Inhalt

VG Bayreuth, Beschluss v. 25.09.2024 – B 6 K 23.50165
Titel:

Kostenentscheidung nach übereinstimmender Erledigungserklärung wegen Ablaufs der Überstellungsfrist im Dublin-Verfahren (Kroatien)

Normenketten:
VwGO § 92 Abs. 3, § 161 Abs. 2, § 166
Dublin III-VO Art. 29
ZPO § 121 Abs. 2
Leitsätze:
1. Derzeit besteht in Kroatien grundsätzlich weder für nicht-vulnerable noch für vulnerable Dublin-Rückkehrer das "real risk" einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, auch nicht im Hinblick auf Push- Backs oder Kettenabschiebungen. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das sog. Dublin-System kennt keinen Vorrang der freiwilligen Ausreise vor einer zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht, sieht jedoch die Überstellung auf freiwilliger Basis als gleichrangige Möglichkeit der Erfüllung der Ausreisepflicht vor. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ablauf Überstellungsfrist bei streitigem Flüchtigsein bzw. Untertauchen, übereinstimmende Erledigungserklärung, Kostenaufhebung, Kostenauferlegung nach Billigkeitsgesichtspunkten, Prozesskostenhilfe im Asylverfahren nach Anwaltswechsel ohne erneute Beantragung der Beiordnung eines Rechtsanwalts, Asylverfahren, Dublin-Verfahren, Kroatien, Ablauf der Überstellungsfrist, Aufhebung Asylbescheid, Erledigungserklärung, Kostenentscheidung, Billigkeitsentscheidung, vollziehbare Ausreisepflicht, systemische Mängel
Fundstelle:
BeckRS 2024, 35970

