Inhalt

VG Regensburg, Urteil v. 07.10.2024 – RO 9 K 24.782
Titel:

Anspruchseinbürgerung, Ausschluss bei inhaltlich unwirksamem Bekenntnis zur besonderen historischen Verantwortung, Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, Anerkennung des Existenzrechts des Staates, Israel, nicht antisemitisch motivierter Antizionismus

Normenketten:
StAG § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a
StAG § 11 S. 1 Nr. 1a
Leitsätze:
1. Das Bekenntnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a StAG zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, verlangt auch ein inhalt-lich wirksames Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel.
2. Das Bekenntnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a StAG ist auch dann inhaltlich unwirksam, wenn der Einbürgerungsbewerber eine nicht antisemitisch motivierte antizionistische Haltung offenbart.
Schlagworte:
Anspruchseinbürgerung, Ausschluss bei inhaltlich unwirksamem Bekenntnis zur besonderen historischen Verantwortung, Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, Anerkennung des Existenzrechts des Staates, Israel, nicht antisemitisch motivierter Antizionismus, Einbürgerung
Fundstellen:
NVwZ 2025, 700
LSK 2024, 35033
BeckRS 2024, 35033

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Kläger erstrebt seine Einbürgerung.
2
Der staatenlose Kläger ist palästinensischer Volkszugehöriger muslimisch-sunnitischen Glaubens. Vor Einreise in das Bundesgebiet am 4. Mai 2015 hatte er seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien. Ihm wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. April 2016 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Seit 12. April 2016 ist er in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Alt. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie eines Reiseausweises für Flüchtlinge, beides derzeit gültig bis 12. Februar 2026.
3
Am 19. August 2022 beantragte der Kläger seine Einbürgerung nach § 8 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG). Diesen Antrag stellte er am 31. März 2023 auf eine Einbürgerung nach § 10 StAG um. Den Antragsunterlagen waren unter anderem eine Bescheinigung über die am 18. September 2021 erfolgte Teilnahme am Test „Leben in Deutschland“ (27 von 33 Punkten) sowie eine Loyalitätserklärung und ein ausgefüllter Fragebogen für Einbürgerungsbewerber zum Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, jeweils datierend vom 19. August 2022, beigefügt.
4
Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz (BayLfV) äußerte sich unter dem 30. November 2022 zum Kläger (Eingang bei der Beklagten wohl erst Mitte Juni 2023, vgl. Bl. 73 d.A.). Er sei in der Vergangenheit durch aggressives Verhalten gegenüber Behördenvertretern aufgefallen. Er habe zumindest im 2. Halbjahr 2016 die As-Siddiq Moschee Regensburg besucht (Trägerverein: Islamisch-Arabischer Kulturverein e.V.). Diese Moschee sei in der Vergangenheit mit Verbindungen zu salafistischen Bestrebungen, u.a. durch mehrmalige Gastauftritte bundesweit aktiver salafistischer Prediger, in Erscheinung getreten und sei im Verfassungsschutzbericht Bayern des Jahres 2013 zuletzt aufgeführt worden. Mittlerweile unterliege der Moscheeverein jedoch keiner Beobachtung mehr durch das BayLfV. Es werde daher gebeten, den Kläger zu diesen Erkenntnissen anzuhören.
5
Diese Anhörung fand am 8. August 2023 statt. Zu diesem Termin wurde der Kläger mit Schreiben vom 15. Juni 2023 geladen. Es lägen sicherheitsrechtliche Erkenntnisse vor. Zur Prüfung, ob diese die Einbürgerung ausschlössen, solle er angehört werden. Er solle für das Anhörungsgespräch ausreichend Zeit einplanen. Da hierüber eine Niederschrift zu fertigen sei, könne die abschließende Behandlung mehrere Stunden dauern. Der Kläger möge bei seiner Planung berücksichtigen, ob für diese persönliche Befragung dessen eigene Sprachkenntnisse ausreichend seien. Nach per E-Mail vom 17. Juli 2023 ergangener Erinnerung an eine Beantwortung des Ladungsschreibens, welche auch die Empfehlung enthielt, sich mit den Begriffen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes zu befassen, bestätigte der Kläger mit E-Mail vom 18. Juli 2023 den Termin und teilte ferner mit, dass er keinen Dolmetscher brauche.
6
Die vom Kläger nicht unterzeichnete Niederschrift, über die auch eine Tonbandaufzeichnung existiert, hat folgenden Inhalt:
7
Unter dem 30. August 2023 begehrte der Kläger die Korrektur der Niederschrift wie folgt:
8
Im Rahmen der Zuleitung der Anhörungsniederschrift an das BayLfV mit Schreiben vom 8. September 2023 bewertete die Beklagte die Angaben des Klägers dahingehend, dass jener nahezu keine Kenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung habe. Ferner stünden dessen Angaben zum Moscheebesuch im Widerspruch zu den amtlichen Erkenntnissen. Er habe glaubhaft den Eindruck vermittelt, dass er seine Religion nicht so streng ausübe, auch wenn seine Mitwirkung bei der Anhörung zeitweise eingeschränkt gewesen sei. Anhaltspunkte, die eine Einbürgerung wegen religiöser Einstellung, insbesondere Salafismus, ausschließen würden, ergäben sich nicht. Allerdings habe der Kläger eindeutig eine antizionistische Einstellung, da er das Existenzrecht Israels nicht anerkenne. Ein aktives antisemitisches Handeln sei bei der Befragung nicht erkennbar gewesen. Die klägerischen Ergänzungen vom 30. August 2023 (insbesondere zur Frage 43) würden nicht übernommen, da die Antworten in der Befragung in der Niederschrift korrekt wiedergegeben worden seien. Der Kläger sei deshalb nicht bereit gewesen, die Niederschrift mit Belehrung zu unterschreiben. Gesundheitliche Einschränkungen, die er in seiner Ergänzung geltend mache, seien am Tag der Anhörung nicht erkennbar gewesen.
