalt ergibt sich unmittelbar aus den Anbringungen auf der Postzustellurkunde. Die auf der Postzustellungsurkunde durch den Mitarbeiter des Postdienstleisters angebrachten Feststellungen begründen den vollen Beweis für die in der Urkunde bezeugte Tatsachen, weil die Postzustellungsurkunde eine öffentliche Urkunde ist (§ 98 VwGO, §§ 418 Abs. 1, 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 33 Abs. 1 PostG). Die Beweiskraft erstreckt sich nicht nur auf die in § 182 Abs. 2 ZPO bezeichneten Tatsachen, sondern gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO auf sämtliche in der Urkunde festgestellten Tatsachen (vgl. Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 182 ZPO Rn. 14). Dazu gehört im zu entscheidenden Fall auch, dass am Anwesen ein Name angebracht war, der dem Namen des Klägers sehr ähnlich war.
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Es ist seitens der Beklagten weder vorgebacht noch ist aus den vorgelegten Behördenakten ersichtlich, dass die Postzustellungsurkunde falsch ist. Im Übrigen wäre zu beachten, dass die Beweiswirkung der öffentlichen Urkunde durch ein unsubstantiiertes Vorbringen nicht erschüttert werden kann. Gemäß § 98 VwGO i. V. m. § 418 Abs. 2 ZPO kann derjenige, zu dessen Nachteil sich die gesetzliche Beweisregel des § 418 Abs. 1 ZPO auswirkt, zwar den Beweis für die Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsachen antreten. Ein derartiger Beweisantritt verlangt aber seinerseits den vollen Nachweis eines anderen Geschehensablaufs. Aus diesem Grunde muss ein Beweisantritt substantiiert sein, d.h. es muss nach dem Vorbringen des Beteiligten eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen dargelegt werden. Ein bloßes Bestreiten – welches durch das Bundesamt ohnehin nicht erfolgt ist – hätte nicht ausgereicht. Es hätten deshalb vielmehr die Umstände dargelegt werden müssen, die ein Fehlverhalten des Postzustellers bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung in der Postzustellungsurkunde zu belegen geeignet sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Mai 1986 – 4 CB 8.86 –, juris Rn. 3; vgl. zu § 418 Abs. 2 ZPO auch Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 418 ZPO Rn. 4, § 182 ZPO Rn. 15).
34
bb. Der Kläger erfuhr am 27. April 2024 durch die Zustellung des ablehnenden Bescheids (an seine neue Adresse) von dem versäumten Anhörungstermin. Da die Klage bereits zwei Tage später am 29. April 2024 beim erkennenden Gericht einging, handelte er binnen der Monatsfrist des § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG. Da sich der Fehler ganz offensichtlich aus der Beklagtenakte ergibt und mittels der Postzustellungsurkunde vollumfänglich bewiesen ist, hat der Kläger in diesem speziellen Einzelfall seinen Handlungspflichten genügt, was nach § 33 Abs. 2 Satz 3 AsylG seinen Anspruch auf Fortführung des Asylverfahrens begründet.
35
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
36
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.