Inhalt

VGH München, Beschluss v. 15.02.2024 – 4 CE 24.60
Titel:

Zuständigkeit für Obdachlosenunterbringung bei Familiennachzug

Normenketten:
BayLStVG Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
AufenthG § 29 Abs. 2 S. 1, S. 2
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 11, Art. 28 Abs. 2
BV Art. 83 Abs. 1
BayVwVfG Art. 3 Abs. 1 Nr. 4
Leitsätze:
1. Für die Obdachlosenunterbringung ist die Gemeinde des jeweiligen Aufenthaltsorts auch bei Ausländern zuständig, denen die Einreise im Wege des Familiennachzugs unter Verzicht auf das Wohnraumerfordernis erlaubt wurde. (Rn. 10)
2. Lehnt die Gemeinde einen Antrag auf Unterbringung zu Unrecht ab, so bleibt sie örtlich zuständig, wenn der Obdachlose trotz eines zwischenzeitlichen Ortswechsels weiterhin in ihrem Gebiet Aufenthalt nehmen will. (Rn. 15)
Schlagworte:
Pflicht der Gemeinden zur Obdachlosenunterbringung, Verzicht auf Wohnraumerfordernis bei Familiennachzug ins Bundesgebiet, Abgrenzung zwischen freiwilliger und bloß vorhersehbarer Obdachlosigkeit, staatliche Unterbringungsverpflichtung nur bei Asylbewerbern, Unterbringungsverpflichtung der Gemeinde auch bei neu Zugezogenen, ausnahmsweise Fortdauer der örtlichen Zuständigkeit trotz Ortswechsels, Obdachlosenunterbringung, Wohnraumerfordernis, Familiennachzug, Obdachlosigkeit, Zuständigkeit, Ortswechsel, Unterbringungsverpflichtung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 02.01.2024 – M 22 E 23.6173
Fundstellen:
BayVBl 2024, 527
BeckRS 2024, 3506
DÖV 2024, 535
KommJur 2024, 233
LSK 2024, 3506

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller, eine jemenitische Staatsangehörige und ihre beiden Kinder, begehren von der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft. Der Ehemann bzw. Vater der Antragsteller, der am 30. März 2023 als Flüchtling nach § 3 AsylG anerkannt wurde, wohnt seit dem 30. August 2023 als sog. Fehlbeleger in einer im Gebiet der Antragsgegnerin gelegenen, vom Landkreis betriebenen Flüchtlingsunterkunft. Die Antragsteller erhielten am 3. Dezember 2023 Visa zum Ehegatten- bzw. Kindernachzug und reisten am 6. Dezember 2023 ins Bundesgebiet ein. Vom Ehemann bzw. Vater wurden sie für zwei Nächte in die Flüchtlingsunterkunft gebracht, mussten diese aber auf Aufforderung des Landratsamts wieder verlassen. Ihre Anträge auf Aufnahme in der Unterkunft und auf Unterbringung durch die Antragsgegnerin im Rahmen der örtlichen Obdachlosenhilfe blieben erfolglos. Nachdem sie zunächst für zwei Nächte bei Freunden in M. untergekommen waren und anschließend laut eigenen Angaben unter freiem Himmel geschlafen hatten, wurden sie befristet bis zum 2. Januar 2024 in der M. Einrichtung für obdachlose Frauen K.... aufgenommen.
2
Nachdem die Antragsgegnerin am 22. Dezember 2023 erneut die Unterbringung der Antragsteller abgelehnt hatte, beantragten diese am selben Tag beim Verwaltungsgericht München, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen zur Behebung der Obdachlosigkeit eine Notunterkunft zuzuweisen.
