Titel:
Nachbarklage, Abweichung von den Abstandsflächen, Aufkeilgaube, Dachumwehrung aus Glas, Ermessen, Abweichung von den Erfordernissen einer Brandwand, Badezimmerfenster, Würdigung nachbarlicher Belange
Normenketten:
BayBO Art. 6
BayBO Art. 63
BayVwVfG Art. 40
VwGO § 114
BayBO Art. 28
Schlagworte:
Nachbarklage, Abweichung von den Abstandsflächen, Aufkeilgaube, Dachumwehrung aus Glas, Ermessen, Abweichung von den Erfordernissen einer Brandwand, Badezimmerfenster, Würdigung nachbarlicher Belange
Fundstelle:
BeckRS 2024, 35287
Tenor
I. Die Baugenehmigung der Beklagten vom 14.2.2022 (Az. …) in der Form der Änderungsgenehmigung vom 7.6.2024 (Az. …) wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt die Aufhebung einer der Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zur energetischen Modernisierung und Aufstockung eines Rückgebäudes.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 1744 Gemarkung …, C. str. 8 (im Folgenden „Nachbargrundstück“). Das Nachbargrundstück ist mit einem zum Innenhof 4-geschossigen Gebäude samt ausgebautem Dachgeschoss bebaut.
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Die Beigeladene ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 1742 Gemarkung …, S. str. 13 (im Folgenden „Baugrundstück“). Auf diesem Grundstück befindet sich ein zur S. straße ausgerichtet bestehendes mehrgeschossiges Vordergebäude. Im Innenhof des Grundstücks befindet sich ein Rückgebäude, welches auf, beziehungsweise leicht über der Grenze zum Nachbargrundstück steht. Die Grundstücksgrenzen von Bau- und Nachbargrundstück verspringen im Nordwesten des Rückgebäudes. Diesen Versprung nimmt das Rückgebäude auf, sodass die nördliche Außenwand des Rückgebäudes teilweise ebenfalls einen Rücksprung aufweist.
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Zur Veranschaulichung der baulichen Situation auf dem Bau- und dem Nachbargrundstück siehe folgenden Lageplan (nach Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu):
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Mit Bauantrag vom 13. Oktober 2021 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die energetische Modernisierung des bereits bestehenden Rückgebäudes, sowie dessen Aufstockung um ein weiteres Geschoss auf insgesamt drei Geschosse. Nach den mit dem Bauantrag eingereichten Plänen soll das zweite Obergeschoss im nördlichen Bereich teilweise im Bereich einer Dachschräge liegen. Das Dach des Gebäudes ist im Übrigen als Flachdach mit einer 1,10 m hohen umlaufenden gläsernen Umwehrung ausgestaltet. In den Antragsunterlagen ist daneben vorgesehen, im Bereich der Dachschräge des zweiten Obergeschosses im Norden eine Aufkeilgaube mit einer schräg eingesetzten Festverglasung und einer steileren Neigung als das übrige Dach anzubringen. An der Ostseite des geplanten Gebäudes ist die Außenwand bis zum Flachdach durchgehend und bildet im 2. Obergeschoss einen Raum ohne Dachschräge mit bodentiefen Balkontüren. Im Bereich dieses Bauteils (im Folgenden: Zwerchhaus) entsteht im 2. Obergeschoss Richtung Norden eine senkrechte Außenwand.
6
Für die durch die Glasumwehrung und die Aufkeilgaube ausgelösten Abstandsflächen zum Nachbargrundstück wurde eine Abweichung beantragt. Dabei wurden die von diesen Bauteilen ausgelösten Abstandsflächen zusammengefasst und einheitlich abgefragt. Ferner wurden Abweichungen von brandschutzrechtlichen Vorschriften für die Aufkeilgaube sowie für ein im ersten Obergeschoss an der zurückversetzten nördlichen Außenwand gelegenes Badfenster beantragt.
