Titel:
Straße besteht aufgrund unterschiedlicher Widmung aus Rechtsgründen aus zwei, Erschließungsanlagen, fehlendes Bauprogramm für die Teileinrichtung, Straßenentwässerung, keine Gebrauchstauglichkeit der Teileinrichtung
Normenketten:
KAG Art. 5a
KAG Art. 2
BauGB §§ 127 ff.
EBS. der Beklagten
Schlagworte:
Straße besteht aufgrund unterschiedlicher Widmung aus Rechtsgründen aus zwei, Erschließungsanlagen, fehlendes Bauprogramm für die Teileinrichtung, Straßenentwässerung, keine Gebrauchstauglichkeit der Teileinrichtung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 35952
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 22. März 2021 in Gestalt der in der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2024 zu Protokoll erklärten Änderung wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger wendet sich gegen einen Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten.
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Der Kläger war zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses Eigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung … (…, ...), das mit einem Wohnhaus bebaut ist und eine Buchgrundstücksfläche von 1.021,80 m² aufweist. Am 19. Juli 2023 wurde der Beigeladene als neuer Eigentümer des genannten Grundstücks in das Grundbuch eingetragen.
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Das Grundstück liegt an der W-L., die an ihrem westlichen Ende an der Abzweigung der H-Straße beginnt, von dort zunächst leicht bogenförmig und in nordöstliche Richtung mit deutlicher Steigung verläuft, bevor sie im Osten mit einem Wendehammer endet (an der Ostgrenze des Grundstücks FI.-Nr. …, Gemarkung …, ...). Nach dem Wendehammer setzt sich ein Feld- bzw. Waldweg fort.
4
In den 50er Jahren wurde ein erstes Teilstück der heutigen Straße W-L. durch die Anwohner errichtet, das von der Abzweigung der H-Straße bis ca. zur Mitte der nördlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks mit der Fl.-Nr. …, Gemarkung …, reicht. In den 70er Jahren wurde die Straße W-L. in östlicher Richtung von der Mitte der nördlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks mit der Fl.-Nr. …, Gemarkung …, bis zur östlichen Grenze der Grundstücke Fl.-Nrn. … und …, Gemarkung …, fortgeführt. Die damaligen Baumaßnahmen wurden durch die Anwohner durchgeführt; es wurden Erschließungsbeitragsbescheide erlassen. In den Jahren 1968/1969 wurde von der Abzweigung H-Straße bis auf Höhe des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung …, ein Mischwasserkanal errichtet und im Jahr 1981 um rund 50 m verlängert. Aufgrund einer Eintragungsverfügung vom 13. Juli 1961 erfolgte die Eintragung des W-L.weges (Fl.-Nr. …, Gemarkung ...) vom Anfangspunkt H-Straße bis zum Endpunkt Anwesen Haus Nr. 1 – Ostgrenze – mit einer Gesamtlänge von 70 m als Ortsstraße in das Bestandsverzeichnis für Gemeindestraßen der Beklagten. Bezüglich der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse wurde ausgeführt: „Der Weg beginnt ab der H-Straße und endet beim Anwesen Haus Nr. 1 (ab da Feldweg). Der Weg ist nur aufgeschüttet und besitzt keine feste Decke. Es handelt sich hier um eine Wohnstraße.“ Aufgrund einer Eintragungsverfügung vom 14. Juli 1961 erfolgte die Eintragung des Teilstücks B-Weg zur W-L.n (Fl.-Nr. … und … der Gemarkung ...) als öffentlicher Feld- und Waldweg in das Bestandsverzeichnis für öffentliche Feld- und Waldwege der Beklagten. Bezüglich der Ermittlung der tatsächlichen Verhältnisse wurde ausgeführt: „Die Fahrbahn ist unbefestigt. Der Weg beginnt ab dem Anwesen W-L. Nr. 1 und endet bei der Haus Nr. 2 (Bauerngehöft – Einöde).“
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In der Zeit vom Mai 2020 bis zum 31. Januar 2021 ließ die Beklagte Baumaßnahmen bezüglich des Straßenbaus und der Entwässerung durchführen. Weiter wurden zwei Leuchten errichtet, im Auffahrtsbereich wurde die Böschung gesichert. Die letzte Unternehmerrechnung ging am 11. Februar 2021 bei der Beklagten ein.
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Aufgrund einer Eintragungsverfügung vom 30. November 2020 wurde die Teilstrecke des gewidmeten öffentlichen Feld- und Waldweges „B-Weg zur W-L.n“ bis zum Wendehammer östlich auf Höhe Fl.-Nr. … und … der Gemarkung … – mit Wirkung zum 1. Januar 2021 – als Ortsstraße aufgestuft und in das Bestandsverzeichnis für Gemeindestraßen der Beklagten eingetragen. Diese Teilstrecke „B-Weg zur W-L.n“ wurde in „W-L.“ umbenannt.
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Mit Erschließungsbeitragsbescheid vom 22. März 2021 setzte die Beklagte für die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage W-L. für das Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 21.789,56 EUR fest. Zugrunde habe ein beitragsfähiger Aufwand (nach Abzug des kommunalen Eigenanteils von 10%) von 648.003,87 EUR gelegen. Die Verteilungsflächen seien mit 18.232,50 m² ermittelt worden, so dass sich ein Beitragssatz von 35,541142 EUR/m² ergebe. Aufgrund der zwei zulässigen Vollgeschosse auf dem klägerischen Grundstück sei ein Nutzungsfaktor von 1,3 zugrunde gelegt worden, so dass sich eine anzusetzende Grundstücksfläche von 1.021,80 m² ergebe. Aufgrund des am 11. März 2021 beschlossenen Teilerlasses nach Art. 13 Abs. 6 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (KAG) i.V.m. § 15a der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen der Stadt … vom 21. Januar 2021 (Erschließungsbeitragssatzung – EBS) in Höhe von 40% werde ein verbleibender Erschließungsbeitrag von 21.789,56 EUR festgesetzt. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 22. April 2021, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag, ließ der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erheben und beantragen,
den Bescheid der Beklagten vom 22.3.2021 aufzuheben.
