Titel:
keine systemischen Mängel im spanischen Asylsystem
Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1a
Dublin III-VO Art. 22 Abs. 7
Schlagwort:
keine systemischen Mängel im spanischen Asylsystem
Fundstelle:
BeckRS 2024, 35949
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens gesamtschuldnerisch.
Gründe
1
Die Antragsteller sind nach eigenen Angaben Staatsbürger Perus, Sie reisten am 16.05.2024 nach Deutschland ein und stellten am 03.06.2024 förmlichen Asylanträge.
2
Ihren Pässen war jeweils ein Visum für Spanien vom 08.05.2024 zu entnehmen.
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Am 05.07.2024 wurde ein entsprechendes Übernahmeersuchen an Spanien gerichtet. Dieses blieb unbeantwortet.
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Die Antragstellerin zu 1 gab bei ihrer Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates, sowie der Anhörung zur Zulässigkeit der Asylanträge an, sie habe aus finanziellen Gründen einen Flug von Peru nach Spanien gebucht. Sie sei dort eine Woche geblieben, bevor sie nach Deutschland weitergereist sei. Sie habe nie vorgehabt dort lange zu bleiben und auch keinen Asylantrag gestellt. Sie habe von Anfang an nach Deutschland gewollt, da dort ihre beiden Schwestern lebten. Auf Nachfrage erklärte sie, diese seien nicht von ihr abhängig. In Spanien habe sie keine Probleme gehabt. Für ihre Tochter habe sie das alleinige Sorgerecht. Für sie gebe es keine eigenen Asylgründe.
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Mit Bescheid vom 27.09.2024 wurde der Asylantrag als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1). Unter Ziffer 2 wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Abschiebung nach Spanien wurde angeordnet (Ziffer 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 21 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4). Auf die Begründung des Bescheids wird verwiesen.
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Gegen den Bescheid erhob die Antragstellerin zu 1 für sich und ihre Tochter Klage zur Niederschrift des Gerichts am 07.10.2024 (B 3 K 24.50090). Weiter beantragte sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
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Zur Begründung wurde auf das Vorbringen im behördlichen Verfahren Bezug genommen.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakte des Klageverfahrens, die Gerichtsakte dieses Verfahrens und die Behördenakte Bezug genommen, § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO.
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Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat in der Sache keinen Erfolg.
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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage anordnen, wenn die Klage – wie hier nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG – keine aufschiebende Wirkung hat. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht insbesondere eine summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache und bei offenen Erfolgsaussichten das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides abzuwägen.
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Die angegriffene Abschiebungsanordnung stellt sich unter Zugrundelegung der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen derzeitigen Sach- und Rechtslage bei der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig dar, so dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers hinter das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung zurückzutreten hat.
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Nach § 34a Abs. 1 AsylG wird die Abschiebung ohne das Erfordernis einer vorherigen Androhung und Fristsetzung insbesondere dann angeordnet, wenn der Ausländer in einen aufgrund unionsrechtlicher Bestimmungen oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Die Abschiebungsanordnung stellt sich als Festsetzung eines Zwangsmittels dar, die erst dann ergehen darf, wenn alle Voraussetzungen für die Abschiebung erfüllt sind. Dies ist in erster Linie die Zuständigkeit des anderen Staates, daneben muss aber auch feststehen, dass die Abschiebung in den zuständigen Staat nicht aus anderen Gründen rechtlich unzulässig oder tatsächlich unmöglich ist.
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Die notwendigen Voraussetzungen liegen hier bei summarischer Prüfung – wie im streitgegenständlichen Bescheid zutreffend ausgeführt (§ 77 Abs. 2 AsylG) – im Hinblick auf die beabsichtigte Abschiebung der Antragsteller nach Spanien vor.
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1. Die Asylanträge sind gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG unzulässig. Für das Asylverfahren der Antragsteller ist Spanien zuständig. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass diese nach ihren Angaben erstmalig über Spanien in den Dublin-Raum eingereist sind (Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO). Zudem gibt es, ausweislich der vorgelegten Pässe, ein Visum der spanischen Behörden (Art. 12 Dublin III-VO). Auf das Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin haben die spanischen Behörden binnen einer Frist von zwei Monaten nicht geantwortet, was gem. Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO die Verpflichtung nach sich zieht, die Antragsteller aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
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Soweit die Antragstellerin zu 1 ausführt, ihre Schwestern seien in Deutschland, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Diese fallen insbesondere nicht unter den Begriff des Familienangehörigen nach Art. 2 lit. g Dublin III-VO.
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In Spanien bestehen auch keine derartigen Mängel im Asylsystem, dass eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO oder Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ausgeschlossen wäre.
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Nach dem System der normativen Vergewisserung (s. dazu BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris Rn. 181 ff.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (s. dazu EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris Rn. 75 ff.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 80 ff.) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Diese ist nicht unwiderleglich, sondern es obliegt den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass ein Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, C-493/10 – juris Rn. 105 f.; U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 84 f.). Jedoch fallen solche Schwachstellen nur dann unter Art. 4 GRC, Art. 3 EMRK, wenn sie eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreichen. Dies ist erst dann anzunehmen, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hat, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befindet, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt, der mit der Menschenwürde unvereinbar ist (vgl. zum Ganzen: EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 91 f.).