9
Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration äußerte sich unter dem 29. September 2023. Nach dem Inhalt der Anhörung seien die Kenntnisse des Klägers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nur schwach ausgeprägt gewesen. Zu keinem der angesprochenen Punkte habe er zutreffende und ausführliche Antworten geben können. Besonders schwer wögen jedoch seine antizionistischen Äußerungen zum Staat Israel, dem er dessen Existenzrecht vollständig abspreche. Insoweit könnten die nachgereichte Erklärung vom 30. August 2023 und der Versuch, die Niederschrift ändern zu lassen, nur als taktisch motiviert, unglaubwürdig und als Versuch gewertet werden, über die tatsächliche Einstellung des Klägers hinweg zu täuschen. Dessen Antworten in der Anhörung ließen auf eine antisemitische Grundhaltung schließen, die mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes unvereinbar sei. Diese Auffassung widerspreche auch den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Der Kläger könne damit ein wirksames Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht abgeben. Ergänzend hierzu sei zudem darauf hinzuweisen, dass der Kläger keine hinreichenden Kenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung in der Anhörung darlegen könne. Damit fehle es an einer wesentlichen Einbürgerungsvoraussetzung, nämlich einem wirksamen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
10
Auf ein hierauf ergangenes Anhörungsschreiben nahm ein im Verwaltungsverfahren bevollmächtigter Rechtsanwalt unter dem 22. Dezember 2023 Stellung. Der Kläger verfüge über ausreichende Kenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Dies habe er durch ein Bestehen des Einbürgerungstests nachgewiesen. Daran ändere nichts, dass der Kläger im Rahmen der Anhörung manche Fragen nicht zur behördlichen Zufriedenheit habe beantworten können. Einige Fragen seien auch äußerst kompliziert und zum Teil auch suggestiv formuliert gewesen. Dem Kläger sei es am Tag der Anhörung nicht gut gegangen. Er sei auch nicht darauf vorbereitet gewesen, dass es zu einer solchen Anhörung kommen würde. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er im Termin angehört werden würde. Er habe gedacht, ihm würde die Einbürgerungsurkunde ausgehändigt werden. Den B1-Sprachtest habe er mit dem Prädikat „ausreichend“ bestanden. Solche Sprachkenntnisse befähigten eine politisch uninteressierte Person wie den Kläger nicht dazu, über die extrem komplexe Geschichte des Staates Israel und andere damit verbundene Aspekte zu sprechen. Es werde bezweifelt, dass diesbezüglich eine Person mit deutscher Staatsangehörigkeit und Hochschulabschluss ausreichend differenzierte Antworten hätte geben können. Gleiches gelte für die komplexen Fragen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Bei Kenntnis von einer derart intensiven und vor allem komplizierten Befragung hätte der Kläger einen Dolmetscher beauftragt und mitgebracht. Völlig haltlos sei die Wertung, dass der Kläger eine antisemitische Einstellung aufweise und sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes bekenne. Der Kläger habe den Anhörenden bzw. dessen komplexe Fragen an vielen Stellen ganz offensichtlich nicht verstanden. Nach Durchsicht der Niederschrift habe der Kläger ausdrücklich mitgeteilt, dass er Menschen jüdischen Glaubens natürlich akzeptiere und auch den Staat Israel anerkenne. Er finde es lediglich problematisch, wie sich der Staat Israel in den besetzten Gebieten verhalte. Etwas anderes könne man auch nicht aus dem Antwortverhalten in der Anhörung herleiten. Insbesondere sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger ausweislich der Tonaufnahme auf Frage 44 entgegen der Niederschrift geantwortet habe, dass er die benannte Vereinbarung nicht „kenne“. In der Anhörung habe er mehrmals angegeben, dass er nichts gegen Menschen jüdischen Glaubens habe, dass er alle Religionen akzeptiere und dass er der Ansicht sei, dass alle Menschen gleich seien. Aus der Anhörung werde deutlich, dass er ein sehr toleranter und weltoffener Mensch sei und alle Menschen unabhängig von Religion oder Geschlecht gleichermaßen wertschätze. Der Kläger habe kein antisemitisches Verhalten gezeigt, ganz im Gegenteil. Selbst wenn unterstellt werde, dass seine Aussagen zu Frage 43 eine antizionistische Einstellung zum Ausdruck brächten, stelle sich die Folgefrage, ob diese Form des Antizionismus überhaupt als Antisemitismus angesehen werden könne. Eine pauschale Gleichsetzung von Antisemitismus und Antizionismus lasse sich nicht vornehmen. Nicht jede einseitige und überzogene Negativbewertung des Staates Israel müsse in judenfeindlichen Motiven ihren Ursprung haben. Es müsse immer nach den jeweiligen inhaltlichen Grundlagen der Kritik gefragt werden. Vorliegend sei nicht einmal im Ansatz aufgeklärt worden, ob der Kläger tatsächlich Kritik an Israel übe und falls ja, welche Grundlage diese habe.
11