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Mit Schriftsatz vom 28. April 2021 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten,
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Zur Begründung der Klage wurde mit Schriftsatz vom 12. August 2021 im Wesentlichen vorgetragen, das Haus, das sich auf dem Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung …, befinde, sei im Jahr 1979 vom Vater des Klägers errichtet worden. Die Baugenehmigung für das Gebäude sei mit Bescheid vom 1. März 1979 erteilt worden. Zum damaligen Zeitpunkt habe zwischen der Beklagten und den Anliegern eine Vereinbarung bestanden, dass alle Erschließungsarbeiten durch die Anlieger selbst durchzuführen und zu bezahlen seien. Vor diesem Hintergrund habe sich der Vater des Klägers mit Schreiben vom 29. März 1979 an die Beklagte gewandt; diese habe hierauf mit Schreiben vom 17. Mai 1979 geantwortet, dass es aufgrund der zunehmenden Bautätigkeit im Bereich der W-L. unumgänglich gewesen sei, den W-L. Weg fortzuführen. Die für die Errechnung des Erschließungsbeitrags anfallenden Gesamtkosten könnten seitens der Beklagten nur geschätzt werden und würden sich auf ca. 9.000,00 DM belaufen. Die Beklagte habe weiter ausgeführt, dass man bereit sei, die Kosten einstweilen vorzufinanzieren, um aber die hierdurch entstehenden und umlagefähigen Zinskosten so gering wie möglich zu halten, sei empfohlen worden, eine freiwillige Vorauszahlung zu leisten; auf das klägerische Grundstück mit der Fl.-Nr. … der Gemarkung … entfalle dementsprechend ein Betrag in Höhe von 1.800,00 DM. Dieser Betrag sei vom Vater des Klägers am 1. Juni 1979 auf das Konto der Beklagten überwiesen worden. Gemäß § 133 Abs. 3 des Baugesetzbuches (BauGB) sei die Vorausleistung mit der endgültigen Beitragsschuld zu verrechnen. Aus § 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB ergebe sich ein Rückzahlungsanspruch. Eine Anrechnung der durch den Vater des Klägers erbrachten Vorausleistung auf den nunmehr gegen den Kläger festgesetzten Erschließungsbeitrag sei jedoch ausweislich des verfahrensgegenständlichen Bescheids nicht erfolgt. Zur historischen Entwicklung der Straße W-L. sei auszuführen, dass in den 50er Jahren ein erster Abschnitt der heutigen Straße W-L. durch die Anwohner errichtet worden sei, der von der H-Straße bis ca. zur Mitte der nördlichen Grundstücksgrenze des Grundstücks mit der Fl.-Nr. … reiche. In den 70er Jahren sei die Straße W-L. in Richtung Osten fortgeführt worden, dies von der zuvor beschriebenen Grenze bis zur östlichen Grenze der Grundstücke mit den Fl.-Nrn. … und … Die damaligen Baumaßnahmen seien durch die Beklagte durchgeführt worden. Die Anlieger an diesem Abschnitt hätten jedenfalls nach Kenntnisstand des Klägers jeweils Beitragsbescheide erhalten. Der letzte Teil von der Ostgrenze der Grundstücke mit den Fl.-Nrn. … bzw. … sei bis zur nun verfahrensgegenständlichen Baumaßnahme nicht erschlossen worden, die an dieser Wegstrecke angelagerten Grundstücke seien durch einen besseren Feldweg, welcher teilweise asphaltiert gewesen sei, erschlossen worden. Der nunmehrige Ausbau reiche bis zum östlichen Ende des am Ende der Straße W-L. liegenden Wendehammers. Als auf dem ehemaligen Grundstück des Klägers das auch heute noch dort befindliche Gebäude im Jahr 1979 errichtet worden sei, habe sich vor dem Grundstück lediglich eine befestigte Schotterpiste befunden. Weiter in westliche Richtung, also in Richtung des Abschnitts, der in den 70er Jahren errichtet worden sei, weise die Straße eine Asphaltdeckschicht auf. Die Abstützung dieses Feldweges sei durch eine errichtete Betonstützmauer, welche sich auf dem ehemaligen Grundstück des Klägers befinde, erfolgt. Gegen Mitte bis Ende der 90er Jahre, der genaue Zeitpunkt sei nicht mehr ohne weiteres rekonstruierbar, sei vor dem ehemaligen Grundstück des Klägers eine Asphaltschicht aufgebracht worden. Im Rahmen dieser Arbeiten sei jedoch weder eine Oberflächenentwässerung noch ein tragfähiger Unterbau oder eine Straßenbeleuchtung hergestellt worden. Erst in dem weiter westlichen liegenden Abschnitt, der in den 70er Jahren hergestellt worden sei, sei die Fahrbahn mit einer entsprechenden Neigung für die Entwässerung in Richtung Norden ausgeführt worden, nur dort würden Randsteine, Rinnen, Gullys und Beleuchtung existieren. Die vor dem ehemaligen Grundstück des Klägers ausgebrachte Asphaltdeckschicht neige sich im Gegensatz zum vorherigen Teil nicht in Richtung Norden, sondern in Richtung Süden. Das dort anfallende Niederschlagswasser fließe nicht in die dafür vorgesehenen Entwässerungseinrichtungen in dem älteren Abschnitt, sondern in Richtung der auf dem ehemaligen Anwesen des Klägers befindlichen Stützmauer. Grund für die Aufbringung der Asphaltdeckschicht seien wohl Kanalarbeiten gewesen. In diesem Zuge habe man den Bereich asphaltiert. Im Jahr 2020 sei mit den nunmehr verfahrensgegenständlichen Erschließungsmaßnahmen im Bereich, der westlich des ehemaligen Grundstücks des Klägers liege, begonnen worden. Zu diesem Zeitpunkt sei durch den Kläger vor seinem Grundstück, allerdings nur im oberen Bereich, auf eigene Kosten eine zweizeilige Granitsteinreihe eingebaut worden, um das in Richtung des Grundstücks abfließende Niederschlagswasser abzuleiten. Der Bereich, der nunmehr mit der Granitsteinreihe versehen sei, sei durch den Kläger nachträglich zu dem bereits in seinem Eigentum stehenden Grundstück zugekauft worden. Vor diesem Grundstücksteil sei bis zur Durchführung der verfahrensgegenständlichen Maßnahmen keine Asphaltdeckschicht aufgetragen worden. Im Bereich der Stützmauer befinde sich keine Entwässerungsrinne. An dem Teil, welcher mit einer Asphaltdeckschicht versehen sei, seien im Rahmen der Baumaßnahme keine Arbeiten durchgeführt worden. Die der Abstützung der Straße dienende Stützmauer befinde sich auf dem ehemaligen Grundstück des Klägers. Selbiges gelte für die zweizeilige Granitsteinreihe, die durch den Kläger auf seinem ehemaligen Grundstück errichtet worden sei und einzig der Ableitung des auf der Straße anfallenden Niederschlagswasser diene. Wesentliche Bestandteile der Erschließungsanlage im Sinne des § 2 Abs. 2 lit. d und n EBS befänden sich somit auf einem Grundstück, welches nicht im Eigentum der Beklagten stehe bzw. mit einer entsprechenden Dienstbarkeit zu Gunsten der Beklagten belastet sei. Bereits aus diesem Grund könne die Erschließungsanlage nicht als technisch endgültig hergestellt angesehen werden. Auch habe eine Übernahme der Stützmauer bzw. der Entwässerungsrinne i.S.v. § 133 Abs. 2 S. 2 BauGB nicht stattgefunden. Sowohl die Stützmauer als auch die Rinne seien notwendige technische Voraussetzung für eine funktionsfähige Erschließungsanlage. Ohne die Stützmauer werde es zu Senkungen der Straße und damit einhergehenden Beschädigungen, ohne Entwässerungsrinne zu Überflutungen auf dem angrenzenden Grundstück kommen, wobei auch an dieser Stelle darauf hinzuweisen sei, dass sich diese „private“ Entwässerungsrinne ohnehin nicht auf die gesamte Länge der Straße erstrecke. Für eine innerörtliche Erschließungsstraße stelle es keine ordnungsgemäße Straßenentwässerung dar, das Regenwasser aufgrund der Straßendeckenwölbung zum Straßenrand zu leiten und dort zumindest auch auf Privatgrundstücken versickern zu lassen. Das Merkmal Straßenentwässerung beinhalte bereits begrifflich von der Teileinrichtung Fahrbahn gesonderte technische Einrichtungen zur gezielten Lenkung und Ableitung des Straßenoberflächenwassers. Derartige Einrichtungen seien im vorliegenden Fall nicht gegeben. Auch stelle die durch den Kläger mit Eigenmitteln hergestellte Steinreihe keine ordnungsgemäße Entwässerungseinrichtung dar, da sie als Provisorium nicht dazu geeignet sei, ein Abfließen des auf der Straße anfallenden Niederschlagswassers auf das ehemalige Grundstück des Klägers nachhaltig zu verhindern.