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Mit Bescheid vom 14. Februar 2022 wurde der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung samt der beantragten Abweichungen erteilt. Im Anschluss an die Erteilung der Baugenehmigung begann die Beigeladene, das genehmigte Vorhaben umzusetzen. Mittlerweile sind die Arbeiten abgeschlossen.
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Mit Antrag vom 26. März 2024 beantragte die Beigeladene eine Änderung zur Baugenehmigung vom 14. Februar 2022. Teil dieser Änderung war vor allem die Anpassung verschiedener Höhenvermaßungen an die von der Genehmigung vom 14. Februar 2022 abweichende tatsächliche Ausführung des Vorhabens. Insbesondere wurden die Wandhöhe im Norden einschließlich der Höhe des oberen Abschlusses der Dachumwehrung, sowie einiger Maße hinsichtlich der Aufkeilgaube verändert. Im Rahmen des Änderungsantrags wurde erneut eine Abweichung von den Abstandsflächen für die Dachumwehrung und die Aufkeilgaube sowie Abweichungen von brandschutzrechtlichen Vorschriften für das Badfenster und die Aufkeilgaube beantragt.
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Mit Bescheid vom 7. Juni 2024 erteilte die Beklagte der Beigeladenen die beantragte Änderungsgenehmigung. Dabei wurde die Erteilung der beantragten Abweichung von den Abstandsflächen nach Norden für die Dachumwehrung und die Aufkeilgaube wie folgt begründet:
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„Die beantragte Abweichung wird erteilt, da die Gaube von der Grundstücksgrenze abgerückt ist, als Aufkeilgaube geplant ist und das Brüstungsgeländer in Glas ausgeführt wird. Die Abstandsflächen können aufgrund der Grenzbebauung mit verspringend verlaufenden Grundstücksgrenzen nicht eingehalten werden. Durch die mit diesem Vorhaben verbundene Vergrößerung der Abstandsflächen ist keine Verschlechterung von Belichtung für die Wohn- und Aufenthaltsbereiche bei dem nach Norden liegenden Hofbereich bzw. der hinter dem Hof liegenden Bebauung zu erwarten. Die Gaube dient der Verbesserung der Belichtungs- und Belüftungssituation der betroffenen, bestehenden Wohnung. Das Brüstungsgeländer ist ebenso von der Grundstücksgrenze zurückgesetzt und tritt aufgrund der Ausführung in Glas nahezu nicht in Erscheinung.
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Der Nachbar wird durch die erteilte Abweichung nicht nachhaltig und gravierend in seinen schutzwürdigen Individualinteressen verletzt, so dass die Erteilung der Abweichung gehindert wäre. Die Abweichung von den materiell-rechtlichen Vorschriften ist gerechtfertigt, da nicht in einem so erheblichen Maß von den Regelvorschriften abgewichen wird, dass die ursprüngliche Schutzvorschrift der Regelung verloren ginge. Die Erteilung einer Abweichung ist daher unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Die Abweichung kann daher in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erteilt werden.“
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Mit Schriftsatz vom 16. März 2022, eingegangen bei Gericht am selben Tag erhob die Klägerin Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 14. Februar 2022. Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2024, eingegangen bei Gericht am selben Tag, erweiterte die Klägerin sodann ihre Klage auf die Änderungsgenehmigung vom 7. Juni 2024.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
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Der Baugenehmigungsbescheid der Landeshauptstadt M. vom 14.02.2022 (Az. …) in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 07.06.2024 (Az. …) wird aufgehoben.