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Mit Beschluss vom 2. Januar 2024 gab das Verwaltungsgericht dem Antrag statt. Unfreiwillige Obdachlosigkeit ziehe im Sinne von Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG konkrete Gefahren für Leib und Leben nach sich. Die zuständige Gemeinde sei daher als untere Sicherheitsbehörde zu entsprechendem sicherheitsbehördlichen Einschreiten regelmäßig verpflichtet. Die Antragsteller hätten eine Situation unfreiwilliger Obdachlosigkeit glaubhaft gemacht. Dem stehe nicht entgegen, dass sie sich ohne vorangehende Klärung der Unterbringungsfrage ins Bundesgebiet begeben hätten. Sie verfügten rein faktisch nicht über eine Unterkunft; ihre bisherige Unterbringung bei K.... ende laut der vorgelegten Bestätigung am 2. Januar 2024 um 16 Uhr. Es sei nicht ersichtlich, dass die Antragsteller die Obdachlosigkeit durch Selbsthilfebemühungen abwenden könnten. Die Antragsgegnerin sei für ihre Unterbringung zuständig, weil die Obdachlosigkeit in ihrem Gemeindegebiet eingetreten sei. Nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG sei diejenige Behörde örtlich zuständig, in deren Bezirk der Anlass für die Amtshandlung hervortrete; bei eingetretener oder drohender Obdachlosigkeit bildeten die Gefahren für Leib und Leben gemäß Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG den Anlass für das sicherheitsrechtliche Eingreifen. Zuständig sei danach die Gemeinde, in deren Bezirk die Obdachlosigkeit eingetreten sei; auf den früheren oder aktuellen Ort des gewöhnlichen Aufenthalts komme es nicht an. Die Antragsteller hätten sich nach ihrer Einreise zunächst ins Gemeindegebiet der Antragsgegnerin begeben, die Unterkunft in der dortigen Flüchtlingseinrichtung aber durch die Aufforderung zum Auszug wieder verloren. Die Antragsgegnerin könne sich nicht auf eine Verlegung des Aufenthaltsorts in die Landeshauptstadt M. berufen; insoweit habe kein dauerhafter Ortswechsel stattgefunden. Die dortige Aufenthaltsnahme bei Freunden, auf der Straße und bei K.... sei aus einer Notlage heraus und nur vorübergehend erfolgt, weil den Antragstellern eine Unterbringung im Gebiet der Antragsgegnerin verwehrt worden sei. Deren Zuständigkeit stehe nicht entgegen, dass es sich um ausländische Staatsangehörige handle, die mit einem Visum zur Familienzusammenführung eingereist seien.
Die Frage, ob solche Personen grundsätzlich einen Anspruch auf obdachlosenrechtliche Unterbringung hätten, sei bislang nicht geklärt. Nach herrschender Meinung fielen jedenfalls Asylbewerber mangels eines näheren örtlichen Bezugs nicht unter das Obdachlosenrecht. Demgegenüber hätten Ausländer, die nach erfolgreichem Abschluss des Asylverfahrens im Bundesgebiet verbleiben dürften, sowie geduldete Ausländer nach der Rechtsprechung einen Anspruch auf Obdachlosenunterbringung. Hiernach bestehe auch bei den mit einem Visum zur Familienzusammenführung eingereisten Antragstellern eine grundsätzliche Unterbringungsverpflichtung der Antragsgegnerin. Die Antragsteller hätten mangels Leistungsberechtigung nach § 1 AsylbLG keinen Anspruch auf Unterbringung nach Art. 1 Abs. 1 AufnG, so dass keine andere Stelle dafür zuständig sei. Da sie nicht zur Wohnsitznahme, etwa nach § 47 AsylG oder § 12a AufenthG, verpflichtet seien, bestehe kein Unterschied zu sonstigen obdachlosen Personen, die sich in einer Gemeinde aufhielten. Der örtliche Bezug zum Gebiet der Antragsgegnerin ergebe sich daraus, dass sie sich zu ihrem in einer dortigen Flüchtlingsunterkunft untergebrachten Ehemann bzw. Vater begeben hätten und dass dort nach Beendigung der Unterbringung die sicherheitsrechtliche Gefahr entstanden sei.