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Mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 erwiderte der Beklagtenbevollmächtigte im Wesentlichen, es liege keine historische Straße vor. Die W-L. sei bis zum Inkrafttreten des Bebauungsplans „H-Straße-W-L.“ 1966 nicht zum Anbau bestimmt gewesen. 1961 seien lediglich die Anwesen G-Weg 1 und W-L. 1 vorhanden gewesen. Eine derart geringfügige Bebauung (am Straßenbeginn) reiche nicht aus, um eine Straßentrasse als zum Anbau bestimmt anzusehen. Die bauliche Entwicklung habe sich im Wesentlichen erst ab Mitte der 1960er und Beginn der 1970er Jahre ergeben. Eine öffentliche Widmung habe bei der Erstanlegung der Straßen- und Bestandsverzeichnisse nur für die ersten 70 m ab der H-Straße vorgelegen. Die Gesamtstrecke sei erst 2020 gewidmet worden, die Widmung sei am 1. Januar 2021 wirksam geworden. Mit Ausnahme des im Jahr 1973 hergestellten mittleren Teilstücks zwischen den Anwesen W-L. 3 und W-L. 13 habe es sich um eine aufgeschüttete Straße ohne festen Belag gehandelt. Bis Anfang der 1970er Jahre habe die W-L. nicht einmal den Anforderungen an Straßen im ländlichen Bereich entsprochen. Schon Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre sei aufgrund entsprechender Baugrundgutachten bekannt gewesen, dass im Bereich nach der Abzweigung von der H-Straße eine Bohrpfahlwand erforderlich sei, um die Straße realisieren zu können. Im Jahr 1972 sei von den Eigentümern der Anwesen W-L. 7 bis 13 verlangt worden, dass diese den Teil der Straße W-L., beginnend an der Westgrenze des Grundstücks W-L. 3 bis zur Ostgrenze des Grundstücks W-L. 13 selbst auszubauen hätten, was auch geschehen sei. Die Beklagte habe davon einen Anteil von 10% der Kosten als kommunalen Eigenanteil übernommen. Am 28. November 1973 habe die Beklagte über entsprechende Beitragsbescheide die Kosten für Grunderwerb und Beleuchtung bei den Anliegern erhoben, die den Ausbau durchgeführt hätten (Anwesen W-L. 3 bis 13). Eine Widmung zur Ortsstraße sei aber unterblieben. Ein Ausbau des gewidmeten ca. 70 m langen Teiles ab der H-Straße sei nicht erfolgt. Dort sei auf Grundlage von Baugrundgutachten die Notwendigkeit einer Bohrpfahlwand festgestellt worden. Der 1972/1973 erfolgte Teilbau führe nicht zu einer erstmals endgültig hergestellten Erschließungsanlage. Weder habe es bezüglich der mit Beitragsbescheiden geltend gemachten Kostenteile für Beleuchtung und Grunderwerb einen entsprechenden Kostenspaltungsbeschluss gegeben, noch liege eine Abschnittsbildung vor, schon gar keine wirksame. Bei den Anliegern, die damals herangezogen worden seien, seien deren Beitragszahlungen als faktische Vorauszahlungen vollständig berücksichtigt worden. Es liege auch keine bis auf Höhe des Anwesens W-L. 13 bestehende Anlage vor, die etwa 2020 verlängert worden wäre. Das Landratsamt … als Aufsichtsbehörde habe am 19. April 2011 und am 17. Mai 2011 darauf hingewiesen, dass die W-L. nicht entsprechend den Festsetzungen der Bauleitplanung ausgebaut sei. Am 25. Februar 2014 habe das Staatliche Bauamt … die Beklagte darauf hingewiesen, dass die W-L. nicht mehr verkehrssicher sei, insbesondere im vorderen Bereich nach der Abzweigung von der H-Straße. Vor dem Jahr 2017 habe es immer wieder Ansätze gegeben, die W-L. nach den Anforderungen des Erschließungsbeitragsrechts auszubauen, die jedoch mangels erforderlicher finanzieller Mittel nicht zu einer Realisierung geführt hätten. Am 11. Oktober 2018 habe der Stadtrat einstimmig beschlossen, die W-L. als Erschließungsstraße möglichst kostengünstig herzustellen. Die erforderliche Böschungssicherung im westlichen Bereich nach Abzweigung von der H-Straße sei in mehreren Sitzungen durch das Planungsbüro … dem Stadtrat vorgestellt und entsprechend auch von diesem beschlossen worden. Erst mit den im Jahr 2020 durchgeführten und abgeschlossenen Straßenbaumaßnahmen sei eine erstmals endgültig hergestellte Erschließungsanlage von der Abzweigung von der H-Straße bis zum Ende am Wendehammer im Osten erfolgt. Die W-L. stelle sich von ihrem Beginn an der H-Straße im Westen bis zu ihrem Ende am Wendehammer im Osten als eine (einzige) Erschließungsanlage dar. Eine Aufspaltung in mehrere einzelne Anlagen scheide im vorliegenden Fall aus, zumal es an den dafür erforderlichen Voraussetzungen in jeder Hinsicht fehle. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass bis Dezember 2020 nur die ersten 70 m als Ortsstraße durch Widmung dem Gemeingebrauch zur Verfügung gestellt worden seien. Diese seien weiter bis zur Baumaßnahme 2020 nicht in einem technischen Zustand gewesen, der einer erstmaligen endgültigen Herstellung entsprochen habe. Deshalb sei auch von fachbehördlicher Seite auf die fehlende Verkehrssicherheit hingewiesen worden. Die EBS vom 18. Juni/7. Dezember 1966 stelle Voraussetzungen auf, die erst mit den baulichen Maßnahmen im Jahr 2020 vollständig erfüllt worden seien, bei welcher auch der Wendehammer hergestellt worden sei, der aufgrund der geringen Straßenbreite auch erforderlich sei. Die Beklagte habe sich immer wieder damit beschäftigt, die W-L. als Erschließungsanlage herzustellen und habe dies gerade nicht in einer Weise aufgegeben, dass man davon ausgehen könne, sie habe von diesem Willen abgesehen. Die Beklagte sei bereit, den geleisteten Betrag von 1.800,00 DM, was einem Betrag von 920,33 EUR entspreche, anzurechnen. Die Betonstützmauer diene alleine der Baureifmachung, nicht der Straße selbst. Die Straßenentwässerung sei durch das Ingenieurbüro … geplant und plangerecht ausgeführt worden, mithin liege das Herstellungsmerkmal der Straßenentwässerung vor.
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Mit Schriftsatz vom 27. September 2023 legte der Klägerbevollmächtigte ein Lichtbild, das die Straße vor dem ehemaligen Grundstück des Klägers bei Regen zeigt, vor. Auf dem Bild sei erkennbar, dass Regenwasser aus dem Bereich vor dem Anwesen W-L. 6 aufgrund der Neigung der Fahrbahn an die Stützmauer des ehemaligen Anwesens des Klägers und von dort nach unten fließe, um ca. auf Höhe der im rechten Bildrand erkennbaren Granitsäule aufgrund der veränderten Neigung der Straße quer und ungeleitet über die Fahrbahn zu laufen. Zu einer zur Erschließung einer Straße gehörenden Straßenentwässerung seien Entwässerungsleiteinrichtungen notwendig, wie Randsteine oder Rinnen, durch die das Oberflächenwasser gezielt und ohne Inanspruchnahme von Privateigentum abgeleitet werde. Eine Straßenentwässerung stelle dabei schon begrifflich eine technisch abgrenzbare Teileinrichtung dar, das bloße Abfließen des Regenwassers aufgrund einer Straßenwölbung oder -neigung genüge hierfür nicht. Die Mauer werde durch das anströmende Wasser langsam beschädigt. Eine Umleitung des Wassers durch eine ordnungsgemäße Entwässerungseinrichtung wäre ohne weiteres im Zuge des Baus der Straße, ohne die Aufwendung unverhältnismäßiger Kosten, möglich gewesen. Auf der nachfolgenden Fotografie sei ein Streifen erkennbar, der im Zuge der Baumaßnahme angelegt worden sei, um Leitungen zu verlegen. Der Asphalt weise deutliche Auswölbungen nach unten auf. Offensichtlich sei noch nicht einmal eine vorbereitende Begradigung des Untergrunds durchgeführt worden, bevor dieser mit einer Asphaltdecke versehen worden sei. Der auf diese Weise hergestellte Untergrund entspreche in der vorhandenen Ausführung nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik für den Straßenbau. Die endgültige Herstellung einer Erschließungsanlage setze aber voraus, dass die Anlage in vollem Umfang programmmäßig fertiggestellt sei. Ein Bauprogramm sei vorliegend aber nicht vorhanden. Ob ein unzeitgemäßer Straßenbelag die endgültige Herstellung einer Erschließungsanlage beeinträchtige, hänge von den spezifischen Anforderungen des jeweiligen Bauprogramms ab.