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Die Klägerin beruft sich darauf, dass die Baugenehmigung vom 14. Februar 2022 in Gestalt der Änderungsgenehmigung vom 7. Juni 2024 zu unbestimmt sei, da sie hinsichtlich der im Bauantrag angegebenen Nutzung der Dachfläche (Betreten nur zu Reinigungs- und Wartungszwecken) und der befürchteten tatsächlichen Nutzung (Dachterrasse) Widersprüche aufweise. Wegen der Gestaltung der Dachumwehrung aus Glas und der Ausstiegsmöglichkeit von der in den Obergeschossen befindlichen Wohnung direkt auf die Dachfläche sei davon auszugehen, dass eine Nutzung als Dachterrasse geplant sei. Ferner sei die für die Aufkeilgaube und die Glasumwehrung erteilte Abweichung rechtswidrig. Es fehle schon an der erforderlichen Atypik. Außerdem sei kein überwiegendes Bauherrninteresse der Beigeladenen an der Umwehrung und der Dachkonstruktion als Aufkeilgaube ersichtlich. Bei einer Betretbarkeit der Dachfläche nur zu Reinigungs- und Wartungszwecken sei eine Umwehrung nicht erforderlich. Andere Sicherungsmöglichkeiten, wie etwa Anschlagpunkte, seien ausreichend. Auch eine Belichtung über die Verglasung in der Aufkeilgaube sei nicht erforderlich. Es stünden andere, den Nachbarn weniger belastende Belichtungsmöglichkeiten zur Verfügung. Aus den gleichen Gründen sei die Abweichungsentscheidung auch ermessensfehlerhaft. Außerdem seien auch die erteilten Abweichungen von brandschutzrechtlichen Vorschriften rechtswidrig. Eine Atypik sei auch insoweit nicht vorhanden. Insbesondere sei das Badfenster im ersten Obergeschoss nicht erforderlich, was schon daran deutlich werde, dass im Erdgeschoss an der gleichen Stelle kein Fenster zur Belichtung des dort gelegenen Bads geplant sei.
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Die Beklagte beantragt
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Zur Begründung ihres Antrags hat die Beklagte auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids verwiesen, im Übrigen aber nicht weiter Stellung genommen.
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Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, sich aber zum Sachverhalt dahingehend geäußert, dass ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht nicht gegeben sei. Die erteilte Abweichung sei rechtmäßig. Die Atypik ergebe sich daraus, dass sich das Vorhaben im dicht bebauten innerstädtischen Bereich befinde und es um den Umbau eines Bestandsgebäudes gehe. Nennenswerte Einbußen von Nachbarrechten seien durch das Vorhaben nicht zu verzeichnen. Insbesondere seien Einblicksmöglichkeiten regelmäßig hinzunehmen und außerdem sei die Glasumwehrung lichtdurchlässig und beeinträchtige daher nicht die Belichtung des Nachbargrundstücks. Auch dass es sich um einen Vorgang der Wohnraumbeschaffung handle, sei als wesentlicher Belang zu berücksichtigen. Die Klägerin könne sich überdies ohnehin nicht auf Verstöße gegen das Abstandsflächenrecht berufen, da sie selbst nicht die erforderlichen Abstandsflächen einhalte. Auch im Hinblick auf den Brandschutz seien keine Nachbarrechte verletzt. Die Abweichungen seien rechtmäßig. Das Badfenster im ersten Obergeschoss bestehe bereits seit 1980. Es sei außerdem nicht öffenbar und hochfeuerhemmend ausgestaltet. Ferner befinde es sich in der durch die verspringenden Grundstücksgrenzen gebildeten Nische, wodurch eine Brandausbreitung unwahrscheinlich sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des schriftsätzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist auch begründet.
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1. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 14. Februar.2022 in der Form der Änderungsgenehmigung vom 7. Juni 2024 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
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Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von im Baugenehmigungsverfahren zu prüfenden Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, 22).
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1.1 Vorliegend verstößt die Baugenehmigung gegen Art. 6 BayBO, da das Vorhaben die Abstandsflächen zum Nachbargrundstück nach Norden hin nicht einhält und die gemäß Art. 63 BayBO erteilte Abweichung von Art. 6 BayBO rechtswidrig ist. Art. 6 BayBO ist in seiner Gesamtheit nachbarschützend (BayVGH B.v. 30.11.2005 – 1 CS 05.2535 – juris Rn. 19). Gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b, Nr. 2 BayBO sind sowohl die Abstandsflächen als auch beantragte Abweichungen Teil des Prüfprogramms im vereinfachten Genehmigungsverfahren.