Mit Bescheid vom 19. März 2024 lehnte die Beklagte den Antrag auf Einbürgerung nach § 10 StAG ab. Die antisemitische Grundhaltung des Klägers sei mit der Garantie der Menschenwürde des Grundgesetzes unvereinbar. Diese Auffassung widerspreche auch den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Äußerungen eines Einbürgerungsbewerbers, die antisemitisch motiviert seien, würfen grundsätzlich die Frage auf, ob die Menschenwürdegarantie als oberster Wert des Grundgesetzes und Ausgangspunkt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung tatsächlich anerkannt werde und ein inhaltlich richtiges Bekenntnis im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG abgegeben worden sei. Bei der Anhörung am 8. August 2023 sei der Kläger gefragt worden (Frage 43): „Erkennen Sie Israel als eigenständigen Staat an?“. Er habe geantwortet: „Es gebe kein Israel. Es gebe Juden, aber Israel nicht als Land.“ Hierbei handele es sich um eine kurze, einfache Frage, die relativ kurz, aber eindeutig beantwortet worden sei. Das Berufen auf fehlende Sprachkenntnisse durch den Kläger und den Bevollmächtigten könne hier nur als taktisch motiviert gewertet werden, ebenso der Einwand, dass es ihm am Tag der Befragung gesundheitlich nicht gut gegangen sei. Gesundheitliche Einschränkungen seien weder erkennbar gewesen noch seien sie am Tag der Anhörung vorgebracht worden. Mit Schreiben vom 15. Juni 2023 sei der Kläger zur Anhörung geladen worden. Dabei sei er informiert worden, dass er ausreichend Zeit einzuplanen habe, da das Gespräch inklusive Fertigen der Niederschrift mehrere Stunden dauern könne. Daraus habe der Kläger schließen können, dass es sich beim Anhörungstermin nicht um die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde gehandelt haben könne. Trotzdem habe er erklärt, dass er keinen Dolmetscher benötige. Nachdem die Rückantwort des Klägers über die Teilnahme an der Anhörung nicht fristgerecht eingegangen sei, sei er per E-Mail erneut kontaktiert worden, da allein die eventuelle Bereitstellung eines Dolmetschers durch das Amt etwas Vorlaufzeit benötige. Die Vorhaltung des Bevollmächtigten, dass mit der E-Mail die ursprüngliche Ladung nicht mitübersandt worden sei, werde als taktisch motiviert gewertet. Das Ladungsschreiben sei nicht als „unzustellbar“ zurückgekommen. Nachdem der Kläger zweimal versucht habe, online einen Termin für die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde zu beantragen, sei er bei den Stornierungen der Termine am 15. und 19. Juni 2023 informiert worden, dass derzeit eine Aushändigung der Urkunde nicht erfolgen könne und er in den nächsten Tagen ein weiteres Schreiben erhalten werde. Somit habe er auch mit einem Brief der Behörde rechnen müssen. Es sei davon auszugehen, dass er diesen auch erhalten und lediglich die Frist zur Rückantwort versäumt habe. Die vom Kläger vorgelegten Ergänzungen entsprächen nicht den Antworten in der Anhörung. Hier habe er gewollt, dass die Behörde in der korrekt gefertigten Niederschrift die gegebenen Antworten lösche, durch die Ergänzungen ersetze und somit die Niederschrift manipuliere. Damit sei versucht worden, die weiteren am Verfahren zu beteiligenden Behörden, die die abschließende Bewertung und für die Staatsangehörigkeitsbehörde verbindliche Entscheidung träfen, zu täuschen. Dieser Verfahrensablauf sei dem Kläger nach der Anhörung mitgeteilt worden. Nachdem keine Bereitschaft bestanden habe, die Niederschrift zu manipulieren, habe sich der Kläger geweigert, diese zu unterschreiben. Die Ausführungen des Rechtsanwalts zum Antisemitismus bezögen sich nur auf die unglaubwürdigen Ergänzungen des Klägers über Kritik am Staat Israel und nicht auf das Absprechen des Existenzrechts Israels. Deshalb seien diese Ausführungen hier nicht relevant. Die Ablehnung des Staates Israel gelte als eine Variante des antizionistischen Antisemitismus. Antizionismus bedeute demnach die Ablehnung des Existenzrechts des Staates Israel, also die Negierung des Anspruchs von Juden auf nationale Selbstbestimmung. Bewusst oder unbewusst laufe diese Position auf die Aufhebung einer gesicherten Zufluchtsstätte für die Juden und eine damit verbundene Verfolgung hinaus. Anders verhalte es sich bei den fundamentalen Israel-Feinden im arabischen Raum: Hier werde vielfach die Auffassung propagiert, man sei kein Antisemit, sondern nur Antizionist. Unbeantwortet bleibe bei entsprechender Positionierung aber die Frage, wie die von diesen Kreisen geforderte Auflösung oder Zerschlagung des Staates Israel nicht mit einer Diskriminierung von Juden einhergehen sollte. Gerade solche Folgewirkungen machten aus dem Antizionismus auch einen Antisemitismus. Seine Verkoppelung mit der rigorosen Verdammung des Staates Israel werde daher als antizionistischer Antisemitismus bezeichnet. Das Existenzrecht des israelischen Staates sei deutsche Staatsräson. Das neue Staatsangehörigkeitsrecht werde ein positives Bekenntnis zum Existenzrecht des Staates Israel verlangen. Damit und mit der ausdrücklichen Erklärung des Einbürgerungsbewerbers, dass er keine gegen die Existenz des Staates Israel gerichteten Bestrebungen verfolge oder verfolgt habe, werde konsequenter als bislang verhindert, dass antisemitische Ausländer die deutsche Staatsangehörigkeit erhielten. Mit dem künftigen Erfordernis eines positiven Bekenntnisses zum Existenzrecht des Staates Israel werde die Gewissheit geschaffen, dass der Einbürgerungsbewerber insoweit keine antisemitische Einstellung habe. Dieses neue Bekenntnis zum Existenzrecht des Staates Israel stelle nicht eine bloß formelle Einbürgerungsvoraussetzung dar. Vielmehr könne einem Einbürgerungsbewerber entgegengehalten werden, dass er das abgegebene Bekenntnis unter innerem Vorbehalt abgegeben und dieses daher nicht der Wahrheit entsprochen habe. Nach neuem Recht solle klargestellt und im Sinne einer Signalwirkung sichtbar gemacht werden, dass Personen mit einer antisemitischen Einstellung keinen Anspruch auf Einbürgerung hätten. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes sei keine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung, sondern müsse inhaltlich zutreffend, also von einer inneren Überzeugung getragen sein. Das Bekenntnis müsse der inneren Überzeugung des Einbürgerungsbewerbers entsprechen. Da dies beim Kläger nicht der Fall und nur ein reines Lippenbekenntnis abgegeben worden sei, werde sein Antrag gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG abgelehnt. Er besitze durch die eindeutige Ablehnung des Staates Israel eine antisemitische Grundhaltung, die dessen Einbürgerung ausschließe. Eine Prüfung des Einbürgerungsantrags nach § 8 StAG führe aus den vorgenannten Gründen zu keinem anderen Ergebnis.