13
Mit Schriftsatz 29. Februar 2024 legte der Beklagtenbevollmächtigte den „Entwässerungsplan“ (Anlage B 7) vor und erwiderte im Wesentlichen ergänzend, in dem Bereich, in welchem das ehemalige klägerische Grundstück liege, sei auf eine grundständige Erneuerung der Straße verzichtet worden. Der Straßenaufbau habe sich dort als ausreichend frostsicher und tragfähig sowie stabil gezeigt. Auch die Straßenoberfläche habe keine nennenswerten Schäden aufgewiesen, so dass auf weitere Maßnahmen habe verzichtet werden können, um die Gesamtkosten so niedrig wie möglich und vertretbar zu halten.
14
Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 4. März 2024 wurde der jetzige Eigentümer des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung …, beigeladen.
15
Am 12. März 2024 fand eine Beweiserhebung über die örtlichen Verhältnisse im Bereich der W-L. statt. Auf das Protokoll des Augenscheins wird Bezug genommen.
16
Auf gerichtliche Aufforderungen vom 12. März 2024 und vom 18. März 2024 hin übermittelte der Beklagtenbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 15. März 2024 und vom 21. März 2024 weitere Dokumente.
17
Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 28. März 2024 Bezug genommen. Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte in diesem Verfahren sowie in den Verfahren B 4 K 21.453, B 4 K 21.455, B 4 K 21.465, B 4 K 21.466, B 4 K 21.467 und B 4 K 21.471 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet. Der Erschließungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 22. März 2021 in Gestalt der in der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2024 zu Protokoll erklärten Änderung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
19
Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Erschließungsbeitragsbeitragsbescheids ist Art. 5a, Art. 2 Abs. 1 KAG, §§ 127 ff. BauGB i.V.m. EBS 2021. Nach Art. 5a Abs. 1 KAG erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die Herstellung von Erschließungsanlagen (Art. 5a Abs. 2 KAG) einen Erschließungsbeitrag.
20
1. Die Erhebung eines Erschließungsbeitrags ist hier nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei der W-L. um eine sog. historische Straße handelt.
21
Gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG kann für vorhandene Erschließungsanlagen, für die eine Beitragspflicht auf Grund der bis zum 29. Juni 1961 geltenden Vorschriften nicht entstehen konnte, kein Erschließungsbeitrag erhoben werden. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs liegt eine vorhandene (historische) Straße im Sinne von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG vor, wenn eine Straße zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck – nach den damaligen rechtlichen Anforderungen – endgültig hergestellt war (vgl. BayVGH‚ B.v. 18.8.2017 – 6 ZB 17.840 – juris Rn. 13; B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 19.1.2015 – 6 ZB 13.1548 – juris Rn. 6; B.v. 21.11.2013 – 6 ZB 11.2973 – juris Rn. 7). Voraussetzung dafür, eine Erschließungsanlage anzunehmen, ist, dass es sich bei ihr um eine Ortsstraße handelte, die zu diesem Zeitpunkt innerhalb einer geschlossenen Ortslage verlief. Zudem muss diese Ortsstraße bereits vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes öffentlich gewesen sein (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 1 Rn. 19).
22
Die streitgegenständliche Straße besaß in der Zeit bis zum 30. Juni 1961 keine Erschließungsfunktion und war mithin nicht als sog. Anbaustraße zu qualifizieren, weil sie nicht öffentlich war. Die Straße war an diesem Stichtag jedenfalls noch nicht gewidmet; die Eintragungsverfügungen vom 13. und 14. Juli 1961 liegen zeitlich nach dem 29. Juni 1961. Darüber hinaus wurden auch nur die ersten 70 m der Straße als Ortsstraße gewidmet; die Widmung als öffentlicher Feld- und Waldweg erfüllt bereits nicht die straßenrechtlichen Voraussetzungen, die an eine öffentliche Straße gestellt werden (dazu ausführlich unter 2. a.). Daneben hatte die streitgegenständliche Straße vor dem 30. Juni 1961 auch keine Erschließungsfunktion. In unbeplanten Gebieten erhält eine Straße erst dann die Funktion einer Erschließungsanlage, wenn an ihr eine gehäufte Bebauung einsetzt, das heißt – zumindest für eine Straßenseite – bauplanungsrechtlich Innenbereichslage im Sinne von § 34 Abs. 1 des Bundesbaugesetzes (BBauG) bzw. § 34 Abs. 1 BauGB zu bejahen ist. Das verlangt, dass die maßgeblichen Grundstücke in einem Bebauungszusammenhang liegen, der einem Ortsteil angehört (vgl. BayVGH, B.v. 9.8.2016 – 6 CS 16.1033 – juris Rn. 9; B.v. 21.11.2013 – 6 ZB 11.2973 – juris Rn. 7; U.v. 22.7.2010 – 6 B 09.584 – juris Rn. 37 – jeweils m.w.N.). Vor dem 30. Juni 1961 lag die streitgegenständliche Straße im unbeplanten Gebiet. Aus dem Bebauungsplan „H-Straße-W-L.“ von November 1963 (Bl. 22 der Behördenakte) ist ersichtlich, dass auf der nördlichen Seite der Straße lediglich im westlichen Teil Bebauung vorhanden war (Anwesen G-Weg 1 sowie W-L. 1 und 2). Auch die H-Straße war nur auf der südlichen Seite bebaut, weshalb sich die Bebauung in der streitgegenständlichen Straße am 29. Juni 1961 als vereinzelt und insgesamt ungewichtig beschreiben lässt. Mangels Erschließungsfunktion der streitgegenständlichen Straße bis zum 30. Juni 1961 kann die Frage, ob die Anlage für diesen Zweck – nach den damaligen rechtlichen Anforderungen – endgültig hergestellt war, vorliegend dahinstehen.
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2. Die streitgegenständliche Straße hat auf ihren ersten 70 m „in den Jahren nach 1961“ Erschließungsfunktion erlangt, weshalb die Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts insoweit scheitert. Aus Rechtsgründen besteht die W-L. aus zwei Erschließungsanlagen (dazu unter a.), die westliche Erschließungsanlage – an der das ehemalige Grundstück des Klägers im Übrigen nicht anliegt – war nach Überzeugung der Kammer bereits erstmalig hergestellt (dazu unter b.). Die Voraussetzungen für die Bildung einer Erschließungseinheit lagen nicht vor (dazu unter c.).
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Erhebt eine Gemeinde für eine nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes an einer Erschließungsanlage im Sinne des § 127 Abs. 2 BBauG/BauGB durchgeführte Ausbaumaßnahme Erschließungsbeiträge, hat sie darzutun, dass erst und gerade diese Maßnahme die vorher noch unfertige Anlage erstmalig hergestellt hat. Die „Erstmaligkeit“ der Herstellung gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen; sie ist Rechtmäßigkeitsvoraussetzung des Heranziehungsbescheids. Das schließt begrifflich ein, dass die Erschließungsanlage nicht schon vorher endgültig fertiggestellt war (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.1988 – 8 C 72/87 – juris Rn. 17 rek. auf BVerwG, U.v. 26.1.1979 – 4 C 52.76 – juris Rn. 15). Die Beklagte trifft also die materielle Beweislast für alle Tatsachen, die im Zusammenhang damit stehen, ob der Ausbauzustand der streitgegenständlichen Straße eine ihren erkennbaren Ausbauabsichten entsprechende erstmalige Herstellung darstellte (vgl. NdsOVG, B.v. 31.8.2022 – 9 LA 234/21 – juris Rn. 25).
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a. Die W-L. besteht aus Rechtsgründen aus zwei Erschließungsanlagen. Die ersten 70 m der Straße waren im Jahr 1961 als Ortsstraße uneingeschränkt dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden, während die weitere – östlich verlaufende – Straße bis zur Aufstufung als Ortsstraße mit Wirkung zum 1. Januar 2021 als öffentlicher Feld- und Waldweg gewidmet war, womit keine Anbaustraße vorliegen konnte (vgl. BayVGH, B.v. 20.10.2022 – 6 CS 22.1804 – juris Rn. 15).