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Bei Abweichungen von drittschützenden Vorschriften, wie vorliegend Art. 6 BayBO, kann der Nachbar mit Erfolg die objektive Rechtswidrigkeit einer nach Art. 63 BayBO erteilten Abweichung rügen (BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17; Weinmann in: BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Spannowsky/Manssen, 30. Edition, Stand 1.1.2024, Art. 63 Rn. 30; Dhom/Simon in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand 154. EL Juni 2024, Art. 63 Rn. 35). Denn er hat nicht nur einen Anspruch darauf, dass seine eigenen Belange sachgerecht ermittelt und in die Abwägung eingestellt werden. Vielmehr ist er auch dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Abweichung aus einem anderen Grund, etwa weil sie nicht mit den öffentlichen Belangen zu vereinbaren ist, objektiv rechtswidrig ist (BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17; Dhom/Simon in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand 154. EL Juni 2024, Art. 63 Rn. 35).
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Vorliegend ist die gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO für die Abstandsflächen zum Nachbargrundstück nach Norden erteilte Abweichung von Art. 6 BayBO jedenfalls wegen eines Ermessensfehlers (Art. 40 BayVwVfG) rechtswidrig.
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Die Beklagte hat in der Änderungsgenehmigung vom 7. Juni 2024 in Abweichung Nr. 2 ausgeführt, dass diese wegen der „Nichteinhaltung der für die Dachgaube nach Norden und das gläserne Brüstungsgeländer“ erteilt werde. Die durch die seitliche Außenwand des Zwerchhauses nach Norden ausgelösten Abstandsflächenüberschreitungen bleiben unerwähnt. Es kann dahinstehen, ob mit dieser Abweichungsentscheidung nur die durch das Brüstungsgeländer und die Aufkeilgaube allein ausgelösten Abstandsflächen erfasst werden und damit eine Abweichung der durch die nach Norden fallende seitliche Außenwand des Zwerchhauses im Bereich des bis zum Flachdach reichenden Bauteils gar nicht erteilt wurde. Jedenfalls ist die Abweichung wegen der Beschränkung auf die Wirkungen des Brüstungsgeländers und der Aufkeilgaube ermessensfehlerhaft.
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Gemäß § 114 VwGO ist die Ermessensentscheidung der Behörde nicht auf ihre Sachdienlichkeit hin überprüfbar, sondern die gerichtliche Prüfung hat sich auf die Prüfung von Ermessensfehlern zu beschränken (BVerwG, U.v. 14.10.1965 – II C 3.63 – juris Rn. 32). Die Ermächtigung zur Ermessensausübung ist nämlich nicht unbegrenzt, sondern bedeutet immer nur die Einräumung pflichtgemäßen Ermessens (vgl. BVerfG, B.v. 22.5.1962 – 1 BvR 301/59 – juris Rn. 31).
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Ein Ermessensfehler liegt zunächst dann vor, wenn die Behörde überhaupt kein Ermessen ausgeübt hat (sog. Ermessensnichtgebrauch oder -ausfall), wenn sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschreitet (sog. Ermessensüberschreitung), wenn sie nicht alle nach Lage des Falles betroffenen Belange in ihre Ermessensentscheidung eingestellt, sie ihre Entscheidung also auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen hat (sog. Ermessensdefizit) und schließlich, wenn von dem durch die Befugnisnorm eingeräumten Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, die Behörde sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen oder ein Belang willkürlich falsch gewichtet (sog. Ermessensfehlgebrauch) worden ist.