12
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 11. April 2024 zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Klage. Er habe sich nicht politisch äußern wollen. Er habe die Bedeutung seiner Äußerungen nicht verstanden, da er politisch nicht gewusst habe, was sie bedeuteten.
13
Der Kläger beantragt,
1.
Der Bescheid der Beklagten vom 19.03.2024 wird aufgehoben.
2.
Die Beklagte wird verpflichtet, meinen Antrag auf Einbürgerung zu gewähren.
14
Die Beklagte beantragt unter Verweis auf den streitgegenständlichen Bescheid sowie die Aktenlage,
die Klage abzuweisen.
15
Der Antrag des Klägers auf Einbürgerung sei wegen der Nichtanerkennung des Existenzrechts Israels und mithin mangels Bekenntnisses zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG) abgelehnt worden.
16
Zur Ergänzung der Sachverhaltswiedergabe wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere der gewechselten Schriftsätze, sowie der elektronisch übermittelten Behördenakten (mit Tonbandaufzeichnung) und des Protokolls der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17
Die Klage hat keinen Erfolg.
18
1. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung keinen Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) in der aktuell geltenden Fassung (Staatsangehörigkeitsgesetz in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch Art. 2 des Gesetzes vom 22. März 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 104) – Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts – geändert worden ist). Daher erweist sich der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 19. März 2024 als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
19
1.1 Nach § 11 Satz 1 Nr. 1a StAG ist die Einbürgerung u.a. dann ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass das Bekenntnis, das der Ausländer nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a StAG abgegeben hat, inhaltlich unrichtig ist.
20
§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a StAG verlangt u.a. das Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens. Die Gesetzesbegründung führt dazu aus (BT-Drs. 20/10093, S. 10):
„Mit der Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts soll denjenigen Menschen in Deutschland gleichberechtigte politische Teilhabe ermöglicht werden, die seit Jahren fester Bestandteil der Gesellschaft sind und sich ihr zugehörig fühlen. Der Grundsatz, dass nur eingebürgert werden darf, wer sich zu den Werten einer freiheitlichen Gesellschaft bekennt, wird daher mit einem weiteren Bekenntnis gestärkt, das für eine Einbürgerung nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1a abzugeben ist: Einbürgerungsbewerber müssen sich künftig zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihren Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker und dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges, bekennen. Das Bekenntnis zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihren Folgen ist ein elementarer in der Bundesrepublik Deutschland geltender Grundsatz. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann das Grundgesetz als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden und ist von seinem Aufbau bis in viele Details hin darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen (vgl. BVerfGE 124, 300, 328 „Wunsiedel“). Die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023, die antisemitischen und israelfeindlichen Kundgebungen und Ausschreitungen in Deutschland, aber auch der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, zeigen, dass die gesetzgeberische Notwendigkeit besteht, Einbürgerungsbewerbern im Staatsangehörigkeitsrecht deutlich vor Augen zu führen, dass Handlungen, die im Widerspruch zur Erklärung nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1a) stehen, mit einer Einbürgerung nicht zu vereinbaren sind.“
21
Mithin geht es bei der der Aufnahme als Deutscher nicht nur um eine gewisse Aufenthaltsdauer und die Beachtung zentraler Rechtsnormen, sondern auch um die Akzeptanz zentraler historisch gewachsener Werte und moralischer Verpflichtungen der Deutschen (so Dörig, jM 2024, 108-112).
22
Nach Auffassung der Kammer umfasst diese Normierung – deren Hintergrund ausdrücklich u.a. die seit dem 7. Oktober 2023 herrschende Konfliktlage zwischen dem Staat Israel und der Hamas ist – auch das Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zum Existenzrecht des völkerrechtlich anerkannten Staates Israel (vgl. Sachsenmaier, HTK-StAR / § 10 StAG / zu Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Nr. 1a und Satz 3, Stand: 16.8.2024, Rn. 106 bis 108).
23
In einem Dossier zur Geschichte Israels (https://www.lpb-bw.de/geschichte-israels, zuletzt aufgerufen am Entscheidungstag) führt die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg u.a. aus:
„Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, mit der Ausbreitung des Antisemitismus, des Rationalismus und des nationalen Bewusstseins in Europa, entstand die Idee, Juden könnten nach Eretz Israel („Land Israel“) ziehen und dort einen eigenen Staat gründen. Die Zionismus-Bewegung ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Denkweisen, Interpretationen und Ideale. Gemeinsam war allen Strömungen die Auffassung, ein Staat Israel sei nicht nur das Ende der andauernden Flucht vor dem Antisemitismus, sondern auch eine Selbstverwirklichung. Zehntausende zog es ins „Gelobte Land“, auch gegen den Willen der britischen Mandatsmacht in Palästina. Nach der Terrorherrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland, die unter anderem für die Ermordung von rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden in Europa verantwortlich war, stand für viele der Überlebenden fest, dass sie nur in einem eigenen Staat frei und sicher leben können.“