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aa. Gemäß § 127 Abs. 2 Nr. 1 BBauG/BauGB sind Erschließungsanlagen im Sinne dieses Abschnitts die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze. Solange einer Erschließungsanlage die Eigenschaft „öffentlich“ fehlt, können sachliche Erschließungsbeitragspflichten im Sinne des § 133 Abs. 2 BauGB nicht entstehen, weil die Sondervorteile nicht in auf Dauer gesicherter Weise entstehen und deshalb die Beitragserhebung nicht gerechtfertigt ist (st. Rspr.: vgl. BVerwG, U.v. 11.11.1987 – 8 C 4.86 – juris Rn. 15; U.v. 10.5.1985 – 8 C 17-20.84 – juris Rn. 23; U.v. 13.12.1974 – IV C 26.73 – juris Ls 2; BayVGH, U.v. 24.10.2005 – 6 B 01.2416 – juris Rn. 25). Das Merkmal „öffentlich“ ist straßenrechtlich zu verstehen; öffentlich ist eine Straße nur dann, wenn sie nach dem Straßengesetz wirksam für den öffentlichen Verkehr gewidmet ist oder kraft Gesetzes als gewidmet gilt, weil nur so eine Bestimmung zum Anbau rechtlich gesichert ist (Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand 74. AL; 18. Update, 2. Objektive Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht Rn. 1104; Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 19). In räumlicher Hinsicht hat die Widmung die selbstständige Erschließungsanlage in ihrem gesamten Umfang zu erfassen (dazu etwa BVerwG, U.v. 21.1.1977 – IV C 84-92.74 – juris Rn. 13; vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2007 – 6 CS 06.2983 – juris Rn. 6). Dagegen handelt es sich aus Rechtsgründen um zwei verschiedene Erschließungsanlagen, wenn eine Teilstrecke uneingeschränkt dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist und die andere Teilstrecke keine Anbaustraße sein kann (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 20). Demnach erfüllt eine Erschließungsanlage die an das Merkmal „zum Anbau bestimmt“ zu stellenden Anforderungen nur, wenn sie bei verallgemeinernder Betrachtung den anliegenden Grundstücken eine tatsächliche und vom Widmungsumfang gedeckte Anfahrmöglichkeit bietet und sie verliert ihre Bestimmung zum Anbau dort, wo sie nicht mehr mit Personen- und (jedenfalls) kleineren Versorgungsfahrzeugen befahren werden darf (BVerwG, U.v. 23.6.1995 – 8 C 33/94 – juris Rn. 11 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, U.v. 23.6.1972 – IV C 16.71 – juris Rn. 8 ff.). Die Grenze zwischen zwei Erschließungsanlagen, in die sich eine Straße teilt, wird letztlich nicht vom Ausbauzustand, sondern von der Erschließungsfunktion bestimmt (BVerwG, U.v. 23.6.1972 – IV C 16.71 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 20.10.2022 – 6 CS 22.1804 – juris Rn. 15).
27
bb. Unter Anwendung dieser Maßgaben handelt es sich – abweichend vom Eindruck der tatsächlichen Gegebenheiten – sowohl bei den ersten 70 m der W-L. als auch bei dem weiteren Verlauf der Straße bis zum Wendehammer jeweils um eine eigenständige Erschließungsanlage. Während die ersten 70 m der W-L. angesichts der Widmung als Ortsstraße mit Eintragungsverfügung vom 13. Juli 1961 als zum Anbau bestimmt zu qualifizieren waren, fehlte es der sich anschließenden östlichen Teilstrecke, die laut Eintragungsverfügung vom 14. Juli 1961 als öffentlicher Feld- und Waldweg gewidmet war, an der Bestimmung zum Anbau im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BBauG/BauGB. Eine Widmung als öffentlicher Feld- und Waldweg eröffnet keine allgemeine Anfahrmöglichkeit mit Personen- und Versorgungsfahrzeugen für ein Grundstück, sondern nur mit Fahrzeugen für land- und forstwirtschaftliche Zwecke. Denn ein solcher Weg dient ausschließlich der Bewirtschaftung von Feld- und Waldgrundstücken, Art. 53 Abs. 1 Nr. 1 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG). Die Lage an einem öffentlichen Feld- und Waldweg kann damit nicht als Zufahrts- bzw. Zugangsmöglichkeit in rechtlich gesicherter Weise und auf Dauer angesehen werden (BayVGH, B.v. 14.12.2020 – 6 B 20.1619 – juris Rn. 30 m.w.N.; B.v. 17.10.2000 – 6 ZB 00.1276 – juris Rn. 4). Die sachliche Beitragspflicht gemäß § 133 Abs. 2 BauGB kann ohne Umwidmung nicht entstehen; die Kosten für die Anlegung eines Feld- und Waldweges können keine Erschließungsbeitragspflicht auslösen, selbst dann nicht, wenn der Weg in einer Weise ausgebaut worden ist, die bereits den erschließungsbeitragsrechtlichen Anforderungen an die endgültige Herstellung einer Anbaustraße entspricht (Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand 74. AL; 18. Update, 2. Objektive Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht Rn. 1104). Dementsprechend handelt es sich bei den beiden Teilstrecken mit Blick auf die unterschiedliche Erschließungsfunktion um zwei Erschließungsanlagen (vgl. auch BayVGH, U.v. 5.12.2007 – 6 BV 04.496 – juris Rn. 23).
28
b. Die ersten 70 m der W-L. hatten in den Jahren nach 1961 bis zu den streitgegenständlichen Baumaßnahmen in den Jahren 2020 und 2021 auch bereits Erschließungsfunktion und waren erstmals hergestellt.
29
aa. Eine selbständige öffentliche Verkehrsanlage ist „zum Anbau bestimmt“ (im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, Art. 5a Abs. 2 KAG), wenn und soweit sie die anliegenden Grundstücke nach Maßgabe der §§ 30 ff. BauGB bebaubar oder in sonstiger nach § 133 Abs. 1 BBauG/BauGB beachtlicher Weise nutzbar macht (BayVGH, U.v. 19.10.2017 – 6 B 17.189 – juris Rn. 21). Das erschließungsbeitragsrechtliche Erschlossensein im Sinne des § 131 Abs. 1 BBauG/BauGB knüpft grundsätzlich an das bebauungsrechtliche Erschlossensein (§§ 30 ff. BBauG) an und verlangt im Grundsatz, dass ein Grundstück über eine öffentliche Straße für Kraftfahrzeuge erreichbar ist. Es setzt eine Erreichbarkeit in der Form voraus, dass an ein Grundstück in tatsächlicher Hinsicht und rechtlich im Rahmen der Widmung für den öffentlichen Verkehr herangefahren werden kann und darf (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 25; BVerwG, U.v. 1.3.1991 – 8 C 59/89 – juris Rn. 13 m.w.N.).
30
bb. Laut Eintragungsverfügung vom 13. Juli 1961 waren die ersten 70 m der Straße (Teilstrecke H-Straße bis W-L.nweg Anwesen Haus Nr. 1) als Ortsstraße gewidmet. Dass das Teilstück der ersten 70 m ab Abzweigung der H-Straße zwischen Haus Nr. 1 und 3 der W-L. an der westlichen Kante des Freisitzes auf dem Grundstück Fl.-Nr. …, Gemarkung … und mittig des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung … endete, wurde durch Vermessung der Straße am Ortstermin bestätigt (vgl. S. 3 des Protokolls über die Einnahme eines Augenscheins vom 12. März 2024). Aus dem Bebauungsplan von 1973 (Bl. 20 der Behördenakte) ergibt sich, dass seit diesem Zeitpunkt auf den ersten 70 m der W-L. wohl von einer Bebauung auszugehen ist, die nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. Denn die H-Straße war auf ihrer südlichen Seite bebaut und die W-L. wies auf der Nordseite bis zum östlichen Ende des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung …, Bebauung auf. Jedenfalls lagen die ersten 70 m der W-L. seit Inkrafttreten des Bebauungsplans „Nördlich des W-L.nweges“ am 26. April 1973 innerhalb eines qualifizierten Bebauungsplans.