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Gegen diesen Beschluss richtet sich die von der Antragsgegnerin erhobene Beschwerde, der die Antragsteller entgegentreten.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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1. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe überprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht stattgegeben. Die mit der Beschwerde vorgebrachten Einwände führen zu keiner anderen Beurteilung.
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a) Die Antragsgegnerin trägt vor, Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG sei hier nicht anwendbar. Bei einem privilegierten Familiennachzug müsse nach den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes kein ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehen. Diese auf neueren bundesgesetzlichen Regelungen beruhende Fallkonstellation werde vom Landesstraf- und Verordnungsgesetz nicht erfasst bzw. sei mit diesem nicht kompatibel; der Begriff der unfreiwilligen Obdachlosigkeit dürfe nicht zum Nachteil der sicherheitsrechtlich zuständigen Kommunen überspannt werden. Die Antragsteller hätten sich zudem sehenden Auges und damit freiwillig in die Obdachlosigkeit begeben, weil sie eingereist seien, ohne über eine Unterkunft zu verfügen; mangels eigener Asylantragstellung hätten sie auch nicht damit rechnen können, selbst in der Flüchtlingsunterkunft aufgenommen zu werden. Hiernach erscheine ihre Forderung nach einer Unterkunft rechtsmissbräuchlich, sodass sie auf vorrangige Selbsthilfe zu verweisen seien. Jedenfalls sei die Antragsgegnerin für die Zuweisung einer Notunterkunft nicht örtlich zuständig. Die Obdachlosigkeit sei nicht (erst) auf ihrem Gemeindegebiet eingetreten. Dass sich die Antragsteller zunächst dorthin begeben hätten, genüge nicht zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit. Ein dauerhafter Ortswechsel in das Gemeindegebiet der Antragsgegnerin habe nicht stattgefunden, da die Antragsteller dort lediglich für zwei Nächte untergekommen seien, bevor sie für eine deutlich längere Zeit auf dem Gebiet der Landeshauptstadt München Unterkunft gefunden hätten. Schon die Aufenthaltsnahme im Bereich der Antragsgegnerin sei aus einer Notlage heraus und nur vorübergehend erfolgt; die durch die Gefahr der Obdachlosigkeit bestehende Notlage sei spätestens mit der Einreise ins Bundesgebiet eingetreten und damit bereits auf dem Gebiet der Gemeinde, zu der der Flughafen gehöre. Ein dauerhafter Ortswechsel in das Gemeindegebiet der Antragsgegnerin habe nicht stattgefunden, zumal auch ihr Ehemann bzw. Vater dort nicht freiwillig seinen ständigen Aufenthalt begründet habe, sondern einer dortigen Flüchtlingseinrichtung zugewiesen worden sei.
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b) Mit diesem Sachvortrag wird die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Frage gestellt. Die Antragsteller sind, da sie derzeit nicht über eine eigene Unterkunft verfügen, von Obdachlosigkeit bedroht, so dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt, für deren Beseitigung die Antragsgegnerin als untere Sicherheitsbehörde vorrangig gegenüber den in Art. 6 LStVG genannten überörtlichen Behörden zuständig ist (vgl. BayVGH, U.v. 25.3.1974 – 2 IV 73 – VGH n.F. 27, 49/51 f. = BayVBl 1974, 471; VollzBekLStVG vom 8.8.1986, Az. IC2-2105-1/16, Nr. 6.5).