24
Die am 14. Mai 1948 erfolgte Proklamation des Staates (https://embassies.gov.il/berlin/AboutIsrael/Dokumente%20Land%20und%20Leute/Die_Unabhaengigkeitserklaerung_des_Staates_Israel.pdf, zuletzt aufgerufen am Entscheidungstag) findet ihre Wurzeln folglich nicht allein in einer seit Ende des 19. Jahrhunderts in Entwicklung begriffenen politischen Idee des sog. Zionismus, sondern in ihrer konkreten Umsetzung gerade in den Nachwirkungen des Holocausts:
„(…)
Die Katastrophe, die in unserer Zeit über das jüdische Volk hereinbrach und in Europa Millionen von Juden vernichtete, bewies unwiderleglich aufs Neue, daß das Problem der jüdischen Heimatlosigkeit durch die Wiederherstellung des jüdischen Staates im Lande Israel gelöst werden muß, in einem Staat, dessen Pforten jedem Juden offenstehen, und der dem jüdischen Volk den Rang einer gleichberechtigten Nation in der Völkerfamilie sichert.
Die Überlebenden des schrecklichen Nazigemetzels in Europa sowie Juden anderer Länder scheuten weder Mühsal noch Gefahren, um nach dem Lande Israel aufzubrechen und ihr Recht auf ein Dasein in Würde und Freiheit und ein Leben redlicher Arbeit in der Heimat durchzusetzen.
Im Zweiten Weltkrieg leistete die jüdische Gemeinschaft im Lande Israel ihren vollen Beitrag zum Kampfe der frieden- und freiheitsliebenden Nationen gegen die Nazimächte der Finsternis. Mit dem Blute ihrer Soldaten und ihrem Einsatz für den Sieg erwarb sie das Recht auf Mitwirkung bei der Gründung der Vereinten Nationen.
(…)
Der Name des Staates lautet Israel. Der Staat Israel wird der jüdischen Einwanderung und der Sammlung der Juden im Exil offenstehen.
(…)“
25
Ist also die Gründung des Staates Israel nur drei Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges eine wesentliche Konsequenz aus dem staatlich organisierten Völkermord an den europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland während des 2. Weltkriegs, muss sich die historische Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen zwangsläufig nicht allein auf den – bereits durch Grundgesetz (etwa Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 oder 3 Abs. 3 GG) und weitere Normen des einfachen Rechts (etwa §§ 46 Abs. 3, 130 StGB) mit adressierten – Schutz jüdischen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland beziehen, sondern auch auf die Anerkennung des Existenzrechts des Staates Israel als „Zufluchtsort“ für Menschen jüdischen Glaubens.
26
Diesem Verständnis der Norm steht die Ablehnung eines Gesetzentwurfes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 14. November 2023 (BT-Drs. 20/9311) nicht entgegen, der im Wortlaut des Normvorschlags u.a. ausdrücklich ein Bekenntnis zum Existenzrecht des Staates Israels verlangt. Denn nach Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages vom 10. April 2024 zu diesem Gesetzentwurf sehen die die Bundesregierung tragenden Parlamentsfraktionen dieses Ziel bereits vom geltenden Recht als abgedeckt an (vgl. zum Anliegen zudem Ziffer 2 der Entschließung des Bundesrates vom 2.2.2024: „Antisemitismus effektiv bekämpfen – Existenzrecht Israels schützen“, BR-Drs. 647/23).
27
1.2 Übertragen auf den vorliegenden Fall fehlt es daher – die Nachreichung eines nach bisherigem Recht nicht förmlich erforderlichen Bekenntnisses nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a StAG unterstellt – an einem im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1a StAG inhaltlich wirksamen Bekenntnis des Klägers gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a StAG.
28
1.2.1 Seine Aussagen in der Niederschrift der Anhörung vom 8. August 2023, welche tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von § 11 Satz 1 Nr. 1a StAG darstellen, sind eindeutig:
a)
29
Die von der Anhörung gefertigte Tonbandaufzeichnung bestätigt den Inhalt der Niederschrift (ab 22:57):
„Befrager: Erkennen Sie Israel als eigenständigen Staat an?
Kläger: Israel… Gibt es kein Israel…Gibt’s kein Israel. Also gibt es jüdisch, aber gibt es keine Land Israel.
Befrager: Ok, so sagen es viele arabische Länder. Und für Sie gibt es kein Israel?
Kläger: Ja.
Befrager: Die völkerrechtliche Vereinbarung, dass als der Staat Israel geschaffen wurde, sag ich mal, das erkennen Sie nicht an.
Kläger: Wie, ich kenn nicht.“
b)
30
Dazu die Tonbandaufzeichnung ab 42:25:
„Befrager: …aber Sie haben nichts gegen Juden, aber gegen Israel, gegen den Staat Israel.
Kläger: Mmhh… Ja.
Befrager: Ok. (…)“
31
1.2.2 Die Einwendungen des Klägers gegen die Einordnung seiner Äußerungen als Leugnung des Existenzrechts Israels verfangen nicht. Insbesondere ist nicht glaubhaft, dass er die Fragen des Anhörenden bzw. die Bedeutung seiner Antworten nicht verstanden haben will. Dies folgt insbesondere aus der von ihm selbst und aus eigenem Antrieb vorgenommenen Differenzierung zwischen Menschen jüdischen Glaubens und dem Staat Israel. Dies belegt, dass dem Kläger sehr wohl bewusst war, dass es sich hierbei um unterschiedliche Perspektiven handelt, welche einerseits zwar nicht das persönliche Glaubensbekenntnis in Frage stellen, andererseits aber sehr wohl die Legitimation des Staates Israel. Hinzu tritt, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt geäußert hat, die Fragen nicht inhaltlich zu verstehen oder sie für erklärungsbedürftig zu halten. Vielmehr hat er – wie der Tonbandmitschnitt belegt – etwa Frage 43 ohne Zögern und sofort beantwortet. Dabei hätte er die Bedeutung seiner hier gegebenen Antwort von sich aus vertiefend erklären und erläutern können, wenn er sich falsch verstanden gefühlt hätte. Aber auch dies ist nicht geschehen. Im Gegenteil, als Unterbrechung der Frage 58, die das vom Anhörer bisher zur Problematik Verstandene zusammenfasst („Sie sagen ja, Israel gibt es nicht.“), äußerte er, „keinen Bock mehr zu haben, über Israel oder Teile von Israel zu reden.“