30
Vorliegend ist die Ermessensentscheidung der Beklagten hinsichtlich der Abweichung von den Abstandsflächen für die Aufkeilgaube und die Dachumwehrung aufgrund eines Ermessensdefizits fehlerhaft. Die Beklagte hat bei ihrer Ermessensausübung völlig außer Acht gelassen, dass die im östlichen Bereich auf Höhe des Balkons zurückversetzte nördliche Außenwand des Zwerchhauses auch – jedenfalls in einem Teilbereich – als Wand sichtbar in Erscheinung tritt. Dieser Umstand hätte aber in die behördliche Abwägung miteinfließen müssen, da er von Bedeutung für die nachbarlichen Belange ist. Anders als die von der Beklagten gewürdigten Umstände (Gestaltung der Dachkonstruktion als (schräge) Aufkeilgaube, Materialität der Dachumwehrung) ist eine als solche wahrnehmbare, senkrechte und blickdichte Wand mit anderen Auswirkungen auf die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange der Belichtung und Belüftung verbunden als eine schräge Aufkeilgaube oder eine lichtdurchlässige Glasumwehrung.
31
Zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten weist das Gericht jedoch darauf hin, dass es die Erteilung einer Abweichung für die nach Norden anfallenden Abstandsflächen unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts für grundsätzlich möglich erachtet. Zwar ist es dem Gericht verwehrt, an Stelle der Beklagten eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen und das Ermessensdefizit auszugleichen. Gleichwohl ist festzustellen, dass die nachbarlichen Belange durch das Zurückweichen der Außenwand von der Grenze anstelle der grundsätzlich planungsrechtlich zulässigen Grenzbebauung für die Klägerin hinsichtlich der Schutzzwecke des Abstandsflächenrechts weniger belastend sind. Nicht zuletzt kann die Beklagte auch maßgeblich in ihre Ermessensentscheidung einstellen, dass das Gebäude der Klägerin in erheblichen Umfang Abstandsflächen auf das Baugrundstück wirft.
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1.2 Ferner wird die Klägerin in ihren Rechten dadurch verletzt, dass die für das Badezimmerfenster im ersten Obergeschoss erteilte Abweichung von Art. 28 BayBO unter Würdigung der nachbarlichen Interessen nicht mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO soll die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (BayVGH, B.v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17). Werden die nachbarlichen Interessen nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt, dann wird der Nachbar in seinen Rechten verletzt, unabhängig davon, ob die Norm von der abgewichen werden soll selbst drittschützend ist (BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17).
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Vorliegend überwiegt das Bauherreninteresse gegenüber den nachbarlichen Interessen nicht. Hierbei findet maßgeblich Berücksichtigung, dass der Nachbar ein großes Interesse daran hat, dass der für Grenzwände geforderte Brandschutz ungeschmälert eingehalten wird. Demgegenüber sind keine überwiegenden Bauherreninteressen erkennbar. Die Belichtung eines Badezimmers mit Tageslicht durch Fenster (Art. 45 Abs. 2 Satz 1 BayBO) ist nicht zwingend erforderlich, da es sich bei einem Badezimmer nicht um einen Aufenthaltsraum im Sinne von Art. 2 Abs. 5 BayBO handelt (Laser in: Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Auflage 2022, Art. 2 Rn. 61 m.V.a. BVerwG, U.v. 23.9.1987 – 8 C 32.85 – juris Rn. 20). Auch das Badezimmer im Erdgeschoss des Rückgebäudes verfügt nicht über ein Fenster. Zur Entlüftung des Badezimmers leistet das Badezimmerfenster vorliegend ebenfalls keinen Beitrag, da es nicht öffenbar ausgestaltet sein soll und daher keinen Luftaustausch erlaubt. Schon allein vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, weshalb eine Schmälerung der nachbarlichen Rechte durch die Erteilung einer Abweichung gerechtfertigt sein soll.
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Dass das betroffene Badezimmerfenster bereits vor der Modernisierung des Rückgebäudes im Bestand vorhanden war, vermag an dieser Beurteilung nichts zu verändern. Durch die umfassende Renovierung, Modernisierung und Aufstockung des Rückgebäudes ist dieses als neues Vorhaben zu bewerten, das insgesamt einer neuen Baugenehmigung und damit einer neuen Bewertung bedurfte.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie mangels Antragstellung auch kein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO).
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3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.