31
cc. Der genaue Zeitpunkt, zu dem die ersten 70 m der W-L. Erschließungsfunktion erlangt haben, ist letztlich unerheblich, weil alle Erschließungsbeitragssatzungen der Beklagten (EBS 1961 bis 2019) als Herstellungsmerkmale einer Erschließungsanlage den Straßenaufbau, die Straßenentwässerung und die Beleuchtung fordern.
32
1) Die Satzungsregelung zum Straßenaufbau verlangte in § 7 Abs. 1 Nr. 1 EBS 1961 und EBS 1966 „eine Pflasterung, eine Asphalt-, Teer-, Beton- oder ähnliche Decke neuzeitlicher Bauweise“; in der Fassung seit 1975 wurde in § 7 Abs. 1 Nr. 1 (die Vorschrift entspricht der Regelung in § 8 Abs. 1 Nr. 1 EBS 2015 und § 9 Abs. 1 EBS 2019) zusätzlich die Anforderung „mit dem technisch notwendigen Unterbau“ aufgenommen. Eine Merkmalsregelung, die neben einer Befestigung aus Platten, Pflaster, Asphalt, Teer und Beton auch eine Befestigung aus einem ähnlichen Material neuzeitlicher Bauweise vorsieht, ist hinreichend bestimmt, da in aller Regel ohne weiteres ersichtlich ist, ob ein zur Herstellung der Straße verwendetes ähnliches Material den genannten Materialien nach Substanz und Funktion gleichartig ist (vgl. BVerwG, B.v. 4.9.1980 – 4 B 119.80, 4 B 120.80 – juris Rn. 12). Mit „ähnliches Material neuzeitlicher Bauweise“ ist ein solches gemeint, das den namentlich aufgeführten Befestigungen aus Platten, Pflaster, Asphalt, Teer und Beton vergleichbar ist (vgl. VGH BW, U.v. 26.6.2012 – 2 S 3258/11 – juris Rn. 27). Dabei kommt den Tragschichten unterhalb der Oberflächenbefestigung keine eigenständige Bedeutung zu; der „Unterbau“ zählt nicht zu den Herstellungsmerkmalen, auch wenn die Satzung dies regelt (BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 6 ZB 13.978 – juris Rn. 18). Herstellungsmerkmale sollen es nach dem Gesetzeszweck den Beitragspflichtigen ermöglichen, durch einen Vergleich des satzungsmäßig festgelegten Bauprogramms mit dem tatsächlichen Zustand, in dem sich die gebaute Anlage befindet, ein Bild darüber zu verschaffen, ob die Anlage endgültig hergestellt ist oder nicht. Mit dieser auf Laien abstellenden Zielrichtung wäre es von vornherein nicht zu vereinbaren, das Merkmal „technisch notwendiger Unterbau“ in dem Sinn zu verstehen, dass es um die Beachtung technischer Regelwerke ginge. Entscheidend kann allenfalls sein, dass irgendein künstlich hergestellter Unterbau unterhalb der Oberflächenbefestigung vorhanden ist (BayVGH, B.v. 3.8.1999 – 6 ZB 99.1102 – juris Rn. 4).
33
Für einen satzungsgemäßen Straßenausbau mit einer Asphaltdecke vor den streitgegenständlichen Baumaßahmen 2020 und 2021 spricht, dass sich aus der Rechnung des Ingenieurbüros … vom 18. Dezember 2010 (Bl. 89 der Behördenakte), mit dem Betreff „…; Verformungen an der talseitigen Straßenböschung; Baugrunduntersuchung; Baugrundgutachten“ ergibt, dass im Bereich der talseitigen Straßenböschung – die sich auf den ersten 70 m der Straße befindet – Aufbohrarbeiten von Asphalt in Rechnung gestellt wurden. Zudem sind laut Rechnung des Ingenieurbüros für Geotechnik, Altlasten und Bauwerksuntersuchung … vom 29. März 2019 (Bl. 114 der Behördenakte) mit dem Betreff „…, Böschungssicherung und Straßenertüchtigung, Baugrundbeurteilung und Sicherungsmaßnahmen“ vor dem Jahr 2020 ebenfalls Aufbohrungen von Asphalt durchgeführt worden. Jedenfalls dokumentieren die seitens des Beklagtenbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 15. März 2024 vorgelegten Bilder aus dem Jahr 2014 (Bl. 224 f. der Gerichtsakte) eine asphaltierte Straße auf den ersten 70 m der W-L.. Auch im Schreiben des Staatlichen Bauamtes … vom 25. Februar 2014 (Bl. 221 der Gerichtsakte) ist von „Asphalt“ die Rede, der teilweise klaffende Risse aufweise. Dem Einwand der Beklagten, dass die Böschungssicherung zur Stützung der Straße erforderlich war, ist entgegenzuhalten, dass dieser Aspekt allenfalls für die Frage von Bedeutung ist, ob die entstandenen Kosten zum beitragsfähigen Herstellungsaufwand zählen (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 16).
34
2) Für das Herstellungsmerkmal der Straßenentwässerung wird in sämtlichen EBS der Beklagten lediglich das Vorhandensein der „Straßenentwässerung“ gefordert (vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 2 EBS 1961 bis 1985 bzw. § 8 Abs. 1 Nr. 2 EBS 2015 und 2019). Dass in der Satzung keine bestimmten Merkmale für eine ausreichende Straßenentwässerung genannt werden, ist unschädlich (BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 9). Eine Straßenentwässerung stellt schon begrifflich eine technisch abgrenzbare Teileinrichtung dar, das bloße Abfließen des Regenwassers aufgrund einer Straßenwölbung oder -neigung genügt hierfür nicht. Dies gilt erst recht, wenn wegen des ungezielten („wilden“) Abfließens des Oberflächenwassers für die Entwässerung notwendig Privatgrundstücke in Anspruch genommen werden müssen und die Beklagte sich dadurch möglichen Abwehransprüchen der Anlieger, die diese Beeinträchtigung ihres Privateigentums nicht hinzunehmen haben, aussetzt (vgl. BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 8 f.; B.v. 6.3.2006 – 6 ZB 03.2961 – juris Rn. 8 f.). Erforderlich sind vielmehr Entwässerungsleiteinrichtungen wie Randsteine oder Rinnen, durch die das Oberflächenwasser gezielt und ohne Inanspruchnahme von Privateigentum abgeleitet wird (BayVGH, U.v. 5.11.2007 – 6 B 05.2551 – juris Rn. 33; VG München, U.v. 29.10.2019 – M 28 K 16.4687 – BeckRS 2019, 28964 Rn. 31 ff.; U.v. 12.5.2015 – M 2 K 14.4608 – juris Rn. 31 – jeweils m.w.N.). Für die Betrachtung spielen der innerörtliche Anbau und Verkehr der Straße eine Rolle, gewisse Mindestanforderungen sind aber allgemein zu stellen, wie z.B. die Existenz einer – wenn auch primitiven – Straßenentwässerung, die beispielsweise über offene Gräben ihre Aufgabe zur Beseitigung des Niederschlagswassers von der Straßenfläche zu erfüllen in der Lage war (BayVGH, B.v. 15.11.2018 – 6 ZB 18.1516 – juris Rn. 7; so auch OVG Saarl, U.v. 11.1.2010 – 1 A 7/09 – juris Rn. 95: Graben als primitive Straßenentwässerung).
35
Trotz des Schreibens des Staatlichen Bauamtes … vom 25. Februar 2014, wonach keine funktionierende Oberflächenentwässerung vorhanden gewesen sei, spricht für einen satzungsgemäßen Ausbau der Straßenentwässerung jedenfalls im Bereich der ersten 70 m ab der Abzweigung von der H-Straße – zu einem Zeitpunkt vor 2020 – der Aktenvermerk der Beklagten vom 5. Oktober 2020 (Bl. 84 der Behördenakte). Aus diesem ergibt sich, dass in den Jahren 1968/1969 von der Abzweigung H-Straße bis auf Höhe des Anwesens Haus Nr. 13 durch den Abwasserverband … ein Mischwasserkanal errichtet wurde; ab Haus-Nr. 13 wurde der Mischwasserkanal im Jahr 1981 im Auftrag der Stadt um rund 50 m verlängert („über diesen Mischwasserkanal erfolgt auch die Straßenentwässerung“). Zudem ergibt sich aus den Lichtbildern vom 12. Februar 2014 (Bl. 224 f. der Gerichtsakte), dass auf den ersten 70 m der Straße durchgängig Randsteine zur Oberflächenentwässerung vorhanden waren, außerdem sind Straßenabläufe zur gezielten Straßenentwässerung zu sehen.