32
Vor diesem Hintergrund erachtet das Gericht die nachgeschobene schriftliche Erklärung des Klägers vom 30. August 2023 nicht als glaubhaft, sondern als zweckorientiert. Die kurze und klare Antwort auf die eindeutig und auch für Laien ohne Weiteres verständliche formulierte Frage 43 ist nicht (nachträglich) interpretationsfähig, erst recht vor dem Hintergrund der vertonten „Originalfassung“. Hinzu tritt, dass die vom Kläger schriftlich formulierte Anerkennung des Staates Israel den Zusatz „nach Oslo-Friedensprozess“ enthält. Zwar mag in diesem Friedensprozess eine vorläufige Regelung gefunden worden sein. Indes fehlt es bis heute an einer Übereinkunft über einen permanenten Status zwischen Israel und Palästina. Dass in absehbarer Zeit hierzu eine tragfähige Einigung erzielt werden wird, ist angesichts der aktuellen Lage im Nahen Osten kaum zu erwarten. Folglich bietet die schriftliche klägerische Aussage auch in ihrer im Termin vom Kläger hierzu gegebenen Erläuterung keine hinreichende Gewähr dafür, dass er tatsächlich eine dauerhafte Existenz des Staates Israel etwa auch dann akzeptiert, wenn eine endgültige Übereinkunft vom Ergebnis des „Oslo-Friedensprozesses“ abwiche. Dies gilt erst recht angesichts seiner diesbezüglichen Einlassungen im Termin. Zwar formuliert er zunächst, hier eine zum Frieden führende Vereinbarung zwischen Israel und Palästina zu meinen. Diese Aussage bleibt jedoch zum einen sehr allgemein, zum anderen bleibt er bei Nachfragen zu dieser Auffassung, etwa dazu, wo er den Schuldigen an den aktuellen Auseinandersetzungen im Nahen Osten sehe, ohne eigene Meinung. Dabei hatte er noch die Frage zuvor, ob Israel ein Recht zur Selbstverteidigung habe, bejaht. Später bezeichnet er den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 schlicht als „Streit“ zwischen Palästina und Israel, wobei er sich mit der Hamas nicht beschäftigt habe. Diese weder unterfüttert noch reflektiert wirkenden Erklärungsversuche im Termin konnten die Kammer nicht davon überzeugen, die klaren Antworten des Klägers bei seiner behördlichen Anhörung nachvollziehbar und schlüssig als Miss- oder gar Fehlverständnis einzuordnen. Letztlich räumte der Kläger in der mündlichen Verhandlung selbst ein, seine Aussagen bei der behördlichen Anhörung nicht erklären zu können (S. 4 des Sitzungsprotokolls).
33
1.2.3 Die im Verwaltungsverfahren seitens des vormals Bevollmächtigten geäußerte und im Termin vom Kläger nochmals aufgegriffene Kritik veranlasst keine andere Beurteilung. So hatte der Kläger während der über einstündigen Anhörung zu keinem Zeitpunkt geäußert, sich aus gesundheitlichen Gründen (wie etwa arbeitsbedingter Übermüdung) nicht wohl zu fühlen. Ferner musste ihm in Ansehung des behördlichen Ladungsschreibens vom 15. Juni 2023 mehr als bewusst sein, dass es am 8. August 2023 nicht um die Aushändigung der Einbürgerungsurkunde, sondern um etwaige sicherheitsrechtliche Bedenken gehen sollte, die im Rahmen einer u.U. mehrere Stunden dauernden Anhörung erhellt werden sollten. Dass der Kläger vom Inhalt dieses Schreibens keine Kenntnis gehabt haben soll, ist unglaubhaft. Wäre dies tatsächlich der Fall gewesen, hätte sich eine entsprechende Nachfrage zum sachlichen Hintergrund der Erinnerungs-E-Mail vom 17. Juli 2023 geradezu aufgedrängt. Dies gilt erst recht, als in dieser E-Mail im Kontext des anstehenden Gespräches darauf hingewiesen worden ist, er solle sich zur Vorbereitung mit den Begriffen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes auseinandersetzen. Schließlich wird im vom Kläger ausgefüllten Rückantwortformular ausdrücklich angeführt, dass es sich um ein „Sicherheitsgespräch“ handelt. Gleichwohl hat der Kläger unter dem 18. Juli 2023 selbst auf die Hinzuziehung eines Dolmetschers verzichtet, sodass er sich nicht auf für die Durchführung der Anhörung nicht hinreichende Sprachkenntnisse berufen kann. Ohnehin hat er diesen Aspekt ausweislich der Tonbandaufzeichnung in der Anhörung nicht gerügt, geschweige denn den Termin wegen Verständigungsproblemen abgebrochen. Schließlich bleibt in inhaltlicher Hinsicht zu konstatieren, dass vor allem Frage 43 ebenso klar, knapp und eindeutig formuliert ist wie die Antwort des Klägers. Raum für sprachliche Missverständnisse sieht das Gericht nicht. Darüber hinaus hat der Kläger nicht „nur“ Kritik am Staat Israel und dessen Politik geäußert, sondern bereits dessen Existenzrecht dem Grunde nach verneint.
34