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aa) Entgegen dem Beschwerdevortrag ist von einer unfreiwilligen und daher zum behördlichen Einschreiten verpflichtenden Obdachlosigkeit auszugehen. Freiwilligkeit läge nur dann (ausnahmsweise) vor, wenn die Antragsteller sich aufgrund einer eigenverantwortlichen Willensentscheidung mit dem Fehlen einer ihren Grundbedürfnissen genügenden Unterkunft abgefunden, sich also für ein „Leben auf der Straße“ entschieden hätten. Dies ist aber nicht der Fall, wie sich schon daraus ergibt, dass sie bei der Antragsgegnerin wiederholt einen Antrag auf Obdachlosenunterbringung gestellt haben. Es spricht auch nichts dafür, dass es ihnen möglich wäre, sich aus eigener Kraft eine den wohnungsmäßigen Mindestanforderungen genügende Unterkunft zu verschaffen, so dass sie ihre Obliegenheit zur Selbsthilfe verletzt hätten und ihr Antrag als rechtsmissbräuchlich abgelehnt werden könnte (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2014 – 4 CS 14.126 – juris Rn. 6). Dass die (offenbar weitgehend mittellosen) Antragsteller ins Bundesgebiet eingereist sind, ohne zuvor ihre Unterbringung sicherzustellen, lässt die nunmehr entstandene Obdachlosigkeit zwar als möglicherweise vorhersehbar, nicht jedoch als freiwillig erscheinen. Auf die Frage, ob das Fehlen einer Unterkunft auf einem individuell vorwerfbaren Verhalten beruht, kann es im Übrigen nach den allgemeinen Grundsätzen des Sicherheitsrechts nicht ankommen (BayVGH, B.v. 9.10.2015 – 4 CE 15.2102 – juris Rn. 2; Ehmann, Obdachlosigkeit in Kommunen, 4. Aufl. 2020, 40; Ruder, KommJur 2020, 401/404).
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bb) Die vom Bundesgesetzgeber in Umsetzung von Art. 7 Abs. 1 Buchst. a) i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 1 RL 2003/86/EG getroffene Entscheidung, den Familiennachzug zu Ausländern, denen die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG zuerkannt wurde, unter bestimmten Voraussetzungen auch dann zu gestatten, wenn für die betreffenden Ehegatten und minderjährigen Kinder kein ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht (§ 29 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 und 2 AufenthG), hat entgegen der Annahme der Antragsgegnerin nicht zur Folge, dass in derartigen Fällen die Gemeinden von ihrer landesrechtlich begründeten Pflicht zur Gefahrenabwehr nach Art. 6, Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG entbunden wären. Die Unterbringung von Obdachlosen ist gemäß Art. 83 Abs. 1 BV, Art. 57 Abs. 1 GO eine im eigenen Wirkungskreis zu erfüllende kommunale Aufgabe (BayVGH, U.v. 2.4.1993 – 4 B 92.1326 – VGH n.F. 46, 75 m.w.N.; Holzner in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand 1.10.2023, Art. 6 LStVG Rn. 30 m.w.N.). Sie entfällt nicht deswegen, weil eine andere staatliche Ebene eine Ursache dafür gesetzt hat, dass die schutzbedürftigen Personen ins Bundesgebiet einreisen und daher hier obdachlos werden konnten. Die gesetzliche Verpflichtung zur Gefahrenabwehr besteht unabhängig davon, ob die eingetretene Gefahrenlage einem anderen Verwaltungsträger zugerechnet werden kann. Auch die verfassungsrechtliche Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG vermittelt den Gemeinden keinen Anspruch darauf, dass der Staat ihnen unter Durchbrechung der bestehenden Zuständigkeitsordnung die Betreuung bestimmter zu ihrer Einwohnerschaft zählender Personen abnimmt (BVerwG, B.v. 24.2.1993 – 7 B 155.92 – BayVBl 1993, 438).