36
3) Auch das Herstellungsmerkmal der „Beleuchtung“ war in allen Fassungen der EBS der Beklagten aufgeführt (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 EBS 1961 bis 1985 bzw. § 8 Abs. 1 Nr. 2 EBS 2015 und 2019). Welchen konkreten technischen Anforderungen die Teileinrichtung „Beleuchtung“ genügen muss, um als endgültig hergestellt zu gelten, ist in der Satzung nicht näher umschrieben, was auch nicht erforderlich ist. Entscheidend kann in diesem Zusammenhang – mit der auf Laien abzielenden Zielrichtung – nur sein, dass überhaupt (irgend-)eine funktionsfähige, der Straßenlänge und den örtlichen Verhältnissen angepasste Beleuchtung vorhanden ist, die zur Wahrung der Verkehrssicherheit ausreichend ist (BayVGH, U.v. 19.8.2021 – 6 B 21.797 – juris Rn. 25 m.w.N.). Die Straßenbeleuchtung muss geeignet sein, den gesamten Straßenbereich auf voller Länge gleichmäßig zu beleuchten (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2017 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 15). Diesen Anforderungen genügte die auf den ersten 70 m der Straße vorhandene Beleuchtung. Dafür spricht zum einen der Plan vom 4. September 1969 (Bl. 80 der Behördenakte), auf dem ersichtlich ist, dass die Beleuchtung bereits bis zum östlichen Ende des Grundstücks Fl.-Nr. 1546, Gemarkung …, geführt hat. Jedenfalls ergibt sich auch aus den Fotos vom 12. Februar 2014 (Bl. 224 f. der Gerichtsakte), dass auf den ersten 70 m eine ausreichende Straßenbeleuchtung vorhanden war.
37
Hinsichtlich des Einwands der Beklagten, dass sich aus dem Schreiben des Staatlichen Bauamtes … vom 25. Februar 2014 ergebe, dass sich die Straße in einem schlechten Zustand befunden habe, wird lediglich darauf hingewiesen, dass eine (Teil-)Einrichtung einer Erschließungsanlage, die einmal fertiggestellt ist, aus erschließungsbeitragsrechtlicher Sicht nicht wieder in den Zustand der Unfertigkeit zurückversetzt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2010 – 9 C 1.09 – juris Rn. 17; U.v. 29.11.1985 – 8 C 59/84 – juris Rn. 11). Deshalb müssen nachträgliche Beschädigungen von einmal fertiggestellten Einrichtungen von vornherein außer Betracht bleiben (BayVGH, U.v. 19.8.2021 – 6 B 21.797 – juris Rn. 29).
38
c. Aus den beiden Erschließungsanlagen, dem westlichen und östlichen Teil der W-L., wurde auch keine Erschließungseinheit im Sinne des § 130 Abs. 2 Satz 3 BBauG/BauGB gebildet, was zur Folge hätte, dass die Beiträge der beiden Erschließungsanlagen zusammengefasst und einheitlich abgerechnet werden könnten. Dem steht grundsätzlich nicht entgegen, dass die Beklagte eine solche Erschließungseinheit nicht gebildet hat, weil sie irrig davon ausgegangen ist, dass nur eine einzige Erschließungsanlage vorliegt (dazu etwa BVerwG, U.v. 23.6.1972 – IV C 16.71 – juris Rn. 11). Die Bildung einer Erschließungseinheit scheitert vorliegend jedenfalls daran, dass die zu einer Erschließungseinheit verbundenen Anlagen nicht vor dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht für die Einzelanlagen zur gemeinsamen Abrechnung zusammengefasst worden sind (BVerwG, U.v. 20.1.2013 – 9 C 1/12 – juris Rn. 23; BVerwG, U.v. 26.9.1983 – juris Rn. 12). Nach dem unter 2. b. Dargestellten war der westliche Teil der Straße bereits erstmals hergestellt – und die sachliche Beitragspflicht längst entstanden – als die Beklagte den Entschluss gefasst hat, die W-L. auszubauen.
39
3. Für die östliche Erschließungsanlage in der W-L. sind die Merkmale der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage gemäß § 132 Nr. 4 BauGB i.V.m. § 9 Abs. 1 EBS 2021 nicht erfüllt, weil für die Teileinrichtung Straßenentwässerung seitens der Beklagten kein Bauprogramm vorgelegt wurde (dazu unter a.). Darüber hinaus ist die Teileinrichtung Straßenentwässerung nach Überzeugung der Kammer nicht gebrauchstauglich (dazu unter b.).
40
a. Für die Teileinrichtung Straßenentwässerung liegt kein Bauprogramm vor.
41
aa. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Anbaustraße erst dann erstmalig hergestellt, wenn sie erstmals die nach dem satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm (für die nicht flächenmäßigen Teileinrichtungen) und dem (dieses Teileinrichtungsprogramm bezüglich der flächenmäßigen Teileinrichtungen ergänzenden) Bauprogramm erforderlichen Teileinrichtungen aufweist und diese dem jeweils für sie aufgestellten technischen Ausbauprogramm entsprechen (statt Vieler BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 13/94 – juris Rn. 19). Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sollen es die Herstellungsmerkmale namentlich flächenmäßiger Teileinrichtungen dem Bürger ermöglichen, sich durch einen Vergleich zwischen dem tatsächlich erreichten Ausbauzustand und den Angaben in der Satzung selbst ein Bild davon zu machen, ob und wann eine Erschließungsanlage satzungsentsprechend endgültig hergestellt ist (vgl. nur BayVGH, B.v. 3.8.1999 – 6 ZB 99.1102 – juris Rn. 4). Es genügt, dass die Gemeinde in einem formlosen, auf die konkrete Einzelanlage bezogenen Bauprogramm bestimmt, welche flächenmäßigen Teileinrichtungen in welchem Umfang die Gesamtfläche der jeweiligen Straße in Anspruch nehmen sollen. Das Bauprogramm kann sich auch mittelbar aus Beschlüssen des Stadtrats oder seiner Ausschüsse sowie den solchen Beschlüssen zugrunde liegenden Unterlagen und selbst aus der Austragsvergabe ergeben (Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 11. Auflage 2021, § 11 Rn. 64).
42
bb. Die Beklagte hat gleichwohl – auch auf gerichtliche Aufforderungen vom 12. März 2024 und vom 18. März 2024 hin – kein entsprechendes Bauprogramm vorgelegt, anhand dessen überprüft werden könnte, ob die Straßenentwässerung entsprechend diesem Bauprogramm hergestellt worden ist. Auch in der mündlichen Verhandlung vom 28. März 2024 führte der Beklagtenbevollmächtigte lediglich pauschal aus, dass sich das erforderliche Bauprogramm aus den schriftsätzlich vorgelegten Plänen und den Stadtratsbeschlüssen ergebe (S. 4 f. des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 28. März 2024).