1.2.4 Im Ergebnis bringen die klägerischen Aussagen in der Anhörung also jedenfalls eine sog. antizionistische Einstellung zum Ausdruck. Diese politische Ideologie wendet sich gegen den Zionismus und damit gegen den 1948 gegründeten Staat Israel als jüdischen Staat (vgl. https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/500763/antizionismus/, zuletzt aufgerufen am Entscheidungstag). Auch wenn sich keine pauschale Gleichsetzung von Antizionismus und Antisemitismus vornehmen lässt und es etwa orthodoxe Juden gibt, die ebenfalls Israels Existenz ablehnen, bilden derartige Formen eines nicht antisemitisch konnotierten Antizionismus eher eine Ausnahme (https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/307746/antizionistischer-und-israelfeindlicher-antisemitismus/#node-content-title-1, zuletzt aufgerufen am Entscheidungstag). Zugunsten des Klägers mag in Ansehung seiner Einlassungen zu Menschen jüdischen Glaubens gleichwohl angenommen werden, dass seine antizionistische Haltung nicht unbedingt bewusst antisemitisch geprägt ist – auch wenn die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid sehr nachvollziehbar auf die fehlende Beantwortung der Frage hinweist, wie eine geforderte Auflösung oder Zerschlagung des Staates Israel nicht mit einer Diskriminierung von Juden einhergehen sollte. Allerdings genügt auch die nicht antisemitisch motivierte Leugnung des Existenzrechts Israels für ein fehlendes wirksames inhaltliches Bekenntnis nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a StAG. Denn für ein fehlendes Bekenntnis zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, spielt es keine Rolle, ob das Existenzrecht des Staates Israels als „Zufluchtsort“ (s.o.) aus (allein) antisemitischen oder anderen Motiven heraus bestritten wird. Nur dieses Verständnis der Norm wird dem gesetzgeberischen Anliegen gerecht, für den Bestand des Staates Israel als solches mit dem wesentlichen Gründungsmotiv der Heimstatt für alle Menschen jüdischen Glaubens glaubhaft einzutreten.
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1.3 Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ist nach § 11 Satz 1 Nr. 1a StAG die Einbürgerung auch dann ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass das Bekenntnis, das der Ausländer nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG abgegeben hat, inhaltlich unrichtig ist. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StAG verlangt u.a. das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (sog. Loyalitätserklärung).
36
Die Gesetzesbegründung führt zu § 11 Satz 1 Nr. 1a StAG aus (BT-Drs. 20/10093, S. 11):
„Dasselbe gilt, sofern tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass das Bekenntnis nach § 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 inhaltlich unrichtig ist. Damit wird ergänzend klargestellt, dass das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes keine rein formelle Einbürgerungsvoraussetzung ist, sondern inhaltlich zutreffen, das heißt von einer inneren Überzeugung getragen sein muss, wie dies bisher von der Rechtsprechung und Rechtspraxis auch zugrunde gelegt worden ist (vgl. etwa VGH BW, Beschluss vom 12. Dezember 2005 – 13 S 2948/04, Rn. 10 bei juris; OVG NRW, Beschluss vom 15. Januar 2013 – 19 E8/12, Rn. 5 bei juris; BayVGH, Urteil vom 19. Januar 2012 – 5 B 11.732, Rn. 19 ff. bei juris). Hieraus folgt, dass sich die Staatsangehörigkeitsbehörde und gegebenenfalls das Verwaltungsgericht die erforderliche Gewissheit davon zu verschaffen hat, ob das von Kenntnis getragene Bekenntnis auch der inneren Überzeugung entspricht. Ist dies nicht der Fall, weil ein reines Lippenbekenntnis abgegeben wurde, das inhaltlich unrichtig ist, ist eine Einbürgerung ausgeschlossen. Ergeben sich erst nach erfolgter Einbürgerung Anhaltspunkte dafür, dass eine inhaltlich unrichtige Erklärung abgegeben wurde, kommt innerhalb der Frist von zehn Jahren nach Aushändigung der Einbürgerungsurkunde gegebenenfalls eine Rücknahme der Einbürgerung unter den Voraussetzungen des § 35 StAG in Betracht.“
37
§ 4 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) definiert den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der Wortlaut dieser Norm stimmt mit Ziffer 1 Buchst. a bis g der vom Kläger unterzeichneten Loyalitätserklärung überein; Ziffer 1 Buchst. h entspricht § 10 Abs. 1 Satz 3 StAG.
38
Vorliegend hat die Kammer gewichtige Zweifel daran, dass die vom Kläger unter dem 19. August 2022 abgegebene Loyalitätserklärung von einer tatsächlichen inneren Überzeugung getragen ist. Denn ihm fehlen nach dem Gesamteindruck aus behördlicher Anhörung und Befragung im Gerichtstermin ausreichende tatsächliche Kenntnisse über die inhaltliche Bedeutung des Begriffs „freiheitliche demokratischen Grundordnung“ und die damit verbundenen grundlegenden Elemente der Verfasstheit und des Aufbaus der hiesigen Rechtsordnung. Ohne solches Wissen kann ein Einbürgerungsbewerber aber kein belastbares Bekenntnis hierzu abgeben. Er muss verstehen, begreifen sowie mit eigenen Worten verständig darstellen können, zu welchen inhaltlichen Prinzipen der Bundesrepublik Deutschland er seine Loyalität unterschriftlich versichert.
39
Diese gewichtigen Zweifel ergeben sich für das Gericht bereits daraus, dass der Kläger auf Vorhalt der Loyalitätserklärung im Termin selbst erklärt hat, die darin enthaltenen Punkte nicht erklären zu können (S. 5 des Sitzungsprotokolls). Zwar waren ihm dann im Fortgang verschiedene Aspekte wie „Parlament als Gesetzgeber“, „Beispiele für Gerichte“ oder „Grundrechte“ durchaus ein Begriff. Allerdings hatte der Kläger etwa mit der Frage, welche Gewalt er als Staatsbürger mitbestimmen könne, sichtlich erhebliche Schwierigkeiten. Erst nach intensiver Befragung und gerichtlicher Nennung des Begriffes „Wahl“ kam der Kläger auf ein mit der Einbürgerung verbundenes zentrales staatsbürgerliches Recht. Dass seine Kenntnisse über die hiesige freiheitliche demokratische Grundordnung – trotz vor gut zwei Jahren bestandenen Einbürgerungstests – keine hinreichende Substanz aufweisen, erhellen aber auch die von ihm gegebenen Antworten zu verschiedenen Fragen aus dem entsprechenden Testkatalog (vgl. Einbürgerungstestverordnung vom 5.8.2008 (BGBl. I S. 1649), die zuletzt durch Art. 1 der Verordnung vom 21.6.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 211) geändert worden ist):