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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ergeben sich keine Anhaltspunkte für entsprechende Schwachstellen in Spanien. Nach § 77 Abs. 2 AsylG wird hierzu zunächst auf die Gründe des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen. Die Einzelrichterin schließt sich nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln, der – soweit ersichtlich – nahezu einhelligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an, die derartige systemische Mängel im spanischen Asylsystem – in der Regel selbst für vulnerable Personen – verneint (vgl. VG Chemnitz, B.v. 12.4.2022 – 5 L 122/22.A – juris Rn. 17 ff.; VG Gera, B.v. 22.2.2022 – 6 K 963/21Ge – juris Rn. 26 ff.; VG Würzburg, B.v. 9.12.2021 – W 2 S 21.50343 – juris Rn. 19 ff. und B.v. 11.1.2019 – W 2 S 19.500022; VG Ansbach, B.v. 31.5.2022 – AN 17 S 20.50132 und B.v. 6.10.2022 – AN 17 S 21.50068 – juris; VG Düsseldorf, B.v. 20.1.2023 – 22 L 2724/22.A –, juris; a.A. VG Düsseldorf, B.v. 1.2.2022 – 12 L 2264/21.A – juris Rn. 45 ff.).
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Asylantragsteller erhalten in Spanien neben einem rechtstaatlichen Verfahren insbesondere eine Unterkunft, medizinische Versorgung und Zugang zu Bildung. Dies gilt insbesondere für sogenannte Dublin-Rückkehrer, die im Rahmen des Europäischen Asylsystems nach Spanien überstellt werden (vgl. EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Spain, 10.07.2024,).
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Die Ankunft der Rückkehrer koordiniert die Asylbehörde mit dem Sozialministerium, das für die Unterbringung zuständig ist. Zivilgesellschaftliche Organisationen berichten von Problemen bei der Identifizierung von zurückkehrenden Opfern von Menschenhandel (hauptsächlich aus Frankreich), die nicht effektiv als solche erkannt wurden. Koordinationsprobleme zwischen den spanischen Behörden (OAR, Dublin-Unit, Sozialministerium) sind ein weiterer Kritikpunkt. In den Jahren 2019 und 2020 gab es Berichte über Dublin-Rückkehrer ohne Zugang zu Versorgung wegen Platzmangel, was in bestimmten Fällen zu Obdachlosigkeit führte. Nach einer Reihe von Gerichtsurteilen wurden Anordnungen getroffen, um den Zugang von Dublin-Rückkehrern, die Spanien freiwillig in Richtung anderer EU-Länder verlassen hatten, zum Versorgungssystem zu gewährleisten. Dennoch berichteten NGOs im Juni 2019, dass sie einige Dublin-Rückkehrer (darunter Kinder und eine schwangere Frau) unterstützten, denen das OAR die Unterbringung verweigert habe. Berichte über tatsächlich längerfristige Obdachlosigkeit vieler Asylsuchender gibt es jedoch nicht. Der Wohnort und die Art der Unterbringung von Dublin-Rückkehrern werden von den spanischen Behörden auf der Grundlage der Bedürfnisse der Asylwerber und ihrer Fähigkeit, ein selbständiges Leben zu führen, zugewiesen. Die Art der Unterbringung ist unterschiedlich zwischen Zentren mit unterschiedlicher Kapazität (maximal 120 Personen) oder in Wohnungen. Aufgrund der stark gestiegenen Asylbewerberzahlen wurden 2023 auch der Bau neuer Unterkünfte angestoßen. Bestehende Notunterkünfte wurden beibehalten.
(vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Spanien, Gesamtaktualisierung am 08.11.2022 Seite 7f, sowie EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Spain, 10.07.2024, Ziff. 1; AIDA Country Report Spain, Update 2023 Seite 110 ff.)
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Dublin Rückkehrer haben ebenso wie Asylbewerber und spanische Bürger vollen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Spanien, Gesamtaktualisierung am 08.11.2022 Seite 17f, sowie EUAA, Information on procedural elements and rights of applicants subject to a Dublin transfer to Spain, 10.07.2024, Ziff. 1.5, 4.1; AIDA Country Report Spain, Update 2023 Seite 125)
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Minderjährige haben in Spanien das Recht auf Bildung, und es besteht eine Schulpflicht für Kinder von sechs bis 16 Jahren. Asylsuchende Minderjährige erhalten Zugang zum Unterricht in regulären Schulen der Autonomen Gemeinde in der sie untergebracht sind. Je nach Gemeinde wird die schulische Integration daher unterschiedlich gehandhabt. Einige Gemeinden setzen auf Vorbereitungsklassen, andere auf Tutoren und wieder andere bieten keine zusätzlichen oder spezialisierten Dienste an, um die die Integration in die Schule zu erleichtern.
(Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Spanien, Gesamtaktualisierung am 08.11.2022 Seite 10; AIDA Country Report Spain, Update 2023 Seite 123)
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Die Zuständigkeit Spaniens ist auch nicht durch den Ablauf der Überstellungsfrist wieder entfallen. Die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO beträgt sechs Monate ab der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch den anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Diese Frist ist angesichts des Aufnahmegesuches vom 05.07.2024 ersichtlich noch nicht abgelaufen.
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Anhaltspunkte für eine Pflicht zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO, sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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2. Schließlich begegnet auch die Entscheidung über die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes gem. § 11 Abs. 1 AufenthG keinen Bedenken. Die Befristung auf 21 Monate ab dem Tag der Abschiebung ist ermessensfehlerfrei innerhalb der in § 11 Abs. 3 Satz 2 und 3 AufenthG normierten gesetzlichen Grenzen getroffen worden.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83b AsylG nicht erhoben.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).