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cc) In der Beseitigung der Obdachlosigkeit liegt auch dann eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft im Sinne des Art. 28 Abs. 2 GG und damit eine gemeindliche Pflichtaufgabe nach Art. 57 Abs. 1 GO i.V.m. Art. 6 LStVG, wenn es sich um zugezogene Ausländer handelt, die bisher noch niemals über eine eigene Wohnung im Gemeindegebiet verfügt haben. Für diese Personengruppe ist hinsichtlich der Unterbringung kein anderer Hoheitsträger originär zuständig. Insbesondere kann in solchen Fällen nicht auf die den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz verwiesen werden, wonach die wohnungsmäßige Versorgung von Asylbewerbern, die sich auf dem Gebiet einer Gemeinde aufhalten, keine kommunale, sondern eine staatliche Aufgabe ist (BVerwG, B.v. 30.5.1990 – 9 B 223.89 – BayVBl 1990, 724; B.v. 20.1.2010 – 1 B 1.09 – NVwZ-RR 2010, 452 Rn. 12; BayVGH, U.v. 22.3.1989 – 4 B 88.2483 – BayVBl 1989, 370). Insoweit handelt es sich, wie ein genauerer Blick zeigt, um eine mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Sonderkonstellation (vgl. bereits BayVGH, U.v. 2.4.1993 – 4 B 92.1326 – VGH n.F. 46, 75).
12
Bei Asylbewerbern wird die Unterbringungsverpflichtung des Staates damit begründet, dass dieser während des Anerkennungsverfahrens effektiven Schutz vor der geltend gemachten politischen Verfolgung gewähren muss. Die Zuweisung in ein Bundesland, einen Regierungsbezirk oder eine Gemeinde dient allein diesem verfahrenssichernden Zweck und nicht auch dazu, dass sich die betreffenden Personen dort niederlassen. Bei Asylbewerbern fehlt demnach ein selbstgewählter örtlicher Bezug zu der Gemeinde, in deren Gebiet sie sich kraft gesetzlicher Beschränkung des räumlichen Geltungsbereichs der Aufenthaltsgestattung (§ 56 Abs. 1 AsylG) aufhalten müssen. Verbleiben sie allerdings nach Abschluss ihres Asylverfahrens im Bundesgebiet, so schließt sich an den asylverfahrensrechtlichen Aufenthalt ein davon unabhängiger Aufenthalt nach den Vorschriften des allgemeinen Ausländerrechts an (vgl. BVerwG, B.v. 24.2.1993 – 7 B 155.92 – BayVBl 1993, 438). Da es ihnen von da an freisteht, sich an einem Ort ihrer Wahl niederzulassen und Wohnung zu nehmen, unterscheiden sie sich nicht mehr von anderen Personen, die sich zum Zweck der Wohnsitznahme in eine Gemeinde begeben oder aus anderen Gründen dort aufhalten. Die Gemeinde des Aufenthaltsorts hat daher im Falle drohender Obdachlosigkeit auch für ihre Unterbringung zu sorgen (BayVGH, U.v. 2.4.1993 – 4 B 92.1326 – VGH n.F. 46, 75/75; Ehmann, a.a.O., 43; a.A. BayVGH, B.v. 16.5.2018 – 12 N 18.9 – juris Rn. 103). Diese Feststellung muss erst recht bei solchen Ausländern gelten, die wie die Antragsteller nach ihrer Einreise ins Bundesgebiet kein Asylverfahren durchlaufen haben und für die daher zu keinem Zeitpunkt eine staatliche Unterbringungspflicht bestanden hat.