Frage

Antwort des Klägers

richtig/falsch

Frage 3 („Deutschland ist ein Rechtsstaat. Was ist damit gemeint?“)

Nr. 3 („Nur Deutsche müssen die Gesetze befolgen.“)

falsch (richtig ist Antwort 1)

Frage 5 („Wahlen in Deutschland sind frei. Was bedeutet das?“)

Nr. 2 („Nur Personen, die noch nie im Gefängnis waren, dürfen wählen.“)

falsch (richtig ist Antwort 3)

Frage 12 („Eine Partei im Deutschen Bundestag will die Pressefreiheit abschaffen. Ist das möglich?“)

Nr. 1 („Ja, wenn mehr als die Hälfte der Abgeordneten im Bundestag dafür sind.“)

falsch (richtig können sein Antworten 2 oder 3)

Frage 21 („Welches ist das Wappen der Bundesrepublik Deutschland?“)

Nr. 1

richtig

Frage 24 („Wie viele Bundesländer hat die Bundesrepublik Deutschland?“)

Nr. 3

richtig

Frage 26 („Deutschland ist …“)

Nr. 1 („eine kommunistische Republik.“)

falsch (richtig ist Antwort 2)

Frage 38 („Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer …“)

Nr. 2

richtig

Frage 62 („Wenn das Parlament eines deutschen Bundeslandes gewählt wird, nennt man das …“)

Nr. 4 („Bundestagswahl“)

falsch (richtig ist Antwort 2)

Frage 87 („Wer ist das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland?“)

Nr. 1 („der Bundeskanzler / die Bundeskanzlerin“)

falsch (richtig ist Antwort 2)

Frage 159 („Was gab es in Deutschland nicht während der Zeit des Nationalsozialismus?“)

keine konkrete Angabe, Antwort Nr. 2 vermutet

falsch (richtig ist Antwort 1)

Frage 220 („Der 27. Januar ist in Deutschland ein offizieller Gedenktag. Woran erinnert dieser Tag?“)

Nr. 3

falsch (richtig ist Antwort 4)

Frage 272 („Welche Lebensform ist in Deutschland nicht erlaubt?“)

Nr. 4

richtig

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Auch wenn das Gericht nicht verkennt, dass eine hundertprozentig korrekte Beantwortung dieser Fragen nicht verlangt werden kann, so zeigen gerade die falschen Antworten zu Fragen 3, 5, 26 und 159 auf, dass dem Kläger wesentliche Kenntnisse über elementare Strukturen der hiesigen Grundordnung fehlen. Wieso etwa nur Deutsche die Gesetze befolgen müssen, erschließt sich ebenso wenig wie die Einordnung der Bundesrepublik Deutschland als kommunistische Republik. Dass der Kläger bei Frage 159 keine sichere Festlegung treffen und sich allenfalls vermutend (falsch) äußern kann, legt zudem nahe, dass er mit den Wesenszügen der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, deren Gegenentwurf die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ist, nicht vertraut ist.
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Bei dieser Sachlage bietet allein die Unterzeichnung der Loyalitätserklärung keinen hinreichend belastbaren Anknüpfungspunkt dafür, dass der Kläger tatsächlich verstanden hat, was er unterschreibt, und sein Bekenntnis somit von einer entsprechenden inneren Überzeugung getragen ist. Nur derjenige kann sich glaubhaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen, der den Inhalt der freiheitlichen demokratischen Grundordnung jedenfalls in Ansätzen kennt.
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2. Eine etwaige Betrachtung nach § 8 StAG führt zu keiner anderen Beurteilung. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Satz 1 Nr. 1a StAG wird nicht nur der Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG ausgeschlossen; die Vorschrift gilt für alle Einbürgerungsnormen und stellt ein Einbürgerungsverbot dar (vgl. BeckOK MigR/Schneider, 19. Ed. 1.7.2024, StAG § 11 Rn. 2).
Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.