43
Der Stadtratsbeschluss der Beklagten vom 11. Juli 2019, in der der Stadtrat die vom Ingenieurbüro … ausgearbeitete Entwurfsplanung zur Kenntnis genommen und gebilligt hat (Bl. 262 der Gerichtsakte), kann nicht als Bauprogramm für die Straßenentwässerung angesehen werden. Die beiden Pläne enthalten keinerlei – abschließende und verbindliche – Auskünfte bezüglich der Straßenentwässerung; es wird keinerlei Aussage zu Kanälen, Einlaufschächten oder generell bzgl. der Oberflächenentwässerung getroffen. Vielmehr handelt es sich um eine generelle „Entwurfsplanung zum Ausbau der Ortsstraße W-L.“, wie sich aus dem Auszug aus dem Beschlussbuch über die öffentliche Sitzung des Stadtrats der Beklagten vom 30. März 2020 (Bl. 265 der Gerichtsakte) ausdrücklich ergibt. Im Sachvortrag findet sich daneben die Information, dass die Ausschreibung aufgehoben wurde, nachdem kein wirtschaftliches Angebot eingegangen war. Deshalb sei das Leistungsverzeichnis mit dem Ingenieurbüro überarbeitet und die Maßnahme zunächst auf den Bereich der Auffahrt beschränkt worden. Es wurden keinerlei Unterlagen vorgelegt, inwieweit das Leistungsverzeichnis betreffend die Straßenentwässerung abgeändert und auf welcher Basis die streitgegenständlichen Baumaßnahmen überhaupt durchgeführt wurden. Auch aus dem in der Stadtratssitzung vom 9. Juli 2020 gefassten Beschluss (Bl. 266 der Gerichtsakte) ergibt sich kein Bauprogramm. Es wurde „einer Ausschreibung des zweiten Bauabschnitts hinsichtlich der Resterschließung der W-L.“ zugestimmt. Dem Auszug aus dem Beschlussbuch über die öffentliche Sitzung des Stadtrats vom 9. Juli 2020 ist lediglich zu entnehmen, dass seitens der Verwaltung vorgeschlagen worden sei, den Ausbau des Restteils der W-L. in die Wege zu leiten, um der bestehenden städtischen Erschließungspflicht nachzukommen und um den Forderungen der Anlieger nach einer ordnungsgemäßen Erschließung (Straßenbeleuchtung, Fahrbahndecke und Straßenentwässerung) gerecht zu werden. Sodann wurden die voraussichtlichen Gesamtkosten der Baumaßnahme aufgezeigt. Auch die Anlage B 3 stellt kein Bauprogramm für die Straßenentwässerung dar. Bei diesem Plan handelt es sich um einen „Entwurf“ zur Baumaßnahme „Böschungssicherung W-L.“. Dieser Entwurf enthält keine Legende; die Straße W-L. ist nicht in ihrer vollen Länge zu sehen. Es ist weder ein Stempel, noch eine Unterschrift oder ein Datum zu sehen und es ist nicht ersichtlich, dass dieser Plan in irgendeiner Art und Weise genehmigt worden wäre. Dieser Entwurf trifft darüber hinaus keinerlei Aussagen zur Straßenentwässerung; es gibt keinen Entwässerungsplan, keine Aussage zu Kanälen, Einlaufschächten, Randsteinen oder Rinnen. Auch die bereits mit Schriftsatz der Beklagten vom 29. Februar 2024 vorgelegte Anlage B 7 ist kein Bauprogramm für die Straßenentwässerung. Es handelt sich um einen „Vorentwurf“ mit der Beschreibung „Ausbau W-L. in … zur Abstimmung“. Auch dieser Plan enthält keine Legende und damit – ungeachtet der Tatsache, dass es sich lediglich um einen Entwurf handelt – keinerlei Aussagekraft.
44
b. Selbst wenn man davon ausginge, dass ein Bauprogramm vorläge und die Herstellungsmerkmale entsprechend diesem Bauprogramm vorlägen, wären die Beitragspflichtigen vorliegend nicht mit dem Aufwand für die durchgeführten Baumaßnahmen zu belasten. Die Straßenentwässerung ist nach den Stellungnahmen des ehemaligen Grundstückseigentümers nicht mangelfrei erstellt worden.
45
aa. Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs berührt nicht jede mängelbehaftete Ausführung der technischen Baumaßnahme die Frage, ob die satzungsmäßigen Herstellungsmerkmale erfüllt sind. Die endgültige Herstellung wäre nur dann zu verneinen, wenn die Mängel die Gebrauchstauglichkeit der Erschließungsanlage ausschließen, also zur Funktionsunfähigkeit führen (vgl. nur BayVGH, U.v. 19.8.2021 – 6 B 21.797 – juris Rn. 24; U.v. 19.10.2017 – 6 B 17.192 – juris Rn. 24; BayVGH, B.v. 3.8.1999 – 6 ZB 99.1102 – juris Rn. 6; OVG NRW, U.v. 29.11.1996 – 3 A 2373/93 – juris Rn. 8). Funktionsunfähig ist eine (Teil-) Einrichtung erst dann, wenn sie im Ganzen absolut ungeeignet ist, die ihr in verkehrstechnischer Hinsicht zugedachte Funktion in der konkreten örtlichen Situation tatsächlich zu erfüllen (BayVGH, U.v. 19.8.2021 – 6 B 21.797 – juris Rn. 24).
46
bb. Unter Anwendung dieser – und hinsichtlich der Straßenentwässerung unter 2. b. cc. 2) angeführten – Grundsätze liegt hier keine funktionsfähige Straßenentwässerung vor. Nach den schriftlichen Angaben des Klägers – die im Ortstermin anhand der Gegebenheiten vor Ort nochmals beschrieben wurden – sammele sich das Regenwasser im Bereich der westlichen Grenze des Grundstücks Fl.-Nr. … auf der südlichen Seite der Straße. Aufgrund der Neigung der Fahrbahn fließe das Regenwasser an die Stützmauer, die sich auf dem ehemaligen Grundstück des Klägers befindet, von dort nach unten in westliche Richtung der Straße, um wegen der im weiteren Verlauf veränderten Neigung der Straße quer über die Fahrbahn zu laufen. Auch der Klägerbevollmächtigte im Parallelverfahren B 4 K 21.455 bestätigte diesen Zustand in der mündlichen Verhandlung für das weiter östlich verlaufende Teilstück der W-L. (S. 5 des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 28. März 2024). Dieser nachvollziehbare und mit Lichtbildern vom 3. Februar 2021 (Bl. 130 f. der Gerichtsakte) dokumentierte Zustand wird belegt durch den „Vorentwurf“ des Ingenieurbüros … (Ausbau W-L. in … – Zur Abstimmung; Bl. 161 f. der Gerichtsakte). Aus diesem ergibt sich eine deutliche Straßenneigung der südlichen Seite der Straße im Bereich des Grundstücks Fl.-Nr. …, Gemarkung … Auf den mit Schriftsatz vom 27. September 2023 übermittelten Lichtbildern ist eine deutliche, großflächige Pfützenbildung zu erkennen, die wohl nicht lediglich auf eine hinnehmbare und zumutbare zeitliche Verzögerung beim Abfluss des Oberflächenwassers zurückzuführen ist. Die Pfützenbildungen sind vielmehr Ausdruck einer mangelbehafteten, nicht funktionsgerechten Entwässerungseinrichtung (vgl. OVG LSA, U.v. 7.7.2011 – 4 L 401/08 – juris Rn. 79). Die Kammer hat keine Veranlassung, an der Glaubwürdigkeit des Klägers, der die Entwässerungssituation nachvollziehbar geschildert hat und der als – ehemaliger – Anwohner mit den sich bei Regenfällen jeweils ergebenden Straßenzuständen vertraut ist, zu zweifeln. Im Übrigen hat auch der Augenscheinstermin ergeben, dass Rinnen und Randsteine nur teilweise vorhanden sind und sich nicht auf die komplette Straße erstrecken (vgl. S. 4 des Protokolls über die Einnahme eines Augenscheins vom 12. März 2024). Diese Darstellungen wurden seitens der Beklagten mit dem pauschalen Vortrag, die Straßenentwässerung sei ordnungsgemäß, nicht entkräftet.
47
4. Die dargestellten Punkte führen zur Rechtswidrigkeit der Erschließungsbeitragsforderung des streitgegenständlichen Bescheids, weshalb es auf die weiter von Klägerseite geäußerten rechtlichen Bedenken nicht mehr entscheidungserheblich ankommt. Mit der Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Bescheids geht auch eine Rechtsverletzung des Klägers einher (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), sodass der Klage vollumfänglich stattzugeben war.
48
Die Beklagte trägt als unterliegender Teil gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da er ohne Antragstellung kein eigenes Kostenrisiko übernommen hat, § 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).