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dd) Diesem Ergebnis kann nicht der Einwand entgegengehalten werden, dass die Obdachlosenfürsorge grundsätzlich nur Personen umfasse, die in der Gemeinde vor Eintritt der Obdachlosigkeit bereits ihren Wohnsitz gehabt hätten oder sonst einen Bezug zu der Gemeinde aufweisen könnten (so aber in Bezug auf die Unterbringung von Asylbewerbern BayVGH, U.v. 22.3.1989 – 4 B 88.2483 – BayVBl 1989, 370/372). Zwar sind die Gemeinden für die Abwehr von Gefahren nur zuständig, soweit es sich um „Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“ (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) bzw. um die „örtliche Polizei“ (Art. 83 Abs. 1 BV) handelt. Örtlich sind Gefahrenlagen aber immer dann, wenn die abzuwehrende Gefahr in ihren Auswirkungen und ihrer Tragweite auf das Gemeindegebiet beschränkt ist (BayVGH, U.v. 28.2.1964 – 133 VIII 64 – BayVBl 1964, 228/231; B.v. 7.4.2004 – 24 CS 04.53 – NVwZ-RR 2004, 490; Koehl, BayVBl 2004, 330/331). Dies ist auch bei neu zugezogenen Personen der Fall, die wegen des Fehlens einer Unterkunft individuellen Gesundheitsgefahren ausgesetzt sind. Der für die Annahme einer gemeindlichen Aufgabe geforderte spezifische Bezug zur örtlichen Gemeinschaft folgt demnach bereits daraus, dass die um Unterbringung nachsuchende Person sich im Ortsgebiet aufhält und weiter aufhalten will; eine darüberhinausgehende innere Verbundenheit ist nicht erforderlich (vgl. Ehmann, a.a.O, 40 m.w.N.).
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ee) Im vorliegenden Fall ist auch keine andere Gemeinde als die Antragsgegnerin für die Obdachlosenunterbringung nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG örtlich zuständig.
15
Solange sich die auf dem Luftweg ins Bundesgebiet gekommenen Antragsteller auf der Weiterreise ins Gemeindegebiet der Antragsgegnerin befanden, bestand noch kein Anlass für ein sicherheitsbehördliches Eingreifen, da sie nicht um (dauerhafte) Unterbringung nachgesucht hatten. Obdachlos wurden sie erst im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin nach dem unfreiwilligen Verlassen der kurzzeitig in Anspruch genommenen Flüchtlingsunterkunft. Da sie schon damals einen Antrag auf eine ortsnahe Obdachlosenunterbringung gestellt hatten, dem die Antragsgegnerin hätte nachkommen müssen, kann diese sich nunmehr nicht darauf berufen, dass die Antragsteller anschließend übergangsweise in München untergekommen und dort wiederum obdachlos geworden sind. Grundsätzlich bestimmt sich zwar die örtliche Zuständigkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG nach dem aktuellen Aufenthaltsort und nicht nach dem Ort, an dem der Betroffene zu einem zurückliegenden Zeitpunkt erstmals obdachlos geworden ist (BayVGH, B.v. 14.8.2019 – 4 CE 19.1546 – BayVBl 2020, 197 Rn. 11 f. m.w.N.). Dies kann aber dann nicht uneingeschränkt gelten, wenn der zwischenzeitliche Ortswechsel darauf beruht, dass die Gemeinde, in der die Obdachlosigkeit entstanden ist, ihre Unterbringungsverpflichtung nicht erfüllt und dadurch den Wohnungslosen zum unfreiwilligen Verlassen des Gemeindegebiets veranlasst. Erstrebt der Betreffende wie hier weiterhin die Rückkehr an den früheren Aufenthaltsort und stehen dem keine durchgreifenden Hindernisse entgegen, so ist für die Obdachlosenunterbringung anstelle der aktuellen Aufenthaltsgemeinde diejenige Gemeinde zuständig, in der er sich bereits zuvor um Aufnahme bemüht hatte. Allein dieses Normverständnis ist mit dem Grundrecht auf freie Wahl des Wohnsitzes vereinbar, das für deutsche Staatsangehörige aus Art. 11 GG und für Ausländer jedenfalls aus Art. 2 Abs. 1 GG folgt (zu letzterem Ogorek in BeckOK GG, Stand 15.8.2023, Art. 11 Rn. 8 m.w.N.). Die Gefahrenprognose, die „Anlass für die Amtshandlung“ im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG gibt, muss dieses grundrechtlich geschützte voluntative Element miteinbeziehen, so dass vom drohenden Schadenseintritt auf dem Gemeindegebiet der Antragsgegnerin auszugehen ist.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).