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

1
1. Die Klägerbevollmächtigte hat den Rechtsstreit in der Hauptsache mit am 24. September 2024 bei Gericht eingegangener Erklärung für erledigt erklärt und beantragt, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen. Die Beklagte hat der Erledigungserklärung des Klägers bereits mit bei Gericht am 18. September 2024 eingegangener Erklärung vorab zugestimmt.
2
Aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärung ist das Klageverfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Nach § 161 Abs. 2 VwGO ist über die Kosten des Verfahrens unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. In der Regel entspricht es der Billigkeit, demjenigen die Kosten zu überbürden, der im Verfahren voraussichtlich unterlegen wäre. Bei der Billigkeitsentscheidung ist jedoch auch zu berücksichtigen, auf wen das erledigende Ereignis zurückzuführen ist. Einen allgemeinen Grundsatz, dass der klaglos stellenden Behörde stets die Verfahrenskosten aufzuerlegen sind, gibt es nicht. Dem Gericht steht ein weites Ermessen zu. Typischerweise zu beachtende Gesichtspunkte kann das Gericht je nach Fallgestaltung unterschiedlich gewichten. Auch die Gründe des „Nachgebens“ einer Behörde sind zu prüfen (BayVerfGH, E. v. 14.12.2016 – Vf. 98-VI-14 – BeckRS 2016, 112603 Rn. 32).
3
Das im vorliegenden Verfahren zur Entscheidung berufene Gericht sieht es als sachgerecht an, die Kosten gegeneinander aufzuheben.
4
Wie sich aus den Gründen des Bescheids der Beklagten vom 5. Mai 2023 sowie der Rechtsprechung der 6. Kammer des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth ergibt, hatte die Klage bis zum Ablauf der Überstellungsfrist, welchen die Beklagte zum Anlass für die Aufhebung des Bescheids vom 5. Mai 2023 genommen hat, keine Aussicht auf Erfolg. Es bestehen keine durchgreifenden Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Kroatien (vgl. OVG Lüneburg, U. v. 11.10.2023 – 10 LB 18/23 – juris Rn. 26 ff.; VGH BW, U. v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris Rn. 22 ff.; VG Bayreuth, B. v. 13.2.2023 – B 9 S 23.50024 – BA S. 6 f.; B. v. 31.7.2023 – 6 S 23.50214 – BA S. 7-9; VG Ansbach, B. v. 21.12.2022 – AN 14 S 22.50376 – juris Rn. 28 ff.; VG Leipzig, B. v. 6.12.2022 – 6 L 678/22.A – BA S. 7 ff.; VG Hannover, B. v. 21.11.2022 – 4 B 4791/22 – BA S. 5 ff.). Im Einklang mit den vorgenannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg wird vielmehr davon ausgegangen, dass derzeit in Kroatien grundsätzlich weder für nicht-vulnerable noch für vulnerable Dublin-Rückkehrer das „real risk“ einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung, auch nicht im Hinblick auf Push-Backs oder Kettenabschiebungen, besteht (VGH BW, U. v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris Rn. 36 und 58; OVG Lüneburg, U. v. 11.10.2023 – 10 LB 18/23 – juris Rn. 108 ff.). Von der Klägerseite wurde im Klageverfahren auch nichts zu systemischen Mängeln oder Aufnahmebedingungen vorgetragen.
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Die Klägerbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 3. Juni 2024 vorgebracht, der Kläger sei seit dem 25. Februar 2024 mit Frau … nach islamischem Recht verheiratet, eine standesamtliche Trauung sei jedoch derzeit wegen fehlender Dokumente nicht möglich. Frau … habe eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung eines Asylverfahrens und sei in der achten Woche schwanger. Ein Antrag auf Umverteilung werde gestellt werden. Nachweise hierzu wurden nicht vorgelegt. Ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, das im Rahmen einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG von der Beklagten auch noch nach Erlass der Abschiebungsanordnung zu berücksichtigen gewesen wäre (vgl. BVerfG, B. v. 17.9.2014 – 2 BvR 732/14 – juris Rn. 11 f.), da die Abschiebung nur durchgeführt werden kann, wenn sie rechtlich und tatsächlich möglich ist, wurde damit nicht vorgetragen. Ein konkreter Eheschließungstermin, der durch eine Rücküberstellung hätte verhindert werden können, stand nicht bevor. Der Kläger lebte nicht mit seiner vorgeblichen Lebensgefährtin in – nach deutschem Recht nichtehelicher – Lebensgemeinschaft und es wurde auch nicht vorgebracht, dass diese im besonderen Maße, etwa wegen einer Hochrisikoschwangerschaft, auf die Unterstützung des Klägers angewiesen wäre.
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Mit der Aufhebung des angegriffenen Bescheids hat die Beklagte dem Klagebegehren zwar im Ergebnis abgeholfen. Diese Abhilfe erfolgte jedoch nicht etwa deshalb, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Rechtsauffassung des Klägers geteilt hätte, sondern ausschließlich wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist.
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Zwischen den Beteiligten ist allerdings streitig, ob der Kläger deswegen nicht fristgerecht überstellt werden konnte, weil er zweitweise, insbesondere am ehemals anvisierten Überstellungstermin am 23. August 2023, untergetaucht war. Dies brachte das Bundesamt erstmals mit Schriftsatz vom 1. September 2023 vor. Mit gerichtlichem Schreiben vom 20. Oktober 2023 wies das Gericht darauf hin, dass auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten vorgelegten Unterlagen nach seiner vorläufigen Rechtseinschätzung erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verlängerungsentscheidung bestünden. Auf die ausführliche Begründung des Schreibens wird verwiesen. Auch die nachfolgend von der Beklagtenseite vorgelegten Unterlagen konnten diese Zweifel nicht ausräumen, wenngleich nach der Aktenlage einiges dafür spricht, dass der Kläger sich mehrfach auch für längere Zeiträume nicht in der ihm zugewiesenen Unterkunft aufgehalten hat. Für die Klärung dieser Tatsachenfrage wäre die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und eine Beweiserhebung erforderlich. Die Überstellungsfrist ist zwar zum Entscheidungszeitpunkt in jedem Fall abgelaufen, unabhängig davon, ob auf die sechsmonatige nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) oder auf eine nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO auf achtzehn Monate verlängerte Frist abzustellen ist. Sollte der Kläger zum geplanten Überstellungstermin jedoch nicht flüchtig gewesen sein, wäre die Klage seit über einem Jahr, nämlich seit Ablauf des letzten Tages der sechsmonatigen Überstellungsfrist, dem 16. September 2023, begründet gewesen.
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Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Bescheid – wie oben bereits ausgeführt – samt der darin enthaltenen Unzulässigkeitsentscheidung nach summarischer Prüfung ursprünglich rechtmäßig war und der Kläger seiner bis zur Aufhebung des Bescheids vollziehbaren Ausreisepflicht nicht nachgekommen ist, was allein seiner Sphäre zuzuordnen ist. Der Kläger hat unter Verstoß gegen seine gesetzliche Ausreisepflicht den Ablauf der Überstellungsfrist – gleich auf welchen Zeitpunkt abzustellen ist – abgewartet. Er hat keinen Anspruch darauf, im Falle der Verweigerung einer freiwilligen Ausreise rechtzeitig abgeschoben zu werden. Das sog. Dublin-System kennt zwar keinen Vorrang der freiwilligen Ausreise vor einer zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht; Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Dublin-Durchführungsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 vom 02.09.2003 in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 118/2014 vom 30.01.2014) sieht jedoch die Überstellung auf freiwilliger Basis als gleichrangige Möglichkeit der Erfüllung der Ausreisepflicht vor (vgl. BVerwG, U. v. 17.9.2015 – 1 C 26/14 – juris Rn. 15 ff.). Auf diese Möglichkeit hat das Bundesamt den Kläger unter Ziffer 3 der Gründe des Bescheids vom 5.5.2023 auch ausdrücklich hingewiesen.
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Nach vorstehenden Erwägungen erscheint eine gegenseitige Kostenaufhebung sachgerecht.
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Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
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2. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe ist abzulehnen.
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Die ehemalige Verfahrensbevollmächtige des Klägers, Frau Rechtsanwältin …, beantragte bei Klageeinreichung mit Schriftsatz vom 19. Juni 2023 die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter ihrer Beiordnung. Eine Erklärung zu den Vermögensverhältnissen des Klägers wurde nicht eingereicht. Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2024 zeigte die aktuelle Verfahrensbevollmächtigte des Klägers unter Vollmachtsvorlage die Vertretung des Klägers an und legte eine Kündigung des Mandats vor. Mit Schreiben vom 13. Mai 2024 bestätigte Frau Rechtsanwältin …, dass das Mandat durch den Kläger gekündigt worden sei. Eine Beiordnung seiner aktuellen Bevollmächtigten oder eines anderen Rechtsanwalts oder einer anderen Rechtsanwältin wurde seitens des Klägers nicht beantragt.
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Der Kläger hat mit seinem Vorbringen, das Mandatsverhältnis zu seiner ursprünglichen Bevollmächtigten gekündigt zu haben, und der Beauftragung einer neuen Rechtsanwältin klar zum Ausdruck gebracht, von Frau Rechtsanwältin … nicht mehr vertreten werden zu wollen und hat seinen Antrag auf ihre Beiordnung damit zurückgenommen. Die Beiordnung einer anderen Person wurde nicht beantragt. Da die Kosten gegeneinander aufgehoben wurden und das Verfahren nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei ist, kommt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe schon deswegen nicht mehr in Betracht.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).